28 Milchleistung Besamungs- Rast- Zwischenkalbe

28
Tab. 12: Hohe Milchleistungen lassen sich mit guter Fruchtbarkeit vereinbaren
Abb. 32
Abb. 33
Abb. 34
Milchleistung
in kg
Besamungsindex
Rastzeit (Tage)
Zwischenkalbezeit (Tage)
< 9.000
2,04
85
410
9.000-9.999
2,07
83
403
10.000-10.999
2,01
90
408
>11.000
2,08
87
399
Abb. 35
Abb. 32: Trächtigkeitsrate und Besamungsaufwand
in Abhängigkeit von der Rastzeit (Jahnke,
2004).
Abb. 33 - 35:
Vergrößerung und Aufquellen der Schamlippen in der Vorbrunst.
29
Brunstgeschehen und
Besamungszeitpunkt
Brunstbeobachtung/
Brunsterkennung
Bei der Durchsicht von Besamungskarten im Rahmen von
Stallbegehungen fällt immer wieder auf, daß eine mangelhafte
Brunstbeobachtung die Ursache
für vermeintliche Fruchtbarkeitsstörungen ist. Auch wird in manchen Betrieben aus Angst vor den
Folgen der Energielücke in den ersten Laktationswochen den Tieren
eine zu kurze biologische Rastzeit
eingeräumt, jedoch mit erhöhtem
Besamungsaufwand (Abb. 32). Die
jährlichen Verluste durch Fehlbesamungen wegen oberflächlichen Brunstmanagements aus
Zeitnot, Desinteresse oder Unkenntnis werden in der BRD auf
rund eine Milliarde Euro geschätzt.
Öfter mal hinschauen, lohnt sich!
Vielen Milchrindhaltern muß immer
wieder bewußt gemacht werden:
Fruchtbarkeit =
Brunsterkennung + Konzeption
So ist eine mangelhafte Brunsterkennung dreimal häufiger schuld
an schlechten Besamungsergebnissen als alle anderen Faktoren.
Verpaßte Brunsten schlagen sich
in einer Verlängerung der ZKZ von
durchschnittlich 40 Tagen nieder.
Als Beispiel sei hier die Analyse
einer scheinbar fruchtbarkeits-
gestörten Herde mit über 200 Kühen genannt. MilchprogesteronUntersuchungen offenbarten jedoch, daß nur etwa 50% der Besamungen zeitgerecht durchgeführt wurden. Ein Viertel der Kühe
war bei der Besamung gar nicht
brünstig, und bei dem anderen
Viertel fand die Besamung zu früh
statt. Untersuchungen an den Tieren bestätigten, daß allein die
mangelhafte Brunstbeobachtung
die Ursache war, denn zuchthygienisch waren die Tiere gesund.
In diesem Problemkreis können
biotechnische Maßnahmen zum
Einsatz kommen z. B. in Form von
Prostaglandinen (z. B. Estrumate®,
Dinolytic®). „Hohe Milchleistungen
lassen sich durchaus mit guter
Fruchtbarkeit vereinbaren“, so der
Bericht eines Tierarztes auf einer
Agrar-Unternehmertagung in Münster (Tab. 12). Dessen Auswertung
von rund 50 Hochleistungsbetrieben ergab, daß eine gewissenhafte Brunstbeobachtung und
-kontrolle entscheidend ist, um
Hochleistungskühe rechtzeitig
trächtig zu bekommen.
Ziel der Brunstbeobachtung ist es,
die Kühe ausfindig zu machen, die
„stehen“, wenn sie von Stallgefährtinnen besprungen werden,
also eine Duldungsbereitschaft
zeigen. Dann beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Hochbrunst
mit erfolgversprechender Besa-
mung 90-95%. Bei den restlichen
5-10% handelt es sich meist um
Kühe, die bereits trächtig sind und
sich bespringen lassen, was landläufig mit „Rindern übers Kalb“
bezeichnet wird.
