Mitteilungsblatt des Evangelischen Pfarrvereins in Baden e. V. www.pfarrverein-baden.de August 2015 September | 9/2016 Aus dem Inhalt: Dass ich meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin – Taufe, Kirchenmitgliedschaft, Kirchenaustritt Taufe und Kirchenmitgliedschaft – Perspektiven auf ein spannungsreiches Verhältnis Baptizatus sum. – Ich bin getauft! Zur Begründung und Praxis der Taufe Zur Diskussion Nach dem „Segnungsbeschluss“ – Einige biblische Blitzlichter Überrascht – verwundert – irritiert – Broschüre „Glaube ist keine Privatsache“ Aus der Landeskirche Konvent der Pfarrerinnen und Pfarrer mit Schwerbehinderung Aus dem Pfarrverein Aus der Pfarrvertretung Buchbesprechungen Editorial Liebe Leserin, lieber Leser! B ei den meisten Arten von Bindungen geht es ums Zusammenhalten, man denke nur an die Sicherheit garantierenden Skibindungen oder an die Spiralbindung bei Buchkopien, die wir früher als Studierende gemacht haben. Dem Bindungsverhalten der Kirche haben wir die vorliegende Ausgabe der Pfarrvereinsblätter gewidmet. So können Sie auf den folgenden Seiten zwei interessante Artikel zur Taufe lesen, aber auch drei durchaus spannende Diskussionsbeiträge, die sich um verschiedene Arten von Ver-Bindungen drehen. Dazu gesellen sich Zeilen von drei mit unserem Beruf verbundenen „Organen“. So können Sie im Heft auch Informatives aus der Pfarrvertretung, von den Pfarrfrauen und vom Konvent der Schwerbehinderten in unserer Kirche lesen. Schließlich runden wie fast immer sehr lohnenswerte Rezensionen, die uns an die Lektüre von Büchern sanft binden wollen, unsere aktuelle Nummer der Pfarrvereinsblätter ab. Vielleicht bringen unsere Beiträge Sie auf eine Spur einer Art „Bindungstheorie der Kirche“, wo über engere und losere Bindungstypen, die kirchlichen Bindungsstörungen wie ihre charmanten Bindungsqualitäten, die verborgenen Bindungsmuster und bejammerte Bindungslosigkeit nachzudenken wäre. Bei all dem wäre irgendwie gut protestantisch auch unbedingt die Freiheit als Bindungsziel auch für Kirchenmitglieder ein354 Pfarrvereinsblatt 9/2016 zutragen und daran zu denken, dass biblisch das vollkommene Band die Liebe ist. Und die ist eine besondere Art des Zusammenhaltens. Bei allem, woran Sie beruflich am Tempo aufnehmenden September gebunden sind, wünschen wir Ihnen das Gefühl, als Pfarrerinnen und Pfarrer nicht ausgerechnet die letzten Freigelassenen der Schöpfung zu sein. Für das Tandem in der Schriftleitung Ihr Hinweis auf die übernächste Ausgabe Die übernächste Ausgabe 11-12/2016 dokumentiert den Tag der badischen Pfarrerinnen und Pfarrer in Pforzheim. Weitere Beiträge senden Sie bitte am besten als Word-Datei bis spätestens zum 10. November 2016 an die Schriftleitung. Die kommende Ausgabe 10/2016 zum Thema „Trauertage, Trauerzeiten in Gottesdienst und Seelsorge“ befindet sich bereits in Vorbereitung. Thema Taufe und Kirchenmitgliedschaft Perspektiven auf ein spannungsreiches Verhältnis ❚ Die Leiterin der Arbeitstelle Gottesdienst hang mit Taufanfragen begegnet. Daran wird deutlich, dass die in allen kirchlichen Ordnungen grundlegende Verbindung zwischen Taufe, Gemeindegottesdienst und Kirchenmitgliedschaft kompliziert geworden ist. Individuelle und lebensgeschichtliche Motive treten selbstverständlich neben überlieferte Traditionen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die gewachsene Distanz zu Institutionen spielt ir möchten unser Kind gern taufen dabei ebenso eine Rolle wie der Wunsch, lassen. Aber in der Kirche sind wir dem eigenen Leben eine individuelle Genicht.“ „Mein Cousin ist aus der Kirche ausstalt zu geben; manchmal mögen finanzigetreten. Er kann doch sicher trotzdem Paelle Gründe relevant sein und häufig die te werden!?“ „Wir wohnen gewachsene Mobilität. Dabei zeigt sich eine vielderzeit in Hannover, ich Eine Ablehnung der schichtige Pluralisierung bin aber in Karlsruhe aufGottesbeziehung, wie heutiger Taufpraxis. Hinter gewachsen, und meine sie der Titel „Suche Seder Pluralität der Praxis ist Eltern leben hier. Deshalb gen ohne Gott“ eines eine Pluralität der Motivation Beitrags der Wochenzeiwürden wir gern unsere zur Taufe zu vermuten. Tochter hier taufen lastung „Zeit“ über neue Risen. Sie soll aber Mitglied tuale jenseits der Kirche1 vermuten lässt, ist wohl eher selten ausin der Gemeinde in Hannover werden, wo schlaggebend. sie auch schon in den Kindergarten geht. Das ist doch sicher möglich?“ „Ich denke Was bedeuten diese Erfahrungen schon länger darüber nach, mich taufen zu für die künftige Taufpraxis in der lassen. Aber das ist eine Sache zwischen evangelischen Kirche? mir und Gott; Kirchenmitglied will ich nicht Zunächst referiere ich einige statistische werden.“ „Unser Kind kommt bald in die Beobachtungen, die die skizzierten PraSchule, und wir möchten es nun gerne tauxiserfahrungen bestätigen. Dabei zeigt fen lassen. Kann die Taufe auch am See sich eine vielschichtige Pluralisierung stattfinden?“ „Würden Sie unseren Sohn heutiger Taufpraxis. Hinter der Pluralität am 60. Geburtstag seines Großvaters in der Praxis ist eine Pluralität der Motivation seinem Garten taufen, Frau Pfarrer?“ zur Taufe zu vermuten. Deshalb soll der Frage nach der Tauf-Motivation von TaufDiese kleine Sammlung deutet an, was eltern und Täuflingen nachgegangen werPfarrerinnen und Pfarrern im Zusammen- unserer Landeskirche Pfarrerin Ulrike Beichert geht der vielschichtigen Pluralisierung heutiger Taufpraxis- und motivation nach und sieht in einer „kontextuellen Tauftheologie“, die konkrete Lebenssituation und dem Reichtum christlicher Tradition sensibel verbindet, Wegweisendes für eine erneuerte Taufpraxis. „W Pfarrvereinsblatt 9/2016 355 den. Dabei möchte ich einige Perspektiven für die Weiterentwicklung unserer Taufpraxis entwickeln. 1. Statistische Beobachtungen zum Tauf-Verhalten Matthias Kreplin hat die statistischen Befunde der fünf Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen der EKD seit 19722 zum Thema Taufe mit der Bevölkerungs- und Taufstatistik verglichen und kommt dabei zu interessanten Erkenntnissen:3 • Die Bereitschaft evangelischer Kirchenmitglieder, ihr Kind taufen zu lassen, ist in den vergangenen vier Jahrzehnten insgesamt von 82% (1972) auf 89 % (2012) gestiegen, auch wenn der höchste Wert von 2002 (95% West und 87% Ost) nicht gehalten wurde. • Dabei ist ein Auseinandertreten zwischen der Gruppe der mit der Kirche (in unterschiedlichem Maß) „Verbundenen“ einerseits und der Gruppe der wenig bis gar nicht mit der Kirche „Verbundenen“ andererseits zu verzeichnen: Während die Taufbereitschaft der ersten Gruppe kontinuierlich auf sehr hohem Niveau bleibt, bricht die der zweiten Gruppe 2012 gegenüber früheren Untersuchungen dramatisch ab. • Noch ausgeprägter ist diese Entwicklung bei den Konfessionslosen, die seit der KMU 3 ebenfalls erhoben wird. Der deutliche Rückgang ihrer Taufbereitschaft zwischen 1992 (21%) und 2012 (11%) lässt vermuten, dass es in der Zukunft noch schwieriger sein wird, diese Gruppe für die Taufe ihrer Kinder zu gewinnen. • Bei den 20- bis 29-jährigen Kirchenmitgliedern ist die Taufbereitschaft deut356 Pfarrvereinsblatt 9/2016 lich niedriger als bei den höheren Altersgruppen: Inzwischen (2012) wollen 20% von ihnen ihr Kind nicht taufen lassen; unter den kaum oder gar nicht mit der Kirche Verbundenen sind es sogar 50%. Hier zeigt sich ein alarmierender Traditionsabbruch gerade in der Generation potentieller Taufeltern. • Bei einer Bevölkerungsentwicklung von knapp 58 Millionen (1963) auf gut 80 Millionen Personen (nach 1991) sank der Anteil evangelischer Kirchenmitglieder von 29 Millionen (1963) auf 23 Millionen (2013), also von fast 50% auf gut 28% der Gesamtbevölkerung (was auch, aber nicht nur mit der anderen kirchlichen Situation in den neu hinzugekommenen Bundesländern zu erklären ist). • Bei einer Entwicklung der Geburten von 1,05 Millionen (1963) zu ca. 680.000 (2005, inklusive der neuen Bundesländer) ging die Zahl der Taufen von 480.000 (1963) auf gut 180.000 pro Jahr zurück. Der Anteil der Kinder, die evangelisch getauft wurden, ging von 45% im Jahr 1963 auf 27% im Jahr 2013 zurück. • Der Anteil evangelisch getaufter Kleinkinder (bis zum Alter von einem Jahr), deren Eltern beide Mitglieder einer evangelischen Landeskirche waren, sank von 78,6% (1963) auf 39% (2013). Die Zahl evangelisch getaufter Kleinkinder, bei denen ein Elternteil katholisch war, stieg im gleichen Zeitraum von 15% auf ca. 20%. Der Anteil evangelisch getaufter Kleinkinder, bei denen ein Elternteil einer nichtchristlichen Religion angehört oder konfessionslos war, wuchs in dieser Zeit von unter 2% auf ca. 20%. Die Wahrscheinlichkeit konfessioneller und religiöser Vielfalt unter Taufgesellschaften wächst also ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, dass evangelisch getaufte Kinder nicht in rein evangelischen Milieus aufwachsen. • Von den Kindern, bei denen mindestens ein Elternteil evangelisch ist, werden seit den 1960-er Jahren konstant ca. 76% im ersten Lebensjahr evangelisch getauft. War in den 1960-er Jahren bei praktisch allen evangelisch getauften Kindern mindestens ein Elternteil evangelisch, so gilt dies heute noch für ca. 95% der evangelisch getauften Kinder. Die Bereitschaft von evangelischen Eltern, ihre Kinder evangelisch taufen zu lassen, ist also nach wie vor hoch; eine Bereitschaft zur evangelischen Taufe ihrer Kinder kommt inzwischen auch vermehrt unter nichtevangelischen Eltern vor. • In den 1960-er Jahren waren die Eltern von ca. 3,5% der evangelisch getauften Kleinkinder nicht miteinander verheiratet; heute gilt dies für ca. 10%. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass bei den Geburten der Anteil unverheirateter Kindseltern sehr viel deutlicher gestiegen ist, nämlich auf etwa ein Drittel. An dieser Diskrepanz ist abzulesen, dass sich Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind, signifikant weniger zur Taufe ihrer Kinder entscheiden als miteinander verheiratete Eltern. • Der Anteil der Spättaufen (zwischen dem ersten und 14. Lebensjahr) an der Gesamtzahl der Taufen ist von 7,4% (1963) auf inzwischen über 35% gestiegen, wobei der Anteil der Taufen anlässlich der Konfirmation seit 1983 mit ca. 7% konstant geblieben ist. Der Anteil der Erwachsenentaufen ist von 1% in den 1960-er Jahren seit einigen Jahren auf einen Wert von konstant ca. 10% gestiegen. Das Taufalter – insbesondere zwischen dem ersten und dem 14. Lebensjahr – wird also vielfältiger. In diesen Zahlen spiegelt sich eine Pluralisierung in unterschiedlicher Hinsicht wider: 2. Religiöse Pluralisierung Zunächst ist an der Taufstatistik die religiöse Pluralisierung unserer Gesellschaft und eine recht gute Präsenz der evangelischen Kirche in dieser zu beobachten: Der höhere Anteil von Konfessionslosen und Angehörigen nichtchristlicher Religionen unter den Taufeltern weist einerseits auf die Auflösung traditioneller konfessioneller Milieus hin. Andererseits ist eine recht stabile Bereitschaft evangelischer Eltern (auch in religiös oder konfessionell gemischten Familien) zu erkennen, ihre Kinder evangelisch taufen zu lassen. Hier zeigt sich eine erfreuliche Akzeptanz evangelischer Taufe, auch über die eigenen Mitglieder hinaus. Gleichzeitig gibt die abnehmende Taufbereitschaft der Generation der unter 30-jährigen dazu Anlass, die Hochschätzung der Taufe aktiv zu pflegen – auch durch eine Kultur des Willkommens und des Respekts gegenüber den nichtevangelischen Mitgliedern von Taufgesellschaften in unseren Taufgottesdiensten. Für eine zukunftsorientierte Taufpraxis ist außerdem zu berücksichtigen, dass bereits etwa jedes zwanzigste evangelisch getaufte Kind kein evangelisches Elternteil hat. Deutlich wird hier, wie wichtig für Pfarrvereinsblatt 9/2016 357 evangelische Erziehung im Sinn des nachgeholten Taufunterrichts neben der familiären Sozialisation die religionspädagogische Arbeit der evangelischen Kirche in Gemeinden, Kindertagesstätten und Schulen ist. Dennoch brauchen Kinder auch in diesen sozialen Formen individuelle Begleiter, Gesprächspartnerinnen und Menschen, mit denen sie ihre Erlebnisse teilen können. evangelischen Sozialisation ihrer getauften Mitglieder den Paten eine immer höhere Bedeutung für die christliche Erziehung zugeschrieben hat. Gerne wird die Patenschaft gegenüber den Tauffamilien in diesem Zusammenhang auch als ein kirchliches „Amt“ bezeichnet. Andererseits wird bisher wenig von der evangelischen Kirche dafür getan, Patinnen und Paten für dieses „Amt“ zuzurüsten.4 Dabei ist es für eine von der Reformation Hier kommen die Paten in den Blick, degeprägte und sich auf sie berufende Kirnen schon bisher – insbesondere bei che durchaus angemessen, die Patennicht-evangelischen Taufeltern – eine schaft als Ausübung des allgemeinen wichtige Bedeutung für die christliche ErPriestertums zu verstehen und auszubilziehung zugeschrieben wurde. Es wird den: Nicht eine Weihe, sondern Taufe aber immer deutlicher, wie schwierig es und Glaube legen den Grund dafür, dass ist, evangelische (manchmal überhaupt die Christin oder der Christ einen Bruder kirchlich gebundene) Paten zu finden. oder eine Schwester von der Taufe an Dies gilt naturgemäß insbesondere dann, auf ihrem und seinem Glaubensweg bewenn die Eltern nicht in traditionell evangleiten kann und soll. Die christliche Pagelischen Milieus beheimatet sind. Die tenschaft als geschwisterliche Begleitung bisher gern angebotene Lösung dieser auf dem Taufweg steht als der allgemeiProblematik durch von der Gemeinde ne, „private“ Gebrauch des allgemeinen vermittelte Paten funktioniert häufig nicht Priestertums der Ordination ins Amt der (mehr), weil sowohl Tauffamilien als auch Verkündigung als dem öffentlichen GeGemeindeglieder der Taufe meist vor albrauch des allgemeinen Priestertums lem familiär-biografischen Charakter zugleichrangig zur Seite. Das erfordert schreiben; die Stiftung einer Beziehung aber, dass die Zurüstung zur Patenschaft zwischen bisher Fremden zum Zweck ebenso ernst genommen der christlichen Erziehung wird wie die Ausbildung von würde an dieser Stelle von Hier zeigt sich die Menschen, die ins öffentlibeiden Seiten als ÜberforNotwendigkeit, neu derung und Bevormundung über die Patenschaft che Amt der Verkündigung ordiniert werden sollen. Im erfahren. nachzudenken. Sinn einer auf der Taufe aufbauenden, konsequent reformatorisch Hier zeigt sich die Notwendigkeit, neu geprägten Ekklesiologie ist der Konfirüber die Patenschaft nachzudenken. Es mandenunterricht dann nicht nur als liegt ja eine gewisse Hilflosigkeit darin, nachgeholter Taufunterricht, sondern als dass die evangelische Kirche mit abnehZurüstung zur Patenschaft und die Konmender Selbstverständlichkeit einer 358 Pfarrvereinsblatt 9/2016 firmation als Segnung für diese Aufgabe zu verstehen und zu konzipieren. Nach dem Wegfall der didaktischen Plausibilität des Konfirmandenunterrichts als Vorbereitung auf den Eintritt ins Erwachsenenleben (durch die zeitliche Trennung vom Ende der Schulzeit) oder als Vorbereitung zur Abendmahlszulassung (durch die Einladung von Kindern zum Abendmahl) brauchen Konfirmandenunterricht und Konfirmation ja offensichtlich eine neue, nicht an biografischen Daten orientierte Plausibilität. Die inhaltliche Zuspitzung als Vorbereitung auf die Ausübung der christlichen Aufgabe als Patin oder Pate könnte dem Konfirmandenunterricht nicht nur zu einer für viele Jugendliche attraktiven Perspektive, sondern auch zu einer an ganz konkreten Kompetenzen orientierten didaktischen Konzeption verhelfen: Wie teile ich das, was ich vom christlichen Glauben erlebt und verstanden habe, mit einem Kind, dessen Patin/ Pate ich werde? Welche Aufgaben kann ich übernehmen, um Eltern ganz konkret zu unterstützen? Was kann ich zusammen mit meinem Patenkind in der Gemeinde und darüber hinaus unternehmen? Das wären Fragestellungen, mit denen Konfirmandinnen und Konfirmanden im Gespräch und in praktischer Übung sich auf ihre Aufgabe vorbereiten könnten. Zu einer solchen Neukonzeption der Patenschaft würde es meines Erachtens auch gehören, seine zeitliche Begrenzung durch die Konfirmation des Patenkindes klar zu vermitteln. Das würde es Konfirmierten erleichtern, solche Patenschaften zu übernehmen und wohl auch sonst die Hürde für die Übernahme einer Patenschaft deutlich senken. Dass sich daraus eine bleibende Freundschaft entwickelt, ist damit natürlich nicht in Frage gestellt. 