ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAG E S F R AG E N Zeitschrift für Energiewirtschaft · Recht · Technik und Umwelt Sommer-Special · 2016 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAG E S F R AG E N ZUGANG FOLGEN GESCHÄFTSMODELLE DIGITALISIERUNG: WARUM WAS UND WIE? INTERNET OF THINGS AUSWIRKUNGEN AUF DIE AUFGABENVERTEILUNG VON NETZBETREIBERN STRATEGIEN UND BARRIEREN; SMARTE PROZESSE > > D I G I TA L I S I E R U N G : A U F D E M W E G I N D I E N E U E E N E R G I E W E LT SommerSpecial 2016 steuern, melden, kommunizieren prüfen Das perfekte Team für eine moderne Schaltanlage IEC 61850 – der Kommunikationsstandard Unser Produktprogramm für IEC 61850 sorgt für ein optimales Kommunikationsnetzwerk und ermöglicht so ein effizientes Melden und Steuern der Schaltanlage. phoenixcontact.de/iec61850 FAME – die sichere Prüfung von Schutzgeräten FAME optimiert die Überprüfung von Schutzgeräten in Mittel- und Hochspannungsschaltanlagen durch die Zwangsschaltfolge beim Stecken des Prüfsteckers. phoenixcontact.de/fame Mehr Informationen unter Telefon (0 52 35) 3-1 20 00 PXD28-15.000.L1 © PHOENIX CONTACT 2016 Editorial VON DER INNOVATION ZUM GESCHÄFTSMODELL Liebe Leserin, lieber Leser, die Digitalisierung, das neue Zauberwort, scheint sich wie Wasser in alle Ritzen unseres Lebens zu drängen. Im Wirtschaftsbereich werden darauf basierende neue Konzepte unter gängigen Stichworten wie Industrie 4.0 diskutiert. In der Energiewirtschaft zeigt allein schon der Begriff des Ende Juni verabschiedeten Digitalisierungsgesetzes, wie hoch ihre Bedeutung dort ist. Ohne diese Basistechnologie ist eine Transformation der Stromwirtschaft hin zu kleineren, millionenfach fluktuierend einspeisenden Erzeugungsquellen nicht vorstellbar. Denn nur über digitale Vernetzung und Steuerung von Angebot und Nachfrage sowie Speichern kann das funktionieren; das gilt für die Sektorenkopplung ebenso. Klar ist, dass man bei den vielen neu generierten und vernetzten Daten auch die andere Seite der Medaille betrachten muss, nämlich Datenschutz und Datensicherheit. Diese kleine Zusammenstellung von in der „et“ im ersten Halbjahr 2016 erschienenen Artikeln holt zu Beginn weit aus, wenn gefragt wird: „Digitalisierung: Warum, wie und was?“. Wie sich zeigt, ist dieser breite Zugang wichtig für das Verständnis der im Anschluss erläuterten Auswirkungen auf verschiedene Anwendungsbereiche sowie die Strategieentwicklung im EVU. Aus Innovationsfeldern tragfähige Geschäftsmodelle zu entwickeln, wird die Branche noch lange intensiv beschäftigen. Foto: Marc Darchingen Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Franz Lamprecht Chefredakteur „et“ Inhaltsverzeichnis Editorial Franz Lamprecht Von der Innovation zum Geschäftsmodell 1 Christian Timm und Gunnar Gipp Digitalisierung – Warum, wie und was? 2 Karl Werlen und Andreas Winter Internet of Things – Plattform für ein nachhaltiges Energiesystem 7 ZUGANG Folgen Carsten Saldenholz Auswirkungen der Digitalisierung auf die Aufgabenverteilung von Übertragungs- und Verteilungsnetzbetreibern 10 Geschäftsmodelle Heiner Lütjen und Carsten Schultz Stadtwerke auf dem Weg zum Lösungsanbieter – Strategien und Barrieren 14 Marie-Luise Wolff-Hertwig Vom Versorger zum Dienstleister – Digitale Geschäftsmodelle brauchen smarte Prozesse 20 Impressum 22 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 1 Zugang Digitalisierung – Warum, wie und was? Christian Timm und Gunnar Gipp Der Versuch einer erschöpfenden und allgemeingültigen Definition zur Digitalisierung ist schwierig – warum ist das eigentlich so? Jedes Unternehmen, das den Weg in eine digitale Transformation einschlägt, definiert den Begriff und dessen Bedeutung für sich individuell. Doch wenn es nicht mehr reicht, Energie zu verkaufen und die Bereitstellung zu sichern, muss man sich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. Im Vordergrund stehen dabei moderne digitale Funktionen und Angebote an die Kunden, neuartige Geschäftsmodelle in Form von Leistungen und Services als auch interne Effizienzsteigerungen. Eine steigende technische und datenbasierte Komplexität in der Abbildung der unterschiedlichen Anforderungen der Leistungsnutzer ist ein grundlegendes Merkmal der Digitalisierung. Das Zusammenwachsen von Leistungserbringer und Leistungsnehmer und eine klare Fokussierung auf Kunden, User, Stakeholder und deren Bedürfnisse wird zum erfolgsentscheidenden Kriterium. Von anderen Branchen lernen Andere Branchen sind hier schon sehr aktiv. Im Wesentlichen ist hier die Interaktion mit dem Kunden zu nennen, die in anderen Branchen durch höheren Wettbewerb gekennzeichnet ist. In immer kürzeren Zyklen kann man Produkt- und Geschäftsmodellanpassungen in anderen Branchen erleben. Der interne Effizienzdruck bleibt dem Kunden üblicherweise verborgen, dennoch ist klar, dass auch im Themenfeld der internen digitalen Optimierung niemand auf der Stelle steht. Wichtige und unerlässliche Stichworte zur Beschreibung dieser Schnel- ligkeit und Anpassungsfähigkeit sind: Innovationsfähigkeit, Agilität und eine stetige Begleitung durch das Change Management (siehe Abb. 1). Im Rahmen von Innovationsprozessen werden kundenorientierte Lösungen entwickelt, erprobt, angepasst und in den Markt gegeben. Da gerade bei kundenwirksamen Weiterentwicklungen im Bereich des Produktportfolios und des Kundenservices häufig „Time-to-Market“ entscheidend ist, ist hier ein ergebnisorientiertes, qualitativ hochwertiges und schnelles Agieren notwendig. Dies erreicht man mit agilen Management- und Umsetzungsmethoden, die den Nutzen permanent hinterfragen und eine stetige Priorisierung und eine nachhaltige Fokussierung fördern. Um diese Komponenten in die Digitalisierung zu übersetzen und diese umsetzen zu können, bedarf es einer Transformation. Diese Transformation sollte so umfassend wie möglich gestaltet werden. Eine Grund- lage dafür ist das formulierte Ziel, die Digitalisierung als einen wichtigen Baustein der Zukunftssicherung auszubauen. Die digitale Transformation als Grundlage Wenn sich die Lebenswelten und Bedürfnisse der Kunden ändern, ist es unabdingbar, dass sich ein zukunftsfähiges Unternehmen mit seinen Wertschöpfungsstufen daran anpasst. Hierzu muss man sich auf drei maßgebliche Punkte konzentrieren, um eine hohe Digitalisierungsreife zu erlangen. Phase 1: Transparenz und Verständnis erzeugen In der ersten Phase der digitalen Transformation ist es wichtig, eine Transparenz und ein gemeinsames Verständnis über das vermutlich neue Vorgehen und dessen Ziele zu erwirken. Die Frage, die beantwortet sein sollte ist: Warum machen wir das eigentlich? So ist es notwendig, dass sich alle Beteiligten auf eine Definition und damit ein gemeinsames Verständnis einigen. Dazu sollte ein gemeinsamer Überblick über die Möglichkeiten und auch Herausforderungen, die durch die Digitalisierung entstehen, erwirkt werden. Wichtig ist es, klar zu formulieren, aus welchen Gründen eine Notwendigkeit zur Transformation erkannt wurde. Abb. 1 Digitalisierung als Grundlage für Marktveränderungen und Chancen 2 Quelle: eigene Darstellung Jedes Unternehmen hat bereits ein Portfolio von internen und externen digitalen Angeboten, Prozessen, Optimierungsprojekten und Tools. Es gilt hier eine Standortbestimmung vorzunehmen und diese mit dem Ziel und der Strategie abzugleichen. Dadurch wird transparent, in welche Richtung man sich bewegen muss. Die zu erwartenden Hindernisse und Auswirkungen auf das Un- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Unsere Erdgasbelieferung bietet Ihnen bei jeder Drehzahl optimalen Antrieb. Seit über 50 Jahren sind wir auf die Belieferung von Industrieunternehmen spezialisiert. Deshalb bieten wir Erdgaslieferungen mit hoher Flexibilität. Unsere Kunden schätzen das, denn so bleibt ihr Energiebezug auch bei Produktionsschwankungen preisgünstig. Mehr über unsere flexiblen Lieferprodukte unter: Telefon +49 I 69 I 3003 - 222 www.gas-union.de Mit Sicherheit mehr Energie. Zugang ternehmen z. B. in der Organisation, sollten immer Bestandteil der Diskussionen sein. wortenden Kernfragen sind: Was machen wir und wie machen wir das? Am Ende sollten eine Transparenz und ein Verständnis darüber sichergestellt sein, in welche grundlegende Richtung das Unternehmen auf dem Weg zu einer digital transformierten Organisation gehen will. Ein Ausgangspunkt kann dazu die Erhebung von Kundenbedürfnissen, die Formulierung von Anforderungen aus dem eigenen Unternehmen und eine umfassende Marktanalyse sein. Konkrete Ideen und auch abwegige Spinnereien sollten in dieser und weiteren Phasen stets willkommen sein, um die Innovationskraft des Unternehmens nicht zu hemmen. Phase 3: Ideen realisieren Sinnvoll ist es, in dieser ersten Phase bereits eine Roadmap mit der Definition der groben Schritte und Meilensteine zu erarbeiten, die es in weiteren Phasen immer wieder zu hinterfragen gilt. Phase 2: Rahmenbedingungen schaffen Um die digitale Transformation mit einem starken Fundament zu versehen, ist es notwendig, zunächst eine sinnvolle Basis zu schaffen, die ergebnisorientiert ausgerichtet ist. Dazu gehört zum einen die organisatorische Einbindung interdisziplinärer Mitarbeiter und deren Fort- und Weiterbildung. Dieses „Digitalisierungsteam“, das als Multiplikator und Vordenker wirkt, muss sich auf eine gemeinsame Kultur zur Verankerung verständigen. Kernwerte wie Kundenorientierung, Innnovationsbereitschaft, Fehlertoleranz und Risikobereitschaft sind neben Offenheit und Transparenz die Schlüsselvoraussetzungen, um die Transformation in das gesamte Unternehmen zu tragen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Konkretisierung der Vorhaben in der Digitalisierungs-Roadmap und die konkrete Analyse der Auswirkungen auf Strategie, Prozesse, Organisation und IT. Die Weiterentwicklung erster umsetzbarer und belastbarer Ideen aus den unterschiedlichen Unternehmensteilen in Zusammenhang mit den Ideengebern, ist ebenfalls ein Schwerpunkt in dieser Transformationsphase. Hier gilt es Agilität zu leben und fokussiert am Kundennutzen