Radiogottesdienst am 4. September 2016

Radiogottesdienst am 4. September 2016
St. Johannes-Kirche in Wiefelstede
Predigt von Pastor Tim Unger
Es gilt das gesprochene Wort.
Es beginnt im Morgengrauen. Wenn im Sonnenaufgang der Garten erwacht, die Baumkronen
grün aus dem klaren Himmel hervorleuchten, dann höre ich sie. Erst eine Stimme, dann zwei,
schließlich füllt sich die Luft von ihrem Gesang. Was ist das für ein beeindruckendes Konzert!
So den Tag begrüßen zu können! Toll! Jesus lenkt den Blick auf die Vögel, die nicht säen, nicht
ernten und doch von ihrem Schöpfer ernährt werden. Vielleicht möchte ich mit ihnen tauschen,
wenn ich sie morgens singen höre. Es klingt so leicht und sorglos.
Sorgt nicht um euer Leben! Sagt Jesus. Ja, wenn das so einfach wäre! Soll man sich etwa nicht
sorgen um die eigene Gesundheit, wenn man älter wird? Soll man sich nicht sorgen um die
eigenen Kinder und Enkel? Sie wachsen doch auf in einer Welt, in der manches schwieriger
geworden ist. Die geeignete Lehrstelle, den geeigneten Beruf zu finden.
Ja, möchte ich sagen: Wir sollten uns sorgen! Unsere Gesundheit darf uns nicht egal sein, wir
müssen uns fit halten, so gut wir können. Unsere Kinder und Enkel können uns nicht egal sein,
also sorgen wir für einen möglichst sicheren Schulweg und eine anständige Ausbildung. Und
viele sorgen sich um die Zukunft des Landes. Dass es wirtschaftlich stabil bleibt und dass die
Integration gelingt. Deswegen setzen wir uns für die Grundrechte ein. Das alles kann nicht
falsch sein! Und trotzdem hören wir dieses Wort Jesu, dass wir uns nicht sorgen sollen.
Aber hier muss ich wieder eine Gegenfrage stellen. Meint Jesus etwa, die Vögel hätten keinen
Grund zur Sorge? Ganz so sorglos stelle ich mir das Vogelleben auch nicht vor. Schleicht nicht
irgendwo eine Katze um das Nest herum? Prallt man bei Kreuzen einer Straße nicht gegen ein
Auto? Also, Anlass zur Sorge gibt es bei den Vögeln genug! Trotzdem haben die Vögel, die
Jesus als Beispiel dienen, einen großen Vorteil. Sie schauen nur auf den Tag. Sie beginnen
jeden Tag mit ihrem beeindruckenden Gesang. Dann gehen sie ans Tagewerk. Es muss ja
getan werden. Sie leben von den Gaben der Schöpfung und sorgen so für ihr eigenes
Überleben und das ihrer Jungen.
Jesus hat nichts gegen Fürsorge. Natürlich sollen wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel
sichern. Natürlich sollen wir unsere Begabungen in die Gesellschaft einbringen. Aber wenn wir
in diesen und vielen anderen Fragen wirklich etwas erreichen wollen, dann darf uns die Sorge
nicht auffressen. Das ist der springende Punkt. Darum geht es Jesus. Er sagt sinngemäß:
Sorge dich nicht, weil zu viele Sorgen deinen Blick vernebeln. Sorge dich nicht, damit du einen
guten Blick behältst für das, was deine Kinder wirklich brauchen.
Dann sehen wir die Probleme, aber auch die Chance, sie planvoll zu lösen. Ich gebe zu,
manchmal erleben wir auch, dass alles einmal auf uns herabstürzt. In Wiefelstede haben wir
das mit unserer tausend Jahre alten Kirche erlebt: Die Orgel musste restauriert werden,
gleichzeitig der Innenraum. Und nun müssen auch noch die Glocken neu aufgehängt werden.
Und das sind noch Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was im persönlichen Leben zerbrechen
kann. Aber auch hier würde Jesus sagen: Was nützt es dir, wenn du dich von einem Berg an
Sorgen erdrücken lässt? Macht es die Probleme kleiner oder dein Leben länger? Nein! Sondern
wir müssen eins nach dem anderen angehen.
