1. symphoniekonzert - Staatskapelle Dresden

2.9.16, 20 Uhr · 3.9.16, 19 Uhr
Semperoper
1. SYMPHONIEKONZERT
Christian
THIELEMANN
Daniil
TRIFONOV
MOZART
Klavierkonzert C-Dur KV 467
BRUCKNER
Symphonie Nr. 3 d-Moll
2.9.16, 20 Uhr · 3.9.16, 19 Uhr
Semperoper
1. SYMPHONIEKONZERT
Christian
THIELEMANN
Daniil
TRIFONOV
1. SYMPHONIEKONZERT
FR EITAG
2.9.16
20 UHR
S A M STAG
3.9.16
19 U H R
PROGRAMM
SEMPEROPER
DRESDEN
Christian Thielemann
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Dirigent
Klavierkonzert C-Dur KV 467
1. Allegro maestoso
2. Andante
3. A llegro vivace assai
Daniil Trifonov
Klavier
PAU S E
Anton Bruckner (1824-1896)
Symphonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 (1877)
1. Gemäßigt, mehr bewegt, misterioso
2. Andante. Bewegt, feierlich, quasi Adagio
3. Scherzo. Ziemlich schnell – Trio. Gleiches Zeitmaß
4. Finale. Allegro
Trifonovs Mozart
Zu Beginn der neuen Spielzeit setzt Christian Thielemann seine Auseinandersetzung mit dem symphonischen Werk von Anton Bruckner fort.
Der dritten Symphonie ist wiederholt nachgesagt worden, Impressionen
eines Gebirges hervorzurufen. Bruckners Streifzüge in ein unwegsames
Gelände bieten landschaftliche Ausblicke von schroffer Schönheit, die in
Mozarts beliebtem C-Dur-Klavierkonzert von dem vielfach bewunderten
Capell-Virtuosen Daniil Trifonov harmonisch aufgefangen werden.
Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn
im Foyer des 3. Ranges der Semperoper
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An beiden Konzertabenden signiert Daniil Trifonov in
den Konzertpausen CDs im Oberen Rundfoyer
1. SYMPHONIEKONZERT
Christian Thielemann
CHEFDIRIGENT DER
S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
D
ie Saison 2016 / 2017 ist Christian Thielemanns fünfte Spielzeit
als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle. Über Stationen
an der Deutschen Oper Berlin, Gelsenkirchen, Karlsruhe,
Hannover und Düsseldorf kam er 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. 1997 kehrte der gebürtige Berliner in
seine Heimatstadt als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin
zurück, bevor er das gleiche Amt von 2004-2011 bei den Münchner Philharmonikern innehatte. Neben seiner Dresdner Chefposition ist er seit
2013 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg, deren Residenz­
orchester die Staatskapelle ist, und seit Juni 2015 Musikdirektor der
Bayreuther Festspiele. Den Komponistenjubilaren der Jahre 2013 und
2014, Wagner und Strauss, widmete er sich am Kapell-Pult in Konzert
und Oper. Er leitete Neuproduktionen der »Elektra« in Dresden sowie
»Parsifal«, »Arabella« und »Otello« in Salzburg. Für seine Interpretation
der »Frau ohne Schatten« bei den Salzburger Festspielen 2011 wählte ihn
das Fachmagazin Opernwelt zum »Dirigenten des Jahres«.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet Christian Thielemann mit
den Berliner und Wiener Philharmonikern sowie mit den Bayreuther
Festspielen, die er seit seinem Debüt im Sommer 2000 (»Die Meistersinger von Nürnberg«) alljährlich durch maßstabsetzende Interpretationen prägt und deren musikalischer Berater er seit 2010 ist. 2015 und
2016 fand hier sein Dirigat von »Tristan und Isolde« große Beachtung.
Im Zuge seiner vielfältigen Konzerttätigkeit folgte er Einladungen u. a.
der führenden Orchester in Amsterdam, London, New York, Chicago
und Philadelphia und gastierte außerdem in Israel, Japan und China.
Christian Thielemanns Diskographie als Exklusivkünstler der
UNITEL ist umfangreich. Im Rahmen seiner zahlreichen Aufnahmen
mit der Staatskapelle erschienen jüngst der gemeinsame Brahms-Zyklus,
Bruckners Symphonie Nr. 5 sowie Strauss’ »Elektra« und »Arabella« auf
CD bzw. DVD. Mit den Wiener Philharmonikern legte er eine Gesamteinspielung der Symphonien Beethovens vor. Er ist Ehrenmitglied der
Royal Academy of Music in London sowie Ehrendoktor der Hochschule
für Musik »Franz Liszt« Weimar und der Katholischen Universität
Leuven (Belgien). Im Mai 2015 wurde ihm der Richard-Wagner-Preis der
Richard-Wagner-Gesellschaft der Stadt Leipzig verliehen.
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1. SYMPHONIEKONZERT
Daniil Trifonov
C A P E L L - V I R T U O S 2 0 1 6 | 2 0 17
D E R S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
D
aniil Trifonov ist einer der leuchtendsten Namen der jungen
Pianistengeneration. Mit einer Mischung aus Kraft und
Poesie zeugt sein Klavierspiel von einer einzigartigen Begabung. 1991 in Nischni Nowgorod geboren, trat er als Achtjähriger erstmals mit einem Orchester auf. Später studierte
er an der renommierten Gnessin-Musikschule in Moskau bei Tatiana
Zelikman. 2008 gewann der 17-Jährige den fünften Preis beim Vierten
Internationen Skrjabin-Wettbewerb in Moskau. Im Jahr darauf nahm
er auf Tatiana Zelikmans Empfehlung ein Klavierstudium bei Sergei
Babayan am Cleveland Institute of Music auf, wo er auch Kompositionsunterricht erhielt. 2011 gewann er den 13. Internationalen RubinsteinKlavierwettbewerb in Tel Aviv, dann sicherte er sich den Ersten Preis
und den Grand Prix beim 14. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb
in Moskau. Dort verlieh man ihm zudem den Publikumspreis und den
Preis für die beste Aufführung eines Mozart-Konzerts.
