2016 energiewirtschaftliche

ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE
TAG E S F R AG E N
Zeitschrift für Energiewirtschaft · Recht · Technik und Umwelt Sommer-Special · 2016
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE
TAG E S F R AG E N
ZUGANG
FOLGEN
GESCHÄFTSMODELLE
DIGITALISIERUNG: WARUM
WAS UND WIE? INTERNET
OF THINGS
AUSWIRKUNGEN AUF
DIE AUFGABENVERTEILUNG
VON NETZBETREIBERN
STRATEGIEN UND
BARRIEREN;
SMARTE PROZESSE
> > D I G I TA L I S I E R U N G :
A U F D E M W E G I N D I E N E U E E N E R G I E W E LT
SommerSpecial
2016
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Editorial
VON DER INNOVATION ZUM GESCHÄFTSMODELL
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Digitalisierung, das neue Zauberwort, scheint sich wie Wasser in alle Ritzen unseres Lebens zu drängen. Im Wirtschaftsbereich werden darauf basierende neue Konzepte unter gängigen Stichworten wie
Industrie 4.0 diskutiert. In der Energiewirtschaft zeigt allein schon der Begriff des Ende Juni verabschiedeten Digitalisierungsgesetzes, wie hoch ihre Bedeutung dort ist.
Ohne diese Basistechnologie ist eine Transformation der Stromwirtschaft hin zu kleineren, millionenfach fluktuierend einspeisenden Erzeugungsquellen nicht vorstellbar. Denn nur über digitale Vernetzung
und Steuerung von Angebot und Nachfrage sowie Speichern kann das funktionieren; das gilt für die
Sektorenkopplung ebenso. Klar ist, dass man bei den vielen neu generierten und vernetzten Daten auch
die andere Seite der Medaille betrachten muss, nämlich Datenschutz und Datensicherheit.
Diese kleine Zusammenstellung von in der „et“ im ersten Halbjahr 2016 erschienenen Artikeln holt zu
Beginn weit aus, wenn gefragt wird: „Digitalisierung: Warum, wie und was?“. Wie sich zeigt, ist dieser
breite Zugang wichtig für das Verständnis der im Anschluss erläuterten Auswirkungen auf verschiedene Anwendungsbereiche sowie die Strategieentwicklung im EVU. Aus Innovationsfeldern tragfähige
Geschäftsmodelle zu entwickeln, wird die Branche noch lange intensiv beschäftigen.
Foto: Marc Darchingen
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen
Franz Lamprecht
Chefredakteur „et“
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Franz Lamprecht
Von der Innovation zum Geschäftsmodell
1
Christian Timm und
Gunnar Gipp
Digitalisierung – Warum, wie und was?
2
Karl Werlen und
Andreas Winter
Internet of Things – Plattform für ein nachhaltiges Energiesystem
7
ZUGANG
Folgen
Carsten Saldenholz
Auswirkungen der Digitalisierung auf die Aufgabenverteilung von Übertragungs- und Verteilungsnetzbetreibern 10
Geschäftsmodelle
Heiner Lütjen und
Carsten Schultz
Stadtwerke auf dem Weg zum Lösungsanbieter – Strategien und Barrieren
14
Marie-Luise Wolff-Hertwig
Vom Versorger zum Dienstleister – Digitale Geschäftsmodelle brauchen smarte Prozesse
20
Impressum
22
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
1
Zugang
Digitalisierung – Warum, wie und was?
Christian Timm und Gunnar Gipp
Der Versuch einer erschöpfenden und allgemeingültigen Definition zur Digitalisierung ist schwierig – warum ist das eigentlich so? Jedes Unternehmen, das den Weg in eine digitale Transformation einschlägt, definiert den Begriff und dessen
Bedeutung für sich individuell. Doch wenn es nicht mehr reicht, Energie zu verkaufen und die Bereitstellung zu sichern,
muss man sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Im Vordergrund stehen dabei moderne digitale Funktionen und Angebote an die Kunden, neuartige Geschäftsmodelle in Form von Leistungen und Services als auch interne
Effizienzsteigerungen.
Eine steigende technische und datenbasierte Komplexität in der Abbildung der unterschiedlichen Anforderungen der Leistungsnutzer ist ein grundlegendes Merkmal der
Digitalisierung. Das Zusammenwachsen von
Leistungserbringer und Leistungsnehmer
und eine klare Fokussierung auf Kunden,
User, Stakeholder und deren Bedürfnisse
wird zum erfolgsentscheidenden Kriterium.
Von anderen Branchen lernen
Andere Branchen sind hier schon sehr aktiv. Im Wesentlichen ist hier die Interaktion
mit dem Kunden zu nennen, die in anderen
Branchen durch höheren Wettbewerb gekennzeichnet ist. In immer kürzeren Zyklen
kann man Produkt- und Geschäftsmodellanpassungen in anderen Branchen erleben. Der interne Effizienzdruck bleibt dem
Kunden üblicherweise verborgen, dennoch
ist klar, dass auch im Themenfeld der internen digitalen Optimierung niemand auf
der Stelle steht. Wichtige und unerlässliche
Stichworte zur Beschreibung dieser Schnel-
ligkeit und Anpassungsfähigkeit sind: Innovationsfähigkeit, Agilität und eine stetige
Begleitung durch das Change Management
(siehe Abb. 1).
Im Rahmen von Innovationsprozessen werden kundenorientierte Lösungen entwickelt, erprobt, angepasst und in den Markt
gegeben. Da gerade bei kundenwirksamen
Weiterentwicklungen im Bereich des Produktportfolios und des Kundenservices
häufig „Time-to-Market“ entscheidend ist,
ist hier ein ergebnisorientiertes, qualitativ
hochwertiges und schnelles Agieren notwendig. Dies erreicht man mit agilen Management- und Umsetzungsmethoden, die
den Nutzen permanent hinterfragen und
eine stetige Priorisierung und eine nachhaltige Fokussierung fördern.
Um diese Komponenten in die Digitalisierung zu übersetzen und diese umsetzen zu
können, bedarf es einer Transformation.
Diese Transformation sollte so umfassend
wie möglich gestaltet werden. Eine Grund-
lage dafür ist das formulierte Ziel, die Digitalisierung als einen wichtigen Baustein der
Zukunftssicherung auszubauen.
Die digitale Transformation
als Grundlage
Wenn sich die Lebenswelten und Bedürfnisse der Kunden ändern, ist es unabdingbar,
dass sich ein zukunftsfähiges Unternehmen
mit seinen Wertschöpfungsstufen daran anpasst. Hierzu muss man sich auf drei maßgebliche Punkte konzentrieren, um eine
hohe Digitalisierungsreife zu erlangen.
Phase 1: Transparenz und
Verständnis erzeugen
In der ersten Phase der digitalen Transformation ist es wichtig, eine Transparenz und
ein gemeinsames Verständnis über das vermutlich neue Vorgehen und dessen Ziele zu
erwirken. Die Frage, die beantwortet sein
sollte ist: Warum machen wir das eigentlich?
So ist es notwendig, dass sich alle Beteiligten auf eine Definition und damit ein gemeinsames Verständnis einigen. Dazu sollte
ein gemeinsamer Überblick über die Möglichkeiten und auch Herausforderungen, die
durch die Digitalisierung entstehen, erwirkt
werden. Wichtig ist es, klar zu formulieren,
aus welchen Gründen eine Notwendigkeit
zur Transformation erkannt wurde.
Abb. 1 Digitalisierung als Grundlage für Marktveränderungen und Chancen
2
Quelle: eigene Darstellung
Jedes Unternehmen hat bereits ein Portfolio
von internen und externen digitalen Angeboten, Prozessen, Optimierungsprojekten
und Tools. Es gilt hier eine Standortbestimmung vorzunehmen und diese mit dem Ziel
und der Strategie abzugleichen. Dadurch
wird transparent, in welche Richtung man
sich bewegen muss. Die zu erwartenden
Hindernisse und Auswirkungen auf das Un-
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
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Zugang
ternehmen z. B. in der Organisation, sollten
immer Bestandteil der Diskussionen sein.
wortenden Kernfragen sind: Was machen
wir und wie machen wir das?
Am Ende sollten eine Transparenz und ein
Verständnis darüber sichergestellt sein, in
welche grundlegende Richtung das Unternehmen auf dem Weg zu einer digital transformierten Organisation gehen will. Ein
Ausgangspunkt kann dazu die Erhebung
von Kundenbedürfnissen, die Formulierung
von Anforderungen aus dem eigenen Unternehmen und eine umfassende Marktanalyse sein. Konkrete Ideen und auch abwegige
Spinnereien sollten in dieser und weiteren
Phasen stets willkommen sein, um die Innovationskraft des Unternehmens nicht zu
hemmen.
Phase 3: Ideen realisieren
Sinnvoll ist es, in dieser ersten Phase bereits
eine Roadmap mit der Definition der groben
Schritte und Meilensteine zu erarbeiten, die
es in weiteren Phasen immer wieder zu hinterfragen gilt.
Phase 2: Rahmenbedingungen schaffen
Um die digitale Transformation mit einem
starken Fundament zu versehen, ist es notwendig, zunächst eine sinnvolle Basis zu
schaffen, die ergebnisorientiert ausgerichtet ist. Dazu gehört zum einen die organisatorische Einbindung interdisziplinärer Mitarbeiter und deren Fort- und Weiterbildung.
Dieses „Digitalisierungsteam“, das als Multiplikator und Vordenker wirkt, muss sich
auf eine gemeinsame Kultur zur Verankerung verständigen. Kernwerte wie Kundenorientierung, Innnovationsbereitschaft,
Fehlertoleranz und Risikobereitschaft
sind neben Offenheit und Transparenz die
Schlüsselvoraussetzungen, um die Transformation in das gesamte Unternehmen zu
tragen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Konkretisierung der Vorhaben in der Digitalisierungs-Roadmap und die konkrete Analyse
der Auswirkungen auf Strategie, Prozesse,
Organisation und IT. Die Weiterentwicklung
erster umsetzbarer und belastbarer Ideen
aus den unterschiedlichen Unternehmensteilen in Zusammenhang mit den Ideengebern, ist ebenfalls ein Schwerpunkt in
dieser Transformationsphase. Hier gilt es
Agilität zu leben und fokussiert am Kundennutzen orientiert zu agieren. Die zu beant4
In dieser Phase werden konkrete Vorhaben
konzipiert und umgesetzt. Dies geschieht im
optimalen Fall unter Einbeziehung aller Stakeholder. So ist es notwendig, um das Ziel
der Kunden- oder Nutzerorientierung nicht
aus dem Auge zu verlieren, eben diese Stakeholder besonders zu integrieren. Gemeinsame Ideen- und Entwicklungsworkshops
mit Kunden, Verantwortungsübertragung
bei der Entwicklung interner Optimierungen und mögliche Incentivierungs-Maßnahmen sind hier denkbare Motivatoren,
um die Profiteure der Entwicklungen zur
Mitarbeit zu bewegen. Die Fokussierung
auf wichtige, priorisierte und erfolgversprechende Maßnahmen ist unabdingbar, um
eine schnelle Umsetzung und Testbarkeit zu
gewährleisten.
Auch während der Umsetzungsphase werden weiterhin neue Ideen generiert und
bestehende Ideen angepasst. Dazu sollte
mit einem zentralen Backlog ein Instrument
etabliert werden, dass eine stetige Priorisierung und neuerliche Maßnahmenplanung
möglich macht. Bei Angeboten, Tools oder
Services, die sich in der Entwicklung befinden oder bereits umgesetzt sind, ist es wichtig, stets eine regelmäßige Retrospektive zu
wagen.
