Baubetriebliche Aufgaben bei der Realisierung - MCE

Baubetriebliche Aufgaben bei der Realisierung von Baumaßnahmen
1 Einleitung
Mit zunehmender Tendenz werden Probleme von großen Bauprojekten in der Öffentlichkeit
diskutiert. Unzulänglichkeiten in den Projektplanungsphasen finden ein breites Interesse
durch Publikationen in Presse, Funk und Fernsehen. Projekte wie die Elbphilharmonie in
Hamburg, der Großflughafen Berlin Brandenburg (BER) oder das Bahnprojekt Stuttgart 21
stehen hier nur beispielhaft im Rampenlicht. Baubetrieblich sind die diskutierten Probleme
nur wenig überraschend.
Bei der Aufbereitung von Mehrkostenansprüchen infolge bauzeitlicher Veränderungen nehmen Planungsstörungen und deren Auswirkungen einen entsprechend hohen Anteil ein.
Auch das ist wenig verwunderlich. Anders als in anderen Bereichen der Fertigung, wie z.B.
der Automobilindustrie, der Elektroindustrie oder der Pharmaindustrie, stellen die im Bau
produzierten Bauwerke stets „Unikate“ dar. Im Unterschied zur „Serienfertigung“ haben Fehler bzw. Mängel kaum einen Wiederholungsfaktor. Regelmäßig werden bei Bauprojekten
wesentliche Leistungen geändert, obgleich die Ausführung bereits in vollem Gange ist. Die
technische und ablaufbezogene Planungsgenauigkeit im Baubereich ist, verglichen mit der
einer Serienproduktion, recht ungenau bzw. schon eher als vage zu bezeichnen. Dies betrifft
insbesondere die Planung und Disposition der Zulieferströme. Hinzu kommen Unwägbarkeiten in der Ausführung, zum Beispiel durch veränderliche Produktionsbedingungen infolge der
Witterung oder Unwägbarkeiten im Bauablauf aus dem Baugrund bei unplanmäßigen Bodenverhältnissen, nicht vorhersehbaren Kampfmittelfunden oder unplanmäßiger Klassifizierung von Kontaminationen.
Weitere Ursachen für die Probleme liefert die Vertrags- und Vergabeverordnung für Bauleistungen (VOB). Es gilt im Bau geradezu als selbstverständlich, dass sich die zum Zeitpunkt
des Vertragsabschlusses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vereinbarte Leistung,
aufgrund des einseitigen Leistungsbestimmungsrechtes des Auftraggebers, verändern darf.
So besteht anscheinend auch keine allzu große Not, eine zur Vertragsbasis bestimmte Leistung „umzuplanen“. Beim Werkvertrag nach VOB/B bedarf es hierzu der (einseitigen)
auftraggeberseitigen Anordnung im Sinne des §1 Abs. 3. Auch selbstverständlich ist die Forderung von zusätzlichen Leistungen im Sinne des §1 Abs. 4.
Zum Vergleich seien nachfolgende vier, durchaus polemische Beispiele aus dem Baubereich, übertragen auf die Herstellung eines Serien PKW, gestattet.
1
Beispiel 1
Eine Woche vor der Auslieferung eines Mittelklassewagens wünscht der Kunde eine Abänderung der Wagenfarbe. Im Baubereich würde ein solches Begehren unter Umständen noch
nicht einmal Verwunderung auslösen. Der Maler würde Farbeimer und Farbrolle nehmen und
die gewünschten Räume entsprechend der neuen Farbwahl streichen.
Beispiel 2
Kurz nach dem Beginn der Werkmontage unseres Serien-PKW im Automobilwerk wünscht
der Kunde eine Abänderung der Motorleistung. Bei einem Kraftwerksbauprojekt mit einer
Bauzeit von zwei Jahren wurden wesentliche Lastangaben zum Generator wiederholt geändert. Die s.g. Generatorwanne musste hinsichtlich ihrer Konstruktion vollständig umgeplant
werden. Ursache war, dass ein neuer Generatortyp erstmalig in einem solchen Kraftwerk
eingebaut wurde. Die einzuleitenden Kräfte an den Lasteinleitungspunkten überschritten bei
der ersten Planungsvariante das Mehrfache des technisch Möglichen. Letztlich wurde eine
Lösung gefunden. Dieser Abstimmungsprozess nahm über ein Jahr der Bauzeit (!) in Anspruch. Das gesamte Projekt wurde nach einer gesamten Bauzeit von fast vier Jahren fertiggestellt.
Beispiel 3
Anstatt der Automarke A entscheidet sich der Kunde drei Tage nach der Bestellung doch
lieber für Automarke B. Anstelle der überschnittenen Bohrpfahlwand soll aus Kostengründen
lieber eine Spundwand als temporärer Baubehelf Verwendung finden. Die entsprechende
Planung wird kurzfristig aus Zeitgründen an die ausführende Firma übergeben.
Beispiel 4
Vielleicht darf es auch etwas mehr sein! Drei Monate nach Bestellung eines Fahrzeuges soll
die Bestellmenge des Fahrzeuges von einem Stück auf zwei Stück erhöht werden. Der geplante Liefertermin darf sich jedoch nicht verändern, da beide Fahrzeuge aus politischen
Gründen für eine Wahlveranstaltung benötigt werden. Infolge der Mengenmehrung geht der
Käufer davon aus, dass sich der einzelne Preis des Fahrzeuges aufgrund der 100%-igen
Mengenerhöhung signifikant verringern werde.
So geführte Gespräche in einem Autohaus wären sicherlich geeignet, um in einer der zahlreichen deutschen Unterhaltungsserien für Belustigung und Erheiterung zu sorgen.
2
Anders in der Bauwelt. Mit dem notwendigen Ernst werden sowohl die Planer als auch die
Auftragnehmer „in vorauseilendem Gehorsam“ alles in Bewegung setzen, damit zum Zeitpunkt der Abnahme den bauherrenseitigen Wünschen entsprochen wird.
So werden zweifelsfrei interessante, wie einmalige und auch teure Dachkonstruktionen bei
einem Opernhaus gebaut. So werden gegenüber dem ursprünglichen Vertrag angepasste
brandschutztechnische Lösungen (bei einem Flughafen) gefunden, welche umfangreichste
Änderungen des bereits hergestellten Bauwerkes bedeuten. Als Superlative wird sogar die
Notwendigkeit eines begonnenen, bereits seit mehreren Jahrzehnten geplanten und genehmigten Infrastrukturprojektes in Frage gestellt.
Aus politischer Sicht wird der Finger an dieser Stelle gerne auf die „Baubranche“ (im Allgemeinen) gerichtet. Das Bestreben von Unternehmen wird dahingehend gegeißelt, dass diese
gar „unsittliche“ Gewinnbestrebungen hätten oder dass es den Planungsverantwortlichen an
der notwendigen Kompetenz fehle. Es wird jedoch auch deutlich, dass sich selbst die Bauherren bei den im Fokus der Öffentlichkeit befindlichen Bauprojekten in einem „Teufelskreis“
befinden. Aus politischen Gründen werden Projektziele hinsichtlich der Fertigstellung gesetzt, ohne die realistischen zeitlichen Restriktionen des Projektes zu berücksichtigen. Diese
Zielstellungen lassen eine seriöse Planung und Abwicklung gar nicht erst zu. Darüber hinaus
werden die Projektkosten solange reduziert, bis diese die gewünschte Kostenobergrenze
einhalten. Die Zeit für diese Budgetanpassungen verlängert selbstverständlich nicht den angestrebten Fertigstellungtermin des Bauvorhabens. Um die bereits eingetretenen Probleme
zu kompensieren, wird auf bewährte Praktiken zurückgegriffen. Zum Beispiel lassen sich
angeblich durch eine baubegleitende Planung1 Zeitverluste „leicht kompensieren“. Die Krönung aus baubetrieblicher Sicht stellen jedoch die Projekte dar, bei denen nicht nur baubegleitend geplant wird, sondern eine s.g. Neutralplanung2 erfolgt, d.h. Planung und Ausführung überlappen sich so stark, dass der letzte Planungsstand der Ausführungsplanung letztendlich bereits die zuvor erfolgte bauliche Umsetzung abbildet und ggfs. diese rechnerisch
1
Bei der baubegleitenden Planung handelt es sich um eine s.g. Synchronplanung. Dabei überlappen
sich Teile der Planung und der Ausführung gegenüber der konventionellen Planung, bei der zuerst
die Planung abgeschlossen wird und anschließend die Ausführungsphase beginnt [vgl. Greiner,
Mayer, Stark; Baubetriebslehre-Projektmanagement, 3. Aufl.; 2005]
2
Bei der Synchronplanung überlappen die Teile Planung und Ausführung so stark, dass bereits Teile
der Ausführungen wieder in die Überarbeitung der Planung einfließen, vgl. Greiner, Mayer, Stark;
Baubetriebslehre-Projektmanagement, 3. Aufl.; 2005].
3
nachweist. Die damit verbundene Kostenunsicherheit wird durch die Beteiligten aber nicht
wahrgenommen. Zwischenzeitlich werden auf Basis der geschlossenen Bauverträge „lustig
munter“ Änderungen vom eigentlichen Bau-Soll „angeordnet“. Die Mehrkostenanzeigen und
Nachträge infolge dieser Anordnungen ziehen eine nicht unbeachtliche Kostenunsicherheit
für den Auftragnehmer und Auftraggeber nach sich. Letztendlich sind die damit verbundenen
Budgetüberschreitungen nicht überraschend – oder etwa doch?
Gerne werden bei öffentlichen Bauprojekten, so zumindest der Anschein, zuerst die Fertigstellungstermine festgelegt. Erst danach folgt die Festlegung der Qualitäten und der damit
einhergehenden Baukosten. Der Wettlauf mit der (Bau-)Zeit hat begonnen.
Bereits bei den ersten Planungsphasen fehlt vor allem eines – nämlich ausreichende Zeit.
Obgleich zeitliche Puffer für die Planungsphase schon fast nicht mehr existent scheinen, wird
an den einmal definierten Projektterminen festgehalten.
Gerne werden dann Planungsleistungen zur zeitlichen Kompensation und Übertragung des
Risikos zu Leistungsbestandteilen des Auftragnehmers. Willkommen werden diese Aufgaben
auch entgegengenommen, da zusätzliche Leistungen dann notwendige Deckungsbeiträge
liefern oder bei anfänglichen Defiziten bei der Projektvorbereitung (Arbeitsvorbereitung) hinweg helfen. Dass es sich hierbei dann um Werkvertragsleistungen handelt, bei denen der
Erfolg geschuldet ist, scheint für den Auftragnehmer genauso unbedeutend, wie für den Auftraggeber die damit verbundene Budgetunsicherheit, da dem Ausführenden oftmals die Definition der Qualitäten und somit auch der Kosten überlassen wird.
Dass hierbei Streit hinsichtlich der Vergütung entsteht, ist zu erwarten, da die Vorstellungen
beider Vertragsparteien hinsichtlich der Kosten und Leistungen regelmäßig divergieren.
Verschärfend kommen nun die für die Auftraggeberseite selbstverständlichen Änderungen
hinzu. Gerne werden nun noch zusätzliche Leistungen angefordert. Das ist jedoch nur dann
selbstverständlich, wenn die damit verbundene „Zeche“ bezahlt wird. Bereits mit der ordnungsgemäßen „Anordnung“ der Leistung tun sich viele schwer. In Besprechungsprotokollen
liest sich regelmäßig, dass eine Leistungsänderung im Rahmen der Besprechung „vereinbart“ wurde oder „dem Grunde nach“ eine zusätzliche Leistung „bestellt“ worden sei. Gerne
verlieren diese Aussagen an Bedeutung, sowie entsprechende Nachtragsangebote vorliegen, nachdem die Leistung kurzfristig bereits ausgeführt wurde. Bevorzugt wird eine monetäre Einigung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
4
Die Ursachen für diesen Streit liegen regelmäßig im Verantwortungsbereich des Auftraggebers, dessen Obligo es ist, das Projektziel eindeutig und zweifelsfrei zu definieren (vgl. §7
VOB/A). Oft genug gelingt ihm dies nicht.
Wer in einer Gastwirtschaft Bier bestellt, ist doch auch nicht überrascht, wenn der Wirt den
Preis gemäß der Getränkekarte begehrt. Was viele an dem Bauvorhaben Beteiligte verkennen ist, dass es bei dieser Vorgehensweise keine Gewinner geben kann. Auch ein Zechpreller möchte gerne wieder in seiner Stammkneipe ein Bier trinken. Anders als in der Gaststätte
fällt es jedoch ungleich schwerer, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Liegen die finanziellen Vorstellungen aufgrund eines angestauten Nachtragspotenzials „in Gänze“ erst einmal
soweit auseinander, dass keine Einigung beider Vertragsparteien möglich ist, sind langwierige Rechtsstreitigkeiten absehbar.
Das Motto der Projektbeteiligten lautet scheinbar „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ in
Kombination mit „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Viele Auftragnehmer sehen ihre „letzte Chance“ in der Erstellung einer baubetrieblichen Forderung, um die aufgelaufenen Kosten des
Projektes aufzufangen.
Um die oben beschriebenen Probleme zu vermeiden und eine geordnete Projektabwicklung
sicherzustellen, werden die baubetrieblichen Instrumente und deren Zusammenhänge bei
einem gestörten Bauablauf im folgenden Kapitel 2 dargestellt und erläutert. Die Dokumentation ist hierbei von zentraler Bedeutung, weshalb in Kapitel 3 dieses Thema nochmals separat, im Hinblick auf die unterschiedlichen Projektphasen, betrachtet wird.
2 Grundlagen
Bei der Darstellung baubetrieblicher Ansprüche kommt es vor allem auf eine aussagekräftige
Dokumentationslage an. Bereits 19963 stellte der BGH bei einer Schadenersatzforderung
nach § 6 Abs. 6 VOB/B fest:
„Auch die Verhältnisse auf Großbaustellen machen es nicht von vornherein unmöglich, einen
Behinderungsschaden konkret darzulegen. Im Rahmen der dort ohnehin üblichen
Dokumentation des Bauablaufes in Form von Tagesberichten und dergleichen können
Behinderungen und die sich hieraus ergebenden Folgen, wie etwa „Leerarbeiten“ und
„Leerkosten“, mit festgehalten werden. Etwaige hierdurch entstehende Mehrkosten sind als
3
BGHVII ZR 286/84 – 20.02.1996
5
Teil des Schadens vom Schädiger zu ersetzen. Gerade auf Großbaustellen kommt hinzu,
dass dort häufig noch andere Einsatzmöglichkeiten für Personal und Gerät bestehen,
weshalb nicht jede Behinderung zwangsläufig zu entsprechenden Produktivitätseinbußen
führen muß.“
Viele weitere Gerichtsurteile folgten diesem „Leitspruch“, woran sich die zentrale Bedeutung
einer aussagekräftigen „Dokumentation des Bauablaufes“ ermessen lässt.
Für die Dokumentation der Baustelle bei einer späteren baubetrieblichen Aufarbeitung sind
folgende Punkte von zentraler Bedeutung:

Die Ausschreibungsunterlagen, anhand derer der Auftraggeber die erwartete
Bauleistung beschreibt (Leistungsbeschreibung4) und die der Auftragnehmer im
Rahmen der Angebotsbearbeitung unter Berücksichtigung seiner Möglichkeiten5
bepreist (bzw. kalkuliert).

Die Vertragsunterlagen, welche nach Abschluss der Vergabe den gemeinsamen
Konsenz darstellen.

Die Bautagesberichte, welche den tatsächlichen Bauablauf i.d.R. ausreichend
dokumentieren.

Die Terminpläne, welche den Bauablauf darstellen sowie die Planlisten, welche den
Zugang bzw. Austausch an Planungsunterlagen dokumentieren.

Die Protokolle der gemeinsamen Besprechungen, die Probleme und Lösungen der
Projektbeteiligten darstellen, darüber hinaus jedoch auch Anordnungen und
Vertragsänderungen dokumentieren.

Der gesamte Schriftverkehr zwischen den Projektbeteiligten, möglichst getrennt
nach Bedenkenanzeigen, Mehrkostenanzeigen, Behinderungsanzeigen, Nachtragsangeboten und Nachtragsaufträgen.

Die Rechnungen (Abschlagsrechnungen und ggfs.die Schlussrechnung), welche die
wirtschaftlichen Folgen dokumentieren.

Die Fotodokumentation, die die Bauzwischenzustände dokumentieren, welche sich
sonst nicht mehr belegen6 lassen.
4
z.B. Vertragsrecht, Vertragsart, Bauinhalt, Bauumstände, …
5
z.B. Bauverfahren, Kapazitätseinsatz, Bauablaufplanung, angebotstaktische Endscheidungen, …
6
z.B. bei Erdbauleistungen
6
Diese
Unterlagen
lassen
sich
in
drei
wesentliche
Themengebiete
trennen
[Abb.1].
Vertrag
Dokumentation
Anspruchsgrund
Anspruchshöhe
Abb. 1: Darstellung der relevanten Grundlagen aus baubetrieblicher Sicht
Daraufhin sind die vorliegenden Unterlagen baubetrieblich zu untersuchen und zu bewerten:

Im Bereich Vertrag lassen sich im Wesentlichen die „Grundlagen der Preisermittlung“ sowie die „zeitlichen Randbedingungen“ zusammenfassen. Hierunter fallen
der SOLL-Terminplan, die geplanten SOLL-Kapazitäten sowie der SOLLUmsatzverlauf.