»Was er mit seinen Händen macht, ist technisch unglaublich«,
schwärmte ein Kommentator kurz nach seinem Triumph im Finale des
Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerbs. »Hinzu kommt sein Anschlag –
er hat Zartheit und auch das dämonische Element. Ich habe so etwas
noch nie gehört.« Diese Äußerung stammt nicht von einem professionellen Kritiker, sondern von einer der größten lebenden Pianistinnen,
Martha Argerich. Beeindruckt stellt sie fest, ihr junger Kollege verfüge
über »alles und noch mehr«. Seither bereist der Ausnahmepianist
die ganze Welt. Er musiziert mit vielen der weltbesten Orchester und
Dirigenten in zahlreichen renommierten Konzertsälen und bei angesehenen Festivals. Im Juli 2015 erklärte die Londoner Times Trifonov
zum »erstaunlichsten Pianisten unserer Zeit«. Seine Aufführung von
Prokofjews Klavierkonzerten Nr. 1 und Nr. 3 mit dem London Symphony
Orchestra unter Valery Gergiev bildete einen der Höhepunkte bei den
BBC Proms 2015.
Daniil Trifonov ist Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon.
Im Rahmen seiner Residenz bei der Sächsischen Staatskapelle wird er mit
Klavierkonzerten von Mozart und Ravel, einem Klavierrezital sowie als
Kammermusiker bei den Osterfestspielen Salzburg zu erleben sein.
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1. SYMPHONIEKONZERT
Wolfgang Amadeus Mozart
* 27. Januar 1756 in Salzburg
† 5. Dezember 1791 in Wien
»HIER IST DOCH GEWIS
DAS CLAVIERLAND!«
Zu Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 467
Klavierkonzert C-Dur KV 467
1. Allegro maestoso
2. Andante
3. A
llegro vivace assai
ENTSTEHUNG
BESETZUNG
Februar / März 1785
Flöte, 2 Oboen, 2 Fagotte,
2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken,
Klavier und Streicher
U R AU F F Ü H R U N G
10. (12.) März 1785 in einer
musikalischen Akademie im
k.k. National-Hof-Theater Wien
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DAU ER
ca. 30 Minuten
Es ist, als feiere der europäische Adel sich noch einmal selbst – in vollen
Zügen, genusssüchtig, repräsentativ. Das alte, vorrevolutionäre Weltbild
scheint trotz mancher Risse unverrückbar. Die von Gottes Gnaden abgeleitete Ordnung bestimmt weiterhin die Verhältnisse, wonach zwischen
oben und unten, Adel und Bürgertum geschieden wird. Indes gerät die
Grenzlinie in den Jahren vor der Französischen Revolution zusehends
unter Druck. Jene, die weniger begünstigt sind, streben danach, mit
den Begünstigten gleichauf zu stehen, treten selbstbewusster auf und
fordern ihre Rechte ein. Die Hierarchien kommen in Bewegung. In
Salzburg bittet Mozart um seine Entlassung aus fürsterzbischöflichem
Dienst als Kapellmeister und Kammerdiener und riskiert damit einen
ungewöhnlichen Vorgang – ist es doch allein das Recht des Dienstherrn, über das Wohl und Wehe seiner Untertanen zu verfügen. Mozarts
herausforderndes Auftreten provoziert den in der Musikgeschichte wohl
bekanntesten Fußtritt in den Hintern, durchgeführt von seinem direktem
Vorgesetzten Oberstküchenmeister Graf Arco. Ein Eklat, der in den
Augen von Mozarts Vater Leopold verheerend ist, für seinen Sohn aber
den lang ersehnten Befreiungsschlag bedeutet. Mozart zieht es als freier
Musiker nach Wien. Er, der »nun immer zu componieren habe«, braucht
»einen heitern Kopf und ruhiges Gemüt«, wie er im Juni 1781 an den
Vater schreibt, und bittet ihn deshalb, nicht mehr von der »ganzen Sache«
zu sprechen. Lieber macht er seinem Vater die Vorzüge der kaiserlichen
Hauptstadt deutlich: »Die Wiener sind wohl leute die gerne abschiessen –
aber nur am Theater. – und mein fach ist zu beliebt hier, als daß ich mich
nicht Souteniren [behaupten] sollte. Hier ist doch gewis das Clavierland!«
Wien lässt ihn gewähren, schnell sind seine Werke in Kreisen des Adels
und unter Musikern bekannt und werden seine Melodien auf Wiens
1. SYMPHONIEKONZERT
Gassen gespielt. 1782, ein Jahr nach seiner Ankunft an der Donau, reüssiert er mit seinem Singspiel »Die Entführung aus dem Serail« selbst
im Theater und gewinnt die Gunst des Kaisers, der das Bühnenwerk in
Auftrag gegeben hat. Joseph II. soll nach einer »Entführung«-Aufführung
gesagt haben: »Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viele Noten,
lieber Mozart.« Worauf ihm Mozart selbstbewusst entgegnet: »Gerade
so viele Noten, Eure Majestät, als nötig sind.« Seine Musik kommt an, er
organisiert musikalische Akademien, für die er zahlreiche neue Werke
schreibt, und fährt auch in finanzieller Hinsicht Erfolge ein. Als ihn
Leopold Mozart vom 11. Februar bis 25. April 1785 in Wien besucht,
schreibt der Vater an die Tochter: »Ich glaube, daß mein Sohn, wenn er
keine Schulden zu bezahlen hat, izt 2000f. in die bank legen kann; das
Geld ist sicher da, die Hauswirthschaft ist, was Essen u. Trinken betrifft,
im höchsten Grad ökonomisch.« Während seines Wiener Aufenthalts
wird Leopold Mozart mehrfach Zeuge, wie die Musik seines Sohnes
bei unterschiedlichen Anlässen gefeiert wird. Ein längerer Auszug aus
seinem Brief vom 14. Februar fängt die Atmosphäre ein, in der sein Sohn
zu dieser Zeit lebt und arbeitet: »Den nämlichen freÿtag abends fuhren
wir um 6 uhr in sein [Mozarts] erstes subscriptions Concert, wo eine
grosse versammlung von Menschen von Rang war. iede Person zahlt für
diese 6 FastenConcert einen Souvrain d’or oder 3 dugatten. Es ist auf der
Mehlgrube; er zahlt für den Saal iedesmahl nur einen halben Souvrain
d’or. das Concert war unvergleichlich, das Orchester vortrefflich, außer
den Synfonien sang eine Sängerin vom welschen theater 2 Arien. dann
war ein neues vortrefliches Clavier Concert vom Wolfgang, wo der Copist,
da wir ankammen noch daran abschrieb, und dein Bruder das Rondeau
noch nicht einmahl durchzuspielen Zeit hatte, weil er die Copiatur übersehen musste. [gemeint ist das Klavierkonzert d-Moll KV 466, das am
11. Februar von Mozart erstmalig während eines Subskriptionskonzertes
gespielt wurde] daß nun da viele bekannte angetroffen, und mir alles
zulief, kannst dir leicht vorstellen: beÿ andern aber wurde aufgeführt.