Der stetige Abgleich von Zielen und der
daraus resultierenden Maßnahmen sichert
eine effiziente Umsetzung. Ein Verharren
auf „dem, was wir schon erreicht haben“,
sollte unter keinen Umständen gefördert
werden. Im Gegenteil, das stetige Hinterfragen des Erreichten und Geplanten hat zur
Folge, dass die Innovationskraft bestehen
bleibt und man früher ungeliebte Zöpfe abschneiden kann.
In diesem Feld aus genereller kultureller
Veränderung und der Anpassung der Umsetzungsmethodik sind von den Beteiligten
Schlüsselqualifikationen zu erwarten. Ein
Wille zur Weiterentwicklung, Kooperation
und Veränderungsbereitschaft sind ebenso als Erfolgsfaktoren zu benennen, wie
eine ausgeprägte Projektmanagement- und
Umsetzungskompetenz. Benötigt werden
Netzwerker, die entscheidungsfreudig einen
ganzheitlichen Blick auf das Unternehmen
und seine Ziele und besonders auch auf das
Marktumfeld haben.
Wenn sich ganze Unternehmen der Digitalisierung verschreiben – wie es mit Blick
in die Zukunft nötig ist – so ist der eigene
Erfolg der größte Motivator. Ein Teil der Kultur muss es werden, die Erfolge zu kommunizieren und gemeinsam zu feiern. Genauso ist es wichtig, Misserfolge gemeinsam
durchzustehen und als Motivation zu verstehen. Mögliche Felder, auf denen sich Verbesserungen erzielen lassen, könnte man z. B.
folgendermaßen formulieren:
■■ Bei der nächsten Maßnahme das Ziel
besser stecken!
■■ Den Kunden besser verstehen!
■■ Genauer zuhören und schauen, welche
Hindernisse sich ergeben haben!
■■ Konkreter den Nutzen ins Auge fassen!
■■ Sauberer konzipieren und umsetzen!
Der Kunde im Mittelpunkt – Customer First
In einer Zeit, wo neue Marktteilnehmer auf
den Markt der Energieversorgung drängen,
ist es wichtig, seinen Fokus scharf zu stellen.
Gerade der Bereich der digitalen Dienstleistungen und Produkte, bei automatisierten
Massenprozessen, ist ein hart umkämpfter
Markt. Im Mittelpunkt der Entscheidungen
für neue Produkte, Services und auch interne Anpassungen muss der einzelne Kunde,
der sowohl intern als auch extern sein kann,
stehen. Wichtig ist die klare Ausrichtung
am Kundenutzen und nicht am technisch
Realisierbaren. Auch noch so komplexe
Lösungen, die den Nutzen nicht widerspiegeln, werden am Markt keinen Erfolg haben
und nicht vom Kunden nachgefragt.
Aber wer ist dieser „fremde“ Kunde eigentlich? Um diese Frage beantworten zu können, hilft ein Perspektivenwechsel, z. B.
durch die Entwicklung von Personas und
die Durchführung von Kundenbefragungen. Ziel ist es dabei, ein klares Bild von
seinen heutigen und zukünftigen Kunden
zu zeichnen und dabei die wesentlichen
Kundengruppen widerzuspiegeln. Personas
beschreiben dabei einen repräsentativen
und typischen „User“ im Detail. Es werden
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Zugang
Alter, Beruf, Gewohnheiten, Einkommen,
Beziehungsstatus, Kontaktpunkte, persönliche Interessen etc. erfasst, um spezielle
Kundenbedürfnisse abzuleiten und daraus
Kundenlösungen zu entwickeln. Es geht
dabei um die Spiegelung des Kunden mit
der digitalen Lebenswelt. Zur Analyse können Technologien wie Big Data und Business Analytics Innovationen unterstützen,
die bisher nur zurückhaltend in der Energiebranche aufgenommen werden.
Mit den gewonnen Ergebnissen können
auch kleine Pilotprojekte gemeinsam mit
dem Kunden am Markt getestet und eingeführt werden. Das Ziel muss sein, individuell auf den Kunden mittels Massenprozessen einzugehen und dabei Lösungen wie
Apps, Portale oder auch interne Prozessoptimierungen zu entwickeln, um den Kunden
langfristig zu binden.
Digitale Beispiele als
Antwort auf konkrete
Kundenbedürfnisse
Mittlerweile ist der Einzug der Digitalisierung nicht mehr wegzudenken. Digitale Lösungen bieten dem Kunden in nahezu jedem
Lebensbereich einen Mehrwert. So organisiert der „User“ seinen Alltag heute oft über
eine Vielzahl von Apps, Portalen oder Kommunikationsplattformen. Für scheinbar jedes Bedürfnis gibt es eine digitale Antwort.
Somit ist es auch für die Energiebranche
wichtig, Angebote für bestehende und zukünftige Kundenbedürfnisse zu entwickeln.
Hierbei ist es wichtig, zu erkennen, welche
Bedürfnisse, Ideen und Wünsche im Fokus
von Privat- und Geschäftskunden stehen.
Daran gilt es sich zu orientieren (Abb. 2).
Digitale Zusammenarbeit in
der Wohnungswirtschaft
Im Rahmen einer Kundenanalyse stellte sich
heraus, dass es im Bereich der Wohnungswirtschaft immer wieder zu unterschiedlichen Problemen kommt. Die Kundenbedürfnisse werden vom Energieunternehmen
nicht mehr zufriedenstellend erfüllt und
führen beim Kunden zu Mehraufwänden.
Verlust von Kunden, Eskalationsgespräche
und Unzufriedenheit belasten das Tagesgeschäft. Die Anforderungen an die Energieversorger sind in diesem Kundensegment
signifikant anders als bei anderen Geschäftskunden.
Daher ist es notwendig, gemeinsam mit dem
Kunden nach Prozessoptimierungen und
digitalen Lösungen zu suchen. So können
durch die digitale Bearbeitung von Leerständen oder An- und Abmeldungen in Liegenschaften auf beiden Seiten Prozesse optimiert und die Abrechnungsqualität jeweils
erhöht werden. Über ein gemeinsam zu nutzendes Portal fällt der Austausch von Daten
und Prozessauslösern leichter. Die Digitalisierung in der Zusammenarbeit ist in diesem
Fall eine klare Win-Win-Situation.
Interaktion mit dem Privatkunden
Die Ablesung von analogen Zählern ist nach
wie vor eine manuelle Tätigkeit, die meis-
tens genau dann durchgeführt werden soll,
wenn der Kunde nicht zu Hause ist. Die digitale Erfassung von Zählerständen durch den
Kunden mithilfe einer App gibt hierzu eine
folgerichtige Antwort. Spezielle Apps unterstützen den Ablesenden, erhöhen dadurch
die Geschwindigkeit im Ableseprozess und
steigern so die Zufriedenheit des Kunden.
Aufgrund von Datenplausibilisierungen vor
Ort kann darüber hinaus die Abrechnungsqualität gesteigert werden, was zu einer geringeren Beschwerdequote führt.
Übertragungsfehler und Erfassungsfehler
können weitestgehend eliminiert werden.
Auch das teilweise zeitlich sehr intensive
und lästige Übertragen und Übermitteln
von Zählerstandslisten durch Hausmeister
in Mehrfamilienhäusern wird verhindert.
Diese Funktionen sind nur ein Teil einer
App, die sowohl beim Privatkunden als auch
beim Geschäftskunden auf großes Interesse
stoßen.
Individualisierung des Kundenkontakts mithilfe von Massenprozessen
Kundenportale für Privat-, Gewerbe- oder Geschäftskunden sollten als zukunftsträchtige
Kommunikationsmittel verstanden werden.
Zum einen können den Kunden hier sehr individualisiert Produkte, Services, Angebote
und Informationen mitgeteilt werden. Zum
anderen kann hier ein kundenspezifischer
Informationsgewinn für den Energieversorger erhoben werden. Welche Informationen
werden besonders oft abgerufen? Informiert
sich der Kunde öfter über regenerative Energien und Contracting? Welche alternativen
Produkte interessieren den Kunden?
Die Back-end-Analyse von Lastgängen oder
Smart-Meter-Daten erlaubt das Angebot von
individuell passenden Commodity- und nonCommodity-Produkten. Als Beispiel könnte
ein Intensivverbraucher aus dem Geschäftskundenumfeld seinen Energiebedarf über
das Portal prognostizieren, um den Energieeinkauf zu optimieren und auf diese Weise
von günstigeren Tarifen oder Kostenerstattungen profitieren.
Abb. 2 Der Einzug der Digitalisierung in den Alltag
Quelle: eigene Darstellung; in Anlehnung an die Maslowsche Bedürfnishierarchie
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Zudem kann man über Kommentar-, bzw. Bewertungsfunktionen und Community-Plattformen nachdenken, die den Erkenntnisgewinn vom Kunden beträchtlich erhöhen. Die
5
Zugang
Kommunikation über Plattformen und das
Nutzen von Portalen ist dem internetaffinen
Kunden bereits aus dem privaten Umfeld und
in der Interaktion mit anderen Dienstleistern
bekannt. So bietet sich hier die Möglichkeit,
dem Kunden einen echten Mehrwert zu liefern und gleichermaßen vom Informationsund Datengewinn zu profitieren.
Orientierung auf den
Kunden treibt die
digitale Transformation
In einer digitalisierten Zukunft stehen die
Bedürfnisse des Kunden im Mittelpunkt.
Er entscheidet, welche Angebote er nutzt
und welche Produkte über welchen Kanal
gekauft werden. Er nimmt dabei einen aktiven Part ein. Die nächste Entscheidung ist
immer nur einen Klick weit entfernt. Um
eine langfristige Kundenbindung zu erzeugen, ist es also unabdingbar, sich dem Tempo der Bedürfnisentwicklung des Kunden
anzupassen.
Unternehmens sind hier nur einige wichtige Punkte. Das Etablieren von Innovationskraft und –bereitschaft gepaart mit agilen
Projektmanagement ebnet den Weg zum
digitalen Erfolg. Über allem muss aber eine
Kultur entstehen, die Entscheidungsfreude,
Risikobereitschaft und auch Fehlertoleranz
mit Transparenz und Offenheit lebt.
Die Digitale Transformation von Unternehmen muss sich daher ganzheitlich am
internen, wie externen Kunden ausrichten.
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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE
27.06.16 10:26
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Zugang
Internet of Things – Plattform für ein nachhaltiges
Energiesystem
Karl Werlen und Andreas Winter
Der Bezug von nachhaltig produzierter Wärme und Kälte aus Wärmepumpen sowie der Strom aus erneuerbaren Energiequellen leisten an sich schon einen wertvollen Beitrag zur Energiewende. Zusätzlich kann die thermische Trägheit zum
Ausgleich der Schwankungen bei der Produktion von Strom aus Solar- und Windkraft genutzt werden und bietet damit eine
interessante Alternative zu dezentralen Batteriespeichern. Ein schweizerisches Projekt zeigt, wie thermische Speicher als
Puffer genutzt werden können und mittels IT-Einsatz eine Plattform etabliert werden konnte, die als Grundlage weiterer
„Internet of Things“-Geschäftsmodelle dient.
Das von der Misurio AG entwickelte WarmUp-Projekt, welches von ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich) und dem BFE (Bundesamt für Energie, Schweiz) unterstützt
wird, macht die thermische Speicherkapazität von Gebäudemassen und Warmwasserspeichern als Puffer nutzbar, um
Wärmepumpen flexibel zu betreiben. Die
Wärmeerzeugung mit den Wärmepumpen
kann dadurch zeitlich verschoben werden,
ohne den Komfort der Bewohner zu beeinträchtigen.