Der Bereich Anspruchsgrund muss anhand der Dokumentation der Vertragsabweichung und der Auswirkungen im tatsächlichen Bauablauf (IST-Terminplan) herausgearbeitet werden. Ein erkannter „Störungssachverhalt“ muss untersucht und bewertet werden. Die zeitlichen Auswirkungen (störungsmodifizierte/r Terminplan/ pläne) müssen im Rahmen der Schlussfolgerung dargestellt werden.

Die Anspruchshöhe muss anhand der wirtschaftlichen Veränderungen ausgewertet
werden. Hierzu sind die IST-Kapazitäten und der IST-Umsatzverlauf heranzuziehen.
Hieraus lassen sich die Auswirkungen (Mehrkosten) herleiten.
Aus baubetrieblicher Sicht lässt sich dies wie folgt schematisieren (Abb.1).
Die Themengebiete Anspruchsgrund und Anspruchshöhe haben eine gemeinsame Komponente – die (Bau-)Zeit. Erfahrungsgemäß entstehen zwischen 70% und 80% der Kosten eines Bauprojektes zeitabhängig. Dieser Erfahrungswert erklärt sich wie folgt. Als Faustformel
wird häufig zur Abschätzung für die Gesamtkosten einer Leistung das Verhältnis von Lohnund Gerätekosten in Relation zu den Materialkosten gesetzt. Je nach Gewerk schwankt dies
zwischen 40% und 60%. Darüber hinaus werden Lohn- und Gerätekosten üblicherweise auf
7
Basis eines Zeit- und Personal- bzw. Gerätebedarfs ermittelt (Aufwandswerte bzw. Leistungswerte) und mit den Lohn- bzw. Gerätekosten je Zeiteinheit multipliziert. Das bedeutet
jedoch, dass diese Kosten zeitabhängig kalkuliert werden. Hinzu kommen Kosten für Baustelleneinrichtung (BE), Baustellengemeinkosten (BGK) und Allgemeine Geschäftskosten
(AGK). In Relation zur den Projektkosten lässt sich regelmäßig für diese drei Kostenbestandteile ein Erfahrungswert zwischen 20% und 30% beziffern. In Kombination mit den Lohn- und
Gerätekosten ergibt sich dann der anfänglich behauptete Anteil von 70% bis 80% zeitabhängiger Kosten. Aufgrund der eingangs beschriebenen Problematik bei Bauprojekten lässt sich
erahnen, dass sich gerade bei gestörten Bauabläufen der Faktor Zeit maßgeblich verändert
und nunmehr zum Kostenproblem wird.
2.1 Die Bewertung des Vertrages
Im Nachfolgenden sollen die für den Vertragsinhalt aus baubetrieblicher Sicht relevanten
Faktoren aufgezeigt werden. Dabei sind die vertraglich vereinbarten Leistungen als baubetriebliches SOLL zu definieren.
Vertrag
Dokumentation
Anspruchsgrund
Anspruchshöhe
Abb. 2: Darstellung der relevanten Grundlagen aus baubetrieblicher Sicht
Im Rahmen der „Preisermittlung“ werden die vom Bauherren beschriebenen Leistungen
durch den Bieter kalkuliert. Der Bauherr/ Auftraggeber/ Besteller legt mittels seiner Ausschreibungsunterlagen fest, welche Vertragsart er später vereinbaren möchte. Für private
Auftraggeber gilt die „Privatautonomie7“, für öffentliche Auftraggeber gelten die Regelungen
7
Privatautonomie ist das Recht, dass jeder in der Gesellschaft frei seinen Willen bilden, äußern und
dementsprechend handeln kann, jedoch auch verantworten muss. Basis hierfür bildet der
Art. 2 Abs 1 GG [vgl. Wikipedia – Privatautonomie]
8
der VOB. Als Vertragsarten stehen „Leistungsverträge“ (z.B. Einheitspreisverträge/ Pauschalverträge) oder „Aufwandsverträge“ (z.B. Stundenlohnvertrag/ Selbstkostenerstattungsvertrag) zur Verfügung.
Entsprechend der Vertragsart erfolgt die Beschreibung des Bauinhaltes (Leistungsverzeichnis/ Leistungsprogramm) unter Berücksichtigung der weiteren Ausschreibungsunterlagen
(rechtliche Belange/ technische Belange). Der Auftraggeber legt dabei die Bauumstände
(was, wann, wo und wie wird etwas gebaut) fest.
Auf Basis dieser Randbedingungen kalkuliert der Bieter/ Unternehmer/ Auftragnehmer den
„Angebotspreis der Bauleistung“. Grundsätzlich herrscht „Kalkulationsfreiheit“ für die Bieter.
Wie der Auftragnehmer zu seinem Preis kommt, obliegt ihm. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Anforderungen aus den Ausschreibungsunterlagen wählt der Kalkulierende
passende „Bauverfahren“ aus. Bereits hier werden die erforderlichen „Kapazitäten“ (Personal, Geräte, Material, Nachunternehmer, etc.) definiert. Unter Berücksichtigung vertragsrechtlicher, technischer und kapazitiver Aspekte entsteht ein Bauablauf. Üblicherweise wird
dieser „Bauablaufplan“ auf Basis der vorgenannten Randbedingungen in einem Terminplan
dargestellt.
Die Grundlagen der Preisermittlung sind z.B. in der KLR-Bau8 beschrieben. Die nachfolgende Abb. 3 stellt den Zusammenhang der Preisermittlung und der zeitlichen Folgen bildhaft
dar:
8
vgl. anstatt vieler DIE DEUTSCHE BAUINDUSTRIE, DAS DEUTSCHE BAUGEWERBE (2001),
„Kosten- und Leistungsrechnung der Bauunternehmen – KLR Bau“, 7. Auflage, Bauverlag GmbH
9
Abb. 3: „Grundlagen der Preisermittlung“
Es wird deutlich, dass die „Grundlagen der Preisermittlung“ einerseits die vertragsrechtlichen
Aspekte, den Bauinhalt und die Bauumstände, die der Bauherr definiert, enthalten und andererseits die vom Bieter festzulegenden Punkte, wie die Wahl von geeigneten Bauverfahren,
den mit der Erstellung der Leistungen verbundenen Kapazitätseinsatz, die Bauablaufplanung
sowie angebotstaktische Endscheidungen berücksichtigen.
Unterzieht man diese preisbildenden Faktoren einer detaillierten Betrachtung, lassen sich
verschiedene Einflussgrößen unterscheiden. Im Nachfolgenden soll der Zeitfaktor betrachtet
werden. Hierbei ergeben sich vereinfacht zwei Zustände für die Kosten:

zeitunabhängige9 Kosten (z.B. Lieferung / Beschaffung von Material)

