© Andreas Varnhorn INTERVIE W „Wir werden die Variantenvielfalt begrenzen müssen“ Die neue Gesetzgebung macht Prüfzyklen anspruchsvoller und verteuert den Entwicklungsprozess. Das Zusammenspiel von Simulation und Prüfstand wird noch wichtiger. MTZextra sprach mit Gerald Eifler, Geschäftsführer von ElringKlinger Motortechnik, über die Zukunft von Simulation und Versuch. Dr.-Ing. Gerald Eifler (59) promovierte 1991 an der RWTH Aachen und startete bereits 1983 bei Volke Entwicklungsring. Im selben Jahr noch wechselte er zur FEV Motorentechnik, wo er vom Entwicklungsingenieur zum Gruppenleiter aufstieg. 1994 gründete er die Sänger GmbH in Taunusstein, die sich mit Steuerungs- und 6 Datentechnik beschäftigte. Seit 1997 bis heute ist Eifler Geschäftsführer der ElringKlinger Motortechnik GmbH in Idstein/Taunus. Er hat das Unternehmen in dieser Zeit zu einem Engineering-Dienstleister mit 15 dynamischen Motorprüfständen an zwei Standorten ausgebaut. MTZextra_ Der Einsatz von Simulationstools macht den Produktentwicklungsprozess schneller und kostengünstiger. Inwieweit können sie Prüfstände ersetzen? EIFLER _ Gute Simulationstools können heute Motorprüfstandsversuche teilweise oder voll ersetzen. Beispiele dafür sind HiL- oder SiL-Simulationen oder Simulationsrechnungen zur Wärmeübergangsund Strömungsberechnung im Kühlkreislauf. Das alles sind sichere Simulationen, die wir natürlich benutzen. Simulationstools können aber auch den Motorprüfstand verbessern und seinen Anwendungsbereich erweitern. Hier wären die Design of Experiment-Programme oder auch die Fahrzeuglängsdynamik-Simulation zu nennen. Mit ersterem können wir die Effektivität des Motorprüfstands bei der ECU-Applikation erheblich steigern, mit dem anderen den Straßenfahrtest vom Fahrzeug zurück auf den Motorprüfstand holen. Die ElringKlinger Motortechnik führt viele Projekte durch, bei denen Straßenfahrzyklen auf dynamische Motorprüfstände übertragen werden und das Fahrzeug vollständig simuliert wird – einfach, weil Motorprüfstände deutlich billiger sind. Was ich unterstreichen möchte ist: Es findet beides statt. Manchmal ersetzen gute Simulationsprogramme den Versuch am Prüfstand – manchmal geben sie eine zusätzliche Chance, den Motorprüfstand noch besser und umfassender einzusetzen. Prüfstand statt. Schadstoffbildung, Regenerationsprozesse und die heutigen Abgasnachbehandlungssysteme sind ebenfalls Bereiche, in denen Sie nicht alles rechnen können. Sind die Prüfstände nicht durch die RDEDiskussion im Moment ohnehin ausgelastet? Es geht ja nicht nur um die Auslastung, sondern auch darum, ob es sinnvoll ist, den heutigen Prozess so weiter zu führen. Bei der Abgasnachbehandlung im Dieselbereich durch SCR kann man natürlich die chemischen Reaktionen einer SCR-Reaktion rechnen. Am Prüf- „Jedes Simulations tool braucht seinen Abgleich mit der Wirklichkeit“ stand setzen wir das FTIR-Gerät ein, um Zwischenprodukte zu messen und zu sehen, wie der Pfad über die katalytischen Reaktionen wirklich läuft – das heißt, wir haben hier wieder diese Er gänzung von Simulation und Messung. Auch die Urea-Aufbereitung kann ich natürlich mit einer Zwei-Phasen-Berechnung absichern, aber das ersetzt keine Versuche zur NOX- und zur AmmoniakGleichverteilung. Der Prüfstand ist darüber hinaus immer ein p robates Werk- zeug, wenn in Messfahrzeugen unerklärliche Effekte auftreten. Dann muss alles in eine konditionierte Umgebung