am Samstag war abends h: Joseph Haydn und die 2 Baron Tindi beÿ uns,
es wurden die neuen quartetten gemacht, aber nur die 3 neuen die er zu
den andern 3, die wir haben, gemacht hat, – sie sind zwar ein bischen
leichter, aber vortrefflich Componiert: h: Haydn sagte mir: ich sage ihnen
vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der grösste Componist, den
ich von Person und dem Nahmen nach kenne: er hat Geschmack, und
über das die grösste Compositionswissenschaft. Am Sontag abend war
im Theater die accademie der ital: Sängerin Laschi, die itzt nach Italien
reiset. Sie sang 2 Arien, es war ein Violoncello Concert, ein Tenor und Bass
sangen ieder eine Aria und dein Bruder spielte ein herrliches Concert, das
er für die Paradis nach Paris gemacht hatte. Ich war hinten nur 2 Logen
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Der Vater: Leopold Mozart, Porträt um 1765 von Pietro Antonio Lorenzoni
von der recht schönen würtenb: Prinzessin neben ihr entfernt und hatte
das Vergnügen alle abwechslungen der Instrumente so vortrefflich zu
hören, daß mir vor Vergnügen die thränen in den Augen standen. als dein
Bruder weg gieng, machte ihm der kayser mit dem Hut in der Hand ein
Compt: hinab und schrie bravo Mozart. – als er herauskam zum spielen,
1. SYMPHONIEKONZERT
wurde ihm ohnehin zugeklatscht. – gestern waren wir nicht im Theater, –
denn es ist alle Tage Accademie.« Kein Wunder, Wien feiert Fasching
und trifft sich auf zahllosen Empfängen, wo nach Leopold Mozart nichts
anderes als »Fleischspeisen« aufgetragen werden. Am 18. Februar notiert
der Vater: »Noch hat man hier keine fastenspeiß gegeben« – stattdessen
Fasan zur Tafel »beÿm jüngern Stephani«, am Ende Austern, das herrlichste Konfekt und »viele Boutellien champagner wein nicht zu vergessen.
überall Coffeé.« Mozarts Arbeitspensum hält nach der Faschingszeit
ungemindert an. In einer Nachricht wird angekündigt: »Donnerstag
den 10ten März 1785. wird Hr. Kapellmeister Mozart die Ehre haben
in dem k.k. National-Hof-Theater eine grosse musikalische Akademie
zu seinem Vortheile zu geben, wobey er nicht nur ein neues erst verfertigtes Forte piano-Konzert spielen, sondern auch ein besonders grosses
Forte piano Pedal beym Phantasieren gebrauchen wird. Die übrigen
Stücke wird der grosse Anschlagzettel am Tage selbst zeigen.« Hinter
dem von Mozart gebrauchten Zusatzinstrument verbirgt sich eine nicht
mehr erhalten gebliebene Pedalklaviatur. Das »neue erst verfertigte
Forte piano-Konzert« meint indes das Klavierkonzert in C-Dur KV 467.
Auch dieser Akademie wohnt der Vater bei, der über die Schönheit des
Klavierkonzerts und den errungenen Beifall zu Tränen gerührt ist, wie
er seiner Tochter nach Salzburg mitteilt. Innerhalb weniger Wochen
erobert Mozart mit den beiden Klavierkonzerten KV 466 und KV 467
das »Clavierland« neuerlich im Sturm – nicht zu vergessen die Zählung
des im Dezember 1784 komponierten F-Dur-Klavierkonzerts KV 459.
Scheinbar mühelos verteidigt er seinen Platz als maßgeblicher Klavierkomponist, nachdem er bereits 1784, ein Jahr zuvor, 5 weitere Klavierkonzerte in Wien vorgelegt hat.
Zusammenbringen der Gegensätze
Haydns Bemerkung, Mozart verfüge über die »grösste Compositionswissenschaft«, galt den sogenannten Haydn-Quartetten. Das Lob trifft
auf das C-Dur-Klavierkonzert KV 467 gleichermaßen zu. Unisono wird
das erste Thema in der Streichern vorgestellt, zweimal unterbrochen
durch einen punktierten Marschgestus in den Bläsern. Auffällig in der
Melodienbildung ist eine Sechzehnteltriole, die bereits im ersten Thema
des vorangegangenen d-Moll-Klavierkonzerts KV 466 eine herausgehobene Rolle spielte und dort in einem synkopischen Umfeld auftaktig für
Ordnung sorgte, was hier zum Nachsatz einer Phrase wird. Die ersten
Themen dieser beiden Klavierkonzerte wirken wie eine Klammer und
lassen vermuten, dass Mozart mit dem C-Dur-Klavierkonzert KV 467
ein ergänzendes Gegenbild zu seinem Vorgänger schaffen wollte. In der
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Der Sohn: Mozart am Klavier, unvollendetes Ölgemälde von Joseph Lange,
vermutlich im Winter 1782 / 83
Folge gewinnt das erste Thema im Allegro maestoso (KV 467) feierliche
Züge und arbeitet mit teils theatralen, teils aus der Harmoniemusik stammenden Versatzstücken. Wie im Eingangssatz zum d-Moll-Klavierkonzert
wird auch hier das erste Thema mit vorwärtsdrängenden Synkopen
rhythmisch aufgeladen. Im Vorspiel gelingt Mozart ein überreiches
1. SYMPHONIEKONZERT
Beginn zweiter Satz (Andante), KV 467, Autograph
orchestrales Zusammenwirken mit repräsentativen, kammermusikalischen und kontrapunktischen Abschnitten. Dem Klavier bleibt nichts
anderes übrig, als sich mit gebrochenen Sechzehntel-Ketten in den
instrumentalen Fluss zu fügen. Selbst wenn das erste Thema in den Streichern wiederholt wird, schreibt Mozart einen über vier Takte währenden
Triller in der rechten Hand vor. Erst danach tritt das Klavier in vollgültigem Sinne solo auf. Neben dem Allegro-maestoso-Gestus des Orches­
ters setzt es vor allem virtuose, zuweilen lyrische Akzente.