Durch die flexible Steuerung der Wärmepumpen ergeben sich diverse Anwendungsmöglichkeiten im Stromsystem. Mit
diesem ganzheitlichen Ansatz können
Erlösmöglichkeiten im Strommarkt z. B.
durch das Anbieten von Systemdienstleistungen oder durch Angebote am Dayahead oder Intraday-Markt genutzt werden
(Abb. 1). Ebenfalls können im Stromnetz
Kostenreduktionspotenziale, bspw. bei
den Netznutzungskosten, ausgeschöpft
und ggf. auch Netzausbauten vermieden
werden.
Dieser ganzheitliche Ansatz basiert auf einem mehrstufigen mathematischen Optimierungsmodell, das die Opportunitäten des
Energiemarktplatzes in einem integralen
Modell abbildet. Dabei werden sowohl mögliche Erträge für Regelenergie und andere
Systemdienstleistungen wie auch Erträge
aus Energiegeschäften im Day-ahead- und
Intraday-Handel abgebildet. Ebenso werden
zusätzliche Kosten für Ausgleichsenergie
und Netznutzungsgebühren einbezogen.
Das physikalische Verhalten der flexiblen
Energieanlagen (Produktion, Speicher, Last)
wird im Anlagemodell abgebildet.
Der gesamte Prozess des ganzheitlichen
Ansatzes beginnt bei der Prognoseerstellung, der optimalen Angebotsgestaltung für
mehrere Märkte bzw. Auktionen zu jeweils
unterschiedlichen Zeitpunkten, geht über in
die Betriebsoptimierung und endet mit der
Nachkalkulation.
Der Prozess wird in einem mehrstufigen, zeitlich gestaffelten Verfahren abgewickelt. Über
Szenarien-Bäume, Wahrscheinlichkeitsver-
teilungen und Konfidenzintervalle werden
die auftretenden Unsicherheiten berücksichtigt. Der Benutzer entscheidet über Risikoparameter, mit welcher Strategie er seinen Pool
bewirtschaftet. Dabei sind die Möglichkeiten
jeder Anlage als feste Rahmenbedingungen
im Modell hinterlegt. Es findet eine kontinuierliche Überwachung der Ist-Werte statt,
so dass die für den Pool optimalen Sollwerte
nur weitergeleitet werden, wenn diese auch
ausgeführt werden können und die Rahmenbedingungen eingehalten sind.
Projekt WarmUp – Intelligente
Vernetzung und Steuerung
Das WarmUp-Projekt gliedert sich in drei
Phasen. Nach der Potenzialanalyse (WarmUp1) konnte in der Proof-of-Concept-Phase
(WarmUp2) die Anwendbarkeit des ganzheitlichen Ansatzes in einem ersten Feldversuch nachgewiesen werden. Im Basisfall
(Jahr 2012) wurden mit einer optimalen
Bewirtschaftung eine Kostenreduktion sowie zusätzliche Erträge von insgesamt etwa
800 CHF pro Anlage gegenüber der heutigen Betriebsweise erzielt.
Bei der Anlage handelte es sich um ein
Mehrfamilienhaus mit 22 Wohneinheiten
und modernem Baustandard. Unter den
Rahmenbedingungen von WarmUp1 wurde
ein optimistisches Potenzial von 40 CHF/
kW/a ermittelt. Annahmen bei Regelenergiepoolbetreibern liegen bei 20 CHF/kW/a.
Abb. 1 WarmUp-Projekt
Quelle: ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich)
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
In der Realität des vorliegenden Falls konkurriert das Komfortbedürfnis der Gebäudenutzer mit dem Potenzial der verwertbaren Flexibilität. Als Arbeitshypothese sind
5 CHF/kW/a ein vorsichtiger Ausgangspunkt.
7
Zugang
In der Demonstrationsphase (WarmUp3)
erfolgt aktuell die Skalierung auf mehrere
Liegenschaften, um die Anwendbarkeit des
Konzepts in der Praxis zu demonstrieren.
WarmUp3 beinhaltet unter anderem den
Aufbau verschiedener Schnittstellen zwischen dem Leitsystem für die Wärmepumpenanlagen, dem Energiehandel und dem
Verteilnetz. Es ist geplant, fünf Anlagen aus
dem Portfolio der Contracting-Anlagen von
ewz einzubinden.
EnergyOn-Plattform –
IoT-Plattform für ein
nachhaltiges Energiesystem
Deshalb hat Misurio die Firma Cedros beigezogen, um parallel mit dem WarmUp-Projekt die EnergyOn-Plattform als eine hochskalierbare IT-Infrastruktur aufzubauen.
Dank hochleistungsfähiger IBM-Technologie
ist die EnergyOn-Plattform skalierbar und
massenmarkttauglich.
Mit dem Zeitreihenmanagement und dem
Solver für Optimierungsprobleme kann die
Plattform in kürzester Zeit große Datenmengen von vielen tausend Anlagen auswerten.
Im Zusammenhang mit WarmUp bietet die
EnergyOn-Plattform die Möglichkeit, mittels
Pooling von Produktionsanlagen, flexiblen
Lasten und Speichern sowie deren optimaler Bewirtschaftung Zusatzerträge und Kosteneinsparungen zu erzielen. Die EnergyOnPlattform kann auch für andere „Internet of
Things“-Geschäftsmodelle (Abb. 2) verwendet werden.
KARRIERE +
Abb. 2EnergyOn-Plattform
Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten – Beispiele
In einem aktuellen Kundenprojekt nutzt ein
Gebäude- und Energietechnik-Unternehmen
die Plattform für die Einführung von „Service on Demand und Preventive Maintenance“. Der Einsatz von „Smart Gateways“
ermöglicht diesem Unternehmen den digitalen Zugang zu Wärmepumpen von Neu- und
Bestandskunden.
Dadurch kann eine vorausschauende Wartung der Anlagen und eine Digitalisierung
der Serviceabläufe etabliert werden. Eingehende Störmeldungen aus den Anlagen
werden durch die Plattform analysiert und
erzeugen regelbasiert neue Serviceaufträge.
Diese Serviceaufträge können nun durch
Servicetechniker „remote“ oder bei mechanischen Fehlern vor Ort gelöst werden.
Zukünftig werden die Kunden dieses Unternehmens bereits vor einem möglichen Still-
ENERGIEWENDE
stand der Wärmepumpe oder im schlimmsten Fall einer kalten Wohnung durch die
pro-aktive Wartung geschützt.
Ein weiteres aktuelles Beispiel ist das Projekt eines Kunden aus der Energiebranche,
der die Optimierung des Eigenstromverbrauchs als neues „Produkt“ seinen Kunden
anbieten möchte. Ziel ist es, den Netzbezug
des Kunden zu minimieren, in dem der interne Stromverbrauch anhand von individuellen Kundenprofilen und daraus abgeleiteten Optimierungsmodellen gesteuert wird.
Die Stärken des ganzheitlichen Ansatzes
kommen in diesem Anwendungsfall voll
zum Tragen.
Dr. K. Werlen, CEO und Mit-Gründer, Misurio AG, Visp (Schweiz), A. Winter, Senior ITArchitekt, Cedros Gesellschaft für Datenverarbeitung mbH, Sankt Augustin
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Oktober 2016
Aus den bisherigen Untersuchungen lässt
sich darauf schließen, dass das WarmUpKonzept wirtschaftlich erfolgreich betrieben werden kann. Voraussetzung dafür ist
ein quantitativ ausreichender Pool.
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Folgen
Auswirkungen der Digitalisierung auf die Aufgabenverteilung von Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern
Carsten Saldenholz
Mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende wird ein neues Gesetz anstatt eines Verordnungspakets geschaffen, mit dem die Messwerterhebung und Messwertverteilung zwischen den Marktrollen Verteilnetzbetreiber (VNB), Bilanzkoordinator (Biko), Bilanzkreisverantwortlicher (BKV) und Lieferant neu geregelt wird. Eine Betrachtung des aktuellen
Stands des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, dass im Hinblick auf die Aufgabenverteilung bei der Bilanzierung von VNB und
Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) noch Klärungsbedarf besteht.
Die „Digitalisierung der Energiewende“
heißt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom November 2015, der derzeit im
Bundestag gelesen und noch in diesem
Jahr verabschiedet werden soll. Der Bundesrat hat bereits seine Stellungnahme am
18.12.2015 veröffentlicht. Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines Prozesses, der
seine Entwicklung in den vorherigen Jahren
noch als „Verordnungspaket intelligente
Netze“ begonnen hat und nun die Anforderungen aus der dritten Binnenmarktrichtlinie (Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/
EG) für den Roll-out von Smart Metern umsetzen soll. Erwartet und angekündigt war
das Gesetz über mehrere Jahre hinweg als
Verordnungspaket.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und
Energie (BMWi) hat sich aber vor allem aus
Gründen des Datenschutzes („grundrechtsrelevante Regelungsmaterie“) und „zur
Vermeidung einer weiteren Zersplitterung
des Energierechts“ entschieden, ein neues
Stammgesetz zu erlassen [1]. Dieses Vorgehen wird von vielen Interessensverbänden,
Behörden und Unternehmen begrüßt [2].
Bevor dieser Gesetzentwurf durch die Bundesregierung zur Lesung in den Arbeitsgruppen, Stellungnahme vom Bundesrat
und Verabschiedung durch den Bundestag
übergeben wurde, hat das BMWi einen Referentenentwurf mit den Verbänden und
Organisationen abgestimmt. Dieser Referentenentwurf wurde im September 2015
an die Verbände und Organisationen verteilt [3].
Zwischen dem Referentenentwurf aus September 2015 und dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung vom November 2015 bestehen Unterschiede mit erheblichen Aus10
Bevor das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende verabschiedet wird, müssen die Vor- und
Nachteile einer Aufgabenänderung zwischen VNB und ÜNB gründlich abgewogen werden
Foto: tiero|Fotolia.com
wirkungen auf die zukünftigen Prozesse
zur Bilanzierung. Folglich hat das BMWi die
Kritik aus den Verbänden teilweise in dem
neuen Gesetzentwurf berücksichtigt [4].
Wesentliche Inhalte
des Gesetzes
Der Gesetzentwurf schreibt nicht nur den
Zeitplan für den Roll-out von intelligenten
Messsystemen und modernen Messeinrichtungen vor oder definiert die Preisobergrenzen, mit denen die grundzuständigen
Messstellenbetreiber diesen Roll-out wirtschaftlich umsetzen sollen. Er erlässt das
sog. Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) und
ändert Artikel in zentralen Gesetzen und
Verordnungen der Energiewirtschaft, u. a.
im EnWG, EEG, kWK-G und in der Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) [1].
Handelt es sich bei den meisten Änderungen um Verweise auf das MsbG, so haben
die Änderungen auf die StromNZV gemeinsam mit diesem Gesetz Auswirkungen auf
die Prozesse zur Bilanzierung in der Energiewirtschaft. Mit dieser Änderung müssen
zukünftig mit intelligenten Messsystemen
ausgestattete Messstellen Zählerstandsgänge (ZSG) übermitteln.
Neue Vorgaben zur Datenerhebung und Datenverteilung
Das neue MsbG regelt die Vorgaben zur Datenerhebung und Datenverteilung neu. Bisher schreiben die Marktregeln [5] vor, dass
der Netzbetreiber respektive der Messstellenbetreiber Mess- und Zählwerte ausliest,
plausibilisiert und an die Marktteilnehmer
im Rahmen der gesetzlichen Fristen über-
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Folgen
mittelt (siehe auch Abb. 1) [6]. Der Netzbetreiber ist somit die „Datendrehscheibe“ für
Mess- und Zählwerte.