zurückgeholt werden, wo reproduzierbare Versuche gefahren werden können. Letztendlich ist der Prüfstand auch nichts anderes als ein Simulationstool, bei dem ich bestimmte Dinge nachstelle und dann Randbedingungen einhalte, die ich auf der Straße nicht einhalten kann. In Zukunft müssen die Konfiguratoren der Hersteller die sich verändernden CO2-Werte reflektieren. Wenn also der Kunde zum Beispiel eine individuelle Ausstattung für ein Modell ordert, kann sich dann sein CO2-Wert verändern? Die Anforderungen durch die ab Oktober 2017 scharf geschaltete Gesetzgebung – Stichworte WLTP und RDE – erfordern den verstärkten Einsatz von Prüfständen, Fahrzeugmessungen und Simulations-unterstützung. Und: Wir werden die Variantenvielfalt beschränken müssen. Der WLTP hat viel engere Klassifizierungen, um die einzelnen Fahrzeuge mit unterschiedlichen Motorisierungen oder Ausstattungen einzugruppieren. Allein die Daten der Nachweise und der Homologation zu verwalten, ist für Hersteller und Kraftfahrt-Bundesamt kaum beherrschbar. Selbst wenn der Kunde eine bestimmte individuelle Ausstattung wünscht, wird der Hersteller diese Variante nicht homologieren. Es ist dann Werden Prüfstände künftig mehr zur Endabnahme eingesetzt oder verschwinden sie sogar ganz vom Markt? Idealerweise sollten sich die Ergebnisse von Simulationen und Motorprüfstand immer ergänzen – im Sinne eines schnellen und sicheren Entwicklungsprozesses. Und das machen wir heute mit Erfolg. Aus meiner Sicht ist der Prüfstand ein ganz wichtiger Baustein für die Entwicklung. Für mich liegt der Zeitpunkt, zu dem wir den Prüfstand wirklich nur noch zur Endabnahme brauchen, in weiter Ferne. Ein Bereich, der sich aus meiner Sicht der Simulationstechnik entzieht, ist die Brennverfahrensentwicklung. Man setzt dort natürlich auch Simulationsrechnungen ein, aber die Brennverfahrensentwicklung findet noch sehr stark auf dem © Andreas Varnhorn Was sind typische Aufgaben bei der Antriebsund Fahrzeugentwicklung, für die Prüfstände unverzichtbar sind? „Idealerweise sollten sich Simulationen und Motorprüfstand immer ergänzen – im Sinne eines schnellen und sicheren Entwicklungsprozesses“, umreißt Eifler die Arbeitsteilung September 2016 Prüfstände und Simulation für Antriebe 7 INTERVIE W dem Kunden überlassen, ob er eine Sonderzulassung durchführen möchte. Wie erleben Sie das Zusammenwachsen von Simulation und Test? Wo gibt es noch Hindernisse oder Herausforderungen? Nochmals zum Zusammenwachsen von Simulation und Test: Ist es die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, die mit unterschiedlichen Werkzeugen zustande kommen, oder sind es die Menschen? Letztendlich liegt es an den Menschen, das Ganze positiv zusammenzufügen. Wir kennen alle diese Situation, wenn bei der Simulationsrechnung andere Ergebnisse heraus kommen als am Prüfstand gemessen wurden. Letztendlich ist es die Aufgabe der Ingenieure, den Ursachen auf den Grund zu gehen, um dann das Simulationstool zu verbessern. Der Gesetzgeber möchte die Zulassung realitätsnäher gestalten. Damit müssen die Verhältnisse der Straße auf Prüfständen abbildbar sein. Hat das Auswirkungen auf die Konzepte von Prüfständen? „Für mich ist klar, dass die Hersteller, Zulieferer und Dienstleister investieren müssen, um die Anforderungen der RDE-Gesetzgebung zu bestehen“, ist sich Eifler sicher Natürlich. Die RDE-Gesetzgebung hat ein sehr umfassendes Spektrum, in dem wir