Michael Altorfer «Wir wandeln uns von einem Technologie- in ein Produktunternehmen» Der Chemiker und Betriebswirtschaftler Michael Altorfer ist CEO der Allschwiler Pharmafirma Polyphor. Auf der Basis einer eigenen Technologieplattform entwickelt das Unternehmen Medikamente für Indikationen mit hohem medizinischem Bedarf. Im Interview mit BaselArea.swiss erklärt Michael Altorfer, warum Polyphor auf die Wirkstoffklasse der Makrozyklen setzt und warum die Region Basel für Pharmafirmen ein idealer Standort ist. Polyphor blickt auf eine 20-jährige Firmengeschichte zurück. Heute entwickelt das Unternehmen eigene Medikamente, doch begonnen hatte alles ganz anders ... Michael Altorfer: Daniel und Jean-Pierre Obrecht gründeten Polyphor 1996 als Dienstleistungsunternehmen und unterstützen Forschungsprojekte von Firmen aus der Pharma-, Agro- und Kosmetikindustrie. Die beiden Brüder starteten in einem Labor auf dem Campus der Universität Zürich und boten Dienstleistungen im Bereich der i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel Auftragsforschung an, bei der es darum ging, interessante Substanzen auf die gewünschte biologische Wirkung hin zu optimieren. Das war damals eine echte Neuheit, da die Firmen in den frühen Forschungsphasen die Projekte normalerweise aus Vertraulichkeitsgründen fremden Firmen nicht offenlegten. Den Gründern gelang es jedoch, die notwendige Vertrauensbasis zu schaffen und dank hoher Qualität und Zuverlässigkeit mit den Grossen der Branche wie Novartis und Roche sowie Pharmafirmen in Europa, den USA und Japan zusammenzuarbeiten. Wann begann Polyphor mit Makrozyklen zu arbeiten? Nachdem das Dienstleistungsgeschäft der Polyphor aufgebaut worden war und Gewinn erwirtschaftete, baute die Firma eine eigene Forschungstätigkeit auf. Ab 2001 flossen der Firma durch mehrere Finanzierungsrunden substantielle Finanzmittel zu, um diese Forschungstätigkeit zu verstärken und zu beschleunigen. Polyphor entwickelte eine Technologie-Plattform mit dem Ziel, eine neue Arzneimittelklasse, die Makrozyklen, zu etablieren. Nachdem ich bereits in der Sandoz und während meiner Dissertation in der Roche an makrozyklischen Wirkstoffen gearbeitet hatte, bot sich für mich bei Polyphor 2001 eine spannende Gelegenheit, beim Aufbau dieser Wirkstoffklasse und daraus abgeleitete medizinische Anwendungen mitzuarbeiten. In der Zwischenzeit hat die Polyphor das ursprüngliche Dienstleitungsgeschäft im Bereich der kleinen Moleküle vollständig aufgegeben. Die Firma konzentriert sich heute in der eigenen Forschung und Entwicklung sowie in Zusammenarbeiten mit Pharmafirmen vollumfänglich auf die Entwicklung von Makrozyklen-Wirkstoffe. Was macht diese Makrozyklen denn so speziell? Makrozyklen bilden eine ganz besondere Arzneimittelklasse. Diese Wirkstoffe ergänzen die etablierten Wirkstoffklassen der synthetisch hergestellten „kleinen Moleküle“ wie zum Beispiel Aspirin und der grossen biotechnologisch hergestellten Biopharmazeutika – da könnte man als Beispiel Avastin anführen. Die „kleinen Moleküle“ sind einfach synthetisch herstellbar und können oft als Tablette eingenommen werden, während die Biopharmazeutika eine hohe Selektivität und Wirksamkeit auch bei komplexen biologischen oder molekularen Wechselwirkungen aufweisen. Im Gegensatz zu den kleinen Molekülen i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel ist die Herstellung der Biopharmazeutika sehr aufwendig und basiert auf biotechnologischen Prozessen in denen der Wirkstoff durch Mikroorganismen hergestellt wird. Der Vorteil der synthetisch hergestellten Makrozyklen ist, dass sie die Stärken der beiden etablierten Arzneimittelklassen in sich vereinigen und die Entwicklung neuer Therapieoptionen ermöglichen, für welche die etablierten Arzneimittelklassen keine oder keine