Der Duldungsreflex während der
Brunst umfaßt bei Kühen einen
Zeitraum von 9-18 Stunden, bei
Kalbinnen ist er um rund zwei Stunden geringer. Allerdings fällt laut
Statistik die Länge der Duldungsbereitschaft recht unterschiedlich
aus:
in 14% der Fälle
unter 4 Stunden
in 26% der Fälle
4 – 8 Stunden
in 31% der Fälle
8 – 12 Stunden
in 20% der Fälle
12 – 16 Stunden
in 9% der Fälle
16 – 20 Stunden
Zu bedenken ist, daß die Duldungsbereitschaft als wichtigstes
Symptom der Hochbrunstphase
wellenförmig oder schubartig in
Abständen zwischen 10 Minuten
und 4 Stunden verläuft. Dies ist
durch die pulsierende Abgabe von
Brunsthormonen (Östrogene) aus
der unter dem Einfluß von FSH
herangereiften Eiblase (Tertiärfollikel) in die Blutbahn zu erklären (Sekretionsperiodik).
Der Erfolg der richtigen Brunsterkennung hängt also von der Häufigkeit und jeweiligen Dauer der
Brunstbeobachtung ab. Erst mit
täglich 3 mal 30 minütiger Beobachtung ist eine Treffsicherheit der
Brunsterkennung von über 80%
gegeben. Hierbei muß sich die
Brunstkontrolle auf die Tageszeiten konzentrieren, in denen die Tiere überwiegend ihre Brunstsymptome zeigen, nämlich in den Ruhepausen frühmorgens (4.00 bis
6.00 Uhr) und spätabends (20.00
bis 23.00 Uhr), denn rund 70% der
Tiere sind bekanntlich nachts aktiv. Auf diese tieraktiven Phasen
sollte die Brunstbeobachtung konzentriert sein, ohne daß andere Arbeiten nebenher gemacht werden.
Häufig sind auch Aufsprungversuche der Tiere beim Umtreiben in
den Melkstand.
Die Vorbrunst kündigt sich unter
der Einwirkung der Östrogene mit
Vergrößerung und Aufquellung der
Schamlippen (Abb. 33 - 35) sowie
feuchtem, leicht errötetem Scheidenvorhof an. Das betreffende Tier
fällt durch unruhiges Umherlaufen
und Brüllen auf und sucht Kontakt
zu Stallgefährtinnen. Fehlorientiertes Aufspringen von vorne oder
von der Seite ist zu beobachten,
wobei es den Sprungpartner um-
30
Abb. 36
Abb. 37
Abb. 36: Verklebte Stellen an Sitzbeinhöcker und
Schwanz.
Abb. 37 + 38: Brunstgesicht und typische Verhaltensweisen.
Abb. 39: Rindernde Tiere gehören in eine von der
übrigen Herde abgetrennte Großraumbucht.
Seite 31:
Abb. 40 + 41: Glasklare, bis zum Boden fadenziehender Brunstschleim.
Abb. 42: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für die Besamung.
Abb. 43: Brunstschleim kann zu einem Fenster aufgezogen werden.
Abb. 38
Abb. 39
31
klammert und Friktionsbewegungen ausführt, die oft mit
Schleimabgang verbunden sind.
Der eigentliche Aufsprung dauert
i.d.R. nur 10 Sekunden oder weniger und wird vom Tierhalter immer
wieder übersehen. Schleimabsonderung aus der Schamspalte zeigt
sich an der verklebten Schwanzunterseite (Abb. 36), am Sitzbeinhöcker und den Schenkeln.
Brunstgesicht und typische Verhaltensweisen, wie Kopfauflegen
(Abb. 37 u. 38), Ablecken und Beriechen von Nachbartieren, Flehmen und vor allem infolge der Unruhe ein geringeres Tagesgemelk,
sind typische Brunstsymptome. Es
hat sich bewährt, rindernde Tiere
wegen der entstehenden Unruhe
und Verletzungsgefahr von der übrigen Herde in eine Großraumbucht
wegzusperren (Abb. 39).
Der optimale und erfolgreichste
Besamungszeitpunkt ist dann gegeben, wenn das brünstige Tier
beim Besprungenwerden stehen
bleibt (Besamung auf stehende
Brunst) bzw. wenn es den Duldungsreflex zeigt, dabei die Kruppe senkt und den Schwanz zur
Seite anhebt. Infolge des mehrmaligen Besprungenwerdens zeigen
sich Hautabschürfungen an
Schwanzansatz und Kreuzbein.