zeitabhängige Kosten (z.B. Krane vorhalten)
Wie aus der Bezeichnung bereits erkennbar ist, sind zeitunabhängige Kosten nicht von der
vorgesehenen Bauzeit abhängig. Gleichwohl sind diese zeitlich zu disponieren und werden
innerhalb des geplanten Produktionsprozesses benötigt.
9
zeitunabhängig ist ungleich umsatzabhängig (!)
10
Bei den zeitabhängigen Kosten gibt es eine eindeutige zeitliche Abhängigkeit. Je länger diese Ressourcen eingesetzt werden, desto mehr Kosten fallen an (z.B. Vorhaltekosten). Somit
ist die Zeitabhängigkeit ein wesentlicher Faktor der Preisbildung. Dieser findet seinen Niederschlag in Leistungswerten der Kalkulation und in Ausführungsdauern der Arbeitsvorgänge.
Um die erforderliche Ausführungsdauer zu ermitteln, bedient sich der Kalkulator der ihm bekannten, in dessen Unternehmung am Einbauort und nach den zu berücksichtigenden Faktoren zu erwartenden Aufwands- bzw. Leistungswerten. Zur Preisermittlung wird eine durch
den Auftraggeber angegebene Menge einem benötigten Zeitaufwand bzw. Leistungswert
gegenübergestellt. Hierdurch ergeben sich dann die notwendigen Kosten der einzelnen Leistungsposition, die dann mengenabhängig, wie üblicherweise in der Ausschreibung gefordert,
angegeben werden.
Eine Ausnahme hiervon stellen Vorhaltepositionen (z.B. Baustelleneinrichtung vorhalten)
dar, bei denen nur die zeitabhängigen Kosten in Relation zur Dauer anzugeben sind.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass die Zeit ein wesentlicher Faktor bei der Preisbildung ist. Dies ist aber für den Außenstehenden nicht ohne Weiteres erkennbar. Betrachtet
man den Prozess der Kalkulation einer Leistung genauer, wird dies, bildhaft dargestellt, deutlich:
11
Abb. 4: Zusammenhang „Bauzeit“ und „Kosten“
Verändert sich die Bauzeit, so verändern sich automatisch die unterschiedlichen Kostenbestandteile mit. Dies betrifft in letzter Konsequenz sogar den Kalkulationsmittellohn und die
Gerätekosten.
Im Baubereich findet üblicherweise eine Zuschlagskalkulation statt. Dabei werden die direkten Kosten der Leistungsbeschreibung kalkuliert. Diese bilden zunächst die s.g. „Einzelkosten der Teilleistungen“ (EKT). Die weiteren, nicht direkt den EKT zuordenbaren Kosten werden anschließend berücksichtigt. Dies sind einerseits die direkt dem Projekt zuordenbaren
Baustellengemeinkosten (BGK) und andererseits die dem Geschäftsbetrieb als Ganzes zuordenbaren Allgemeinen Geschäftskosten (AGK). Weiterhin können Wagnis (W) und Gewinn
(G) im Rahmen der Preisbildung Berücksichtigung finden, indem diese auf die einzelnen
Teilleistungen umgelegt (bezuschlagt) werden. In der nachfolgenden Abb. 5 und Abb. 6 sind
die Zusammenhänge schematisch dargestellt.
12
Abb. 5: „Umlageprinzip“
Die Kalkulation kann dabei einstufig oder mehrstufig erfolgen. Bei einer einstufigen Kalkulation werden BGK, AGK sowie WuG lediglich en bloc auf die EKT umgelegt. Bezugsgröße sind
dann nur die EKT. Bei einer mehrstufigen Kalkulation ist die Bezugsgröße das vorherige Umlage-/ Zuschlagselement. In beiden Fällen bezeichnet man zusammengefasst die EKT sowie
die BGK als „Herstellkosten“. Darauf aufbauend bilden diese zusammen mit den AGK die
„Selbstkosten“. Abschließend bilden diese mit der Bezuschlagung mit WuG die „Angebotsendsumme (netto)“.
13
Abb. 6: „Kalkulationsschema“
Im Rahmen der Bauauftragsrechnung10 wird zwischen der Angebots- und der Vertragskalkulation unterschieden. Die Angebotskalkulation ist diejenige, welche vor Vertragsschluss zu
sehen ist. Die Vertragskalkulation (oder auch Auftragskalkulation) ist diejenige, welche nach
Vertragsschluss alle vertraglichen Vereinbarungen berücksichtigt. Basis hierfür ist jedoch die
Angebotskalkulation. Sowohl bei der Angebots- als auch bei der Vertragskalkulation handelt
es sich also um eine „Vorkalkulation“. Die Kalkulation erfolgt auf Basis der zu erwartenden
(geplanten) Kosten, wohingegen bei der „Nachkalkulation“ die tatsächlichen (entstandenen)
Kosten ermittelt werden und den ursprünglichen Kalkulationsansätzen gegenübergestellt
werden können. Auch bei der „Arbeitskalkulation“ und bei der „Nachtragskalkulation“11 handelt es sich um eine Vorkalkulation.
10
vgl. anstatt vieler DIE DEUTSCHE BAUINDUSTRIE, DAS DEUTSCHE BAUGEWERBE (2001),
„Kosten- und Leistungsrechnung der Bauunternehmen – KLR Bau“, 7. Auflage, Bauverlag GmbH
11
Dies gilt uneingeschränkt jedoch nur, wenn die Leistung noch nicht ausgeführt wurde.
14
Die Auftragsrechnung im Baubereich unterscheidet sich stark von der Divisionskalkulation12
eines stationären Industriebetriebes13. Zur Verdeutlichung – ein Bauwerk, selbst ein „Reihenhaus“ stellt stets, wie eingangs erwähnt, ein „Unikat“ dar, da sich die Randbedingungen
(z.B. Jahreszeit, Witterung, Baugrund, spezielle Bauwünsche etc.) entgegen denen einer
Serienproduktion meist verändern.
Abb. 7: „Vorkalkulation“
Bei der „Bewertung des Vertrages“ lassen sich im Wesentlichen die „Grundlagen der Preisermittlung“ sowie die „zeitlichen Randbedingungen“ baubetrieblich darlegen. Hierunter fallen
vornehmlich der „SOLL-Terminplan“, die „SOLL-Kapazitäten“ und der „SOLL-Umsatzverlauf“.
Um den in der Rechtsprechung entwickelten Vorgaben zur Darstellung eines gestörten Bauablaufs zu genügen und damit den geordneten Bauablauf richtig darzustellen, reicht es nicht
allein aus, als Ausgangspunkt für die baubetriebliche Betrachtung auf den ggfs. vereinbarten
12
Bei einer Divisionskalkualtion werden, vereinfacht ausgedrückt, die gesamten Kosten durch die
herzustellende Menge dividiert, woraus sich die Kosten je Menge ermitteln lassen.
13
vgl. GERHARD DREES/ WOLFGANG PAUL (2000), „Kalkulation von Baupreisen“, 6., erweiterte
und aktualisierte Auflage, Bauwerk Verlag GmbH
15
Terminplan zu verweisen. Vielmehr ist dies Voraussetzung einer konkreten bauablaufbezogenen Darstellung der Plausibilität des SOLL-Terminplans. Das heißt, dass dieser Terminplan bei ungestörtem Bauablauf grundsätzlich umsetzbar sein muss. Zwar gilt diesbezüglich
sogar für den allein vom Auftragnehmer erstellten Terminplan – sofern er die Vertragstermine ohne Einschränkungen beachtet und einhält – eine Richtigkeitsvermutung und dieser ist
als korrekte Dokumentation des realistischen SOLL-Ablaufs anzusehen14. Da diese Vermutung jedoch widerlegbar ist15, wird zur Vermeidung späterer Diskussionen die Plausibilität der
zeitlichen Ansätze im SOLL-Terminplan validiert und verifiziert.
Dies führt zwangsläufig dazu, dass der SOLL-Terminplan

gründlich und detailliert durchdacht wurde,

dass Vorgänge mit Hilfe von Aufwands-/ bzw. Leistungswerten anhand von vorgesehenen Arbeitskräften bzw. Geräten zeitlich festgelegt wurden und