orientiert zu agieren. Die zu beant4 In dieser Phase werden konkrete Vorhaben konzipiert und umgesetzt. Dies geschieht im optimalen Fall unter Einbeziehung aller Stakeholder. So ist es notwendig, um das Ziel der Kunden- oder Nutzerorientierung nicht aus dem Auge zu verlieren, eben diese Stakeholder besonders zu integrieren. Gemeinsame Ideen- und Entwicklungsworkshops mit Kunden, Verantwortungsübertragung bei der Entwicklung interner Optimierungen und mögliche Incentivierungs-Maßnahmen sind hier denkbare Motivatoren, um die Profiteure der Entwicklungen zur Mitarbeit zu bewegen. Die Fokussierung auf wichtige, priorisierte und erfolgversprechende Maßnahmen ist unabdingbar, um eine schnelle Umsetzung und Testbarkeit zu gewährleisten. Auch während der Umsetzungsphase werden weiterhin neue Ideen generiert und bestehende Ideen angepasst. Dazu sollte mit einem zentralen Backlog ein Instrument etabliert werden, dass eine stetige Priorisierung und neuerliche Maßnahmenplanung möglich macht. Bei Angeboten, Tools oder Services, die sich in der Entwicklung befinden oder bereits umgesetzt sind, ist es wichtig, stets eine regelmäßige Retrospektive zu wagen. Der stetige Abgleich von Zielen und der daraus resultierenden Maßnahmen sichert eine effiziente Umsetzung. Ein Verharren auf „dem, was wir schon erreicht haben“, sollte unter keinen Umständen gefördert werden. Im Gegenteil, das stetige Hinterfragen des Erreichten und Geplanten hat zur Folge, dass die Innovationskraft bestehen bleibt und man früher ungeliebte Zöpfe abschneiden kann. In diesem Feld aus genereller kultureller Veränderung und der Anpassung der Umsetzungsmethodik sind von den Beteiligten Schlüsselqualifikationen zu erwarten. Ein Wille zur Weiterentwicklung, Kooperation und Veränderungsbereitschaft sind ebenso als Erfolgsfaktoren zu benennen, wie eine ausgeprägte Projektmanagement- und Umsetzungskompetenz. Benötigt werden Netzwerker, die entscheidungsfreudig einen ganzheitlichen Blick auf das Unternehmen und seine Ziele und besonders auch auf das Marktumfeld haben. Wenn sich ganze Unternehmen der Digitalisierung verschreiben – wie es mit Blick in die Zukunft nötig ist – so ist der eigene Erfolg der größte Motivator. Ein Teil der Kultur muss es werden, die Erfolge zu kommunizieren und gemeinsam zu feiern. Genauso ist es wichtig, Misserfolge gemeinsam durchzustehen und als Motivation zu verstehen. Mögliche Felder, auf denen sich Verbesserungen erzielen lassen, könnte man z. B. folgendermaßen formulieren: ■■ Bei der nächsten Maßnahme das Ziel besser stecken! ■■ Den Kunden besser verstehen! ■■ Genauer zuhören und schauen, welche Hindernisse sich ergeben haben! ■■ Konkreter den Nutzen ins Auge fassen! ■■ Sauberer konzipieren und umsetzen! Der Kunde im Mittelpunkt – Customer First In einer Zeit, wo neue Marktteilnehmer auf den Markt der Energieversorgung drängen, ist es wichtig, seinen Fokus scharf zu stellen. Gerade der Bereich der digitalen Dienstleistungen und Produkte, bei automatisierten Massenprozessen, ist ein hart umkämpfter Markt. Im Mittelpunkt der Entscheidungen für neue Produkte, Services und auch interne Anpassungen muss der einzelne Kunde, der sowohl intern als auch extern sein kann, stehen. Wichtig ist die klare Ausrichtung am Kundenutzen und nicht am technisch Realisierbaren. Auch noch so komplexe Lösungen, die den Nutzen nicht widerspiegeln, werden am Markt keinen Erfolg haben und nicht vom Kunden nachgefragt. Aber wer ist dieser „fremde“ Kunde eigentlich? Um diese Frage beantworten zu können, hilft ein Perspektivenwechsel, z. B. durch die Entwicklung von Personas und die Durchführung von Kundenbefragungen. Ziel ist es dabei, ein klares Bild von seinen heutigen und zukünftigen Kunden zu zeichnen und dabei die wesentlichen Kundengruppen widerzuspiegeln. Personas beschreiben dabei einen repräsentativen und typischen „User“ im Detail. Es werden ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Zugang Alter, Beruf, Gewohnheiten, Einkommen, Beziehungsstatus, Kontaktpunkte, persönliche Interessen etc. erfasst, um spezielle Kundenbedürfnisse abzuleiten und daraus Kundenlösungen zu entwickeln. Es geht dabei um die Spiegelung des Kunden mit der digitalen Lebenswelt. Zur Analyse können Technologien wie Big Data und Business Analytics Innovationen unterstützen, die bisher nur zurückhaltend in der Energiebranche aufgenommen werden. Mit den gewonnen Ergebnissen können auch kleine Pilotprojekte gemeinsam mit dem Kunden am Markt getestet und eingeführt werden. Das Ziel muss sein, individuell auf den Kunden mittels Massenprozessen einzugehen und dabei Lösungen wie Apps, Portale oder auch interne Prozessoptimierungen zu entwickeln, um den Kunden langfristig zu binden. Digitale Beispiele als Antwort auf konkrete Kundenbedürfnisse Mittlerweile ist der Einzug der Digitalisierung nicht mehr wegzudenken. Digitale Lösungen bieten dem Kunden in nahezu jedem Lebensbereich einen Mehrwert. So organisiert der „User“ seinen Alltag heute oft über eine Vielzahl von Apps, Portalen oder Kommunikationsplattformen. Für scheinbar jedes Bedürfnis gibt es eine digitale Antwort. Somit ist es auch für die Energiebranche wichtig, Angebote für bestehende und zukünftige Kundenbedürfnisse zu entwickeln. Hierbei ist es wichtig, zu erkennen, welche Bedürfnisse, Ideen und Wünsche im Fokus von Privat- und Geschäftskunden stehen. Daran gilt es sich zu orientieren (Abb. 2). Digitale Zusammenarbeit in der Wohnungswirtschaft Im Rahmen einer Kundenanalyse stellte sich heraus, dass es im Bereich der Wohnungswirtschaft immer wieder zu unterschiedlichen Problemen kommt. Die Kundenbedürfnisse werden vom Energieunternehmen nicht mehr zufriedenstellend erfüllt und führen beim Kunden zu Mehraufwänden. Verlust von Kunden, Eskalationsgespräche und Unzufriedenheit belasten das Tagesgeschäft. Die Anforderungen an die Energieversorger sind in diesem Kundensegment signifikant anders als bei anderen Geschäftskunden. Daher ist es notwendig, gemeinsam mit dem Kunden nach Prozessoptimierungen und digitalen Lösungen zu suchen. So können durch die digitale Bearbeitung von Leerständen oder An- und Abmeldungen in Liegenschaften auf beiden Seiten Prozesse optimiert und die Abrechnungsqualität jeweils erhöht werden. Über ein gemeinsam zu nutzendes Portal fällt der Austausch von Daten und Prozessauslösern leichter. Die Digitalisierung in der Zusammenarbeit ist in diesem Fall eine klare Win-Win-Situation. Interaktion mit dem Privatkunden Die Ablesung von analogen Zählern ist nach wie vor eine manuelle Tätigkeit, die meis- tens genau dann durchgeführt werden soll, wenn der Kunde nicht zu Hause ist. Die digitale Erfassung von Zählerständen durch den Kunden mithilfe einer App gibt hierzu eine folgerichtige Antwort. Spezielle Apps unterstützen den Ablesenden, erhöhen dadurch die Geschwindigkeit im Ableseprozess und steigern so die Zufriedenheit des Kunden. Aufgrund von Datenplausibilisierungen vor Ort kann darüber hinaus die Abrechnungsqualität gesteigert werden, was zu einer geringeren Beschwerdequote führt. Übertragungsfehler und Erfassungsfehler können weitestgehend eliminiert werden. Auch das teilweise zeitlich sehr intensive und lästige Übertragen und Übermitteln von Zählerstandslisten durch Hausmeister in Mehrfamilienhäusern wird verhindert. Diese Funktionen sind nur ein Teil einer App, die sowohl beim Privatkunden als auch beim Geschäftskunden auf großes Interesse stoßen. Individualisierung des Kundenkontakts mithilfe von Massenprozessen Kundenportale für Privat-, Gewerbe- oder Geschäftskunden sollten als zukunftsträchtige Kommunikationsmittel verstanden werden. Zum einen können den Kunden hier sehr individualisiert Produkte, Services, Angebote und Informationen mitgeteilt werden. Zum anderen kann hier ein kundenspezifischer Informationsgewinn für den Energieversorger erhoben werden. Welche Informationen werden besonders oft abgerufen? Informiert sich der Kunde öfter über regenerative Energien und Contracting? Welche alternativen Produkte interessieren den Kunden? Die Back-end-Analyse von Lastgängen oder Smart-Meter-Daten erlaubt das Angebot von individuell passenden Commodity- und nonCommodity-Produkten. Als Beispiel könnte ein Intensivverbraucher aus dem Geschäftskundenumfeld seinen Energiebedarf über das Portal prognostizieren, um den Energieeinkauf zu optimieren und auf diese Weise von günstigeren Tarifen oder Kostenerstattungen profitieren. Abb. 2 Der Einzug der Digitalisierung in den Alltag Quelle: eigene Darstellung; in Anlehnung an die Maslowsche Bedürfnishierarchie ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Zudem kann man über Kommentar-, bzw. Bewertungsfunktionen und Community-Plattformen nachdenken, die den Erkenntnisgewinn vom Kunden beträchtlich erhöhen. Die 5 Zugang Kommunikation über Plattformen und das Nutzen von Portalen ist dem internetaffinen Kunden bereits aus dem privaten Umfeld und in der Interaktion mit anderen Dienstleistern bekannt. So bietet sich hier die Möglichkeit, dem Kunden einen echten Mehrwert zu liefern und gleichermaßen vom Informationsund Datengewinn zu profitieren. Orientierung auf den Kunden treibt die digitale Transformation In einer digitalisierten Zukunft stehen die Bedürfnisse des Kunden im Mittelpunkt. Er entscheidet, welche Angebote er nutzt und welche Produkte über welchen Kanal gekauft werden. Er nimmt dabei einen aktiven Part ein. Die nächste Entscheidung ist immer nur einen Klick weit entfernt. Um eine langfristige Kundenbindung zu erzeugen, ist es also unabdingbar, sich dem Tempo der Bedürfnisentwicklung des Kunden anzupassen. Unternehmens sind hier nur einige wichtige Punkte. Das Etablieren von Innovationskraft und –bereitschaft gepaart mit agilen Projektmanagement ebnet den Weg zum digitalen Erfolg. Über allem muss aber eine Kultur entstehen, die Entscheidungsfreude, Risikobereitschaft und auch Fehlertoleranz mit Transparenz und Offenheit lebt. Die Digitale Transformation von Unternehmen muss sich daher ganzheitlich am internen, wie externen Kunden ausrichten. Die Anpassung von Strategie, Prozessen und