befriedigende Therapie anbieten. Polyphor nutzt ihre Technologieplattform auf zweifache Weise: Zum Aufbau eines eigenen Produktportfolios und in der Zusammenarbeit mit grossen Pharmafirmen. Unternehmen wie Novartis, Boehringer Ingelheim, Taisho in Japan und seit wenigen Wochen auch Gilead in Kalifornien haben das Potenzial der Makrozyklen erkannt und nutzen die Vorteile einer Partnerschaft mit Polyphor, um neuartige Medikamente zu entwickeln. Dabei profitieren die Pharmafirmen auch davon, dass Polyphor einen starken Schutz durch Patente etabliert hat. Sowohl die Herstellung der Makrozyklen als auch die spezifische Wirkung der Arzneimittelkandidaten ist durch Patentanmeldungen geschützt. Polyphor wollte also von Beginn an eigene Produkte entwickeln? Richtig, mit dem Aufbau der Makrozyklen-Technologieplattform verfolgte Polyphor von Anfang an das Ziel, Makrozyklen als neue pharmazeutische Wirkstoffe einzusetzen. Zunächst musste jedoch die Technologie-Plattform aufgebaut und validiert werden, so dass die Entdeckung und Entwicklung von Makrozyklen effizient und industriell nutzbar wurde. Erst durch die Fähigkeit, Makrozyklen effizient herzustellen und deren Eigenschaften in iterativen Prozessen zu optimieren, eröffnete sich uns die Möglichkeit, die Anwendung der Plattform in verschiedenen Therapiegebieten zu prüfen und eigene MakrozyklenMedikamente zu entwickeln. Die Entdeckung und Entwicklung neuer Antibiotika und weitere Anwendungen im Bereich der Lungenkrankheiten und der Onkologie zeigen auf, dass die Makrozyklen verschiedene medizinische Bedürfnisse abdecken können und sogar zur Entdeckung ganz neuer Wirkungsmechanismen führen können. Der Erfolg unserer eigenen Forschung wurde durch weitere Projekte ergänzt, in denen wir den Einsatz von Makrozyklen auch in Kollaborationen mit Pharma Partner belegen konnten. Inzwischen stehen wir nun mitten im Wandel von einer Technologie- zu einer Produkte-Firma. i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel Welche Produkte hat Polyphor heute im Portfolio? Zurzeit befinden sich drei Arzneimittelkandidaten in der klinischen Entwicklung. Am weitesten fortgeschritten ist ein sehr potentes Antibiotikum gegen Pseudomonas-Bakterien. Antibiotikaresistenz ist eine der grössten Herausforderungen der heutigen Spitalmedizin. Da seit bald 40 Jahren keine neuen Antibiotika gegen Pseudomonas-Bakterien entdeckt und entwickelt wurden, haben gewisse Bakterien die Zeit genutzt und Resistenzen gegen alle etablierten Antibiotikaklassen entwickelt. Polyphor ist es gelungen, mit dem Wirkstoffkandidaten POL7080 – auch murepavadin genannt – ein Antibiotikum mit einem völlig neuen Wirkmechanismus zu entwickeln. Mit Hilfe des neuen Wirkungsmechanismus‘ kann POL7080 auch resistente Pseudomonas-Bakterien abtöten. Murepavadin ist der erste Vertreter einer neuen Generation von Antibiotika. Zusätzlich zu POL7080 hat Polyphor bereits weitere Vertreter dieser neuen Anibiotikaklasse identifiziert, die ein breiteres Spektrum gefährlicher resistente Bakterien abtöten. Ich möchte an dieser Stelle die gute Zusammenarbeit mit Professor John Robinson an der Uni Zürich und die sehr wichtige, langjährige Förderung durch die KTI betonen, die die Entwicklung dieser neuen Antibiotikaklasse massgeblich gefördert haben. Unseren zweiten Wirkstoffkandidaten, POL6326 – oder balixafortide – setzen wir in Kombinationstherapien in der Onkologie ein. Das Ziel der laufenden Studie bei Brustkrebs-Patientinnen ist es, aufzuzeigen, dass die Wirkung der Chemotherapie durch die zusätzliche Behandlung mit balixafortide verbessert werden kann. Schliesslich entwickeln wir POL6014 zur Behandlung chronischer Lungenkrankheiten. Dieses Produkt wird inhaliert und wirkt gegen ein Enzym, das – im Übermass vorhanden – das Lungengewebe