In § 50, Absatz 2 des MsbG werden die Zwecke für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung festgelegt. Messwerte sollen somit
■■ dem BKV die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Bilanzkreises sowie
■■ dem Netzbetreiber den ordnungsgemäßen, sicheren und effizienten Netzbetrieb
sowie die Bilanzierung und Bilanzkreisabrechnung
ermöglichen. Das ist soweit keine Neuerung
gegenüber dem Status quo.
Neuerungen für VNB
Neu ist jedoch die in § 60 geregelte Datenübermittlung, die vorschreibt, dass
alle Messwerte, die über ein intelligentes
Messsystem erhoben werden, sternpunktförmig an die berechtigten Stellen gemäß
§ 49 (2) verteilt werden müssen. Die Plausibilisierung und Ersatzwertbildung soll
zukünftig direkt im Smart Meter Gateway
erfolgen.
Durch die sternpunktförmige Verteilung der
Messwerte soll nun der ÜNB in seiner Rolle
als Biko täglich Zählerstandsgänge je Zählpunkt mit intelligentem Messsystem erhalten (siehe Abb. 2).
Abb. 1 Kommunikationswege Messwerte heute
Ablesewerten der Verbrauch der Kunden berechnen lässt.
Inwieweit für moderne Messeinrichtungen
auch zukünftig die „Turnschuhablesung“
[8] durch den MSB angewendet werden
wird oder dieser die Smart-Meter-GatewayInfrastruktur für die Ablesung nutzt, muss
er auf Basis seiner individuellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung entscheiden.
Für Überschusseinspeisungen gelten besondere Vorgaben. Unter Überschusseinspeisung ist eine Messkonfiguration zu
verstehen, in der der eigenerzeugte Strom
zunächst selbst verbraucht und nur Stromüberschüsse eingespeist bzw. der zusätzliche Bedarf aus dem Netz entnommen
wird. In diesem Fall schreibt der Absatz 4
des § 55 MsbG vor, dass ein einheitliches
Verfahren zur Messwerterhebung, z. B.
Zählerstandsgangmessung, anzuwenden
ist. Ist bspw. eine PV-Anlage über 7 kW installiert, der Verbrauch an der Messstelle
aber kleiner als 6.000 kWh pro Jahr, sind
trotzdem Erzeugungs- und Verbrauchswerte per Zählerstandsgang zu erheben. Folglich muss dann auch die den Verbrauch
messende moderne Messeinrichtung mit
dem vorhandenen Smart Meter Gateway zu
Darüber hinaus sind auch die Vorgaben
zur verschlüsselten elektronischen Kommunikation, damit eine vollständige elektronische Weiterverarbeitung möglich wird
(§ 52), und die Art der Messwerterhebung
(§ 55 MsbG) im Gesetz geregelt. Zukünftig
dürfen für Zählpunkte ab einem Verbrauch
von über 100.000 kWh die Messwerte per
Zählerstandsgangmessung (ZSG) oder registrierender Leistungsmessung (RLM) erhoben
werden. Für alle Messstellen, die mit einem
intelligenten Messsystem [7] ausgerüstet
sind, müssen dann die Messwerte per ZSG
erhoben werden.
Für Messstellen ohne intelligente Messsysteme sind die Messwerte gemäß Tarif aus
dem Stromliefervertrag zu erheben. Je Tarif
werden auch hier zukünftig Lastprofile verwendet, mit denen sich gemeinsam mit den
Abb. 2 Kommunikationswege Messwerte zukünftig
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
11
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einem intelligenten Messsystem erweitert
werden.
Unterschiede zwischen
Referenten- und Gesetzentwurf
Für alle eben genannten Fälle werden die
Daten monatlich formal durch den MSB
erhoben. Bei Messstellen mit intelligenten
Messsystemen werden die Daten automatisiert aus dem Smart Meter Gateway an den
jeweiligen Empfänger gesendet.
Der MSB muss die bezogene Monatsarbeit,
die aufgetretene Maximalleistung und jährlich die Jahresarbeitswerte an den VNB auch
für moderne Messeinrichtungen übermitteln.
Gemäß § 60, Absatz 2 MsbG können auf Verlangen des VNB die Messwerte auch täglich
übermittelt werden [9]. Dieser Absatz 2 im
§ 60 MsbG ist neu in den Gesetzentwurf aus
November 2015 übernommen worden. Im
Referentenentwurf aus September 2015 [3]
war es nicht vorgesehen, dass der VNB täglich Messwerte erhalten sollte. Welche Konsequenzen hätte das für die VNB bedeutet?
Konsequenzen für die VNB
Tägliche Messdaten benötigt der VNB für
die Zuordnung der Energiemengen zu den
Energielieferanten in seinem Netzgebiet. In
Abhängigkeit vom Bilanzierungsverfahren,
synthetischen Standardlastprofilverfahren
(SLP) oder analytischen Standardlastprofilverfahren (ALP) sind die Vortageswerte
zwingend erforderlich. Insbesondere beim
ALP wird anhand der Vortagesmesswerte
die Restlast im Netzgebiet berechnet und
gemäß unterschiedlicher Faktoren auf die
Lieferanten verteilt. Der Vorteil des ALP gegenüber dem SLP ist für den Netzbetreiber,
dass alle Risiken auf die Energielieferanten
übertragen werden und der Differenzbilanzkreis stets Null ist [10].
Würde also laut Referentenentwurf der VNB
täglich keine Messwerte erhalten, könnte
er kein analytisches Lastprofilverfahren anwenden. Darüber hinaus wären das Führen
und vor allem das aktive Bewirtschaften des
Differenzbilanzkreises durch den VNB nicht
mehr möglich, da er die Messwerte nur monatlich erhalten würde. Die BNetzA drängt
jedoch die VNB dazu [11], ihre Differenzbilanzkreise aktiv zu bewirtschaften.
12
Im Gesetzgebungsprozess scheint sich der
Gesetzgeber den Konsequenzen für die
VNB bewusst geworden zu sein. So wurde
im Gesetzentwurf der Bundesregierung die
Möglichkeit für den VNB ergänzt, Vortageswerte für einzelne Messstellen zu verlangen
(§ 60 (2)). Darüber hinaus erhält der VNB
gemäß § 67 MsbG vom Biko nun täglich die
Bilanzkreissummenzeitreihen [1], die sowohl für die Bilanzierung im SLP als auch
im ALP erforderlich sind. Die Differenzbilanzkreise können somit auch in Zukunft
aktiv durch die VNB bzw. ihre Dienstleister
bewirtschaftet werden, sofern ausreichende
Ressourcen und Systeme für die tägliche
Prognose der erforderlichen Energiemengen mit der gewünschten Präzision zur Verfügung stehen.
Für VNB, die weiterhin das SLP anwenden, gelten nun ab dem 1.4.2016 die neuen Regeln zur lieferstellenscharfen Mehr-/
Mindermengenabrechnung [12]. Für diese
benötigt der VNB je Zählpunkt die erforderlichen Messwerte, die allerdings entweder
im Rahmen der Turnusablesung oder des
Lieferantenwechsels durch den MSB bzw.
das Smart Meter Gateway erhoben werden.
Diese Daten müssen nicht täglich dem VNB
zur Verfügung gestellt werden. An dieser
Stelle entstehen durch das neue Gesetz keine Konsequenzen für die VNB.
Konsequenzen für die ÜNB
Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende werden nicht nur die Vorgaben für
den Einbau neuer Zähler und intelligenter
Messsysteme in Unternehmen und Haushalten festgelegt. Auch für die Kommunikation der Messwerte und Bilanzierungsdaten
ändert sich einiges. Der VNB ist zukünftig
nicht mehr die Datendrehscheibe, sondern
das Smart Meter Gateway. Der Biko erhält
dann täglich aus demSmart Meter Gateway
Messwerte, die er für die Bilanzierung zu
den erforderlichen Summenzeitreihen aggregieren muss. Der VNB erhebt die Daten
formal nicht mehr selbst [13].
Der Biko erhält damit direkt die Messwerte
aus den Smart Meter Gateways und könnte
damit unter Umständen auch Ausgleichsund Regelenergiekosten senken, da er für
seine Regelzone auf eine deutlich bessere
und vor allem einheitliche Datenbasis zu-
rückgreifen kann. Dieselben Messwerte
erhalten auch die Energiemarktteilnehmer
(Lieferanten, BKV oder Direktvermarkter)
gemäß ihrer auf die SMGW eingespielten
Tarifprofile.
Aktueller Stand des
Gesetzgebungsverfahrens
Für den Aufbau der erforderlichen Infrastrukturen sieht die Bundesregierung die zu
erwartenden Kosten als bislang nicht prognostizierbar an, da diese von der Anzahl der
installierten Messsysteme abhängen. Der
Bundesrat sieht darin ein erhebliches Risiko, die „Energiewende (…) durch unnötige
Systemumbrüche zurückzuwerfen“ [14] und
hält dagegen, dass diese Funktionen bereits
bei den VNB implementiert sind. Damit sind
auch die Kosten bereits in der Vergangenheit über die Netzentgelte abgeschrieben
worden. Außerdem sieht der Bundesrat die
Gefahr, dass die VNB durch die Verlagerung
der Datendrehscheibe zum ÜNB von der Digitalisierung ausgeschlossen und damit um
Zukunftschancen beraubt werden könnten.
Ferner steigt nach seiner Ansicht auch das
Risiko für das Gesamtsystem, wenn die Daten nur noch an vier Stellen und nicht mehr
an 880 Stellen konzentriert werden [15].
Die Bundesregierung hat zur Stellungnahme
des Bundesrates eine Gegenäußerung veröffentlicht [16]. Anders als der Bundesrat hält
die Bundesregierung keine wesentlichen
Änderungen in der Aufgabenverteilung der
Netzbetreiber für notwendig. Das Gesetz sei
aus dem Status quo abgeleitet. Auch heute
sind die ÜNB bereits für die Bilanzkoordination verantwortlich. Die Bundesregierung
argumentiert, dass im Sinne der Datensparsamkeit die erforderlichen Daten möglichst
direkt dem Berechtigten zur Verfügung gestellt und Datenaufbereitung Dritter vermieden werden sollten [17].
Außerdem müssen nach ihrer Ansicht bei
den ÜNB für den Ausgleich von Ungleichgewichten zwischen Einspeisung und Ausspeisung die erforderlichen Daten direkt vorliegen. Nur durch diese direkte und tägliche
Datenlieferung können die ÜNB effizient Informationen für die Ursachen von Systembilanzierungsungleichgewichten erhalten. Die
Bundesregierung sichert den VNB zu, auch
in Zukunft für die Versorgungssicherheit
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Folgen
und die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen.
Am 26. Februar dieses Jahres hat der Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf
in einer 38-minütigen Aussprache diskutiert
[18]. Die Vertreterin der Bundesregierung
sieht keine strukturpolitische Weichenstellung zugunsten bestimmter Netzbetreiber.
Vielmehr sei der Gesetzentwurf neutral zwischen großen und kleinen Verteilnetzbetreibern; Übertragungsnetzbetreiber wurden
darin mit keinem Wort erwähnt.
Vertreter aus den Fraktionen von CDU, SPD
und den Grünen regten in der Debatte an,
die Daten bei den VNB auswerten zu lassen,
da diese das größere Vertrauen der Menschen genießen als die ÜNB. Es wurde dementsprechend vorgeschlagen, das Gesetz vor
der zweiten und dritten Lesung im Bundestag durch die Bundesregierung anzupassen.
