Die Ruhe vor dem Sturm

7 FRAGEN
AN JÜRGEN ENGELBERTH
Die Ruhe
vor dem Sturm
Wenn sich der Handel wandelt, ändern sich zwangsläufig auch die Anforderungen an Gewerbeimmobilien. Jürgen Engelberth, Vorstand des Bundesverbands für die Immobilienwirtschaft (BVFI), erklärt,
warum sich der Markt für Handelsflächen im Umbruch befindet und warum der Möbelhandel davon
ganz besonders betroffen ist.
Die Immobilienpreise ziehen vor allen Dingen in den Metropolen weiter an. Wie
sieht die aktuelle Lage für Einzelhandelsflächen aus? Ist die Entwicklung ähnlich dramatisch wie bei privaten Objekten?
Jürgen Engelberth: Grundsätzlich ist die
Finanzierung von wohnwirtschaftlich genutzten Objekten immer noch
einfacher darstellbar als von gewerblichen Immobilien.
Bei Handelsflächen haben wir immer noch eine große Zahl von Leerständen und das Onlinegeschäft
macht dem Einzelhandel schwer zu
schaffen. Beide Aspekte wirken sich
noch positiv auf die preisliche Situation aus.
Allerdings ist abzusehen, dass aufgrund der großen Nachfrage nach
Immobilien und der allgemein gestiegenen Preise, auch der gewerbliche Markt unter einen erheblichen
Preisdruck kommen wird. In den
Metropolen können wir das bereits
feststellen – insbesondere in den
Hotspots München, Berlin, Hamburg
und Köln.
1
Welche Einzelhandelszweige haben derzeit den größten Flächenbedarf?
Jürgen Engelberth: Die Möbelbranche
nimmt in dieser Hinsicht auch weiterhin eine Spitzenrolle ein, auch
wenn hier von einer weiteren Konzentration auf die Big Player auszugehen ist.
Außerdem expandieren die Discounter und der Lebensmittelbereich
bundesweit. Veränderungen sehen
wir hier lediglich durch neue Marken und ein verändertes Verbraucher-
2
00
möbel kultur 06/2016
verhalten – insbesondere in den BioBereichen. Einfluss auf die verfügbaren Flächenanteile wird in Zukunft auch ein wachsender Markt
von Self-Storages haben, zumal sich
diese bevorzugt auch in revitalisierten Möbelhäusern ansiedeln.
Der Möbelhandel benötigt in der Regel
Flächen auf der grünen Wiese. Ikea testet
in Hamburg nun eine Innenstadtlage – kann
es einen Trend zurück in die Städte geben?
Jürgen Engelberth: Großflächige Ladengeschäfte verbieten sich regelmäßig
alleine schon aus Platzgründen und
wegen der nicht vorhandenen Bebauungsmöglichkeiten. Allerdings
müssen die Möbelhäuser in Zukunft
noch viel mehr auf einen optimalen
Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr achten. Grund dafür ist der
abnehmende Individualverkehr.
Auch die größten Kundenparkplätze
nützen nichts, wenn der Kunde kein
Auto mehr besitzt und auf den
ÖPNV setzt. Und auch wenn Mitnahmemärkte heute noch boomen,
so werden der Lieferdienstleistungen
weiter an Bedeutung gewinnen.
3
Bei großen Objekten kommt auch immer
der politische Aspekt mit ins Spiel –
Stichwort: Raumordnung. Hat dies bereits
für die Immobilienmakler eine Bedeutung
oder ist das allein die Sache des Käufers?
Jürgen Engelberth: Das hat heute eine
große Bedeutung und gehört ganz
klar zum Dienstleistungsspektrum!
Für professionelle Fachmakler – insbesondere in den gewerblichen Bereichen – sind diese Dinge ein we-
4
sentlicher Bestandteil des Tagesgeschäfts, bis hin zur Einflussnahme
und Kooperation mit den zuständigen Behörden.
Wie sehen Sie den Trend zu Pop-up-Vermietungen in Innenstadtlagen? Sind sie
eine attraktive Alternative für den Möbelhandel?
Jürgen Engelberth: Pop-up- und feste
Satellitenanmietungen begründen einen Handelstrend, der zurück in die
Städte führt. Mit kleinen Flächen und
Beratungscentern in besten Citylagen
wird insbesondere der Möbelhandel
ganz neue Wege zum Kunden generieren können. Gerade serviceorientierte Anbieter werden sich auf diesem Wege von Discountern, Abholmärkten und Onlineversendern positiv abgrenzen können.
5
Wie bewerten Sie das oftmals beklagte
Ausbluten der Citys?
Jürgen Engelberth: Lassen Sie es mich
so sagen: Beständig ist nur der Wandel. Früher hatten wir kleine Bäckereien, Krämerläden, dann kleine Supermärkte, dann mittlere und große
Einkaufscenter. Diese Entwicklungen
finden wir in allen uns bekannten
Branchen und natürlich auch in der
Immobilienwirtschaft.
Heute stehen wir vor weitreichenden Veränderungen, die durch
die allgemeine Digitalisierung ausgelöst werden. Dieser Trend ist unumkehrbar. Der Einkauf selbst war
aber schon immer ein Erlebnis und
wird es auch in Zukunft sein. Vielleicht werden wir künftig sogar in
6
den Fußgängerzonen der großen
Städte Möbelberatungscenter finden,
von wo aus ein eigener Shuttle-Service zum Center auf der grünen
Wiese führt.
Welche Themen werden das ImmobilienBusiness in den kommenden Jahren bestimmen?
Jürgen Engelberth: Ganz klar der digitale Wandel. In der Finanzbranche
sind es „FinTech“-Unternehmen
und in der Immobilienwirtschaft die
„PropTech“-Firmen (Property +
Technology), die die Märkte auf den
Kopf stellen, verändern und auch bereinigen werden.
Denken Sie im Einzelhandelsbereich an globale Player wie Amazon,
Ebay, Alibaba oder Google. Wir sprechen hier nicht mehr von Lieferungen innerhalb von 48 oder 24 Stunden, nein, hier werden in Zukunft
die frischen Erdbeeren von Fahrradkurieren oder von Flugdrohnen innerhalb von 20 Minuten geliefert.
Teilweise werden sicherlich auch
ganz neue digitale Modelle entstehen,
in denen vernetzte Einzelhändler als
globale Dienstleister auftreten. Stellen
Sie sich nur mal ein Portal vor, auf
dem sich kleine Möbelschreinereien
aus dem ganzen Land zu einem globalen und digitalen Möbelcenter zusammenschließen. Ich glaube, dass
die größte Veränderung nicht so sehr
in der Fläche liegt, als vielmehr im
qualitativ hochwertigen Service.
7
SASCHA TAPKEN
www.praxisverband.de