Ausgabe 105 3 | 2016 26. Jahrgang Ausblick Das kostenfreie Magazin für Menschen mit Lust auf Leben Gl eichberechtigung Eine Arbeitsgemeinschaft der www.ausblick-zeitschrift.de Ausblick Nr. 105 | 3.2016 Gleichberechtigung Das Titelbild Bildquellen li. oben (Dalai Lama): Quelle: wikimedia.org li. unten (Begegnung): Reinhild Zenz Mitte oben (Adam und Eva): Gemälde: Maarten van Heemskerck (1498– 1574), „Adam und Eva“ (Ausschnitt), 1550, Musée des Beaux-Arts de Strasbourg; Quelle: wikimedia.org (Ji-Elle) Mitte unten (Waage): Fotomontage: Peter Wilke re. oben (Buchcover): „Worte in meiner Hand“, List im Ullstein Buchverlag GmbH (Ausschnitt) re. unten (Buchcover): „Joan spuckt gegen den Wind“, rororo Taschenbuch dt. Erstausgabe von 1929 Illustration „yin + yang,": Beate-M. Dapper A nzeige Frauenarbeit in der saline lüneburg? Foto © Deutsches Salzmuseum Hilke Lamschus, Museumskuratorin Deutsches Salzmuseum In der Verpackungsstation Frauen in der Salzherstellung? Ein Siedemeister bezieht 1917 klar Stellung zu dem heiklen Thema: „Was die Beschäftigung von Frauen in der Siedung betrifft, so ist mit zwei Frauen ein Versuch von ca. drei Wochen gemacht worden. Trotz der großen Mühe, welche ich mir gegeben hatte, ist es mir nicht gelungen, die Frauen an die schwere Arbeit zu gewöhnen, besonders das Ausschlagen von Salz, welches doch ziemlich 2 m geworfen werden muss, sowie das Steinigen der Pfannen, konnten von den Frauen nicht geleistet werden. Wenn auf anderen Salinen die Frauen in der Siedung arbeiten, so müssen dort andere Arbeitsweisen vorliegen.“ Frauenarbeit fand überwiegend an der Verpackungsstation statt. Das Abfüllen von Kleinpackungen und das Zunähen gefüllter Salzsäcke mit der Hand waren die typischen Arbeiten für die weiblichen Mitarbeiter. Die Anzahl der Frauen (bis zu 30 Frauen) und ihre Beschäftigungsdauer richteten sich nach der Auftragslage der Saline. Sie wurden kurzfristig eingestellt und entlassen. Dabei wurden sie schlechter entlohnt als ihre männlichen Kollegen. Bis in die 60er-Jahre wurden die Säcke mit der Hand zugenäht und verplombt. Für größere Säcke erleichterten später Industrienähmaschinen diese Aufgabe. „Was glauben Sie, was wir manchmal für kaputte Hände hatten!“, beschreibt eine Zeitzeugin ihre mühsame Tätigkeit. 2 Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick E ditorial Mütter der Gleichberechtigung 1948 Der Staat fördert die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Grundgesetz, Artikel 3, Abs. 2 Anfang 2015 interviewte der Journalist Franz Alt den Dalai Lama. Dieses Interview ist im selben Jahr unter dem Titel „Der Appell des Dalia Lama an die Welt. Ethik ist wichtiger als Religion“ erschienen. – Franz Alt fragte: „Mir kommt soeben eine Zwischenfrage in den Sinn, die ich schon lange stellen wollte: Kann der nächste Dalai Lama auch eine Frau sein – Sie sind doch für Gleichberechtigung?“ „Gleichberechtigung? Warum nicht? Wenn sie attraktiv ist“, sagte er lachend. Ernsthaft fügte er hinzu: „Wirkliche Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Mann und Frau sind eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Welt. Auch hier haben Religionen Nachholbedarf. Das ist ein wesentlicher Aspekt der säkularen Ethik und zudem eine Frage der Gerechtigkeit und des Mitgefühls. Viele Frauen sind uns Männern bei der Entwicklung innerer Werte etwas voraus.“ Zwei Mütter unseres Grundgesetzes, Elisabeth Selbert und Friederike Nadig (beide SPD), haben gegen viele Widerstände durchgesetzt, dass es in Artikel 3, Absatz 2 heißt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Vor dem Gesetz sind Frauen und Männer gleich. Im Berufsleben sind sie es nicht. Die Statistik zeigt: In Deutschland verdienen Frauen 22 % weniger als Männer. Die Lohnkluft ist viel größer als in europäischen Ländern (fluterHeft Nr. 57). An deutschen Universitäten promovieren weniger Frauen als Männer. Professorinnen sind in der Unterzahl gegenüber ihren männlichen Konkurrenten. Kinder von Zuwanderern erreichen in der Regel einen geringeren Bildungsabschluss. Alleinerziehende Mütter, Behinderte, Schwule und lesbische Paare erfahren Benachteiligungen. Wir haben uns in diesem Heft mit den angedeuteten Themen und vielen anderen beschäftigt. Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre. Ihre Brigitte Hempel 2016 • Ausblick Foto © wikimedia.org Foto © bmfsfj.de + Foto © wikimedia.org Liebe Leserinnen und Leser, Eine Frage der Gerechtigkeit und des Mitgefühls 3 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 Ü berblick An einer Mit hoher Geschwindigkeit Begegnung in Täbris Editorial ...................................................... 3 An einer Kreuzung in Florida Koch in Maidiguru, Nigeria Überblick ................................................... 4 Damals.................................................................. 17 Mein früher Berufswunsch Lebensmomente .......................................... 5 Durchblick................................................ 19 Ein Projekt der Leidenschaft................................. 5 Gastfreundschaft.................................................... 6 Mythos Mutter..................................................... 19 Sind Frauen, die Karriere machen, Rabenmütter? Reiseeindrücke aus dem Nordiran Die Idee der Gleichwertigkeit............................. 20 Mein Garten .......................................................... 8 Das Streben nach Leben, Freiheit und Glück Gleichberechtigtes Miteinander von Mensch & Natur Immer diese Hormone......................................... 21 Schönheit ............................................................... 8 Kleine Schwester - große Behörde....................... 9 Von Rechten und Werten Wie Dreistigkeit nach Willkür Spaß machen kann. Ein anderer Lebensstil Familienrecht........................................................ 22 Der zweite Blick.................................................... 10 Gleichberechtigung und Behinderung Einblick ..................................................... 24 Augenhöhe........................................................... 11 Werft den Weiberrock über Bord....................... 24 Ungleichstellung in der persönlichen Anrede Hoppla, was bedeutet das?..................................... 12 In Tschechien sind Männer mehr wert..................... 12 Sprüche aus der Segelschifffahrt Chancengleichheit................................................ 26 Karbon-Prothese gegen gesunde Unterschenkel und Füße Die ganze Wahrheit............................................. 27 Rückblick ................................................. 13 Eines Tages im Garten Eden Männer und Frauen sind gleichberechtigt......... 13 Mensch und Maschine ........................................ 28 Vier Frauen auf dem Weg zum Heute Lise Meitner - Herrin der Strahlen........................... 13 Ein besonderes Verhältnis Es ist ein Mädchen! Oder:................................... 15 Der Wunsch nach einem Sohn ist der Vater vieler Töchter Rezensionen.............................................. 29 Mal mit ERNST (Männer, emanzipiert euch!) ..... 30 Frauenbewegt...................................................... 16 Ausblick Verteiler Impressum........... 31 Emanzipation in drei Zwanzigjahresschritten Kennen Sie ... das Haus in der Wallstraße 3 ....... 32 Filmposter © kino.de Kennen Sie ...? London 1912, Suffragettenbewegung „Taten statt Worte“ 4 ...das Haus in der Wallstraße 3? Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick L ebensmomente Ein Projekt der Leidenschaft P eter W ilke Foto: www.foto-behns.de Die Lüneburger Bürgerstiftung würdigt jährlich schwerpunktmäßig die Generationenverbundenheit in der Stadt. Am 1. Juni 2016 lud die Stiftung in den Huldigungssaal des Rathauses ein. Elke Frost, Vorsitzende der Lüneburger Bürgerstiftung, freute sich: „Es gibt so viele Menschen, die so gute Arbeit machen, um die Idee des Miteinanders und der Generationenverbundenheit zu verwirklichen – einfach umwerfend.“ – Dazu zählten auch unsere älteren Redaktionsmitglieder mit der Kooperation: Schülerinnen und Schüler der Berufsbildende Schulen I, Klasse HB15B, die Artikel für die Zeitschrift „AUSBLICK Nr. 104“ über das das Thema „Leidenschaft“ schrieben. Die Klasse 1. Reihe von links: Lisa-Jacobina Schiemionek, Melissa Hutflesz, Samantha Rezlaw, Carina Weiber, Janine Hämmerling, Alina Suntic; 2. Reihe von links: Dana Franke, Julia Jung, Erik Kool, Henrik Lütjens, Fynn Schafstall, Björn Schütte; 3. Reihe von links: Michelle Hirsch, Dana Felicitas Burmeister, Rebecca Meyer, Jennifer Behse, Klassenlehrerin Harriet Hofmann; 4. Reihe von links: Klassenlehrer Daniel Hartmann, Felix Blank, Sascha Fülscher, Maksym Dziwisch. 2016 • Ausblick 5 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 L ebensmomente Gastfreundschaft Reiseeindrücke aus dem Nordiran Reinhild Zenz Foto © Reinhild Zenz „Willkommen in unserem Land!