Erforderliche Abwägungen
Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende ist noch nicht verabschiedet. Die Vertreter aus Bundesrat und Bundestag fordern
die Bundesregierung auf, gründlich die Vorund Nachteile einer Aufgabenänderung abzuwägen und das Gesetz zugunsten der VNB
anzupassen. Da dem Gesetz nicht vom Bundesrat zugestimmt werden muss, liegt es nun
in der Hand der Bundesregierung, gemeinsam mit dem Bundestag die Zusammenarbeit
zwischen ÜNB und VNB zu regeln.
Cornelia Kawann (Hg.)
Mit dem aktuellen Gesetzentwurf würde
zwar die Bilanzierung auf die ÜNB übertragen werden, die VNB behielten aber weiterhin das Recht, täglich ihre Daten u. a. für die
Bewirtschaftung der Differenzbilanzkreise
zu erhalten.
Anmerkungen
systemen übermittelt, deren Jahresverbrauch zwischen
6.000 kWh und 10.000 kWh (Pflichteinbaufälle) oder
unterhalb dieser Mengen liegt, ist unklar.
[10] BDEW; BKK; EDNA; VKU: Wichtige Hinweise zur
Einführung und Umsetzung der Festlegung MaBiS,
25.2.2011, abrufbar unter: https://bdew.de/internet.
nsf/id/DE_Wichtige-Hinweise-zur-Einfuehrung-undUmsetzung-der-Festlegung-MaBiS/$file/2011-02-25_
Hinweise-zur-MaBiS.pdf
[1] Bundesregierung: Gesetz zur Digitalisierung der
[11] Bundesnetzagentur: Positionspapier zur Bilanz-
Energiewende – Gesetzentwurf, 11/2015.
kreisbewirtschaftung,
[2] BMWi: Stellungnahmen zum Gesetzentwurf zur
http://www.bundesnetzagentur.de/DE/Service-Funkti-
Digitalisierung der Energiewende, 13.10.2015, abruf-
onen/Beschlusskammern/1BK-Geschaeftszeichen-Da-
bar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/
tenbank/BK6-GZ/2013/2013_0001bis0999/2013_100
Netze-und-Netzausbau/Intelligente-Netze-und-intelli-
bis199/BK6-13-104/BK6-13-104Positionspapier.html
gente-Zaehler/Stellungnahmen-Gesetzentwurf-Digita-
[12] BDEW; VKU et al.: Anwendungshilfe zur Einfüh-
lisierung-Energiewende/stellungnahmen-gesetzent-
rung der Prozesse zur Ermittlung und Abrechnung von
wurf-digitalisierung-energiewende.html
Mehr-/Mindermengen Strom und Gas, 2014.
[3] BMWi: Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende
[13] In seiner Funktion als grundzuständiger MSB wird
– Referentenentwurf, 9/2015.
der VNB auch weiterhin Daten erheben.
[4] U. a. ist die informatorische Entflechtung nun nicht
[14] Deutscher Bundestag: Drucksache 18/7555, Vorab-
mehr Gegenstand des Gesetzes.
fassung, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf
[5] Bundesnetzagentur: Marktregeln zur Bilanzierung
eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende,
Strom (MaBiS), 2011.
17.2.2016, S. 199.
[6] Vortagesmesswerte sind durch den VNB u. a. für
[15] Deutscher Bundesrat: Drucksache 543/15 vom
Prognosen an die Bilanzkreisverantwortlichen bis
18.12.2015, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf
09:00 Uhr morgens bereitzustellen.
eines Gesetzes zur Digitalisierung, S. 25.
[7] Das gilt insbesondere auch für unterbrechbare Ver-
[16] Deutscher Bundestag (siehe Fn. [14]). S. 205 ff.
brauchseinrichtungen gemäß § 14 EnWG.
[17] Deutscher Bundestag (siehe Fn. [14]). S. 214.
[8] Turnschuhablesung meint die Ablesung durch
[18] Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/159,
Mitarbeiter des MSB bzw. seines Dienstleisters vor Ort
stenografischer Bericht, 159. Sitzung, 26.2.2016, S.
beim Anschlussnutzer.
15.731 ff.
16.9.2013,
abrufbar
unter:
[9] Laut Gesetzestext darf der VNB die Daten täglich
für alle Messstellen mit einem Jahresverbrauch größer
10.000 kWh verlangen. Inwieweit der MSB dann auch
täglich Daten für Messstellen mit intelligenten Mess-
C. Saldenholz, Projektleiter, CONSULECTRA
Unternehmensberatung GmbH, Hamburg
[email protected]
ENERGIE IM WANDEL –
Frauen gestalten die Schweizer Energiezukunft
Energie wird erzeugt, transportiert und gespeichert. Sie wird gehandelt, genutzt, verschwendet, verbraucht,
gespart und vernichtet. Wir kommunizieren und produzieren mit ihr. Energie ist ein politisches Thema.
Aber auch eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Aufgabe, die nach einem ganzheitlichen Umgang verlangt. Noch immer ist die Energiewirtschaft eine Männerdomäne.
Sie erfordert mit ihrer wachsenden Komplexität jedoch zunehmend die Diversität verschiedener Kompetenzen und Sichtweisen. Diese Diversität gewinnt
derzeit an Fahrt und belebt die Branche:
Immer mehr Frauen steigen neu in die Energiewirtschaft ein oder belegen dort
sogar Spitzenpositionen. Es ist Zeit, der Vielfalt und Ganzheitlichkeit zuliebe
einmal die Power-Frauen zu Wort kommen zu lassen:
Denn es gibt sie, sogar zahlreich.
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Energie im Wandel – eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Wir alle sind gefordert.
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13
Tel.: 0 20 54/95 32-10 • Fax: 0 20 54/95 32-60
Die Bestellung richten Sie bitte an Frau Holz:
[email protected]
Geschäftsmodelle
Stadtwerke auf dem Weg zum Lösungsanbieter –
Strategien und Barrieren
Heiner Lütjen und Carsten Schultz
Während viele Stadtwerke aufgrund abnehmender Profitabilität in allen Wertschöpfungsstufen große Herausforderungen
zu bewältigen haben und zum Teil sogar betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausschließen, scheint es anderen Stadtwerken im schwierigen Energiemarkt zu gelingen, Profitabilität und Umsatz zu steigern. Dies kann unter der Voraussetzung
gelingen, dass Unternehmen konsequent auf Innovation, stärkere Kundenorientierung und die Entwicklung neuer Dienstleistungen ausgerichtet werden. In einer Studie des Instituts für Innovationsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wurde die Entwicklung innovativer Dienstleistungen von Stadtwerken untersucht, Aktivitätsmuster identifiziert
und Handlungsmaßnahmen abgeleitet.
Innovationen eröffnen neue Möglichkeiten.
Die Stadtwerke Osnabrück z. B. konnten
trotz größerer Verluste im Kerngeschäft
durch Beteiligungen an einem Steinkohlekraftwerk den Umsatz von 408,6 Mio. € im
Jahr 2013 auf 435,2 Mio. € im Jahr 2014
steigern, indem zusätzliche Cross-Selling
Potenziale im Dienstleistungsbereich für Privatkunden erschlossen wurden. U. a. hat das
Unternehmen durch eine Carsharing Initiative als erster kommunaler Anbieter ein stationäres und ein „free-floating“-Leihsystem
eingeführt [1]. Die Stadtwerke Norderstedt
machen bspw. heute sogar mehr Umsatz mit
ihrer Telekommunikationstochter wilhelm.
tel als mit dem Stromvertrieb [2].
Trotz dieser positiven Beispiele gelingt es
bisher insgesamt nur wenigen Versorgern,
innovative Dienstleistungen zu entwickeln
und erfolgreich am Markt einzuführen. Die
Gründe für den mangelnden Erfolg in der
Entwicklung neuer Dienstleistungen liegen
in vielen Bereichen begründet: Z. B. in einem
mangelnden Verständnis für Innovationen
im Unternehmen, steigenden Regulationsanforderungen oder fehlenden Ressourcen.
Ebenso reduziert die noch immer geringe
Bereitschaft der Endkunden, den Energieversorger zu wechseln, den Druck, neue
Dienstleistungen zu entwickeln.
Laut des aktuellen Monitoringberichts der
Bundesnetzagentur und des Kartellamts hat
im vergangenen Jahr nur jeder zehnte Haushaltskunde seinen Gas-Lieferanten gewechselt [3]. Der Anteil stagniert seit Jahren und
wenn die Lieferantenwechsel im Rahmen eines Umzuges herausgerechnet werden, fällt
der Anteil der Kunden, die den Energieversorger gewechselt haben, sogar noch weiter.
14
Trotz einer vielversprechenden Ausgangslage nach der Öffnung der Märkte Ende der 1990er Jahre
ist die Innovationsaktivität von Stadtwerken hinter den Erwartungen zurückgeblieben
Foto: Sergey Nivens|Fotolia.com
Die zugrunde liegenden Innovationsbarrieren von Stadtwerken in der Dienstleistungsentwicklung wurden in einer Studie
des Instituts für Innovationsforschung an
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
untersucht. Der Fokus der untersuchten
Stadtwerke lag auf kleinen und mittleren
Energieversorgern mit bis zu 250 Mitarbeitern. Darüber hinaus wurden jedoch
auch drei Stadtwerke mit einer Größe von
500-1.000 Mitarbeitern analysiert. Die 28
befragten Personen im Unternehmen waren Geschäftsführer, Vertriebsleiter, Marketingleiter oder Innovationsmanager.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der
Großteil der Stadtwerke mit neuen Dienstleistungen für Privatkunden bisher wenig
Umsatz generiert. Als neue Dienstleistung
wurden Dienstleistungen klassifiziert, die
über das klassische Kerngeschäft Erzeugung, Verteilung und Vertrieb von Strom,
Gas und Wasser hinausgehen sowie in den
letzten zehn Jahren (weiter-)entwickelt wurden und zusätzlich aus der Unternehmensperspektive als neu bewertet wurden. Der
Großteil der Stadtwerke besitzt gegenwärtig
nur einen Dienstleistungsanteil von maximal 5 % am Gesamtumsatz (siehe Abb. 1).
Häufig fehlt bei Stadtwerken sogar die Kenntnis über konkrete Datenlagen hinsichtlich
des Dienstleistungsanteils im Unternehmen,
da Instrumente zur Bewertung von Dienstleistungen nicht genutzt werden. Die meisten
Stadtwerke geben an, dass viele Leistungen
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Geschäftsmodelle
momentan noch als produktbegleitende Zusatzleistungen angeboten werden (z. B. Energieberatung, Elektromobilität). Jedoch erwarten die Stadtwerke eine deutliche Steigerung
hinsichtlich des Umsatzanteils innerhalb der
nächsten zehn Jahre.
Aktivitätsmuster von
Stadtwerken bei der
Dienstleistungsentwicklung
Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass
Stadtwerke sich grundsätzlich durch drei
Aktivitätsmuster unterscheiden. Das erste
identifizierte Aktivitätsmuster von Stadtwerken beschreibt eine grundsätzlich sehr
geringe Bereitschaft und häufig sogar Trägheit, in neue Innovationen zu investieren
und neue Unternehmensstrukturen zu implementieren. Das klassische „Commodity“Geschäft wird weiterhin als das alleinige
Kerngeschäft der Stadtwerke gesehen. Der
Vertriebsleiter eines mittelständischen
Stadtwerkes kommentiert dazu:
„Ich wage es zu bezweifeln, grundsätzlich mit
Dienstleistungen unser Kerngeschäft auszugleichen. Ein wahrscheinlicheres Szenario
wäre: Energieversorger werden einfach personell schrumpfen müssen, weil die Absätze
schrumpfen (…).“
In der Konsequenz dominieren Effizienzsteigerungen und damit Prozessinnovationen die Innovationstätigkeit dieser Unternehmen.
