Sport Berner Oberländer/Thuner Tagblatt Donnerstag, 8. September 2016 Franks grosser Tag | 23 «Dann wäre ich verrissen worden» RAD Der Luzerner Mathias Frank gewinnt an der SpanienRundfahrt die 17. Etappe solo und feiert damit den grössten Erfolg seiner Karriere. Nach einer bisher für ihn enttäuschend verlaufenen Saison setzte der Luzerner Mathias Frank ein starkes Ausrufezeichen. Der Captain des Westschweizer IAMTeams gewann die 17. Etappe der Spanien-Rundfahrt mit der Bergankunft in Llucena solo. Frank hatte sich schon nach 43 von 177,5 Kilometern mit 27 anderen Fahrern vom Feld verabschiedet. Zusammen mit dem Italiener Dario Cataldo setzte sich der 29-Jährige gut 30 Kilometer vor dem Ziel vom Rest der Spitze ab. Mit einer weiteren Tempoverschärfung in der mit 3,8 Kilometern kurzen, aber extrem steilen Schlusssteigung zum Alto Mas de la Costa liess er auch seinen letzten Fluchtgefährten stehen. Am Ende rettete Frank sechs Sekunden auf den zweitplatzierten Tschechen Leopold König ins Ziel. «Ich bin sehr glücklich, denn ich wollte an der Vuelta unbedingt eine Etappe gewinnen. Ich war ja auch oft nahe dran, aber heute hat es endlich geklappt», sagte Frank, der als erster Schweizer seit Fabian Cancellara eine Vuelta-Etappe gewinnen konnte. Der Berner hatte 2013 in Tarazona im Zeitfahren triumphiert. An der Spitze des Gesamtklassements gab es keine Veränderungen. Der kolumbianische Leader Nairo Quintana führt nach wie vor 3:37 Minuten vor Chris Froome. Dahinter folgen der Kolumbianer Esteban Chaves (3:57 zurück) und der Spanier Alberto Contador (4:02). sda Matthias Frank kann seinen Sieg kaum fassen. Keystone Spirig liebäugelt mit Tokio TRIATHLON In Rio de Janeiro noch fest überzeugt, ihre olympische Triathlonkarriere beendet zu haben, kann sich Nicola Spirig (34) nun doch einen Start als Dreikämpferin 2020 in Tokio vorstellen. «Ich weiss, du kannst Gwen schlagen», sagte Trainer Brett Sutton dieser Tage zu Spirig. Diese Idee ergab für die Olympiasiegerin von 2012 in London und Olympiazweite von 2016 in Rio eine veränderte Ausgangslage. «Einen Start im Triathlon in Tokio schliesse ich nicht mehr aus», sagte Spirig an einem Podiumsgespräch von «Weltklasse Zürich» zum Thema «Spitzenleistungen um jeden Preis?». Sie habe sich noch nicht entschlossen, in welcher Form sie ihre Karriere fortsetzen werde. Möglich wäre beispielsweise auch ein Umstieg auf den Ironman. sda Märchenhafter Aufstieg: Als 47-Jährige ist Heidi Diethelm Gerber so erfolgreich und gefragt wie nie zuvor. «Das Schiessen hilft mir im ganzen Leben», sagt die Thurgauerin. SCHIESSEN Anlässlich der Schweizer Meisterschaft in Thun gesteht Olympiamedaillengewinnerin Heidi Diethelm Gerber (47), dass sie sich einst überwinden musste, eine Pistole in die Hand zu nehmen. Und die Thurgauerin, welche als 32-Jährige erstmals einen Schiessstand betrat, sagt: «Ich falle aus dem Raster.» Zwischen den Sommerspielen in Rio de Janeiro und der Schweizer Meisterschaft in Thun liegen vier Wochen. Wie hat sich Ihr Leben seit dem Gewinn der Olympiabronzemedaille verändert? Heidi Diethelm Gerber: Ich bin immer noch die Heidi. In meinem Terminkalender hat es aber weniger Freiraum, nun gucken mir Leute hinterher (lacht). Auf einmal werde ich zu «Weltklasse Zürich» eingeladen, komme im Fernsehen. Ich war schon zweimal Europameisterin – doch was das öffentliche Interesse betrifft, ging es von 0 auf 100. Das gilt es zu nutzen, nicht nur für mich selbst. Glauben Sie, das Image des Sportschiessens in der Schweiz verbessern zu können? Schiessen hat bei uns einen grossen Stellenwert. Aber nicht das Sportschiessen, sondern die traditionelle Variante, die wir vom Militär her kennen. Ich weiss, dass uns viele mit Skepsis begegnen; wir spüren nicht nur Goodwill. Allzu viel werde ich trotz der positiven Reaktionen nicht verändern können. Viele halten Schiessen für blosses Rumgeballer; einige finden, es sei kein Sport. Wie überzeugen Sie die Kritiker? Ich zeige zunächst einmal Verständnis. Für den Laien ist das, was wir tun, nicht attraktiv. Da bin ich mit den Kritikern einig. Es gibt kaum Bewegung, keine Emotionen. Da hat keiner das Gefühl, dass etwas Spannendes läuft. Und dann? Dann suche ich das Gespräch, versuche aufzuzeigen, was hinter der Leistung steckt. Hinstehen, abdrücken, das wars – so leicht geht das nicht. Wenn es die Leute selbst ausprobieren, staunen sie, wie sie den Körper im Griff haben müssen, wie viel Konzentration erforderlich ist. Schiessen ist olympisch, basta. Und weil einige wie ich nicht so grazil gebaut sind, werden falsche Schlüsse gezogen. Technik ist wichtiger als die physische Komponente? Ich begann sehr spät. Es ging quasi