201608_kulturtipp

GERHARD F. LUDWIG/FOTOFISCH-BERLIN.DE
AKTUELL
Simon Mayer: Der Österreicher experimentiert in «SunBengSitting» mit dem getanzten Schuhplattler und zeitgenössischem Tanz
TANZ
Fest verankert im eigenen Zuhause
Wenn das Festival TanzPlan Ost auf Reisen geht, sind
auch zwei junge Choreografen und Tänzer mit dabei.
Mirjam Bührer und Simon Mayer sind Landmenschen,
denken und arbeiten aber global.
Die «hohe Kultur» spielt sich
hauptsächlich in den städtischen
Zentren ab. Das hat Tradition
und Geschichte, denn dort stehen auch die altehrwürdigen
Kulturtempel wie Stadttheater
und Opernhäuser. Besonders
der zeitgenössische Tanz hat es
schwer, Fuss in den ländlichen
Regionen zu fassen. Dies zu ver-
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ändern, haben sich die Initiantinnen von TanzPlan Ost bei der
Gründung ihres Projekts vor sieben Jahren auf die Fahnen geschrieben. Acht Kantone konnten für diese Förderidee eingebunden werden. Inzwischen
steht die vierte Ausgabe des
biennalen, schweizweit einmaligen Tour-Projekts in den Start-
löchern. Bespielt werden so
unterschiedliche Orte wie das
eater Chur, die Lokremise in
St. Gallen oder der Tanzraum
Herisau im ausserrhodischen
Appenzell.
Positive Erfahrung
TanzPlan Ost bedeutet für Tanzschaffende mit Ostschweizer
Bezug – da geboren oder mit
Wohnsitz in der Region – eine
wichtige Unterstützung. Die
urgauer Choreografin und
Tänzerin Mirjam Bührer nimmt
bereits zum zweiten Mal teil und
erinnert sich an die positiven Erfahrungen, die sie dabei machte:
«Jedes eater hat sein eigenes
Publikum und entsprechend
unterschiedlich sind auch die
Reaktionen.» Während der
Tournee entdeckte sie so immer
wieder neue Schichten in ihrem
Stück. «In Herisau ist der Raum
extrem klein. Wir waren insgesamt zehn Tänzerinnen, mussten
entsprechend enger als sonst zusammenrücken», erzählt Bührer
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würde er sich heftig verwehren,
da er mit der klassischen Einteilung in Sparten seine Mühe hat.
Wie Bührer ist er in die Welt hinausgezogen (und tut es immer
noch), war als klassischer Tänzer
Mitglied im Wiener Staatsopernballett, studierte an der renommierten P.A.R.T.S. in Brüssel,
tanzte bei Anne Teresa de Keersmaeker und bei Wim Vandekeybus. Trotzdem ist er der Volkstanzgruppe in seinem Dorf treu
geblieben. Neben seiner Tätigkeit
als Tänzer und Choreograf unterrichtet er unter anderem traditionellen Tanz.
Heimatverbunden
Mirjam Bührer sagt von sich, dass
sie mit der Bodensee-Landschaft
eng verbunden sei, auch wenn sie
heute aus Arbeitsgründen in Zürich lebt. Auch der Tänzer, Choreograf und Musiker Simon
Mayer hat eine starke Bindung zu
seiner oberösterreichischen Heimat, wo seine Eltern in Andorf
bis vor kurzem einen Bio-Bauernhof führten. Doch Mayer deswegen das Etikett «Naturbursche» anzuheften, würde falsche
Stereotypen bedienen. Dagegen
Nackt auf der Bühne
Mirjam Bührer (Mir-Jam): Zwischen Licht, Musik und Tanz entsteht
im Stück «Layer by Layer» ein musikalisches Gefüge (Probenbild)
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Zu TanzPlan Ost wurde er von
der künstlerischen Leiterin Simone Truong wegen seines Stückes «SunBengSitting» eingeladen. Was sich auf den ersten
flüchtigen Blick wie ein englischer Titel liest, ist aber oberösterreichischer Dialekt und
meint die Bank vor dem Haus,
wo sich die Bauersleute abends
nach getaner Arbeit gern in die
Sonne setzen. Bei der Ausschreibung für die diesjährige Ausgabe
waren Arbeiten gesucht, die sich
mit der eigenen künstlerischen
Identität im Spannungsfeld von
lokalen und globalen Lebenswelten befassen. Da passte Mayers Solo perfekt rein, experimentiert er doch mit dem in seiner
Heimat getanzten Schuhplattler
und zeitgenössischem Tanz.