Das zweite identifizierte Aktivitätsmuster
von Stadtwerken beschreibt einen sehr vorsichtigen Umgang mit der Dienstleistungsentwicklung und der Transition zu einer serviceorientierten Organisationsstruktur. Dazu
gehören u. a. die Bereitstellung erster finanzieller und personeller Ressourcen für die
Dienstleistungsentwicklung oder die Überlegung, separate Energiedienstleistungsbereiche im Unternehmen zu implementieren.
Der Großteil der Dienstleistungsentwicklung
wird jedoch noch durch externe Dienstleister
oder Kooperationen durchgeführt, um größere finanzielle und personelle Belastungen zu
vermeiden. Der Marketing-Leiter eines Stadtwerkes erläutert dazu:
„Insgesamt ist unsere Serviceentwicklung ein
Second-best Ansatz, nicht wirklich ein Innova-
Abb. 1 Dienstleistungsanteil am Gesamtumsatz
tionsansatz, aber für uns eine Übung. Bevor
wir jetzt drei Jahre mit systemischen Schwierigkeiten und Investitionsstau zu kämpfen
haben, machen wir es jetzt erstmal mit Whitelabel-Produkten.“
Das dritte identifizierte Aktivitätsmuster beschreibt sehr fortgeschrittene Handlungen
im Innovationsmanagement der befragten
Stadtwerke. Dabei ist die Innovationsstrategie häufig in die Unternehmensstrategie
eingebettet, die auch explorative, zum Teil
radikalere Innovationen verspricht. Das
klassische Commodity-Geschäft nimmt relativ zum Dienstleistungsgeschäft einen
zunehmend schwächeren Teil der Wertschöpfung ein, da Dienstleistungen als entscheidendes Kriterium für die zukünftige
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens
angesehen und sehr umfassend definiert
werden. Ein Geschäftsführer meint dazu:
„Service ist alles, was aus dem Thema Telekommunikation erwächst, alles was aus dem
Thema Haus, Wohnen und Leben erwächst.
Da meine ich auch wirklich alles. Alles, was
aus dem Thema Managementdienste für die
Mobilität erwächst und alles, was in Zukunft
mit Gestalten und Arbeiten Zuhause erwächst.
Alles, was mit dem zusammenhängt, was die
Lebenserhaltungskosten betrifft. Das ist unser
Geschäftsfeld.“
Innovationsbarrieren in der
Dienstleistungsentwicklung
Die Ergebnisse der empirischen Studie
zeigen, dass Innovationsbarrieren bei der
Entwicklung von Dienstleistungen in stra-
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tegiebezogene, implementierungsbezogene
und marktbezogene Kategorien unterteilt
werden können.
Strategiebezogene Barrieren: Die Fallstudien
zeigen, dass nur wenige Stadtwerke gegenwärtig eine klare und transparente Dienstleistungsstrategie formuliert haben. Einige
Stadtwerke zweifeln sogar den grundsätzlichen Bedarf an Dienstleistungen an, da das
klassische Produktportfolio und die hohe
Orientierung an Skaleneffekten durch neue
Dienstleistungen konterkariert werden können. Der Vertriebsleiter eines Stadtwerkes
kommentiert dazu:
„Grundsätzlich muss man auch sagen, wenn
ich dem Kunden die Dienstleistung „Energieeffizienz“ verkaufe, reduziert das mein Kerngeschäft, möglichst viel Energie zu verkaufen.“
Ferner zeigen die Ergebnisse, dass Herausforderungen bei der Wahl der richtigen
Dienstleistung, des richtigen Timings, aber
auch der Wertschöpfungstiefe der Dienstleistungsentwicklung entstehen. Ein Stadtwerke-vertriebsleiter meint dazu:
„(…) die Frage nach der richtigen Dienstleistungsstrategie ist ja die entscheidende (…),
welche Dienstleistungen sind relevant? Welche Leistungen können wir denn erbringen?“
Implementierungsbezogene Barrieren: Unternehmen, die grundsätzliche Innovationsstrategien in ihrem Unternehmen etabliert haben, sind im weiteren Verlauf der
Dienstleistungsimplementierung häufig
mit konkreten Umsetzungsbarrieren kon15
Geschäftsmodelle
frontiert. Eine der wichtigsten internen
Barrieren ist die kulturelle Transformation
hin zu einem Dienstleistungsanbieter. Mögliche Widerstände bei der Implementierung
von neuen Dienstleistungen betreffen häufig die Angst vor Überlastung, stärkerem
Leistungsdruck oder die Entwertung der
eigenen Qualifikation.
Ebenso fehlen Stadtwerken häufig die personellen und finanziellen Ressourcen, um
über das Tagesgeschäft hinaus Innovationen
zu entwickeln. Viele Stadtwerke sehen sich
zudem mit dem Problem konfrontiert, dass
vor allem für die Entwicklung komplexer
und professionell zu erbringender Dienstleistungen geeignete Vorgehensweisen,
Methoden und Instrumente für die ServiceEntwicklung fehlen. Ein Innovationsmanager kommentiert:
„Das ist natürlich sehr schwer, in einer sehr
konservativen, sehr auf Bewahren und Sicherheit bedachten Kultur gelernte Denkansätze
umzuformen. Solange die Messsysteme und
das Controlling allgemein nicht auf moderne
Methoden wie Prozessbetrachtung oder Life
Cycle Costing ausgelegt werden, sind Dienstleistungen einfach mit den normalen Systemen nicht zu erfassen.“
Marktbezogene Barrieren: Neben den fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen und
dem häufig zu strikten Regulierungsrahmen ist insbesondere auch eine mangelnde
Dienstleistungsakzeptanz bei den Letztverbrauchern zu erkennen. Ein Produktmanager erläutert:
„Wir machen alles sofort (…). Es gibt da keine
Hemmschuhe, was Ressourcen angeht oder
Ähnliches. Das Problem ist der Kunde.“
Ebenso werden die Suche nach geeigneten
Kooperationspartnern und die konkrete Umsetzung der Kooperation durch die steigende Wettbewerbsintensität zwischen Stadtwerken als problematisch angesehen.
„Kooperationen sind sehr schwierig. Kooperationen gehen nur solange gut, bis man an den
Punkt kommt, das einer Aufgaben abgeben
soll, die der andere dann erfüllt und Geld verdient. Daran scheitern dann Kooperationen,
weil letztlich alle verdienen wollen, aber keiner Aufgaben abgeben will.“
Handlungsmaßnahmen
anhand des Innovation
Excellence Model ableitbar
In einem dynamischen wirtschaftlichen
Umfeld wie der Energiewirtschaft ist die
Relevanz eines systematischen Innovationsmanagements unbestritten. Betriebliches
Innovationsmanagement zielt auf die Wertsteigerung eines Unternehmens und sorgt
für ein umfassendes Prozessverständnis der
einzelnen Phasen des Innovationsprozesses
und legt Informationen über darin enthaltene Methoden, Potenziale und Schwierigkeiten offen.
Eine gute Grundlage für die Etablierung des
Innovationsmanagements im Unternehmen
bildet das Innovation Excellence Model (siehe Abb. 2), welches die wesentlichen Bereiche des Innovationsmanagements, die Innovationsleistung, das Innovationssystem und
den Innovationsprozess integriert. Während
das Innovationssystem die kulturellen und
organisatorischen Rahmenbedingungen zur
Umsetzung von Innovationsstrategien adressiert, kann der Innovationsprozess in die
Phasen Initiierung, Entwicklung und Markteinführung gegliedert werden.
Initiierung und
Bewertung von Innovationen
Abb. 2 Innovation Excellence Model
16
Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass
häufig eine Vielzahl von Ideen für neue
Dienstleistungsangebote bei Stadtwerken
existiert. Damit einher geht jedoch auch die
Anforderung an eine transparente Bewer-
tung vieler unterschiedlicher Dienstleistungen. Innovationsstrategien erfordern daher
häufig eine Abwägung, sich einerseits auf
das operative Tagesgeschäft zu fokussieren
und andererseits die Weichen für strategische und explorative Innovationsprojekte
zu stellen.
In der Innovationsforschung wird hier von
Ambidextrie gesprochen, möglichst „beidhändig“ inkrementelle Verbesserungen und
hochgradige Innovationsprojekte im Ausgleich zu halten [4]. Dies gilt insbesondere
in der Energiewirtschaft, in der Stadtwerke
und Energieversorger sowohl ihr klassisches Commodity-Geschäft aufrecht erhalten müssen, auf der anderen Seite jedoch
neue Geschäftsmodelle flexible und agile
Unternehmensstrukturen erfordern, um
neue Dienstleistungen zu entwickeln. Dafür
bedarf es Innovationsstrategien, die konsequent auf widersprüchliche Aktivitätsmuster in der Energieversorgungsbranche
eingehen.
Die Ergebnisse aus den Fallstudien legen
offen, dass viele Bewertungskriterien größtenteils ökonomischer und kurzfristiger
Natur sind. Die Motive und Vorteile einer
steigenden Serviceentwicklung können jedoch ebenfalls durch strategische Motive begründet sein [5, 6]. So bietet Amazon durch
den Dienst „Amazon Prime“ ein Angebot
von zusätzlichen Diensten und Produkten
zum ursprünglichen Produkt an, mit dem
Ziel ein eigenes Ökosystem zu etablieren,
in dem sich die Kunden wohlfühlen. Ebenso
können Stadtwerke von den gesellschaftlich
Veränderungen der Wertvorstellungen von
Eigentum und Nutzung wie z. B. beim Carsharing, profitieren.
Vielfach werden innovative Ideen dabei
häufig nicht in der eigenen Branche generiert, sondern entstehen aus der Interaktion von unterschiedlichen Fachgebieten
[7]. Unternehmen aus Branchen wie Telekommunikation, Energiemanagement, IT,
Abrechnung oder Facility Management
spielen eine bedeutsame Rolle als Zulieferer und Wertschöpfungspartner in den
entstehenden Geschäftsmodellen der Energiewirtschaft.
Stadtwerke sind jedoch nicht nur Zulieferer
innerhalb von „outside-in“-Cross-Industry-
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Geschäftsmodelle
Innovationen, sondern bieten zusätzlich
zu Branchen wie dem Gesundheitswesen
Potenziale zur Multiplikation der eigenen
Kernkompetenzen und damit zur Refinanzierung der zu installierenden Infrastruktur. Derartige „inside-out“-Cross-IndustryInnovationen ermöglichen es, z. B. im Feld
des Ambient Assisted Living, auf zunehmend genau erhobene Verbrauchsdaten von
Strom, Wasser und Wärme zurückzugreifen
und damit die Effizienz und Effektivität von
Pflegedienstleistungen zu steigern.
Die Stadtwerke Quickborn machen erste
vorsichtige Schritte in diesem Feld und
haben ihr Angebot um ein Hausnotrufsystem erweitert. Zusammen mit der MEBO
Sicherheit GmbH und ihrer Stadtwerke
Tochter tel.quick bieten die Stadtwerke ein
Sicherheitssystem für ältere Menschen,
Singles und Familien mit Kindern an, um
im Notfall sofortige Hilfe gewährleisten zu
können [8]. Letztendlich führen diese Entwicklungen zu umfangreichen Konvergenzen von ehemals getrennten Märkten. Sie
bieten aber auch vielfältige Chancen, die
es ermöglichen, durch marktübergreifende
Lernprozesse Produkt- und Prozessinnovationen zu initiieren. Allerding zeigt eine
Studie der Technischen Universität Berlin,
dass das Potenzial derartiger Innovationen
bisher kaum von Energieversorgern genutzt wird [9].