Als sicheres Symptom gilt, wenn
der spontane bzw. durch das „Ausräumen“ des Mastdarmes im Zuge
der Besamung abgehende Brunstschleim glasklar und bis zum Boden fadenziehend ist (Abb. 40-42).
Zur hygienischen Kontrolle kann der
Brunstschleim zu einem Fenster
aufgezogen werden (Abb. 43). Das
Vorhandensein von Eiterflocken
würde auf eine Entzündung hinwei-
sen und Blutbeimengungen auf eine
verpaßte Brunst.
Damit die Tiere ihre Brunst möglichst naturnah „ausleben“ können,
sollte das Umfeld entsprechend
gestaltet sein. Dies betrifft den
Bewegungsfreiraum und insbesondere die Bodenbeschaffenheit. Als
Weichbodenläufer zeigt das Rind
auf trockenem Erdreich (Abb. 44)
bzw. guter Weide (Auslauf) eine
längere Duldungsbereitschaft im
Vergleich zu planbefestigem Boden (Abb. 45) bzw. Spaltenboden
(Abb. 46). Klauenprobleme wirken
sich dann besonders nachteilig auf
die Brunstäußerung aus. Hochleistungstiere in Anbindehaltung
sollten zur Brunstkontrolle täglich
einen einstündigen Auslauf haben,
wie es beispielsweise kanadische
Züchter praktizieren.
Hat die Brunst ihren Höhepunkt erreicht, so kommt es unter einmaliger Freisetzung von großen Mengen an LH aus der Hypophyse bei
gleichzeitig rückläufiger FSH-Produktion zum Follikelsprung. Die Bildung von Östrogen ist somit vorbei, und die Brunstsymptome klingen ab. Aus der Eiblasenhöhle entsteht nun der Gelbkörper (Abb. 47),
der das Gelbkörperhormon (Progesteron), auch Trächtigkeitshormon
genannt, bildet.
Abb. 40
Abb. 41
Abb. 42
Abb. 43
Laut Statistik beträgt der Konzeptionserfolg im Zeitraum von 12-20
Stunden zwischen Brunstfeststellung („Duldung“) und Besamung
ca. 80% . Nach wie vor gilt für eine
erfolgreiche Besamung die Morgens-Abends-Regel. Zeigt das Tier
morgens eine gute Brunst, so ist
es abends zu besamen bzw. umgekehrt.
32
Abb. 44
Abb. 45
Abb. 46
Abb. 44: „Naturnahe“ Brunst auf Weichboden.
Abb. 45: Brunst auf planbefestigtem Boden im Auslauf.
Abb. 46: Brunst auf Spaltenboden.
Abb. 47: Morphologische Veränderungen am Eierstock während des Sexualzyklus.
Seite 33:
Abb. 48: Abbluten als wichtiger Hinweis, daß eine
Brunst stattgefunden hat.
Abb. 49 + 50: Stark gefältete Schamlippen („Progesteron-Scham“).
Abb. 51: Rückbildung des Gelbköpers und heranreifende Follikel.
Abb. 47
33
Abb. 48
Abb. 49
Sind Blutspuren oder blutiger Schleim
an Schwanz oder Schamlippen zu
sehen, so ist dies ein Hinweis, daß
sich das Tier in der Nachbrunst befindet. Denn mit der totalen Änderung der
Hormonlage kann es in der Brunst
zum Platzen feiner Blutgefäße der
Gebärmutterschleimhaut kommen.
Das Blut fließt dann nach der Hauptbrunst durch den Scheidenabschnitt
nach außen. Das Abbluten (Abb. 48)
ist für den Tierhalter ein wichtiges Indiz für den vor rund zwei Tagen stattgefundenen Eisprung. Zur Zykluskontrolle wird dieser Termin im Brunstkalender vermerkt (Tab. 13 u. Abb. 52).