»Die schönste Harmonie entsteht durch Zusammenbringen der
Gegensätze«, schreibt der vorsokratische Philosoph Heraklit in seinen
Fragmenten. Im hinlänglich bekannten, unerreicht schönen zweiten
Satz (Andante) scheint sich das zu erfüllen. Auch wenn man meint,
das Andante oft genug gehört zu haben, sollte man den Versuch unternehmen, es mit neuen Ohren aufzunehmen – konzentriert, rein und
ungefiltert. In diesem Sinne könnte Heraklits Stichwort des »Zusammenbringens der Gegensätze« nahe an den Begriff der »schönsten Harmonie«
heranführen. Gleich mehrfach ist das im Andante zu beobachten: Was
durch fortwährende Achtel-Triolen in den zweiten Violinen und Bratschen zunächst an untergründiger Unruhe einfließt, löst sich in eine
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größere, übergeordnete Ruhe
auf. Die Triolen der Begleitung
stehen im Kontrast zu einer sich
aufschwingenden Melodie, die
formal in Viertel, Achtel und Sechzehntel unterteilt ist. Der rhythmische Gegensatz fällt nicht ins
Gewicht, umstandslos hebt er sich
zwischen Melodie und Begleitung
auf. Mindestens ebenso auffällig
sind extreme Tonsprünge ungefähr in der Mitte des Themas. Für
einen kurzen Moment spalten sie
den melodischen Verlauf dialogisch auf, um danach zu einer
umso wirkungsvolleren harmonischen Beruhigung zu gelangen:
Die intervallische Zerklüftung
Einladung zu Mozarts Akademie
mündet in eine cantable Linie, bei
im Burgtheater, März 1785
der man das Gefühl hat, sie nie
verlassen zu haben. Dieses kunstvolle Prinzip steht für das Empfinden
der gesamten klassizistischen Epoche, in der die Lust am aufsprengenden
Detail eingebunden ist in eine übergreifende Grundstimmung. Mozart
fühlt sich im Andante jedoch kaum daran gehindert, das Hauptthema
in entfernte Tonarten zu rücken. Was er damit erreicht, ist eine Intensivierung des ohnehin schon schwebenden, entrückten Satzes. Im zwanzigsten Jahrhundert wird die Steigerung mit den Mitteln des Films noch
verstärkt. 1967 findet das Hauptthema des Andante-Satzes Eingang in Bo
Widerbergs Spielfilm »Elvira Madigan« und kann seine Popularität auf
diesem Weg weiter mehren. Das Allegro vivace ist mindestens ebenso
kunstvoll angelegt wie sein Vorgängersatz. Auf Grundlage eines heiteren
Refrainthemas fügt Mozart die Rondoform mit der Sonatensatzform
zusammen und dokumentiert damit neuerlich seine Meisterschaft in der
formalen Durchdringung. Mozart steht im Zenit seines Schaffens, nicht
nur hinsichtlich der Akzeptanz seiner Werke, sondern auch in seinem
Selbstverständnis als frei schaffender Künstler. Was er im Juni 1781 nach
seinem Weggang aus Salzburg an den Vater geschrieben hatte, nämlich
»nun immer zu componieren«, ist in wünschenswerter Weise eingetreten.
Vulkanisch schleudert er seine Produktivität hinaus und vermittelt den
Eindruck, noch lange nicht am Verlöschen zu sein.
ANDRÉ PODSCHUN
1. SYMPHONIEKONZERT
Anton Bruckner
* 4. September 1824 im oberösterreichischen Ansfelden
† 11. Oktober 1896 in Wien
»AUFFÜHREN, AUFFÜHREN,
DAS MUSS AUFGEFÜHRT WERDEN!«
Bruckners dritte Symphonie
Symphonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 (1877)
1. Gemäßigt, mehr bewegt, misterioso
2. Andante. Bewegt, feierlich, quasi Adagio
3. Scherzo. Ziemlich schnell – Trio. Gleiches Zeitmaß
4. Finale. Allegro
A
ENTSTEHUNG
BESETZUNG
1873 (erste Fassung);
1874 Überarbeitungen;
1876-78 (zweite Fassung);
1887-89 (dritte Fassung)
2 Flöten, 2 Oboen,
2 Klarinetten, 2 Fagotte,
4 Hörner, 3 Trompeten,
3 Posaunen, Pauken und
Streicher
WIDMUNG
Richard Wagner
V E R L AG
Edition Leopold Nowak
U R AU F F Ü H R U N G
in der zweiten Fassung,
vermutlich stark gekürzt, am
16. Dezember 1877 im Wiener
Musikvereinssaal mit dem
Gesellschafts-Orchester unter
Leitung des Komponisten
16
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DAU ER
ca. 60 Minuten
ller Anfang ist Suggestion, Vorstellung einer zur Welt kom­menden Aufschichtung. Eine Urszene setzt sich in Gang,
eherne Gründe geraten in Bewegung. Die Perspektive weitet
sich, gewinnt an Fläche und gibt den Blick frei auf eine ins
Monumentale versetzte Auftürmung. Man hat Bruckners
dritte Symphonie gelegentlich mit einem aufragenden Gebirge vergli­
chen, dessen unwegsames Gelände den Einzelnen verführt, nicht selten
entführt in zerklüftete Gesteinslandschaften. Wuchtige Grate säumen
archaisch anmutende Hochebenen, ihre Dimensionen vermitteln eine
Ahnung vom Erhabenen, in die sich der Betrachter zu verlieren droht.
Doch bergen derlei Bilder zumeist die Gefahr einer Verwirrung, leiten
sie doch um, weg vom Werk. Lässt man ihren assoziativen Lauf jedoch
einen Augenblick zu, eröffnen sie eine Welt, in der der Mensch aus seiner
gewohnten Orientierung geworfen ist. Genau darum geht es. Bruckner
intoniert einen Aufbruch aus der Kraft der Materie. Seine Vorliebe für
alpine Berge wie dem Großglockner mit knapp 3.800 Metern oder dem
Montblanc mit 4.800 Metern ist bezeichnend für diese Genese, die
eine Extremsituation modelliert und daraus eine Architektur ableitet.