Entwicklung und Markteinführung von Innovationen
Nach der Beschreibung der Anforderungen
an die Dienstleistung bedarf es der Erstellung einer Dienstleistungskonzeption. Diese
beinhaltet ein Produktmodell (Was wird gemacht?), eine Prozessdimension (Wie wird
eine Dienstleistung erbracht?), eine Potenzialdimension (Was muss bereitgestellt werden?) und eine Marktdimension (Wie wird
nicht am Markt vorbei entwickelt?). Um die
Prozesse zu modellieren, hat sich der ursprünglich aus den Ingenieurwissenschaften entwickelte Ansatz des Service Engineering für Dienstleistungen etabliert [10].
Dabei werden Methoden, Instrumente und
Werkzeuge aus der Produkt- und Softwareentwicklung (z. B. Service Blueprinting,
Fehlermöglichkeitseinflussanalysen) übertragen, um eine systematische Entwicklung
von Dienstleistungen zu gewährleisten und
Fehler zu vermeiden. Daher sollten auch mittelständische Stadtwerke überlegen, welche
Innovationsprozesse effizient selbst gestaltet
und welche ausgelagert werden können.
Am Beispiel Energieeffizienz zeigt sich,
dass viele Energieversorger und Stadtwerke schon heute im Geschäftsfeld Energieeffizienz aktiv sind. Dennoch ist es bislang
nicht gelungen, diesen großen Markt als
Geschäftsmodell der Zukunft für Stadtwerke und Energieversorger zu etablieren. Dabei wurde bereits für den EnergieeffizienzMarkt festgestellt, dass es keinen wirklichen
Mangel an technisch reifen Erfindungen
gibt, sondern die Herausforderung eher in
einer wirkungsvollen Umsetzung oder Kommerzialisierung der entwickelten Produkte
und Dienstleistungen liegt [11, 12]. Die geringen Dienstleistungsumsätze der untersuchten Stadtwerke spiegeln dies wider.
Stadtwerken mangelt es bei vielen Dienstleistungen an der Akzeptanz und somit an
zahlungswilligen Kunden. Vor dem eigentlichen Roll-Out empfiehlt es sich daher, umfangreiche Testmaßnahmen durchzuführen.
Dazu bedarf es neben unternehmensinternen Akzeptanztests auch externe Benutzertests, wie die neue Dienstleistung von den
Kunden angenommen wird und ob Anpassungsmaßnahmen vorgenommen werden
sollten.
Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass
diese Herausforderungen über die Akzeptanz der Endverbrauer hinausgehen. Häufig
finden sich Stadtwerke dabei in komplexen
Ökosystemen wieder, wie z. B. im Falle der
energetischen Quartierssanierung. Sanierungsmanagement, Stadtwerke, Kommune, Wohnungswirtschaft und Dienstleister
sind in diesem Fall Akteure mit unter-
Thomas Kästner & Henning Rentz (Hg.)
HANDBUCH ENERGIEWENDE
Deutschlands Energiewende gilt als Problemkind. Die
Zahl der Kritiker wächst. Management und Zielerreichung erhalten schlechte Noten. Industrie, Gewerbe und
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Wissenschaft und Zivilgesellschaft analysieren und bewerten in ihren Artikeln Deutschlands Energiewende.
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Die Bestellung richten Sie bitte an Frau Holz:
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Geschäftsmodelle
schiedlichen Interessen und Rollenkonstellationen, die nicht selten mit erheblichen
psychischen, sozialen, räumlichen und
sprachliche Distanzen verbunden sind und
branchenübergreifende Kooperationen und
Netzwerke be- oder sogar verhindern. Um
innovative Energiedienstleistungen erfolgreich im Markt zu implementieren, bedarf
es Verständnis über diese Business Ökosysteme und eine enge Verknüpfung des Innovations- mit dem Netzwerkmanagement.
Die Komfortzone schrumpft
Die Analyse der Dienstleistungsentwicklung
von Stadtwerken zeigt eine große Diskrepanz
von Strategien und Innovationsbarrieren bei
den untersuchten Unternehmen. Ausgehend
von einer vielversprechenden Ausgangslage
nach der Öffnung der Märkte Ende der 90er
Jahre ist die Innovationsaktivität von Stadtwerken hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Stadtwerken kam bisher zugute,
dass Wettbewerber aus anderen Branchen
aufgrund eigener Kundennähe, kommunaler
Anbindung und Regionalität noch zurückgehalten werden konnten. Stagnierende,
teilweise sogar fallende Wechselquoten, niedrige Beschaffungspreise für Gas und Strom
sowie eine geringe Akzeptanz vermeintlich
innovativer Services bilden gegenwärtig
noch gute Argumentationsketten für viele
Stadtwerke, die Priorität auf das aktuelle Tagesgeschäft und weniger auf die Entwicklung
neuer Dienstleistungen zu legen.
[4] O’Reilly III, C. A.; Tushman, M. L.: Ambidexterity
as a dynamic capability: Resolving the innovator’s dilemma. Research in Organizational Behavior, 2008, 28,
S. 185–206.
[5] Neely, A.: Exploring the financial consequences of
Eine aktuelle Studie des Instituts für den
öffentlichen Sektor zeigt jedoch, dass diese
Wohlfühlposition zunehmend ins Wanken
gerät und innovative Lösungen erforderlich
werden, um Verluste aus dem Kerngeschäft
zu kompensieren. In 23 von 93 Städten mit
mehr als 80.000 Einwohnern droht den dem
örtlichen Stadtwerk eine ähnliche Situation
wie in Gera, da neben einer angespannten
Haushaltslage der Stadtwerke auch die
Kommunen hoch verschuldet sind [12].
the servitization manufacturing. Operations Management Research, 2008, 1 (2), S. 103–118.
[6] Oliva, R.; Kallenberg, R.: Managing the transition
from products to services. International Journal of Service Industry Management, 2003, 14 (2), S. 160-172.
[7] Stadtwerke Quickborn: Neues tel.quick-Produkt
Hausnotruf. Abrufbar unter: http://www.telquick.de/
[8] Engelke, M.; Graebig, R.: Der Status Quo innovativer
Geschäftsmodelle bei Energieversorgern.In „et“ 63. Jg.
(2013) Heft 11, S. 71-73.
[9] Leimeister, J. M.: Dienstleistungsengineering und
-management. Heidelberg 2012.
Anmerkungen
[10] Agora Energiewende: Energieeffizienz als Geschaeftsmodell. Berlin 2014.
[1] Stadtwerke Osnabrück: stadtteilauto Osnabrück.
[11] Dena: Steigerung der Energieeffizienz mit Hilfe von
Abrufbar unter: https://www.stadtwerke-osnabrueck.
Energieeffizienz-Verpflichtungssystemen, Berlin 2013.
de/privatkunden/mobilitaet/carsharing-osnabrueck/
[12] Holler, F.; Schuster, F.; Hamdan, J.: Der „Konzern
stadtteilauto.html
Kommune“ in der Krise? Berlin 2016.
[2] Hamburger Abendblatt: Wilhelm.tel – der „Sohn der
Stadtwerke“ wird zehn. Abrufbar unter: http://www.
abendblatt.de/region/norderstedt/article107559792/
Wilhelm-tel-der-Sohn-der-Stadtwerke-wird-zehn.html,
zuletzt geprüft am 29.2.2016.
[3] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post, Eisenbahnen und Bundeskartellamt:
Monitoringbericht 2015, Bonn.
H. Lütjen, (MSC), wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand, Prof. Dr. C. Schultz,
Institut für Innovationsforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
[email protected]
[email protected]
Innovationsmanagement-Benchmarking „innovate! new“
Um die in diesen Beitrag skizzierte Innovationskraft zu erlangen, bedarf es sowohl für die Organisation, aber auch für die
Mitarbeiter Zeit. Gerade in einer stark historisch geprägten Unternehmenskultur, die auf Daseinsfürsorge ausgerichtet ist, ist
diese Zeit wesentlich, um notwendige Strukturen und Innovationsprozesse aufzubauen, Diskussionsprozesse anzuregen sowie
die Mitarbeiter in den Unternehmen für die anstehenden Veränderungen zu sensibilisieren. Viele mittelständische Stadtwerke
und Energieversorger stehen dabei erst am Anfang in der Entwicklung eines systematischen Innovationsprozesses. Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Innovationsforschung an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel gemeinsam mit der
Danish Technical University (DTU), der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt sowie der gemeinnützigen Plattform für Innovationsmanagement ein europaweites Projekt initiiert, das Stadtwerke und deren Mitarbeiter für Themen des Innovationsmanagements sensibilisiert. Auf der Basis einer systematischen Bewertung der eigenen Innovationsfähigkeit werden Handlungsmaßnahmen für anwendungsorientierte Innovationsprozesse in Stadtwerken abgeleitet. Stadtwerken wird in dem europaweiten
Benchmarking innovate! new die Möglichkeit gegeben, sich zum einen mit anderen Stadtwerken in ihrer Innovationsleistung
zu messen, zum anderen aber auch die Chance eröffnet, durch den Vergleich mit den innovationsstärksten Unternehmen aus
anderen Branchen zu „lernen“ und Innovationsprozesse zu adaptieren. Die Themen reichen dabei von der Förderung einer Innovationskultur, der Implementierung von Innovationsstrategien bis hin zu Erfolgsfaktoren von Kooperationen, Netzwerken,
Dienstleistungen und Big-Data. Insbesondere auch kleinere Energieversorgungsunternehmen mit Interesse an der Steigerung
der Innovationsleistung können bis zum 30.4.2016 teilnehmen.
Weitere Informationen: https://www.techman.uni-kiel.de/de/innovate
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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
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Geschäftsmodelle
Vom Versorger zum Dienstleister – Digitale Geschäftsmodelle brauchen smarte Prozesse
Marie-Luise Wolff-Hertwig
Die Energiebranche steht vor vielen Herausforderungen, die die Unternehmen in eine eher defensive Rolle drängen:
regulatorische Veränderungen, Anreizregulierung oder Kostenmanagement. Sie müssen sich zudem dem neuen Trend
der Digitalisierung stellen, der ihnen viele aktive Kompetenzen abverlangt. Konkret geht es um die Frage, wie sie neue,
smarte Geschäftsmodelle für die entstehende Marktstruktur entwickeln können. Man kann festhalten, dass noch niemand den sprichwörtlichen „Goldesel“ entdeckt hat. Im Gegenteil, niemand weiß wirklich, wo die Erlösquellen liegen,
wenn es überhaupt welche gibt, die den Unternehmen der Energiebranche bei der Marktentwicklung helfen können.
Und niemand weiß, mit welchen Wettbewerbern es die Energiebranche in ein paar Jahren zu tun haben wird. Umso
wichtiger ist es deshalb, frühzeitig die Kompetenzen zu entwickeln, die notwendig sind, um im sich wandelnden Markt
zu bestehen.
Klar ist, dass wir uns in den neuen Geschäftsfeldern zu einem viel, viel schnelleren Takt bewegen müssen als bisher. Die
Energiebranche ist in ihren Investitionen
Planungszeiträume von mehreren Jahrzehnten gewohnt. Jetzt wird sie Teil der
digitalen Welt – und da spielt die Musik
viel schneller. Nur ein Beispiel: Facebook
macht die Regel-Releases seiner Apps im
Rhythmus von zwei Wochen! Dass der Megatrend Digitalisierung die Energieunternehmen in einem Moment trifft, in dem
viele durch die Folgen einer nicht optimal
organisierten Energiewende ohnehin finanziell unter Druck stehen, trägt zur Entspannung nicht gerade bei. Daraus ergibt
sich die zentrale Frage: Wie wollen wir mit
dieser Ausgangssituation nun umgehen?
Oder anders: wie wollen wir SMART damit
umgehen?
Ich interpretiere „Smartness“ als „Chancenintelligenz“. Als Intelligenz, Chancen zu sehen und zu nutzen. Und als Kompetenz, auf
Trends schnell und angemessen reagieren
zu können. Smartness entwickelt man meiner Meinung nach nicht im puren Nachdenken über Chancen oder gar über Probleme
— sondern indem man etwas macht. Oder
genauer gesagt: im gleichzeitigen Machen,
Hinschauen, Analysieren, Dazulernen und
dann besser Machen.
Man kann in fünf Thesen fassen, was wir
bei ENTEGA in der genannten Situation als
„smartes Vorgehen“ verstehen: Es gibt hier
keine Gewichtung in der Reihenfolge: Alle
Kompetenzen müssen schrittweise, aber
gleichzeitig aufgebaut werden.
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Wir sind dabei, eine ganz
neue Qualität von Kundenverständnis zu entwickeln
Bei den Beziehungen zu den Kunden wissen
wir eines sicher: Wenn wir die Kunden nicht
für unsere Angebote interessieren können,
dann werden wir garantiert nicht erfolgreich
sein. Ich finde die Aussage völlig unzeitgemäß,
dass sich unsere Kunden von Abnehmern zu
mündigen Kunden entwickeln würden. Der
Markt ist hier schon viele Schritte weiter.
Gerade durch die Digitalisierung hat der König Kunde viele Wege des Regierens dazu
bekommen. Manche Kunden informieren
sich ausführlich, z. B. in Foren, und wollen
mit ihren Dienstleistern „auf Augenhöhe“
kommunizieren und diskutieren. Das ist sehr
anstrengend für Unternehmen, aber wenn
sie nicht darauf eingehen, haben sie verloren. Einige von diesen „Augenhöhe-Kunden“
werden mit der Zeit nämlich zu wichtigen
Beeinflussern für die nachfolgenden Kunden.
Heutzutage haben Unternehmen nur noch
einen Moment, um die Aufmerksamkeit der
Kunden auf sich zu ziehen. Genau dieser
Moment entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Der Verbraucher tickt in der Regel
ganz einfach: Er sucht relevante Informationen, trifft eine Kaufentscheidung und wendet sich dann anderen Dingen zu. Alles was
zu lange dauert, hat keine Chance, langfristig erfolgreich zu sein.
Für uns als Anbieter digitaler Dienste heißt
das: Wir müssen unsere Kunden sehr viel
besser verstehen, als wir das momentan
noch tun und wir müssen sie kontinuierlich
in die Entwicklung von neuen Produkten
einbeziehen. Denn eine App, die dem Kunden keinen Nutzen bringt oder zu kompliziert ist, wird wieder gelöscht.
Diese Qualität von Kunden-Verständnis bekommen wir nicht mehr über klassische
Marktforschung oder Kunden-Beiräte.
Wir müssen versuchen, die Welt ganz aus
den Augen des Kunden zu sehen: Was ist
genau das Bedürfnis, das ein Kunde hat?
In welcher Situation beschäftigt er sich mit
unserem Produkt: samstagnachmittags entspannt auf dem Sofa oder montagsmorgens
gehetzt in der Straßenbahn? Wie viel Zeit
nimmt er sich? Wofür interessiert er sich?
Wo informiert er sich? Und falls er sich gegen unser Angebot entscheidet: Warum genau hat er diese Entscheidung getroffen?
Wir müssen Big DataKompetenzen entwickeln
Wir müssen relevante Dienste für Kunden
entwickeln. Aber wie finden wir heraus, welchen Kunden wir wann womit unterstützen
können? Eine Quelle, Kunden besser zu verstehen, ist natürlich die Kommunikation über
Web-Dienste. Hier gibt es inzwischen viele
Möglichkeiten, Kundeninteressen besser zu
verstehen, Profile aufzubauen und zu pflegen.
Aber Computer und Smartphones bleiben
nicht die einzigen Informationsquellen. Durch
Innovationen im Bereich „Connected Home“
werden viele andere internetfähige Devices
dazukommen, die Daten liefern und aus denen sich Dienste ableiten lassen könnten.
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Geschäftsmodelle
Ein ganz einfaches Szenario: die Steuerung einer Klimaanlage kann im ersten
Schritt durch Wetterdaten wie Temperatur
und Lichteinstrahlung optimiert werden.
Vielleicht nimmt man sogar eine Prognose hinzu, um Wetterschwankungen in der
Steuerung vorauszunehmen. Als nächstes
können Anwesenheitsdaten hinzukommen.
Ist jemand zuhause? Wer? Der Mann? Die
Frau? Die Kinder? Und welche Temperatur
ist die jeweils gewünschte? Oder ist jemand
gerade auf dem Weg nach Hause? Vielleicht
hat dieser Kunde auch eine PV-Anlage und
möchte mit dem selbst produzierten Strom
kühlen? Das bringt Erzeugungsdaten ins
Spiel. Vielleicht auch Netzdaten, denn wir
wollen ja unser Verteilnetz optimal fahren.
Das „Internet of Things“ wird unzählige
Datenquellen bereitstellen. Und die Energieunternehmen müssen nach und nach he-
rausfinden, welche davon Relevanz für die
Entwicklung von Produkten haben werden.
Sie müssen verstehen, welche Daten sie haben und sie müssen Strategien entwickeln,
welche Daten sie noch haben wollen und wie
sie diese erheben können.
Wir bauen agile Fähigkeiten auf!
Wir müssen die neuen Dienstleistungen in
schnelle Entwicklungszyklen bringen und
Kunden in den Entwicklungsprozess einbeziehen. „Build it and they will come“: Dieser
Satz stimmte für die Produktentwicklung der
80er und 90er Jahre, jetzt aber nicht mehr.
Wir bei ENTEGA haben festgestellt, dass wir
neue, digitale Produkte nicht in der Prozesslandschaft der etablierten Produkte und Tarife entwickeln können. Bei den neuen Produkten für die digitale Welt geht es darum,
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ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016
Dazuzulernen und darum, etwas schnell
anzupassen. Werden Kunden so etwas überhaupt von uns kaufen? Wo und wie müssen
wir sie dafür ansprechen? Was müssen wir
dazulernen, um diese Produkte anbieten zu
können? Wie testen wir etwas am Markt –
ohne teure (und langwierige) Anpassungen
am SAP-System machen zu müssen? Wie
können wir diesen Prozess überhaupt kosteneffizient aufstellen?
Anfang letzten Jahres haben wir deshalb
entschieden, dass bei ENTEGA Neuprodukte
organisatorisch ganz anders behandelt werden. Intern nennen wir diese Prozesslandschaft „Fahrradspur“ — wir sehen Teams,
die an Neuprodukten arbeiten, sozusagen
wie Fahrradkuriere: Sie müssen ordentlich
strampeln, damit sie rechtzeitig abliefern.
Aber wenn mal irgendwo Stau ist, dann dürfen sie auch rechts vorbeiziehen.
26.07.2016 21:13:51
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Geschäftsmodelle
Wir müssen eine
„konstruktive Koexistenz“
von Alt und Neu etablieren
Wir sehen in der Energiewende zur Genüge,
dass Alt und Neu in sinnvolle Harmonie gebracht werden müssen. Und wie wichtig es
ist, die Interessen zu balancieren, um eine
gesamtwirtschaftlich sinnvolle Linie zu
finden und zu halten. Wie stellen wir etablierte und neue Strukturen nebeneinander?
Wie setzen wir Ressourcen unternehmerisch sinnvoll ein, und wie managen wir
die unvermeidlichen Prioritäten- und auch
Anerkennungskonflikte? Das Neugeschäft
braucht sicherlich Freiräume, um sich entwickeln zu können. Manchmal braucht es
sogar einen „Einspeisevorrang“- nämlich
für die Möglichkeit, Ideen umzusetzen,
selbst wenn sie noch kein Volumen tragen
können.
Auch muss nicht das Rad jedes Mal neu
erfunden werden. Wir brauchen zwar viel
mehr Flexibilität bei den Abrechnungsoptionen für die Neuprodukte, aber wir brauchen
sicher keinen zweiten Inkasso-Prozess!
Und wenn wir weiter denken: Das Ganze ist
auch ein Thema der Unternehmenskultur –
und natürlich damit auch der Fehlerkultur.
Mit anderen Worten: Wie statten wir Mitarbeiter mit „Digital Skills“ aus? Wie sorgen
wir dafür, dass immer mehr Entscheidungsräume entstehen — und dass diese Räume
möglichst agil genutzt werden? Wir müssen nach und nach die Kompetenzen aller
unserer Mitarbeiter entwickeln und unsere
Kultur in Richtung Flexibilität und Selbstverantwortung verändern. Wir wollen weg
von den Top-Down-Entscheidungsstrukturen und hin zu „Empowerment“, zu aktiver
Innovation und Eigenverantwortung auf allen Ebenen des Konzerns. Wir sind der Meinung, dass wir in der digitalen Zukunft nur
erfolgreich sein werden, wenn die notwendigen Veränderungen auf allen Ebenen gelebt
und mitgetragen werden.
Wir müssen uns auf
Disruption vorbereiten und
selbst „innovativ zerstören“!
Wir haben vor fünf Jahren angefangen, unsere Kunden intensiv zum Thema Energieeffizienz und Energiesparen zu beraten. Das
ist ein Geschäft, das sich gut entwickelt hat,
denn viele Kunden haben das Angebot interessiert angenommen, da sie alles, was sie
brauchen, aus einer Hand bekommen.
Trotzdem wird immer noch die Frage gestellt:
Kann man euch als Energieversorger eigentlich trauen, wenn ihr Energieeffizienz anbietet? Geht das nicht gegen euer eigentliches
Geschäftsinteresse, den Kunden möglichst
viel Energie zu verkaufen? So denkt ENTEGA
nicht! Erstens stehen viele unserer Geschäftskunden im internationalen Wettbewerb, der
bei deutlich niedrigeren Energiepreisen pro-
duzieren kann. Wenn wir morgen also noch
Kunden haben wollen, dann brauchen wir
erfolgreiche Kunden. Zweitens ist aber doch
klar – und da komme ich auf den Punkt der innovativen Zerstörung –, wenn wir unsere Kunden bei diesen Denkprozessen nicht begleiten,
dann werden es andere tun. Dann machen das
Energieberater, und wir haben die Schnittstelle zu unseren Kunden verloren.
Digitalisierung treibt auch die Vernetzung, die
„Sharing Economy“, und das treibt neue Geschäftsmodelle ohne Infrastruktur. Airbnb ist
heute der weltweit größte Anbieter von Übernachtungen, ohne ein einziges Bett zu besitzen. Facebook ist heute der größte Anbieter
von „Content“, ohne einen einzigen Reporter
zu beschäftigen. Wann kommt also der weltweit größte Anbieter von Energie, der keine
einzige Erzeugungsanlage besitzt?
Das Fazit lautet: „Smartness“ ist für uns immer wieder die Frage, wie wir mit Chancen
umgehen. Ob wir nun Kundennähe aufbauen, Datenstrukturen entwickeln, die Organisation agil aufstellen oder gute Kooperationen gestalten: „Smartness“, das ist der Weg,
„Chancenintelligenz“ in die Organisation
zu bringen. Das ist auch ein Lernprozess,
in dem der Aufbau von Kompetenzen eine
wichtige „Währung“ ist.
Dr. M.-L. Wolff-Hertwig, Vorsitzende des Vorstandes, ENTEGA AG, Darmstadt
[email protected]
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Herausgeber
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