Warum aber performt er eine
Stunde lang nackt? «In meinem
Stück geht es auch um Männlichkeitsbilder», führt der Choreograf aus, «und Initiationsriten
bei indigenen Völkern finden oft
nackt statt.» Schamanismus und
Rituale sind ein ema, das
Mayer fasziniert. «Durch die
Kleidung geschieht gleich eine
lokale Zuordnung. Ich wollte
aber einen universellen Tanz kre-
ieren.» Auf die Frage, wo er seine
Vorbilder findet, nennt er nicht
etwa einen berühmten Choreografen. «Es sind eher Menschen
aus dem ländlichen Bereich, die
sich das Musizieren selber beigebracht haben.» Seine eigene Beziehung zur Musik ist stark.
Wenn Mayer auf der Bühne
steht, tanzt er nicht nur, sondern
spielt auch auf der Geige, eines
von vier Instrumenten, die er beherrscht.
Maya Künzler
Aufführungen
Simon Mayer: «SunBengSitting»,
Mir-Jam:«Layer by Layer – into
the vague» u.a.
Mi, 24.8., 19.00
Lokremise St. Gallen
Fr, 2.9., 19.00
TanzRaum Herisau AR
Weitere Aufführungen:
www.tanzplan-ost.ch
TanzPlan Ost
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Handlung gibt, und seinen poetischen Schreibstil. «Alles, was er
nicht sagt, strahlt.» Diese wechselnden Stimmungen, versucht
sie in ihrer Inszenierung umzusetzen. Die Choreografin möchte zusammen «mit der Magie des
Lichts», wie sie es nennt, flüchtige Landschaften kreieren, die an
reale Landschaften erinnern und
gleichzeitig zu inneren assoziativen Räumen verschwimmen.
ORIG
weiter, «aber auch für die Zuschauer in den vorderen Rängen
war die Performance besonders.
Sie wurden Teil davon.»
Für die aktuelle Ausgabe probt
sie gerade zusammen mit dem
Medienkünstler Simón Schwarz
und dem Musiker Ernesto Coba
im Phoenix-eater in Steckborn. Für die Choreografin und
Tänzerin hat die Live-Musik
an Bedeutung gewonnen. Zwischen Licht, Musik und Tanz
entsteht in der Probensituation
ein quasi musikalisches Gefüge,
in dem alle Beteiligten gleichberechtigt sind. «Ich setze meinen
Körper wie ein Instrument ein,
spiele mal die erste, dann wieder
die zweite Stimme», sagt Bührer.
Die neu entstehende Arbeit
«Layer by Layer – into the
vague» ist eine Kooperation mit
TanzPlan Ost. Das ema war
ihr freigestellt. Am Anfang ihres
Stücks stand ein anderer urgauer: der Schriftsteller Peter
Stamm. Bührer mag seine Bücher, in denen es nur wenig
Von August bis November tanzen
neun junge sowie international
etablierte Tanzkompagnien an
sieben Orten in der Ostschweiz:
etwa der bekannte französische
Choreograf Jérôme Bel, der in
seinem neuen Stück «Gala» mit
15 Laien und professionellen
Tänzern aus der Region arbeitet.
Ausserdem gibt es ein Extra-Pro
gramm. Am So, 4.9., begeben sich
Simon Mayer und Simon Wehrli in
Appenzell zusammen mit dem
Publikum auf Spurensuche nach
der musikalischen und tänzerischen Tradition. Mit dabei haben
sie ihre Violinen und Stimmen.
Di, 23.8.–Do, 25.8., St. Gallen
Fr/Sa, 2.9./3.9., Herisau
Fr, 9.9., Appenzell
Fr/Sa, 16.9./17.9., Zürich
Fr/Sa, 4.11./5.11., Liechtenstein
Do, 17.11.–Sa, 19.11., Winterthur
Fr/Sa, 25.11./26.11., Chur
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