»Wer hohe Türme bauen will, muß lange beim Fundament verweilen«,
soll Anton Bruckner einmal gesagt haben. Die Statik muss stimmen.
Pfeiler sind so einzuschlagen, dass ihre tragende Funktion zu jeder
Zeit gewährleistet ist. Im ersten Satz seiner dritten Symphonie gewinnt
Bruckner eine der stützenden Säulen aus einem Kernmotiv, das in der
Lage ist, die gebündelten Kräfte umzulenken, sie zu verteilen. Es ist der
Sprung in die Unterquart und Unteroktave – anfänglich ausgeführt von
der Solotrompete –, der absichert und die Voraussetzung schafft für den
späteren Überbau. Das Fundament wird gegossen. Im anschließenden
1. SYMPHONIEKONZERT
Aufstieg zum Ausgangston verdichtet Bruckner das begonnene Material und schließt die motivische Verlaufskurve ab. Eine Verstrebung
ist entstanden, ihr folgen weitere. Zunächst leitet Bruckner eine seiner
typischen Steigerungswellen ein, an deren Ende ein absteigendes Viertonmotiv im Unisono steht. Die kurze viertönige Linie wird später in
harmonischer Verankerung ihren ganzen Sinn entfalten, zunächst ist
sie Teil einer im Entstehen begriffenen Tragekonstruktion. Stück für
Stück erarbeitet Bruckner einen Formteil, spinnt fort, unterbricht, führt
einen anderen weiter, kehrt zum ersten zurück, setzt an und verfüllt nach
und nach die Zwischenräume. Der Komponist verfolgt das Modell einer
Entwicklung, die vor allem Zeit braucht. Langgezogene Spannungsbögen
fordern den Hörer, der zumeist auf das Ende einer in sich geschlossen
wirkenden Phrase reagiert, die bei Bruckner allerdings oft nur das Erreichen eines Zwischenschritts darstellt und gedanklich weiter trägt. Ein
Hören auf Fernsicht. Bruckners Zeitgenossen (und nicht nur sie) sind
erkennbar überfordert. Eduard Hanslick, Wiens einflussreicher Musikkritiker, bemerkt dazu im Zusammenhang mit der Uraufführung von
Bruckners zweiter Symphonie: »So zwischen Trunkenheit und Öde hin
und hergeschleudert gelangen wir ... zu keinem künstlerischen Behagen.
Alles fließt unübersichtlich, ordnungslos, gewaltsam in eine grausame
Länge zusammen.« Oft reagiert man verständnislos auf seine Musik, geht
zu ihr in Distanz. Nicht selten verlassen große Teile des Publikums den
Saal. Zum Beispiel bei der Uraufführung der revidierten Fassung seiner
dritten Symphonie am 16. Dezember 1877 im Großen Musikvereinssaal
anlässlich eines Konzerts der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien mit
dem Gesellschafts-Orchester, den heutigen Wiener Philharmonikern,
unter Leitung des Komponisten. Einen Tag später steht in der Wiener
Abendpost zu lesen: »Man kommt bei dieser Musik aus dem Kopfschütteln nicht heraus, greift sich wohl auch zeitweilig an den Puls, um sich
zu überzeugen, ob das Gehörte nicht etwa das Produkt selbsteigenen
Fiebers sei.« Ohne es zu ahnen, hält der Rezensent eine Spur in der Hand.
Der Hinweis nämlich auf den Zustand einer fieberhaften Erhitzung ist
nicht abwegig. Als Bruckner im Frühjahr und Sommer des Jahres 1873
weite Teile seiner Dritten in Wien komponiert, wird die Donaumetropole von drei herausragenden Ereignissen erfasst. Der Börsencrash im
Mai, die Weltausstellung auf dem Gelände des Praters und nicht zuletzt
die ausbrechende Cholera sind die beherrschenden Themen der Stadt.
Vielleicht will man ihre Auswirkungen in späterer Zeit verdrängen oder
zumindest nicht mehr wahrhaben, wenn der Bruckner-Biograph Max
Auer zur Uraufführung der Dritten in der Fassung von 1877 vermerkt:
»Die Musiker hatten nach der letzten Note eiligst die Flucht ergriffen, und
Bruckner stand allein inmitten des großen Podiums. Seine Noten zusam-
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Anton Bruckner, Photographie von W. Jerie, Marienbad 1873
1. SYMPHONIEKONZERT
menraffend, einen wehmutsvollen
Blick in den leeren Saal werfend,
verließ er dann den Schauplatz der
großen Niederlage.« Seine Vision
einer Dämmerung des Werdens
aus dem Geiste der Musik, ihre
Sprengung des Zeitlichen, hat
bei seinen Zeitgenossen nicht
verfangen. Einer der Zurückge­
bliebenen ist der junge, unbeirrte
Verleger Theodor Rättig, der das
Werk später herausbringen wird.
Mit dem Erstdruck der Dritten
Ende 1878 erscheint erstmalig
eine Symphonie von Bruckner,
allerdings mit einem verlegerischen Desaster: Der Verlust des
Unternehmens beläuft sich auf
Der Verleger Theodor Rättig
mehrere tausend Gulden. Im Saal
verharrt ein weiterer Gast: der 17-jährige Gustav Mahler, der angesichts
seiner Begeisterung einen vierhändigen Klavierauszug der zweiten
Fassung anfertigt.
