Presseinformation Oktober 2016

Presseinformation
Oktober | November 2016
Über das derzeit laufende September/Oktober-Programm des Filmmuseums haben wir Sie bereits
in unserer letzten Presseaussendung informiert. Es präsentiert bis inklusive 12. Oktober den zweiten
Teil einer umfassenden Retrospektive zum französischen Kriminalfilm („Wahl der Waffen“),
Programme über die „Münchner Gruppe“ der späten 1960er Jahre (ab 22.9.) und zum Werk der
großen Dokumentaristin Helga Reidemeister (ab 5.10.) sowie am 13.10. die Premiere von Ross
Lipmans Notfilm (2015) im Zusammenspiel mit dem restaurierten Film (1965) von Samuel Beckett,
Alan Schneider und Buster Keaton.
Am 14. Oktober beginnt die gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Filmmuseums:
Ein zweites Leben. Sie widmet sich keinem Thema, sondern vielen. Anders gesagt: Sie feiert den
Reichtum der Formen, in denen das 100-jährige Erzählkino seine Themen und Motive variiert.
Ein zweites Leben
Thema und Variation im Film
Das dominante Bild des Kinos, heute, vermittelt den Eindruck einer armen Monokultur. Das ist die
Formel: immer knapper aufeinander folgende Neuauflagen erfolgreicher Stoffe und Figuren„Universen“, serielle Fortsetzungen in Wiederholungsschleife. Das Industrie-Vokabular hat sich dabei
in alle Bereiche des Kinodiskurses fortgepflanzt. Zum allgegenwärtigen Remake kommen Begriffe,
die jegliche „Neuheit“ mit dem bedrückenden Signum der Ideenlosigkeit versehen: Reboot, Sequel,
Spin-off, Relaunch und zuletzt Re-quel – Fortsetzung und Remake in einem.
Die Retrospektive Ein zweites Leben hält dieser Tendenz zur Gleichschaltung einen intensiven
Rückblick auf jenen Formenreichtum entgegen, mit dem das Kino seit Anbeginn ältere Stoffe neu
bearbeitet hat: eben nicht nur unter kommerziellem Kalkül, als alles verdrängende Wiederkehr des
Immergleichen, sondern als eine Option unter vielen, wobei die scheinbare Ähnlichkeit in Sujet oder
Idee den Blick schärft für die entscheidenden – die kinematografischen – Differenzen.
Am augenfälligsten ist dies bei Adaptionen derselben Literaturvorlage, die in verschiedenen
Händen, Epochen, Ländern und Tonlagen zu schillern beginnen. Shakespeares Romeo and Juliet
etwa, eines der meistverfilmten und -variierten Bühnenstücke, wird von Ernst Lubitsch in Romeo und
Julia im Schnee als Stummfilmgroteske aufs Land verpflanzt, um ebendort in Romeo und Julia auf
dem Dorfe (über den Zwischenschritt von Gottfried Kellers Novelle) als poetische Naturtragödie und
Hauptwerk des Schweizer Kinos zu reüssieren. Dashiell Hammetts Red Harvest, in den späten
1920ern das Pionierwerk des Hardboiled-Krimis, gerät viel später zur heimlichen Vorlage für
Schlüsselfilme ganz anderer Genres auf verschiedenen Kontinenten: Asien-Action in Kurosawa
Akiras Yōjimbō, Italo-Western in Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar und, als US-Krimi
heimgekehrt, Independentkino-Renaissance in Miller’s Crossing von den Coen-Brüdern.
Ähnlich vielfältig wird aus Emily Brontës berühmtem Roman William Wylers „klassische“ HollywoodVariante Wuthering Heights, Luis Buñuels surrealistisch himmelwärts geschossene Version
Abismos de pasión und Jacques Rivettes paradox geisterhafte Modernisierung Hurlevent. Ein
anderes Filmtrio zieht konsequent eine gesellschaftskritische Linie durch die Filmhistorie: Die
Standesdünkel von Douglas Sirks amerikanischem Technicolor-Rausch-Melodram All That Heaven
Allows (1956) transformiert Sirk-Verehrer Rainer Werner Fassbinder zur deutschen Gastarbeiter-
Proletenpassion Angst essen Seele auf, Todd Haynes denkt sie mit Far From Heaven in die USFifties zurück, unter Betonung damals tabuisierter Aspekte wie Rassismus und Homosexualität.