zerstört. Eine erste Anwendung testen wir bei Menschen mit zystischer Fibrose. Allen diesen Anwendungen ist gemeinsam, dass der Bedarf für neuartige und wirkungsvolle Arzneimittel zur Behandlung der entsprechenden Krankheiten ausgesprochen hoch ist. Die Makrozyklen-Wirkstoffe scheinen somit in vielen verschiedenen Therapiegebieten anwendbar zu sein? Wir haben durch unsere eigenen Forschungsaktivitäten, aber auch in Zusammenarbeit mit Pharmafirmen, aufgezeigt, dass die Wirkstoffklasse der Makrozyklen tatsächlich in vielen Therapiegebieten erfolgreich angewendet werden kann. Als i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel kleine Pharmafirma konzentrieren wir uns auf ausgewählte Anwendungen, speziell im Bereich der Antibiotika und seltenen Lungenkrankheiten. Hier ist unser Ziel, entweder ganz neue oder deutlich verbesserte Therapiemöglichkeiten anzubieten. Dabei konzentrieren wir uns auf die Entwicklung neuer Makrozyklen-Wirkstoffe zur Behandlung akuter Krankheiten im Spital oder seltener lebensbedrohender Krankheiten. Polyphor hat im März 2016 mit der Patientenorganisation Cystic Fibrosis Foundation Therapeutics, CFFT, einen Vertrag über 3 Millionen Dollar für die Entwicklung des Wirkstoffes POL6014 abgeschlossen. Wie sieht die Zusammenarbeit aus? Die Zusammenarbeit mit der CFFT erlaubt uns, die klinische Entwicklung von POL6014 zu beschleunigen und erleichtert auch die entsprechenden klinischen Tests in Menschen, die an zystischer Fibrose leiden. Die CFFT ist eine der grössten und bekanntesten Patientenorganisationen und bestens vernetzt. Patientenorganisationen übernehmen zunehmend die Rolle von Entwicklungspartnern und Investoren, insbesondere bei seltenen Krankheiten. Dank ihrem Zugang zu Spitzenwissenschaftlern und Meinungsführern, ihrem Einfluss und ihrer Reputation verhandeln sie heute auf Augenhöhe der Pharmafirmen. Den Vereinbarungen gehen jeweils umfangreiche wissenschaftliche und medizinische Abklärungen voraus. Eine solche Partnerschaft kommt deshalb einer unabhängigen Bestätigung eines Therapieansatzes gleich. Verträge mit Patientenorganisationen sind mittlerweile auch ähnlich strukturiert wie Lizenzvereinbarungen mit Pharmafirmen und enthalten beispielsweise klar definierte Meilensteine, deren Erreichen eine nächste Zahlungstranche auslöst. Die ersten zwei Meilensteine in unserer Vereinbarung mit der CFFT haben wir übrigens bereits erreicht. Die Zusammenarbeit mit den Patientenorganisationen ist uns besonders wichtig und wir freuen uns sehr über die Unterstützung, sei es durch Geld, guten Rat, Zugang zu Netzwerken oder andere Dinge – und auch ganz besonders durch deren stete Motivation möglicherweise einen Beitrag zur Linderung oder Heilung schwerer Erkrankungen zu liefern. Sie sind hauptsächlich privat finanziert und haben nur wenige klassische Risikokapitalgeber wie Venture Funds in Ihrem Aktionariat – ein Erfolgsmodell? i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel Ich denke, es sind zwei wesentliche Aspekte, die zu dieser Aktionärsstruktur geführt haben: Die Firmengeschichte und die Tatsache, dass Polyphor ein relativ breit abgestütztes Portfolio von Wirkstoffkandidaten entwickelt und nicht alles auf eine Karte setzt. Polyphor startete als Dienstleistungsunternehmen, baute dann eine eigene Technologie-Plattform auf und fokussiert jetzt auf die aus der Technologie-Plattform hervorgegangenen MakrozyklenWirkstoffe. Für die meisten Dienstleistungsgesellschaft klassischen oder Venture Funds Technologie-Plattform war nicht der attraktiv Aufbau einer genug, sie investieren bevorzugt in Firmen, die ein spezifisches Medikament entwickeln. Viele unserer Investoren hat aber gerade die Tatsache überzeugt, dass Polyphor nicht alles auf eine Karte setzt. So zählt die Aktionärsbasis von Polyphor