der Alpha-1-Blocker - Deutsches Ärzteblatt

ARZNEIMITTEL-WECHSELWIRKUNGEN
... der Alpha-1-Blocker
Bei der symptomatischen Behandlung des benignen Prostatasyndroms
spielen neben Phytotherapeutika und dem 5a-Reduktasehemmer Finasterid
die selektiven Alpha-1-Adrenozeptorantagonisten (α1-Blocker) eine Rolle.
ls „benignes Prostatasyndrom“ (BPS) wird bei
Männern über 40 Jahre die variable Trias aus
Symptomen des unteren Harntraktes,
● Prostatavolumen und
● Blasenauslassobstruktion
bezeichnet (1). Alpha-1-Adrenozeptorantagonisten
(α1-Blocker) sind die am häufigsten verwendeten
Medikamente zur Behandlung von BPS-Symptomen
(2). α-Blocker führen via kompetitiver Inhibition von
α1-Adrenozeptoren an der postsynaptischen Membran (insbesondere α1A-Subtyp) zur Relaxation der
glatten Muskulatur in Prostata, Prostatakapsel
und im Blasenhals, was den Blasenauslasswiderstand reduziert (3). Zusätzlich wird für die Wirkung
auch die Inhibition von α1-Adrenozeptoren im Detrusor und im Rückenmark vermutet (3).
In Deutschland sind die α1-Blocker Alfuzosin,
Doxazosin, Silodosin, Tamsulosin und Terazosin
zugelassen. Sie reduzieren den International Prostata
Symptom Score (IPSS) im Vergleich zu Placebo in
den einzelnen Studien um 1–4 Punkte (1).
Vergleichende Untersuchungen zwischen den einzelnen α1-Blockern ergaben keine signifikanten Unterschiede beim IPSS. Sie sind bei adäquater Dosierung vergleichbar effektiv und in dieser Hinsicht austauschbar (1). Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindel, Kopfschmerzen, Diarrhö, Schwellung der Nasenschleimhaut, grippale Symptome, hypotone Dysregulation und Synkopen sind mögliche, dosisabhängige
Nebenwirkungen (3). Ein erhöhtes Risiko für Schwindel, hypotone Dysregulation oder Synkopen wurde
insbesondere für Doxazosin und Terazosin beobachtet
(relatives Risiko 3,71–5,53), weniger ausgeprägt und
selten für Silodosin oder Tamsulosin, die eine hohe
Selektivität für α1A-Adrenorezeptoren besitzen (1).
Alfuzosin und Silodosin
Pharmakokinetische Wechselwirkungen können Wirksamkeit und Verträglichkeit der einzelnen α1-Blocker
beeinflussen. Alfuzosin und Silodosin werden primär
über CYP3A4 abgebaut (4, 5). CYP3A4 ist das prominenteste Isoenzym der CYP-Familie. Es ist für etwa
40 % aller Phase-I-Reaktionen verantwortlich. Modulatoren von CYP3A4 führen zu Änderungen der Konzentrations-Zeit-Profile: CYP3A4-Hemmer erhöhen
die Plasmaspiegel und das Risiko für Nebenwirkungen ist erhöht, während CYP3A4-Induktoren die
AUC-(Area under the Curve-)Werte erniedrigen und
zu einem Wirkungsverlust führen können (6).
Die maximale Plasmakonzentration und die AUC
von Alfuzosin steigen bei gleichzeitiger Anwendung
des hochwirksamen CYP3A4-Hemmers Ketoconazol um das 2,3- beziehungsweise 3,0-Fache (4). Cmax
und die Exposition von Silodosin sind durch Ketoconazol um das 3,7- beziehungsweise 3,0-Fache erhöht. Mittelstarke CYP3A4-Hemmer lassen die AUC
von Silodosin um 30 % ansteigen (5). Die Fachinformationen empfehlen, starke CYP3A4-Hemmer nur
mit Vorsicht anzuwenden (Alfuzosin) oder zu vermeiden (Silodosin). Wechselwirkungen mit moderaten CYP3A4-Hemmern besitzen keine klinische Relevanz (4, 5).
Eine Wirkungsabschwächung durch erniedrigte
Plasmaspiegel von Alfuzosin und Silodosin ist mög-
Foto: Steve Gschmeissner SPL Agentur Focus
A
●
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GRAFIK
Inhibitoren von CYP3A4
Grapefruit
Indinavir
Idelalisib
Itraconazol
Ketoconazol
Lopinavir-Ritonavir
Nelfinavir
Posaconazol
Saquinavir-Ritonavir
Ritonavir
Telaprevir
Verapamil
Voriconazol
}
Induktoren von CYP3A4
CYP3A4
}
Bosentan
Carbamazepin
Efavirenz
Johanniskraut
Nevirapin
Phenobarbital
Phenytoin
Primidon
Rifampicin
Auswahl von modulierenden Substanzen (stark wirkende fettgedruckt) mit klinisch relevanter Wirkung
auf die Cytochrom-P450-(CYP-)Isoenzyme 2D6 und 3A4 (Stand 06/2016)
lich bei Komedikation mit starken CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin (Grafik). Diesbezügliche Hinweise fehlen jedoch in den Fachinformationen.