Meisterregisseure wie Ozu Yasujirō oder Alfred Hitchcock verfilmen Frühwerke aus der
Perspektive des reifen Alters nochmal, andere treten über Variationen in fruchtbaren Kontakt
miteinander: Fritz Langs Berliner Meisterwerk M (1931) erfährt zwei Dekaden später ein
unterschätztes US-Remake durch Joseph Losey (für denselben, im US-Exil gestrandeten
Produzenten, Seymour Nebenzahl). Alan Clarkes kompromissloser Killerfilm Elephant rund um den
Nordirlandkonflikt inspiriert Gus Van Sants gleichnamigen Cannes-Sieger von 2003 über ein USSchulmassaker – und Josef von Sternbergs verknappte Dostojewski-Verfilmung Crime and
Punishment mit Peter Lorre trifft, im jüngsten Film der Schau, auf eine episch-freie Transposition aus
den Philippinen: Lav Diaz’ Norte, the End of History (2013).
Auch ganz andere Zugänge sind möglich: von der inspirierten Parodie, die das „ernste“ Original in
ganz berückender Weise würdigt (etwa der Comedy-Klassiker Airplane! im detaillierten Rückgriff auf
das vergessenen Himmelsmelodram Zero Hour!) bis zur Fortschreibung einer Kinofigur ein
Vierteljahrhundert später, wie es Martin Scorsese in The Color of Money mit der Figur des (wieder)
von Paul Newman gespielten Billardprofis aus The Hustler demonstriert. Mit dem Kleinstadtkrimi
Violent Saturday und dem Bürgerkriegswestern The Raid verhandeln zwei auf den ersten Blick ganz
anders geartete, aber gleichermaßen brillante B-Pictures 1954/55 dieselben Archetypen und
Konstellationen (vermittelt auch über Autor Sydney Boehm und Darsteller Lee Marvin). Und 1953
bringen zwei große italienische Filmemacher völlig unabhängig voneinander die „Kameliendame“ auf
die Höhe der herben Nachkriegszeit: Michelangelo Antonioni und Vittorio Cottafavi.
Zu suchen bleibt stets das künstlerische Verfahren, das aus der Neubearbeitung etwas Eigenes
macht, auch dort, wo es sich auf den ersten Blick um Diebstahl handelt. Quentin Tarantino serviert
seine Rachefantasie Kill Bill: Vol. 1 unter dem extremen Einfluss des japanischen Kultfilms Lady
Snowblood. Auch die bizarre, auf einem realen Fall beruhende Grundidee des preisgekrönten
mexikanischen Films El castillo de la pureza kehrt im – ebenfalls preisgekrönten und als völlig
originär gehandelten – griechischen Film Dogtooth fast unverändert wieder. Aber statt hier über
Plagiate zu reden (und damit erst recht in einen einfallslos gleichförmigen Diskurs zu verfallen), kann
man an diesen und allen anderen Beispielen der Retrospektive spüren, dass das Kino seine Themen
und Motive nie einfach zu den Akten legt. Die Spielfilmgeschichte ist keine Buchhalterin: So man das
Kino wirklich anzupacken versteht, wird es niemals aufhören, seinen Erzählungen und Erfindungen
ein zweites, ein weiteres, ein immer wieder anderes Leben zu schenken.
Ein gemeinsames Projekt des Österreichischen Filmmuseums und der Viennale.