der organisatorischen Aufstellung des C. Timm, Senior Consultant, G. Gipp, Senior Consultant, Process Management Consulting GmbH, München [email protected] [email protected] Abo-Bestellung Per Fax oder per Post an: 0 20 54/95 32-60 EW Medien und Kongresse GmbH Fachzeitschrift Postfach 18 53 54 D-45203 Essen Ich möchte die Energiewirtschaftlichen Tagesfragen abonnieren zum Jahresabonnement von 209,-- € (zuzügl. Porto) ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE zum Studentenpreis von 104,-- € (bei Vorlage der Immatrikulationsbescheinigung, zuzügl. Porto) Digital zum Jahresabonnement von 209,-- € PLZ / Ort Vorname / Name Telefon Firma / Abteilung E-Mail Straße Datum / Unterschrift ET_Abo_1/2_2016_schachbrett.indd 1 6 TAG E S F R AG E N Die Bestellung richten Sie bitte an Frau Holz: [email protected] Digital+Print zum Jahresabonnement von 249,-- € Kombi-Abo (zuzügl. Porto) Das Abonnement verlängert sich automatisch, wenn es nicht 6 Wochen vor Ablauf gekündigt wird. TAG E S F R AG E N ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE 27.06.16 10:26 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Zugang Internet of Things – Plattform für ein nachhaltiges Energiesystem Karl Werlen und Andreas Winter Der Bezug von nachhaltig produzierter Wärme und Kälte aus Wärmepumpen sowie der Strom aus erneuerbaren Energiequellen leisten an sich schon einen wertvollen Beitrag zur Energiewende. Zusätzlich kann die thermische Trägheit zum Ausgleich der Schwankungen bei der Produktion von Strom aus Solar- und Windkraft genutzt werden und bietet damit eine interessante Alternative zu dezentralen Batteriespeichern. Ein schweizerisches Projekt zeigt, wie thermische Speicher als Puffer genutzt werden können und mittels IT-Einsatz eine Plattform etabliert werden konnte, die als Grundlage weiterer „Internet of Things“-Geschäftsmodelle dient. Das von der Misurio AG entwickelte WarmUp-Projekt, welches von ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich) und dem BFE (Bundesamt für Energie, Schweiz) unterstützt wird, macht die thermische Speicherkapazität von Gebäudemassen und Warmwasserspeichern als Puffer nutzbar, um Wärmepumpen flexibel zu betreiben. Die Wärmeerzeugung mit den Wärmepumpen kann dadurch zeitlich verschoben werden, ohne den Komfort der Bewohner zu beeinträchtigen. Durch die flexible Steuerung der Wärmepumpen ergeben sich diverse Anwendungsmöglichkeiten im Stromsystem. Mit diesem ganzheitlichen Ansatz können Erlösmöglichkeiten im Strommarkt z. B. durch das Anbieten von Systemdienstleistungen oder durch Angebote am Dayahead oder Intraday-Markt genutzt werden (Abb. 1). Ebenfalls können im Stromnetz Kostenreduktionspotenziale, bspw. bei den Netznutzungskosten, ausgeschöpft und ggf. auch Netzausbauten vermieden werden. Dieser ganzheitliche Ansatz basiert auf einem mehrstufigen mathematischen Optimierungsmodell, das die Opportunitäten des Energiemarktplatzes in einem integralen Modell abbildet. Dabei werden sowohl mögliche Erträge für Regelenergie und andere Systemdienstleistungen wie auch Erträge aus Energiegeschäften im Day-ahead- und Intraday-Handel abgebildet. Ebenso werden zusätzliche Kosten für Ausgleichsenergie und Netznutzungsgebühren einbezogen. Das physikalische Verhalten der flexiblen Energieanlagen (Produktion, Speicher, Last) wird im Anlagemodell abgebildet. Der gesamte Prozess des ganzheitlichen Ansatzes beginnt bei der Prognoseerstellung, der optimalen Angebotsgestaltung für mehrere Märkte bzw. Auktionen zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten, geht über in die Betriebsoptimierung und endet mit der Nachkalkulation. Der Prozess wird in einem mehrstufigen, zeitlich gestaffelten Verfahren abgewickelt. Über Szenarien-Bäume, Wahrscheinlichkeitsver- teilungen und Konfidenzintervalle werden die auftretenden Unsicherheiten berücksichtigt. Der Benutzer entscheidet über Risikoparameter, mit welcher Strategie er seinen Pool bewirtschaftet. Dabei sind die Möglichkeiten jeder Anlage als feste Rahmenbedingungen im Modell hinterlegt. Es findet eine kontinuierliche Überwachung der Ist-Werte statt, so dass die für den Pool optimalen Sollwerte nur weitergeleitet werden, wenn diese auch ausgeführt werden können und die Rahmenbedingungen eingehalten sind. Projekt WarmUp – Intelligente Vernetzung und Steuerung Das WarmUp-Projekt gliedert sich in drei Phasen. Nach der Potenzialanalyse (WarmUp1) konnte in der Proof-of-Concept-Phase (WarmUp2) die Anwendbarkeit des ganzheitlichen Ansatzes in einem ersten Feldversuch nachgewiesen werden. Im Basisfall (Jahr 2012) wurden mit einer optimalen Bewirtschaftung eine Kostenreduktion sowie zusätzliche Erträge von insgesamt etwa 800 CHF pro Anlage gegenüber der heutigen Betriebsweise erzielt. Bei der Anlage handelte es sich um ein Mehrfamilienhaus mit 22 Wohneinheiten und modernem Baustandard. Unter den Rahmenbedingungen von WarmUp1 wurde ein optimistisches Potenzial von 40 CHF/ kW/a ermittelt. Annahmen bei Regelenergiepoolbetreibern liegen bei 20 CHF/kW/a. Abb. 1 WarmUp-Projekt Quelle: ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich) ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 In der Realität des vorliegenden Falls konkurriert das Komfortbedürfnis der Gebäudenutzer mit dem Potenzial der verwertbaren Flexibilität. Als Arbeitshypothese sind 5 CHF/kW/a ein vorsichtiger Ausgangspunkt. 7 Zugang In der Demonstrationsphase (WarmUp3) erfolgt aktuell die Skalierung auf mehrere Liegenschaften, um die Anwendbarkeit des Konzepts in der Praxis zu demonstrieren. WarmUp3 beinhaltet unter anderem den Aufbau verschiedener Schnittstellen zwischen dem Leitsystem für die Wärmepumpenanlagen, dem Energiehandel und dem Verteilnetz. Es ist geplant, fünf Anlagen aus dem Portfolio der Contracting-Anlagen von ewz einzubinden. EnergyOn-Plattform – IoT-Plattform für ein nachhaltiges Energiesystem Deshalb hat Misurio die Firma Cedros beigezogen, um parallel mit dem WarmUp-Projekt die EnergyOn-Plattform als eine hochskalierbare IT-Infrastruktur aufzubauen. Dank hochleistungsfähiger IBM-Technologie ist die EnergyOn-Plattform skalierbar und massenmarkttauglich. Mit dem Zeitreihenmanagement und dem Solver für Optimierungsprobleme kann die Plattform in kürzester Zeit große Datenmengen von vielen tausend Anlagen auswerten. Im Zusammenhang mit WarmUp bietet die EnergyOn-Plattform die Möglichkeit, mittels Pooling von Produktionsanlagen, flexiblen Lasten und Speichern sowie deren optimaler Bewirtschaftung Zusatzerträge und Kosteneinsparungen zu erzielen. Die EnergyOnPlattform kann auch für andere „Internet of Things“-Geschäftsmodelle (Abb. 2) verwendet werden. KARRIERE + Abb. 2EnergyOn-Plattform Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten – Beispiele In einem aktuellen Kundenprojekt nutzt ein Gebäude- und Energietechnik-Unternehmen die Plattform für die Einführung von „Service on Demand und Preventive Maintenance“. Der Einsatz von „Smart Gateways“ ermöglicht diesem Unternehmen den digitalen Zugang zu Wärmepumpen von Neu- und Bestandskunden. Dadurch kann eine vorausschauende Wartung der Anlagen und eine Digitalisierung der Serviceabläufe etabliert werden. Eingehende Störmeldungen aus den Anlagen werden durch die Plattform analysiert und erzeugen regelbasiert neue Serviceaufträge. Diese Serviceaufträge können nun durch Servicetechniker „remote“ oder bei mechanischen Fehlern vor Ort gelöst werden. Zukünftig werden die Kunden dieses Unternehmens bereits vor einem möglichen Still- ENERGIEWENDE stand der Wärmepumpe oder im schlimmsten Fall einer kalten Wohnung durch die pro-aktive Wartung geschützt. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist das Projekt eines Kunden aus der Energiebranche, der die Optimierung des Eigenstromverbrauchs als neues „Produkt“ seinen Kunden anbieten möchte. Ziel ist es, den Netzbezug des Kunden zu minimieren, in dem der interne Stromverbrauch anhand von individuellen Kundenprofilen und daraus abgeleiteten Optimierungsmodellen gesteuert wird. Die Stärken des ganzheitlichen Ansatzes kommen in diesem Anwendungsfall voll zum Tragen. Dr. K. Werlen, CEO und Mit-Gründer, Misurio AG, Visp (Schweiz), A. Winter, Senior ITArchitekt, Cedros Gesellschaft für Datenverarbeitung mbH, Sankt Augustin [email protected] [email protected] KARRIERE + ENERGIEWENDE ist das ideale Medium für die reichweitenstarke Rekrutierung von Nachwuchs- und Fachkräften im Energiemarkt. Modern, informativ und unterhaltsam gemacht für Einsteiger und Aufsteiger – für die Entscheider von morgen. KARRIERE + ENERGIEWENDE Oktober 2016 Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich darauf schließen, dass das WarmUpKonzept wirtschaftlich erfolgreich betrieben werden kann. Voraussetzung dafür ist ein quantitativ ausreichender Pool. Jobmotor Netze: Karriere Berufswege in der Gas- Trend: Mobile Recruiting beim Netzbetreiber und Wasserwirtschaft und Virtual Reality Erscheint am: 4. Oktober 2016 8 www.karriere-energiewende.de Vernetzte Energiewelt ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Christian Kirsch, Head of Business Development bei der SOPTIM AG Sehen, was Sie weiterbringt. Flexibel handeln mit unserer IT-Lösung für den Intraday-Handel! SOPTIM iTrade hat alle Handelsfunktionen für Sie vereint – performant, hochautomatisiert und intelligent verzahnt. Nutzen Sie Ihre Chancen im Intraday-Handel. Die SOPTIM Anwendungsexperten: 0241-894 91-4400 www.soptim.de/iTrade Folgen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Aufgabenverteilung von Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern Carsten Saldenholz Mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende wird ein neues Gesetz anstatt eines Verordnungspakets geschaffen, mit dem die Messwerterhebung und Messwertverteilung zwischen den Marktrollen Verteilnetzbetreiber (VNB), Bilanzkoordinator (Biko), Bilanzkreisverantwortlicher (BKV) und Lieferant neu geregelt wird. Eine Betrachtung des aktuellen Stands des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, dass im Hinblick auf die Aufgabenverteilung bei der Bilanzierung von VNB und Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) noch Klärungsbedarf besteht. Die „Digitalisierung der Energiewende“ heißt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom November 2015, der derzeit im Bundestag gelesen und noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Der Bundesrat hat bereits seine Stellungnahme am 18.12.2015 veröffentlicht. Der Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines Prozesses, der seine Entwicklung in den vorherigen Jahren noch als „Verordnungspaket intelligente Netze“ begonnen hat und nun die Anforderungen aus der dritten Binnenmarktrichtlinie (Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/ EG) für den Roll-out von Smart Metern umsetzen soll. Erwartet und angekündigt war das Gesetz über mehrere Jahre hinweg als Verordnungspaket. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat sich aber vor allem aus Gründen des Datenschutzes („grundrechtsrelevante Regelungsmaterie“) und „zur Vermeidung einer weiteren Zersplitterung des Energierechts“ entschieden, ein neues Stammgesetz zu erlassen [1]. Dieses Vorgehen wird von vielen Interessensverbänden, Behörden und Unternehmen begrüßt [2]. Bevor dieser Gesetzentwurf durch die Bundesregierung zur Lesung in den Arbeitsgruppen, Stellungnahme vom Bundesrat und Verabschiedung durch den Bundestag übergeben wurde, hat das BMWi einen Referentenentwurf mit den Verbänden und Organisationen abgestimmt. Dieser Referentenentwurf wurde im September 2015 an die Verbände und Organisationen verteilt [3]. Zwischen dem Referentenentwurf aus September 2015 und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom November 2015 bestehen Unterschiede mit erheblichen Aus10 Bevor das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende verabschiedet wird, müssen die Vor- und Nachteile einer Aufgabenänderung zwischen VNB und ÜNB gründlich abgewogen werden Foto: tiero|Fotolia.com wirkungen auf die zukünftigen Prozesse zur Bilanzierung. Folglich hat das BMWi die Kritik aus den Verbänden teilweise in dem neuen Gesetzentwurf berücksichtigt [4]. Wesentliche Inhalte des Gesetzes Der Gesetzentwurf schreibt nicht nur den Zeitplan für den Roll-out von intelligenten Messsystemen und modernen Messeinrichtungen vor oder definiert die Preisobergrenzen, mit denen die grundzuständigen Messstellenbetreiber diesen Roll-out wirtschaftlich umsetzen sollen. Er erlässt das sog. Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) und ändert Artikel in zentralen Gesetzen und Verordnungen der Energiewirtschaft, u. a. im EnWG, EEG, kWK-G und in der Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) [1]. Handelt es sich bei den meisten Änderungen um Verweise auf das MsbG, so haben die Änderungen auf die StromNZV gemeinsam mit diesem Gesetz Auswirkungen auf die Prozesse zur Bilanzierung in der Energiewirtschaft. Mit dieser Änderung müssen zukünftig mit intelligenten Messsystemen ausgestattete Messstellen Zählerstandsgänge (ZSG) übermitteln. Neue Vorgaben zur Datenerhebung und Datenverteilung Das neue MsbG regelt die Vorgaben zur Datenerhebung und Datenverteilung neu. Bisher schreiben die Marktregeln [5] vor, dass der Netzbetreiber respektive der Messstellenbetreiber Mess- und Zählwerte ausliest, plausibilisiert und an die Marktteilnehmer im Rahmen der gesetzlichen Fristen über- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Folgen mittelt (siehe auch Abb. 1) [6]. Der Netzbetreiber ist somit die „Datendrehscheibe“ für Mess- und Zählwerte. In § 50, Absatz 2 des MsbG werden die Zwecke für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung festgelegt. Messwerte sollen somit ■■ dem BKV die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Bilanzkreises sowie ■■ dem Netzbetreiber den ordnungsgemäßen, sicheren und effizienten Netzbetrieb sowie die Bilanzierung und Bilanzkreisabrechnung ermöglichen. Das ist soweit keine Neuerung gegenüber dem Status quo. Neuerungen für VNB Neu ist jedoch die in § 60 geregelte Datenübermittlung, die vorschreibt, dass alle Messwerte, die über ein intelligentes Messsystem erhoben werden, sternpunktförmig an die berechtigten Stellen gemäß § 49 (2) verteilt werden müssen. Die Plausibilisierung und Ersatzwertbildung soll zukünftig direkt im Smart Meter Gateway erfolgen. Durch die sternpunktförmige Verteilung der Messwerte soll nun der ÜNB in seiner Rolle als Biko täglich Zählerstandsgänge je Zählpunkt mit intelligentem Messsystem erhalten (siehe Abb. 2). Abb. 1 Kommunikationswege Messwerte heute Ablesewerten der Verbrauch der Kunden berechnen lässt. Inwieweit für moderne Messeinrichtungen auch zukünftig die „Turnschuhablesung“ [8] durch den MSB angewendet werden wird oder dieser die Smart-Meter-GatewayInfrastruktur für die Ablesung nutzt, muss er auf Basis seiner individuellen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung entscheiden. Für Überschusseinspeisungen gelten besondere Vorgaben. Unter Überschusseinspeisung ist eine Messkonfiguration zu verstehen, in der der eigenerzeugte Strom zunächst selbst verbraucht und nur Stromüberschüsse eingespeist bzw. der zusätzliche Bedarf aus dem Netz entnommen wird. In diesem Fall schreibt der Absatz 4 des § 55 MsbG vor, dass ein einheitliches Verfahren zur Messwerterhebung, z. B. Zählerstandsgangmessung, anzuwenden ist. Ist bspw. eine PV-Anlage über 7 kW installiert, der Verbrauch an der Messstelle aber kleiner als 6.000 kWh pro Jahr, sind trotzdem Erzeugungs- und Verbrauchswerte per Zählerstandsgang zu erheben. Folglich muss dann auch die den Verbrauch messende moderne Messeinrichtung mit dem vorhandenen Smart Meter Gateway zu Darüber hinaus sind auch die Vorgaben zur verschlüsselten elektronischen Kommunikation, damit eine vollständige elektronische Weiterverarbeitung möglich wird (§ 52), und die Art der Messwerterhebung (§ 55 MsbG) im Gesetz geregelt. Zukünftig dürfen für Zählpunkte ab einem Verbrauch von über 100.000 kWh die Messwerte per Zählerstandsgangmessung (ZSG) oder registrierender Leistungsmessung (RLM) erhoben werden. Für alle Messstellen, die mit einem intelligenten Messsystem [7] ausgerüstet sind, müssen dann die Messwerte per ZSG erhoben werden. Für Messstellen ohne intelligente Messsysteme sind die Messwerte gemäß Tarif aus dem Stromliefervertrag zu erheben. Je Tarif werden auch hier zukünftig Lastprofile verwendet, mit denen sich gemeinsam mit den Abb. 2 Kommunikationswege Messwerte zukünftig ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 11 Folgen einem intelligenten Messsystem erweitert werden. Unterschiede zwischen Referenten- und Gesetzentwurf Für alle eben genannten Fälle werden die Daten monatlich formal durch den MSB erhoben. Bei Messstellen mit intelligenten Messsystemen werden die Daten automatisiert aus dem Smart Meter Gateway an den jeweiligen Empfänger gesendet. Der MSB muss die bezogene Monatsarbeit, die aufgetretene Maximalleistung und jährlich die Jahresarbeitswerte an den VNB auch für moderne Messeinrichtungen übermitteln. Gemäß § 60, Absatz 2 MsbG können auf Verlangen des VNB die Messwerte auch täglich übermittelt werden [9]. Dieser Absatz 2 im § 60 MsbG ist neu in den Gesetzentwurf aus November 2015 übernommen worden. Im Referentenentwurf aus September 2015 [3] war es nicht vorgesehen, dass der VNB täglich Messwerte erhalten sollte. Welche Konsequenzen hätte das für die VNB bedeutet? Konsequenzen für die VNB Tägliche Messdaten benötigt der VNB für die Zuordnung der Energiemengen zu den Energielieferanten in seinem Netzgebiet. In Abhängigkeit vom Bilanzierungsverfahren, synthetischen Standardlastprofilverfahren (SLP) oder analytischen Standardlastprofilverfahren (ALP) sind die Vortageswerte zwingend erforderlich. Insbesondere beim ALP wird anhand der Vortagesmesswerte die Restlast im Netzgebiet berechnet und gemäß unterschiedlicher Faktoren auf die Lieferanten verteilt. Der Vorteil des ALP gegenüber dem SLP ist für den Netzbetreiber, dass alle Risiken auf die Energielieferanten übertragen werden und der Differenzbilanzkreis stets Null ist [10]. Würde also laut Referentenentwurf der VNB täglich keine Messwerte erhalten, könnte er kein analytisches Lastprofilverfahren anwenden. Darüber hinaus wären das Führen und vor allem das aktive Bewirtschaften des Differenzbilanzkreises durch den VNB nicht mehr möglich, da er die Messwerte nur monatlich erhalten würde. Die BNetzA drängt jedoch die VNB dazu [11], ihre Differenzbilanzkreise aktiv zu bewirtschaften. 12 Im Gesetzgebungsprozess scheint sich der Gesetzgeber den Konsequenzen für die VNB bewusst geworden zu sein. So wurde im Gesetzentwurf der Bundesregierung die Möglichkeit für den VNB ergänzt, Vortageswerte für einzelne Messstellen zu verlangen (§ 60 (2)). Darüber hinaus erhält der VNB gemäß § 67 MsbG vom Biko nun täglich die Bilanzkreissummenzeitreihen [1], die sowohl für die Bilanzierung im SLP als auch im ALP erforderlich sind. Die Differenzbilanzkreise können somit auch in Zukunft aktiv durch die VNB bzw. ihre Dienstleister bewirtschaftet werden, sofern ausreichende Ressourcen und Systeme für die tägliche Prognose der erforderlichen Energiemengen mit der gewünschten Präzision zur Verfügung stehen. Für VNB, die weiterhin das SLP anwenden, gelten nun ab dem 1.4.2016 die neuen Regeln zur lieferstellenscharfen Mehr-/ Mindermengenabrechnung [12]. Für diese benötigt der VNB je Zählpunkt die erforderlichen Messwerte, die allerdings entweder im Rahmen der Turnusablesung oder des Lieferantenwechsels durch den MSB bzw. das Smart Meter Gateway erhoben werden. Diese Daten müssen nicht täglich dem VNB zur Verfügung gestellt werden. An dieser Stelle entstehen durch das neue Gesetz keine Konsequenzen für die VNB. Konsequenzen für die ÜNB Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende werden nicht nur die Vorgaben für den Einbau neuer Zähler und intelligenter Messsysteme in Unternehmen und Haushalten festgelegt. Auch für die Kommunikation der Messwerte und Bilanzierungsdaten ändert sich einiges. Der VNB ist zukünftig nicht mehr die Datendrehscheibe, sondern das Smart Meter Gateway. Der Biko erhält dann täglich aus demSmart Meter Gateway Messwerte, die er für die Bilanzierung zu den erforderlichen Summenzeitreihen aggregieren muss. Der VNB erhebt die Daten formal nicht mehr selbst [13]. Der Biko erhält damit direkt die Messwerte aus den Smart Meter Gateways und könnte damit unter Umständen auch Ausgleichsund Regelenergiekosten senken, da er für seine Regelzone auf eine deutlich bessere und vor allem einheitliche Datenbasis zu- rückgreifen kann. Dieselben Messwerte erhalten auch die Energiemarktteilnehmer (Lieferanten, BKV oder Direktvermarkter) gemäß ihrer auf die SMGW eingespielten Tarifprofile. Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens Für den Aufbau der erforderlichen Infrastrukturen sieht die Bundesregierung die zu erwartenden Kosten als bislang nicht prognostizierbar an, da diese von der Anzahl der installierten Messsysteme abhängen. Der Bundesrat sieht darin ein erhebliches Risiko, die „Energiewende (…) durch unnötige Systemumbrüche zurückzuwerfen“ [14] und hält dagegen, dass diese Funktionen bereits bei den VNB implementiert sind. Damit sind auch die Kosten bereits in der Vergangenheit über die Netzentgelte abgeschrieben worden. Außerdem sieht der Bundesrat die Gefahr, dass die VNB durch die Verlagerung der Datendrehscheibe zum ÜNB von der Digitalisierung ausgeschlossen und damit um Zukunftschancen beraubt werden könnten. Ferner steigt nach seiner Ansicht auch das Risiko für das Gesamtsystem, wenn die Daten nur noch an vier Stellen und nicht mehr an 880 Stellen konzentriert werden [15]. Die Bundesregierung hat zur Stellungnahme des Bundesrates eine Gegenäußerung veröffentlicht [16]. Anders als der Bundesrat hält die Bundesregierung keine wesentlichen Änderungen in der Aufgabenverteilung der Netzbetreiber für notwendig. Das Gesetz sei aus dem Status quo abgeleitet. Auch heute sind die ÜNB bereits für die Bilanzkoordination verantwortlich. Die Bundesregierung argumentiert, dass im Sinne der Datensparsamkeit die erforderlichen Daten möglichst direkt dem Berechtigten zur Verfügung gestellt und Datenaufbereitung Dritter vermieden werden sollten [17]. Außerdem müssen nach ihrer Ansicht bei den ÜNB für den Ausgleich von Ungleichgewichten zwischen Einspeisung und Ausspeisung die erforderlichen Daten direkt vorliegen. Nur durch diese direkte und tägliche Datenlieferung können die ÜNB effizient Informationen für die Ursachen von Systembilanzierungsungleichgewichten erhalten. Die Bundesregierung sichert den VNB zu, auch in Zukunft für die Versorgungssicherheit ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Folgen und die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen. Am 26. Februar dieses Jahres hat der Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf in einer 38-minütigen Aussprache diskutiert [18]. Die Vertreterin der Bundesregierung sieht keine strukturpolitische Weichenstellung zugunsten bestimmter Netzbetreiber. Vielmehr sei der Gesetzentwurf neutral zwischen großen und kleinen Verteilnetzbetreibern; Übertragungsnetzbetreiber wurden darin mit keinem Wort erwähnt. Vertreter aus den Fraktionen von CDU, SPD und den Grünen regten in der Debatte an, die Daten bei den VNB auswerten zu lassen, da diese das größere Vertrauen der Menschen genießen als die ÜNB. Es wurde dementsprechend vorgeschlagen, das Gesetz vor der zweiten und dritten Lesung im Bundestag durch die Bundesregierung anzupassen. Erforderliche Abwägungen Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende ist noch nicht verabschiedet. Die Vertreter aus Bundesrat und Bundestag fordern die Bundesregierung auf, gründlich die Vorund Nachteile einer Aufgabenänderung abzuwägen und das Gesetz zugunsten der VNB anzupassen. Da dem Gesetz nicht vom Bundesrat zugestimmt werden muss, liegt es nun in der Hand der Bundesregierung, gemeinsam mit dem Bundestag die Zusammenarbeit zwischen ÜNB und VNB zu regeln. Cornelia Kawann (Hg.) Mit dem aktuellen Gesetzentwurf würde zwar die Bilanzierung auf die ÜNB übertragen werden, die VNB behielten aber weiterhin das Recht, täglich ihre Daten u. a. für die Bewirtschaftung der Differenzbilanzkreise zu erhalten. Anmerkungen systemen übermittelt, deren Jahresverbrauch zwischen 6.000 kWh und 10.000 kWh (Pflichteinbaufälle) oder unterhalb dieser Mengen liegt, ist unklar. [10] BDEW; BKK; EDNA; VKU: Wichtige Hinweise zur Einführung und Umsetzung der Festlegung MaBiS, 25.2.2011, abrufbar unter: https://bdew.de/internet. nsf/id/DE_Wichtige-Hinweise-zur-Einfuehrung-undUmsetzung-der-Festlegung-MaBiS/$file/2011-02-25_ Hinweise-zur-MaBiS.pdf [1] Bundesregierung: Gesetz zur Digitalisierung der [11] Bundesnetzagentur: Positionspapier zur Bilanz- Energiewende – Gesetzentwurf, 11/2015. kreisbewirtschaftung, [2] BMWi: Stellungnahmen zum Gesetzentwurf zur http://www.bundesnetzagentur.de/DE/Service-Funkti- Digitalisierung der Energiewende, 13.10.2015, abruf- onen/Beschlusskammern/1BK-Geschaeftszeichen-Da- bar unter: http://www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/ tenbank/BK6-GZ/2013/2013_0001bis0999/2013_100 Netze-und-Netzausbau/Intelligente-Netze-und-intelli- bis199/BK6-13-104/BK6-13-104Positionspapier.html gente-Zaehler/Stellungnahmen-Gesetzentwurf-Digita- [12] BDEW; VKU et al.: Anwendungshilfe zur Einfüh- lisierung-Energiewende/stellungnahmen-gesetzent- rung der Prozesse zur Ermittlung und Abrechnung von wurf-digitalisierung-energiewende.html Mehr-/Mindermengen Strom und Gas, 2014. [3] BMWi: Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende [13] In seiner Funktion als grundzuständiger MSB wird – Referentenentwurf, 9/2015. der VNB auch weiterhin Daten erheben. [4] U. a. ist die informatorische Entflechtung nun nicht [14] Deutscher Bundestag: Drucksache 18/7555, Vorab- mehr Gegenstand des Gesetzes. fassung, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf [5] Bundesnetzagentur: Marktregeln zur Bilanzierung eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende, Strom (MaBiS), 2011. 17.2.2016, S. 199. [6] Vortagesmesswerte sind durch den VNB u. a. für [15] Deutscher Bundesrat: Drucksache 543/15 vom Prognosen an die Bilanzkreisverantwortlichen bis 18.12.2015, Stellungnahme des Bundesrates, Entwurf 09:00 Uhr morgens bereitzustellen. eines Gesetzes zur Digitalisierung, S. 25. [7] Das gilt insbesondere auch für unterbrechbare Ver- [16] Deutscher Bundestag (siehe Fn. [14]). S. 205 ff. brauchseinrichtungen gemäß § 14 EnWG. [17] Deutscher Bundestag (siehe Fn. [14]). S. 214. [8] Turnschuhablesung meint die Ablesung durch [18] Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/159, Mitarbeiter des MSB bzw. seines Dienstleisters vor Ort stenografischer Bericht, 159. Sitzung, 26.2.2016, S. beim Anschlussnutzer. 15.731 ff. 16.9.2013, abrufbar unter: [9] Laut Gesetzestext darf der VNB die Daten täglich für alle Messstellen mit einem Jahresverbrauch größer 10.000 kWh verlangen. Inwieweit der MSB dann auch täglich Daten für Messstellen mit intelligenten Mess- C. Saldenholz, Projektleiter, CONSULECTRA Unternehmensberatung GmbH, Hamburg [email protected] ENERGIE IM WANDEL – Frauen gestalten die Schweizer Energiezukunft Energie wird erzeugt, transportiert und gespeichert. Sie wird gehandelt, genutzt, verschwendet, verbraucht, gespart und vernichtet. Wir kommunizieren und produzieren mit ihr. Energie ist ein politisches Thema. Aber auch eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Aufgabe, die nach einem ganzheitlichen Umgang verlangt. Noch immer ist die Energiewirtschaft eine Männerdomäne. Sie erfordert mit ihrer wachsenden Komplexität jedoch zunehmend die Diversität verschiedener Kompetenzen und Sichtweisen. Diese Diversität gewinnt derzeit an Fahrt und belebt die Branche: Immer mehr Frauen steigen neu in die Energiewirtschaft ein oder belegen dort sogar Spitzenpositionen. Es ist Zeit, der Vielfalt und Ganzheitlichkeit zuliebe einmal die Power-Frauen zu Wort kommen zu lassen: Denn es gibt sie, sogar zahlreich. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Energie im Wandel – eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Wir alle sind gefordert. ISBN 978-3-942370-41-7 • 288 Seiten • Preis: 29,- € Bestellanschrift: Bitte liefern Sie Exemplare Energie im Wandel – Frauen gestalten die Schweizer Energiezukunft je 29,- € (+ Porto) У ISBN 978-3-942370-41-7 Faxen oder per Post an: EW Medien und Kongresse GmbH Postfach 18 53 54 • D - 45203 Essen 13 Tel.: 0 20 54/95 32-10 • Fax: 0 20 54/95 32-60 Die Bestellung richten Sie bitte an Frau Holz: [email protected] Geschäftsmodelle Stadtwerke auf dem Weg zum Lösungsanbieter – Strategien und Barrieren Heiner Lütjen und Carsten Schultz Während viele Stadtwerke aufgrund abnehmender Profitabilität in allen Wertschöpfungsstufen große Herausforderungen zu bewältigen haben und zum Teil sogar betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausschließen, scheint es anderen Stadtwerken im schwierigen Energiemarkt zu gelingen, Profitabilität und Umsatz zu steigern. Dies kann unter der Voraussetzung gelingen, dass Unternehmen konsequent auf Innovation, stärkere Kundenorientierung und die Entwicklung neuer Dienstleistungen ausgerichtet werden. In einer Studie des Instituts für Innovationsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wurde die Entwicklung innovativer Dienstleistungen von Stadtwerken untersucht, Aktivitätsmuster identifiziert und Handlungsmaßnahmen abgeleitet. Innovationen eröffnen neue Möglichkeiten. Die Stadtwerke Osnabrück z. B. konnten trotz größerer Verluste im Kerngeschäft durch Beteiligungen an einem Steinkohlekraftwerk den Umsatz von 408,6 Mio. € im Jahr 2013 auf 435,2 Mio. € im Jahr 2014 steigern, indem zusätzliche Cross-Selling Potenziale im Dienstleistungsbereich für Privatkunden erschlossen wurden. U. a. hat das Unternehmen durch eine Carsharing Initiative als erster kommunaler Anbieter ein stationäres und ein „free-floating“-Leihsystem eingeführt [1]. Die Stadtwerke Norderstedt machen bspw. heute sogar mehr Umsatz mit ihrer Telekommunikationstochter wilhelm. tel als mit dem Stromvertrieb [2]. Trotz dieser positiven Beispiele gelingt es bisher insgesamt nur wenigen Versorgern, innovative Dienstleistungen zu entwickeln und erfolgreich am Markt einzuführen. Die Gründe für den mangelnden Erfolg in der Entwicklung neuer Dienstleistungen liegen in vielen Bereichen begründet: Z. B. in einem mangelnden Verständnis für Innovationen im Unternehmen, steigenden Regulationsanforderungen oder fehlenden Ressourcen. Ebenso reduziert die noch immer geringe Bereitschaft der Endkunden, den Energieversorger zu wechseln, den Druck, neue Dienstleistungen zu entwickeln. Laut des aktuellen Monitoringberichts der Bundesnetzagentur und des Kartellamts hat im vergangenen Jahr nur jeder zehnte Haushaltskunde seinen Gas-Lieferanten gewechselt [3]. Der Anteil stagniert seit Jahren und wenn die Lieferantenwechsel im Rahmen eines Umzuges herausgerechnet werden, fällt der Anteil der Kunden, die den Energieversorger gewechselt haben, sogar noch weiter. 