Messfahrten durchführen. Wir testen seit zwei Jahren bis in 1300 m Höhe, bei Temperaturen von –7 bis +35 °C sowie bei unterschiedlichen Topografie- und Last-Profilen. Vieles davon können wir heute am dynamischen Motorprüfstand nachstellen. Bei Höhenprüfständen und Kältekammern beispielsweise sind enorme Investitionen erforderlich, um die Testergebnisse wieder in eine reproduzierbare und konditionierte Umge- „Der Produktent stehungsprozess wird teurer werden“ bung zurückzuholen. Aber trotz allem ist der dynamische Motorprüfstand wahrscheinlich das billigere Werkzeug, als ganze Fahrzeugprüfstände mit Höhenkammer und Klimakammer zu versehen. Für mich ist klar, dass Hersteller, Zulieferer und Dienstleister investieren müssen, um die Anforderungen der RDE-Gesetzgebung zu bestehen. © Andreas Varnhorn Die Prüfzyklen werden anspruchsvoller. Macht das den Produktentwicklungsprozess langsamer und teurer? Wie kann das kontrolliert und eingwschränkt werden? Für Eifler werden die elektrifizierten Antriebs stränge die Komplexität an den Prüfständen erhöhen, insbesondere auf Seiten der Messtechnik 8 Der Produktentstehungsprozess wird teurer werden. Ob er langsamer wird, ist noch die Frage. Natürlich sind diese Prüfungen zeitlich aufwendig. Der europäische Fahrzyklus dauert 20 min plus eine nachgeschaltete Auswertung. Der WLTC-Test dauert schon 30 min und ist © Andreas Varnhorn Abgesehen von den Bereichen SiL und HiL hat sich für mich seit 30 Jahren eigentlich nichts geändert. Jedes Simulationstool braucht seinen Abgleich mit der Wirklichkeit und eine Bestätigung. Danach kann ich mit ihm natürlich sehr preiswert und enorm schnell ParameterVariationen durchführen und dann vielversprechende Varianten am Prüfstand testen. Das heißt, auch hier haben wir das beste Ergebnis, wenn sich Prüfstand und die Simulationsrechnung ergänzen. Ich denke, diese Vorgehensweise wird auch in 20 Jahren noch Bestand haben. von daher schon teurer und ein RDEZyklus dauert 90 bis 120 min. Die Menge der dabei in Testfahrten und an Prüfständen anfallenden und auszuwertenden Daten ist natürlich enorm und bedeutet einen hohen Zeitaufwand. Allerdings begrenzt die zu erwartende Einschränkung der Variantenvielfalt wiederum den Zeitaufwand. Klassische, elektrifizierte und elektrische Antriebsstränge müssen in immer mehr Karosserievarianten integriert werden. Wie kann der Entwicklungsingenieur diese Datenflut noch beherrschen? Die elektrifizierten Antriebsstränge werden die Komplexität an den Prüfständen erhöhen, insbesondere auf Seiten der Messtechnik. Aber auch da gehe ich davon aus, dass die Variantenvielfalt sich nach dem Machbaren ausrichtet. Es gibt letztendlich ein paar Unternehmen auf dem Markt, die solche elektrischen Komponenten für den Hybridantrieb herstellen. Hier sind zum Beispiel Bosch, Continental, ZF, Schaeffler und Valeo zu nennen. Aber sie werden keine unendliche Vielfalt von Elektroantrieben, kombiniert mit einer unendlichen Vielfalt von Verbrennungsmotoren anbieten. Deswegen werden wir auch keine unvorhergesehen große Datenflut an den Prüfständen erzeugen, sondern sehr genau wissen, was zu m essen ist, welche Prozeduren abgefragt werden müssen und welche Messgrößen mitgezogen werden. Es ist eher die Überprüfung im Feld, die mehr Daten erfordert. Herr Dr. Eifler, herzlichen Dank für das Gespräch! INTERVIEW: Dr. Alexander Heintzel
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