nur darum, ein technisches Level zu erreichen, um gut schiessen zu können. Der Körperbau, das Aussehen – das war absolut nebensächlich. Mittlerweile trainiere ich mehrmals pro Woche im Kraftraum, mache Ausdauertraining. Aber ich bin 47, viel verändern wird sich nicht mehr. Etwas sonderbar war es manchmal im olympischen Dorf in Rio. Inwiefern? Da stand ich neben diesen viel jüngeren Modellathletinnen. Klar dachte ich da manchmal: Mit der dort drüben würde ich gerne tauschen. Ich falle aus dem Raster. Klingt, als würde Sie das belasten. Nein. Es darf nicht zur Belastung werden. Äusserlichkeiten sind nicht der wichtigste Teil auf meinem persönlichen und sportlichen Weg. Aus irgendeinem Grund bin ich Schützin geworden und nicht Marathonläuferin oder Kunstturnerin. Aber es war wichtig, hatte ich in Rio Erfolg. Und wenn Sie keinen Erfolg gehabt hätten? Dann wäre ich medial verrissen worden, dann wäre die Gewichtsdebatte losgegangen. Es hätte geheissen, ich sei die unsportlichste Schweizer Teilnehmerin. Doch darauf wäre ich vorbereitet gewesen, ich hätte Antworten parat gehabt. Sie standen als 32-Jährige im Rahmen eines Firmenanlasses erstmals am Schiessstand. Wie lässt sich Ihr unglaublicher Aufstieg erklären? Als Ausnahmetalent fühle ich mich nicht. Im mentalen Bereich fällt mir noch heute vieles überhaupt nicht leicht. Ich habe sicher eine schnelle Auffassungsgabe. Vieles verdanke ich aber meinem riesigen Ehrgeiz. Brauchte es zu Beginn Ihrer Karriere Überwindung, eine Waffe in die Hand zu nehmen? «Da stand ich neben diesen viel jüngeren Modellathletinnen. Klar dachte ich da manchmal: Mit der dort drüben würde ich gerne tauschen.» Ja, es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Ich musste mich auch an den Lärm gewöhnen. Doch ich redete mir ein, dass die Pistole ein Sportgerät sei wie der Stab für den Stabhochspringer. Mit 36 wollten Sie den Bettel bereits wieder hinschmeissen . . . . . . zunächst war es sehr schnell vorwärtsgegangen. Doch dann blieb ich stehen. Ich war zu emotional, zu impulsiv; ich hätte die Pistole nach einem Fehler ab und zu gerne an die Wand geschmissen. Doch mein Mann überzeugte mich weiterzumachen. Er organisierte ein Training beim Nationaltrainer, da sah ich in eine andere Welt hinein. Es machte klick. Das Schiessen hilft mir mittlerweile im ganzen Leben. In Alltagssituationen? Klar! Im Büro hörte ich früher nach links und rechts, bekam alles mit, konzentrierte mich zu wenig. Heute lasse ich mich viel weniger ablenken. Zudem habe ich meine Emotionen viel besser im Griff. Das half mir, als mein Sohn in der Pubertät steckte. Während der Auseinandersetzungen konnte ich so eher mal sachlich bleiben, die Konfrontation vermeiden. Wie viel Mut brauchte es, als Sie vor 2 Jahren entschieden, Profi zu werden? Markus Grunder Ich fällte den Entscheid spontan – und doch hatte er sich abgezeichnet. Am Arbeitsplatz gab es einen Eklat, weil ich kündigte. Einige wunderten sich, dass ich im höheren Alter den Job aufgab, auf Geld verzichtete. Typisch schweizerische Sorgen halt. Vielleicht habe ich ein Zeichen gesetzt. Wie meinen Sie das? Man sollte sich etwas trauen im Leben. Für eine Mutter Mitte 40, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, kommt die Frage: Was nun? Es ist nicht leicht, etwas Neues anzufangen. Das Selbstbewusstsein ist womöglich nicht sehr gross. Man sollte aber an die eigenen Fähigkeiten glauben, das finde ich wichtig. Planen Sie bis zu den Sommerspielen 2020 in Tokio? Die WM 2018 in Südkorea bestreite ich sicher, danach werde ich weiterschauen. Entscheidend wird sein, wie erfolgreich ich gewesen bin. Lässt sich als Schützin eine Olympiamedaille vermarkten? Ich höre oft, meine Geschichte habe etwas Märchenhaftes. Vielleicht hilft das (lacht). Aber mal ehrlich: Es wird keiner kommen und sagen, «ich gebe dir so viel, wie du in den nächsten 4 Jahren brauchst». Interview: Philipp Rindlisbacher ZUR PERSON Bronzene Premiere: Als erste Schweizer Schützin holte Heidi Diethelm Gerber in Rio de Janeiro eine Olympia-Medaille. Keystone An den nationalen Titelkämp fen in Thun ist Heidi Diethelm Gerber (47) ihrer Favoritenrolle vollauf gerecht geworden. Mit der Sportpistole dominierte sie die Konkurrenz am Montag nach Belieben, stellte gar einen neuen Schweizer Rekord auf. Die in Märstetten lebende gelernte Hotelkauffrau ist Mutter eines erwachsenen Sohnes. Sie ist in zweiter Ehe mit dem gebürti gen Sumiswalder Ernst Gerber verheiratet, der ihr persönlicher Coach ist. Neben Olympiabronze hat Heidi Diethelm Gerber zweimal EM-Gold sowie im Vorjahr an den European Games in Baku gewonnen. phr
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