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
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Franz von Assisi soll einmal gesagt haben: Tu erst das nötige, dann das mögliche, und
schließlich schaffst du das Unmögliche. Ich glaube, er hat Jesus sehr genau verstanden.
Nämlich: Reihenfolge beachten. Eins nach dem anderen. So beginnt der Tag.
Zwischenmusik
Wie ist das nun mit den Sorgen eines Christenmenschen? Müssten Christen nicht viel weniger
Sorgen haben als Atheisten? Diese Frage ist nicht ganz neu. Im 1. Petrusbrief findet sich darauf
eine Antwort. Dort heißt es im 5. Kapitel: Alle eure Sorge werft auf Gott; denn er sorgt für euch.
Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender
Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wißt, dass
ebendieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt gehen. Der Gott der Gnade
aber, der euch berufen hat zu seiner lebendigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch,
die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von
Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Keine Frage: Auch Petrus kannte offenbar Sorgen und Probleme. Er nennt, für uns heute etwas
veraltet, aber in den Worten seiner Zeit: den Teufel als Gegner, als Widersacher. Wir können
das heute so übersetzen: Manchmal kommt es uns so vor, als wenn sich die ganze Welt gegen
uns verschworen hat. Petrus sagt dazu: Ich weiß, ihr leidet. Ich weiß: Ihr fühlt euch von
Gegnern umzingelt. Aber Petrus stellt dem etwas entgegen und antwortet: Seid nüchtern! Seid
wach!
Nüchternheit meint hier nicht die Abstinenz vom Alkohol oder Fasten. Sondern ist zu verstehen
im Sinne von: „Sieh die Dinge doch mal ganz nüchtern. Betrachte alles einmal ganz ruhig so,
wie es wirklich ist“. Ich höre daraus die Ermutigung, besonnen zu sein. Das gibt uns die nötige
Ruhe, um Probleme planvoll anzugehen. Dem dient auch sein Aufruf: seid wach! Die
Wachsamkeit, die Petrus meint, zeigt uns den Unterschied zwischen falscher Sorge und
richtiger Sorge. Die falsche Sorge frisst uns auf. Sie raubt uns den Schlaf. Sie lässt uns überall
Bedrohungen sehen und führt dazu, dass wir unsere Kinder nie loslassen, weil wir sie ständig
überwachen und kontrollieren. Sie macht uns auch empfänglich für den Hass, den andere in
unserem Leben säen wollen.
Ein waches Bewusstsein dagegen ist richtige Sorge. Sie lässt los, wo man loslassen kann. Sie
kümmert sich, ohne in Kummer zu versinken. Sie nimmt schweres Leid in den Blick und
versucht, es zu lindern. Aber sie lässt sich nicht davon auffressen. Ich finde es gut, dass Petrus
auch noch die Brüder und Schwestern in der Welt nennt, die ebenfalls leiden. Er meinte damals
die Christinnen und Christen, die im weiten Römischen Reich nicht immer mit freundlich
angesehen und auch schwer verfolgt wurden.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Ich empfinde nicht wirklich Trost, wenn man mir sagt, anderen
gehe es genauso schlecht oder noch viel schlechter. Aber ich empfinde Trost, wenn ich merke:
Ich bin nicht allein. Es gibt Menschen, die an mich denken. Genauso, wie ich für andere bete,
beten sie auch für mich. Wir sind eine große Gemeinschaft. Deswegen, liebe Gemeinde, halten
wir gleich wie in allen anderen Gottesdiensten Fürbitte. Und wir tun das durch die größte
Hoffnung, von der Petrus schreibt: Dort, wo unsere Kraft nicht reicht: da können wir diese Sorge
loslassen und Gott überlassen. Petrus sagt es so: Unser Gott denkt an uns. Das ist mir das
Wichtigste. Dieser Gott, der wird uns aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Er weiß um unser
je eigenes Leid, und er schenkt uns die Kraft, die wir brauchen. Darum können wir nüchtern
sein. Darum können wir wach sein. Darum können wir den Tag unbeschwert beginnen mit dem
Konzert der Vögel in unserem Garten und mit Gottes Hilfe.
Amen.
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche