Fazit - Fachjournalist

www.fachjournalist.de
1
Fachjournalist
Dopingberichterstattung im Fußball: Das Nähe-Distan-Problem
Moritz Belmann und Paul Schönwetter · 25. August 2016
“König Fußball” regiert den deutschen Sportjournalismus und ist das
Verkaufsargument vieler Sportmedien. Doch anders als beim Radsport, in der
Leichtathletik oder beim Schwimmen wird die Frage nach Doping nicht gestellt.
Welche Mechanismen schützen den liebsten Sport der Deutschen und welche Rolle
spielen die Journalisten?
Ein Blick in die offizielle Datenbank der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland
(NADA) genügt anscheinend, um zu belegen, dass Doping im Fußball kein
flächendeckendes Problem ist. Im Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis zum 1. Juli 2016
finden sich gerade einmal sieben Einträge zu Dopingvergehen. Der hochklassigste
Spieler ist Branimir Bajic vom damaligen Zweitligisten MSV Duisburg. Der Bosnier
nahm ein verbotenes Asthmaspray seines Sohnes und meldete dieses Versehen
eigenständig der NADA. Es blieb bei einer Verwarnung. So lesen sich viele der
Meldungen, die aus dem Fußball zum Thema Doping an die Öffentlichkeit dringen.
Immer, so scheint es, war ein individueller Ausrutscher eines Spielers der
Ausgangspunkt für Dopingverstöße. Ein flächendeckendes System hinter diesen
Fällen ist nicht erkennbar. Während Aktive im Radsport und seit den Enthüllungen
von Hajo Seppelt, Journalist der “ARD/WDR”-Dopingredaktion, in der Leichtathletik
fast schon unter Generalverdacht stehen, scheint der Fußball ein Musterbeispiel für
sauberen Profi- und Leistungssport zu sein. Dementsprechend ist Doping in der
Fußballberichterstattung aktuell kein Thema.
Ganz anders sieht das Thomas Kistner, Journalist der “Süddeutschen Zeitung”. Auf
400 Seiten zeichnet der Sportjournalist des Jahres 2006 in seinem Buch “Schuss – Die
geheime Dopinggeschichte des Fußballs” ein düsteres Bild der fernen und nahen
Fußballvergangenheit sowie der Gegenwart. Das Wunder von Bern, die internationale
Dominanz von Marseille und Juventus Turin sowie das Abschneiden der russischen
Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft 2008 bringt Kistner mit
Doping in Verbindung. In seinen Recherchen zeichnet er ein ganz anderes Bild, als der
Großteil seiner Sportjournalismus-Kollegen in Deutschland.
Warum gibt es diese Diskrepanz in der Berichterstattung? Ist der Fußball als
systemrelevanter Bestandteil des Sportjournalismus “too big to fail”? Dies war die
Fragestellung unserer wissenschaftlichen Projektarbeit im Masterstudiengang
Copyright © 2016 Fachjournalist
-1/5-
25.08.2016
www.fachjournalist.de
2
Medienentwicklung an der Hochschule Darmstadt. Eine tief gehende Recherche sowie
sechs Experteninterviews mit Journalisten, Anti-Doping- und Medienexperten bildeten
die Grundlagen der Studie. Hinzu kam die Abschrift des Dopingsymposiums zu Ehren
Prof. Dr. Gerhard Treutleins, das am 25. Oktober 2015 in Nürnberg stattfand.
Der Preis der Information
Thomas Sulzer, Sportredakteur der “Bild”-Zeitung, wird im Gespräch deutlich. “Die
Nachricht ist nach wie vor der König”, so der Olympiachef der auflagenstärksten
Tageszeitung Deutschlands. Sie sei die DNA und habe daher höchste Priorität. Damit
bringt Sulzer das Dilemma in der Dopingberichterstattung im Fußball auf den Punkt.
Denn positive Dopingkontrollen, deren Ergebnisse den Nachrichtenfaktoren
entsprechen, gibt es kaum. So bleibt nur die investigative Recherche zur Aufdeckung
eventueller Missstände im Fußball. Dazu benötigen Journalisten Insider und eine
Nähe zu den Vereinen. Diese Nähe gibt es. Gerade im Boulevard.
“Wir legen viel Wert darauf, ganz nah an den Vereinen zu sein. Wenn Eintracht
Frankfurt beispielsweise ein Trainingslager auf dem Mond absolvieren würde, wären
wir dabei”, sagt Sulzer. Für Prof. Dr. Marcus Bölz, Medienprofessor an der
Fachhochschule für Mittelstand Hannover, ist diese Nähe elementar für die tägliche
Arbeit. Dadurch entstehen allerdings Abhängigkeitsverhältnisse zwischen
Protagonisten und Journalisten. Gerade in Zeiten der professionellen
Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Vereine. “Sie müssen jeden Tag diesem Druck
standhalten, ein bis zwei Seiten füllen zu müssen. Dazu müssen Sie Informationen aus
dem Verein rausholen. Wenn Sie dann das Problem haben, dass sie es sich mit zu
vielen Leuten verscherzt haben, stehen Sie vor leeren Seiten und wissen nicht, was
Sie jetzt machen sollen”, erklärt Bölz.
In diesem Umfeld der Abhängigkeit zum Thema Doping zu recherchieren, scheint
daher mit einem großen Risiko behaftet. Denn es gibt den Vereinen eine privilegierte
Position im Kampf um die Informationen. Auch deshalb beschreibt Jonathan Sachse,
Mitglied des Rechercheverbundes “Correctiv”, die Wahrung der Distanz zu den
Protagonisten als “besondere Herausforderung”. Die Problematik zwischen der
notwendigen Nähe zum Erfassen der Informationen und der gebotenen Distanz zur
kritischen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen erschwert die
Dopingberichterstattung im Fußball. Durch die herausragende Stellung dieser
Sportart und damit verbunden der Bedeutung in den Medien entsteht bei positiver
Berichterstattung eine Win-win-Situation für beide Seiten. Negative Schlagzeilen
beeinträchtigen das Verhältnis zwischen Journalisten und Protagonisten und sind
anscheinend auch von den Konsumenten nicht gewollt. Treutlein, ehemaliger
Professor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Anti-Doping Experte,
spricht vom “abstumpfenden Leser” – und auch Sulzer sagt deutlich: “Was wir nur von
unseren Klickzahlen her sehen, ist, dass Doping zum Beispiel nicht funktioniert.”
Da passt es ins Bild, dass nach den Enthüllungen der Freiburger
Untersuchungskommission im März 2015 Mehmet Scholl, Robin Dutt und Jürgen
Klopp Dopinganschuldigen einfach aus dem Weg räumen konnten. Prominent in den
Medien platziert sagten sie damals, Doping habe im Fußball keine Wirkung. Damit
war das Thema von der medialen Agenda gestrichen. Die Nähe zu den Protagonisten
Copyright © 2016 Fachjournalist
-2/5-
25.08.2016
www.fachjournalist.de
3
scheint in diesem Fall wichtiger zu sein als eine kritische Auseinandersetzung.
Journalisten als Dopingjäger?
Die Deutschen wollen anscheinend keine kritische Fußballberichterstattung. Dennoch
verschreiben sich einige Journalisten der investigativen Recherche. Mit ihren
Publikationen zeichnen sie ein anderes Bild vom Sport. Die “WDR”-Dopingredaktion
um Seppelt brachte mit ihren Dokumentationen in der “ARD” die Leichtathletik-Szene
ins Wanken. Sportler und Verbände wurden gesperrt. Dabei sieht sich Seppelt nicht
mehr als Sportjournalist. Beim Dopingsymposium in Nürnberg, wo er zusammen mit
Kistner und “FAZ”-Sport-Ressortleiter Anno Hecker an einer Podiumsdiskussion
teilnahm, charakterisierte Seppelt seine Arbeit folgendermaßen: “Ich glaube, dass
das, was wir machen, letztendlich ein Stück weit investigativer Journalismus ist, der
nur zufälligerweise noch im Sport stattfindet.”
Dieser Perspektivenwechsel ist vor allem aufgrund der Problematik von Nähe und
Distanz zwischen Sportjournalisten und -protagonisten interessant. Seppelt agiert
außerhalb des Sportsystems und versucht so, Informationen für seine Arbeit zu
erhalten. Dies beschreibt Kistner als “kriminalistische Arbeit”, um ein “Eindringen in
den Zirkel des Sports” zu erreichen. Er sieht die Sportjournalisten als “Fans, die es
über die Absperrung geschafft haben”. Beide Journalisten kritisierten in Nürnberg die
Prozesse innerhalb des Sports und im Kontrollsystem der Welt-Anti-Doping-Agentur
(WADA). Durch die starke Kritik am Sportsystem und dessen Akteuren nehmen sie
eine externe Haltung ein und unterscheiden sich dadurch von ihren Kollegen im
Tagesgeschäft, die im Dilemma der Abhängigkeiten agieren müssen oder, wie Hecker
beispielsweise, sich der Aufklärung der Dopingsozialisation verschrieben haben. Die
vorgelebte Distanz birgt auch Gefahren, die auf die Fußballberichterstattung bezogen
vor allem in Kistners Buch festzustellen sind.