“, scholl es unserer kleinen Reisegruppe immer wieder auf den Straßen von Täbris aus dem Mund vieler Menschen entgegen, die uns anlächelten und sich nach unserem Heimatland erkundigten. Stephanuskloster Foto © Reinhild Zenz zurück. Im Gegensatz zu vielen anderen – völlig verfallenen oder absichtlich zerstörten Klöstern – wurden sie in den letzten Jahren restauriert und sind heute Museen. Der armenische Bischof darf dort Gottesdienst feiern, zu dem nur Christen (mit Vermerk im Pass) Einlass erhalten. Zurzeit baut man im Zentrum von Täbris eine Moschee für 38.000 Schiiten. Begegnung in Täbris In Täbris, der Hauptstadt der Provinz Ost- Azerbeijan, spricht man Aseri, eine Turksprache. Diese wird aber in der Schule nicht gelehrt, obwohl alle Menschen sie hier sprechen, sogar die Prediger in den Moscheen. Denn sie ist eine Sprache einer Minderheit. Das bedeutet, dass die Kinder ab der ersten Klasse Farsi (Persisch) und anschließend Arabisch als die Sprache des Korans lernen müssen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung der Region überwiegend christlich, doch heute verbergen die wenigen Verbliebenen vorsorglich ihre Religionszugehörigkeit. Mut zur Individualität Drei Studentinnen, die wir in dem landeskundlichen Museum trafen, sprachen uns auf Englisch an, weil sie testen wollten, ob wir sie als Europäer verstehen könnten. Denn das begehrte Fremdsprachenstudium verlaufe nur auf Persisch. Gerne kämen sie für einige Zeit nach Deutschland, doch das sei für sie „much too Ehemalige Klöster sind steinerne Zeugen des armenischen Christentums, so das einsam gelegene Thaddäuskloster, das jetzt von Kurden betreut wird, und das Stephanuskloster, beliebtes Ausflugsziel aller Bevölkerungsgruppen .. Beide gehen auf das vierte Jahrhundert 6 Foto © Reinhild Zenz Steinerne Zeugen Sprachstudentinnen Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Kindergarten und Grundschule Foto © Reinhild Zenz Im Steinzeit-Museum, wo uns eine kompetente Archäologin in korrekter schwarzer Tracht führte, begegneten wir Mädchenklassen im Kindergarten- und Grundschulalter, die bereits züchtig schwarz uniformiert waren. Ab dem Alter von neun Jahren müssen alle Mädchen Kopftuch tragen, sehr viele tun es schon viel früher. Für die ganz Kleinen sind pinkfarbene Kopftücher beliebt. Mädchenklasse Freizeit und Entspannung Ausblick L ebensmomente jüngere Paare zeigen sich gemeinsam. Die Sittenploizisten sind allgegenwärtig. Nicht wenige von ihnen missachten jedoch selbst die Vorschriften, indem sie z.B. unpassende Sandalen zur Uniform tragen. Ungewöhnliches Erlebnis Zu unserem Erstaunen grüßten sie uns freundlich und ließen sich mit den Männern unserer Gruppe fotografieren. Die Polizisten stammen oft aus Dörfern, wo sie noch nie einen Europäer gesehen hatten. Sie hießen uns herzlich willkommen. Foto: © Reinhild Zenz hard“. Man brauche ein Visum, viele unüberwindliche Hürden stellten sich in den Weg. Die drei jungen Damen bewiesen durch ihre Kleidung und durch ihr Auftreten Mut zur Individualität: Ihre zwar schwarzen, den Haaransatz aber freilassenden Kopftücher enthüllten ihre schönen, ausdrucksvoll geschminkten Gesichter. Begrüßung im Park A nzeige In den großen Parks von Täbris, in denen zu Zeiten des Schahs Reza Pahlewi Musikpavillons und künstliche Seen entstanden, flanieren in der Freizeit unzählige Menschen, denn außer in Teehäusern es gibt kaum Möglichkeiten, sich zu entspannen. Discos sind ein Fremdwort; Gesang, Tanz und lautes Lachen sind als „unislamisch“ verboten. Frauen und Männer unterhalten sich in der Öffentlichkeit meist getrennt. Nur einige 2016 • Ausblick 7 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 L ebensmomente Mein Garten Gleichberechtigtes Miteinander von Mensch und Natur Ulrike C. Kannengießer Foto © Ulrike C. Kannegießer Ein paar Quadratmeter der riesigen Erdkugel gehören meinem Mann und mir. Darauf steht ein kleines Haus, ringsherum ist ein Garten mit viel Grün: Bäumen, Büschen, Blumen. Aber gehört dieses winzige Fleckchen Erde wirklich uns? im Keller oder unter dem Dach häuslich einzurichten. Sehr viel größere Wildtiere erheben ebenfalls Besitzansprüche an unseren Garten: Die Rehe kommen aus dem angrenzenden Wald an den reich gedeckten Tisch. Im Winter verspeisen sie den üppig gewucherten Efeu und im Sommer fressen sie gerne Rosenknospen und Phlox. Zum Glück haben Wildschweine unseren Garten noch nicht entdeckt! Wenn es Abend wird, verlassen Igel, Kröten und Schnecken ihre Verstecke und gehen auf Nahrungssuche. Leider stehen Nacktschnecken auf keinem Speiseplan und so können sie ungehindert alles auffressen, was ihnen schmeckt. Und jetzt frage ich mich, wem gehört der Garten wirklich? Wem gehört der Garten wirklich? Bei den Pflanzen fängt es an: Eine große, alte Buche wächst hier seit etwa hundert Jahren und beschert uns Schatten im Sommer und Blätter im Herbst. Efeu und Giersch wuchern um die Wette und nehmen anderen Pflanzen den Lebensraum. Sie machen sich breit und mir das Gärtnern schwer. Der Kirschbaum, den wir vor ein paar Jahren gepflanzt haben, ist nicht glücklich in seiner Umgebung. In seiner Nachbarschaft wächst zu viel Gebüsch. Der Garten wird auch von Tieren bewohnt, die hier Nahrung und Unterschlupf finden: Für Vögel gibt es Futter und Nistmöglichkeiten. Sie fühlen sich aber oft durch die Anwesenheit von gärtnernden Menschen oder streunenden Katzen aus der Nachbarschaft gestört. Dann schimpfen sie laut und fliegen aufgeregt hin und her. Nicht gern gesehen ist der Maulwurf, der unter dem Rasen seine Gänge pflügt und große Erdhaufen auftürmt. Mäuse und Marder sind ebenfalls nicht willkommen, weil beide den Drang haben, sich 8 S chönheit Christel Parlow Zwei Menschen weiblichen Geschlechts spazieren durch die Heide. Die eine hinkt, die andre ächzt und Falten haben beide. Und trotz des Alters finden sie sich beide wunderschön. Das wird, das ist doch sonnenklar, bis Hundert weitergehn. Man sieht, es kommt nicht darauf an, was Dir Dein Spiegel sagt, entscheidend ist in jedem Fall, dass Dich kein Zweifel plagt. Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick L ebensmomente Kleine Schwester, grosse Behörde Es war Dienstag, als sie mit ausgefülltem Antrag zum Arbeitsamt ging. Sie hatte die Unterlagen dabei. Zuversichtlich über das bewilligte Übergangsgeld betrat sie den Warteflur. Die Sachbearbeiterin Abt. „P“ blätterte schweigend ihre Papiere durch, hin und wieder unterbrochen von „hm“. Klingt wie eine Zustimmung, dachte sie und schaute auf den Kalender neben der Tür. Um den 8. Dezember 1981 war ein rotes Herz gemalt, daneben stand „Maria Geb.“. Wahrscheinlich Geburtstag. Ein warmes Gefühl beflügelte die Vorstellung, dass auch Behördenmitarbeiter nett sind, ihre Arbeit gut machen und rechtzeitig ihre Büros verlassen wollen, um Geburtstage zu feiern. In wenigen Minuten würde sie an der Auszahlungskasse stehen, endlich ihre offenen Rechnungen bezahlen können. Doch dann: „Die Angelegenheit wird weiter bearbeitet – wir melden uns.“ „Wie bitte? Aber mir wurde zugesagt, dass ich heute …“ „Es fehlt der Auszahlungsschein für den Vorschuss“, unterbrach die Sachbearbeiterin, „den müssen Sie noch beibringen.“ „Das wusste ich nicht. Ach bitte, können Sie ihn nicht im Rahmen der Amtshilfe telefonisch anfordern?“ Die Sachbearbeiterin musterte sie von oben bis unten: „Das muss ich nicht. Es ist Ihre Aufgabe, den Schein vorzulegen.“ Ihr stockte der Atem bei dem Gedanken an Miete, Strom, Telefon. „Aber ich habe keinen Pfennig für die Rückfahrt. Das letzte Gehalt nach Konkurs meines Arbeitgebers liegt zwei Monate zurück. Meine Rücklage ist aufgebraucht. Ich habe keine neue Arbeit. Ohne Auszahlungsschein gehe ich hier nicht weg. Oder würden Sie das Bußgeld übernehmen, wenn ich beim Schwarzfahren erwischt werde?“ „Werden Sie nicht frech! Wenn Sie hierher kommen, müssen Sie Geld dabei haben. Bitte gehen Sie jetzt“, eiligst öffnete die Sachbearbeiterin die Tür, „sonst rufe ich die Polizei.“ Polizei? Geschockt machte sie sich auf den Weg. Ihre Hände waren eiskalt, als sie nach der stressigsten Bahnfahrt ihres jungen Arbeitslebens im Sozialamt um den Auszahlungs2016 • Ausblick schein bat. Doch auch hier: „Den kann ich Ihnen nicht aushändigen, die Akte ist nicht auffindbar.“ Wir trafen uns zufällig – meine Schwester und ich. Sie war erneut auf dem Weg zum Sozialamt, ich hatte im Park fotografiert. Weinend Klärungsbedarf beim Amt erzählte sie von ihrer Situation und der Angst, wieder dort hingehen zu müssen. Nun sei ihre Akte verschwunden. Entsetzt bemerkte ich, wie krank sie aussah. Mag sein, dass ihr Äußeres Vorurteile oder Neid ausgelöst hatten. Sie war jung, hübsch mit langem Haar, trug am liebsten bunte Hippiekleider. Möglicherweise sah man in ihr die Bittstellerin und nicht die Antragstellerin mit gleicher Berechtigung auf Sozialhilfe, wie jeder andere auch. Ich begleitete sie zum Amt. Während sie erneut um den ersehnten Auszahlungsschein bat, hielt ich mich im Hintergrund. „Ihre Akte hat sich angefunden, aber die Sachlage ist nicht ganz klar. Tut mir leid.“„So?“, entgegnete mutig meine Schwester, „und ich habe jemanden von der Presse dabei zwecks Klärungsbedarfs.“ Ich stellte mich neben sie. Während ich am Fotoapparat nestelte, nannte ich laut meinen Namen, dann den einer Presseagentur. „Einen Moment bitte!“, stotterte die Sachbearbeiterin verschwand im Nebenzimmer und kam in Begleitung des Abteilungsleiters zurück. Er grüßte freundlich und legte meiner Schwester den Auszahlungsschein vor. Die Amtskasse würde ihr zusätzlich noch 50 DM Weihnachtsgeld auszahlen. Schweißperlen standen uns auf der Stirn, als wir das Amt verließen. Im Cafe gegenüber mussten wir lachen – ich habe nämlich nie bei der Presse gearbeitet. 9 Foto © Monika Sternhagen Wie Dreistigkeit nach Willkür auch Spaß machen kann Monika Sternhagen Ausblick Nr. 105 | 3.2016 L ebensmomente Der zweite Blick Gleichberechtigung und Behinderungen Miriam Katharina Kleck somit auch mehr Gleichberechtigung. Es sollte öfter ein „zweiter Blick“ entwickelt werden, um auch das nicht Sichtbare zu bemerken. Stephen Hawking im Gespräch mit Barack Obama A nzeige Kraft aufbauen - und die Gesundheit kommt zurück! Menschen, die unter Beschwerden am Bewegungsapparat leiden, haben häufig zu schwach ausgeprägte Muskeln. Besonders im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule ist das problematisch. Die Beschwerden wollen einfach nicht weichen, manchmal über Jahre hinweg. Dagegen können Sie etwas tun – jetzt! Mit einem medizinischen Trainingsprogramm an eigens dafür konstruierten Geräten, regelmäßig durchgeführt, baut sich Ihre Muskulatur wieder auf und verändert sich nachhaltig. Bei REHA Lüneburg erhalten Sie eine individuelle Trainingsanalyse und einen ganz persönlichen Trainingsplan nach Ihren Fähigkeiten. Nutzen Sie diese Möglichkeit, für sich und Ihren Körper aktiv zu sein! Denn für Gesundheit ist es nie zu spät! 10 Ausblick • 2016 Foto: © wikipedia/commons Gleichberechtigung unter Behinderten ist ein großes Thema, da es viele Behinderungen gibt, die individuelle Behandlungen und Hilfestellungen brauchen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Körperbehinderte oft wohlwollender behandelt werden, als Menschen mit psychischen Einschränkungen. Da diese Behinderung nicht sichtbar ist, wirft man ihnen oft böswilliges Verhalten vor. Gehandikapte, welche nicht eindeutig einer Gruppe zugeordnet werden können, vermissen oft Rücksicht und Empathie. Ohne Rücksicht auf ihre Intelligenz werden seelisch Behinderte schnell in praktische Beschäftigungsfelder wie Hauswirtschaft und Werkstätten abgeschoben, obwohl sie motorisch und körperlich oft nicht in der Lage dazu sind. Eine manuelle Beschäftigung ist dann nur Quälerei. Die Gesellschaft neigt dazu, nur körperlich Behinderten entsprechende Unterstützung zu geben. Deshalb wünsche ich mir mehr individuelle Behandlung und Nr. 105 | 3.2016 Ausblick L ebensmomente Ungleichstellung in der persönlichen Anrede Monika Sternhagen Im Plural der persönlichen Ansprache sind Damen und Herren auf Augenhöhe. Im Singular verschwindet plötzlich die Gleichstellung und die Höflichkeit wird zur Weiblichkeit. Denn niemand sagt: „Guten Tag, Dame Meier.“ Es sei denn, sie wurde ritterlich geadelt und darf sich Dame Meier nennen. In meiner bescheiden rebellischen Phase, vor vielen Jahren, machte ich die damalige Ministerin für Gleichstellung in Berlin darauf aufmerksam, bekam aber keine Antwort. Anfang d.J. erlaubte ich mir den gleichen Spaß an die Eu- ropäische Kommission in Brüssel. Von dort wurde zumindest automatisch geantwortet. Sinngemäß hieß es, dass im Durchschnitt innerhalb von drei Werktagen geantwortet würde. Bei sehr komplizierten bzw. spezifischen Fragen könne die Antwort etwas länger dauern. – Das ist nun ein halbes Jahr her und ich frage mich, ob frau das ignorieren oder selbst korriegieren sollte. A nzeige Alle Hefte ab Nr. 60 online! Liebe Leserinnen und Leser, herzlichen Dank für Ihr Interesse auch an älteren Ausgaben! Daher haben wir für Sie die Hefte Nr. 60 bis 105 zum Lesen und Herunterladen ins Netz gestellt: http://ausblick-zeitschrift.de/archiv. Viel Freude beim Stöbern! Ihre AUSBLICK-Redaktion Fortsetzung folgt ... 2016 • Ausblick 11 Screenshot: Monika Sternhagen Augenhöhe Ausblick Nr. 105 | 3.2016 L ebensmomente In Tschechien ... Hoppla, ... ... sind Männer mehr wert! ... was bedeutet das? Brigitte Hempel Peter Wilke Als ich mein Einzelzimmer im Hotel in Telĉ betrete, werde ich an Boris Becker und sein Abenteuer „Besenkammer“ erinnert. Es ist die typische Beschilderung einer Kreuzung in den USA. An vielen Kreuzungen mit gleichberechtigten Straßen gibt es vier Stopp-Schilder mit den zusätzlichen Hinweisschildern: Foto © booking.com Nun ist mir klar: „Single-Männer bekommen in Tschechien die besseren Einzelzimmer zugeteilt“. Hotel in Telĉ „4 Way“ oder „All Way“. Dort gilt, wer zuerst kommt, fährt zuerst nach einem Stopp. Anhalten wird streng kontrolliert. Wenn die Reihenfolge unklar ist, wird dies freundlich durch Handzeichen untereinander geregelt. Foto © Peter Wilke Anders ist dieser Abstellraum nicht zu bezeichnen. Vis-àvis zieht ein männlicher Mitreisender ein. Ich schaue mir sein Zimmer an, es ist ein perfektes Einzelzimmer. In der nächsten Stadt ebenfalls die gleiche Situation und die ungleiche Behandlung. Handzeichen sind erforderlich A nzeige Wenn „Jede eine Frau r“ sagt: „jede , mein t rman sie n. Wenn e i n :„Jed Mann er „jede “, mein sagt t e r Ma nn“. r: Marie Esche Freifrau vo nbach n (1830 Ebner- 1916 ) 12 Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick R ückblick männer und frauen sind gleichberechtigt Vier Frauen auf dem Weg zum Heute Maja Schwaak Diesen Satz gäbe es nicht ohne das besondere Engagement von Dr. Elisabeth Selbert. Ihr ist zu verdanken, dass er in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Jede der vier Frauen brachte viele Jahre beruflicher und politischer Erfahrung mit. Elisabeth Selbert war die Einzige im PR, für welche die Gleichberechtigung selbstverständlich zu den Menschenrechten gehörte. Mit dem Formulierungsantrag „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ stieß sie auf heftigen Widerstand. Selbst ihre drei Mitstreiterinnen fürchteten, damit könne dem gesamten Familienrecht der Boden entzogen werden und Rechtschaos wäre die Folge. Nachdem ihr Antrag mehrmals abgelehnt wurde, mobilisierte Elisabeth Selbert die Öffentlichkeit. Sie reiste wie ein Wanderprediger von Versammlung zu Versammlung und erzählte den Frauen, was für eine Art Ausnahmegesetz sie zu erwarten hätten. Frauen aus Frauenverbänden, Gewerkschaften und Parteien und Arbeitnehmerinnen engagierten sich für die Festschreibung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Waschkörbeweise kamen Protestschreiben gegen jegliche Formulierung, die vieldeutige Auslegungen zuließ. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland trat am 23. Mai 1949 in Kraft. In Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 der neuen Verfassung steht seitdem kurz und klar: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Im entsprechenden Protokoll heißt es dazu: „Artikel 3 Absatz 2 hat seine jetzige Gestalt nach sehr ausführlichen und erregten Debatten gewonnen.“ Der Grundstein für die rechtliche Gleichstellung der Frauen war gelegt, doch keinesfalls die Frauenfrage gelöst. 2016 • Ausblick Foto © bpb.de Als sich am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat (PR) versammelte, um eine Verfassung zu konzipieren, beschäftigte die Frage der Gleichberechtigung weder Politiker noch Bevölkerung. 65 Persönlichkeiten waren in das Gremium nach Bonn berufen worden, darunter nur vier Frauen. Es waren: Elisabeth Selbert, Friederike Nadig (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum). Die vier Mütter Erst 1957 konnte sich der Gesetzgeber zu einer Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches durchringen. Am 1. Juli 1958 trat das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kraft. Es hat das bürgerliche Recht an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau angenähert. So durfte die Frau nunmehr ihren Mädchennamen als Namenszusatz führen, die Ehegatten wurden einander gegenseitig zum Unterhalt verpflichtet, den Haushalt konnte die Frau in eigener Verantwortung führen und hatte zugleich auch das Recht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Geschäftsfähigkeit gestand man Frauen erst Anfang der 70er Jahre zu. Das Bemühen um die Gleichstellung der Frau blieb ein mühsamer Kampf; die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts vor allem im Berufsleben weiterhin ein heikler Punkt. – Die Emanzipation kam voran – so sagte es einmal Willy Brandt – „… wie eine Schnecke auf Glatteis.“ Quelle: http://www.meinhard.privat.t-online.de/frauen/grundgesetz.html 13 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 R ückblick Lise Meitner „Herrin der Strahlen“ Maja Schwaak Foto © wikimedia.org Obwohl sie entscheidend zur physikalischen Erklärung des Zerplatzens von Urankernen unter Neutronenbeschuss beigetragen hatte, ignorierten mehrere Nobelpreis-Komitees ihre Verdienste. Der aus Deutschland als Jüdin in die Emigration getriebenen Physikerin widerfuhr damit doppeltes Unrecht. Ruth Lewin Sime Universität war einer Frau in Preußen erst ab 1909 erlaubt. Wissenschaftlich und beruflich waren Meitner und Hahn einander ebenbürtig. Auch privat verstanden sie sich gut, eine lebenslange Freundschaft verband sie. Meitner entschied sich aber bewusst gegen eine Ehe, sie hätte sich sonst nach der damaligen Gesetzgebung dem Diktat ihres Ehemannes unterwerfen müssen. Nach 1918 hatten beide eine Professur inne und waren Mitglieder des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie in Berlin-Dahlem. (In der Weimarer Republik gab es inzwischen Gleichberechtigung.) Sie leiteten dort eigene Abteilungen – er für Radiochemie, sie für Physik. Hahn war von 1928 bis 1945 dessen Direktor. Die Jahre der Weimarer Republik waren die glücklichsten Lise Meitners, sie hatte sich ganz und gar der Wissenschaft verschrieben. Politische Wirren und Wissenschaft Als Dozentin in Washington D.C. Lise Meitner wurde am 7. November 1878 in Wien geboren. Sie studierte dort – damals für eine Frau höchst ungewöhnlich – Physik und Mathematik. Um 1900 war die allgemeine Meinung, dass gerade diese beiden Fachgebiete der Natur einer Frau widersprächen. Doch ihr Lehrer (Ludwig Boltzmann) war von Lises Begabung überzeugt und erlaubte das Studium. Als zweite Frau überhaupt promovierte sie an der Wiener Universität. Max Planck und Otto Hahn Mit 28 Jahren ging sie – zunächst als Assistentin von Max Planck – nach Berlin und bildete 1907 mit dem fast gleichaltrigen Otto Hahn eine Arbeitsgruppe zur Erforschung der Radioaktivität. In einem Holzschuppen richtete sie ihr erstes Labor ein, der Zugang zur 14 Alles änderte sich 1933 durch die Machtübernahme der Nazis. Sie durfte nicht mehr lehren und musste nach Außen eine untergeordnete Stelle im Institut annehmen. Intern änderte sich nichts, sie forschte weiter gemeinsam mit Otto Hahn, blieb seine engste Vertraute, gleichrangige und -berechtigte Mitarbeiterin. Ihre Forschungsergebnisse konnten nur noch von Hahn veröffentlicht werden, da es Juden und Ausländern untersagt war, wissenschaftliche Arbeiten zu publizieren. Als österreichische Staatsbürgerin und gebürtige Jüdin war sie nach dem Anschluss Österreichs Reichsdeutsche und somit von den Nürnberger Rassegesetzen betroffen. Die Flucht 1938, nach 30-jähriger Forschung am Institut, wurde Meitners Lage bedenklich. Sie musste fliehen und gelangte über Holland nach Schweden, wo sie eine bescheidene Anstellung am Nobel-Institut fand. Sie blieb in regem Briefkontakt mit Hahn und trug maßgeblich zum Gelingen der Kernspaltung bei. Gemeinsam mit ihAusblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick R ückblick Es ist ein Mädchen! Oder: Der Wunsch nach einem Sohn ist der Vater vieler Töchter Ulrike C. Kannengießer Im Nachhinein ... Manche Historiker unterstellen Hahn, dass er Meitners Verdienste verschwieg, um die Ehre für sich allein zu beanspruchen. Aber ihm waren von 1933-1945 die Hände gebunden. Viele seiner Mitarbeiter waren Parteimitglieder (er nicht) und warteten nur auf Fehler, um ihn zu denunzieren. Hahn weigerte sich, Gastvorlesungen zu halten über Forschungen, die er mit Meitner gemeinsam betrieben hat. Vielen seiner Mitarbeiter hat Hahn die Flucht ermöglicht. Ich persönlich glaube nach eingehender biografischer Lektüre, dass ihm Unrecht geschieht, wenn man unterstellt, er habe Meitners Ergebnisse für sich allein beansprucht. Er schlug sie bereits vor 1933 mehrfach als Kandidatin für den Nobelpreis vor. Vielmehr bin ich der Meinung, das schwedische Nobelpreiskomitee hatte die wissenschaftlichen Hintergründe ihrer Forschung nicht verstanden. Außerdem gab es ab 1933 keine Veröffentlichungen mehr von ihr und so wurde angenommen, Otto Hahn sei der führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet. In der Zeit des Dritten Reiches war Zivilcourage mit Lebensgefahr verbunden. Lise Meitner hat ihm jedenfalls keine dahingehenden Vorwürfe gemacht. Sie blieb bis zu ihrem Tod 1968 in Cambridge mit ihm freundschaftlich verbunden. Quellen: 1. Thea Dorado „Lise Meitner – Herrin der Strahlen“, München 2011 2. https://www.dhm.de/lemo/biografie/lise-meitner 2016 • Ausblick Für meinen Vater und seinen Vater gab es eine unumstößliche Wahrheit: Eine Familie setzt sich durch Söhne fort. Deshalb war es in ihrer Vorstellung sehr erstrebenwert, männlichen Nachwuchs zu zeugen. Leider machte die Natur meinem Vater einen Strich durch die Rechnung: Er hatte vier Töchter und einen Sohn. Als meine Schwester und ich noch kleine Mädchen waren, sagte er einmal, dass man im alten China die Töchter verkauft hätte. Ich nahm das ernst, bat ihn aber, uns bitte nicht auf dem „Schwarzen Markt“ zu verkaufen. Nach der Geburt des dritten Mädchens gratulierte mein Großvater meiner Mutter, stichelte allerdings: „Da es wieder nur ein Mädchen ist, wird sich der Herr Assessor wohl noch mal bemühen müssen.“ Das Ergebnis dieser Bemühungen war eine vierte Tochter. Zum Glück hatte sich zwischendurch auch ein Sohn eingeschlichen. Foto © Ulrike C. Kannengießer rem Neffen Otto Robert Frisch lieferte sie die erste theoretische und mathematische Deutung der Kernspaltung. Otto Hahn bekam alleine den Nobelpreis 1945 für 1944 in Chemie, obwohl Lise ebenbürtig an der Forschung mitgewirkt hatte. Die Kannengießer-Familie 15 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 R ückblick Frauenbewegt Emanzipation in drei Zwanzigjahresschritten Ingrid Venhuis Als Fünfzehnjährige schrieb ich in der Mädchenklasse meiner Realschule einen Aufsatz zum Thema: Wie stelle ich mir eine echte und wirkliche Frau vor? Meine Gliederungspunkte hießen: Lieben, Dienen, Helfen, Opfern. Im Text finden sich Redewendungen und Sätze wie: „... das zarte, weiche, echt frauliche Wesen der Frau ... wie es ihrer Art entspricht ... ihre Ureigenschaften ... hausfrauliche Eigenschaften ... bescheiden und untertan sein ... es gibt eine Urbestimmung in ihr ... wahrhaft fraulich ... die Frau ist der Diener der Mannes ...“ All das ist seit 1975 schriftlich überliefert, sonst würde ich es selbst nicht glauben. Der Aufsatz liest sich heute wie eine Satire. Aber damals habe ich jedes Wort geglaubt. Aufgewachsen im katholischen Münsterland gingen wir Mädchen vor der Schule in die Kirche, kontrolliert von den Lehrkräften. Wir trugen winters wie sommers lange Hosen nur mit Röcken darüber. Der Pausenhof trennte Mädchen von Jungen. Wer sich oft in der Nähe des Zaunes aufhielt, wurde zu mehr Sittsamkeit ermahnt. Frauenbewegt Suffragetten, Emanzen, Feministinnen – der steinige Weg der Frauen, mit Männern ein gleichberechtigtes Leben zu führen, ist uralt. Er wurde wurde belächelt, verspottet, abgewertet und bekämpft. Erst die Anti-Baby-Pille veränderte in den frühen 1960ern das Verhalten von Frauen weltweit und das nicht nur sexuell. Die Pille war der revolutionäre Schritt zur Befreiung von Frauen. Es ist viel erreicht worden, seit meinem Aufsatz, z.B. das Wahlrecht, das Recht auf finanzielle Eigenständigkeit, auf gleiche Arbeit, auf gleichen Zugang zur Bildung, freie Berufswahl und Aufstiegschancen, Strafverfolgung bei sexueller Gewalt, Gleichstellung des Mannes in Haushalt und in der Kindererziehung, Scheidungsrecht u.v.m. 16 Foto © filmposter.de Die Frau sei dem Manne untertan Auf steinigem Weg Dennoch halten sich überliefertes Rollenverhalten, Bevormundung von Männern über Frauen und religiöser Fanatismus immer noch hartnäckig insbesondere in nicht demokratischen Nationen. Veränderungen für beide Geschlechter Die Geschlechterrollen verändern sich aber auch zum Vorteil für Männer, die verstanden haben, dass Gleichstellung oder Emanzipation auch mit ihnen zu tun hat. Sie erkennen die berufliche Entlastung, nicht mehr nur Alleinversorger oder das starke Familienoberhaupt sein zu müssen. Ihnen bieten sich Möglichkeiten, ihren Kindern auch „Tagesvater“ zu sein, etwas, wovon ihre Väter nicht einmal geträumt hätten. Vorbei sind die Zeiten, dass Männer als „Milchsemmel“ verschrien wurden, wenn sie den Kinderwagen schoben, auf Spielplätzen mit ihren Kindern spielten, den Hausflur fegten oder sich schämten, wenn die Nachbarn erfuhren, dass ihre Frauen in hochbezahlten Jobs „das Geld nach Hause brächten“. Mir geht das Herz auf, wenn ich heute partnerschaftlich geführte Ehen und Familien erlebe. Dann erinnere ich mich, dass ich mich in den 60er und 70er Jahren mit meinem Ehemann nicht ganz vergebens für die Gleichberechtigung engagiert habe. Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick R ückblick Damals Mein früher Berufswunsch Marlis Schömburg Eine ganz andere Erinnerung betrifft meine vierjährige Volksschulzeit. Wie alt ich genau war, weiß ich nicht mehr, aber lesen konnte ich schon. Ich war leider viel krank, musste mit geschwollenen Gelenken wochenlang im Bett liegen und etliche Medikamente schlucken. Die Namen lernte ich auswendig und hatte damals schon den Wunsch, die Tabletten eines Tages zu untersuchen und vielleicht auch zu verbessern, damit man schneller gesund werden könne. Meine Eltern ver-standen meinen Wunsch und schickten mich in die „Staatliche Wilhelm-Raabe-Schule zu Lüneburg“ – Oberschule für Mädchen, hauswirtschaftliche und sprachliche Form – wo mein Vater zu der Zeit noch Schulgeld bezahlen musste. Es war wie für mich gemacht, in einen gymnasialen Zweig zu kommen, in dem das erste Mal überhaupt schon ab der 7. Klasse Latein als 2. Fremdsprache gelehrt wurde. Davor mussten Mädchen mit dem Lateinunterricht bis zur 9. Klasse warten. Nicht nur meine Klassenkameradinnen, sondern alle, denen ich von meinen Zukunftsplänen erzählte, waren sehr verwundert, dass ich schon so früh in meinem Leben eine genaue Vorstellung von meiner späteren Arbeit hatte, überhaupt: dass ich arbeiten wollte. Mein Berufswunsch war Chemielaborantin. Foto © Ulrike C. Kannengießer Vor mir liegt die „Jubiläumsausgabe 90 Jahre Bund der Ehemaligen der Wilhelm-Raabe-Schule zu Lüneburg“ und erinnert mich an meine Schulzeit. Was hat sich seitdem alles verändert! Als ich die Wilhelm-RaabeSchule besuchte, gab es nur Schülerinnen und heute strömen morgens nicht nur junge Mädchen, sondern auch Jungen in das schöne, alte Gebäude in der Feldstraße. Imposant: die Wilhelm Raabe Schule Als ich nach einer 3½-jährigen Ausbildung einen Arbeitsvertrag erhielt, war es allgemein Usus, dass Frauen weniger verdienten als Männer. Man musste dankbar sein, als Frau angestellt zu werden. Ich wollte wissen, wie es heute für junge Leute aussieht. Auf meine Frage bei der Industrie- und Handelskammer, welche Tarife für Frauen und Männer in meinem Berufszweig vorgeschrieben seien, erhielt ich die gute Auskunft, dass der Gesetzgeber für beide Gruppen gleiche Entlohnung festgelegt habe, aber was die Arbeitgeber tatsächlich zahlen, sei ein besonderes Kapitel im positiven wie im negativen Sinn. Noch heute kenne ich Menschen, die nicht verstehen können, dass sich eine Frau für Chemie begeistert, das sei doch etwas für Männer! 2016 • Ausblick 17 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 I ntermezzo Idealistisch: „Liberté Fraternité Egalité“ Brigitte Abraham Was in Frankreich einst begonnen ward schon bald im Schmutz zerronnen. Friedrich Schiller hebt es wieder: Alle Menschen werden Brüder. In der „Ode an die Freude“. Das ist Utopie bis heute. Freiheit schon – doch nur im Denken. Brüderlich – wer will schon schenken? Dabei könnten Überfüllen allen Weltenhunger stillen. Gleichheit, gleichberechtigt sein ist oft nur ein schöner Schein. Denken wir an Männer – Frauen: Machtgefüge – sich nicht trauen. Denken wir an Arme – Reiche, Geld und Macht, es ist das Gleiche: Ist man ein Privatpatient, teuer auch das Medikament. Und Termine gibt es gleich, denn man ist ja schließlich reich. Arme warten oft viel länger und das Herz schlägt bang und bänger. Gibt es mal ‚ne höh‘re Löhnung, (in Prozenten ist die Krönung) ist‘s sehr viel bei bessren Posten. Doch „Harzvierer“ sind Verlierer, müssen weiter Armut kosten. Denn was sind vier Euro schon bei dem niedrig-kleinen Lohn? Foto © de.wikipedia.de Und so kommen wir zum Schluss, dass sich vieles ändern muss. Gleiches Recht sei allemal uns ein nahes Ideal! Rathaus von Vannes, Frankreich 18 Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick D urchblick M ythos M utter Sind Frauen, die Karriere machen, Rabenmütter? Brigitte Hempel Fotomontage © Peter Wilke Berufstätige Mütter sind nichts Neues. Wie sieht aber die Akzeptanz in der Bevölkerung aus? Der Vorwurf „Rabenmutter“ ist in Deutschland oft zu hören. Nicht selten sind Männer in gehobenen Positionen der Meinung, es sei nicht realisierbar, ihre Karriere mit einer 50:50 Kinderbetreuung zu vereinbaren. Vorurteile Vorurteile gibt es mehr oder weniger in allen Schichten der Gesellschaft. So finden sich nicht wenige Frauen, nachdem sie Mutter wurden, in der klassischen Rollenverteilung wieder. Unser gesellschaftliches Klima wird noch stark von der Rollenerwartung früherer Zeit dominiert. Manch Vater, der wochentags seine Kinder auf Spielplätze begleitet, dürfte ein Lied davon singen können. Gleichgestellt? Die Benachteiligung von berufstätigen Frauen in Deutschland ist eine nicht zu leugnende Tatsache. Sie verdienen bei gleicher Qualifikation weniger Geld und ihre Aufstiegschancen sind denen der Männer nicht gleichgestellt. Wenn Mütter Karriere anstreben oder im Beruf voll anerkannt sind, erleben sie den Druck der Gesellschaft. Da bleiben Schuldgefühle nicht aus. Rabenmutter auf dem Flug zur Krippe Eine Realität Kürzlich kam ich mit einer jungen Frau über dieses Thema ins Gespräch. Sie berichtete mir, dass in ihrem Beruf als Lebensmittelchemikerin überwiegend Frauen tätig seien. Lachend fügte sie hinzu: „Die Spitzenpositionen besetzen Männer!“ Sie hatte noch ein anderes Beispiel: Ihr Schwager wollte sechs Monate in Elternzeit gehen. Das wurde bei Beiersdorf gar nicht gern gesehen. Er nahm nur drei Monate in Anspruch ... Liebe versus Gleichheit? Dabei lieben sie ihre Kinder nicht weniger als Mütter, die Teilzeit oder gar nicht berufstätig sind. Ein kurzes, aber intensives Miteinander kann eine Mutter-Kind-Beziehung sogar befördern und Zufriedenheit verstärken. Frauen und Männern sollte es gleichermaßen möglich sein, Beruf und Kinder miteinander zu verbinden und zwar ohne, dass ihnen Nachteile entstehen. 2016 • Ausblick A nzeige 19 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 D urchblick Die Idee der Gleichwertigkeit Das Streben nach Leben, Freiheit und Glück Peter Friedrich Die Familienrechtsordnungen unseres Kulturkreises sind ursprünglich patriarchal: Der Mann behielt lange Zeit traditionelle Schutz-, Entscheidungs-und Verwaltungsrechte. Diese Geschlechterordnung war am stärksten in Tradition und Leben verwurzelt. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau wird vorangetrieben durch die steigende Funktionalisierung in der modernen Gesellschaft. Zunehmende Isolierung der Kleinfamilie (Ehepaar und Kind) ist die Folge davon, sowie ein gegenwärtiges labiles Gleichgewicht im beteiligten Personenkreis. Entscheidend dafür war die Verabschiedung des Grundgesetzes 1948. Der Letztentscheid des Mannes wird aufgehoben, in Zukunft bestimmen Mann und Frau gemeinschaftlich die Geschicke in der Familie. Gleichberechtigung wird als Gleichwertigkeit verstanden. Das Christentum nahm den Gedanken der Stoa auf, begründete ihn aber mit dem Verhältnis der Menschen zu Gott. Vor ihm sind, obwohl geschaffen nach Gottes Ebenbild, alle Menschen Sünder, aber in Jesus Christus zur Gotteskindschaft berufen. In Galater 3,17-28 wird A nzeige Stoa von Attalos in Athen: Hier trafen sich die Athener diese Gleichheit proklamiert. Dies hebt aber die realen Ungleichheiten nicht auf. Die Unterschiede sind nur zeitbedingt, begründen keine Ungleichheit vor Gott. In der Reformation mündete die Idee der Gleichheit ausschließlich in die Lehre vom allgemeinen Priestertum. Die protestantische Polemik richtete sich vor allem gegen kirchliche Hierarchie und Mönchtum. Die Reformatoren haben aus der Gleichheit vor Gott keine Umgestaltung der politisch-sozialen Ordnung abgeleitet. Das geschah erst in der Neuzeit, vor allem während der Aufklärung. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 heißt es, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unabdingbaren Rechten ausgestattet sind, dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Quelle: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 1975, 2. Aufl. S. 895-902 20 Ausblick • 2016 Foto © Tourismus Media, expedia.com Die Idee der Gleichheit aller Menschen wurde bereits um 300 v. Chr. von der Stoa formuliert, aufgrund der Teilhabe an der weltdurchwaltenden Vernunft. Nr. 105 | 3.2016 Ausblick D urchblick Immer diese Hormone? Von Rechten und Werten Beate-M. Dapper „Gleichberechtigung und deren Auslegung hat in den letzten über hundert Jahren einiges an Schindluder mit uns getrieben“, sagte das Testosteron, und das Östrogen antwortete gefühlvoll: „Ja, denn zur GleichbeRECHTigung gehört auch eine neue Sichtweise von WERTigkeit (siehe auch den Beitrag links von Peter Friedrich). Till zum Beispiel ist gerade mitten in der Pubertät. Mit geschwollener Brust macht er sein Territorium klar und beeindruckt durch aufkeimendes selbstbewusstes Verhalten. Sein Problem? Die weiblichen Vertreter seiner Generation pfeifen auf das alleinige Vorrecht von Hormonen und machen sich die kämpferischen epigenetischen Aspekte ihrer Vorfahr/ innen zunutze, die sie durch Erfahrung in ihren Genen weitergegeben haben. – Otto hingegen ist seit sechs Wochen Rentner und versucht mit aller Macht, seine nun wichtige Stellung zu Hause abzustecken. Nicht mehr so euphorisch wie Till, aber genauso verbissen. Und das hat folgenden Grund: Bei dem einen kommt’s, bei dem anderen geht’s, das Testosteron. Wer viel davon hat, kann besser abstrakt denken, hat eine fantastische räumliche Vorstellungskraft und findet in Suchbildern schneller das gewünschte Objekt – aber nicht die Butter im Kühlschrank, die richtigen Worte in emotiona- A nzeige 2016 • Ausblick len Angelegenheiten und auch wenig Zusammenhang in vielfältig wahrnehmbaren Lebenssituationen. Dafür sorgen nämlich die weiblichen Hormone, zum Beispiel das Östrogen. Allerdings hat Ottos Frau mittlerweile nicht mehr so viel davon, dafür jedoch einen höheren Testosteronwert. Aber unsere Persönlichkeit hängt ja nicht nur von Hormonen ab, sondern auch von den Genen und Lebenseinflüssen. Otto zum Beispiel – gezeichnet von sinkenden Testosteronwerten – appelliert an seine Gene und seine Erfahrungen, bäumt sich noch einmal auf und verkündet: „Ich werde jetzt als ehemaliger Abteilungsleiter Form und Struktur in die Haushaltsorganisation meiner Frau bringen.“ Und seine Frau vertraut der besten Freundin an: „Seit sechs Wochen ist Otto in Rente, und ich hätte nie gedacht, dass ich nach 45 glücklichen Ehejahren einmal an Scheidung denken würde.“ Otto gleicht intuitiv sein sinkendes Männlichkeitshormon aus, indem er sich dem Stress des Fitnesscenters aussetzt, so seinen Kortisolwert erhöht und sich das Gefühl von „Mut und Stärke“ antrainiert. Die Stimmung steigt, weil sich gleichzeitig Botenstoffe wie Serotonin und Dopamin einstellen. Mit vorletzter Kraft verausgabt er sich und erhält dafür das Gefühl, belohnt zu werden. Doch als er mit peinlicher Genauigkeit und stundenlang das Geschirr abwäscht, weil die Maschine es nicht gut genug macht; als er Tischdecken abschaffen will, weil sie zusätzliche Arbeit bedeuten; und als er beginnt, die Kaffees zu zählen, die seine Frau mit ihrer Freundin trinkt, hat diese genug und regt eine Neuordnung unter veränderten Bedingungen an. – Und bis beide erkennen, dass ihr Hormonhaushalt eine ganz natürliche Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit vorgenommen hat, lässt sie ihn zunächst noch stundenlang abwaschen und geht in dieser Zeit mit ihrer Freundin Kaffee trinken. Und was Till und alle weiteren Generationen angeht, empfiehlt es sich, Wertungen wie „gut“ oder „schlecht“ durch „funktioniert“ oder „funktioniert nicht“ zu ersetzen, weil der wahre Sinn von scheinbaren Gegensätzen das gleichwertige und gemeinschaftliche Zusammenspiel ist. 21 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 D urchblick Familienrecht Ein anderer Lebensstil Gabriele Bianchii Das war 1980. Frauenemanzipation und Gleichberechtigung waren in Europa ein allgegenwärtiges Thema. Vorsichtig und möglichst diskret begann ich, mich über Frauenrechte in den