14 Trotz einer vielversprechenden Ausgangslage nach der Öffnung der Märkte Ende der 1990er Jahre ist die Innovationsaktivität von Stadtwerken hinter den Erwartungen zurückgeblieben Foto: Sergey Nivens|Fotolia.com Die zugrunde liegenden Innovationsbarrieren von Stadtwerken in der Dienstleistungsentwicklung wurden in einer Studie des Instituts für Innovationsforschung an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel untersucht. Der Fokus der untersuchten Stadtwerke lag auf kleinen und mittleren Energieversorgern mit bis zu 250 Mitarbeitern. Darüber hinaus wurden jedoch auch drei Stadtwerke mit einer Größe von 500-1.000 Mitarbeitern analysiert. Die 28 befragten Personen im Unternehmen waren Geschäftsführer, Vertriebsleiter, Marketingleiter oder Innovationsmanager. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Großteil der Stadtwerke mit neuen Dienstleistungen für Privatkunden bisher wenig Umsatz generiert. Als neue Dienstleistung wurden Dienstleistungen klassifiziert, die über das klassische Kerngeschäft Erzeugung, Verteilung und Vertrieb von Strom, Gas und Wasser hinausgehen sowie in den letzten zehn Jahren (weiter-)entwickelt wurden und zusätzlich aus der Unternehmensperspektive als neu bewertet wurden. Der Großteil der Stadtwerke besitzt gegenwärtig nur einen Dienstleistungsanteil von maximal 5 % am Gesamtumsatz (siehe Abb. 1). Häufig fehlt bei Stadtwerken sogar die Kenntnis über konkrete Datenlagen hinsichtlich des Dienstleistungsanteils im Unternehmen, da Instrumente zur Bewertung von Dienstleistungen nicht genutzt werden. Die meisten Stadtwerke geben an, dass viele Leistungen ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Geschäftsmodelle momentan noch als produktbegleitende Zusatzleistungen angeboten werden (z. B. Energieberatung, Elektromobilität). Jedoch erwarten die Stadtwerke eine deutliche Steigerung hinsichtlich des Umsatzanteils innerhalb der nächsten zehn Jahre. Aktivitätsmuster von Stadtwerken bei der Dienstleistungsentwicklung Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass Stadtwerke sich grundsätzlich durch drei Aktivitätsmuster unterscheiden. Das erste identifizierte Aktivitätsmuster von Stadtwerken beschreibt eine grundsätzlich sehr geringe Bereitschaft und häufig sogar Trägheit, in neue Innovationen zu investieren und neue Unternehmensstrukturen zu implementieren. Das klassische „Commodity“Geschäft wird weiterhin als das alleinige Kerngeschäft der Stadtwerke gesehen. Der Vertriebsleiter eines mittelständischen Stadtwerkes kommentiert dazu: „Ich wage es zu bezweifeln, grundsätzlich mit Dienstleistungen unser Kerngeschäft auszugleichen. Ein wahrscheinlicheres Szenario wäre: Energieversorger werden einfach personell schrumpfen müssen, weil die Absätze schrumpfen (…).“ In der Konsequenz dominieren Effizienzsteigerungen und damit Prozessinnovationen die Innovationstätigkeit dieser Unternehmen. Das zweite identifizierte Aktivitätsmuster von Stadtwerken beschreibt einen sehr vorsichtigen Umgang mit der Dienstleistungsentwicklung und der Transition zu einer serviceorientierten Organisationsstruktur. Dazu gehören u. a. die Bereitstellung erster finanzieller und personeller Ressourcen für die Dienstleistungsentwicklung oder die Überlegung, separate Energiedienstleistungsbereiche im Unternehmen zu implementieren. Der Großteil der Dienstleistungsentwicklung wird jedoch noch durch externe Dienstleister oder Kooperationen durchgeführt, um größere finanzielle und personelle Belastungen zu vermeiden. Der Marketing-Leiter eines Stadtwerkes erläutert dazu: „Insgesamt ist unsere Serviceentwicklung ein Second-best Ansatz, nicht wirklich ein Innova- Abb. 1 Dienstleistungsanteil am Gesamtumsatz tionsansatz, aber für uns eine Übung. Bevor wir jetzt drei Jahre mit systemischen Schwierigkeiten und Investitionsstau zu kämpfen haben, machen wir es jetzt erstmal mit Whitelabel-Produkten.“ Das dritte identifizierte Aktivitätsmuster beschreibt sehr fortgeschrittene Handlungen im Innovationsmanagement der befragten Stadtwerke. Dabei ist die Innovationsstrategie häufig in die Unternehmensstrategie eingebettet, die auch explorative, zum Teil radikalere Innovationen verspricht. Das klassische Commodity-Geschäft nimmt relativ zum Dienstleistungsgeschäft einen zunehmend schwächeren Teil der Wertschöpfung ein, da Dienstleistungen als entscheidendes Kriterium für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens angesehen und sehr umfassend definiert werden. Ein Geschäftsführer meint dazu: „Service ist alles, was aus dem Thema Telekommunikation erwächst, alles was aus dem Thema Haus, Wohnen und Leben erwächst. Da meine ich auch wirklich alles. Alles, was aus dem Thema Managementdienste für die Mobilität erwächst und alles, was in Zukunft mit Gestalten und Arbeiten Zuhause erwächst. Alles, was mit dem zusammenhängt, was die Lebenserhaltungskosten betrifft. Das ist unser Geschäftsfeld.“ Innovationsbarrieren in der Dienstleistungsentwicklung Die Ergebnisse der empirischen Studie zeigen, dass Innovationsbarrieren bei der Entwicklung von Dienstleistungen in stra- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 tegiebezogene, implementierungsbezogene und marktbezogene Kategorien unterteilt werden können. Strategiebezogene Barrieren: Die Fallstudien zeigen, dass nur wenige Stadtwerke gegenwärtig eine klare und transparente Dienstleistungsstrategie formuliert haben. Einige Stadtwerke zweifeln sogar den grundsätzlichen Bedarf an Dienstleistungen an, da das klassische Produktportfolio und die hohe Orientierung an Skaleneffekten durch neue Dienstleistungen konterkariert werden können. Der Vertriebsleiter eines Stadtwerkes kommentiert dazu: „Grundsätzlich muss man auch sagen, wenn ich dem Kunden die Dienstleistung „Energieeffizienz“ verkaufe, reduziert das mein Kerngeschäft, möglichst viel Energie zu verkaufen.“ Ferner zeigen die Ergebnisse, dass Herausforderungen bei der Wahl der richtigen Dienstleistung, des richtigen Timings, aber auch der Wertschöpfungstiefe der Dienstleistungsentwicklung entstehen. Ein Stadtwerke-vertriebsleiter meint dazu: „(…) die Frage nach der richtigen Dienstleistungsstrategie ist ja die entscheidende (…), welche Dienstleistungen sind relevant? Welche Leistungen können wir denn erbringen?“ Implementierungsbezogene Barrieren: Unternehmen, die grundsätzliche Innovationsstrategien in ihrem Unternehmen etabliert haben, sind im weiteren Verlauf der Dienstleistungsimplementierung häufig mit konkreten Umsetzungsbarrieren kon15 Geschäftsmodelle frontiert. Eine der wichtigsten internen Barrieren ist die kulturelle Transformation hin zu einem Dienstleistungsanbieter. Mögliche Widerstände bei der Implementierung von neuen Dienstleistungen betreffen häufig die Angst vor Überlastung, stärkerem Leistungsdruck oder die Entwertung der eigenen Qualifikation. Ebenso fehlen Stadtwerken häufig die personellen und finanziellen Ressourcen, um über das Tagesgeschäft hinaus Innovationen zu entwickeln. Viele Stadtwerke sehen sich zudem mit dem Problem konfrontiert, dass vor allem für die Entwicklung komplexer und professionell zu erbringender Dienstleistungen geeignete Vorgehensweisen, Methoden und Instrumente für die ServiceEntwicklung fehlen. Ein Innovationsmanager kommentiert: „Das ist natürlich sehr schwer, in einer sehr konservativen, sehr auf Bewahren und Sicherheit bedachten Kultur gelernte Denkansätze umzuformen. Solange die Messsysteme und das Controlling allgemein nicht auf moderne Methoden wie Prozessbetrachtung oder Life Cycle Costing ausgelegt werden, sind Dienstleistungen einfach mit den normalen Systemen nicht zu erfassen.“ Marktbezogene Barrieren: Neben den fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen und dem häufig zu strikten Regulierungsrahmen ist insbesondere auch eine mangelnde Dienstleistungsakzeptanz bei den Letztverbrauchern zu erkennen. Ein Produktmanager erläutert: „Wir machen alles sofort (…). Es gibt da keine Hemmschuhe, was Ressourcen angeht oder Ähnliches. Das Problem ist der Kunde.“ Ebenso werden die Suche nach geeigneten Kooperationspartnern und die konkrete Umsetzung der Kooperation durch die steigende Wettbewerbsintensität zwischen Stadtwerken als problematisch angesehen. „Kooperationen sind sehr schwierig. Kooperationen gehen nur solange gut, bis man an den Punkt kommt, das einer Aufgaben abgeben soll, die der andere dann erfüllt und Geld verdient. Daran scheitern dann Kooperationen, weil letztlich alle verdienen wollen, aber keiner Aufgaben abgeben will.