3. Pluralisierung des Taufalters Die zweite wichtige Pluralisierung, die an der Taufstatistik erkennbar ist, betrifft das Taufalter. Sie weist darauf hin, dass die Verbindung zwischen Geburt und Taufe zwar noch eine Plausibilität hat, aber nicht mehr als zwingend erlebt wird. Es ist zu vermuten, dass die Plausibilität der Taufe nicht mehr in ihrer Notwendigkeit für das Überleben des Kindes in der Welt und für sein Heil in der Ewigkeit besteht. Offenbar treten heute andere religiöse Plausibilitäten an die Stelle dieser aus der Tauflehre Augustins abgeleiteten und bis in die Neuzeit wirksamen Vorstellung. Welche religiöse Plausibilität heute Täuflinge und Taufeltern zum Taufbegehren bewegen, muss seelsorglich und theologisch ergründet werden, um in Taufgottesdiensten in Gebeten, Liedern, Ritualen und Auslegungen Ausdruck zu finden. Taufgespräche spielen hier eine wichtige Rolle. Denn in postsäkularer Zeit muss mit dem Bedürfnis nach Authentizität in religiösen Fragen gerechnet werden: Menschen sind bereit zu glauben, was ihnen glaubhaft erscheint, so Lutz Friedrichs zustimmend zu dem oben zitierten Zeit-Artikel. Er fordert daher eine elementare und kommunikative liturgische Taufpraxis, die als kooperatives Projekt gemeinsam mit den Tauffamilien zu gestalten ist.5 Denn Authentizität ist auch im Hinblick auf die Gestaltung des Taufgottesdienstes wichtig: Die Taufe ist liturPfarrvereinsblatt 9/2016 359 gisch gesehen eine Kasualie, also auf meinschaft der Gläubigen“ (81%), „Zudie Lebenswirklichkeit der Teilnehmengehörigkeit zur Kirche“ (83%), „Begründen bezogen. dung christlicher Er fordert daher eine elementare und Erziehung“ (75%) kommunikative liturgische Taufpraxis, Schwieriger als die zeigen, dass es die als kooperatives Projekt gemeinsam der evangelischen allgemeine Taufbemit den Tauffamilien zu gestalten ist. reitschaft ist aber Kirche gelingt, die die konkrete MotiKenntnis des instivation für ein Taufbegehren zu ermitteln. tutionellen Bezugs der Taufe zu vermitGrethlein erkennt hier einen Verbund von teln. Die hohe (und wachsende) ZustimMotiven aus Traditionsleitung, Schutz, mung zu den Tauf-Zuschreibungen „BeGenerationenvorsorge, Integration und ginn eines Lebensweges“ (77%) und „FaChristwerdung, die in der Regel vielfältig milienfeier“ (67%) zeigt aber auch, dass miteinander verflochten sind.6 Die Befraindividuelle, lebensgeschichtliche Zugung der KMU über die Gründe für die schreibungen an Bedeutung gewinnen. Taufe gibt über die Motivation des TaufAls solche kann auch das einzige Glaubegehrens nur bedingt Auskunft: Erfragt bensmotiv, das der Taufe mit hoher Zuwurde in allen fünf Befragungen die Zustimmung zugeschrieben wird, „die Unstimmung zu „verschiedene(n) Meinunterstellung unter Gottes Schutz“ (81%) gen darüber, weshalb ein Kind getauft gedeutet werden. wird“. Die Zustimmung zu einer Meinung ist aber noch keine Motivation: Wenn Hier wird eine methodisch bedingte 2012 85% der Kirchenmitglieder der MeiGrenze der KMU deutlich: Sie dokumennung zustimmen, dass ein Kind getauft tiert nur die Zustimmung zu solchen Bewird, „damit es zur Kirche gehört“, und deutungszuschreibungen zur Taufe, die 75% die Meinung teilen, dass ein Kind als Antwort vorgegeben sind, kann aber getauft wird, „damit es christlich erzogen nicht diejenigen Zuschreibungen ermitwerden kann / weil es christlich erzogen teln, die die Befragten selbst vornehmen werden soll“, heißt das noch lange nicht, würden. Welche Taufmotivationen bei dass die so Antwortenden ihr Kind in eine Taufeltern und Täuflingen wirklich entstechristliche Kirche hinein taufen lassen, hen, kann nur im Gespräch ermittelt werum es christlich zu erziehen. Die Zustimden. Dies ist im Rahmen der Forschung mung ist eher als Zuschreibung denn als nur möglich in individuellen Interviews – eigene Motivation zu verstehen. Ähnliin der Praxis geschieht es regelmäßig in ches gilt für alle anderen Antworten: Sie Taufgesprächen. Hier muss meines Erzeigen das Maß an, mit dem die Bedeuachtens angesetzt werden, um die relitungszuschreibungen zur Taufe bekannt giöse Plausibilität, die die Taufe nach wie sind – nicht ob und warum man selber eivor in beeindruckender Breite hat, mit der ne Taufe begehren würde. Aber immerchristlichen Tradition ins Gespräch zu hin: Die hohe Zustimmung zu den Taufbringen. Im Gespräch mit Täuflingen und Zuschreibungen „Aufnahme in die GeTaufeltern gilt es eine „kontextuelle Theo360 Pfarrvereinsblatt 9/2016 logie“ zu entwickeln, um auf dieser Basis die „Kunst des Taufens“ (Regina Sommer)7 so zu weiterzuentwickeln, dass die Taufe ihre Kraft, Leben einzuräumen angesichts des Todes, in großer Breite entfalten kann. ein solcher Reichtum und eine solche Tiefe kontextueller Tauftheologien entwickeln lassen, dann sollte dies auch zur Offenheit für eine Vielfalt in der Gestaltung von Taufgottesdiensten ermutigen. Dabei ist nicht zu befürchten, dass es durch Offenheit geDabei muss danach Im Gespräch mit Täuflingen und genüber den Anliegefragt werden, wie Taufeltern gilt es eine „kontextuelle gen von TauffamiliMenschen heute Theologie“ zu entwickeln, um en zur Überlagerung Taufgottesdienste auf dieser Basis die „Kunst des des eigentlichen erleben und was ihTaufens“ (Regina Sommer) Taufaktes kommt: nen die Taufe beso weiterzuentwickeln. Wie die von Regina deutet. Dass solche Sommer dokumenim Gespräch zwischen konkreten Letierten und ausgewerteten Interviews mit benswirklichkeiten und christlicher TradiTaufeltern zeigen, stellen bei allen Betion entwickelten kontextuellen Tauftheofragten Elemente aus dem Kern der Tauflogien vielgestaltiger und tiefgründiger handlung (bestehend aus dem Heraussind, als der Verdacht, hier allenfalls zu treten aus der Gemeinde an die Taufstelschöpfungstheologischen Konzeptionen le, dem Wasserritus mit dem Taufvotum, zu kommen, es nahelegt, zeigt Sommer dem Taufsegen und dem Kreuzzeichen eindrücklich, indem sie aus Taufeltern-Inüber dem Täufling) die für sie bedeutterviews die Bedeutungen der Taufe als samsten und am meisten anrührenden „Herrschaftswechsel“ 8, als „GnadenzeiMomente der Taufe dar. Es wird also – chen“ 9, und – im Anschluss an Römer 6 – bei aller Offenheit für individuelle Zugänals Eröffnung eines neuen Lebensrauge – darauf ankommen, gerade den Kern mes im Angesicht des Todes10 erhebt. In der Taufhandlung so zu inszenieren, dass der Untersuchung eines von Regina er in seiner Bedeutung mit allen Sinnen Sommer veröffentlichten Taufeltern-Interwahrgenommen werden kann. Taufen etwies kommt Friedrichs außerdem zu dem wa außerhalb von Kirchengebäuden an Schluss, dass die Taufe als „Resonanzbesonderen Orten der Natur oder des örtraum letzter Anerkennung“ erfahren werlichen Lebens müssen dabei ebenso weden und so ein lebenserschließendes nig ausgeschlossen werden wie die Taufe Potenzial entfalten kann.11 Um solche durch Untertauchen etwa im Wasser eines kontextuellen Tauftheologien zu entSees oder in einem Schwimmbad. wickeln, sind weitere empirische Studien 4. Pluralisierung der über die Taufmotivation (nicht nur von Familienkonstellation Taufeltern, sondern auch von Täuflingen Eine weitere Pluralisierung betrifft den jenseits des Kleinkindalters) und deren sozialen Status der Taufeltern und die Fatheologische Auswertung erforderlich. milienkonstellation: Einerseits gibt es Wenn sich im Gespräch mit Taufeltern Pfarrvereinsblatt 9/2016 361 deutlich mehr unverheiratete Taufeltern tauften und ihrer Familien zu feiern. Die und (auch wenn dies anhand der Gottesdienstgemeinde dieser Tauffeszitierten Untersuchungen nicht erhoben te wird weniger von der Kultur einer werden kann) sicher auch solche, die mit Kerngemeinde geprägt als vom Setting ihren Kindern in nicht-konventionellen Faeines großen gottesdienstlichen Events milienkonstellationen leben. Andererseits im Freien. Damit verbindet sich die Hoffliegt die Taufquote bei nung, dass der ZuKindern unverheirateDie Gottesdienstgemeinde dieser gang zu einem solter Eltern deutlich nieTauffeste wird weniger von der chen Setting für Mendriger als bei verheiraKultur einer Kerngemeinde schen in nicht-konteten Eltern. (Ob dies geprägt als vom Setting eines ventionellen Familiauch für Kinder in großen gottesdienstlichen ensituationen oder in nicht-konventionellen Events im Freien. prekären LebenssiFamilienkonstellatiotuationen leichter ist nen gilt, müsste untersucht werden.) als zu einem traditionellen TaufgottesRegina Sommer kommt in ihrer Untersudienst. Es spricht einiges dafür, dass diechung außerdem zu dem Schluss, dass se Hoffnung sich erfüllt, statistisch muss eine prekäre Lebenssituation von Taufeles allerdings erst noch nachgewiesen tern sich deutlich in der Bedeutung niederwerden. Wichtig scheint mir allerdings eischlägt, die sie der Taufe zuschreiben.12 ne Erkenntnis, die Regina Sommer aus Diesen Tatsachen gilt es Rechnung zu traihren Interwies mit Eltern aus sozial gen und Taufgottesdienste so zu gestalschwachen Milieus gewonnen hat: Geraten, dass sie nicht diskriminierend wirken. de ihnen war die Deutung der Taufe als „Sakrament der Gemeinschaft“ wichtig, Neben anderen Gründen hat auch dies in insofern sie ihren Kindern soziale Zuden vergangenen Jahren zur Entwickgehörigkeit vermittelt: zur Institution Kirlung der Tauf-Feste geführt, die in der che, zu deren sozialethischen Prinzipien Regel nicht in einer Kirche, sondern in die Unterstützung der Schwachen der Natur oder an öffentlichen Orten mit gehört; zu einer Gemeinschaft, in der eieinem Gewässer stattfinden und oft von ne für die andere eintritt; und zu Gott, der mehreren Gemeinden gemeinsam veralle Getauften unabhängig von ihrem soanstaltet werden. Zu solchen Anlässen zialen Status als seine Kinder annimmt.13 Wenn die evangelische Kirche die sozialwerden evangelische Eltern ungetaufter ethische Bedeutung der Taufe als BeKinder eingeladen, sich für die Taufe ihgründung einer Geschwisterschaft, die rer Kinder zu entscheiden. Mit der gottesnicht durch die soziale Herkunft, sondern dienstlichen Taufhandlung wird das Andie Zugehörigkeit zu Christus bestimmt gebot eines anschließenden Festes verist, ernst nimmt und Tauffeste als niederbunden, das es den teilnehmenden Faschwelligen Zugang auch für Menschen milien ermöglicht, ihre Taufe ohne hohen aus prekären Milieus gestaltet, dann finanziellen und organisatorischen Aufkann der Aspekt der Aufnahme in die Gewand in der Gemeinschaft der Neuge362 Pfarrvereinsblatt 9/2016 meinschaft der Kirche zwar vielleicht anders gestaltet werden als in „normalen“ gemeindlichen Taufgottesdiensten; er darf aber auf keinen Fall in seiner Bedeutung unterschätzt oder vernachlässigt werden. Die Erklärung der Aufnahme in die Gemeinde, die Fürbitte der Gemeinde für die Getauften und ihre Familien und die Einladung der getauften Kinder in die gemeindlichen „Institutionen“ (Krabbelgottesdienst, Kindergottesdienst, Jungschar, Kindertagesstätte, Religionsunterricht etc.) muss ebenso deutlich zum Ausdruck kommen wie bei konventionellen Taufen; ja beides ist vielleicht gerade hier noch wichtiger. Entscheidung für die Taufe ihrer Kinder einzuladen. Da dies von einer Gemeinde allein in der Regel nicht zu leisten ist, sind regionale Konzepte hier besonders wichtig. • Tauffeste können im Kontext vielgestaltiger Familienkonstellationen einen Beitrag zu einer nicht-diskriminierenden Taufpraxis leisten, wenn der Aspekt der Aufnahme in die Gemeinschaft der Kirche und Gemeinde deutlich zum Ausdruck kommt. • Wenn Taufeltern unterschiedlicher Milieus dem Kern des Taufrituals (Wasserritus, Votum, Segen, Kreuzzeichen) die höchste emotionale und religiöse Dichte zuschreiben, sollte die Gestaltung von 5. Fazit: Perspektiven für die Taufgottesdiensten das Kernritual so in Weiterentwicklung der Taufpraxis Szene setzen, dass es seine Bedeu• Taufe genießt immer noch unter evantung entfalten kann. gelischen Eltern eine hohe Akzeptanz • In der Praxis sollte die konkrete Taufund hat eine positive Ausstrahlung über motivation zum Ausgangspunkt der Entdie Mitglieder der evangelischen Kirche wicklung einer kontextuellen Tauftheohinaus. Sie ist aber nicht selbstverlogie und zur gemeinsamen Gestaltung ständlich, sondern erfordert in jedem von Taufgottesdiensten werden. Einzelfall eine Entscheidung. Je jünger • Da durch die konfessionelle und religiöund weniger mit der Kirche verbunden se Pluralisierung der Tauffamilien nicht Eltern sind, desto offener ist das Ergeb(mehr) mit einer evangelischen Sozialinis dieser Entscheidung. Für ihren Aussation getaufter Kinder in ihren Familien gang sind nicht nur religiöse Einstellungerechnet werden kann, liegt hier eine gen, sondern oftmals konkrete Lehohe Verantwortung bei der Kirche. Diebenssituationen ausse sollte neben der Bilschlaggebend. Eine dungsarbeit in GemeinEine große Offenheit für die große Offenheit für de, Kindertagesstätten Situationen und Anliegen von die Situationen und und Religionsunterricht Taufeltern ist darum hilfreich. Anliegen von Taufelauch eine Stärkung der tern ist darum hilfreich. Eine Vielfalt der Patenschaft als des „privaten“ GeGestalt von Taufgottesdiensten ist ratbrauchs des allgemeinen Priestertums sam. Sinnvoll ist es sicher auch, beson(im Unterschied zum öffentlichen Gedere Anlässe für die Taufe zu schaffen brauch im ordinierten Amt) umfassen. und junge Eltern aus diesem Anlass zur Die Konfirmandenzeit könnte als Pfarrvereinsblatt 9/2016 363 praktische Zurüstung zu dieser Aufgabe konzipiert werden. • Die bis heute bestehende hohe religiöse Plausibilität und die konkrete Motivation zur Taufe sollte weiter wissenschaftlich untersucht werden. Dazu könnten dokumentierte Taufgespräche und Taufgottesdienste herangezogen werden. 6. Kontextuelle Tauftheologie – ein gemeinsames Projekt der evangelischen Landeskirche in Baden und der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg Wenn das postmoderne Bedürfnis nach Authentizität in religiösen Fragen (Friedrichs) und die große Bereitschaft zu positiver Bedeutungszuschreibung zur Taufe (Sommer) ernst genommen werden, dann besteht die Möglichkeit, in Gesprächen mit Taufeltern und Taufbewerbern jeweils aktuell an ihrer Lebenswirklichkeit orientierte kontextuelle Tauftheologie zu entwickeln. Wie dies bereits geschieht und welche weitern Potentiale darin erschlossen werden können, soll ab Frühjahr 2017 in einem gemeinsamen Projekt der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg untersucht werden. Dabei sollen unter anderem Taufgespräche und Taufgottesdienste dokumentiert und ausgewertet werden. Eine enge Zusammenarbeit von wissenschaftlicher Theologie und „Praktikerinnen und Praktikern“ im Pfarramt gehört zum Konzept des Projekts. Pfarrerinnen und Pfarrern können als Praxis-Fachleute dabei mitwirken. Wenn Sie Interesse an der Mitwirkung 364 Pfarrvereinsblatt 9/2016 haben, melden Sie sich gerne bei der Arbeitsstelle Gottesdienst.14 ❚ Ulrike Beichert, Karlsruhe 1 Die Zeit, Suche Segen ohne Gott, 14. Juni 2014, 62 2 KMU 5, Heinrich Bedford-Strohm / Volker Jung (Hg.), h Vernetzte Vielfalt: Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung: die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh, 2015, S.196 3 Die Untersuchung wurde vorgestellt bei einer Fachtagung l zur Taufe am 11. Und 12. April 2016 in Heidelberg und wird demnächst in einem Tagungsband veröffentlicht. Inzwischen ist sie einzusehen unter http://www.godiorg.de/Theol_Mat/index.php?user=gastzugang&schluessel=0000000000&thema=OF_8&fe_0=374841298945 4 Schön gestaltete und mit einigen Informationen und Anregungen angereicherte Patenscheine sind ein Hinweis auf die Wertschätzung dieses Amtes, reichen aber bei weitem nicht aus, um Menschen darauf vorzubereiten. 