unterschiedlichen Religionen und Kulturen zu informieren. Meine Informationen bekam ich durch Gespräche, Fragen und Erlebnisse und hatten keine Allgemeingültigkeit, sondern bezogen sich auf Familien oder Gruppen in unserem Umfeld. So erfuhr ich, dass ein islamischer Mann sich nur eine nächste Frau nehmen darf, wenn er in der Lage ist, seiner ersten Frau den gewohnten Lebensstandard zu erhalten. Diese Regel führt sich fort bis zur vierten Frau. Das sei in mehreren Kulturen so. In vielen Familien soll es die Absprache geben, dass die Frauen ihre Rollen umschichtig einnehmen. Diejenige, die mit dem Mann das Bett teilt, hat auch das Sagen bei der aufwendigen Zubereitung der Speisen. Eine andere Frau kümmert sich in erster Linie um die Kinder. Wäschepflege, Putz- Garten- oder Feldarbeit werden ebenfalls aufgeteilt. Ich hörte, dass in guten Gemeinschaften ein wöchentlicher Wechsel stattfindet. Zweifellos ist dies für uns ein befremdliches System. Ich glaube aber, mit Ablehnung und negativer Kritik sollten wir vorsichtig sein. Gerne erinnere ich mich an die offene, lustige und freundschaftliche Atmosphäre, die ich mit afrikanischen, syrischen, libanesischen und palästinensischen Frauen in deren Küchen erlebt habe. Übers Kochen, Würzen und Einkaufen habe ich dort viel gelernt. Wir hatten viel Spaß bei der Zubereitung der Speisen für die Männer, die natürlich unter 22 Foto © filmposter.de Die zweite Frau unseres Kochs lebte nur kurze Zeit mit auf unserem Grundstück in Maiduguri / Nigeria. Hochschwanger verließ sie ihre hiesige kleine Familie, um in ihr Dorf zu ihrer Herkunftsfamilie zurückzukehren. Oder wurde sie verstoßen? Ich fragte, was mit dem Baby werden würde. Erstaunt über diese Frage antwortete unser Koch: „Selbstverständlich darf die Mutter eine Tochter behalten, ein Sohn kommt zu mir und meiner ersten Frau.“ Koch in Maidiguru, Nigeria sich im Wohnraum blieben. Wir Frauen gönnten uns nach dem leckeren Essen heimlich einen Arrak. Die Flasche war in der unteren Herdschublade versteckt – ein Tabubereich für die Männer. Die Kinder spielten derweil im Hof, Garten oder Kinderzimmer und wurden von den größeren Geschwistern beaufsichtigt. Bei Fragen oder Streitereien liefen sie entweder zur Mama in die Küche oder zum Papa in seiner Männerrunde. Nicht alle afrikanischen oder arabischen Frauen beneiden uns Europäerinnen. Die hohe Arbeitsbelastung und die große Verantwortung, die unsere Freiheit mit sich bringt, verstört so manche Frau aus anderen Kulturkreisen. Wir werden oft als einsame Einzelkämpferinnen angesehen. Dem konnte ich wenig entgegen setzen. Begriffe wie „ Grüne Witwe“ für die am Stadtrand Lebenden und „Nur Hausfrau“ für nicht Erwerbstätige sind wenig schmeichelhaft. Über häusliche Gewalt und Alkoholexzesse in unserer Kultur und den damit verbundenen Leiden der Frauen haben wir nie gesprochen. Ich glaube, Gleichberechtigung kann es auf dieser Welt nicht geben. Mehr Respekt, Anerkennung und Achtung und weniger Angst vor dem Anderen, dem Fremden, wären für mich ein großer und wünschenswerter Fortschritt. Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick W erbung Ein neues SaLü-Kursbecken mehr Angebote im Wasser A nzeige Im August 2016 startete die neue Kursstaffel mit vielfältigen Angeboten für Aqua-Fitness im SaLü-Salztherme Lüneburg. Dafür steht auch das im Frühsommer eröffnete neue Kursbecken zur Verfügung. Mit einer Wasserfläche von etwa 100 m2, einer zunehmenden Wassertiefe von 0,90 bis 1,35 Metern und einer Temperatur von ca. 32 °C bietet es optimale Bedingungen für FitnessKurse im Wasser. Große Glasflächen nach draußen, zum benachbarten Bewegungsbecken und zur angrenzenden SaLü-Badewelt tauchen den Innenraum des Kursbeckenneubaus in helles Licht. Sichtachsen zwischen den Gebäudeelementen vermitteln Weite und Verbundenheit. Das neue Becken ist sowohl über einen separaten Umkleidebereich als auch die SaLü-Badewelt zu erreichen. Wer außer Fitness auch Erholung sucht, kann sich unter anderem in der Kleinen Sauna entspannen. Das vierteljährlich wechselnde Aufgussprogramm orientiert sich an den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde und lädt zu kleinen Entspannungsritualen, Duft- und Geschmacksüberraschungen ein. Informationen zu allen Angeboten und Terminen gibt es unter: www.salue.info 2016 • Ausblick 23 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 E inblick Werft den Weiberrock über Bord Sprüche aus der Segelschifffahrt Peter Wilke Diese und ähnliche Sprüche waren zur Zeit der Segelschifffahrt gang und gäbe. Aus aller Welt kommen Schiffe nach Hamburg. An Bord arbeiten Männer und Frauen. Das ist auch das Verdienst der Pionierin Annaliese Teetz. Mit abgeschnürter Brust und in Jungsklamotten heuert sie 1924 auf einem Fischdampfer an. Die 14-Jährige muss sich verkleiden, denn Frauen durften damals nicht auf Schiffen arbeiten. Sie bleibt beharrlich und bekommt tatsächlich eine Sondergenehmigung – von Adolf Hitler persönlich – und erhält im Dezember 1943 das Steuermannspatent. Doch das Bundesverkehrsministerium erschwert ihr nach dem Krieg das weitere Vorwärtskommen. 1955 hat es Annaliese Teetz geschafft: Sie bekommt das Große Patent überreicht und ist erste Kapitänin Deutschlands. Ein Triumph noch vor dem Gleichberechtigungsgestz von 1958. Im 19. Jahrhundert und früher hat es zahlreiche Frauen gegeben, die auf Schiffen arbeiteten. Viele lebten mit ihren Familien an Bord kleiner Küstensegler, einige auch auf Frachtsegelschiffen. Während sie auf kleinen Schiffen den Haushalt versahen und Matrosenarbeit verrichteten, wurden sie auf den großen Seglern vor der Besatzung verborgen gehalten. A nzeigen Zwischen 1929 und 1938 gelang es einzelnen Frauen, auf den letzten Frachtseglern des finnischen Reeders Gustaf Erikson zu arbeiten. Einige waren sehr ambitioniert und wollten Offizier bzw. Kapitän werden. Doch keine von ihnen schaffte es. Piraterie Frauen an Bord von Piratenschiffen waren generell verboten. Die Piraten hatten Angst, dass es ihretwegen Ärger unter der rauen Mannschaft geben würde und dass die Frauen dem harten Leben an Bord nicht gewachsen wären. Doch zwei Frauen an Bord der Piratenschiffe sind noch heute berühmt: die Engländerinnen Anne Bonny und Mary Read. Beide hatten sich in ihren Piratenkapitän verliebt und gingen mit ihm auf Beutejagd. Die beiden kämpften genauso wild und entschlossen wie ihre männlichen Kollegen. Obwohl sie ausgezeichnete Seeräuberinnen waren, durfte niemand an Deck sie als Frauen erkennen. Sie trugen immer Männerkleidung. Da auch die Männer lange Haare hatten und weite Hemden und Hosen trugen, war das kein Problem. Fantasie Die Kalifornierin Joan Lowel veröffentlichte 1929 ihre Autobiographie, Titel: „Ich spucke gegen den Wind“, in der sie schildert, wie sie die ersten 17 Jahre ihres Lebens auf dem Viermastschoner ihres Vaters verbrachte. Wunderbar und abenteuerlich sind die monatelangen Fahrten zwischen den Südseeinseln und Australien. Das Buch verkaufte sich als Bestseller, doch kurz nach seiner Veröffentlichung entpuppte sich die angebliche Autobiographie 24 Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Aberglaube ... war und ist bei Seeleuten weit verbreitet. Von der Besatzung als »Jonas« – als Unglücksbringerin – wurden die Frauen gemieden oder demoralisiert. Für einen meiner ehemaligen Chefs war der Freitag ein Unglückstag, da lief man nicht aus. Der Sonntag war immer der gute Tag. Auf Jungfernfahrten wollte er keine Weiberröcke an Bord haben. Wenn die Cateringfirma das Festessen und die Getränke lieferte und das Personal für diesen Tag stellte, empfing er persönlich die Frauen an der Gangway, drückte ihnen einen Bonus in die Hand und schickte sie nach Hause. Während meiner Fahrenszeit nahm der Anteil der Frauen an Bord stetig zu; jedoch nur auf Schiffen mit europäischen Besatzungen. Waren sie anfangs als Küchen- und Servierpersonal tätig, fahren sie heute als Nautische Offiziere und Kapitäninnen über die Weltmeere. Auf meinen Ausblick Einblick Schiffen fuhren oft Ehefrauen von Besatzungsmitgliedern mit. Für mich waren Frauen an Bord eine Bereicherung. Die Männer benahmen sich in ihrer Gegenwart viel zivilisierter. Wir feierten und tanzten gemeinsam nach getaner Arbeit. Foto © rororo TB dt., 1929 (Joan Lowell: Ich spucke gegen den Wind) als reine Erfindung. Tatsächlich verbrachte sie nur ein Jahr auf einem Schiff im sicheren Hafen. Joan spuckt gegen den Wind. Von Zirze bezirzt, also beraten, sich vor den Sirenen ich Acht zu nehmen, schiffte Odysseus mit offenen Ohren, aber festgebunden, an deren Insel vorbei. Gut, dass seine Mannschaft Wachs in den Ohren hatte und ohne weiblichen Schaden an der Insel vorbeiruderte. Nach ein paar Stunden war es geschafft: Insel außer Sichtweite, kein Ton zu hören, Odysseus vor den Frauen gerettet! (Nachzulesen in: Die Irrfahrten des Odysseus) 2016 • Ausblick 25 Mosaik Odysseus und die Sirenen 3 Jh n Chr Museo del Bardo a Tunisi Bezaubernden Wesen, halb Frau, halb Fisch, entkommen ... Ausblick Nr. 105 | 3.2016 E inblick Chancengleichheit Karbon-Prothese gegen gesunde Unterschenkel und Füße Peter Wilke Wenn ich mir im Fernsehen die Sportlerinnen und Sportler bei Paralympischen Wettkämpfen und ihr sympathisches Auftreten anschaue, empfinde ich jedes Mal Hochachtung vor ihrer Leistungsfähigkeit, ihrem Ehrgeiz, ihrem Willen und ihrer Lebensfreude. Am 30. Juli 2014 entschied der Deutsche Leichtathletik-Verband, dass Rehm nicht an den Leichtathletik-Europameisterschaften 2014 teilnehmen dürfe. Laut Verbandspräsident bestünden „… deutliche Zweifel, dass Sprünge mit Beinprothese und einem natürlichen Sprunggelenk vergleichbar sind.