Unter dem Einfluß von Progesteron
wird der Schleim zähpappig und dichtet die Gebärmutter wie ein Pfropf hermetisch gegen Keime nach außen ab.
Nunmehr tritt für ca. 14 Tage eine Ruhepause im Zyklus ein, in der keine
Sexualaktivität vorhanden ist. Der
Gelbkörper entwickelt sich in dieser
Zeit zu seiner vollen Größe und bewirkt stark gerunzelte (Abb. 49 u. 50),
fest „verschlossene“ Schamlippen
(sog. Progesteron-Scham), deren
Schleimhaut blaß und trocken ist. Bei
Trächtigkeit bleibt der Gelbkörper neun
Monate aktiv mit der Produktion von
Progesteron. Wurde das Tier nicht
trächtig, dann bildet sich unter Einwirkung von Prostaglandin der Gelbkörper ab dem 18.Tag wieder zurück
(Abb. 51), und der nächstreife Follikel
leitet durch Östrogenproduktion die
Brunst ein. Ein neuer Zyklus läuft an.
Abb. 50
Abb. 51
34
Tab. 13: Alle Beobachtungen sind im Brunstkalender einzutragen.
Januar
Januar/Februar
Februar/März
Sonntag
1
22
12
Montag
2 Alma +++ 15
23 Alma besamt
13 Alma aufpassen
Dienstag
3
24
14
Mittwoch
4
25
15 Vera aufpassen
Donnerstag
5
26
16
Freitag
6
27
17
Sonnabend
7
28 Vera 0
18
Sonntag
8
29
19
+++ =
++ =
+
=
0
=
starke, deutliche Brunst, eindeutige Symptome sofort erkennbar
weniger deutliche Brunst
schwache, undeutliche Brunst, auch bei genauer Beobachtung keine
eindeutigen Symptome erkennbar
Abgang von Blut
Abb. 52
Abb. 52: Gewissenhafte Führung des
Brunstkalenders als Herzstück
des
Fruchtbarkeitsmanagements.
Abb. 53: Elektronische Überwachung des
Fruchtbarkeitsgeschehens.
Abb. 54: Pedometer zur Messung der
Schrittzahlen bei Kühen, die sich
frei bewegen können (Laufstall).
Seite 35:
Abb. 55: Grafik einer Datensammlung der
Bewegungsaktivität einer Kuh.
Die Spitzen zeigen die erhöhte
Bewegung in den Perioden der
Vorbrunst an.
Abb. 53
Abb. 54
35
Hilfsmittel
zur Brunsterkennung
Kühe, die problemlos abgekalbt
haben, zeigen ihren ersten Eisprung nach durchschnittlich 1520 Tagen p.p., den zweiten mit 30
Tagen und den dritten Eisprung mit
50-55 Tagen p.p.
Die ersten beiden Follikelsprünge
verlaufen meist „still“, ohne äußerlich auffallende Brunstsymptome.
Laut Statistik sind ca. 75% der ersten und rund 50% der zweiten
Eisprünge stille Brunsten.
Hatten die Tiere jedoch Geburtsprobleme, so hinken sie im Mittel
mindestens um einen Zyklus hinterher und haben ihren ersten
Eisprung nach 30-35 Tagen p.p.
Unverzichtbar ist also das „Auge
des Herrn“. Mit dem Trend zu grö-
Abb. 55
ßeren Herden wachsen auch die
Anforderungen an das Herdenmanagement. Tierüberwachung
und Dokumentation zählen dann
zu den wichtigsten Arbeiten im
Tagesablauf. Für lückenlose
Fruchtbarkeitsüberwachung sind
Managementhilfen unentbehrlich.
Sie reichen von Stalltafeln im Anbindestall über verschiedene
Brunstkalender bis hin zu elektronischen Überwachungssystemen.
Die technischen Hilfsmittel können
die Brunsterkennung erleichtern
und helfen, fragwürdige Brunsten
abzuklären.