5 So Lutz Friedrichs in seinem (noch unveröffentlichten) Beitrag zur Fachtagung Taufe in Heidelberg am 11. Und 12. April 2016, der ebenfalls in dem angekündigten Tagungsband veröffentlicht wird. 6 Christian Grethlein, Grundinformation Kasualien. Kommunikation des Evangeliums an Übergängen des Lebens, Göttingen 2007, S. 124-125 7 Vgl. dazu Regina Sommer; Kindertaufe – Elternverständnis und theologische Deutung, Stuttgart 2009, S. 217 ff. 8 Regina Sommer, S. 311 ff. 9 Regina Sommer, S. 313 10 Regina Sommer, S. 314 ff. 11 So Lutz Friedrichs im Anschluss an Hartmut Rosa (Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Frankfurt am Main 2016), unveröffentlichtes Manuskript zur Fachtagung Taufe am 11.-12. April 2016 12 Regina Sommer, S. 240 ff. 13 Regina Sommer, S. 240-242 14 Geschäftsführend: Ulrike Beichert (Kontakt: [email protected] oder telefonische unter 0721 9175 303) Thema Baptizatus sum. – Ich bin getauft! Zur Begründung und Praxis der Taufe ❚ Dr. Adelheid M. von Hauff, ist seit 2007 Dozentin für Ev. Theologie / Religionspädagogik an der PH Heidelberg. Diskussionen und Beratungsgespräche mit den Studierenden aus freikirchlichen Gemeinden sowie der „neue Atheismus“ haben sie veranlasst, die Taufe in Form eines Vortrags eingehender in den Blick zu nehmen, da sie Anfrage an Sinn und die Berechtigung der Säuglingstaufe sind, auf die Martin Luther sich selbstverständlich beruft. Im Folgenden drucken wir diesen Vortrag ab, der ergänzt wird durch einige praktische Fragen zur landeskirchlichen Taufpraxis. gegenüber Jesus, den ich gehen will und gehen muss.“ Wir sehen uns seither hin und wieder auf dem Flur und freuen uns über die Begegnung. Von der mittlerweile vollzogenen „Wiedertaufe“ ist die Studentin nach wie vor überzeugt. Weil immer mehr freikirchlich sozialisierte Studentinnen und Studenten das staatliche Lehramt für den evangelischen Religionsunterricht anstreben, müssen die Pädagogischen Hochschulen in ihren Einführungsveranstaltungen darauf hinweisen, dass wiedergetaufte Personen keine Vocatio erhalten.2 Hinführende Gedanken Dieser Hinweis führt in den EinführungsVor einigen Semestern kam meine daveranstaltungen häufig zu mehr oder wemalige Tutorin, eine sehr engagierte Stuniger heftigen Diskussionen unter den Studierenden. Nur wenidentin 1 an der Pädage können verstehen, gogischen Hochschule Wiedergetaufte Personen weshalb die evangeliHeidelberg, in meine erhalten keine Vocatio. sche Landeskirche in Sprechstunde und inforBaden diesen für sie „unverständlichen mierte mich über ihren geplanten FachMaßstab“ an den Erwerb der Vocatio anwechsel. Auf meine erstaunte Frage, weslegt. Die Diskussionen und nachfolgenhalb gerade sie das Fach Evangelische den Beratungsgespräche mit den StudieTheologie gegen das Fach Kunst taurenden veranlassten mich, die Taufe zum schen wolle, teilte sie mir mit, sie wolle Thema eines an der Hochschule gehaltesich im Verlauf der anstehenden Semesnen Vortrags zu machen. Dieser Vortrag terferien taufen lassen. Die Taufe an sich bildet den ersten Teil des hier vorgelegwäre kein Grund, das Fach zu wechseln. ten Aufsatzes. Der zweite Teil greift einiWeil die Studentin aber schon als Säugge praktische Fragen zur landeskirchling getauft worden war, ist die erneute lichen Taufpraxis auf. Taufe sehr wohl ein Grund. Mein Bedauern und meine interessierte Nachfrage be„Baptizatus sum“. Mit diesen Worten hat antwortete sie mit den Worten: „Die geMartin Luther sich in Zeiten der Anfechplante Taufe ist ein Gehorsamschritt Pfarrvereinsblatt 9/2016 365 tung selbstbewusst auf seine Taufe berusind auf seinen Tod getauft; sie sind mit fen und der darin empfangenen Zusagen ihm in der Taufe begraben und auferGottes vergewissert. Die Taufe gehört für standen.“ Martin Luther neben dem Abendmahl zu Wenn Luther in dem Sermon vom Sakraden christlichen Riten, die er – entgegen ment der Taufe dann weiter ausführt: „[...] dem Sakramentsverständnis der rödarum ist kein größerer Trost auf der Ermisch-katholischen Kirche – nach evande als die Taufe, durch die wir in das Urgelischem Verständnis für Sakramente teil der Gnade und Barmherzigkeit trehielt. Über die Taufe spricht er im Besonten“ 6, dann liegt sein Ausspruch „Baptizatus sum“ in diesem Taufverständnis bederen in: „Ein Sermon von dem heiligen gründet. Die Taufe versetzt die Täuflinge hochwürdigen Sakrament der Taufe“ 3. Seine dortigen Ausin den Stand der Gnaführungen leitet er mit „[...] darum ist kein größerer Trost de und Barmherzigfolgenden Worten ein: keit Gottes. Worauf auf der Erde als die Taufe, durch Luther sich bei seinen die wir in das Urteil der Gnade „Taufe heißt auf grieAnfechtungen grünund Barmherzigkeit treten“. chisch baptismus, auf dete, was ihm Halt M. Luther lateinisch mersio, das und Zuversicht gab ist, wenn man etwas ganz ins Wasser und ihn aus den Tiefen der Depression taucht, das über ihm zusammenschlägt. herausriss, hat für manche Menschen eiUnd wiewohl an vielen Orten der Brauch nen Bedeutungsverlust erlitten. nicht mehr ist, die Kinder in das Taufwasser ganz hineinzutauchen, sondern man Im April 2009 berichtete der Spiegel von begießt sie allein mit der Hand aus dem getauften Personen, die sich dem „neuen Taufwasser, so sollte es doch so sein und Atheismus“ zugewandt haben und ihrer wäre recht, dass man nach Wortlaut des Taufe entledigen, sich „enttaufen“ wollen. Wörtleins Taufe das Kind oder einen jeIch zitiere dazu einen dem Internet entden, der getauft wird, ganz ins Wasser nommenen Text: senkt und tauft (= taucht) und wieder her„Mehr als 100.000 britische auszieht.“ 4 Luther gibt mit diesen Bedeutungsverlust der Taufe Bürger wollen mit einer Worten zugleich eine Erklärung ihrer Taufe Anweisung, wie getauft werden soll: Die widersprechen. Dafür hat eine atheTäuflinge sollen möglichst ganz ins Wasistische Vereinigung im Internet ein ser getaucht und nicht nur mit der Hand Formular zum Ausdrucken vorbereitet. [...] mit dem Taufwasser benetzt werden. DaAus Sicht der Anglikaner kann eine Taufe hinter steht die Bedeutung der Taufe als nicht rückgängig gemacht werden. Es ein „Sterben oder Ersaufen der Sünde“ 5. würde jedoch einen Ausweg über den Luther nimmt Bezug auf Römer 6,4 f, wo Widerruf der Taufe geben. Dazu müsste Paulus von der Taufe schreibt, „dass alle, man dies im Taufregister vermerken die in Jesus Christus getauft sind, die lassen.“ 366 Pfarrvereinsblatt 9/2016 Die Antwort der Anglikanischen Kirche glingstaufe, auf die Martin Luther sich ist gewiss ein Versuch, auf das Ansinnen selbstverständlich beruft, zur Diskussion. der britischen Bürger zu reagieren. Ob Eine angemessene Diskussion kann wisdas jedoch eine theologisch durchsenschaftlich redlich aber nur dann gedachte und für die „neuen Atheisten“ zuführt werden, wenn der Ursprung der Taufriedenstellende Antwort ist, bleibt zu fe, ihr historischer Kontext und die Anfraklären. Welche Antworten hat die christgen der Gegenwart in einen sachgemäliche Theologie, wenn die Tatsache „geßen Zusammenhang gebracht werden. tauft zu sein“ von einer Gruppe von Menschen nicht mehr Die Taufe hat ihren als Segen, sondern Welche Antworten hat die christliche Ursprung in der Bials Last empfunden Theologie, wenn die Tatsache bel. Deshalb frage wird? „getauft zu sein“ von einer Gruppe ich zunächst nach von Menschen nicht mehr als Segen, der biblischen und In einer Mail habe sondern als Last empfunden wird? frühchristlichen Beich diese Frage an gründung der Taufe. den ehemaligen Heidelberger DogmatiDaran schließt sich ein Nachdenken über ker Wilfried Härle gerichtet und folgende die Taufe als Sakrament oder BekenntnisAntwort erhalten: „Wir sind theologisch akt an. Fragen zur gegenwärtigen Taufauf solche Fragen noch nicht gut genug praxis fordern zum Nachdenken heraus. vorbereitet, da wir als Theologen über Zur biblischen und frühchristlichen lange Zeit nicht genötigt waren, darüber Begründung der Taufe nachzudenken. Mein Antwortversuch Auch wenn Martin Luther die Taufe belautet: Ein ‚enttaufen’ ist nicht möglich, da reits mit der alttestamentlichen GeGottes mit der Taufe über einen Menschichte von Noah und der Sintflut in Beschen gesprochenes Ja vom Menschen ziehung bringt9, so liegt der Ursprung der durch nichts aufgehoben werden kann.“ 7 christlichen Taufe doch vorrangig im Nach Härle steht die Theologie – hier insNeuen Testament begründet. Rituelle besondere die Dogmatik – vor der AufWaschungen, von denen im Alten Testagabe, neu über die Taufe nachzudenment an mehreren Stellen berichtet wird, ken. Die Theologie muss aber nicht nur wurden nicht einmalig, sondern wiederhinsichtlich der Fragen des „neuen Atheholt vollzogen. Reinigungsbäder, die im ismus“ über die Taufe und insbesondere nachexilischen Judentum zunehmend an die Praxis der Taufe nachdenken.8 Sie Bedeutung gewannen, dienten der Bemuss es auch hinsichtlich ihres Geseitigung von ritueller Unreinheit und sprächs mit den baptistischen Freikirnicht dem Empfang der Vergebung. Ihre chen, aus denen – wie berichtet – auch Wiederholung war gefordert.10 staatliche Religionslehrkräfte kommen. Auffällig ist, dass Jesus selbst nicht geBei beiden Fragekomplexen stehen der tauft hat. Alle vier Evangelien berichten Sinn und die Berechtigung der SäuPfarrvereinsblatt 9/2016 367 jedoch, dass Jesus von Johannes dem Täufer am Jordan getauft wurde.11 Dies veranlasst mich, nach der Bedeutung der Johannes-Taufe zu fragen. Dazu können zwei Befunde angeführt werden: Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ Diese in Matthäus 28, 18-20 überlieferten Worte Jesu sind zugleich Vermächtnis und Auftrag des Auferstandenen. Im Wesentlichen Nach dem außerbiblischen Zeugnis des stimmt der Taufbefehl aus Mt 28 mit dem jüdischen Historikers Josephus (37/38Taufbefehl des sekundären Markus100 n. Chr.) handelt es sich bei der JoSchluss (Mk 16,9-19) überein. Wenn in hannes-Taufe um einen Reinigungsritus Mk 16, 16 der Glaube vor der Taufe des Leibes und nicht um ein Sakrament. steht, so liegt dieser Formulierung mit Die Seele muss durch das gerechte Hanhoher Wahrscheinlichkeit die Taufpraxis deln des Täuflings vor der Taufe bereits der frühen Gemeinde zugrunde. Die dargereinigt sein.12 in zum Ausdruck kommende Reihenfolge – zuerst der Glaube, dann die Taufe – Einen anderen Blick werfen die urchristdarf nicht fraglos dahingehend interprelichen Quellen auf die Johannes-Taufe. tiert werden, dass der Glaube der Taufe Das Neue Testament spricht bei der zwingend vorausgehen muss. Johannes-Taufe von einem eschatologiDie tiefgründigste Tauftheologie des schen Sakrament, das vor dem ZorngeNeuen Testaments findet sich in den pauricht Gottes rettet. Die Johannes-Taufe linischen Briefen. Paulus’ eigene Taufe setzt ein Sündenbekenntnis voraus und ist der früheste chronologisch greifbare fordert die nachfolgende Umkehr des Fall einer christlichen Taufe. Getauften.13 Von allen anderen jüdischen Sie ist in den frühen dreißiger Jahren des Taufbädern unterscheidet sich die Joersten Jahrhunderts anzusiedeln und hannes-Taufe dadurch, dass sie – trotz wird in Apg. 9,18 berichtet.15 Nach der Theologie der paulinischen Briefe bedeumancherlei Anklänge – nicht daraus tet getauft sein: sterableitbar ist. Anders als diese ist sie keiDas sakramentale Taufverständnis ben und auferstehen mit dem gekreuzigten ne Selbsttaufe und findet sich von Anfang an in den nicht wiederholbar.14 Taufberichten der frühchristlichen und auferstandenen Das sakramentale Christus und leben in Gemeinden. Taufverständnis findessen Nachfolge. det sich von Anfang an in den TaufbeWer getauft ist, hat neues Leben emprichten der frühchristlichen Gemeinden. fangen und soll gemäß diesem Leben handeln. Neben der Johannes-Taufe begründet Das Neue Testament selbst nennt noch der Taufbefehl des Auferstandenen die keine besonderen Taufregeln. Diese finPraxis der christlichen Taufe: „Gehet hin den sich erstmals in der sogenannten Diin alle Welt und machet zu Jüngern alle dache, einer in Syrien um 100-130 n.Chr. Völker und taufet sie auf den Namen des verfassten Kirchenordnung. 368 Pfarrvereinsblatt 9/2016 Nach der Didache geht der Taufe eine Die Taufe ist ein Sakrament, bei dem Gott Katechese und ein ein- bis zweitägiges Vergebung der Sünden gewährt. Sie ist Fasten voraus. Im Anschluss daran soll ein Heilsmittel, das mit dem Wort der Verdann auf den „Namen des Vaters und heißung Jesu und dem sichtbaren Zeides Sohnes und des Heiligen Geistes“ chen des Wassers einhergeht. getauft werden. Die Taufe soll möglichst in fließendem kalten Bis Mitte des 2. JahrhunWasser geschehen. Erderts wird die Taufe mit Tauffregeln finden satzweise ist auch ein großer Wahrscheinlichsich erst in der Didache. dreimaliges Übergießen keit nur Erwachsenen des Kopfes gestattet. gespendet, die in der christlichen Lehre unterwiesen sind, sich also einer TaufkateDen biblischen und frühchristlichen Bechese unterzogen haben. Seit ungefähr fund zusammenfassend, halte ich fest: 130 n. Chr. kann die Praxis der Kindertaufe • Die christliche Taufe ansatzweise nachgewieknüpft an die Taufe sen werden.16 Sie setzt Die Kindertaufe setzt sich sich aber erst im Laufe des Johannes an. erst im Laufe des Mittelalters des Mittelalters in Form • Die Johannes-Taufe ist in Form der Säuglingstaufe der Säuglingstaufe als (nach den frühchristals Aufnahmeritus in die Ge- Aufnahmeritus in die Gelichen Schriften) ein meinschaft der Kirche durch. meinschaft der Kirche Sakrament zur Vergedurch. bung der Sünden. Sie ist nicht wiederholbar. Infrage gestellt wird die Kindertaufe und • Jesus selbst hat nicht getauft. damit auch der sakramentale Charakter • Die Taufe wird seit den ersten Gemeinder Taufe in der Reformationszeit von den praktiziert. den als Wiedertäufern bezeichneten • Jesu Taufbefehl in Mk 1,16 spiegelt die Christen. Jetzt kommt die Taufe als BeTaufpraxis der ersten Gemeinden wider. kenntnisakt, dem der Glaube des Täu• Eine ausführliche Tauftheologie findet flings zwingend vorausgehen muss, ins sich bei Paulus. Gespräch. • Die Taufe von Erwachsenen ist in der Frühzeit die Regel. Für Martin Luther ist jedoch die vorausZur Taufe als Sakrament setzungslose Kindertaufe unstrittig. Die Analog zur JohannesArgumente der WiederMit den Wiedertäufern Taufe hat die christliche täufer „dass niemand gekommt die Taufe als BeTaufe von Beginn an satauft werden solle, der kenntnisakt, dem der Glaube nicht seinen Glauben bekramentalen Charakter. des Täuflings zwingend Dem entspricht auch kennt“, widerlegt Luther vorausgehen muss, das Taufverständnis der so: „wenn ich um meines ins Gespräch. frühchristlichen Kirche. Glaubens willen getauft Pfarrvereinsblatt 9/2016 369 wäre, so wäre der Glaube größer als das die Wassertaufe ihren sakramentalen Wort und der Befehl Christi, durch welCharakter, denn sie ist eine Aktivität des chen er befiehlt zu taufen. [...] Das hieße Menschen und kein von Gott gestiftetes die Kraft Gottes nach unserer SchwachHeilsmittel. Diesem Taufverständnis entheit messen, das aber ist eine Lästesprechend lehnte Barth auch die Säurung.