“ – Messungen der Biomechaniker hatten ergeben, dass Rehm beim Anlauf kurz vor dem Absprung deutlich langsamer war als andere Männer bei vergleichbaren 8-Meter-Sprüngen und trotzdem beim Absprung eine höhere Vertikalgeschwindigkeit erreichte. Auf einer Veranstaltung im Deutschen Sport- und Olympiamuseum in Köln „Auf dem Sprung nach Rio!“ machte Markus Rehm klar, dass er in diesem Sommer den Doppelstart bei den Olympischen Spielen und bei den Paralympics in Brasilien erreichen wolle. Jetzt müsse der Leichtathletik-Weltverband entscheiden. Der Athlet wäre mit einem Olympiastart außerhalb der Wertung zufrieden. – Ob das so kommt, ist aber weiter völlig offen. Wissenschaftler aus Deutschland, Japan und den USA kommen zu dem Ergebnis, dass "… zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig ausgesagt werden kann, dass die Prothese von Markus Rehm ihm beim Weitsprung einen oder keinen Gesamtvorteil gegenüber nicht behinderten Athleten bietet". 26 Foto © www.fotografie-irishensel.de 2014 wurde der Deutsche Meister im Weitsprung und EMGoldmedaillengewinner Markus Rehm Behindertensportler des Jahres. Markus Rehm ist Orthopädietechniker-Meister. Als 14-Jähriger verlor er bei einem Sportunfall sein rechtes Bein unterhalb des Knies. Dennoch kehrte er bald zum Sport zurück und widmete sich dem Weitsprung. Bei Paralympischen Wettkämpfen stellte er neue Rekorde auf und gewann viele Medaillen. Sein Ziel ist es, wie schon zuvor der südafrikanische Leichtathlet Oscar Pistorius, in offiziellen Wettbewerben gegen nicht behinderte Athleten antreten zu können. Der Knackpunkt: Absprung mit der Prothese Fundamental andere Technik Professor Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule in Köln fasste die Ergebnisse so zusammen: „Die behinderten Athleten haben Nachteile im Anlauf, die der Prothese zugeordnet werden. Beim Absprung sind die ProthesenSpringer allerdings deutlich im Vorteil, weil die Karbon-Prothesen viel mehr Energie speichern und dem Springer zurückgeben als das System aus Muskeln, Sehnen, Bändern und Knochen.“ Bei allem Mitgefühl für behinderte Sportler: „Techno-Doping“ sichert einen Vorsprung gegenüber Gesunden. Ich wünsche Markus Rehm den „Sprung nach Rio!”, doch nur zum Start bei den Paralympics. Und so entschied der Leichtathletik-Weltverband kurz vor Beginn der Spiele. Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick A ugenzwinkern Die ganze Wahrheit Eines Tages im Garten Eden Urheberschaft unbekannt Gemälde Maarten van Heemskerck (1498–1574), „Adam und Eva“ (Ausschnitt), 1550 – Musée des Beaux-Arts de Strasbourg; Quelle: wikimedia.org (Ji-Elle) Eines Tages im Garten Eden sagte Eva zu Gott: „Gott, ich habe ein Problem!“ – „Was ist das Problem, Eva?“ „Gott, ich weiß, dass Du mich erschaffen hast, mir diesen wunderschönen Garten und all diese fabelhaften Tiere und diese zum Totlachen komische Schlange zur Seite gestellt hast, aber ich bin einfach nicht glücklich.“ „Warum bist du nicht glücklich, Eva?“ kam die Antwort von oben. „Gott, ich bin einsam, ... ... und ich kann Äpfel einfach nicht mehr sehen.“„Na gut, Eva, in diesem Fall habe ich die Lösung für dein Problem. Ich werde für dich einen Mann erschaffen und ihn dir zur Seite stellen.“ „Was ist ein Mann, Gott?“ „Dieser Mann wird eine missratene Kreatur sein, mit vielen Fehlern und schlechten Charakterzügen. Er wird lügen, dich betrügen und unglaublich eitel und eingebildet sein. Im Großen und Ganzen wird er dir das Leben schwer machen. Aber er wird größer, stärker und schneller sei und er wird es lieben zu jagen und Dinge zu töten. Er wird dümmlich aussehen, wenn er erregt ist, aber da du dich ja beschwert hast, werde ich ihn derart beschaffen, dass er deine körperlichen Bedürfnisse befriedigen wird. Er wird witzlos sein und solch kindische Dinge wie Kämpfen und einen Ball herumkicken über alles lieben. Er wird auch nicht viel Verstand haben, sodass er deinen Rat brauchen wird, um vernünftig zu denken.“ – „Klingt ja umwerfend“, sagte Eva und zog dabei eine Augenbraue ironisch hoch. Foto © Beate-M. Dapper „Wo ist der Haken, Gott?“ „Also ... du kannst ihn unter einer Bedingung haben.“ „Welche Bedingung ist das, oh Gott?“ „Wie ich schon sagte, wird er stolz und arrogant sein und sich selbst stets am meisten bewundern ... Du wirst ihn daher im Glauben lassen müssen, dass ich ihn zuerst geschaffen hätte. Denk dran, das ist unser beider kleines Geheimnis ... – Du weißt schon, von Frau zu Frau.“ Mit zwei Äpfeln wäre das nicht passiert! 2016 • Ausblick Adam und Eva 27 Ausblick Nr. 105 | 3.2016 E inblick Mensch und Maschine A nzeige Ein besonderes Verhältnis Foto © Ulrike C. Kannengießer Der Mahlzeit folgt der Abwasch des schmutzigen Geschirrs wie das Amen in der Kirche. In der Küche stapeln sich Teller, Tassen, Gläser, Bestecke, Schüsseln, Kochtöpfe. Foto © xxx Ulrike C. Kannengießer Der Stein des Anstoßes In den Studenten-WGs wartete man mit dem Abwasch, bis kein sauberes Geschirr mehr aufzutreiben und das Chaos in der Küche zum Fürchten war. Und dann kam der Tag, als der Geschirrspüler Einzug hielt in die Küche. Seitdem kämpfen die Mitglieder des Haushaltes um das richtige Einräumen des Geschirrspülers. Jeder macht es anders und keinem ist es recht. Mal ist angeblich noch viel Platz, und das Frühstücksgeschirr würde am nächsten Morgen bestimmt noch reinpassen. Oder man streitet darum, ob die Töpfe nicht besser mit der Hand abgewaschen werden sollten. Wie oft hat ein Haushaltsmitglied nach einem kritischen Blick in den Geschirrspüler alles noch einmal neu einsortiert, bis alles so verstaut war, wie es seiner Ansicht nach sein musste. Wie viele Ehekrisen eskalierten vor dem Geschirrspüler? Eine fürsorgliche Partnerin sollte daher den perfekt beladenen Geschirrspüler fotografieren und das Foto gut sichtbar in der Küche aufhängen. Aber wie kann sie dem Mann beibringen, dass er nicht sein gebrauchtes Geschirr in eine volle Maschine einräumt, in der das bereits gereinigte Geschirr darauf wartet, ausgeräumt zu werden? Merke: Mache um einen fremden Geschirrspüler einen großen Bogen! Denn hier endet die Freundschaft. 28 Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Ausblick R ezensionen Bücher zum Thema G. Glasfurd Th. Straubhaar Michael S. Metzner Worte in meiner Hand Achtsamkeit und Humor List im Ullstein Der Untergang ist abgesagt Buchverlag GmbH, Wider die Mythen des Geistes Berlin; ISBN 978- des demogra- Schattauer GmbH, 3-471-35123-9 * fischen Wan- Stuttgart; ISBN 978- € 18,00 dels; Ed.Körber 3-86739-116-0 * € Stiftung, ISBN 19,95 Das Immunsystem 978-3-89684-174-2, € 18,00 Amsterdam um 1630. Helena Jans van den Strom lebt und arbeitet als Magd bei einem Buchhändler. Dass sie lesen und schreiben kann, ist für Mädchen in der damaligen Zeit eine absolute Ausnahme. Sie hat es sich selbst beigebracht. Der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes („Ich denke, also bin ich“) wohnt als Gast im Haus. Ihm fällt der Wissensdurst der jungen Frau auf. Beide verlieben sich ineinander. Als sie schwanger wird, sorgt er für sie. Heiraten können sie nicht. Nicht nur der Standesunterschied ist zu groß; Descartes ist Katholik und Helena Calvinistin. Der Roman basiert auf Tatsachen und ist aus der Perspektive der jungen Frau geschrieben. Guinevere Glasfurd gelang ein eindringlich historisches Buch. Es ist kein Buch zum zwischendurch Abschalten. Wer sich auf die Lektüre einlässt, wird als Leser gefordert. Er bekommt dafür ein wunderbares Lesevergnügen. . Brigitte Hempel Thomas Straubhaar wagt es, die demografische Entwicklung in Frage zu stellen und eigene optimistische Vorstellungen entgegenzusetzen. Er stellt seine Mythen in den Mittelpunkt wie: Schrumpfung und Alterung bedrohten Deutschlands Wohlstand; Deutschland sei für Talente nicht attraktiv; Deutschland drohe ein Fachkräftemangel. – Hier verweist er auf das ungenutzte Potential der Älteren und der Frauen. „Traditionellen Mustern der Rollenverteilung der Geschlechter folgend, reduzieren insbesondere Frauen ihren Beschäftigungsgrad bei der Geburt eines Kindes.“ Im Alter zwischen 20 und 45 Jahren arbeiten 78,7% der Frauen und 88,7% der Männer (Stat. Bundesamt 2014). Er meint, die Arbeitsbedingungen müssten so angepasst werden, dass fähige Frauen, die wollen, auch mehr arbeiten können. Der Autor ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und Direktor des Europa-Kollegs Hamburg. In seinem gut verständlichen Werk zeigt er neue Wege. . Brigitte Hempel Ein Christ, ein Buddhist und ein Hindu fahren auf einem See zum Angeln heraus. Nach fünf Minuten hat der Hindu keine Angelköder mehr – er brennt drei Räucherstäbchen ab, murmelt ein Gebet [...][, steigt aus dem Boot, läuft übers Wasser, holt die Würmer [...]. Wieder zehn Minuten später hat der Buddhist keine Köder mehr. Er meditiert eine Weile, spricht „om mani padme hum“, steigt aus dem Boot, läuft übers Wasser, holt sich die Würmer und kommt zurück. Eine halbe Stunde später hat auch der Christ keine Würmer mehr. Er fragt: „Kollegen, wie macht ihr das mit dem übers Wasser laufen?“ „Na, wie Jesus“, antwortet der Hindu: „Beten, fest dran glauben, und schon geht das.