Ergebnisse und Perspektiven der „Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016“ Johannes Kors Die Reichweitenmessung des Hörfunks basiert in Deutschland im Wesentlichen auf den regelmäßi gen quantitativen Reichweitenstudien der Arbeits gemeinschaft Media Analyse (agma). Die Erhebung des klassischen Hörfunks fußt dabei auf einem methodischen Konzept, dass vor etwa 20 Jahren von der agma entwickelt wurde. Seit der ma 2000 Radio wird die Hörfunknutzung mittels computer gestützter telefonischer Interviews (CATI = Com puter Assisted Telephone Interview) erhoben. Die CATI-Erhebung stößt im digitalen Zeitalter aber zunehmend an Grenzen. Digitale Verbreitungswege ermöglichen die Ver vielfachung der Programme und hybride Endgeräte für Telefonie, Internet, TV und Radio machen die Rundfunkangebote überall und jederzeit verfügbar. Diese Veränderungen führen dazu, dass die Mes sung der Nutzung aller Angebote mit herkömm lichen Methoden immer schwieriger wird. Des wegen hat die agma bereits im Jahre 2014 die Einführung einer separaten Abfragemethode und Erhebung für Internetradioprogramme realisiert. Des Weiteren ist es der Gattung Radio mit der Vernetzung der klassischen CATI-Erhebung der UKW-Sender und der ma IP Audio in die ma Audio im November 2015 gelungen, als erste Medien gattung eine Konvergenzwährung zu schaffen. Ein bisher ungelöstes Problem der Reichweiten forschung innerhalb der agma ist jedoch, dass es für die nicht über UKW verbreiteten terrestrischen Digitalradioprogramme auf Basis der bestehenden Abfrage-Konvention nahezu unmöglich ist, einen Reichweitenausweis in der Media Analyse zu er halten. Während die UKW-Programme namentlich abgefragt werden durch Vorlesen der pro Stadt-/ Landkreis empfangbaren Angebote, werden die übrigen Programme grundsätzlich ungestützt er hoben. Sie müssen innerhalb der beiden Erhe bungswellen einer ma mindestens 20 ungewich tete Nennungen im Weitesten Hörerkreis (WHK) erreichen, um in die mit Sendernamen und ‑slogan gestützte Abfrage zu gelangen. Damit werden die ausschließlich über DAB+, Kabel und Satellit ver breiteten Programme gegenüber den UKW-Pro grammen benachteiligt. Programme im digitalen Hörfunk haben bisher somit kaum eine Chance, den für die Werbevermarktung notwendigen Reichweitenausweis zu erhalten. Methodik „Pilotstudie DAB+ Nutzung“ Vor diesem Hintergrund haben die Landesmedien anstalten und private DAB-Anbieter immer wieder angeregt das Problem zu lösen und die eklatanten Wettbewerbsnachteile für DAB-Radioprogramme zu beseitigen. Die geäußerte Kritik stieß schließlich auf ein offenes Ohr in der agma. Der Arbeitsaus schuss der agma hat am 17. März 2016 die Auflas sung erteilt, für DAB+ eine eigenständige Studie zu entwickeln. Um das Projekt zu realisieren, haben sich die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedien anstalten (ALM), die ARD, D eutschlandradio, Media Broadcast und die privaten Anbieter Regiocast, Energy, Neue Welle und Schlagerparadies zusam mengefunden und die agma-Tochter mmc beauf 1 Ergebnisse und Perspektiven der „Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016“ tragt, eine „Pilotstudie DAB+ Nutzung“ durchzu führen. Als methodisches Konzept der Studie wurde eine Tagebucherhebung entwickelt, die sich aus den drei Säulen Online-Panel, Digitalisierungsbericht und CATI-Bus zusammensetzt. Dabei bildet die im Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten erhobene Haushaltsausstattung mit DAB+-Geräten die Basis sowohl für die Rekrutierung einer Nach befragung von DAB+-Haushalten mittels Onlineoder Papiertagebuch, als auch die Außenvorgabe für eine aus einem Online-Access-Panel rekrutierte Stichprobe. Darüber hinaus beinhaltet das Konzept eine zusätzliche Rekrutierung von DAB+-Nutzern im Rahmen einer CATI-Bus-Befragung. Ziel dieses Moduls war es, neben der Nachbefragung aus dem Digitalisierungsbericht weitere Offliner (kein Internetzugang) für die Studie zu gewinnen. Für die