Eine Gefahr besteht zum Beispiel darin, Dopingindizien überzuinterpretieren.
Journalisten werden zu Dopingjägern, weil sie die Fehler innerhalb des Systems so
stark wahrnehmen, dass sie Verbesserungen ausblenden und Ereignisse immer mit
diesem fehlerhaften System in Verbindung bringen.
Für Kistner ist beispielsweise der Sieg der russischen Nationalmannschaft über die
Niederlande im EM-Viertelfinale 2008 bereits ein Indiz für Doping. “Die russischen
Einzelwerte stachen ebenso heraus. Die Liste der laufstärksten Spieler im
Viertelfinale führten drei Russen unter den besten fünf an. Warum hat so ein
durchschlagendes Erfolgsmodell nie langfristig Schule gemacht?” (Kistner, T., 2015,
S. 211). Auch die Niederlage der Russen im Halbfinale gegen den späteren
Europameister Spanien ist für ihn ein Anzeichen für ein ausgeklügeltes Dopingsystem
innerhalb der Mannschaft: “Nicht zwei oder drei, praktisch alle standen neben sich –
ein Phänomen, für das es eingedenk der Daten und Darbietungen zuvor kaum eine
schlüssige Erklärung gab” (Kistner, T., 2015, S. 213). Hat das russische Dopingsystem
also gerade im Halbfinale versagt? Es fällt schwer, dieser Argumentationskette zu
glauben. Russland traf mit Spanien auf die erfolgreichste Nationalmannschaft Ende
der 2000er-Jahre. Nach dem EM-Triumph gewannen die Spanier zwei Jahre später
auch den WM-Titel. Die Spieler von der iberischen Halbinsel zeigten zudem schon in
der Vorrunde mit einem 4:1-Sieg, dass sie gegen Russland gewinnen können.
Copyright © 2016 Fachjournalist
-3/5-
25.08.2016
www.fachjournalist.de
4
Fazit
So ist die Dopingberichterstattung eine Gratwanderung. Auf der einen Seite fehlen die
handfesten Beweise, da es keine oder kaum positive Dopingbefunde im Fußball gibt.
Auf der anderen Seite fällt es schwer, zu glauben, dass gerade das millionenschwere
Fußballgeschäft sauber sein soll. Denn hier entscheidet Erfolg oder Misserfolg nicht
über Medaillen, sondern über Millionen.
Die Journalisten scheinen gefangen in einem System Fußball, dessen
Selbstverteidigung immer besser wird. Einige versuchen sich als Dopingjäger und
verlassen den objektiven Pfad im Sportjournalismus. Mit der professionellen
Ausrichtung der Vereine, gerade im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und PR, verstärkt
sich die Abhängigkeit der Journalisten, um Informationen zu erhalten. Nur ein Insider,
der auspackt und ein eventuelles System offenlegt, oder ein erster großer Dopingfall
im Fußball können daran etwas ändern.
Quellen:
Aufzeichnung Dopingsymposium Nürnberg 2015
Experteninterview mit Professor Dr. Marcus Bölz am 7. Dezember 2015 (Telefon)
Experteninterview mit Jonathan Sachse am 3. Dezember 2015 (Telefon)
Experteninterview mit Thomas Sulzer am 5. Januar 2016 (Telefon)
Experteninterview mit Professor Dr. Gerhard Treutlein am 14. Dezember 2015
Kistner, Thomas (2015): Schuss – Die geheime Doping-Geschichte des Fußballs,
München, Droemer Verlag
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen FachjournalistenVerbands (DFJV).
Die Autoren Moritz Belmann und Paul Schönwetter sind
Masterstudenten im Fach Medienentwicklung an der
Hochschule Darmstadt. Belmann (24 Jahre/Twitter:
@MoBelmann) studierte Sportjournalismus und
Sportmanagement an der medienakademie Hamburg und der
Hochschule Mittweida. Seit 2010 ist er nationaler und
internationaler Anti-Doping-Jugendbotschafter der Deutschen
Sportjugend. Schönwetter (22 Jahre) studierte bis 2015 an der
Hochschule Darmstadt Onlinejournalismus. Er arbeitet als freier Sportjournalist für
die “Frankfurter Rundschau”.
Dieser Beitrag wurde publiziert am Donnerstag den 25. August 2016 um 13:30
in der Kategorie: Homepage-oneColumn, Sport.
Kommentare können über den Kommentar (RSS) Feed verfolgt werden.
Copyright © 2016 Fachjournalist
-4/5-
25.08.2016
www.fachjournalist.de
5
Du kannst ein Kommentar abgeben oder erstelle einen Trackback dieses Beitrages auf
deine Webseite.
Copyright © 2016 Fachjournalist
-5/5-
25.08.2016