dass die Arbeitsabfolgen so miteinander verknüpft wurden, dass wesentliche
Termine sichergestellt und nachgewiesen wurden.
Wird im Rahmen der Plausibilisierung festgestellt, dass einzelne Kriterien nicht erfüllt wurden, so sind diese im Rahmen der baubetrieblichen Bearbeitung des SOLL-Terminplanes zu
korrigieren, zu detaillieren bzw. zu ergänzen.
Dazu ist es auch erforderlich, die Kalkulation des Auftragnehmers im Vorfeld auszuwerten.
Mit Hilfe der Kalkulation werden anhand der benötigten Ressourcen verursachungsgerecht
die Kosten zur Realisierung der einzelnen Leistungen ermittelt.
Im Rahmen der Plausibilisierung des SOLL-Terminplans wird anhand dieser Ausführungsfristen und eines technologisch sinnvollen Bauablaufs kontrolliert, ob die Herstellung der entsprechenden Leistung in der angesetzten Vorgangsdauer ausführbar ist.
14
vgl. statt vieler KAPELLMANN/SCHIFFERS (2011), „Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag“, Band I, 6. Auflage, Rdn. 1266, Neuwied, Werner Verlag
15
vgl. BGH, VersR 1978, 179, 180, BGH, Urt. v. 24.02.2005, VII ZR 141/03, BauR 2005, 857, 861
16
Abb. 8: SOLL-Terminplan
Im Beispiel ist ein Vertragszeitraum von ca. 11 Monaten zu erkennen. Die Baumaßnahme
wurde in einzelne Bauabschnitte untergliedert (fünf Stück). Anhand der dunklen Kennzeichnung lassen sich die kritischen Vorgänge des Bauablaufes erkennen. Die beiden Meilensteine zu Beginn sind die vereinbarten Vertragstermine.
Parallel zum SOLL-Terminplan lassen sich die geplanten Kapazitäten untersuchen (Abb. 9).
Diese werden sich in Abhängigkeit zur Bauaufgabe unterschiedlich darstellen. Wesentliche
Kapazitäten sind üblicherweise das gewerbliche Personal, jedoch auch das im Overhead
eingesetzte Personal (Angestellte) ist zu beachten. Weiterhin können die geplanten Geräte,
aber auch das erforderliche Material relevant sein. Im Rahmen der baubetrieblichen Bearbeitung sind die maßgeblichen Kapazitäten, welche sich anhand der Kalkulation bzw. der Terminplanung erkennen lassen, herauszuarbeiten
17
Abb. 9: SOLL-Kapazitäten
Es lässt sich erkennen, dass die geplante Bauzeit von grob elf Monaten sowie die geplanten
Kapazitäten (hier Gehalts- und Lohnempfänger) dargestellt sind. Es war vorgesehen, dass
zwischen fünf und 20 Lohnempfänger sowie ein bis drei Gehaltsempfänger eingeplant wurden.
Ordnet man die geplanten Leistungen den vorgesehenen Arbeitsschritten zeitlich (z.B. im
Terminplan) zu, so lässt sich der geplante Umsatzverlauf der Baumaßnahme feststellen. In
der nächsten Abb. 10 ist der monatliche, geplante Umsatz abgebildet. Darüber hinaus stellt
eine Ganglinie den kumulierten Umsatz dar. Sofern die Zuschläge für alle Kostenarten bei
der Kalkulation gleich gewählt wurden, ist der Verlauf der Anteile BGK, AGK und WuG zur
Umsatzentwicklung affin, woran sich die baubetriebliche Bedeutung dieser Kurve ermessen
lässt.
18
Abb. 10: SOLL-Umsatz
Es lässt sich im Beispiel erkennen, dass die gesamten Baukosten ca. 2,7 Mio. EUR betragen. Der monatliche Umsatz beträgt zwischen ca. 100.000 EUR und 600.000 EUR.
2.2 Die Bewertung des Anspruchsgrundes
Um einen Anspruch „dem Grunde nach“ festzustellen, ist es als nächstes erforderlich, die
inhaltlichen und zeitlichen Veränderungen gegenüber dem Vertrag herauszuarbeiten und
darzustellen.
Vertrag
Dokumentation
Anspruchsgrund
Anspruchshöhe
19
Abb. 11: Darstellung der relevanten Grundlagen aus baubetrieblicher Sicht
Hierzu ist zunächst eine Begriffsdefinition erforderlich.
Unter Störungen und Behinderungen werden im Wesentlichen Ereignisse im Bauablauf verstanden, die sich hemmend oder auch verzögernd auswirken. Heil16 definiert diese als
„[…] zeitlich befristete Zustände einer Wertschöpfungskette, in denen durch das Einwirken
von Störgrößen auf die Produktionsfaktoren und deren Kombinationsprozess eine unmittelbar festgestellte Abweichung vom geplanten (optimalen) Prozessablauf und/oder dessen
Ergebnissen entsteht […]“.
Rechtlich wird unter einer Behinderung ein den Bauablauf beeinflussendes Ereignis verstanden, das eine verzögernde Auswirkung auf den ursprünglich vorgesehenen zeitlichen Ablauf
der Arbeiten hat17.
Es wird bei der Definition einer Störung somit weder nach der Art noch nach dem Verursacher unterschieden.
Im Bauprozess handelt es sich im baubetrieblichen Sinne um so genannte Bauablaufstörungen bzw. Baubehinderungen. Dabei können auch zusätzlich erforderliche Leistungen eine
Bauablaufstörung darstellen, da diese i.d.R. einen Zeitmehrbedarf und damit eine Bauzeitverlängerung erfordern18.
Jedoch ist der Begriff der Behinderung und/oder Störung im Bauablauf weder im Gesetz
noch in der VOB/B definiert. § 6 Abs. 2 VOB/B regelt lediglich Tatbestände, bei deren Vorliegen dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Verlängerung der Bauzeit zusteht.
Ob der Auftraggeber die Behinderungskosten wirtschaftlich zu tragen hat, bestimmt sich
nach der Systematik des § 6 Abs. 6 VOB/B. Dies ist jedoch nicht die einzige Anspruchsgrundlage, die den Auftragnehmer zur Geltendmachung von Kosten aus und im Zusammen-
16
KAPELLMANN/SCHIFFERS (2011), „Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim
Bauvertrag“, 6. Auflage, Rdn. 1202, Köln, Werner Verlag
17
LEINEMANN-LEINEMANN (2010), „VOB/B – Kommentar“, 4. Auflage, § 6 VOB/B, Rdn. 6, Köln,
Werner Verlag
18
REISTER (2007), „Nachträge beim Bauvertrag“, 2. Aufl., S. 425f.,Köln, Werner Verlag
20
hang mit Störungssachverhalten berechtigt. Neben § 642 BGB, der dem Auftragnehmer einen Entschädigungsanspruch für den Fall einräumt, dass eine Verletzung auftraggeberseitiger Mitwirkungspflichten vorliegt, kommen außerdem Ansprüche nach § 2 Abs. 3, 5, 6
und 8 VOB/B in Betracht19.
Verlagert bzw. verzögert sich beispielsweise die Erstellungsphase einer Leistung infolge von
Änderungsanordnungen, Massenänderungen und/oder zusätzlichen Leistungen, so sind die
hiermit verbundenen bauzeitlichen Kosten einschließlich etwaiger Kostensteigerungen gemäß § 2 VOB/B zu vergüten20. Je nach Sachverhaltskonstellation kommen nachstehende
Anspruchsgrundlagen (Tab.1) in Betracht:
Thema
Rechtsnatur
des Anspruchs
§ 2 Abs. 3 VOB/B
§ 2 Abs. 5 VOB/B
§ 2 Abs. 6 VOB/B
§ 2 Abs. 8 VOB/B
§ 642 BGB
(gem. § 6 Abs. 6)
§ 6 Abs. 6 VOB/B
unwillkürliche
Mengenänderung
(Mehrmengen,
Mindermengen)
Änderung des Bauentwurfs
durch Anordnung des AG
nicht vorgesehene
(zusätzliche) Leistung
auf Anordnung
durch den AG
nicht vorgesehene
(zusätzliche) Leistung
ohne konkrete Anordnung
durch den AG
Behinderung
Behinderung
Vergütungsanspruch
Vergütungsanspruch
Vergütungsanspruch
Vergütungsanspruch
Entschädigungsanspruch
Schadensersatzanspruch
Darstellung der
Störungssachverhalte
konkrete bauablaufbezogene Darstellung
Darstellung
21
störungsmodifizierter
störungsmodifizierter
Bauablauf (SOLL') auf Basis kalkulativer Ansätze
Tabelle
1: juristische Anspruchsgrundlagen
bei VOB-Verträgen
Bauablauf
Darstellung des
IST-Bauablaufs
Gemeinsame und zentrale Voraussetzung dieser Ansprüche ist eine konkrete bauablaufbeNachweis der tatsächlichen
Kostenermittlung
Ableitung aus der Kalkulation
entstandenen Kosten
bzw. Aufwendungen
zogene Darstellung der Behinderungs- und Störungssachverhalte. Der BGH hat
dies mit
zwei wegweisenden Entscheidungen aus dem Jahr 2005 nochmals ausdrücklich klargeKostenschätzung
möglich?
stellt22
.
19
ja, § 287 ZPO
vgl .statt vieler LEINEMANN-LEINEMANN (2010), „VOB/B – Kommentar“, 4. Auflage, § 6 VOB/B,
Rdn. 6 m. w. N., Köln, Werner Verlag
20
vgl. statt vieler OLG Düsseldorf, BauR 1995, 706; KAPELLMANN/SCHIFFERS (2011), „Vergütung,
Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag“, Band I, 6. Auflage, Rdn 1035;
Roquette/Paul, BauR 2003, 1097, 1104, ähnlich bereits BGHZ 50, 25, 30
21
22
vgl. LEINEMANN (2010), „VOB/B Kommentar“, 4. Auflage, Seite 353, Rdn. 109
BGH, Urt. v. 24.02.2005, VII ZR 141/03, BauR 2005, 857, 858; BGH, Urt. v. 24.02.2005, VII ZR
225/03, BauR 2005, 861, 864
21
Bei der Bemessung der Dauer einer Störung wird jeder Vorgang hinsichtlich seiner praktischen Relevanz überprüft. Dies bedeutet, dass eine Störung nur dann wirksam im störungsmodifizierten Terminplan (SOLL‘) berücksichtigt wird, wenn anhand des IST-Ablaufes oder