»Wie eine unförmige glühende Rauchsäule«
Wie hatte Hanslick über Bruckners Dritte geschrieben? Die Musik
schließe mit »Wagners ›Walküre‹ Freundschaft«, um schließlich »unter
die Hufe ihrer Pferde« zu geraten: »Es bleibt ein psychologisches Rätsel,
wie dieser sanfteste und friedfertigste aller Menschen – zu den jüngsten
gehört er auch nicht mehr – im Moment des Komponierens zum Anarchisten wird, der unbarmherzig alles opfert, was Logik und Klarheit der
Entwicklung, Einheit der Form und der Tonalität heißt. Wie eine unförmige glühende Rauchsäule steigt seine Musik auf, bald diese, bald jene
groteske Gestalt annehmend.« Als Bild passt Hanslicks »glühende Rauchsäule« gut in eine Zeit, in der sich die Möglichkeiten der Materialverwertung explosionsartig vermehren. Die Jahre nach der deutschen Reichsgründung 1871 läuten in Mitteleuropa ein neues Zeitalter ein. Die Welt
wird unübersichtlicher, rückt dabei um so enger zusammen. Gewichte
verschieben sich und brechen überkommene Strukturen auf. Man spürt,
wie das Deutsche Reich, und damit auch das von ihm abgespaltene Österreich-Ungarn, auf der Suche nach einem Narrativ ist, um die nicht selten
als richtungslos empfundene Gegenwart mit zeitgemäßer Bedeutung
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aufzuladen. Als musikalischer Visionär einer heraufdämmernden Zukunft
gilt vielen dabei Richard Wagner, der von Bruckner regelrecht verehrt
wird. Die dritte Symphonie ist denn auch als »Wagner-Symphonie« in die
Musikgeschichte eingegangen. Besonders deutlich wird ihre Kennzeichnung in der ersten Fassung mit Bezügen zur »Walküre« und zu »Lohengrin«. Im Zuge der drei Versionen des Werks verkürzt sich nicht nur die
Aufführungsdauer von anderthalb auf insgesamt eine knappe Stunde,
auch fallen einige der deutlichsten Wagner-Anspielungen weg. Nicht zum
Opfer fallen ferne Bezüge zum »Tannhäuser« und zu »Tristan und Isolde«.
Das sichtbarste Zeichen der fast grenzenlosen Bewunderung ist die
Widmung der Dritten: »Sr. Hochwohlgeboren Herrn Herrn (sic!) Richard
Wagner, dem unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der
Dicht- und Tonkunst in tiefster Ehrfurcht gewidmet von Anton Bruckner.«
Im September 1873 reist Bruckner zu seinem Idol nach Bayreuth, wo
Wagner gerade mit dem Bau des Festspielhauses und der Villa Wahnfried
beschäftigt ist. Im Gepäck trägt er zwei Symphonien – die spätere Zweite
in c-Moll und die Dritte in d-Moll. Wagner gewährt dem »armen Organisten aus Wien«, so Cosima in ihrem Tagebuch, Audienz, der schließlich mit der Frage aufwartet, welche der beiden Symphonien er dem
Bayreuther Meister widmen dürfe. »Der Hochselige«, erinnert Bruckner
sich später, »weigerte sich wegen Mangel an Zeit (Theaterbau) u. sagte,
er könne jetzt die Partituren nicht prüfen, da selbst die Nibelungen auf
die Seite gelegt werden mußten. Als ich erwiderte: ›Meister, ich habe kein
Recht, Ihnen auch nur ¼ Stunde zu rauben, und glaubte nur, bei dem
hohen Scharfblick des Meisters genüge ein Blick auf die Themen, und
der Meister wissen, was an der Sache ist.‹ Darauf sagte der Meister, mich
auf die Achsel klopfend: ›Also kommen Sie‹, ging mit mir in den Salon u.
sah die 2. Sinf. an. ›Recht gut‹, sagte er, schien ihm aber doch zu zahm
gewesen zu sein (denn in Wien hatte man mich anfangs ganz zusammengeschreckt), und nahm die 3. (D-Moll) vor, u. unter den Worten, schau,
schau – a was – a was –‚ ging er die ganze 1. Abteilung durch (die Trompete hat Hochderselbe besonders erwähnt) und sagte dann: ›Lassen Sie
mir dieses Werk hier, ich will es nach Tisch (es war 12 Uhr) noch genauer
besichtigen.‹« Während des Essens lässt Wagner ein Fässchen Weihenstephaner kommen und bittet den sich sträubenden Bruckner zum Trinken.
Glaubt man Cosimas Tagebuchaufzeichnungen, so schenkt Wagner
immer von neuem ein Glas voll: »Der gute Bruckner trank und trank, trotz
Jammer und Gegenwehr, die seine musikalischen Gespräche in komischer
Weise unterbrachen.« Am nächsten Tag kann sich der wenig trinkfeste
Komponist schlechterdings nicht mehr entsinnen, welche der beiden
Symphonien vom Meister zur Widmung auserwählt wurde. Verlegen
sendet er ihm einen Zettel: »Symfonie in d Moll, wo die Trompete das
1. SYMPHONIEKONZERT
Thema beginnt«, woraufhin dieser
lakonisch antwortet: »Ja! Ja! Herzlichen Gruß!« Bruckners Devotion
soll sich auszahlen, das verspricht
ihm Wagner noch bei der letzten
Begegnung in Wien: »Verlassen Sie
sich, ich selbst werde [die Dritte]
und alle Ihre Werke aufführen.«
Dabei ist Wagner gesundheitlich
zu gezeichnet, um sein Versprechen noch umsetzen zu können.
Subjektivität ohne Beiwort
Dass Bruckners demiurgischer Zugriff im ersten Satz
umschlossen ist von Gottes
Wagner reicht Bruckner seine
Wirken, zeigt sich in den ChoralSchnupftabakdose. Schattenbild
Anklängen, die er aus dem ersten
von Otto Böhler, um 1890
Thema herausfiltert. Spätestens
hier erlangt er Klarheit über seinen
Status, gewinnt er dank einer wissenden Selbsteinschließung in Gottes
Weben bekenntnishafte Züge. Bruckner, der sich als ein aus Gott Hervorgegangener versteht, hält sich in Gottnähe auf. Mit dem Choral, im Autograph ausdrücklich als solcher bezeichnet, schließt sich die Lücke zum
Limbus, der Ort der Gottesferne. Bruckners Ansatz einer schöpferischen
Heraufkunft wird von einem naturreligiösen Impetus geleitet, beflügelt
von der Vorstellung, dass sich der Teufel vertreiben lässt, wo nach Kräften
gesungen wird, und sei es auf instrumentale Weise. In dem anfangs
von Bruckner konzipierten Naturraum hält der Mensch Einzug. Und er
bleibt dort, auch im Wissen um seine Beschränktheit. »Wer im Schatten
der Berge aufwächst, lebt in der Gegenwart des Größeren, er erfährt die
Natur als Gott, den Berg als Macht. So ist der Mensch in seiner Kleinheit
eigentlich Gottesdiener, wo er Bauer ist, und die letzte Form der Naturreligion auf deutschem Boden beschwört die Heiligkeit und Unantastbarkeit
der Berge.« (Roger Willemsen) Es wundert daher nicht, dass Bruckner im
zweiten Satz eine Subjektivität ohne Beiwort intoniert und im Ausdruck
Formen gestirnter Seelenfunken kreiert. Schnell beginnt man zu ahnen,
wohin es ihn treiben wird in den großen Adagio-Sätzen seiner späteren
Symphonien. Auch das Scherzo trägt deutliche Züge der nachfolgenden.