“ Handlungsmaßnahmen anhand des Innovation Excellence Model ableitbar In einem dynamischen wirtschaftlichen Umfeld wie der Energiewirtschaft ist die Relevanz eines systematischen Innovationsmanagements unbestritten. Betriebliches Innovationsmanagement zielt auf die Wertsteigerung eines Unternehmens und sorgt für ein umfassendes Prozessverständnis der einzelnen Phasen des Innovationsprozesses und legt Informationen über darin enthaltene Methoden, Potenziale und Schwierigkeiten offen. Eine gute Grundlage für die Etablierung des Innovationsmanagements im Unternehmen bildet das Innovation Excellence Model (siehe Abb. 2), welches die wesentlichen Bereiche des Innovationsmanagements, die Innovationsleistung, das Innovationssystem und den Innovationsprozess integriert. Während das Innovationssystem die kulturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen zur Umsetzung von Innovationsstrategien adressiert, kann der Innovationsprozess in die Phasen Initiierung, Entwicklung und Markteinführung gegliedert werden. Initiierung und Bewertung von Innovationen Abb. 2 Innovation Excellence Model 16 Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass häufig eine Vielzahl von Ideen für neue Dienstleistungsangebote bei Stadtwerken existiert. Damit einher geht jedoch auch die Anforderung an eine transparente Bewer- tung vieler unterschiedlicher Dienstleistungen. Innovationsstrategien erfordern daher häufig eine Abwägung, sich einerseits auf das operative Tagesgeschäft zu fokussieren und andererseits die Weichen für strategische und explorative Innovationsprojekte zu stellen. In der Innovationsforschung wird hier von Ambidextrie gesprochen, möglichst „beidhändig“ inkrementelle Verbesserungen und hochgradige Innovationsprojekte im Ausgleich zu halten [4]. Dies gilt insbesondere in der Energiewirtschaft, in der Stadtwerke und Energieversorger sowohl ihr klassisches Commodity-Geschäft aufrecht erhalten müssen, auf der anderen Seite jedoch neue Geschäftsmodelle flexible und agile Unternehmensstrukturen erfordern, um neue Dienstleistungen zu entwickeln. Dafür bedarf es Innovationsstrategien, die konsequent auf widersprüchliche Aktivitätsmuster in der Energieversorgungsbranche eingehen. Die Ergebnisse aus den Fallstudien legen offen, dass viele Bewertungskriterien größtenteils ökonomischer und kurzfristiger Natur sind. Die Motive und Vorteile einer steigenden Serviceentwicklung können jedoch ebenfalls durch strategische Motive begründet sein [5, 6]. So bietet Amazon durch den Dienst „Amazon Prime“ ein Angebot von zusätzlichen Diensten und Produkten zum ursprünglichen Produkt an, mit dem Ziel ein eigenes Ökosystem zu etablieren, in dem sich die Kunden wohlfühlen. Ebenso können Stadtwerke von den gesellschaftlich Veränderungen der Wertvorstellungen von Eigentum und Nutzung wie z. B. beim Carsharing, profitieren. Vielfach werden innovative Ideen dabei häufig nicht in der eigenen Branche generiert, sondern entstehen aus der Interaktion von unterschiedlichen Fachgebieten [7]. Unternehmen aus Branchen wie Telekommunikation, Energiemanagement, IT, Abrechnung oder Facility Management spielen eine bedeutsame Rolle als Zulieferer und Wertschöpfungspartner in den entstehenden Geschäftsmodellen der Energiewirtschaft. Stadtwerke sind jedoch nicht nur Zulieferer innerhalb von „outside-in“-Cross-Industry- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Geschäftsmodelle Innovationen, sondern bieten zusätzlich zu Branchen wie dem Gesundheitswesen Potenziale zur Multiplikation der eigenen Kernkompetenzen und damit zur Refinanzierung der zu installierenden Infrastruktur. Derartige „inside-out“-Cross-IndustryInnovationen ermöglichen es, z. B. im Feld des Ambient Assisted Living, auf zunehmend genau erhobene Verbrauchsdaten von Strom, Wasser und Wärme zurückzugreifen und damit die Effizienz und Effektivität von Pflegedienstleistungen zu steigern. Die Stadtwerke Quickborn machen erste vorsichtige Schritte in diesem Feld und haben ihr Angebot um ein Hausnotrufsystem erweitert. Zusammen mit der MEBO Sicherheit GmbH und ihrer Stadtwerke Tochter tel.quick bieten die Stadtwerke ein Sicherheitssystem für ältere Menschen, Singles und Familien mit Kindern an, um im Notfall sofortige Hilfe gewährleisten zu können [8]. Letztendlich führen diese Entwicklungen zu umfangreichen Konvergenzen von ehemals getrennten Märkten. Sie bieten aber auch vielfältige Chancen, die es ermöglichen, durch marktübergreifende Lernprozesse Produkt- und Prozessinnovationen zu initiieren. Allerding zeigt eine Studie der Technischen Universität Berlin, dass das Potenzial derartiger Innovationen bisher kaum von Energieversorgern genutzt wird [9]. Entwicklung und Markteinführung von Innovationen Nach der Beschreibung der Anforderungen an die Dienstleistung bedarf es der Erstellung einer Dienstleistungskonzeption. Diese beinhaltet ein Produktmodell (Was wird gemacht?), eine Prozessdimension (Wie wird eine Dienstleistung erbracht?), eine Potenzialdimension (Was muss bereitgestellt werden?) und eine Marktdimension (Wie wird nicht am Markt vorbei entwickelt?). Um die Prozesse zu modellieren, hat sich der ursprünglich aus den Ingenieurwissenschaften entwickelte Ansatz des Service Engineering für Dienstleistungen etabliert [10]. Dabei werden Methoden, Instrumente und Werkzeuge aus der Produkt- und Softwareentwicklung (z. B. Service Blueprinting, Fehlermöglichkeitseinflussanalysen) übertragen, um eine systematische Entwicklung von Dienstleistungen zu gewährleisten und Fehler zu vermeiden. Daher sollten auch mittelständische Stadtwerke überlegen, welche Innovationsprozesse effizient selbst gestaltet und welche ausgelagert werden können. Am Beispiel Energieeffizienz zeigt sich, dass viele Energieversorger und Stadtwerke schon heute im Geschäftsfeld Energieeffizienz aktiv sind. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, diesen großen Markt als Geschäftsmodell der Zukunft für Stadtwerke und Energieversorger zu etablieren. Dabei wurde bereits für den EnergieeffizienzMarkt festgestellt, dass es keinen wirklichen Mangel an technisch reifen Erfindungen gibt, sondern die Herausforderung eher in einer wirkungsvollen Umsetzung oder Kommerzialisierung der entwickelten Produkte und Dienstleistungen liegt [11, 12]. Die geringen Dienstleistungsumsätze der untersuchten Stadtwerke spiegeln dies wider. Stadtwerken mangelt es bei vielen Dienstleistungen an der Akzeptanz und somit an zahlungswilligen Kunden. Vor dem eigentlichen Roll-Out empfiehlt es sich daher, umfangreiche Testmaßnahmen durchzuführen. Dazu bedarf es neben unternehmensinternen Akzeptanztests auch externe Benutzertests, wie die neue Dienstleistung von den Kunden angenommen wird und ob Anpassungsmaßnahmen vorgenommen werden sollten. Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass diese Herausforderungen über die Akzeptanz der Endverbrauer hinausgehen. Häufig finden sich Stadtwerke dabei in komplexen Ökosystemen wieder, wie z. B. im Falle der energetischen Quartierssanierung. Sanierungsmanagement, Stadtwerke, Kommune, Wohnungswirtschaft und Dienstleister sind in diesem Fall Akteure mit unter- Thomas Kästner & Henning Rentz (Hg.) HANDBUCH ENERGIEWENDE Deutschlands Energiewende gilt als Problemkind. Die Zahl der Kritiker wächst. Management und Zielerreichung erhalten schlechte Noten. Industrie, Gewerbe und Bürger sind verunsichert. Entsprechend groß sind die Erwartungen an die Bundesregierung. Lösungsvorschläge für Wege aus dem Dilemma stehen im Focus des aktuellen „Handbuch Energiewende“. Über 100 Akteure und Entscheidungsträger aus Energiewirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft analysieren und bewerten in ihren Artikeln Deutschlands Energiewende. Das „Handbuch Energiewende“ erscheint Ende November 2013. Sichern Sie sich Ihr Exemplar! ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 ISBN 978-3-942370-40-0•940 Seiten•Preis: 86,- € Bestellanschrift: Bitte liefern Sie Exemplare Handbuch Energiewende je 86,- € (+ Porto) У ISBN 978-3-942370-40-0 Per Fax oder Post an: EW Medien und Kongresse GmbH Postfach 18 53 54 • D - 45203 Essen Tel.: 0 20 54/95 32-10 • Fax: 0 20 54/95 32-60 Die Bestellung richten Sie bitte an Frau Holz: [email protected] 17 Geschäftsmodelle schiedlichen Interessen und Rollenkonstellationen, die nicht selten mit erheblichen psychischen, sozialen, räumlichen und sprachliche Distanzen verbunden sind und branchenübergreifende Kooperationen und Netzwerke be- oder sogar verhindern. Um innovative Energiedienstleistungen erfolgreich im Markt zu implementieren, bedarf es Verständnis über diese Business Ökosysteme und eine enge Verknüpfung des Innovations- mit dem Netzwerkmanagement. Die Komfortzone schrumpft Die Analyse der Dienstleistungsentwicklung von Stadtwerken zeigt eine große Diskrepanz von Strategien und Innovationsbarrieren bei den untersuchten Unternehmen. Ausgehend von einer vielversprechenden Ausgangslage nach der Öffnung der Märkte Ende der 90er Jahre ist die Innovationsaktivität von Stadtwerken hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Stadtwerken kam bisher zugute, dass Wettbewerber aus anderen Branchen aufgrund eigener Kundennähe, kommunaler Anbindung und Regionalität noch zurückgehalten werden konnten. Stagnierende, teilweise sogar fallende Wechselquoten, niedrige Beschaffungspreise für Gas und Strom sowie eine geringe Akzeptanz vermeintlich innovativer Services bilden gegenwärtig noch gute Argumentationsketten für viele Stadtwerke, die Priorität auf das aktuelle Tagesgeschäft und weniger auf die Entwicklung neuer Dienstleistungen zu legen. [4] O’Reilly III, C. A.; Tushman, M. L.: Ambidexterity as a dynamic capability: Resolving the innovator’s dilemma. Research in Organizational Behavior, 2008, 28, S. 185–206. [5] Neely, A.: Exploring the financial consequences of Eine aktuelle Studie des Instituts für den öffentlichen Sektor zeigt jedoch, dass diese Wohlfühlposition zunehmend ins Wanken gerät und innovative Lösungen erforderlich werden, um Verluste aus dem Kerngeschäft zu kompensieren. In 23 von 93 Städten mit mehr als 80.000 Einwohnern droht den dem örtlichen Stadtwerk eine ähnliche Situation wie in Gera, da neben einer angespannten Haushaltslage der Stadtwerke auch die Kommunen hoch verschuldet sind [12]. the servitization manufacturing. Operations Management Research, 2008, 1 (2), S. 103–118. [6] Oliva, R.; Kallenberg, R.: Managing the transition from products to services. International Journal of Service Industry Management, 2003, 14 (2), S. 160-172. [7] Stadtwerke Quickborn: Neues tel.quick-Produkt Hausnotruf. Abrufbar unter: http://www.telquick.de/ [8] Engelke, M.; Graebig, R.: Der Status Quo innovativer Geschäftsmodelle bei Energieversorgern.In „et“ 63. Jg. (2013) Heft 