anderer Dokumentation der negative Einfluss auf den Bauablauf nachgewiesen werden
kann.
Abb. 12: SOLL-/ IST-Terminplan
Der störungsmodifizierte SOLL‘-Terminplan ergibt sich durch die Einfügung der Störungssachverhalte in den SOLL-Terminplan. Dabei werden Behinderungen gemäß §6 Abs. 6
VOB/B bzw. §642 BGB und zusätzliche oder geänderte Leistungen gemäß §2 Nr. 5 und 6
VOB/ grundsätzlich unterschiedlich behandelt.
Behinderungen werden als neue Vorgänge in den SOLL‘-Terminplan eingefügt und mit den
von ihnen gemäß IST-Bauablauf betroffenen Hauptleistungen angemessen verknüpft. Es ist
sicherzustellen, dass nur Behinderungen in den störungsmodifizierten Terminplan einfließen,
die auch tatsächliche Auswirkungen im IST-Bauablauf nach sich zogen.
Zusätzliche und geänderte Leistungen werden ebenfalls als Vorgänge in den SOLL‘Terminplan eingefügt. Sie werden nach Einzelfallbewertung entweder mit ihrem tatsächlichen Vorgänger und Nachfolger gemäß IST-Bauablauf oder mit ihrem bauablauftechnisch
logischen Vorgänger und Nachfolger verknüpft.
22
Abb 13: Störungsmodifizierter SOLL-/ SOLL‘-Terminplan
Aus dem störungsmodifizierten Terminplan ergibt sich folglich der Fristverlängerungsanspruch. Das Ende des störungsmodifizierten Bauablaufes (SOLL‘-Terminplan) gibt die Bauzeit an, die dem AN unter Einhaltung der vertraglich festgelegten Umstände zugestanden
hätte.
Nachdem alle Störungen in den SOLL‘-Terminplan eingefügt wurden, wird der ISTBauablaufplan mit dem störungsmodifizierten SOLL‘-Terminplan verglichen. Hierbei können
prinzipiell drei Fälle auftreten:
1. IST-Ende = SOLL‘-Ende:
Die Verzögerungen sind allein verantwortlich für die feststellbare Bauablaufstörung bzw. die
damit verbundene Bauverzögerung.
2. IST-Ende > SOLL‘-Ende:
In diesem Fall wird untersucht, inwieweit ein Eigenverschulden seitens des AN vorliegt und
ob alle tatsächlich aufgetretenen Störungen erfasst sind.
3. IST-Ende < SOLL‘-Ende:
Entweder wurden die im Bauablauf vorgesehenen Pufferzeiten genutzt oder durch ein auftraggeber- oder auftragnehmerseitiges Handeln ein klar definierter Anteil an der Verzögerung
aufgeholt, indem durch AN-seitige, terminsichernde (optimierende) Maßnahmen oder bei
23
deren Vereinbarung Beschleunigungsmaßnahmen z.B. durch Umstellung des Bauablaufes
erfolgten.
In der nachfolgenden Abb. 14 ist Fall 3 schematisch dargestellt.
Nr.
Vorgangsname
1
SOLL-Bauzeit
2
IST-Bauzeit
3
IST-Bauzeitverlängerung (BZV)
4
SOLL'-Bauzeit (störungsmodifiziert)
5
Bauzeitverlängerungsanspruch(BZVA)
6
Optimierung der Bauzeit
Abb. 14: Gegenüberstellung SOLL-/ IST-/ SOLL‘-Bauzeit mit Bauzeitverlängerung (BZV) und Bauzeitverlängerungsanspruch
(BZVA)
2.3 Die Bewertung der Anspruchshöhe
Wenn der Anspruch dem Grunde nach festgestellt wurde, kann mit der wirtschaftlichen Bewertung begonnen werden. Hierbei wird der ursprünglich geplante, vertraglich vereinbarte
SOLL-Bauablauf mit dem tatsächlichen IST-Bauablauf verglichen. Es erfolgt eine Bewertung
der durch die zeitliche Veränderung verursachten Mehrkosten. Im Fall von Vergütungs- bzw.
Entschädigungsansprüchen ist eine kalkulatorische Bewertung vorzunehmen.
24
Vertrag
Dokumentation
Anspruchsgrund
Anspruchshöhe
Abb. 15: Darstellung der relevanten Grundlagen aus baubetrieblicher Sicht
In der nachfolgenden Abb. 16 ist exemplarisch der Vergleich zwischen geplantem und tatsächlichem Umsatz dargestellt. Es handelt sich hierbei um eine Stichtagsbetrachtung während der SOLL-Bauzeit., d.h. das geplante Bauzeitende wurde noch nicht erreicht. Dennoch
lässt sich bereits erkennen, dass der tatsächliche Umsatz (ca. 1,0 Mio. EUR) deutlich geringer ausfällt als der geplante (ca. 2,1 Mio. EUR). Auch ist anhand des Prognosezeitraumes zu
erkennen, dass bei der Deckung der zeitabhängigen (umgelegten) Kosten deutliche Defizite
entstehen werden. Zwar ist vorstellbar, dass diese durch zusätzliche und/ oder geänderte
Leistungen noch erwirtschaftet werden können – dies erscheint jedoch in Anbetracht der
Größenordnung zur geplanten, vertraglichen Leistung (ca. 2,9 Mio. EUR) eher unwahrscheinlich, da dies einem zusätzlichen Umsatz von ca. 1,8 Mio EUR entspräche.
25
Abb. 16: SOLL-/IST-Umsatz
In Abb. 17 wurden die geplanten (gemäß Vertrag und Kalkulation) Kapazitäten (hier Gehaltsund Lohnempfänger) mit den tatsächlichen Kapazitäten bis zum Stichtag verglichen. Die
notwendigen Informationen lassen sich z.B. anhand der Bautagesberichte ermitteln. Sofern
erforderlich, müssen hier weitere Betrachtungen für Geräte etc. angestellt werden. Im Beispiel lässt sich erkennen, dass weniger Kapazitäten eingesetzt werden konnten, als ursprünglich geplant. In Abhängigkeit zur noch ausstehenden Leistung und zum Terminplan ist
eine entsprechende Prognose hinsichtlich der zukünftigen Kapazitäten möglich.
26
Abb. 17: +SOLL-/ IST-Kapazitäten
Regelmäßig finden sich zeitabhängig veränderte Kosten bei der Vorhaltung zur Baustelleneinrichtung (BE), den Baustellengemeinkosten (BGK) und den Allgemeinen Geschäftskosten
(AGK). Dabei können einerseits Mehrkosten durch längere Vorhaltung bzw. längeren Einsatz
entstehen. Anderseits können auch temporäre bzw. dauerhafte Unterdeckungen mit entsprechenden Liquiditätsproblemen zu betrachten sein. Temporäre Unterdeckungen sind auf
einen gehemmten Bauablauf zurückzuführen. Dauerhafte Unterdeckungen können durch
den Wegfall von Leistungen entstehen. Daraus resultieren häufig Vorfinanzierungskosten,
die im ungestörten Bauablauf nicht entstanden wären.
Weiterhin ist regelmäßig ein erhöhter Bedarf beim sogenannten Overhead festzustellen. So
reicht der geplante Einsatz der Bauleitung u.U. nicht mehr aus, da störungsbedingt zunächst
in der geplanten Zeit weniger geleistet werden kann als ursprünglich vorgesehen. Zur Lösung der Probleme wird jedoch nicht adäquat weniger Personal benötigt. Auch lässt sich
i.d.R. das Bauleitungspersonal in Ermangelung von alternativen Aufträgen nicht anderweitig
einsetzen. Später gilt es, bereits eingetretene Verzögerungen zu reduzieren oder gar zu
neutralisieren.
27
Darüber hinaus kommen Mehrkosten aus der Umstellung des Bauablaufes (Veränderung
einzelner Vorgänge) oder sogar die Umstellung des Baubetriebes (Umstellung des Bauverfahrens, Änderung von Abschnittsgrößen) in Betracht.
Dies erfordert regelmäßig sogar einen deutlich erhöhten Personal- und Geräteeinsatz. Hierdurch entstehen entsprechende Mehrkosten z.B. infolge geänderter Gerätekapazitäten, oder
Mehrkosten infolge der Ausweitung der Einsatzzeiten. Auch treten nicht selten durch erhöhten Einsatz von Personal- und/oder Geräten Leistungsminderungen oder Produktivitätsverluste auf.
Nicht unbeachtlich bei längeren Baumaßnahmen sind Mehrkosten durch Preissteigerungen
(Lohnkosten, Materialkosten, Nachunternehmerkosten…) und zu guter Letzt sonstige störungsbedingte Mehrkosten z.B. für das Einschalten von Sondergutachtern und Sachverständigen.
Es lässt sich erkennen, dass nur durch die Auswertung von zahlreichen Informationen eine
schlüssige Darstellung bei einer Bauablaufstörung möglich wird. Sind diese Informationen
nicht ordentlich dokumentiert, so lässt sich dies im Nachgang nicht wieder gut machen.
3 Die Bedeutung der Dokumentation
Wie sich an den vorangestellten Ausführungen und Abbildungen erkennen lässt, steht die
Dokumentation des Bauablaufes im zentralen Mittelpunkt einer baubetrieblichen Bearbeitung. Jedoch auch in der Ausführung von Bauprojekten jeglicher Art ist diese nicht zu vernachlässigen. In den nachfolgenden Ausführungen soll dies nunmehr verdeutlicht werden.
Vertrag
Dokumentation
Anspruchsgrund
Anspruchshöhe
Abb. 18: Darstellung der relevanten Grundlagen aus baubetrieblicher Sicht
28
Die Bedeutung der Dokumentation zieht sich über alle Projektphasen im Baubereich. Von
der Konzeption über die Planung, bis in die Ausschreibung, von der Ausführung bis zur
Abrechnung sowie darüber hinaus in der Nutzung bis zum geordneten Rückbau, bedarf es
zwangsläufig der Notwendigkeit einer strukturierten Herangehensweise aufgrund der hohen
Anforderungen aus baubetrieblicher und juristischer Sicht .