“ Das Argument, Kinder hätten keiglingstaufe ab. Er konnte sich damit jene Vernunft, entkräftet Luther mit der doch nicht durchsetzen.19 Sowohl bei den Wiedertäufern als auch bei der auf Calvin Aussage: „Aber gerade um dieses Grunzurückgehenden Tauftheologie Karl des willen sind die Kinder am meisten zu Barths steht nur vordergründig die Frage taufen, weil sie der Vernunft entbehren.“ 17 Für Luther ist die Taufe eine Gnadenganach der Säuglings- oder Erwachsenentbe Gottes, die den Glauben nicht zur Voraufe zur Diskussion. Dahinter steht aussetzung hat. Um die systematischIst die Taufe ein von Gott gestiftetes wirksam zu wertheologische Frage: Heilsmittel, oder Antwort des den, muss sie den Ist die Taufe ein gläubigen Menschen und damit (von G o t t g e w i r k von Gott gestiftetes reiner Bekenntnisakt? ten) Glauben aber Heilsmittel, also ein zur Folge haben. Sakrament, oder ist Bereits in der Reformationszeit gibt es die Taufe Antwort des gläubigen Menaber nicht nur bei den Wiedertäufern ein schen und damit ein reiner Bekenntnisakt? von Luther zu unterscheidendes Taufverständnis. Ich nenne hier das anders geGenau um diesen strittigen Punkt geht es artete Verständnis des Schweizer Reforauch beim Gespräch der evangelischen mators Johannes Calvin (1509-1564). Kirche mit den baptistischen Freikirchen Für Calvin ist die Taufe die Vergewisseder Gegenwart. Nur scheinbar geht es bei rung der Gotteskindschaft und ein Zeidieser Frage um die Säuglings- oder Erwachsenentaufe. Als chen der Einfügung Sakrament ist die Tauin den Leib Christi.18 Die Tauftheologie von Karl Barth Im Rekurs auf Calvin fe ein Heilsmittel, mit unterscheidet zwischen der hat der reformierte dem eine begründete Geist- und Wassertaufe. Theologe Karl Barth Heilsverheißung (das (1886-1968) im 20. Jahrhundert eine eiWort) und ein sichtbares Zeichen (das gene Tauftheologie entwickelt. Barth Wasser) einhergehen. Sie kann Säuglinunterscheidet darin zwischen der Geistgen und Erwachsenen in gleicher Weise und Wassertaufe. gestiftet werden. Als Bekenntnis setzt die Taufe den GlauDie von Gott geschenkte Geisttaufe ben des Taufbewerbers voraus. Der Täufmuss der Wassertaufe vorausgehen. Die ling muss also ein Alter erreicht haben, in Wassertaufe ist für Barth dann die Antdem er glauben und seinen Glauben bewort des Menschen auf die von Gott kennen kann. Auf dem Prüfstand steht empfangene Geisttaufe. Damit verliert demzufolge die Bedeutung des Glaubens: 370 Pfarrvereinsblatt 9/2016 • Hat die Taufe den Glauben nicht zur ist es die Taufe, die auch den angefochsachlichen Voraussetzung, ist aber tenen Glauben trägt. Ein „Enttaufen“ ist – wesensmäßig darauf ausgerichtet, den wie auch Härle sagt – ausgeschlossen. Glauben zu wecken, dann ist sie ein SaDazu noch einmal Luther: „Der Glaube krament, das den „Glauben trägt“. ist geheftet an die Taufe. [...] Taufe ist • Hat die Taufe den Glauben zur Vorausnicht unser, sondern Gottes Werk. [...] setzung und ist somit nur gültig, wenn Taufe ist recht, ob gleich jemand nicht sie im Glauben begehrt und empfangen glaubt. [...] Niemand soll auf seinen Glauwird, dann ist sie kein Sakrament. Sie ben bauen. [...] Unglaube schwächt Gotist damit kein Heilsmittel, das den Glautes Wort nicht.“ 21 Meine einleitenden Gedanken zu „wiedergetauften“ Menschen ben weckt, sondern ein reiner Bekenntaufgreifend, stelle ich fest: Zwischen den nisakt, dem der Glaube vorausgeht. Die evangelischen Kirchen (lutherischer und Taufe wird gewissermaßen „vom Glaureformierter Prägung) ben getragen“.20 Das von Luther immer wieder be- und den baptistischen Mit der Entscheidung Freikirchen muss pritonte „Baptizatus sum“ hat beim für die Taufe als BeTaufverständnis der baptistischen mär das Gespräch kenntnisakt verzichüber den Charakter Kirchen keine Tragkraft. ten die baptistischen der Taufe – SakraKirchen auf das sichtbare Zeichen, an ment oder Bekenntnisakt – geführt werdas sich ein Mensch auch dann noch halden. Fragestellungen nach Säuglingsten kann, wenn der Glaube angefochten oder Erwachsenentaufe sind dabei zweiist und zu entschwinden droht. Das von trangig.22 Hinsichtlich des Vollzugs praktizieren die evangelischen Kirchen seit Luther immer wieder betonte „Baptizatus Jahren neben der Kindertaufe auch die sum“ hat bei diesem Taufverständnis keiErwachsenentaufe. Im geschwister ne Tragkraft. lichen Miteinander mit den baptistischen Ein derartiges Taufverständnis scheint Freikirchen bleibt zu hoffen, dass diese auch ein „Enttaufen“ zu ermöglichen. die Gültigkeit der Säuglingstaufe vor Denn der „entschwundene“ Glaube entdem Hintergrund des gesamtbiblischen zieht der Taufe ihre Zeugnisses respekBleibt zu hoffen, dass die Grundlage und ist sotieren und bei einer baptistischen Freikirchen die Konversion keine „Wiemit gewissermaßen Gültigkeit der Säuglingstaufe vor dertaufe“ fordern. Für bereits ein „Enttaudem Hintergrund des gesamtdie freikirchlich sozifen“. Ein derartiges biblischen Zeugnisses respektieren alisierten Menschen, Taufverständnis erund bei einer Konversion keine die an staatlichen möglicht auch die „Wiedertaufe“ fordern. Schulen ReligionsunWiederholbarkeit der terricht erteilen möchTaufe. Wird die Taufe ten, wäre damit ein entscheidender Schritt jedoch als Sakrament verstanden, das zur Vocatio getan. sich auf Gottes Heilshandeln gründet, so Pfarrvereinsblatt 9/2016 371 Fragen an die gegenwärtige Taufpraxis unserer Kirche23 • „Im Park, am See oder beim Grillfest“, so titelt ein Aufsatz von Ksenija Auksatut in der neuen Ausgabe der Zeitschrift des Evangelischen Bundes.24 Die Autorin berichtet in diesem Artikel von Tauffesten an anderen als kirchlichen Orten und führt an, dass diese Tauffeste innerkirchlich sowohl auf Zustimmung als auch auf Kritik stoßen. Während die einen darin ein Spektakel und eine Banalisierung eines heiligen Sakramentes sehen, sieht der hannoversche Landesbischof Ralf Meister Tauffeste an Seen und Flüssen als „Spur neuer kirchlicher Folklore“.25 Diese Sicht teilen viele Christinnen und Christen in allen Landeskirchen. Auf die Gefahr, dass Taufen am Badesee oder Flussufer zu einem Event werden können, bei dem Kenntnisse über Bedeutung von Ritualen und Orten im Zusammenhang mit der Taufe entschwinden, wies auch Jörg Neijenhuis bei der 60. Europäischen Konfessionskundlertagung hin.26 Was für viele – der Kirche eher fernstehende – Menschen eine große Hilfe sein kann und manche Hürde hinsichtlich der Taufe ihrer Kinder zu überwinden hilft, birgt zumindest dann Gefahren in sich, wenn Inhalte der Taufe in den zuvor geführten Taufgesprächen nicht eingehend besprochen und die Eltern und Paten nicht dezidiert auf ihre Taufverantwortung hingewiesen werden. • Zur Liturgischen Gestaltung des Taufgottesdienstes Anfang Juli diesen Jahres war ich zur Taufe eines Großneffen 372 Pfarrvereinsblatt 9/2016 in einer reformierten Kirche in Österreich eingeladen. Die kleine Kirche – eher ein Gemeindesaal – war von den Taufeltern wunderschön mit Sonnenblumen geschmückt. Die drei Paten legten im Verlauf der Taufliturgie je eine Sonnenblumenblüte in das Taufwasser und sprachen für den Täufling Wünsche aus. Der Vater hielt beim Taufakt die Glasschüssel mit dem Taufwasser, mit dem der Pfarrer den Täufling dreimal „fließend“ übergoss. Die Taufpredigt nahm wiederholt Bezug auf den Taufspruch, so dass die Tauffamilie sich mehrfach angesprochen fühlte. Vier Gäste waren gebeten, die Fürbitten zu sprechen. Während drei von ihnen im Vorfeld mehrfach miteinander kommunizierten und ihre Fürbitten auch hinsichtlich der Gottesanrede abgesprochen hatten, las die erste in der Reihe der Betenden ihre Fürbitte ohne vorherige Absprache im Gottesdienst vor. Statt mit einer Anrede an Gott begann sie mit der Anrede an den Täufling und so wie sie begann, so setzte sie ihre „Fürbitte“ auch fort. Es waren Wünsche, die sich an den Täufling, aber nicht an Gott richteten. Wie gut, dass die drei anderen „echte“ Fürbitten vortrugen. Ich erzähle das so ausführlich, weil sich für mich damit Fragen bezüglich der Mitwirkung im Tauf-Gottesdienst verbinden. Als Prädikantinnen und Prädikanten, Pfarrerinnen und Pfarrer freuen wir uns, wenn Tauffamilien sich am liturgischen Geschehen beteiligen. Dies gelingt manchmal hervorragend und manchmal mehr oder weniger „peinlich“. Damit die gottesdienstliche Beteiligung gelingen kann, sollten im Taufge- spräch, dem – im Idealfall – alle an der Liturgie Beteiligten beiwohnen sollten, liturgische Fragen nicht nur angesprochen, sondern auch theologisch geklärt werden. Von der Bedeutung des Patenamtes spricht auch die Lebensordnung Taufe der Evangelischen Landeskirche in Baden in Artikel 5. Während es vorkommen kann, dass Taufeltern nicht der evangelischen Kirche angehören, ist Wenn Kirche die TauBei gottesdienstlicher Beteiligung die Mitgliedschaft der fe und ihre Liturgie Paten29 zwingend geliturgische Fragen im Taufgefordert. Das ist gut ernst nimmt, dann gespräch auch theologisch klären. und richtig. Offen nügt es nicht, mögbleibt allerdings die Frage, ob die reine lichst viele an der Liturgie zu beteiligen, Mitgliedschaft genügt, um dem Täufling dann müssen die Beteiligten auch in aller Begleiter und Begleiterin auf dem Weg Freundlichkeit auf den von ihnen überzum Glauben zu sein. Als die Säuglingsnommenen Teil sorgfältig vorbereitet taufe im Mittelalter zur Regel wurde, war werden. das Patenamt mit katechetischen AufgaZum Patenamt ben verbunden. Das Patenamt hat seine Wurzeln in der Frühzeit der Kirche. Bei der mehrheitlich Dabei war es wichtig, dass die Paten als an Erwachsenen vollzogenen Taufe beglaubwürdige Christen ihre Patenkinder gleiteten die Paten die Taufbewerber wähdurch Wort und Tat religiös weiterführten. rend der Zeit des Katechumenats. Sie gaDamit Paten heute ihr so wichtiges kirchben Auskunft über den Leliches Amt ausführen Das Patenamt ist mit können, sollten sie zubenswandel der Taufbemindest am Taufgekatechetischen Aufgaben werber und bürgten für die spräch beteiligt sein. verbunden. Ernsthaftigkeit des TaufNoch besser wäre es, willens. Seit dem Aufkomwenn die Gemeinden nicht nur den Elmen der Säuglingstaufe sprechen die Patern, sondern auch den Paten durch ten zusammen mit den Eltern das stellver„Glaubenskurse und theologische Getretende Ja zur Taufe sowie das Glausprächsabende“ 30 Hilfen für ihr Amt anbensbekenntnis und versprechen, für die 27 bieten würden. christliche Erziehung zu sorgen. In seinem 1523 erschienen „Taufbüchlein“ Abschließende Gedanken spricht Luther davon, dass die Paten sich Es ist schön, dass noch immer viele am Gebet für den Täufling beteiligen solMenschen ihre Kinder taufen lassen und len. Ebenso sollen sie den liturgischen die Kindertaufe in der evangelischen und Vollzug der Taufe verinnerlichen und zu römisch-katholischen Kirche der NormalGebet und Glauben „gereizt“ werden. fall ist. Es ist ebenso schön, dass nichtgeDeshalb gehörte es zur Aufgabe der taufte junge Menschen sich im KonfirmanPriester, die Paten mit dem Taufgeschedenalter taufen lassen. Und es ist schön, hen und der Liturgie vertraut zu machen.28 Pfarrvereinsblatt 9/2016 373 dass es da und dort in landeskirchlichen Kreisen zu Erwachsenentaufen – derzeit auch unter Flüchtlingen – kommt. All das darf unsere Augen aber nicht davor verschließen, dass beide Kirchen – die römisch-katholische und die evangelische – jährlich Mitglieder verlieren. Ob dieser Trend durch „Wohlfühltaufen“ oder intensivere Taufvorbereitung und Taufnachbereitung aufgehalten werden kann, ob dem Religionsunterricht und der Glaubensunterweisung von Erwachsenen eine noch wichtigere Funktion zukommt, sind nur einige Themen, über die wir als kirchliche Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger, aber auch als ganz „normale“ Gemeindeglieder, die ihre „Weihe“ durch die Taufe erhielten, noch intensiver nachdenken müssen. ❚ Adelheid M. von Hauff, Heidelberg 1 Pfarrerstochter aus einer anderen Landeskirche. 2 Von Seiten der Landeskirche hat Manfred Kuhn viele dieser Gespräche geführt. 3 WA 2, 727-737, in: Martin Luther, Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Zweiter Band, Erneuerung von Frömmigkeit und Theologie, Frankfurt 21983, 35-51. 4 Ebd., 36. 5 Ebd., 37. 6 Ebd., 42. 7 Wilfried Härle, Mail vom 2. Mai 2009. 8 Zum Thema „enttaufen“ noch ein Auszug aus einer Predigt, die Margot Käßmann am 29. April 2012 zur Eröffnung des ökumenischen Zentrums Taufe in Eisleben gehalten hat: „Zum ersten Mal bin ich in diesen Tagen der Frage begegnet, ob jemand die eigene Taufe rückgängig machen kann. Können wir ent-taufen sozusagen. Was tut der Mensch bei solchen Fragen? Er recherchiert im Internet! Und da bin ich in der Tat auf eine Meldung gestoßen, auf der ein „Debaptiser 2010“ angeboten wird. Zitat: ‚Nach Auskunft der Initiatoren ist es eine verbesserte Version eines durch den USA-Atheisten Edwin Kagin entwickelten Gerätes. Um die magischen und geistigen Kräfte des heiligen Wassers bei der Taufe zunichte zu machen, 374 Pfarrvereinsblatt 9/2016 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 entwickelte er auf der Basis eines einfachen Haartrockners ein revolutionäres Gerät, welches das gleiche Maß an magischen und spirituellen Kräften wie die Taufe besitzt.’ […] Taufen geschieht mit Wasser. Was kann man dagegen machen? Nun, heiße Luft blasen und dann verdampft das Wasser. Also blase dich trocken mit einem Fön und du bist enttauft.“ Vgl. www.ekd.de › Luther 2017 › Predigten & Vorträge Vgl. Ausgewählte Schriften, 38. Vgl. Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik. Grundzüge. Göttingen 21985, 479 f. Mt 3,13-17; Mk 1,9-11; Lk 3,21.22; Joh 1,32-34. Vgl. Josephus Ant 18,116-119 in: Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 32001, 187. Vgl. Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 32001, 187. Vgl. Schlink, 480. Vgl. Die Taufe. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche. Gütersloh 2008, 20. Zur Kindertaufe ab Mitte des 2. Jahrhunderts schreib Christoph Markschies: „Kindertaufe stellte kein generelles Problem in der vornizänischen Kirche dar. Dass der eigene Wille des Täuflings aber nicht die unabdingbare Voraussetzung war, zeigt schon die sogenannte ‚Vikariatstaufe’ (1 Kor 15,29), dazu existieren Regelungen über das Martyrium als ‚Bluttaufe’ Ungetaufter (Trad. Apost.19) und sogar ein Bericht von einer Selbsttaufe (Acta Pauli et Theclae 34).“ Vgl. Kaufmann/Kottje/Moeller/Wolf (Hrsg.), Ökumenische Kirchengeschichte. Von den Anfängen bis zum Mittelalter, Band 1, Darmstadt 2006, 80. Martin Luther, Tischreden, Stuttgart 1960, 109. Die Taufe stellt die Gotteskindschaft nicht erst her; die Taufe macht die Gotteskindschaft nach außen hin sichtbar. Trotzdem lehnt Calvin die Taufe junger Kinder nicht ab. Innerhalb der protestantischen Kirchen gibt es hinsichtlich des Taufverständnisses seit 1973 keine Entgegensetzung mehr. In der Leuenberger Konkordie wurde 1973 die gemeinsame Grundlinie eines evangelischen Taufverständnisses festgehalten. Vgl. Härle, Dogmatik, 550. Ebd., 114 f. Zur ökumenischen Diskussion über Tauffragen gibt es in Bayern den BALUBAG-Prozess. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine „Bayerisch Lutherische-Baptistische Arbeitsgruppe“, die sich um „substanzielle Fortschritte im zwischenkonfessionellen Gespräch im Blick auf die gegenseitige Anerkennung (der Taufe) trotz unterschiedlicher Taufpraxis“ bemüht. Vgl. Evangelische Orientierung. Mit allen Wassern gewaschen? Taufe von Flüchtlingen, Tauffeste im Freien, Erwachsenentaufe, 16. Zur Diskussion 23 Diesem persönlich gehaltenen Teil liegen meine Erfahrungen als Prädikantin und meine Fragen als Landessynodale zugrunde. 