Es bleibt von den teils weitreichenden Neubearbeitungen weitgehend
unberührt – vielleicht auch deshalb, weil es von Anfang an eine günstige
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23
Seite aus dem ersten Satz, Autograph
Aufnahme bei Publikum und Kritikern findet. Bruckner arbeitet auch
hier mit energiegeladenen Steigerungswellen und rasanten Crescendoanläufen, die im Trio-Abschnitt auf robust-volkstümliche wie charmantgrazile Passagen treffen. Das Finale knüpft an die Grundpfeiler des ersten
Satzes an, namentlich an seine Fanfarenfigur. Das ausgedehnte Gesangsthema kombiniert den Gestus einer Streicherpolka mit dem Duktus eines
Bläserchorals. Dramatische Vorgänge sowie eine ausgesuchte NaturTopik treten hinzu. Erkennbar wird ein Kaleidoskop an Stimmungen.
Man gewinnt den Eindruck, einer Versuchsanordnung für einen »weltumspannenden Kosmos« beizuwohnen, in der das Gefühl für Zeit, ihre
Gliederung, in eine neue Dimension eintritt.
Bruckner und Dresden
Das beziehungsreiche Kapitel Bruckner und Dresden beginnt mit der
dritten Symphonie. Vermutlich ist es der Vermittlung des Bildhauers
Gustav Adolph Kietz zu verdanken, dass am 11. Dezember 1885 mit der
Dritten unter Ernst von Schuch erstmals ein Werk von Bruckner in der
Elbresidenz erklingt. Kietz, in Leipzig geboren und 1908 in Laubegast
1. SYMPHONIEKONZERT
M
eister Wagner ließ sich erbitten, u.
durchblätterte langsam die Partitur.
Da er großes Interesse zeigte, bath ich,
selbe dediciren zu dürfen. Doch erst
Abends, nachdem der große Meister
das Werk vollständig durchgesehen hatte, empfing mich
Wagner mit einer Umarmung, u. sprach so schmeichelhafte
Anerkennung aus, die ich dermalen wohl nie sagen, zugleich
bemerkte der Meister, mit der Dedication habe es seine
Richtigkeit, u. ich bereitete ihm damit das größte Vergnügen.
Seither habe ich auch schriftlich die so großartige Anerkennung, u. die Einladung zu den Festspielen erhalten …
Widmungsentwurf in Bruckners Taschen-Notizkalender
Vor zwei Jahren sprach der Meister bei seiner Ankunft am
Westbahnhofe vor einem großen Publikum: »Ich habe die
gestorben, ist seit 1864 Ehrenmitglied der Dresdner Akademie und
stammt aus der Schülerschaft um Ernst Rietschel. Mit diesem arbeitet
er u. a. am Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar zusammen. In Dresden
sind mit dem Gustav-Nieritz- und dem Julius-Otto-Denkmal zwei seiner
Arbeiten erhalten, beziehungsweise wieder rekonstruiert. Reichliche
drei Monate nach der Erstaufführung eines Werks von Anton Bruckner
in Dresden empfängt der Komponist nach der Wiener Premiere seiner
siebten Symphonie 1886 eine Wagner-Büste von Kietz, von der er schlicht
begeistert ist: »Ich erhielt auch am Morgen die Büste des Unsterblichen
aus Dresden, die ich unter Thränen heiß beküßte.« Die Plastik aus den
Händen eines Ehrenmitglieds der Dresdner Akademie bringt Bruckner
und den Bayreuther Meister über dessen Tod hinaus auf verklärende
Weise neuerlich zusammen. Vielleicht ist es auch diese Verbindung oder
Leidenschaft, die dazu führt, dass ausgerechnet die Dritte, Bruckners
sogenannte Wagner-Symphonie, das erste Werk des oberösterreichischen
Komponisten ist, das in der sächsischen Residenzstadt zur Aufführung
gelangt. Dass die Uraufführung der ersten Fassung der Dritten 1946
von der Staatskapelle Dresden geleistet wird, mag diese These weithin
bestärken.
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Sinfonie (N 3) neuerdings durchgesehen, sehr brav, sehr
brav, aufführen, aufführen, das muß aufgeführt werden!«
Anton Bruckner über seinen Aufenthalt in Bayreuth 1873,
autobiographische Skizze für Wilhelm Tappert, 1. Oktober 1876
1876 versuchte Bruckner, seine vierte Symphonie in Berlin
zur Aufführung zu bringen. Aus diesem Grund stand er mit
dem dortigen Musikgelehrten Wilhelm Tappert in Verbindung.
Einem Schreiben an Tappert war ein handschriftlicher Lebenslauf Bruckners beigelegt, in dem er in knappen Worten seinen
Werdegang vom Schulgehilfen bis zum Lektor an der Universität Wien schildert.