Die Schwierigkeit der Dokumentation besteht klar und eindeutig darin, die Inhalte der
Dokumente und erarbeiteten Unterlagen über einen entsprechend langen Zeitraum
wiederauffindbar abzulegen.
Im Nachfolgenden soll anhand der zuvor beschriebenen Bauphasen dargestellt werden,
welche Themen und entsprechend zugehörige Dokumentation zu beachten sind:
3.1 Konzeption
Für die Grundsatzentscheidung zur Realisierung eines Bauvorhabens ist es in der Konzeptionsphase notwendig abzuschätzen, welche Ziele mit dem Bauvorhaben verfolgt werden und
dementsprechend sind erste Untersuchungen anzustellen. Üblicherweise gehören hierzu
natürlich Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sowohl im Hinblick auf die Rentabilität als auch bei
der Finanzierung. Zu diesem Zeitpunkt werden maßgebliche Weichen für die spätere Ausführung gestellt, da aufgrund der Nutzungsdefinition auch mögliche technische Standards
oder Luxusstandards festgelegt werden. Diese Ziele sind zu dokumentieren und die Entscheidungsgrundlagen, wie Rentabilitätsrechnungen, sind geordnet zu kommunizieren und
wiederauffindbar abzulegen.
3.2 Planungsphase
In der Planungsphase ist bei den Bauvorhaben darauf Wert zu legen, einen klaren Auftrag
an die Planer zu vergeben, damit entsprechend der Konzeption und der festgelegten Ziele
auch eine angemessene Planung vorgenommen wird.
Darüber hinaus ist bei mehreren beteiligten Fachplanern eine Abgrenzung (Schnittstellendefinition) zu treffen, welche Leistungen durch wen erbracht werden. Es ist auch zu
definieren, welche Ergebnisse erwartet werden. Zu diesen Ergebnisvorgaben gehören zum
Beispiel Angaben über die Bearbeitungstiefe, zu begutachtende Themen und entsprechende
Erläuterungsberichte (z. B. zur Beschaffenheit des Bodens), aber auch Festlegungen zur
Darstellung auf den Plänen sowie die strukturierten Inhalte der Erläuterungsberichte und die
Definition der technischen Schnittstellen (sowohl im Projekt als auch in der Zusammenarbeit
29
zwischen den Planern). Auch die frühzeitige Definition von wesentlichen Ausstattungsmerkmalen gehört zur Vorgabe an die Planer.
Die daraus resultierenden Festlegungen des Bauherrn sind von großer Wichtigkeit, da dies
der Zeitpunkt ist, an dem die möglichen Änderungen und Anpassungen noch mit relativ
geringen Kostenfolgen möglich sind. Diese Festlegungen sind in den Verträgen mit den
Planern und in Besprechungsprotokollen festzuhalten.
Für die Ablage der Planungsergebnisse ist eine Regelung zu treffen, um ganzheitlich den
Planungsfortschritt nachvollziehen zu können. Darüber hinaus können hier bereits
Schnittstellenprobleme erkannt und frühzeitig beseitigt werden.
3.3 Phase der Ausschreibung und Vergabe
Auf Grundlage dieser Entscheidungen und der durchgeführten Planung kann eine
Ausschreibung erarbeitet werden. Diese Unterlage soll die vollständige erforderliche
Leistung der geplanten Baumaßnahme wiedergeben. Lücken und ungenaue Angaben zu
diesem Zeitpunkt führen häufig zu Problemen bei der späteren Ausführung und zu
Streitigkeiten über die sich entwickelnden Kosten. Aus diesem Grunde fällt der
Planungsphase, wie bereits zuvor ausgeführt, eine sehr große Bedeutung zu, die durch die
am Bau Beteiligten regelmäßig unterschätzt wird.
Der Aufraggeber muss bei der Ausschreibung der Leistung darauf achten, dass die
Projektziele und deren Umsetzung in der Planung nun auch ihren Niederschlag in den
Ausschreibungsunterlagen finden. Nur so ist gewährleistet, dass das Bauvorhaben
erfolgreich realisiert werden kann.
Im Zuge der Angebotsbearbeitung durch die späteren Auftragnehmer sind neben der
Preisermittlung, die in der Kalkulation manifestiert wird, auch die Kalkulationsannahmen
(Randbedingungen) darzulegen.
Dies geschieht in Richtung des Auftraggebers durch das Anschreiben zum Angebot oder
durch Nebenangebote. Im Hause des Bauunternehmens sind weitergehende Aufzeichnungen zu führen, damit im Auftragsfall diese Annahmen der Kalkulation umgesetzt oder
zumindest berücksichtigt werden können.
Bis zur Auftragserteilung kommt es häufig zu weiteren erläuternden Gesprächen, die sowohl
technische, wirtschaftliche, als auch vertragsrechtliche Inhalte haben. Die dort getroffenen
Vereinbarungen sind möglichst präzise zu dokumentieren und von beiden Vertragsparteien
30
kurzfristig anzuerkennen, denn diese werden üblicherweise als Vertragsbestandteil zur
Grundlage des Vertrages.
3.4 Ausführungsphase
Die Vertragsunterlagen werden üblicherweise bei den Beteitligten sehr ordentlich abgelegt,
da bekanntermaßen immer wieder hierauf zurückgegriffen wird. Zur richtigen Anwendung
des Vertrages ist aber auch die richtige Verteilung der Informationen aus dem Vertrag bei
den Beteiligten eine Grundvoraussetzung.
In der Bauphase gibt es vielfältige Dokumentationsanforderungen von und an die Baustelle,
die Planer, den Auftraggeber und sonstige am Bau Beteiligten.
Es gibt Anforderungen aus dem gesetzlichen Bereich, die z.B. in der Landesbauordnung
definiert sind oder durch die Genehmigungsbehörden bzw. die Baugenehmigung festgelegt
wurden. Gleichzeitig gibt es Dokumentationsfestlegungen aus dem Vertrag heraus. Dort wird
z.B. ein entsprechendes Berichtswesen bzw. ein Informationsfluss innerhalb des Projektes
definiert. Es gibt eine technische Dokumentation, die zwingend zu führen ist. Hier sei als
umfassendste Sammlung auf die Bestandsdokumentation hingewiesen, welche die vollständige Dokumentation des Herstellprozesses darstellt und notwendige Wartungsanweisungen
enthält. Hierzu gehören unter anderem Prüfberichte, die die Qualität von einzelnen Komponenten belegen. Insofern besteht die Abschlussdokumentation des Bauvorhabens nicht nur
aus den Bestandsplänen, sondern auch aus den nachgewiesenen (dokumentierten) technischen Eigenschaften der verwendeten Materialien und Bauteile.
Gleichzeitig muss die Baustelle zeitnah dokumentieren, welche Leistungen auf der Baustelle
mit welchen Kapazitäten erbracht werden. Hierzu gehört als Hauptdokumentationswerkzeug
der Baustelle der Bautagesbericht auf Auftragnehmerseite bzw. das Bautagebuch auf Auftraggeberseite.
Zur organisatorischen Abstimmung des Bauvorhabens werden üblicherweise Baubesprechungen geführt, deren Protokolle auch vertragliche Vereinbarungen beinhalten können. Hier
wird der Besonderheit des Anordnungsrechts des Auftraggebers, gemäß § 1 Abs. 3 und 4
VOB/B Rechnung getragen, wonach Änderungen des Bauentwurfes einseitig durch den Auftraggeber angeordnet werden können. Jede Anordnung einer Änderung des Auftraggebers
ist durch den Auftragnehmer dahingehend zu prüfen, ob sie technisch machbar ist. Anschließend ist die entstehende Kostensituation und deren terminliche Auswirkung auf das
Gesamtbauvorhaben zu untersuchen. Die technische Machbarkeit ist häufig durch die ausführenden Firmen und deren Bauleitung leicht einzuschätzen. Die Beurteilung der Kosten
31
wird üblicherweise durch die Kalkulation im Unternehmen ermittelt bzw. in Abstimmung mit
möglichen Lieferanten festgestellt. Die terminlichen Auswirkungen können zum Zeitpunkt der
Anordnungen durch den Auftragnehmer oft nur vage abgeschätzt werden und haben deshalb
häufig keinen verbindlichen Charakter. Hier wird in einen vorgeplanten und laufenden Produktionsprozess eingegriffen, der durch die vertraglichen Randbedingungen definiert worden
ist. Diese werden nun ad hoc verändert und deshalb sind deren Folgen häufig nur schwer
abschätzbar. Diese können dann nur anhand der Dokumentation zu einem späteren Zeitpunkt ermittelt werden.
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, den Auftraggeber umgehend zu informieren, sollten ihm
Störungen im Bauablauf auffallen. Dies ist erforderlich, damit der Auftraggeber über diesen
Sachverhalt im Bilde ist und möglichst schnell reagieren und entsprechend eingreifen kann.
Hierfür ist eine möglichst klare Beschreibung der eingetretenen Störung oder der störenden
Umstände eine ideale Voraussetzung.
Durch die Komplexität der Baumaßnahmen ist die Störung häufig nicht in einer einfachen