24 Evangelische Orientierung 2/2016, 18 f. 25 Ebd.,19. 26 Ebd., 9. 27 Vgl. Die Taufe, 46. 28 Martin Brecht, Martin Luther, Zweiter Band, Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521-1532, Stuttgart 1986, 124 f. 29 Mindestens ein Pate/eine Patin soll evangelisch sein, alle weiteren können einer ACK-Kirche angehören. In der römisch-katholischen Kirche müssen alle Paten der rkKirche angehören. Angehörige der evang. Kirche können lediglich Taufzeugen sein. 30 Die Taufe, 45. Nach dem „Segnungsbeschluss“ – Einige biblische Blitzlichter ❚ Im Nachklang zum Beschluss der I Landessynode zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften begründet der Freiburger Dekan Markus Engelhardt, warum ein unhistorischer Umgang mit dem Schriftzeugnis dem evangelischen Schriftverständnis nicht entspricht und warum deshalb „Homosexualität“ nicht als der Bibel widersprechen zu bewerten sei. In seinem Beitrag, der ein Referat in einem Ältestenkreis wiedergibt, sieht er vielmehr in den urbiblischen Dimensionen von Verläßlichkeit, Vertrauen und Verantwortung das biblische Kriterium, an dem sich alle gelebte Partnerschaften messen lassen müssten. ch beginne mit einer Erinnerung, die manchen sicherlich noch präsent ist. Vor drei Jahren, im Sommer 2013, schaffte es die evangelische Kirche über Wochen in alle wichtigen Medien. Das wünschen wir uns ja eigentlich immer, aber damals war das nicht vergnüglich. Anlaß war eine sog. „Orientierungshilfe“ mit dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, die der Rat der EKD 2013 veröffentlicht hat. Diese Schrift enthielt – quantitativ nur als Randthema, auf gerade mal drei von insgesamt 160 Seiten – die Aussage, dass verantwortlich gelebte gleichgeschlechtliche Partnerschaften heterosexuellen ethisch gleichzustellen sind. Pfarrvereinsblatt 9/2016 375 Das löste in und v.a. außerhalb unserer Kirche ein mittleres Erdbeben aus. Manche bei uns haben das mit bemerkenswerter Coolness weggesteckt. Wir sind nun mal protestantisch, Kirche der Freiheit und der Meinungsvielfalt, sagten sie. Wenn andere das nicht akzeptieren können, ist es ihr Problem. Ich habe solche Dickfelligkeit nicht. Ich fand die Kritik und teilweise Häme, die viele Medien, aber auch katholische Bischöfe und evangelische Altbischöfe über unsere Kirche ausgeschüttet haben, bitter. Aber meiner Kirche die Leviten lesen, wie es damals der eine oder andere empörte Briefschreiber von mir einforderte, das konnte ich nicht. Zum einen wäre das illoyal. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing: das ist bei Licht besehen keine sarkastische, sondern eine ernsthafte Haltung, wie jeder, der in der freien Wirtschaft tätig ist, bestätigen kann. Sie gilt auch für die Kirche – und wird nur außer Kraft gesetzt, wenn es wirklich um letzte Glaubens- und Gewissensfragen geht, wo für einen selbst eine Art Status confessionis gegeben ist. Zum anderen musste, wer jene 160 Seiten dicke Orientierungshilfe wirklich gelesen hat, anerkennen, daß die Schrift es sich alles andere als leicht macht mit einem Themenfeld, das emotional befrachtet ist wie nur wenige und das heute so komplex ist, daß sich schnelle, klare und abstrakte Urteile verbieten. Es gibt hier kein schwarz und kein weiß, sondern sehr viele Zwischentöne. 1 Unser damaliger Bischof – er war in den Fragen von Ehe und Familie kein Progressiver – hat seinerzeit in einem 376 Pfarrvereinsblatt 9/2016 Interview in der Badischen Zeitung bedenkenswert auf die Kritiker an dem EKD-Papier geantwortet. Ein Satz daraus kann nicht dick genug unterstrichen werden, weil er einfach wahr ist und deutlich macht, wie viel Ideologie und Vorstellungen hier im Spiel sind, die weniger biblisch als vielmehr bürgerlich, also relativ jung sind. Ulrich Fischer sagte: „Wir wissen schon seit langer Zeit, daß man aus der Bibel keinesfalls die bürgerliche Ehe, wie wir sie heute kennen, ableiten kann. Diese gab es zu biblischen Zeiten ja noch gar nicht.“ Jeder katholische Bischof weiß das auch. Von der in Teilen der Bibel selbstverständlichen Polygamie rede ich gar nicht. Ich rede aber z. B. von der Eheethik, wie sie in den berühmten „Haustafeln“ entfaltet wird, die uns in den Briefen des NT mehrfach begegnen. Ein prägnanter Satz daraus: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie sich’s gebührt im Herrn“ (Kol 3,19). Die katholische Kirche hat diese Sätze ihrer Zeitbedingtheit entnommen und sie zu einem in seiner Architektonik faszinierenden, in der Sache aber provozierenden Lehrgebäude dogmatisiert. Dieses besteht aus einer dreifach abgestuften Analogie. So wie Christus der Sohn im Gehorsam gegen den Vater seiner Sendung treu geblieben ist, so besteht die Sendung der Kirche als Braut Christi im Gehorsam gegen ihr Haupt Christus; und dieses Verhältnis wiederum wird in der Ehe als sozietärer Urzelle der Kirche gleichnishaft abgebildet im Gehorsam der dienenden Frau gegen den Mann als ihrem Haupt. Hätten wir nicht staatskirchenrechtlich abgesichert, dass die Kirchen ihre Angelegenheiten nach ihren Maßstäben regeln können, würde diese Verhältnisbestimmung, die gegen jede Gleichstellung verstößt, vom Verfassungsgericht als grundgesetzwidrig kassiert. schof noch aufgerufen wird, steht im 3. Buch Mose, im sog. Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26), wo in Lev 18 und 20 jeweils lapidar gesagt wird, daß Homosexualität „dem Herrn ein Gräuel“ ist und mit dem Tode bestraft werden muss. Darüber kann es keine zwei Meinungen geben: das ist eine grausige, unmenschliche Feststellung, die Man kann aus soziokulturellen Grünnur zeitbedingt gelesen werden kann. den für einen Vorrang der bürgerlichen Sie ist für uns Christen so wenig maßEhe vor andere Forgeblich wie etliche men der PartnerWer diesen Vorrang aber aus der andere Rechtsvorschaft plädieren. schriften im AT, die Bibel als gottgewollt und zeitlos Darüber darf und soll gleichrangig neben gültige Schöpfungsordnung man diskutieren. Wer den genannten Stelherausliest, betreibt keine diesen Vorrang aber len im HeiligkeitsgeExegese, sondern Eisegese: aus der Bibel als setz stehen und er projiziert seinen Wertekodex gottgewollt und zeitvom neutestamentin die Bibel hinein. los gültige Schöplichen Liebesgebot fungsordnung herausliest, betreibt keioder auch einfach vom gesunden ne Exegese, sondern Eisegese: er Menschenverstand her schlicht zu kriprojiziert seinen Wertekodex in die tisieren bzw. als nicht relevant anzuseBibel hinein. hen sind. Das Heiligkeitsgesetz untersagt z. B. den Verzehr von Blutwurst. 2 Wie sieht es nun aber mit der Frage Hat das jemals jemand, der bibeltreu der Homosexualität im Blick auf das sein will, in Gewissensnot bei seinen biblische Zeugnis aus? Auch besagte Essgewohnheiten gebracht? EKD-Schrift bestreitet nicht, daß es keine Stelle in der Bibel gibt, die etwas Oder ernsthafter: Eine Kirche, die sich Positives über gelebte Homosexualität von der berühmten Aussage des Pausagt. Das kann auch keiner in Abrede lus „Die Frau schweige in der Kirche“ stellen. Die Frage aber, die sich für je(1. Kor 14,34) nicht abhalten läßt, Frauden ernsthaften Christen stellt, ist: Wie en ins geistliche Amt zu ordinieren, weil gehen wir mit dem – übrigens äußerst sie diese Ansicht des Apostels zu schmalen! – biblischen Befund zu dieRecht als historisch bedingt relativiert, sem Thema um? Eine der wenigen darf diese Perspektive getrost auch auf Stellen dazu, die in anderen Kirchen, andere umstrittene Themen wie etwa etwa in Afrika, aber auch in den orthodie Homosexualität anwenden. Würde doxen Ostkirchen und gelegentlich sie das nicht tun, sondern den Wortlaut auch von manchem katholischen Bisolcher Stellen als vom Himmel gePfarrvereinsblatt 9/2016 377 kommenes, verbindlich zu nehmendes Wort Gottes verstehen: Sie hätten in Ihrer Gemeinde bis heute nicht, was Sie seit 20 Jahren segensreich genießen können: Pfarrerinnen. Ich muss Ihnen nicht sagen, was Ihnen damit vorenthalten geblieben wäre. Ich höre, manchmal hinter etwas vorgehaltener Hand, immer wieder von katholischen Kollegen, wie sehr wir um die Möglichkeit, Frauen ins geistliche Amt zu ordinieren, dort beneidet werden. Man nimmt in der deutschen Una Sancta sehr wohl wahr, mit welchen Pfunden wir mit unseren Pfarrerinnen wuchern können. Noch ein ernsthaftes, gerade aktuelles Beispiel. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mit Spannung das Ringen der katholischen Kirche in der von Papst Franziskus einberufenen Familiensynode um die Frage verfolgt: Können Menschen, die in einer nach römischer Lehre irregulären Situation leben (die sog. „Wiederverheirateten Geschiedenen“) und somit nicht die Voraussetzung für den Empfang der Sakramente erfüllen, weil sie als in „objektiver schwerer Sünde“ lebend nicht im Gnadenstand sind, unter bestimmten Umständen dennoch die Sakramente empfangen? Oder müssen sie weiterhin strikt exkommuniziert bleiben? Die katholische Kirche beruft sich bei dieser Lehre v.a. auf Mt 19, wo Jesus von der Unauflöslichkeit der Ehe spricht: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Und im Hause befragten ihn die Jünger deswegen 378 Pfarrvereinsblatt 9/2016 noch einmal. Und er spricht zu ihnen: Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch gegen sie. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“ Die katholische Kirche fordert von ihren so lebenden Gliedern die Trennung bzw. zivile Scheidung ihrer ungültigen Ehe, um wieder in ihre volle Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Ansonsten ist die einzige Chance, die die Kirche ihnen bisher lässt, die Entschlossenheit, die irreguläre zweite Ehe hinfort als sog. Josefsehe zu leben, sie nicht mehr „zu vollziehen“. Also, wie das im Jargon des kath. Katechismus heißt, „wie Bruder und Schwester“ zusammenzuleben. Ansonsten, so warnen römische Prälaten und Kanonisten, würde das ganze dogmatische Lehrgebäude der Kirche, wo alles mit allem zusammenhängt, wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Das ist auf der Linie eines wörtlichen Verständnisses der genannten Bibelstelle von beeindruckender Stringenz. Aber würden Sie wirklich wollen, dass unsere Kirche dieses seelsorglich und ethisch hoch komplexe Thema, das mit so viel Leid für Betroffene verbunden sein kann, mit diesem verbalinspirierten Schriftverständnis handhaben würde? Es wäre dann unmöglich, daß wir noch Menschen kirchlich trauen, die eine erneute Ehe eingehen möchten. Und die nicht wenigen PfarrerInnen, deren Ehe selber gescheitert ist und die eine zweite Ehe eingegangen sind, müssten dann aus dem Dienst der Kirche entlassen werden. 3 Also sage ich: Sachliche Kritik an biblihier ist. Homosexualität ist in der Bibel schen Aussagen, eine Einordnung in ein Randthema unter etlichen andeihren historischen Kontext ist, anders ren. Jesus war es offenbar nicht wichals Fundamentalisten behaupten, kein tig – es gibt keine einzige Aussage von Indiz für Unglauben. Als Protestanten ihm dazu! Nirgends findet sich auch können wir uns hier auf einen unverein Hinweis, wie Menschen und auch dächtigen Zeugen berufen. Martin Ludie Kirche mit dem Phänomen gelebther entwickelte den Grundsatz, die biter Homosexualität umgehen sollen. blischen Texte an Jesus Christus als Diese Frage, die heute sehr wichtig der „Mitte der Schrift“ ist, war schlichtweg zu prüfen. Diese Pernicht im Horizont Homosexualität ist in der Bibel spektive geht davon der Verfasser der ein Randthema unter etlichen aus, daß es in der Bibiblischen Schriften. anderen. Jesus war es offenbar bel, einer riesigen BiPaulus äußert sich nicht wichtig – es gibt keine bliothek von Schrifin einem Abschnitt in einzige Aussage von ihm dazu! ten verschiedenster Römer 1 zur HomoGattungen, die über mehr als 1.000 sexualität – mit Sätzen, deren Härte Jahre entstanden sind, mehr und weuns vielleicht gar nicht bewußt ist. niger zentrale Aussagen gibt. Auch die Deshalb möchte ich sie Ihnen hier einkatholische Kirche sieht das inzwimal im Zusammenhang vorlesen: schen so. Das II. Vatikanum spricht in einem seiner wichtigsten Texte, der „Zur Strafe hat Gott sie ihren eigenen Dogmatischen Konstitution „Dei vermaßlosen Begierden ausgeliefert, so bum“ im Blick auf die Autorität der Bidaß sie gegenseitig ihre Körper bel von einer „Hierarchie der Wahrheischändeten. Die Menschen haben die ten“, der zufolge es verbindlichere und Wirklichkeit Gottes gegen Truggebilde weniger verbindliche Wahrheiten gibt. eingetauscht und Geschaffenes anLuther rechnet sogar mit der Möglichstelle des Schöpfers verehrt und ankeit, daß biblische Texte von der „Mitte gebetet. Doch der Schöpfer wird sie der Schrift“ her zu tadeln sein können, überdauern und sei gelobt in Ewigkeit. weil sie nicht wirklich christusgemäß Weil die Menschen also Geschaffenes sind. Er hat das auch kräftig getan, im und Schöpfer vertauscht haben, hat Blick z. B. auf den Jakobusbrief und Gott sie ihren Begierden ausgeliefert, die Johannesoffenbarung. Beide Bümit denen sie sich doch nur selbst entcher hätte er lieber nicht im biblischen ehren. So kam es, daß Frauen lesKanon gesehen. bisch wurden und die natürlichen sexuellen Beziehungen gegen unnatürliPrüft man nun die Aussagen der Bibel che eingetauscht haben. So kam es zur Homosexualität vom Evangelium auch, daß Männer schwul wurden. von Jesus Christus her, dann fällt ins Statt der Natur zu folgen und mit FrauAuge, wie dünn der biblische Befund en zu verkehren, entbrannten sie in Pfarrvereinsblatt 9/2016 379 perverser Lust für ihresgleichen und ten, die in Verantwortung, Liebe, Vertrieben Unzucht mit anderen Männern, läßlichkeit und Dauerhaftigkeit gelebt wofür sie am eigenen Leibe die gewerden. Sondern Paulus hatte das in bührende Strafe empfingen. Weil die der Antike verbreitete Phänomen der Menschen Gott nicht zur Kenntnis gesog. Ephebophilie, der Knabenliebe nommen haben, hat er sie ihrer vor Augen. Und die Prostitution mit törichten Haltlosigkeit preisgegeben, Lustknaben, wie sie Leute wie Sokraso daß sie das Böse tun. Randvoll tes und Platon praktizierten, die wir sind sie mit Ungerechtigkeit und Bosals Heroen abendländischer Kultur heit, Habgier und Korruptheit, Neid, verehren. In Verbindlichkeit, VerläßMordgier, Streitsucht, Intrigen und lichkeit und Dauerhaftigkeit gelebte Schlechtigkeit. Sie spielen ein dopgleichgeschlechtliche Partnerschaften peltes Spiel und leisten Spitzelgab es damals, nach allem was wir dienste, beschimpfen wissen, nicht. Man Gott, sind voll anMan kann das vielleicht damit kann das vielleicht damaßendem prahlerimit vergleichen, daß vergleichen, daß man in der schem Dünkel. Sie haman in der Bibel auch Bibel auch keine Aussagen ben nur Schlechtes im keine Aussagen über über GeschwindigkeitsbeSinn und verweigern Geschwindigkeitsbeschränkungen oder privaten ihren Eltern den GehorWaffenbesitz oder über Wind- schränkungen oder sam. Verstand, Treue, privaten Waffenbesitz kraftwerke findet. Man muß Liebe und Erbarmen oder über Windkraftauch da aus dem Gesamtsind ihnen fremd. Sie werke findet. Man zusammenhang erschließen, wissen zwar genau, daß was für uns heute dem Willen muß auch da aus nach Gottes Rechtssatdem GesamtzusamGottes entspricht. zung auf solch ein Vermenhang erschliehalten die Todesstrafe steht. Dennoch ßen, was für uns heute dem Willen handeln sie nicht nur selbst so, sonGottes entspricht. Also bei Geschwindern klatschen auch noch Beifall, digkeitsbeschränkungen oder gesetzwenn andere es tun.