ANDRÉ PODSCHUN
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1. SYMPHONIEKONZERT
1. Symphoniekonzert 2016 | 2017
Orchesterbesetzung
1. Violinen
Kai Vogler / 1. Konzertmeister
Michael Eckoldt
Federico Kasik
Michael Frenzel
Christian Uhlig
Volker Dietzsch
Jörg Kettmann
Susanne Branny
Birgit Jahn
Martina Groth
Wieland Heinze
Anja Krauß
Anett Baumann
Annika Thiel
Anselm Telle
Franz Schubert
2. Violinen
Heinz-Dieter Richter / Konzertmeister
Holger Grohs / Konzertmeister
Matthias Meißner
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Ulrike Scobel
Olaf-Torsten Spies
Alexander Ernst
Mechthild von Ryssel
Emanuel Held
Kay Mitzscherling
Martin Fraustadt
Robert Kusnyer
Yukiko Inose
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Bratschen
Michael Neuhaus / Solo
Stephan Pätzold
Anya Dambeck
Michael Horwath
Uwe Jahn
Ulrich Milatz
Zsuzsanna Schmidt-Antal
Susanne Neuhaus
Juliane Böcking
Luke Turrell
Björn Sperling**
Torsten Frank*
Violoncelli
Friedwart Christian Dittmann / Solo
Simon Kalbhenn / Solo
Martin Jungnickel
Uwe Kroggel
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Jakob Andert
Anke Heyn
Titus Maack
Aleisha Verner
Kontrabässe
Andreas Wylezol / Solo
Torsten Hoppe
Helmut Branny
Christoph Bechstein
Fred Weiche
Reimond Püschel
Thomas Grosche
Johannes Nalepa
Flöten
Rozália Szabó / Solo
Bernhard Kury
Oboen
Céline Moinet / Solo
Sibylle Schreiber
Posaunen
Uwe Voigt / Solo
Jürgen Umbreit
Frank van Nooy
Pauken
Manuel Westermann / Solo
Klarinetten
Robert Oberaigner / Solo
Dietmar Hedrich
Fagotte
Joachim Hans / Solo
Erik Reike
Hörner
Jochen Ubbelohde / Solo
David Harloff
Julius Rönnebeck
Lars Scheidig**
Trompeten
Mathias Schmutzler / Solo
Helmut Fuchs / Solo
Sven Barnkoth
Gerd Graner
* als Gast
** als Akademist / in
1. SYMPHONIEKONZERT
Vorschau
Gustav Mahler Jugendorchester
Auf Einladung der
Sächsischen Staatskapelle Dresden
S A M S TAG 3.9.16 11 U H R
S E M P ER O P ER D R E S D E N
Philippe Jordan Dirigent
Christian Gerhaher Bariton
Johann Sebastian Bach
Kantate »Ich habe genug« BWV 82
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 9 d-Moll
Sonderkonzert am Gründungstag
der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Im Rahmen des Bachfestes Dresden
D O N N ER S TAG 2 2 .9.16 2 0 U H R
Alessandro De Marchi Dirigent
Emily Dorn Sopran
Christina Bock Mezzosopran
Levy Sekgapane Tenor
Evan Hughes Bassbariton
Vocal Concert Dresden
Johann Sebastian Bach
Orchestersuite Nr. 1 C-Dur BWV 1066
Sofia Gubaidulina
»Meditationen über den Bach-Choral
›Vor Deinen Thron tret ich hiermit‹«
Johann Gottlieb Naumann
Missa Nr. 18 d-Moll
Zum 275. Geburtstag des Komponisten
1. SYMPHONIEKONZERT
IMPRESSUM
Sächsische
Staatskapelle Dresden
Künstlerische Leitung/
Orchesterdirektion
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2016 | 2017
H E R AU S G E B E R
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© September 2016
R E DA K T I O N
André Podschun
G E S TA LT U N G U N D L AYO U T
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
DRUCK
Union Druckerei Dresden GmbH
ANZEIGENVERTRIEB
Christian Thielemann
Chefdirigent
Katharina Riedeberger
Persönliche Referentin
von Christian Thielemann
Jan Nast
Orchesterdirektor
Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg,
Künstlerische Planung
André Podschun
Programmheftredaktion,
Konzerteinführungen
Matiss Druvins
Assistent des Orchesterdirektors
EVENT MODULE DRESDEN GmbH
Telefon: 0351 / 25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
Elisabeth Roeder von Diersburg
Orchesterdisponentin
T E X T N AC H W E I S E
Agnes Thiel
Dieter Rettig
Vincent Marbach
Notenbibliothek
Der Artikel zu Mozarts KV 467 ist ein Originalbeitrag. Erstveröffentlichung im Sonderkonzert
der Sächsischen Staatskapelle Dresden zu
Rudolf Buchbinders 70. Geburtstag im Januar
2016. Der Text zu Bruckners Dritter ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft. Zitat S. 25:
Anton Bruckner, Hoforganist … Ein Lebenslauf,
kommentierte Faksimileausgabe des Briefes
vom 1.10.1876 an Wilhelm Tappert, herausgegeben von Theophil Antonicek, Andreas Lindner
und Klaus Petermayr, Linz 2010.
Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH
RICHARD-WAGNER-STÄTTEN GRAUPA
Richard-Wagner-Straße 6 · 01796 Graupa
Tel.: 03501 4619650 · www.wagnerstaetten.de
Matthias Claudi
PR und Marketing
Matthias Gries
Orchesterinspizient
Veranstaltungen
im Jagdschloss Graupa
So | 25. Sept. | 11 Uhr | Konzertsaal
Tickets für alle Veranstaltungen unter
www.ticket.pirna.de
So | 16. Okt. | 16 Uhr | Konzertsaal
B I L D N AC H W E I S E
Matthias Creutziger (S. 4); Dario Acosta
Photography / DG (S. 7); Stiftung Mozarteum
Salzburg (S. 11); Volkmar Braunbehrens, KarlHeinz Jürgens, Mozart. Lebensbilder, Bergisch
Gladbach 1990 (S. 13, 15); www.themorgan.org/
music/manuscript/115396, aufgerufen im
De­zember 2015 (S. 14); Anton Bruckner, Ein
Handbuch, herausgegeben von Uwe Harten,
Salzburg und Wien 1996 (S. 19, 20, 22-24)
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Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E
DER flIEGENDE HollÄNDER
MEISTERWERkE DES fIN DE SIéClE
Eine Kinderoper zum Zuhören und Mitmachen mit Sprecherin Norma Strunden,
Solisten der Hochschule für Musik, dem Kinderchor der Anna-Magdalena-Bach-Grundschule Leipzig und Irina Roden, die die stürmische Kinderfassung am Flügel illustiert.
Yuki Manuela Janke und Johannes WulffWoesten spielen bei diesem Duoabend für
Violine und Klavier Meisterwerke von Igor
Strawinsky, Richard Strauss, César Franck
und Maurice Ravel - eine besonder und
schöne Mischung.
Eintritt: 14 Euro, erm. 10 Euro, Kinder 5 Euro
Eintritt: 16 Euro, erm. 12 Euro
weitere Informationen unter Tel. 03501 461965-0 und www.wagnerstaetten.de