Tagebucherhebung konnten somit 2.269 Perso nen gewonnen werden, die im Laufe von 8 Tagen im Zeitraum Juni/Juli 2016 ihr Radionutzungsver halten im Rahmen einer Tagebuchbefragung doku mentiert haben. Die ermittelte Radionutzung ist repräsentativ für 9,5 Mio. Personen mit einem Zu gang zu einem DAB+-Radiogerät gemäß der S tudie von TNS Infratest zum Digitalisierungsbericht. DAB+-Nutzung in Digitalradio-Empfangs haushalten vor Internetradionutzung Die Ergebnisse der Tagebucherhebung belegen, dass neben der zunehmenden Marktdurchdrin gung von DAB+ bei den Radioempfangsgeräten auch die tatsächliche Nutzung von Digitalradio in den Empfangshaushalten bereits beachtliche Werte erzielt. Der Nutzungsanteil von DAB+ an den Radioempfangswegen in diesen Haushalten beträgt schon 19 Prozent. Dies sind 46 Minuten der insgesamt erhobenen Hördauer von 242 Minu ten. DAB+ liegt damit vor dem Verbreitungsweg Internet, der einen Anteil von 43 Minuten bzw. 17 Prozent an der Hördauer hat. Auf UKW entfällt mit 134 Minuten bzw. 54 Prozent nach wie vor der höchste Anteil. Dies ist aber nicht erstaunlich, weil auch in den DAB+-Empfangshaushalten noch drei von fünf Empfangsgeräten bzw. 60 Prozent der Geräte über einen UKW-Empfang verfügen. Abb. 2 Hördauer in Minuten (Mo.–So.) alle Empfangswege vs. DAB+ Radio gesamt Abb. 1 ARD gesamt Nutzungsanteile der Radioempfangswege (in Prozent) Deutschlandradio gesamt Hördauer Radio gesamt Minuten UKW Minuten Private gesamt DAB+ Internet Minuten Minuten Militär/Ausland/Sonstige gesamt Kabel/Satellit Minuten Weiß nicht Minuten Gesamt Quelle: Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016; Basis: Hördauer Montag bis Sonntag, 9,526 Mio. Personen ab 14 Jahre mit Zugang zu einem DAB+-Radiogerät im Haushalt 2 DAB+ Quelle: Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016; Basis: 9,526 Mio. Personen ab 14 Jahre mit Zugang zu einem DAB+-Radiogerät im Haushalt Ergebnisse und Perspektiven der „Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016“ Weit abgeschlagen ist in den DAB+-Empfangshaus halten die stationäre Empfangsart Kabel/Satellit, auf die ein Anteil von 14 Minuten bzw. 6 Prozent an der Hördauer entfällt. Bei differenzierter Be trachtung nach Bundesländern zeigt sich, dass der DAB+-Anteil an der Radionutzung in den südlichen Ländern Bayern und Baden-Württemberg mit je weils 25 Prozent und in Hessen mit 24 Prozent sowie in Sachsen-Anhalt mit 30 Prozent deutlich überdurchschnittlich ist. Beim Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und Privatradios liegen erwartungsgemäß die ARD-Programme bei der DAB+-Nutzung vorne. Fast ein Viertel der Nutzung der ARD-Sender er folgt bereits über DAB+, während der Anteil bei den Privatradios erst etwa ein Siebtel beträgt. Bei Deutschlandradio liegt der Anteil dagegen sogar bei 40 Prozent. Ein Vergleich auf Länderebene zeigt aber, dass die DAB+-Nutzung des öffentlichrechtlichen Rundfunks nicht durchgängig über wiegt. In den Ländern, wo neben den bundeswei ten Privatradios auch bereits zahlreiche regionale DAB+-Programme ausgestrahlt werden, ist der Privatfunk bei der DAB+-Nutzung auf Augenhöhe mit den öffentlich-rechtlichen Sendern. In Bayern teilen sich die 60 Minuten Hördauer über DAB+ Abb. 3 Hördauer in Minuten (Mo.–So.) DAB+ in den Bundesländern Sachsen-Anhalt Berlin* Bremen* Rheinland-Pfalz* Bayern Brandenburg* Hessen Saarland* Baden-Württemberg MecklenburgVorpommern* Niedersachsen Schleswig-Holstein Sachsen Thüringen* Hamburg* Deutschland gesamt Nordrhein-Westfalen DAB+ gesamt ARD über DAB+ gesamt Private über DAB+ gesamt * n < 80; Basis: n = 2.269 Personen ab 14 Jahren mit DAB+-Radiogerät im Haushalt Quelle: Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016; Basis: 9,526 Mio. Personen ab 14 Jahre mit Zugang zu einem DAB+-Radiogerät im Haushalt 3 Ergebnisse und Perspektiven der „Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016“ exakt hälftig zwischen dem Bayerischen Rundfunk und den privaten