“ (Röm 1, 24-32 – licher Eindämmung von Waffenbesitz Übersetzung von Klaus Berger) das Argument, daß dadurch Leben geschützt wird – was Gottes Willen entDas klingt und ist verstörend. Von unspricht. Oder bei Windkraftwerken der seren heutigen Maßstäben her muss bewahrende Umgang mit Gottes man eine solche Sprache als DiskrimiSchöpfung, was ebenfalls biblisch ist. nierung einer Menschengruppe bezeichnen. Aber was hatte Paulus daSelbst die WHO hat erst vor wenigen mals vor Augen? Nach allem, was wir Jahrzehnten definiert, daß es sich rekonstruieren können, eben nicht beim Phänomen Homosexualität nicht das, um was es heute geht, also um eine „Krankheit“ handelt. Die bibligleichgeschlechtliche Partnerschafschen Autoren aber lebten alle mit 380 Pfarrvereinsblatt 9/2016 dem Vorurteil, daß Homosexualität auch immer mehr – nicht zuletzt in dem grundsätzlich eine Abweichung vom Maß, in dem homosexuelle Menschen „Natürlichen“ und daher als abnorm zu aus dem Ghetto herausgeholt werden, verurteilen ist. Dies aber wirft die Frain das sie jahrhundertelang (unter tätige, auf, wer jeweils unter welchen Beger Mithilfe der Kirchen!) abgedrängt dingungen Normen waren. Jeder Mensch setzt. Diese Frage ist ist mehr und noch anSchwule und Lesben sind aber selbst nur histoderes als seine sexuelle genauso wie Heterosexuelle, risch zu klären. HoOrientierung. Schwule mit Luther zu reden, Gerechte mosexualität taucht und Lesben sind geund Sünder zugleich – in der Bibel jedenfalls nauso wie Heteroseund als solche von Gott immer als Kampfbexuelle, mit Luther zu reunbedingt angenommen. griff auf. Selbst bei den, Gerechte und Sündem hochintellektuellen Paulus ist sie der zugleich – und als solche von Gott gleichbedeutend mit Habgier, Neid, unbedingt angenommen. üble Nachrede, Mord. Kann es so gesehen wirklich ernsthafte 4 Aus solchen Kampfbegriffen ein GotGründe geben, gleichgeschlechtlichen tesurteil über die Homosexualität als Paaren, die in Dauerhaftigkeit, Verantsolche zu folgern wäre ein unhistoriwortung und Verlässlichkeit ihre Partscher und somit unevangelischer Umnerschaft leben wollen und dafür den gang mit der Bibel. Die biblischen Autokirchlichen Segen in einem öffentlichen ren taten nicht mehr und nicht weniger Gottesdienst erbitten, diesen Segen zu als die Gottesferne ihrer Zeitgenossen verweigern? Ich sehe nur zwei Gründe, mit Hilfe eines verbreiteten Vorurteils zu die dagegen sprechen – und beide illustrieren. Würde man heute solche Arüberzeugen mich nicht. Einmal das dargumentationen und Beispielreihen wie gestellte tendenziell fundamentalistiPaulus in Römer 1 entwerfen, dann würsche, unhistorische Schriftverständnis, de man etwa sagen, daß sich die Gotwie wir es aus manchen Freikirchen tesferne der Zeitgenossen in Kriegstreikennen. Wer damit argumentiert, muss berei und Terrorismus, Korruption und sich fragen lassen, warum er/sie es mit Steuerflucht, in Fremdenfeindlichkeit anderen eindeutigen Schriftaussagen oder Gewalt in Beziehungen (heterowie eben zur Rolle der Frau, zur Ehewie homosexuellen) ausdrückt. Homoscheidung, zum Zinsverbot oder zum sexualität als solche als Beispiel für die „Zehnten“ anders, „liberaler“ hält. Zum Selbstsucht und Gottlosigkeit des Menanderen eine aus meiner Sicht auch schen anzuführen, erscheint uns heute nicht biblisch begründbare biologistizu Recht als absurd. Gleichgeschlechtsche Sicht der Ehe, die ihren tiefsten liche Partnerschaften können mit demund eigentlichen Sinn in der Weitergaselben ethischen Ernst gestaltet werden be des Lebens, also der Fortpflanzung wie heterosexuelle. Und sie werden es sieht. Wer damit argumentiert, muss Pfarrvereinsblatt 9/2016 381 sich fragen lassen, ob das nicht eine einseitig sexualisierende Sichtweise ist, die dem katholischen Eheverständnis, das sich von dem reformatorischen grundlegend unterscheidet, sehr nah kommt. Sexualität ist eine zentrale, aber wahrlich nicht die einzige wichtige Dimension in der Ehe. 5 Zum Abschluß ein persönlicher Gedanke. Ich habe in den letzten Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt, daß ich mir unsere Kirche in mancher Hinsicht durchaus katholischer wünschte. Dazu stehe ich. Wenn ich dennoch nicht katholisch werden kann, sondern überzeugt protestantisch bleibe, dann letztlich aus einem Grund: weil wir die Kirche der Freiheit sind. Freiheit: das ist die DNA, die Herzkammer des Protestantischen. Eine Kirche der Freiheit kann ihren Mitgliedern nicht nach der Melodie „Die Kirche aber lehrt!“ vorschreiben, was sie zu glauben, wie sie die Bibel zu verstehen haben, um noch Glieder der Kirche zu sein. Sie achtet das Gewissen des Einzelnen als enorm hohes Gut. Deshalb haben gerade diejenigen, die sich zur „liberalen“ Mehrheit in unserer Kirche zählen und den Beschluss der Landessynode dankbar begrüßen, auch eine wichtige Verantwortung, denen, die jetzt Gewissensnot empfinden, durch wertschätzenden und nicht stigmatisierenden Umgang zu signalisieren, daß auch sie in unserer Kirche der Freiheit ihren Platz haben. Daß mir kürzlich eine (nicht evangelikale) Freiburger Kollegenper- 382 Pfarrvereinsblatt 9/2016 son anvertraute, sie sei durch die Entscheidung der Synode gewissensmäßig beschwert, habe aber nicht den Mut, das zu sagen, weil sie in unseren Gremien ein „erdrückendes Klima liberaler Dominanz“ empfinde, hat mich betroffen gemacht. Ich selber empfinde das nicht so, aber wir sollten solche Wahrnehmungen zumindest ernst nehmen. Es gilt aber auch, daß sich Gewissen nur bilden kann, wenn man die Bibel immer wieder befragt, was in welcher Situation Gottes Wille ist. Dazu braucht es auch ein ehrliches Wahrnehmen der Realitäten – und zwar wie sie sind, nicht wie sie „aus kirchlicher Sicht“ sein sollten. Denn in diesen Realitäten leben die Menschen, für die wir als Kirche da sind. Deshalb ist es kein Zeichen von Schwäche, oder „Verrat an der Schrift“, wenn wir genau, differenziert und vorurteilsfrei hinschauen, in welcher Vielfalt an Konstellationen heute Partnerschaft gelebt wird. Zu fragen, wie unter unterschiedlichsten Bedingungen die essentiellen biblischen Dimensionen wie Vertrauen, Verläßlichkeit, Verantwortung gestärkt werden können, anstatt gleichgeschlechtlichen Paaren dogmatische Formeln entgegenzuhalten à la: „Wir lieben euch als Sünder – aber wir hassen eure Sünde!“: das ist aller Ehren und ggf. allen Streites wert. ❚ Markus Engelhardt, Freiburg Zur Diskussion Anrufung über Füchsen und Vögeln ❚ Die nachdenklich aufrüttelnden Zeilen des Karlsruher Pfarrers Klaus Paetzholdt aus dem Jahre 1981 haben nichts an Aktualität eingebüßt und werfen ein noch mal anderes Licht auf die Diskussion um die Lage von Kirche und PfarrerInnenschaft. D ie Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester; du aber hast nichts, wo du dein Haupt hinlegen kannst. Du! Von dir her! Deshalb legen wir unsere Häupter so gern in Betten, in Gruben, in Nester. Weil du uns das Bett gemacht hast. Hast du uns das Bett gemacht? Du hattest keinen Ort für dein Haupt. Wir haben unseren Ort für unser Haupt. Bei dir. Aber bei dir ist nichts zum Hinlegen, nichts zum Ausruhen. Du! Hol uns aus unseren Betten! Hol uns aus unseren Gruben, Nestern! Hol uns aus unserer Sicherheit! Hol uns aus unseren Betten, du uns! ❚ Klaus Paetzholdt, Karlsruhe Wir aber! Wir haben nicht nur unsere Gruben und Nester, wir haben unsere Betten. Es liegt sich gut. Im Bett unserer Aufgeklärtheit, im Hast du uns das Bett Bett unserer Rechtgemacht? Du hattest keinen gläubigkeit, im Bett Ort für dein Haupt. unserer Privatfrömmigkeit, im Bett unserer Volkskirchenfrömmigkeit, im Bett unserer kirchlichen Feste, im Bett unserer bürgerlichen Anständigkeit. Wir! Du aber! Du hast keine Partei, keine Lobby, keine Ideologie, du hast kein Bett, keine Grube, kein Nest. Du bist ja von oben her. Trotz Maria und Josef. Wo solltest du auch dein Haupt hinlegen? Zu den Rabbinern? Zu den Pharisäern? Zu den Zeloten? Zu den Jüngern des Täufers Johannes? Du bist von oben her? Wo sind wir her? Pfarrvereinsblatt 9/2016 383 Zur Diskussion Überrascht – verwundert – irritiert. Ein sehr persönlicher Eindruck von der Broschüre „Glaube ist keine Privatsache“ ❚ Pfarrer Wieland Bopp-Hartwig aus Boxberg vermisst in der an die Öffentlichkeit gerichtete neue Broschüre eine Würdigung des Pfarrberufs als einem öffentlichkeitswirksamen Dienst und fragt, wo die Themen der Kirche bleiben, wie sie vormals von zentraler Bedeutung gewesen sind und das öffentliche Gesicht von Kirche geprägt haben. Ü ber den Pfarramtsversand habe ich die Broschüre der Landeskirche „Glauben ist keine Privatsache“ bekommen, verbunden mit einem Begleitschreiben und der Bitte um Weitergabe der Broschüre an Personen in politischer Verantwortung. überrascht und sehr verwundert und sehr irritiert. Überrascht war ich davon, dass in dieser Broschüre auf den Themaseiten kein einziges Mal davon gesprochen ist, dass auch Pfarrer und Pfarrerinnen in der Kirche arbeiten; lediglich bei der Darstellung der Seelsorger auf der Seite „Wir sind da“ kann man vermuten, dass Pfarrer und Pfarrerinnen mitgemeint sind; dass man sie als Seelsorger im Pfarramt antreffen könnte, ist freilich nicht gesagt. Nur auf der vorletzten Seite im statistischen Überblick erscheinen Pfarrer/innen. Ich kann das nur so interpretieren, dass für die Landeskirchen der Dienst ihrer In der Broschüre selbst ist ein EingangsPfarrer und Pfarrerinnen als ein öffentlichwort der beiden Bischöfe Jochen Cornekeitswirksamer Dienst nicht mehr der Erlius-Bundschuh und wähnung wert ist; PfarKein einziges Mal wird davon Otfried July zu lesen, in rer sind offenbar nur gesprochen ist, dass auch dem darauf hingewienoch eine RanderPfarrer und Pfarrerinnen in scheinung der (Lansen wird, dass Kirche des-)Kirche und allender Kirche arbeiten. „von ihrem Auftrag her falls von statistischer in der Öffentlichkeit“ Bedeutung, gerade noch im Nachklapp wirkt. Das wird auf sieben Doppelseiten genannt. Wo freilich eine Berufsgruppe, entfaltet unter den Leitthemen: „Wir leben die seither für die Arbeit der Kirche zuminVielfalt“ – „Wir helfen“ – „Wir bilden Mendest mitprägend gewesen ist, in einer an schen“ – „Wir schaffen Kultur“ – „Wir madie Öffentlichkeit gerichteten Broschüre chen stark“ – „Wir sind da“ – „Gott der Landeskirche(n) derart marginalisiert schenkt Zeit“. wird, ist die Frage nicht weit, warum diese Landeskirchen sich den Luxus dieser BeIch habe die Broschüre gelesen, und als rufsgruppe überhaupt noch leisten. ich sie durchgelesen hatte, war ich sehr 384 Pfarrvereinsblatt 9/2016 Damit nicht nur der Eindruck der Larschüre offenbar kein Thema von Kirche moyanz entsteht eines Pfarrers, der daheute in der Öffentlichkeit und für Mennach fragt, wo seine Berufsgruppe in schen in politische Verantwortung; daran Öffentlichwirksamkeit ändern auch die abDie Weitergabe des Evangeliums, gedruckten Bibelzitader Kirche noch vordes Wortes Gottes, ist offenbar kommt, sei jetzt die te nichts. Sie sorgen kein Thema von Kirche heute Verwunderung darüfreilich dafür, dass in der Öffentlichkeit und ber angefügt, dass wenigstens einmal (!) für Menschen in Themen der Kirche, von Jesus Christus die politischer Verantwortung. wie sie vormals von Rede ist, von dem der zentraler Bedeutung übrige Text schweigt. gewesen sind und das öffentliche GeVon Gott ist (abgesehen von den Bibelzisicht von Kirche geprägt haben, in der taten) übriges nur dreimal die Rede. Broschüre praktisch nicht vorkommen. „Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung Dass in demselben Jahr, in dem das der Schöpfung“: wo sagt die Broschüre 500jährige Reformationsjubiläum bedazu etwas? ginnt, zwei Landeskirchen in einer Öffentlichkeitsbroschüre nicht davon spreWo ist von der wachsamen und mahnenchen (wollen), dass Kirche etwas Spezifiden und kritischen Aufgabe der Kirche sches zu sagen und zu verkündigen hat, die Rede? Dass mit keinem Wort die nämlich die Gute Botschaft Gottes, das ökumenische Dimension kirchlicher befreiende Evangelium, das sie als ZuArbeit Erwähnung findet, verwundert spruch und Anspruch Gottes weitergeebenfalls. ben darf, das macht mich schon sehr traurig! ❚ Wieland Bopp-Hartwig, Boxberg Schließlich und in besonderer Weise bin ich irritiert, dass an keiner Stelle der Broschüre davon die Rede ist, dass die Kirche den Auftrag hat, „durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“ – um es mit Bar„Frieden – Gerechtigkeit – men VI zu sagen bzw. Bewahrung der Schöpfung“: mit den älteren Worten wo sagt die Broschüre von CA 7 – „dass das dazu etwas? Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden“. Die Weitergabe des Evangeliums, des Wortes Gottes, ist nach der vorgelegten BroPfarrvereinsblatt 9/2016 385 Aus der Landeskirche Konvent der Pfarrerinnen und Pfarrer mit Schwerbehinderung ❚ Über die Gründung und die Arbeit des Konvents der Pfarrerinnen und Pfarrer mit Schwerbehinderung, zu dem derzeit 30 Mitglieder gehören, informiert Pfarrer Gerhard Sprakties, Mannheim. Er ist Vertrauensperson und macht betroffene Kolleginnen und Kollegen auf den Konvent aufmerksam. A In ihr heißt es unter anderem: „Die Vereinbarung soll dazu beitragen, dass die dem Dienstgeber gegenüber den Menschen mit Schwerbehinderung obliegende besondere Fürsorge- und Förderungspflicht umgesetzt wird.“ Die Integrationsvereinbarung sieht vor, dass „bei Stellenbesetzungen für Pfarrstellen mit allgemeinem kirchlichen Auftrag“ Pfarrerinnen und Pfarrer mit Schwerbehinderung „bei gleicher Eignung und Qualifikation bevorzugt“ werden. Auch können „zwischen Dekanin bzw. dem Dekan und der Pfarrerin bzw. dem Pfarrer mit Schwerbehinderung individuelle Regelungen des Dienstes getroffen werden“. Ein sog. „Integrationsteam“ trifft sich jährlich um die Umsetzung der in der Integrationsvereinbarung getroffenen Regelungen zu überprüfen. m 9. Oktober 2009 trafen sich auf eine Initiative von Kirchenrätin Marlene Bender aus dem Personalreferat erstmals die Pfarrerinnen und Pfarrer mit Schwerbehinderung unserer badischen Landeskirche in Karlsruhe. Es wurde die Gründung eines Konvents beschlossen, dessen Aufgaben und Leitung in der „Rechtsverordnung zum Konvent und zur Vertrauensperson für schwerbehinderte Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Zu unserem Konvent gehören derzeit 30 Baden“ vom 10. Oktober 2011 festgelegt Mitglieder. Wir haben uns in den letzten wurde. Im Herbst 2012 wurde ich zur erJahren neben Fragen zum Dienstrecht sten Vertrauensperson des Konvents ge(wie z. B. Deputatsredukwählt. Seither treffen wir Im Jahr 2014 wurde eine tionen/Wiedereingliedeuns zweimal im Jahr im Integrationsvereinbarung rung) und Fragen die unEOK in Karlsruhe um uns für Pfarrerinnen und seren Arbeitsalltag als über theologisch/ethische Pfarrer mit SchwerbePfarrerinnen und Pfarrer und arbeitsrechtliche Frahinderung verabschiedet. mit Schwerbehinderung gen rund um das Thema betreffen (wie z. B. ArBehinderung auszutaubeitsplatzgestaltung und Arbeitsplatzumschen. Mit Hilfe des Rechtsreferats konfeld) beschäftigt. Auch wurde über nten wir am 16.09.2014 eine InteGesundheitsförderung und Inklusion gegrationsvereinbarung für Pfarrerinnen sprochen. Die Konventssitzungen sollen und Pfarrer mit Schwerbehinderung der darüber hinaus dem kollegialen AusEvangelischen Landeskirche in Baden tausch und der gegenseitigen Unterstütverabschieden. 