“ – Der Christ betet drei Vaterunser, drei Ave Maria, schlägt ein Kreuz, steigt aus, macht zwei Schritte – und blubb, weg ist er. [...] – Wie es weiter geht, erfahren Sie im Buch, einem Ratgeber zum Nachdenken für Profis und für Laien versehen mit einer Einlage für achtsame Bewegungsübungen. Brigitte Hempel A nzeige Das Buch „Worte in meiner Hand" WURDE EMPFOHLEN VON LÜNEBUCH.de 2016 • Ausblick 29 Ausblick M al mit Nr. 105 | 3.2016 ERNST Männer, emanzipiert euch! Mal mit ERNST Beate-M. Dapper N eulich spazierte ich zeitvergessen durch den Park und ließ mich für einen Moment auf einer Bank nieder. Die ersten Herbstblätter fielen von den Bäumen und die ersten Pullover wurden um die Schultern oder Hüften gebunden. Es wurde hier und da noch Federball gespielt, obwohl der Ball immer häufiger unkalkulierbaren Aufwind bekam. Einige Paare, alte und junge, genossen entspannt den Charme der flacher einfallenden Lichtverhältnisse. Foto & Illustration © Beate-M. Dapper I ... wenn keiner wichtiger ist. Selbst die Vögel zwitscherten in vollkommener Harmonie ein gemeinsames Lied. – Da tauchte – wie aus dem Nichts – mein junger Nachbar Max auf, der durch seine gespannte Haltung und sein verzerrt-verkrampftes Gesicht eine Dissonanz in meine heile Welt brachte. Nach einer kurzen Begrüßung kam er gleich auf den Punkt: „Finden Sie nicht auch, dass das Thema ‚Gleichberechtigung‘ heutzutage viel zu groß geschrieben wird?“ E in bisschen überfahren von der problematischen Thematik in meiner gerade bunten Welt wich ich aus. „Kommt darauf an“, sagte ich. Max zögerte nicht lange, biss sich auf die Lippen und erzählte: „Nächste Woche kommt unser Sohn zur Schule. Und heute eröffnete mir meine Frau, dass sie ihre Stundenzahl von 3 auf 6 erhöhen will.“ – „Na, das ist doch gut“, warf ich ein, obwohl Max wohl augenscheinlich eine andere Reaktion erwartet hatte. Er verdrehte die Augen und hob trotzig seine Schultern. „Jetzt will sie, dass ich dreimal in der Woche unseren Sohn abhole und auch noch etliche Aufgaben im Haushalt übernehme“, entrüstete er sich. „Sie nennt das Gleichberechtigung. Ich nenne das Schikane!“ 30 ERNST n bewusst weichem Ton und auch auf die Gefahr, dass ich mich jetzt vollkommen in die Nesseln setzen würde, fragte ich: „Was spricht denn gegen eine Stundenreduzierung in IHREM Job?“ – Wie ein kleines Gewitter aus heiterem Himmel donnerte er mir entgegen: „Na soweit kommt es noch! Ich bin schließlich der Hauptverdiener, auch wenn meine Frau einen besseren Beruf hat.“ – Mittlerweile hellwach und mit gespitzten Ohren fragte ich: „Und wenn SIE die Hauptverdienerin wäre?“ Max‘ komplette Körperhaltung sagte mir, dass er gleich explodieren würde. Und tatsächlich entfuhr es ihm so spontan wie laut: „Dann bekäme sie trotzdem weniger Geld! Immerhin ist sie eine Frau!“ – Mittlerweile etwas angesäuert fragte ich bewusst provokativ weiter: „Ach, dann sind Sie also gegen das Wahlrecht, das Recht auf Bildung, Privateigentum und Erwerbsarbeit für Frauen?“ N ein, natürlich nicht. Aber dieser ganze Emanzipationsmist nimmt ja echt gigantische Ausmaße an. Da weiß ein Mann ja gar nicht mehr, wo es langgeht …“ – Jetzt war der Punkt da, an dem ich ihn fröhlich angrinste, was ihn vollkommen irritierte: „Was“, lieber Herr Nachbar, „was spricht dagegen, dass SIE sich nun emanzipieren und sich nicht selbst versklaven und sich artig Ihrem Job und Ihrer Mannesrolle verschreiben?“ Verdutzt sah er mich an: „Wie meinen Sie das?“ „Die Augenhöhe zu Ihrer Frau ist eine tolle Chance, sich zu emanzipieren und die große Verantwortung eines Managers und Diplomaten im Kompetenzfeld ‚Zukunft‘ anzunehmen. – Zeit genug hatten wir Männer ja, denn im 18. Jahrhundert schon sagte der irisch-englische Staatsmann und Denker Edmund Burke: Die Gleichberechtigung der Männer in Amerika macht Fortschritte: Wirbelstürme tragen jetzt auch männliche Namen!“ Ausblick • 2016 Nr. 105 | 3.2016 Foto © betterplace.de Das Thema für Ausgabe 106 Das Verständnis über Dankbarkeit hat sich gewandelt. Waren die Menschen 1945 noch von Dank erfüllt, wenn sie ein Dach über dem Kopf und satt zu essen hatten, sind es heute andere Gründe, die in uns das Gefühl der Dankbarkeit auslösen. Heute sind viele Dinge normal und selbstverständlich. Dankbarkeit beruht auf persönlichen Erfahrungen, Erlebnissen und finanziellen Gegebenheiten. Wenn Sie Grund zur Dankbarkeit haben/ hatten, lassen Sie uns an Ihren Geschichten teilhaben. Redaktionsschluss ist der 17. Oktober. Ausblick-Verteiler AWO, Käthe-Krüger-Straße Barmer Ersatzkasse Begegnungsstätte Glockenhaus Bürgeramt DRK O. V. Edeka Loewe Center weitere Bergmann Edeka Fil. Ev. Familienbildungsstätte Kirchengemeinden Lünebuch am Markt Ratsbücherei Salü-Salztherme Sandpassage Tschorn Senioren- und Pflegestützpunkt Theater Lüneburg Tschorn am Bockelsberg VHS Region Lüneburg Adendorf Bücherei Supermärkte Olympic-Sportcenter Ashausen Sankt Andreas-Kirche Bad Bevensen Göhrde Apotheke Herz- und Gefäßzentrum Kurzentrum 2016 • Ausblick Ausblick A usblick Dankbarkeit Lüneburg Bardowick Dom Bienenbüttel Aportheke Bücherei Post Bleckede Albert-Schweitzer-Familienwerk Dahlenburg Apotheke Winsen Gemeindehaus St. Marien Kreiskrankenhaus Scharnebeck Edeka Markt Tespe Edeka Markt Geesthacht Johanniter-Krankenhau Westerdeichstrich Büsum Fehmarn Impressum Herausgeber AUSBLICK-Redaktion VHS Region Lüneburg Haagestraße 4, 21335 Lüneburg, Tel.: 04131 | 15 66 0 [email protected] Erscheinungsweise 4x jährlich; Verteilte Auflage: 10.000 Redaktion Dr. Brigitte Hempel (Leitung) Tel.: 51 211 [email protected] Ulrike C. Kannengießer (stellv. Leitung) Peter Wilke (Chefredakteur) Beate-M. Dapper, Peter Friedrich, Miriam Katharina Kleck, Waltraut Peter, Marlis Schömburg, Maja Schwaak, Monika Sternhagen, Reinhild Zenz Satz & Gestaltung Peter Wilke (verantw.), Beate-M. Dapper, Ulrike C. Kannengießer & Maja Schwaak Layout: Beate-M. Dapper Internet: www.ausblick-zeitschrift.de Webmaster: Peter Wilke Anzeigen Peter Wilke (verantw.), Tel.: 220 36 86 Dieses Heft enthält Anzeigen der Unternehmen Bestattungsinstitut Ahorn Trauerhilfe Lips / Bestattungsinstitut Manfred Imhorst Gmbh & Co KG / Beate-M. Dapper, LuckyTEXT / DRK OV Lüneburg-Stadt e.V. / Gaststätte „Grüne Stute" / Gärtnerei und Floristik Koch/Gürtler / Lünebuch.de Buchhandlung am Markt / Massagepraxis Ilse Philipp / Museumsstiftung Lüneburg – Deutsches Salzmuseum / REHA LÜNEBURG Konrad-Zuse-Allee 9 / Salü, Salztherme Lüneburg / Sandpassage Tschorn GmbH & Co KG Wir bitten um freundliche Beachtung. Anzeigenkunden finden unsere Mediadaten im Internet: http://ausblick-zeitschrift.de/mediadaten Druck: v. Stern‘sche Druckerei GmbH & Co KG, Zeppelinstraße 24, 21337 Lüneburg Verteilung: November-Echo, CB-Funk-Freunde LG Die Redaktion behält sich vor, eingegangene Artikel und Leserbriefe zu kürzen. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen. und an vielen anderen Stellen! 31 Kennen Sie . . . ... das Haus in der Wallstraße 3? Wann sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, zuletzt durch die Wallstraße gegangen? Hatten Sie ein wenig Zeit, sich die Häuser im Vorübergehen anzuschauen? Mich interessierte die Geschichte des einzigen freistehenden Hauses Nr. 3 von der Roten Straße kommend kurz nach der Einmündung rechts: Nachdem um 1860 der Rote Wall südlich der Altstadt zum großen Teil abgetragen war, entstand zwischen der Sülztor- und Roten Straße die Wallstraße. 1868 wurde der repräsentative Backsteinbau im neugotischen Stil errichtet. Der Medizinalrat Dr. Otto Sprengell hatte die Architektenbrüder Adolf und Werner Narten und E. A. F. Maske mit dem Bau beauftragt. Aufgrund seines Zeugniswertes für die Bau- und Kunstgeschichte steht das Beispiel der damaligen bürgerlichen Wohnkultur heute unter Denkmalschutz. Zwischen den massigen großen Blockbauten der ehemaligen Landeszentralbank – heute u.a. das Stadtarchiv – und dem neu bezogenen Wohnkomplex für Senioren der Lüwobau, präsentiert sich stolz das kleine zweigeschossige villenähnliche Haus mit der Hausnummer 3. Seine Fassade zeichnet eine reiche Dekoration in neugotischer Formensprache. Aufwändige Details spiegeln sich z.B. in dem abwechselnd aus grün und braun glasierten Formsteinen gemauerten Spitzbogenportal wider, das die original erhaltene Eingangstür krönt. Die ähnlich gerahmten Segmentbogenfenster mit steilen Sohlbänken und abschließenden Konsolgesims ergänzen das wunderschöne Portal. Ein herausragender Akzent ist der breite Vierpassfries aus grün glasierten Terrakotten an der Geschossgrenze. Der schmiedeeiserne Vorbau vor dem Eingang wurde 1872 angefügt. Beachtenswert sind weiter die z.T. farbigen Bleiverglasungen der Eingangstür und der beiden mittigen Spitzbogenfenster im Obergeschoss. In einem Anbau auf der Rückseite des Hauses ist im Giebel ein Zierfachwerk erhalten. Nach Dr. Sprengell (er war fast drei Jahrzehnte engagiertes Mitglied und Mitarbeiter des Museumsund Naturwissenschaftlichen Vereins für das Fürstentum Lüneburg von 1851 e.V.) wohnten in dem schönen Haus ein Ober-Stabsarzt, der Fabrikant W. Brandt, ein Ökonom und ein weiterer Arzt mit Praxisbetrieb bis 1932. Machen Sie sich auf einem Ihrer nächsten Spaziergänge durch die „Wall Street“ Lüneburgs die Freude dieses besondere Kleinod näher zu betrachten, selbst wenn die auf einen Schnitt wartende Buchenhecke es zu verbergen versucht. Quellen: Stadtarchäologe Prof. Dr. Ring Baudenkmale in Niedersachsen - Hansestadt Lüneburg 22.1 Rümelin, H., Stadtentwicklung und Architektur. Lüneburg im 20. Jh., Jahrbuch des Naturwissenschaftlichen Vereins für das Fürstentum Lüneburg von 1851 e.V. Bd. 15, 1899 Anmerkung: Kurz vor Drucklegung erhielt die Buchenhecke einen fein getrimmten Schnitt. Foto © Waltraut Peter Waltraut Peter
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