Am weitesten verbreitet ist der
Wandkalender, der in 3-WochenZyklen aufgeteilt ist, so daß eine
Brunst im Abstand von 3 Wochen
immer in der gleichen Linie oder
Zeile erscheint (Tab. 13). Neben
EDV-Kuhplaner in Verbindung mit
einem computergesteuerten Herdenmanagement (Abb. 53) wird in
vielen Betrieben nach wie vor der
bewährte Rundkalender (Fruchtbarkeitsuhr) geführt, bei dem die
einzelnen Kühe bezüglich Abkalbung, Brunsttermin und Besamung
mit verschiedenfarbigen Zetteln,
Aufklebern oder Magnetwürfeln
markiert werden (Abb. 52). Die
Übersichtlichkeit und leichte Handhabung dieses Systems ermöglicht auch anderen Betriebszugehörigen eine aktive Beteiligung
an der Brunstkontrolle.
Pedometer (Schrittzähler) am
Bein (Abb. 54) bzw. Bewegungsmelder am Halsband registrieren
die durch das „Rindern“ bedingte
Unruhe und erhöhte Bewegungsaktivität mit Wiedergabe am PC
(Abb. 55) – ein Hinweis dafür, daß
das betreffende Tier nun näher auf
Brunstsymptome zu kontrollieren
ist. Die Kombination Aktivität (Pedometer) und Milchmenge mit deren Leitfähigkeit erlaubt eine noch
sicherere Aussage darüber, ob die
Kuh rindert. Außerdem geben die
Aktivitätsmessungen einen wertvollen Hinweis auf das Wohlbefinden der Tiere. Beispielsweise lassen bei Klauenerkrankungen die
Bewegungsaktivitäten auffallend
nach. Für größere Milchrindherden
ermöglicht die Software die Erstellung von Listen mit den als brün-
stig erkannten Kühe. Neuerdings
sind auch für Jungrinder Präzisionspedometer (z.B. LemmerFullwood) im Angebot. Mit speziellen Empfängern, z.B. an Tränken
angebracht, werden die tierindividuellen Bewegungsaktivitäten erfaßt und in das Herdenmanagement-System zur Analyse
des Brunststatus übertragen.
Ferner werden zur Brunstkontrolle
farbgebende Pflaster bzw. Farbpatronen angeboten, die z.B. ab
dem 25. Tag p.p. auf den Schwanzknochen aufgeklebt werden (Abb.
56 und 57). Die unterschiedliche
Verfärbung zeigt an, ob ein Tier nur
einmal oder mehrere Male besprungen wurde. Erst wenn das betreffende Tier richtig „steht“ und mehrmals besprungen wurde, ist eine
vollständige Verfärbung zu erkennen bzw. die rote Flüssigkeit fließt
aus, wenn die Farbpatrone geplatzt
ist (Abb. 58 und 59). Allerdings muß
bei diesem System damit gerechnet werden, daß durch Reiben an
Pfosten oder durch rotierende Bürsten (Abb. 60) Pflaster/Farbpatrone
verloren gehen können. Auch
kommt es in der Praxis immer wieder vor, daß diese Brunsterkennungshilfsmittel von anderen
Stallgefährtinnen abgeleckt werden.
Da Progesteron die „Leitmelodie“
im hormonellen Geschehen des
Zyklus spielt, hat es sich in der
36
Abb. 56
Abb. 57
Abb. 58
Abb. 56: Aufkleben des Brunstpflasters auf die Haare des Schwanzknochens.
Abb. 57: Aufgeklebte Farbpatrone.
Abb. 58: Geplatzte Farbpatrone mit rotem Flüssigkeitsfleck.
Abb. 59: Durch mehrmaliges Bespringen des brünstigen Tieres wird die graue Deckschicht
des Pflasters abgerieben und die rote Farbe erscheint unverkennbar.
Abb. 60: Rotierende Bürsten lösen die Brunstpflaster bzw. -patronen.
Seite 37:
Abb. 61: Progesteronverlauf während eines Zyklus
(Farbverlauf nach Progesteron-Schnelltest
Hormonost ®).
Abb. 62: „Kein, wenig, viel Progesteron“ in der Milch
(Farbreaktion).
Abb. 63 + 64: Arbeiten mit dem Röhrenspekulum.