monokausalen Darstellung zu beschreiben. Hier steht deshalb die Information als „Vorwarnung“ des Aufraggebers im Vordergrund. Üblicherweise werden solche Anzeigen so formuliert, wie sie sich als Sachverhalt zum Zeitpunkt des Eintretens darstellen. Zu diesem Zeitpunkt haben sowohl der Verfasser als auch der Empfänger häufig einen sehr ähnlichen
Kenntnisstand zum Sachverhalt dieser Maßnahme bzw. des störenden Umstandes. Dieses
ist aber für eine Nachvollziehbarkeit in der Zukunft schwierig, deshalb sollten der hindernde
Umstand und die Randbedingungen möglichst vollständig und exakt beschrieben werden.
Während der Bauausführungen werden häufig auch noch Pläne überarbeitet und den Ausführenden zur Verfügung gestellt. Die hierfür notwendige Informationskette der gültigen und
ungültigen Unterlagen ist unbedingt zu regeln und auf der Baustelle so umzusetzen.
Es ist festzuhalten, dass im Zuge der Baumaßnahme viele unterschiedliche Dokumente erstellt, verteilt und wieder verworfen werden. Um diese Informationsflut nachvollziehbar zu
beherrschen, sind Datenbanklösungen das Mittel der Wahl. Neben der reinen Datensammlung ist die Nutzbarkeit dieser Daten von der Indizierung bei der Einstellung in die Datenbank
abhängig. Eine voll automatisierte Lösung hat bisher immer zu erheblichen Unschärfen geführt, die in der Sacharbeit sehr hinderlich sind. Hier sei nur die Suche nach Zusammenhängen über einzelne Begriffe angeführt. Die Suchfunktion geht davon aus, dass der Begriff immer richtig geschrieben wurde und nur dieser Begriff im Zusammenhang mit dem Ereignis
benutzt wurde. Dies ist aber nicht immer gegeben, deshalb ist die Zuordnung mit menschlichem Sachverstand bislang die optimale Lösung.
32
Die Dokumentation der Abnahme als solche und der Beseitigung von möglichen Mängeln,
die während der Abnahme festgestellt wurden, sind weitere wesentliche Nachweisführungen
des Bauprojektes. Zum Zeitpunkt der Abnahme bzw. nach Fertigstellung der Maßnahme ist
die Bestandsdokumentation, so wie vertraglich vereinbart, kurzfristig zusammenzustellen
und dem Auftraggeber vollständig zu übergeben.
3.5 Abrechnung/ Schlussrechnung
Die Abrechnung der erbrachten Leistung erfolgt häufig bereits während der Bauausführung.
Die erforderlichen Nachweise für die Abrechnung der Leistung sind im Vertrag oder den
technischen Regelwerken definiert.
Sollte es sich um eine Abrechnung nach Aufmaß handeln, sollten beide Parteien ein großes
Interesse daran haben, gemeinsame Aufmaße zu erstellen und eventuelle Widersprüche
möglichst umgehend aufzuklären. So ist auf einfache Weise sichergestellt, dass die
Abrechnung auch schnell prüfbar und vertragsgemäß angewiesen werden kann. Zur
vollständigen Nachvollziehbarkeit eines Abrechnungsvorganges gehören die folgenden
Unterlagen: die Aufmaße und Abrechnungspläne sowie die ordentliche Rechnungslegung
ebenso, wie die schriftliche Rechnungsprüfung durch den Aufraggeber. Zu berücksichtigen
ist bei der Rechnungsstellung selbstverständlich die Unterscheidung zwischen Abschlagsrechnungen und Schlussrechnungen, diese haben jeweils unterschiedliche rechtliche
Wirkungen. Eine richtige Abrechnung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine korrekte
Projektabwicklung.
3.6 Gewährleistungsphase
Auch nach der Fertigstellung der Leistung fallen noch Dokumente an. Diese beziehen sich
natürlich auf Gewährleistungssachverhalte, welche bei erkannten Mängeln durch den
Auftraggeber anzuzeigen sind. Der Auftragnehmer hat diese ggfs. zu beheben und deren
Beseitigung zu dokumentieren. Diese Unterlagen sind dem Bauherrn zuzuleiten und dienen
als Nachweis der Beseitigung der Mängel.
3.7 Nutzungsphase
In der Zeit der Nutzung ist durch den Eigentümer eine Wartungs- und Instandhaltungsplanung zu erarbeiten, die den reibungslosen Gebrauch des Gebäudes möglich macht.
Hierzu sind Wartungspläne aufzustellen und die Durchführung der Wartungsarbeiten ist
detailliert zu dokumentieren. Eventuelle Reparaturen sind aufzuzeigen, durchzuführen und
deren nachvollziehbare Dokumentation sollte Gegenstand der Gebäudeakte werden.
33
Darüber hinaus können auch unter realen Nutzungsbedingungen die Kostenverläufe und
Energieverbräuche
regelmäßig
aufgezeichnet
und
ausgewertet
werden,
um
den
wirtschaftlichen Betrieb des Objektes zu überwachen. Diese Unterlagen steigern nicht nur
den Wert des Objektes, sondern machen es auch dem Eigentümer leicht, möglicherweise
einen Verkauf oder eine andere wirtschaftliche Verwertung kurzfristig anzugehen.
3.8 Rückbau
Auch der geplante Rückbau/Abbruch am Ende der Nutzungsdauer ist entsprechend zu
dokumentieren, um nachweisen zu können, dass die angefallenen Materialien korrekt
entsorgt wurden. Dieses ist zur Enthaftung des Eigentümers Voraussetzung, je nach
aktuellem Stand der Rechtslage und der angetroffenen Materialien. Auch für die Abrechnung
der Leistung des Abbruchunternehmens ist eine entsprechende Dokumentation die
Grundvoraussetzung. Diese Unterlagen gewinnen im Zusammenhang mit dem „nachhaltigen
Bauen“ an Bedeutung, da der spätere Rückbau je nach Objekt zunehmend in die
Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen einfliessen wird.
3.9 Fazit
Neben der inhaltlichen Güte ist auch die Wiederauffindbarkeit der Dokumente von
entscheidender Bedeutung. Was bisher noch nicht angesprochen wurde ist, dass heutzutage
nicht nur die Dokumentation auf Papier, sondern auch eine elektronische Dokumentation
erfolgt (E-Mail-Verkehr, Pläne, Planeingangs-, -ausgangslisten, etc.). Auch diese sind im
Bauvorhaben zu kanalisieren und wiederauffindbar abzulegen.
Aus unserer Erfahrung ist es auf Grund der stetig steigenden Anforderungen an die
Projektdokumentation unbedingt erforderlich, eine systematische nachvollziehbare Ablage
für die anfallenden Informationen sicherzustellen. Wir bevorzugen in diesem Zusammenhang
eine
EDV-gestützte
Datenbanklösung,
die
durch
eine
qualifizierte
Suche
die
Wiederauffindbarkeit nicht nur von Dokumenten, sondern auch die Recherche nach
einzelnen Themen ermöglicht. Damit ist in kurzer Zeit eine zusammenhängende Darstellung
von einzelnen Sachverhalten möglich. Wir haben in diesem Zusammenhang ein BaustellenInformations-Management (b-i-m) entwickelt, das durch seine offene Struktur die Möglichkeit
bietet, bestimmte Aufgaben der Baustelle im Zuge der Dokumentationsablage zu
übernehmen oder aber die vollständige Dokumentation eines Projektes aufzunehmen. Indem
von Internetzugängen an verschiedenen Stellen (Baustelle, Verwaltung, etc.) unabhängig
voneinander zeitgleich auf identische Informationen zugegriffen werden kann, besteht die
Möglichkeit, sich auch über die gleichen Informationen kurzfristig austauschen. Da wir
34
programmunabhängige Dateien in das Archiv einstellen können, ist eine weitergehende
Softwaredefinition nicht erforderlich.
Die Vorteile liegen auf der Hand: mit b-i-m werden sowohl alle Abläufe als auch Dokumente
vollständig nachvollziehbar und strukturiert abgelegt. Die vertraglichen Randbedingungen
werden erfasst und stehen so für die Erstellung z.B. eines Soll-Terminplanes zur Verfügung.
Durch klare Vorgaben ergeben sich aussagekräftige Bautagesberichte. Es gibt eine
lückenlose Erfassung der Baustellendokumentation, welche die Nachverfolgung von
Änderungen und Behinderungen im Bauablauf sehr erleichtert. Durch die kontinuierliche
Aufnahme des Ist-Bautenstandes wird zeitnah ein terminlicher Soll-Ist-Vergleich möglich.
Das System kann somit auch die Grundlagen für die Abschlussdokumentation bieten und bis
in die Nutzungsphase hinein alle Dokumente wiederauffindbar bereithalten.
Veröffentlicht im Eisenbahn Ingenieur Kalender 2014
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Impressum
1. Auflage 2014
Autoren:
Dipl.-lng. (FH) Christian Geiger, MCE-CONSULT AG
Dipl.-lng. Christoph Surmann, MCE-CONSULT AG
MCE-CONSULT AG
Management-Consulting-Engineering
II. Hagen 7
45127 Essen
Fon + 49 201 63 00 8- 0
Fax + 49 201 63 00 8 - 29
[email protected]
www.mce-consult.com
Vertreten durch den Vorstand:
Michael C. Eichner, Christoph Surmann
Register: Handelsregister Amtsgericht Essen
Registernummer: HRB Nr.: 22 146
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer: DE268673319