14. Oktober bis 30. November 2016
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Ein zweites Leben. Die Filmauswahl
Romeo und Julia im Schnee 1920, Ernst Lubitsch
Romeo und Julia auf dem Dorfe 1941, Hans Trommer
Meshi (Das Mahl) 1951, Naruse Mikio
Viaggio in Italia 1954, Roberto Rossellini
Faust: Eine deutsche Volkssage 1926, F.W. Murnau
The Devil and Daniel Webster 1941, William Dieterle
Traviata ’53 1953, Vittorio Cottafavi
La signora senza camelie 1953, Michelangelo Antonioni
M – Eine Stadt sucht einen Mörder 1931, Fritz Lang
M 1951, Joseph Losey
The Raid 1954, Hugo Fregonese
Violent Saturday 1955, Richard Fleischer
La Chienne 1931, Jean Renoir
Scarlet Street 1945, Fritz Lang
Shichinin no samurai (Die sieben Samurai) 1954,
Kurosawa Akira
The Magnificent Seven 1960, John Sturges
Pyška 1934, Michail Romm
Stagecoach 1939, John Ford
Ukigusa monogatari 1934, Ozu Yasujirō
Ukigusa (Abschied in der Dämmerung) 1959, Ozu Yasujirō
The Man Who Knew Too Much 1934, Alfred Hitchcock
The Man Who Knew Too Much 1956, Alfred Hitchcock
Wuthering Heights 1939, William Wyler
Abismos de pasión 1953, Luis Buñuel
Hurlevent 1985, Jacques Rivette
The Diary of a Chambermaid 1946, Jean Renoir
Le Journal d’une femme de chambre 1964, Luis Buñuel
To Have and Have Not 1944, Howard Hawks
Bacall to Arms 1946, Robert Clampett, Arthur Davis
The Breaking Point 1950, Michael Curtiz
The Killers 1946, Robert Siodmak
Ubijcy (Die Killer) 1956, Andrej Tarkovskij
Anni difficili 1948, Luigi Zampa
Anni facili 1953, Luigi Zampa
Le Plaisir 1952, Max Ophüls
All That Heaven Allows 1956, Douglas Sirk
Angst essen Seele auf 1974, R.W. Fassbinder
Far From Heaven 2002, Todd Haynes
The Hustler 1961, Robert Rossen
The Color of Money 1986, Martin Scorsese
Yōjimbō (Der Leibwächter) 1961, Kurosawa Akira
Per un pugno di dollari 1964, Sergio Leone
Miller’s Crossing 1990, Joel & Ethan Coen
El castillo de la pureza 1973, Arturo Ripstein
Kynodontas (Dogtooth) 2009, Yorgos Lanthimos
Shurayukihime (Lady Snowblood) 1973, Fujita Toshiya
Kill Bill: Vol. 1 2003, Quentin Tarantino
Airplane! 1980, Jim Abrahams, David Zucker, Jerry Zucker
Zero Hour! 1957, Hall Bartlett
Elephant 1989, Alan Clarke
Elephant 2003, Gus Van Sant
Crime and Punishment 1935, Josef von Sternberg
Norte, hangganan ng kasaysayan (Norte, the End of
History) 2013, Lav Diaz
Vorschau auf weitere Programme im November:
10. November 2016
Premiere: Neue Werke von James Benning
Vier Uraufführungen in Anwesenheit des Künstlers
11. bis 30. November 2016
In memoriam Abbas Kiarostami
12. bis 27. November 2016
Nachmittagskino. Nach Ilse Aichinger
Zum 95. Geburtstag der großen Schriftstellerin und Kinogeherin: Sechs lange Filmnachmittage
16. bis 18. November 2016
The Last Machine. Analoge Filmkunst aus Berlin, Paris, Wien
Im Rahmen der Vienna Art Week, mit zahlreichen Gästen
Weitere Informationen und Fotos finden Sie auf www.filmmuseum.at oder Sie wenden sich direkt an:
Alessandra Thiele, [email protected], T + 43 | 1 | 533 70 54 DW 22
Eszter Kondor, [email protected], T +43 | 1 | 533 70 54 DW 12
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