DAB-Programmen auf. Auch in Hessen und Sachsen-Anhalt teilt sich die Nutzung nahezu gleich zwischen den ARD-Sendern und den Privatradios auf. Dies ist wiederum ein Beleg dafür, dass die Wettbewerbschancen der privaten Radioanbieter bei entsprechenden Aktivitäten in DAB+ grundsätzlich vorhanden sind. Der Nutzungsanteil von Radiohören über DAB+ beträgt hochgerechnet auf die Gesamtbevölke rung ab 14 Jahre, inklusive also der 59,7 Mio. NichtBesitzer eines DAB+-Empfangsgeräts, zwar erst 3 Prozent. Die erstmals ermittelten Nutzungsdaten für DAB+ zeigen aber, dass es für den Privatfunk in einigen Bundesländern Handlungsbedarf gibt. Andernfalls besteht hier die Gefahr, dass die Pri vatradios gegenüber den öffentlich-rechtlichen Wettbewerbern Hörer-Marktanteile verlieren. Allerdings sind die Privatsender beim Aufbau der Infrastruktur benachteiligt. Die DAB+-Kosten sind in Relation zu UKW zwar deutlich geringer. Bei einer Simulcastverbreitung stehen den z usätzlichen Kosten für die DAB+-Verbreitung aber keine zusätz lichen Einnahmen aus der Werbung gegenüber, während den öffentlich-rechtlichen Sendern die Si mulcastphase voll durch Gebührengelder finanziert wird. Bei den originären DAB-Anbietern ist das Problem, dass wegen der immer noch zu geringen technischen Reichweite die Kosten noch nicht durch Werbeerlöse gedeckt werden können. Vor diesem Hintergrund wäre es für die Fortentwick lung von DAB+ bedeutsam, wenn die DAB+-Ver breitungskosten eine Zeitlang durch eine öffent liche Anschubfinanzierung gefördert würden. Ausweis der privaten DAB+-Programme Neben der erstmaligen Messung des Anteils der DAB+-Nutzung am Radiohören über alle Empfangs wege ist ein weiteres Ziel der Pilotstudie, für Pri vatradios eine Messmethodik zu entwickeln, die auch den originär DAB+-basierten Programmen eine von der Werbewirtschaft anerkannte Reich weitenwährung unter dem Dach der agma liefert. Dieses Ziel konnte erreicht werden durch die Ge 4 staltung der Tagebucherhebung, die für alle Pro gramme eine chancengleiche Erhebung der Nut zungsreichweite ermöglicht. Notwendig für den Reichweitenausweis sind gemäß ZAW-Rahmen schema und der Vorgabe der agma mindestens 80 Nennungen im Tagebuch. Die Mehrzahl der bundesweiten DAB+-Anbieter hat in der Pilotstudie diese Hürde genommen. Damit liegen auch für einige DAB-Sender erstmals Programmreichweiten vor. Im nächsten Schritt kommt es nun darauf an, diese Daten in die ma Audio zu transferieren, um der Werbewirtschaft allgemein anerkannte Reich weiten mit agma-Siegel zu liefern. Die Frage nach einer geeigneten Messmethode für originäre DAB+-Programme wird auch nach der „Pilotstudie DAB+ Nutzung“ auf der Agenda bleiben. Die Erhebung alleinig auf Basis der DAB+Empfangshaushalte birgt für die DAB+-Anbieter das Problem, dass die schon vorhandene Reich weite über andere Verbreitungswege wie Internet bei Personen ohne DAB+-Zugang in der Tagebuch erhebung der Pilotstudie nicht erfasst wird. Hier wäre zu prüfen, ob eine Gewinnung dieser Daten beispielsweise aus der ma IP Audio möglich er scheint. Die Fortentwicklung der Erhebungskonvention für Radio bleibt eine Daueraufgabe. Spätestens wenn das bestehende terrestrische Radioangebot sich mit Digitalradio überall deutlich vergrößert und die Nutzung von Digitalradio bei der Hördauer in der Gesamtbevölkerung die 10‑Prozentmarke über schritten hat, wird sich voraussichtlich auch die Erhebungskonvention der klassischen ma Radio aus der analogen Zeit an die digitale Welt anpas sen müssen. Eine valide und glaubwürdige Ermitt lung der Gesamtreichweite von Radio erscheint anderenfalls kaum noch möglich zu sein. Impressum: Beilage zum Digitalisierungsbericht 2016, Copyright die medienanstalten Die Studie wurde von den Medienanstalten gemeinsam mit ARD, Deutschlandradio, Media Broadcast, Regiocast, Energy, Neue Welle und Schlagerparadies bei mmc beauftragt und von TNS Infratest durchgeführt.
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