Abb. 59
Abb. 60
37
Praxis vielfach bewährt, den hormonellen Verlauf während eines
Zyklus (Abb. 61) mittels des MilchProgesteron-Testes nachzuweisen. Als ein einfach zu handhabender und sehr genauer Test wird von
den Milchrindhaltern gerne der
„Hormonost-Test“ der Firma Biolab/
München verwendet, der auch unter dem Begriff Stallgassen-Test
bekannt ist. Die Milchprogesteronbestimmung arbeitet auf der Basis von biochemischen Reaktionen, die den Progesterongehalt in
der Milch anhand unterschiedlicher
Farbabstufungen sichtbar machen.
Da nur äußerst geringe Hormonmengen nachzuweisen sind, ist die
Genauigkeit dieser Farbreaktion
und deren Zuordnung zu den drei
Kategorien „viel, wenig und kein
Progesteron“ (Abb. 62) ein wesentliches Qualitätskriterium für das
Testverfahren. Weil während der
Brunst kein Progesteron vorhan-
den ist, kann die Progesteronbestimmung, z.B. bei unsicheren
Brunstsymptomen, zur Brunstkontrolle eingesetzt werden. Hervorragende Dienste leistet dieser
Test zur Erkennung von Follikelzysten. Da die Bildung von Gelbkörper und Progesteron einen
Eiblasensprung voraussetzt, läßt
sich ca. 7 Tage nach der Brunst
bzw. Besamung prüfen, ob dieser
überhaupt stattgefunden hat. Ist
kein Progesteron nachweisbar,
dann hat sich auch kein Gelbkörper gebildet. Der Follikelsprung
fand also nicht statt. Die Diagnose lautet dann Follikelzyste. Wird
der entartete Follikel behandelt
und Progesteron wieder nachgewiesen, dann gilt die Behandlung
als erfolgreich.
Für viele Betriebsleiter ist der Einsatz eines Röhrenspekulums bei
schwachbrünstigen Kühen ein unentbehrliches Hilfsmittel geworden.
In Streßsituationen besteht äußerlich oft nur der Verdacht einer
Brunst. Bei näherer Untersuchung
des Scheidenraumes (Abb. 63 u.
64) kann dann doch Schleim festgestellt werden als Hinweis darauf,
daß sich das Tier in Brunst befindet. Gleichzeitig läßt sich auch
optisch die Schleimqualität beurteilen bzw. eventuelle Schleimhautentzündungen feststellen.
Während der Vorbrunst zeigt sich
zähflüssiger Schleim bei leicht
geöffnetem Muttermund, der in der
Hauptbrunst dünnflüssig ist (Abb.
65 u. 66) und beim Herausnehmen
des Spekulums lange Fäden zieht
(Abb. 67). Voraussetzung ist aber
ein peinlich sauberes Arbeiten,
damit keine Krankheitskeime von
Tier zu Tier übertragen werden.
Nach Gebrauch wird das Spekulum gereinigt, desinfiziert und steril
aufbewahrt, z.B. in einer Einwegplastikhülle.
Mittels Brunstmeßgerät (Abb. 68)
läßt sich die zyklusbedingt unterschiedliche Viskosität des
Brunstschleimes messen. Während der elektrische Widerstand
des Schleimes in der Gelbkörperphase bei ca. 45-55 Ohm liegt, fällt
er in der Östrogenphase auf Werte zwischen 25 und 35 Ohm ab und
steigt in der Nachbrunst wieder an.
Indirekt kann die Eierstockfunktion
über die Beurteilung der Schamlippenreaktion kontrolliert werden. Dieser Test beruht darauf, daß
die jeweiligen Funktionsgebilde am
Ovar (Eiblase mit Brunsthormon
bzw. Gelbkörper mit Progesteron)
die Ausformung der Schamlippen
prägen. So erscheinen bei nichtbrünstigen Tieren unter dem Einfluß des Gelbkörperhormons Progesteron die Schamlippen kurz
und „hart“ sowie stark gefältet und
liegen wie verklebt eng aneinander (Abb. 69). Nur gegen einen ge-
Abb. 61
Abb. 62
Abb. 63
Abb. 64
38
Abb. 65
Abb. 66
Abb. 67
Abb. 65: Zähflüssiger Brunstschleim bei leicht geöffnetem Muttermund.