Doxazosin und Terazosin
Die aus der Hypertoniebehandlung stammenden Alpha-1-Adrenozeptorantagonisten Doxazosin und Terazosin wirken weniger spezifisch am Blasenhals
und können besonders zu Beginn der Therapie zu erheblichem Blutdruckabfall („first dose phenomenon“) führen. In-vitro-Daten deuten darauf hin, dass
CYP3A4 auch beim Abbau von Doxazosin von Bedeutung ist (7). Aus diesem Grund wird die Kombination des starken CYP3A4-Hemmers Boceprevir
mit Doxazosin nicht empfohlen (8). Terazosin wird
umfangreich metabolisiert. Die genauen Mechanismen sind unbekannt, eine Beteiligung von CYP-Isoenzymen ist nicht auszuschließen (9). Die klinischen
Konsequenzen für den Menschen sind bei jetzigem
Kenntnisstand bei gleichzeitiger Gabe von CYP-Modulatoren schwer abzuschätzen.
Tamsulosin
Tamsulosin ist die Leitsubstanz der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Behandlung des BPS.
Tamsulosin ist Substrat von CYP3A4. Daneben wird
der α1-Blocker über das polymorphe Isoenzym
CYP2D6 verstoffwechselt (10). Die größere Bedeutung hat aber der Abbau über CYP3A4, da die Inhibition des CYP3A4-abhängigen Metabolismus zu einem
stärkeren Anstieg der AUC führt (11). Die gleichzeitige
Anwendung von Ketoconazol erhöht die AUC um das
2,8-Fache. Der starke CYP2D6-Hemmer Paroxetin
steigert die Tamsulosin-Exposition um das 1,6-Fache,
was als klinisch nicht relevant angesehen wird (10).
Tamsulosin sollte mit Vorsicht in Kombination mit
starken und moderaten CYP3A4-Inhibitoren gegeben
werden. Bei Patienten vom CYP2D6-Poor-Metabolizer-(PM-)Phänotyp sollte der α1-Blocker nicht in Kombination mit starken CYP3A4-Inhibitoren gegeben
werden (10). Diese Personen besitzen zwei nicht funktionelle Allele und können kein CYP2D6 bilden. Der
Quelle: mediQ-Interaktionsprogramm
Amiodaron
Atazanavir-Ritonavir
Boceprevir
Ciprofloxacin
Clarithromycin
Cobicistat
Darunavir-Ritonavir
Diltiazem
Dronedaron
Erythromycin
Fluconazol
Fluvoxamin
Fosamprenavir
Metabolismus von CYP2D6-Substraten wie Tamsulosin verläuft extrem langsam (12, 13). Medikamentös
können starke CYP2D6-Hemmer wie Bupropion, Fluoxetin und Paroxetin einen vergleichbaren PM-Status
bewirken. Das sollte besonders bei Anwendung starker
CYP3A4-Hemmer beachtet werden, weil in dieser Situation beide Abbauwege blockiert sind. Für Tamsulosin besteht in den ersten acht Tagen nach Therapiebeginn ein zwar nicht sehr großes, aber signifikant erhöhtes Risiko für eine klinisch bedeutsame Hypotension
(14). Erhöhte Plasmaspiegel von Tamsulosin können zu
dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung beitragen.
Eine erniedrigte Tamsulosin-Exposition ist bei
Komedikation mit CYP3A4-Induktoren zu beachten.
Die Wahrscheinlichkeit einer klinisch relevanten
Plasmaspiegelsenkung ist besonders erhöht bei Patienten mit einem CYP2D6-Ultrarapid-Metabolizer(UM-)Phänotyp. Bei diesen Personen werden durch
Genamplifikation vermehrt CYP2D6-Enzyme gebildet und die Verstoffwechslung von CYP2D6Substraten ist stark beschleunigt (12).
Es gibt große ethnische Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens von CYP2D6-Polymorphismen.
7–10 % der Mitteleuropäer sind langsamer Metabolisierer (PM) und 1–10 % ultraschnelle Metabolisierer
(UM). Asiaten haben zu 1–2 % PM-Status, Nordafrikaner und Orientalen zu 10–29 % UM-Status (15). In
der täglichen Praxis ist ein Genotyp-/Phänotyp-Screening nicht durchführbar. Reagiert der Patient besonders unter Komedikation mit CYP3A4-Modulatoren
unerwartet, sollte auch an die interindividuellen Unterschiede in der Metabolisierungskapazität von
CYP2D6 gedacht werden.
DOI: 10.3238/PersUro.2016.08.22.04
Holger Petri
Fachapotheker für Arzneimittelinformation und Klinische Pharmazie
Werner Wicker Klinik, Bad Wildungen-Reinhardshausen
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3316
Perspektiven der Urologie und Nephrologie 2016 | Deutsches Ärzteblatt
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ARZNEIMITTEL-WECHSELWIRKUNGEN
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