eine grosse Zahl von Privatinvestoren, die selbst auch erfolgreich ein Unternehmen aufgebaut haben und die die Entwicklung von Polyphor überzeugt hat. Seit der Gründung von Polyphor hat die Firma rund 150 Millionen Franken operative Einnahmen erwirtschaftet und mehr als 180 Millionen Franken sind der Gesellschaft durch Kapitalerhöhungen zugeflossen. Diese Mittel haben wir zuerst in den Aufbau unserer Technologie und in den letzten Jahren vor allem in unsere ProduktePipeline investiert. Die Geschichte von Polyphor begann 1996 in Zürich. Warum wechselte der Firmensitz nach Allschwil? Ganz einfach: Polyphor hatte ein Platzproblem in Zürich, denn die Firma entwickelte sich so gut, dass es eng wurde. Klar war, dass es für einen Umzug nur eine Destination gab, nämlich den grössten Life-Sciences-Cluster in Europa! Wohl nirgendwo sonst gibt es auf kleinstem Raum derart viel Pharmakompetenz, nicht nur bei Novartis und Roche. Hier finden wir die hochqualifizierten Wissenschaftler und Fachspezialisten, die wir für die Entwicklung unserer Firma brauchen. Auch wegen der hohen Lebensqualität der Region Basel ist es relativ einfach, Wissenschaftler aus der ganzen Welt zu rekrutieren. Nicht zu unterschätzen sind auch die Effizienz und Kompetenz der Basler Behörden. Sie kennen die Industrie, verstehen unsere Bedürfnisse und bieten Hand zu pragmatischen Lösungen. Sind Novartis und Roche nicht auch Konkurrenten um Mitarbeiter oder Know-how? i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel Es gibt gute Gründe, warum jemand für einen Grosskonzern arbeiten möchte. Wir stellen jedoch fest, dass Polyphor als kleines Unternehmen für viele Mitarbeiter attraktiv ist, die die Vorteile einer kleineren Organisation schätzen. Die Arbeit eines einzelnen Mitarbeiters ist viel sichtbarer, die Aufgaben vielseitiger und die Verantwortung häufig umfassender. Alle Mitarbeiter kennen sich, es herrscht eine familiäre Atmosphäre und viele Mitarbeiter haben über lange Zeit den Aufbau und den Wandel von Polyphor miterlebt und mitgeprägt. Die Möglichkeit an der Entwicklung neuer Medikamente mitzuwirken und die spezifischen Vorteile der Makrozyklen-Wirkstoffe zu nutzen, fasziniert viele Wissenschaftler. Mit ihrer Vision und Geschichte, dem kollegialen Umfeld und den flachen Hierarchien ist Polyphor ein attraktiver Arbeitgeber geworden. Wie sehen Sie die Zukunft der Life Sciences-Region Basel? Basel kann nie zu viele innovative Firmen haben! Aus diesem Grund ist für mich eine starke Standortförderung sehr wichtig. Es ist wie beim Car Sharing: Je mehr Personen mitmachen, desto attraktiver wird das ganze System. Und je mehr Leute im Life Sciences Cluster Basel arbeiten, desto mehr Spezialisten kommen in die Region und desto intensiver findet der Austausch von Wissen und Kontakten statt. Solange es gelingt, immer wieder Talente mit ihren innovativen Ideen für Basel zu begeistern, wird die Region ein führender Standort bleiben. Da bin ich sehr zuversichtlich! Interview: Stephan Emmerth und Nadine Nikulski, i-net/BaselArea.swiss Michael Altorfer arbeitet seit 2001 für Polyphor. Nachdem er in verschiedenen Managementfunktionen tätig war, übernahm er Ende März 2015 die Geschäftsführung. Der gebürtige Zürcher studierte Chemie, Toxikologie und Immunologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und promovierte an der Universität Zürich. Michael Altorfer begann seine Karriere als Wissenschaftler in der pharmazeutischen Forschung von Sandoz in Basel, später bei Ciba-Geigy in Summit/NJ (USA) und – zurück in Basel – bei Roche. 1996 wechselte er ins Investment Banking zu UBS Warburg. Im Jahr 2000 erwarb er an der University of Rochester/NY (USA) ein MBA. i-net/BaselArea.swiss │ Dufourstrasse 11 │ 4010 Basel
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