Abb. 66: Dünnflüssiger Brunstschleim in der Hauptbrunst.
Abb. 67: Fadenziehender Brunstschleim beim Herausziehen des Röhrenspekulums.
Abb. 68: Widerstandsmessung des Brunstschleimes mittels Brunstmeßgerät.
Abb. 69: Kurz gefältelte Schamlippen (Progesteronphase).
Seite 39:
Abb. 70: Eine Schamlippe wird vorsichtig zur Seite
gezogen.
Abb. 71: Rosarote, gut durchfeuchtete Schleimhaut
des Scheidenvorhofes.
Abb. 72: Rindert sie, rindert sie nicht?
Abb. 73: Zartes Antippen der Schamlippen zur Reaktionsauslösung.
Abb. 68
Abb. 69
39
wissen Widerstand lassen sich die
Schamlippen voneinander trennen,
so daß eine blasse Schleimhaut
des Scheidenvorhofes sichtbar
wird („Progesteron-Scham“). Anders verhält es sich während der
Brunst. Unter dem Einfluß des
Östrogens sind die Schamlippen
geschwollen und lang, gut „durch-
saftet“, ohne Fältelung und fühlen
sich infolge guter Durchblutung
weich und warm an. Deshalb lassen sie sich leicht öffnen, wenn
vorsichtig eine Schamlippe zur
Seite gezogen wird (Abb. 70). Eine
glänzende, rosarote, gut durchfeuchtete Schleimhaut des Scheidenvorhofes wird sichtbar (Abb.
Abb. 70
Abb. 71
Abb. 72
Abb. 73
71). Wenn die beschriebenen Symptome der Schamlippen z. B. aufgrund von Streßeinwirkungen nicht
so eindeutig ausgeprägt sind (Abb.
72), dann sollte mittels Reaktionsauslösung nachgeholfen werden.
Durch mehrmaliges zartes Antippen der Schamlippen (Abb. 73) erfolgt über das Nervensystem eine
Sensibilisierung, so daß sich die
Schamlippen nunmehr entsprechend der jeweiligen Zyklusphase
(Follikel oder Gelbkörper) differenziert ausformen. Diese Methode
findet immer mehr Anklang unter
den Praktikern, da sie leicht durchführbar ist, wenn die Tiere nach
dem Melken im Freßgitter festgehalten werden.
Da anerkanntermaßen ein Bulle in
der Herde als zuverlässiger Brunsterkenner gilt, richten sich manche
Betriebe eine Suchbullenbox ein,
wo die Kühe den „Peepboy“ durch
ein offenes Fenster sehen können
(Sichtkontakt). „Wenn die Kuh
rindert, möchte sie zum Bullen und
schaut dabei durch das Fenster“.
Über eine Antenne am Fenster wird
die Anzahl der Besuche im PC
registriert und abgefragt, woraus
Rückschlüsse auf die Brunst gezogen werden. Die Brunsterkennungsrate läßt sich damit erhöhen.
Für meist größere Milchrindbetriebe, in denen zeitlich und fachlich begründete Unzulänglichkeiten
bei der Brunstbeobachtung Ursache für Fruchtbarkeitsstörungen
sind, wird immer wieder das OvSynch-Verfahren propagiert. Mit
dieser Technik kann ohne Brunstbeobachtung nach vorausgehender Behandlung mit GonadotropinReleasing-Hormon (GnRH) und
Prostaglandin (PG) (z. B. Estrumate ®, Dinolytic ®) der Besamungszeitpunkt festgelegt werden. Den Kühen wird am 1.Tag
GnRH gespritzt, 7 Tage später PG
und zwei Tage darauf noch einmal
GnRH. Die KB erfolgt 16-20 Stunden nach der letzten Injektion. Für
die Behandlung kommen nur gesunde Kühe in Frage, die sich am
Ende der Rastzeit befinden oder
Tiere, die 65 Tage p.p. noch keine
Brunst gezeigt haben. Die Reaktion der Praxis ist nicht einheitlich
und reicht von Begeisterung bis
Ablehnung.