386 Pfarrvereinsblatt 9/2016 zung dienen. Wir würden uns freuen, wenn sich noch weitere Kolleginnen und Kollegen mit Schwerbehinderung entschließen könnten bei uns Mitglied zu werden. Jede/jeder, der einen Schwerbehindertenausweis besitzt (ab 50%) kann einen schrift lichen Aufnah me antrag an mich oder die mir behilfliche Sachbearbeiterin im EOK (siehe unten) stellen. Dem Antrag muss eine Kopie des Schwerbehindertenausweis beigelegt sein. Die Mitgliedschaft in unserem Konvent ist selbstverständlich freiwillig und erlischt mit dem Ausscheiden bzw. dem Verlust der Schwerbehinderteneigenschaft. Da nach meiner Erfahrung noch nicht alle Kolleginnen und Kollegen mit Schwerbehinderung in unserer Landeskirche wissen, dass es unseren Konvent gibt, würde ich mich freuen, wenn Betroffene auf diesen Artikel aufmerksam gemacht werden. Selbstverständlich können sich auch Pfarrerinnen und Pfarrer im Vorfeld eines Antrags auf Schwerbehinderung vertrauensvoll an mich wenden. Die nächste Sitzung unseres Konvents der Pfarrerinnen und Pfarrer mit Schwerbehinderung findet am Dienstag, den 11. Oktober 2016 um 15.15 Uhr im Sitzungssaal IV (Gertrud Hamann) im EOK in Karlsruhe statt. ❚ Gerhard Sprakties, Mannheim Auskünfte erteilt: Sachbearbeitung: Dipl. Diakoniewissenschaftler Pfarrer Gerhard Sprakties Steubenstraße 9 68199 Mannheim Telefon: 0621 817689 Birgit Acker Evangelischer Oberkirchenrat Postfach 2269, 76133 Karlsruhe Telefon: 0721 9175 – 202 Telefax: 0721 9175 25 – 202 [email protected] [email protected] Pfarrvereinsblatt 9/2016 387 Die Geburtstagslisten wurden in der Online-Ausgabe aus Datenschutzgründen entfernt. Aus der Pfarrvertretung Aktuelles D as Liegenschaftsprojekt der Landeskirche hat das Ziel, den Gebäudebestand der Landeskirche zukunftsfähig zu machen; d.h. dafür zu sorgen, dass die rund 3000 Gebäude der Kirchengemeinden bis 2020 analysiert werden und ein Konzept für die zukünftige Nutzung erstellt wird. Hintergrund dieses Vorhabens ist der erwartete Rückgang der Einnahmen ab 2025, weswegen der Gebäudebestand um 30% reduziert werden soll (vgl. Pfarrvereinsblätter 7/2015). Ich hatte Gelegenheit, eine der Informationsveranstaltungen in den Kirchenbezirken zu erleben. Im Rahmen dieser Bezirkssynode wurde einerseits die zukünftige finanzielle Situation der Landeskirche in düsteren Farben dargestellt, andererseits aber auch für den Beruf des Pfarrers bzw. der Pfarrerin geworben. Mich hat das zu der Nachfrage veranlasst, wie man bei kirchenverbundenen Menschen (und Multiplikatoren!), wie es Bezirkssynodale ja sind, Vertrauen wecken will in eine Berufsentscheidung für den Pfarrberuf, wenn gleichzeitig die finanzielle Situation sich so dramatisch darstellt, dass 30 % der Gebäude aufgegeben werden müssen. Wer möchte denn in einer Kirche arbeiten, die auf lange Sicht vielleicht nicht einmal in der Lage ist, ihre PfarrerInnen angemessen zu bezahlen? Deshalb hier eine Erklärung der Zusammenhänge, die wichtig ist, wenn wir zukünftig einen gravierenden Mangel an PfarrerInnen verhindern wollen: Der erwartete Rückgang der Kirchensteuereinnahmen hat seinen Grund nicht 392 Pfarrvereinsblatt 9/2016 in erster Linie in Kirchenaustritten, sondern in der Tatsache, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen und daher erheblich weniger Kirchensteuern zahlen als bisher. Genau diese Tatsache sorgt aber auch für einen enormen Bedarf an Nachwuchs im Pfarrberuf: Etwa die Hälfte der badischen Pfarrerschaft gehört den Jahrgängen 1956 bis 1965 an. Auch wenn (aus demographischen Gründen, aber auch wegen Kirchenaustritten) die Mitgliederzahlen (und die Einnahmen) sinken dürften, sinken sie bei weitem nicht in dem Maß wie die Zahl der aktiven PfarrerInnen. Die Reduktionen im Gebäudebestand haben also nichts mit den Zukunftsperspektiven für zukünftige PfarrerInnen zu tun, im Gegenteil: Es muss verstärkt für den Pfarrberuf geworben werden! Seit dem 1.2. 2015 ist die Rechtsverordnung Pfarrdienstwohnung in Kraft, die eine Pflicht der Kirchengemeinde beinhaltet, bei Pfarrstellenbesetzungen den BewerberInnen einen Energieausweis für das Pfarrhaus vorzulegen (§ 19 (2) ). Eine Nachfrage bei Personal- und Baureferat zum Stand der Umsetzung hat ergeben, dass der Oberkirchenrat nicht regelnd in Verpflichtungen der Kirchengemeinden eingreift. Lediglich die Aufnahme in einen Ablaufplan für Pfarrstellenwechsel ist in Aussicht gestellt worden. Das ist insofern unbefriedigend, als dass Kirchengemeinden sich der Umsetzung landeskirchlicher Rechtssetzung ohne Konsequenzen verweigern können. Daher bitte ich alle PfarrerInnen, die Pfarrhäuser bewohnen, dafür Sorge zu tragen, dass Energieausweise so bald wie möglich erstellt werden (eventuell auch im Zuge der Gebäudeanalysen durch Prokiba). Ziel dieses Vorhabens ist eine Transparenz für PfarrerInnen über die zu erwartenden Energiekosten bei einem Stellenwechsel (der Hinweis auf die Abrufbarkeit des Energieausweises könnte dann zukünftig den Hinweis auf den zu versteuernden Mietwert in Ausschreibungen ergänzen), aber auch Transparenz über eventuell notwendige energetische Sanierungsmaßnahmen. Die Energieeinsparverordnung von 2014 unterscheidet zwei Formen des Energieausweises, den (aussagekräftigeren) Energiebedarfsausweis und den Energieverbrauchsausweis. Die Schwäche des Energieverbrauchsausweises liegt in der hohen Abhängigkeit vom Verbrauchsverhalten der aktuellen BewohnerInnen. Erst recht verliert der Energieverbrauchsausweis an Wert, wenn er während einer längeren Vakanz erstellt wird, da die Verbrauchswerte dann unrealistisch sind. Empfehlenswert ist daher ein Energiebedarfsausweis. Eine Anfrage bezüglich der Fahrtkostenerstattung bei GemeindepfarrerInnen hat umfangreiche Klärungen mit dem Rechtsreferat zur Folge gehabt. Ausgangspunkt der Anfrage war die Tatsache, dass in einer Einsatzgemeinde mit mehreren Teilorten das Pfarrhaus in einem der Orte steht, das Pfarrbüro aber in einem anderen Ort. Sind hier Dienstfahrten innerhalb der Gemeinde erstattungsfähig? Ein Blick von mir in die badische Kirchenrechtssammlung hat ergeben, dass bei Angabe des Stichworts „Fahrtkosten“ das Dienstreisekostengesetz angezeigt wird – was ich terminologisch merkwürdig finde, weil ich unter einer Dienstreise etwas anderes als eine Fahrt innerhalb der eigenen Gemeinde verstehe. Die korrekte Bezeichnung für die Wege innerhalb der Gemeinde (das findet sich in § 2 des Gesetzes) ist „Dienstgang“ (auch dann, wenn diese Gänge mit dem Auto erledigt werden). Nun wollte ich überprüfen, ob Fahrten zwischen Pfarrhaus und Pfarrbüro im obengenannten Fall erstattungsfähig sind, fand aber keine Antwort – dafür aber den Hinweis in § 7, dass die einschlägigen Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg für den öffentlichen Dienst gelten, wenn das kirchliche Gesetz keine anderen Regelungen trifft. Dort findet man dann (wenn man inzwischen nicht längst beschlossen hat, lieber auf Fahrtkostenerstattung zu verzichten) Hinweise zu Dienststellen, die Ausgangsort für Dienstgänge sind. Nach Rückfrage im Rechtsreferat wurde mir mitgeteilt, dass für GemeindepfarrerInnen das Pfarrbüro Ausgangspunkt für Dienstgänge oder Dienstreisen ist. Das ist gut für alle die KollegInnen, bei denen Pfarrdienstwohnung und Pfarrbüro eine räumliche Einheit bilden – sie können sämtliche Dienstfahrten abrechnen. Wenn aber nach der Zusammenlegung von Gemeinden Pfarrbüro und Pfarrhaus keine räumliche Einheit mehr bilden, müssen die Fahrtkosten zwischen Pfarrhaus und Pfarrbüro nach Auskunft des Rechtsreferates selbst getragen werden. Dass das mit Mehrkosten verbunden ist, sollten sich alle klar machen, die sich auf eine solche Pfarrstelle bewerben (und Pfarrvereinsblatt 9/2016 393 dass das bei Besetzungen auch zum Nachteil für solche Gemeinden werden kann, sollten sich wiederum Personalreferat, Kirchenbezirke und Gemeinden überlegen). Wobei natürlich diese Mehrkosten nicht in voller Höhe entstehen, da sie steuerlich absetzbar sind. Relevant sind diese Informationen auch für KollegInnen in den Gemeinden, in denen nach dem Verkauf des Pfarrhauses eine Wohnung ohne räumliche Nähe zum Pfarrbüro angemietet wird oder auch für diejenigen, die eine Befreiung von der Residenzpflicht haben. Rechtlich geklärt sind hier die Fahrten zwischen Pfarrhaus und Pfarrbüro – sie sind nach aktuellem Stand nicht erstattungsfähig (das entspricht den von allen ArbeitnehmerInnen selbst zu tragenden Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle – wobei natürlich andere ArbeitnehmerInnen eine freie Wahl des Wohnorts haben) – unklar sind aber nach geltender Rechtslage die zahlreichen Fahrten, die vom Pfarrhaus aus unternommen werden (hier hinkt der Vergleich mit anderen ArbeitnehmerInnen, weil diese keine Dienstgeschäfte von ihrer Wohnung aus unternehmen). Meines Erachtens sollten für GemeindepfarrerInnen generell zwei regelmäßige Dienststellen vorausgesetzt werden, das Pfarrbüro und das Pfarrhaus (wenn diese nicht sowieso eine räumliche Einheit bilden). Dies gilt erst recht, da die zunehmende Tendenz zu Gemeindezusammenlegungen und Regionalisierung befürchten lässt, dass die Zahl und Länge der Fahrten zwischen Pfarrhäusern und Pfarrbüros wachsen wird. ❚ Volker Matthaei, Reutgrabenweg 16, 76297 Stutensee, 07249/955889 [email protected] 394 Pfarrvereinsblatt 9/2016 SAVE THE DATE Wochenende für Begegnung und Austausch am 10.-12. März 2017 im Moratahaus Heidelberg VOM SÄEN ... UND SEHEN ... ? Das Gleichnis vom Sämann Es lädt ein: Team Pfarrfrauen und Pfarrmänner in Baden und Pfarrerin Susanne Schneider-Riede Leiterin der Fachstelle Geistliches Leben Werbung und nähere Info folgen im Oktober Korrigenda Leider haben wir in unserer letzten Ausgabe 7-8 / 2016 auf Seite 343 versäumt, den Autor der Rezension des Buches von Rolf-Ulrich Kunze aufzuführen. Der Rezensent, der das Buch ursprünglich der Landesynode als erstes vorgestellt hat, war Oberkirchenrat Prof. Dr. Christoph Schneider-Harpprecht. Buchbesprechung Joachim Kummer (Hg.) Im Anfang das Wort: Impulse der Reformation.” Sechs Streifzüge, Agentur des Rauhen Hauses Hamburg 2016, 80 Seiten, 14,99 Euro N icht nur der liebe Gott hat Luther viel zu verdanken. Viele Verlage sicher auch. Denn die Reformationsdekade, die sich derzeit auf der Zielgeraden befindet, hat doch durchaus den Anlass für eine fast nicht mehr zu überblickende Kaskade von Neuerscheinungen von Büchern im Kontext der Reformation gegeben. Manchmal könnte man dabei wirklich den Überblick verlieren – ehrlicher noch: Oft habe ich ihn schon verloren. Da tut es gut, wenn man im produktiven Wust neu entstandener Bücher zum anstehenden Gedenkjahr plötzlich ein Buch auftaucht, das wohltuend auf sich aufmerksam macht: weil es gute Basis-Informationen auf knappstem Raum enthält; weil sich (u.a.) badische Autoren darin entdecken lassen; weil es sich wunderbar zum Verschenken eignet. Mit schön bebilderter Außenseite (von den vielen Bildern und herausgehobenen Zitaten innen ganz zu schweigen) versehen, haben die Macher dieses Buches das Format des Quadrates gewählt. Nicht um dem Anspruch von „quadratisch, praktisch, gut“ zu genügen, sondern um auch der Ästhetik den gebührenden Raum zu lassen. Unter dem Titel „Im Anfang das Wort. Impulse der Reformation“ werden „sechs Streifzüge“ angekündigt. Der erste Streifzug, verantwortet von Joachim Kummer, führt in knapper und informativer Form in das Geschehen und in die geschichtlichen Abläufe der Reformation – oder wie wir heute längst sagen der Reformationen – ein – ohne Beschwerliches im Ablauf und in den Nachwirkungen zu verschweigen. Er liefert haben gewissermaßen den Blick aus der HubschrauberPerspektive. Gut ergänzt wird dieses Kapitel durch den tabellarischen Überblick der reformatorischen Ereignisse ganz am Ende des Buches. Die beiden nächsten Streifzüge nehmen theologische Tiefenbohrungen vor. Christiane Kohler-Weiß, Reformationsbeauftragte der württembergischen Landeskirche, setzt beim reformatorischen, insbesondere für Luther zentralen, Schlüsselbegriff der Freiheit eines Christenmenschen ein. Der Weg zu der durch die Erkenntnis Luthers zu gewinnende Befreiung führe am Ende keineswegs von außen nach innen. Äußere Freiheit ist keine Garantie für die innere. Umgekehrt wird bei ihr ein Schuh draus: „Innerlich freie Menschen ... sind und bleiben das Subjekt ihres Lebens, denn in ihnen lebt Christus.“ (S. 24) Dass Christiane KohlerWeiß am Ende ihres Streifzuges durch Luthers Freiheitverständnis diesen auch noch als „Prediger des Diakonissen- und Diakonentums“ (S. 27) beschreibt, liegt in der Konsequenz ihrer Deutung der Freiheit im Sinne Luthers. Markus Engelhardt, Dekan in Freiburg, zeichnet für den Artikel verantwortlich, von dem es heißt, dass mit ihm „die Kirche steht und fällt“: Er führt in das zentrale Pfarrvereinsblatt 9/2016 395 Thema der Rechtfertigungslehre ein. In der von ihm dargebotenen kleinen Anthropologie setzt er beim modernen Menschen als homo faber ein. Die nicht gelingen wollende Selbst-Rechtfertigung produziere zuletzt Hass auf Gott – und auf den Menschen selbst. Sehr groß sieht er dabei den Unterschied zwischen dem nach Gerechtigkeit schreienden Luther und den gestressten Akteuren auf den Bühnen der Gegenwart nicht. Als „grundstürzend“ beschreibt Markus Engelhardt darum die Erkenntnis, die Luther auf der entscheidenden Expedition seines Lebens in den Römerbrief macht. Es ist Gott, der mich gerecht macht! Und nicht das, was ich leiste und kann. Darauf zu vertrauen, dass Gott mich bejaht, von Anfang an und ohne eigenen Leistungsnachweis, das ist dann das, was wir reformatorisch als Glaube verstehen. Nicht eine wichtige Lehre sein dies, sondern „Mitte und Kern, in dem sich alles verdichtet, worauf es im christlichen Glauben ankommt“. Dass die Reformation mitnichten ein binnenkirchliches Ereignis und vor allem eines von großer Nachhaltigkeit war, zeigen die beiden Beiträge aus der Feder von Veronika Bremer und Ernst-Dietrich-Egerer, die sich mit zwei zentralen Bewegungen befassen, die von uns Nachgeborenen der Kultur zugeordnet werden und mit denen die Reformation gewissermaßen die Herzen der Menschen erreicht hat – mit der bildenden Kunst und mit der Musik. Sie prägen bis heute die Wahrnehmung dieses Prozesses, den wir unter der Titulatur „Reformation“ zusammenfassen. Zuletzt lässt Ulrich Bayer, Pfarrer in Freiburg und Lehrbeauftragter an der dortigen 396 Pfarrvereinsblatt 9/2016 Evangelischen Hochschule, aus einer Perspektive an der Reformation Anteil nehmen, die wie kaum eine andere heute in die alltägliche Verfasstheit unserer Gesellschaft eingegangen ist: die Bildung! Dabei liefert er nicht nur zentrale Belege der Hochschätzung der schulischen Bildung. Er zieht seine Linien im Längsschnitt weiter in die erfolgreichen Bildungsinitiativen der Calvinismus und endet hier zuletzt in den Elite-Schmieden Harvard und Yale. Weiter verweist er auf die nicht zuletzt protestantischer Neugier entspringenden Erkenntnisse der Wissenschaft, allen voran auf die Leistungen von Johannes Kepler, dessen Bildungsgrundlagen in Maulbronn und im Tübinger Stift gelegt worden sind. Als Bildungs-Aktivisten in evangelischer Absicht beschreibt Ulrich Bayer den Reformpädagogen Johann Amos Comenius und würdigt auch den Beitrag des Pietismus, insbesondere den von August Hermann Francke in Halle. Die wohl produktivste Agentur evangelischen Bildungsverständnisses sei aber sicher das evangelische Pfarrhaus. Die Geschichte seines gegenwärtigen Funktions-Wandels erweist sich als ein Spiegelbild der Tatsache, dass auch die Anliegen von Reformation und Religion überhaupt in die Sprache und in das Denken der Gegenwart übersetzt werden müssen. Zusammenfassend kommt Ulrich Bayer zu dem Schluss: „Der Protestantismus wurde zur Bildungsmacht!“ (S. 66) Nicht alle möglichen Expeditionen und Streifzüge können in einem Band festgehalten werden, der auf Zentrales, genauer gesagt auf Basis-Wissen Wert legt. Denkbar gewesen wäre sich auch die Themati- Buchbesprechung sierung der europäischen Dimension, gerade angesichts der derzeitigen in Mode gekommenen Geringachtung des gemeinsamen Hauses Europa. Ebenso die Variante der Reformation als Revolution, die wir am linken Flügel bei den Taufgesinnten vor uns haben; womöglich auch noch die derzeit zu beachtende Heimholung Martin Luthers in seine katholische Herkunftskirche. Aber wer Streifzüge veranstaltet und sich auf Expeditionen wagt, muss sich auch beschränken können. Und dieses Buch wird sicher nicht das letzte sein auf dem Weg nach 2017. Lohnend ist es dennoch aber allemal. ❚ Traugott Schächtele, Schwetzingen Gabriele Kainz Der Briefwechsel zwischen Franz Marc und Pfarrer Otto Schlier in den Jahren 1894-1900. Eine Studie zum protestantischen Hintergrund des Künstlers. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2015, 342 Seiten, 48 Euro E inige von uns Alten werden sich erinnern an Frau Agnes Schlier in Heidelberg. Alle Kandidaten im Petersstift hatten bei ihr Stimm- und Sprachbildungsunterricht zu nehmen. Frau Agnes Schlier war die Tochter des Heidelberger Dekans Otto Schlier, Pfarrer an der Providenzkirche bis 1932. Otto Schlier, 1864-1945, war ursprünglich bayrischer Pfarrer, hatte dann aber Differenzen mit der bayrischen Landeskirche, der er zu liberal und die ihm zu konservativ war. Auf Für-sprache von Martin Rade, dem Herausgeber „Christlichen Welt“, bei Albert Helbing wurde Schlier 1902 in den Dienst der badischen Landeskirche übernommen. Als Schlier junger Stadtvikar in München war, gehörten zu seinen Schülern und Konfirmanden Paul (*1877) und Franz Marc (*1880). Es entwickelte sich ein persönlicher freundschaftlicher Kontakt zwischen Familie Marc und Vikar Schlier. Schlier muss auf den jungen Franz Marc einen tiefen Eindruck gemacht haben. Als Schlier 1893 Pfarrer im oberfränkischen Schney wurde, blieb Franz Marc Pfarrvereinsblatt 9/2016 397 brieflich mit dem verehrten ehemaligen Vikar in Verbindung, besuchte ihn sogar in den Ferien. Das Leben im dörflichen Pfarrhaus („Ich fühle mich hier unendlich wohl. Hier finde ich Stil!“, Seite 225), die Gespräche mit dem Pfarrer beeindruckten ihn. Franz Marc hatte bis zum Alter von 17 oder 18 Jahren den Wunsch, Pfarrer zu werden, lernte Hebräisch. Das änderte sich zwar im Lauf seiner Entwicklung, aber die Verbindung blieb noch lange. Agnes Schlier hat 1975 Briefe, die Franz Marc, sein älterer Bruder und seine Eltern an Otto Schlier sandten, dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg übergeben. Eine bayrische Theologin, Gabriele Kainz, hat diesen Briefwechsel ausgewertet und schrieb eine Dissertation zum Thema: „Der Briefwechsel zwischen Franz Marc und Pfarrer Otto Schlier in den Jahren 1894 bis 1900. Eine Studie zum protestantischen Hintergrund des Künstlers.“ Sie skizziert das Leben von Otto Schlier und Franz Marc, analysiert und kommentiert die Briefe, schildert Marcs Interesse als Jugendlicher an religiösen, philosophischen, sozialen Fragen, zeichnet sein Suchen und Ringen um seinen Weg, seine innere Entwicklung und die ihn prägenden Einflüsse nach. Franz Marc berichtet in seinen Briefen an Schlier seine Lektüren; er las Rades „Christliche Welt“ und Naumanns „Hilfe“; er schreibt von auch von manchen „theologischen Breit-, Tief- und Schönrednern“, Seite 217. Immer erkundigte er sich nach der „kleinen Agnes“, die er offenbar ins Herz geschlossen hatte. Wenn die Kommentare und Folgerungen 398 Pfarrvereinsblatt 9/2016 der Autorin mir auch nicht in allem nachvollziehbar waren, zeigt sie doch schlüssig, wie das liberale christlich-protestantische bildungsbürgerliche Elternhaus, wie die Ausstrahlung eines Pfarrerehepaars einen jungen Menschen prägen können. Zitat: „Das Pfarrhaus als Institution des bürgerlichen Protestantismus hat große Relevanz für Franz Marc und seine Familie. Die Ausübung der bildungsbürgerlich-protestantischen Religiosität der Familie steht in engem Zusammenhang mit der Idee des Pfarrhauses, ohne deren Kenntnis der Briefwechsel zwischen Franz Marc und Otto Schlier, aber auch die restliche Korrespondenz zwischen den Familien nicht zu verstehen ist: man trifft sich im Pfarrhaus an den ‚MontagsAbenden’ in einer Art Hauskreis. Franz erlebt das ‚offene Wohnzimmer’ der Pfarrfamilie …“, Seite 180. Kainz korrigiert aufgrund der Briefe manche Deutungen bisheriger Marc-Biographen. Sie problematisiert die übliche These, Marc sei Nietzscheaner geworden und rät zu differenzierterem Hinsehen. In zwei Kapiteln behandelt sie „Die religiöse Prägung Franz Marcs im literarischen und im bildnerischen Werk“. Der Briefwechsel selber, auch der der übrigen Familienmitglieder, ist im Anhang, teilweise erstmals, publiziert. Wenn Marc auch später manche distanzierenden Äußerungen machte: Das Interesse an der Bibel blieb immer. Noch kurz vor seinem Tod schrieb er im November 1915 in einer Feldpostkarte an seine Frau, Seite 183: „Ich las wieder viel im Evangelium, – wie kannst du eigent- Buchbesprechung lich im Evangelium lesen und doch Angst haben? Thatsächlich: mir ist das gänzlich unverständlich.“ Franz Marc starb vor 100 Jahren, am 4. März 1916, 36 Jahre alt, durch einen Granatsplitter, der ihn am Kopf traf. Die Generation, die bei Frau Schlier einst Stimm- und Sprachbildungskurse besuchte, ist auch die Generation, die nach dem Dritten Reich, in dem Franz Marcs Werke zur „entarteten Kunst“ zählten, staunend seine expressionistischen Bilder kennen lernte und Postkarten mit Marcs Turm der blauen Pferde, weidenden Pferden oder anderen seiner Tierbilder an die Wand ihrer Studentenbude heftete. Mindestens ebenso interessant wie das, was wir über Franz Marc erfahren, sind die Briefe, Berichte und Dokumente von und über Otto Schlier, einen interessanten Kollegen, der mehr als 30 Jahre badischer Pfarrer war: Eine Erweiterung der „Lebensbilder aus der Evangelischen Kirche in Baden“. Das Buch in der Bibliothek des Oberkirchenrats unter R 2016/85 und in der Badischen Landesbibliothek unter 116 A 1944 auszuleihen. ❚ Martin Achtnich, Ettlingen Hans-Gerd Krabbe Zwölf Köpfe der Reformation LIT-Verlag Münster 2016, 166 Seiten mit s/w Abb. (überwiegend Portraits), 19,90 Euro W ird das bevorstehende Jahr 2017 wirklich ein „Reformationsjubiläum“ oder nicht doch im Wesentlichen ein „Luther-Gedenkjahr“? Abgesehen davon, dass der Thesenanschlag am 31.10.1517 als historisches Ereignis umstritten ist, ist es immer gewagt, für geschichtliche Entwicklungen ein genaues Anfangsdatum festzulegen. Dennoch orientieren sich bis heute viele Reformations-Gedenktage und -jahre an diesem Tag. Niemand wird bestreiten, dass Luther eine Schlüsselfigur der Reformation war, und die Veröffentlichung seiner 95 Thesen wurde sicher eine wichtige Initialzündung für viele tiefgreifende Veränderungen in Kirche und Gesellschaft, doch: „Die Reformation auf Martin Luther (›solus Lutherus‹?) zu beschränken und zu konzentrieren, als sei Luther das ›Maß aller Dinge‹ – würde weder Luther selbst noch der Sache gerecht“, kritisiert Hans-Gerd Krabbe in seinem neuen Buch (S.6). Dieser Konzentration auf die Person Martin Luthers im Vorfeld des Reformationsjubiläums etwas entgegen zu setzen, ist für Hans-Gerd Krabbe, Pfarrer der Christusgemeinde in Achern, der Ausgangspunkt seines Buches. So stellt er Luther in eine ganze Reihe weiterer wichtiger Personen, die vom Mittelalter an bis weit in das 16. Jahrhundert hinein für kirchliche Reformen und für eine auf die Heilige Schrift Pfarrvereinsblatt 9/2016 399 gegründete Theologie und Lebenspraxis predigten, kämpften und litten. Auch heute noch, so der Autor, gehe es darum, das reformatorische Erbe der vier ›soli‹ zu bewahren. Über sie seien sich über alle Differenzen hinweg die Reformatoren einig gewesen. Er fasst sie folgendermaßen zusammen: Dass alles kirchliche Leben und Handeln sich an der Heiligen Schrift zu orientieren hat, dass Gott allein die Ehre gebührt, dass Christus das Haupt der Gemeinde ist, und dass Gottes Wort „gehört und befolgt wird“ (S.7). Doch, so mag man einwenden, das ganz Neue und Unerhörte der reformatorischen Theologie und Schriftauslegung waren doch gerade das „sola gratia“ und das „sola fide“, – sie nennt der Autor hier nicht explizit. Krabbe versteht das lateinische Wort „reformare“ nicht im Sinne von ›umgestalten‹ und ›erneuern‹, sondern im wörtlichen Sinne: „Es bedeutet ›zurück-bilden‹, ›zurückformen‹, ›zurück-führen‹ … es geht um eine Rückbesinnung und um einen Rekurs hin zu den Quellen ... und zu den Grundlagen der Kirche Jesu Christi ...“ (ebd.). Die Lebensbilder stellen dann das je Eigene von zwölf Personen dar sowie auch deren Beziehungen und Kontroversen untereinander. Petrus Valdès (besser bekannt unter dem Namen Waldes), John Wiclef und Jan Hus, die schon in ihrer Zeit harsche Kritik an der reichen, mächtigen und korrupten Kirche und eine konsequente Orientierung an der Heiligen Schrift wagten, kommen als Erste zu Wort. Dass unter den neun anderen sich die „Klassiker“ Luther, Zwingli und Calvin befinden, ist keine Überraschung. Des Weiteren fehlt weder der engste Mitarbeiter Luthers, Philipp Melanchthon, noch Johannes 400 Pfarrvereinsblatt 9/2016 Brenz, der Reformator Württembergs, „Luthers Mann in Südwestdeutschland“ (S.111); auch nicht zwei Mitstreiter Zwinglis, Johannes Oekolampad und Heinrich Bullinger. Was wir heute in „lutherisch“ und „reformiert“ einzuordnen pflegen – so viel wird in den Lebensbildern deutlich – war in der Frühzeit der evangelischen Kirchen ein schier unentwirrbares Geflecht von Beziehungen und Trennungen, geprägt von Versuchen, die je eigene Haltung durchzusetzen oder in manchen Streitfragen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Darum darf Martin Bucer nicht fehlen, der so unermüdlich wie vergeblich zwischen den zerstrittenen „Lagern“ zu vermitteln versuchte. Auch dem in Süddeutschland wohl weniger bekannten Johannes à Lasco ist ein Kapitel gewidmet. Ursprünglich aus Polen stammend, wurde er der Reformator Ostfrieslands. Sein Leben war von Flucht und Vertreibung gezeichnet, doch auch von vielen Begegnungen mit anderen Reformatoren unterschiedlichster Prägung. „... Ich strebe auch nicht die gleiche Form der Zeremonien an. Viel lieber möchte ich eine Art von einträchtiger Verschiedenheit beibehalten wissen ...“ (S.117). Mit diesen Worten bezeugte à Lasco eine für seine Zeit ungewöhnliche, fast schon im modernen Sinn „ökumenische“ Weite. Beschränkt man sich unter einer schier unübersehbaren Schar von Menschen, die sich durch die Jahrhunderte hindurch um Rückbesinnung und Neuorientierung in der Kirche Jesu Christi mühten, auf zwölf Personen, kann dies immer nur eine Auswahl sein. Leider werden von den vielen Frauen, die zwar in ihrer Zeit noch kei- Neuerscheinung ne Ämter bekleiden durften, aber ebenfalls enorm viel zum Fortgang der reformatorischen Bewegung(en) beigetragen haben, nur wenige, und eher beiläufig, innerhalb der Kapitel erwähnt. In Zitaten kommen die Personen selbst zu Wort – an manchen Stellen sind nur die Fundorte in der Literatur, aber nicht die genauen Quellen genannt. Die Abendmahlsfrage war damals eine der zentralen Streitpunkte, an denen sich die Geister schieden, und so thematisiert Krabbe sie an vielen Stellen. Weiteres Gemeinsames und Trennendes im Denken und Handeln dieser Personen sowie deren Beziehungen untereinander kommen zu Wort; die vielen in aller Kürze aufgezählten Informationen wirken jedoch häufig etwas unübersichtlich. Krabbe setzt bei den Leserinnen und Lesern viele Ereignisse, Personen und theologische Einsichten als bekannt voraus, da er sie nicht näher erklärt; Fachsprache wird reichlich verwendet. Das dürfte es Menschen ohne fundierte theologische und geschichtliche Kenntnisse in Gemeinde und Schule schwer machen, sich eigenständig an diese Lebensbilder zu wagen. Erschwert wird die Lektüre durch zahlreiche Klammern, Parenthesen und Aufzählungen sowie durch viel Kleingedrucktes innerhalb des Textes. Menschen mit einigem Hintergrundwissen lesen in diesem Buch zwar viel Vertrautes, jedoch entdecken sie auch so manche interessante Einzelheit. Eine ganze Reihe von „Schlussfolgerungen“, die wir heute aus der Beschäftigung mit den Reformatoren ziehen sollen, beschließt das Buch. ❚ Gesche Kruse, Wiesloch Harald Pfeiffer Martin Luthers Reise zur Heidelberger Disputation 1518 Mit einem Grußwort des Badischen Landesbischofs Prof. Dr. Cornelius-Bundschuh; Taschenbuch-Format: 88 Seiten, ausführlicher Quellennachweis. 9,50 Euro D as Bändchen dokumentiert detailliert erstmals Luthers über 500 Kilometer weite Fuß- und Wagenreise zur Heidelberger Disputation, seine neun Übernachtungsstationen (u.a. in Leipzig, Coburg und Würzburg), sein Streitgespräch im Hörsaal des Hauptgebäudes der Universität, die Wirkung auf Studenten und Professoren, die Disputationsteilnehmer, die Einladung auf dem Heidelberger Schloss bei Pfalzgraf Wolfgang, die Schlossführung mit Besichtigung der Kleinodien in der Heiliggeistkirche. Mehrere Legenden, wie die vom Dicken Turm und Luthers „Ein feste Burg“, bereichern den Text, der durch 40 Bilder lebendig wird. Ein Beitrag zum Reformationsjubiläum 2017. Zu beziehen über: Dr. Harald Pfeiffer, Wormser Straße 2, 69123 Heidelberg, Tel. 06221 883636, AB 06221 840451. Pfarrvereinsblatt 9/2016 401 Buchbesprechung Paul Geißendörfer (Hg.) Kirchen und Klöster der Zisterzienser in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das evangelische Erbe in ökumenischer Nachbarschaft, Kunstverlag Josef Fink, 2. Aufl. 2016, 320 Seiten, 24 Euro D ie „Gemeinschaft Evangelischer Zisterzienser – Erben in Deutschland“, zu der sich im Jahr 1992 auf Initiative von Pfarrer Paul Geißendörfer (Heilsbronn) 120 evangelische Gemeinden zusammengeschlossen haben, hat sich zum Ziel gesetzt, das reiche spirituelle Erbe der mittelalterlichen Zisterzienserbewegung neu zu entdecken und den Gemeinden zu ihrem Nutzen zu vermitteln. 87 Gemeinden, Klöster, Konvente und Kommunitäten an Zisterzienserkirchen in Deutschland werden vorgestellt, 11 in Österreich, 5 in der Schweiz, eines je in Dänemark und in Südtirol, sowie 14 katholische Klöster der Zisterzienser mit bestehenden Konventen. Vorgelegt wird ein Kompendium, in dem jedes Kloster beschrieben wird, mit einem Überblick über die Geschichte, die Kunstausstattung, die aktuelle Situation mit Angaben über Gottesdienste, Führungen und Öffnungszeiten. Dieser Reiseführer vereint also touristische Attraktionen und Angebote religiösen Lebens. In den Begleittexten zeigen prominente Autoren die ökumenischen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte mit diesem spirituellen Erbe 402 Pfarrvereinsblatt 9/2016 der Zisterzienser. Dem alphabetischen Index der Klöster geht eine gründliche Darstellung der Geschichte des Zisterzienserordens voraus von den Anfängen bis zur Gegenwart, geschrieben von Arnd Friedrich. In ihr wird deutlich, wie bedeutend und wirkkräftig der Zisterzienserorden seit seiner Gründung bis in die Gegenwart war – und auch heute noch ist. Dann erfolgt die Aufzählung von A wie Altenberg bis Z wie Zinna für die deutschen evangelischen, und von Birnau bis Zwettl, bzw. bis Wurmbach für die katholischen Klöster in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Texte sind jeweils kurz und prägnant von verschiedenen Autoren, sehr informativ und hilfreich für alle, die auf einer Reise das eine oder andere dieser geschichtsträchtigen und sehenswerten Kleinodien der gemeinsamen christlichen Geschichte besuchen und kennenlernen wollen. Eine künstlerische Besonderheit findet sich am Schluss des Buches. Es ist das Abbild einer Bronzeplastik im Altenberger Dom des Bildhauers Werner Franzen: „Der Gekreuzigte umarmt die beiden von ihm knienden und betenden Kreuzestheologen Bernhard von Clairvaux (1090 – 1153) und Martin Luther (1483 – 1546).“ Christus ist nur an den Füßen angenagelt und legt seine Arme auf die Schultern der beiden Figuren vor ihm. ❚ Klaus Schnabel, Karlsruhe "Freud und Leid" wurde in der Online-Ausgabe zum Schutz der persönlichen Daten entfernt Thema Zu guter Letzt Unsere Kirche ist offen. Treten Sie ein!
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