11, S. 71-73. [9] Leimeister, J. M.: Dienstleistungsengineering und -management. Heidelberg 2012. Anmerkungen [10] Agora Energiewende: Energieeffizienz als Geschaeftsmodell. Berlin 2014. [1] Stadtwerke Osnabrück: stadtteilauto Osnabrück. [11] Dena: Steigerung der Energieeffizienz mit Hilfe von Abrufbar unter: https://www.stadtwerke-osnabrueck. Energieeffizienz-Verpflichtungssystemen, Berlin 2013. de/privatkunden/mobilitaet/carsharing-osnabrueck/ [12] Holler, F.; Schuster, F.; Hamdan, J.: Der „Konzern stadtteilauto.html Kommune“ in der Krise? Berlin 2016. [2] Hamburger Abendblatt: Wilhelm.tel – der „Sohn der Stadtwerke“ wird zehn. Abrufbar unter: http://www. abendblatt.de/region/norderstedt/article107559792/ Wilhelm-tel-der-Sohn-der-Stadtwerke-wird-zehn.html, zuletzt geprüft am 29.2.2016. [3] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post, Eisenbahnen und Bundeskartellamt: Monitoringbericht 2015, Bonn. H. Lütjen, (MSC), wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand, Prof. Dr. C. Schultz, Institut für Innovationsforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel [email protected] [email protected] Innovationsmanagement-Benchmarking „innovate! new“ Um die in diesen Beitrag skizzierte Innovationskraft zu erlangen, bedarf es sowohl für die Organisation, aber auch für die Mitarbeiter Zeit. Gerade in einer stark historisch geprägten Unternehmenskultur, die auf Daseinsfürsorge ausgerichtet ist, ist diese Zeit wesentlich, um notwendige Strukturen und Innovationsprozesse aufzubauen, Diskussionsprozesse anzuregen sowie die Mitarbeiter in den Unternehmen für die anstehenden Veränderungen zu sensibilisieren. Viele mittelständische Stadtwerke und Energieversorger stehen dabei erst am Anfang in der Entwicklung eines systematischen Innovationsprozesses. Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Innovationsforschung an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel gemeinsam mit der Danish Technical University (DTU), der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt sowie der gemeinnützigen Plattform für Innovationsmanagement ein europaweites Projekt initiiert, das Stadtwerke und deren Mitarbeiter für Themen des Innovationsmanagements sensibilisiert. Auf der Basis einer systematischen Bewertung der eigenen Innovationsfähigkeit werden Handlungsmaßnahmen für anwendungsorientierte Innovationsprozesse in Stadtwerken abgeleitet. Stadtwerken wird in dem europaweiten Benchmarking innovate! new die Möglichkeit gegeben, sich zum einen mit anderen Stadtwerken in ihrer Innovationsleistung zu messen, zum anderen aber auch die Chance eröffnet, durch den Vergleich mit den innovationsstärksten Unternehmen aus anderen Branchen zu „lernen“ und Innovationsprozesse zu adaptieren. Die Themen reichen dabei von der Förderung einer Innovationskultur, der Implementierung von Innovationsstrategien bis hin zu Erfolgsfaktoren von Kooperationen, Netzwerken, Dienstleistungen und Big-Data. Insbesondere auch kleinere Energieversorgungsunternehmen mit Interesse an der Steigerung der Innovationsleistung können bis zum 30.4.2016 teilnehmen. Weitere Informationen: https://www.techman.uni-kiel.de/de/innovate 18 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 $JLOLWlWVLFKHUW GHQ(UIROJ 'LH&KDQFHQGHVVLFKZDQGHOQGHQ (QHUJLHV\VWHPVJH]LHOWQXW]HQ (0&*$ )UGLH6LFKHUXQJHLQHU]XYHUOlVVLJHQHIIL]LHQWHQXQGQDFKKDOWL JHQ6WURPYHUVRUJXQJZLUGHVLPPHUZLFKWLJHUDXIQHXHWHFK QLVFKH$QIRUGHUXQJHQXQG0DUNWWUHQGVIUK]HLWLJ]XUHDJLHUHQ 'HU6FKOVVHO]XP(UIROJZLUGGDEHL$JLOLWlWVHLQGLH)lKLJNHLW GDQNXPIDVVHQGHU$XWRPDWLVLHUXQJXQG'LJLWDOLVLHUXQJ*HVFKlIWV SUR]HVVHXQG5HVVRXUFHQIOH[LEHOGXUFKJlQJLJXQGUHDNWLRQV VFKQHOO]XKDQGKDEHQ 6LHPHQVELHWHW3URGXNWH/|VXQJHQXQG'LHQVWOHLVWXQJHQDXV HLQHU+DQGGLHGLHVH$JLOLWlWP|JOLFKPDFKHQ6RZLUGGHU:DQ GHOGHV(QHUJLHV\VWHPVIU1HW]EHWUHLEHUXQG(QHUJLHYHUVRUJHU ]XUHFKWHQ&KDQFHGLHYRQGHU/HLWVWHOOHEHUGDV1HW]ELV]XP 9HUEUDXFKHUQHXH0|JOLFKNHLWHQIUQDFKKDOWLJHQ(UIROJHU|IIQHW VLHPHQVFRPDJLOLW\LQHQHUJ\ Geschäftsmodelle Vom Versorger zum Dienstleister – Digitale Geschäftsmodelle brauchen smarte Prozesse Marie-Luise Wolff-Hertwig Die Energiebranche steht vor vielen Herausforderungen, die die Unternehmen in eine eher defensive Rolle drängen: regulatorische Veränderungen, Anreizregulierung oder Kostenmanagement. Sie müssen sich zudem dem neuen Trend der Digitalisierung stellen, der ihnen viele aktive Kompetenzen abverlangt. Konkret geht es um die Frage, wie sie neue, smarte Geschäftsmodelle für die entstehende Marktstruktur entwickeln können. Man kann festhalten, dass noch niemand den sprichwörtlichen „Goldesel“ entdeckt hat. Im Gegenteil, niemand weiß wirklich, wo die Erlösquellen liegen, wenn es überhaupt welche gibt, die den Unternehmen der Energiebranche bei der Marktentwicklung helfen können. Und niemand weiß, mit welchen Wettbewerbern es die Energiebranche in ein paar Jahren zu tun haben wird. Umso wichtiger ist es deshalb, frühzeitig die Kompetenzen zu entwickeln, die notwendig sind, um im sich wandelnden Markt zu bestehen. Klar ist, dass wir uns in den neuen Geschäftsfeldern zu einem viel, viel schnelleren Takt bewegen müssen als bisher. Die Energiebranche ist in ihren Investitionen Planungszeiträume von mehreren Jahrzehnten gewohnt. Jetzt wird sie Teil der digitalen Welt – und da spielt die Musik viel schneller. Nur ein Beispiel: Facebook macht die Regel-Releases seiner Apps im Rhythmus von zwei Wochen! Dass der Megatrend Digitalisierung die Energieunternehmen in einem Moment trifft, in dem viele durch die Folgen einer nicht optimal organisierten Energiewende ohnehin finanziell unter Druck stehen, trägt zur Entspannung nicht gerade bei. Daraus ergibt sich die zentrale Frage: Wie wollen wir mit dieser Ausgangssituation nun umgehen? Oder anders: wie wollen wir SMART damit umgehen? Ich interpretiere „Smartness“ als „Chancenintelligenz“. Als Intelligenz, Chancen zu sehen und zu nutzen. Und als Kompetenz, auf Trends schnell und angemessen reagieren zu können. Smartness entwickelt man meiner Meinung nach nicht im puren Nachdenken über Chancen oder gar über Probleme — sondern indem man etwas macht. Oder genauer gesagt: im gleichzeitigen Machen, Hinschauen, Analysieren, Dazulernen und dann besser Machen. Man kann in fünf Thesen fassen, was wir bei ENTEGA in der genannten Situation als „smartes Vorgehen“ verstehen: Es gibt hier keine Gewichtung in der Reihenfolge: Alle Kompetenzen müssen schrittweise, aber gleichzeitig aufgebaut werden. 20 Wir sind dabei, eine ganz neue Qualität von Kundenverständnis zu entwickeln Bei den Beziehungen zu den Kunden wissen wir eines sicher: Wenn wir die Kunden nicht für unsere Angebote interessieren können, dann werden wir garantiert nicht erfolgreich sein. Ich finde die Aussage völlig unzeitgemäß, dass sich unsere Kunden von Abnehmern zu mündigen Kunden entwickeln würden. Der Markt ist hier schon viele Schritte weiter. Gerade durch die Digitalisierung hat der König Kunde viele Wege des Regierens dazu bekommen. Manche Kunden informieren sich ausführlich, z. B. in Foren, und wollen mit ihren Dienstleistern „auf Augenhöhe“ kommunizieren und diskutieren. Das ist sehr anstrengend für Unternehmen, aber wenn sie nicht darauf eingehen, haben sie verloren. Einige von diesen „Augenhöhe-Kunden“ werden mit der Zeit nämlich zu wichtigen Beeinflussern für die nachfolgenden Kunden. Heutzutage haben Unternehmen nur noch einen Moment, um die Aufmerksamkeit der Kunden auf sich zu ziehen. Genau dieser Moment entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Der Verbraucher tickt in der Regel ganz einfach: Er sucht relevante Informationen, trifft eine Kaufentscheidung und wendet sich dann anderen Dingen zu. Alles was zu lange dauert, hat keine Chance, langfristig erfolgreich zu sein. Für uns als Anbieter digitaler Dienste heißt das: Wir müssen unsere Kunden sehr viel besser verstehen, als wir das momentan noch tun und wir müssen sie kontinuierlich in die Entwicklung von neuen Produkten einbeziehen. Denn eine App, die dem Kunden keinen Nutzen bringt oder zu kompliziert ist, wird wieder gelöscht. Diese Qualität von Kunden-Verständnis bekommen wir nicht mehr über klassische Marktforschung oder Kunden-Beiräte. Wir müssen versuchen, die Welt ganz aus den Augen des Kunden zu sehen: Was ist genau das Bedürfnis, das ein Kunde hat? In welcher Situation beschäftigt er sich mit unserem Produkt: samstagnachmittags entspannt auf dem Sofa oder montagsmorgens gehetzt in der Straßenbahn? Wie viel Zeit nimmt er sich? Wofür interessiert er sich? Wo informiert er sich? Und falls er sich gegen unser Angebot entscheidet: Warum genau hat er diese Entscheidung getroffen? Wir müssen Big DataKompetenzen entwickeln Wir müssen relevante Dienste für Kunden entwickeln. Aber wie finden wir heraus, welchen Kunden wir wann womit unterstützen können? Eine Quelle, Kunden besser zu verstehen, ist natürlich die Kommunikation über Web-Dienste. Hier gibt es inzwischen viele Möglichkeiten, Kundeninteressen besser zu verstehen, Profile aufzubauen und zu pflegen. Aber Computer und Smartphones bleiben nicht die einzigen Informationsquellen. Durch Innovationen im Bereich „Connected Home“ werden viele andere internetfähige Devices dazukommen, die Daten liefern und aus denen sich Dienste ableiten lassen könnten. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Geschäftsmodelle Ein ganz einfaches Szenario: die Steuerung einer Klimaanlage kann im ersten Schritt durch Wetterdaten wie Temperatur und Lichteinstrahlung optimiert werden. Vielleicht nimmt man sogar eine Prognose hinzu, um Wetterschwankungen in der Steuerung vorauszunehmen. Als nächstes können Anwesenheitsdaten hinzukommen. Ist jemand zuhause? Wer? Der Mann? Die Frau? Die Kinder? Und welche Temperatur ist die jeweils gewünschte? Oder ist jemand gerade auf dem Weg nach Hause? Vielleicht hat dieser Kunde auch eine PV-Anlage und möchte mit dem selbst produzierten Strom kühlen? Das bringt Erzeugungsdaten ins Spiel. Vielleicht auch Netzdaten, denn wir wollen ja unser Verteilnetz optimal fahren. Das „Internet of Things“ wird unzählige Datenquellen bereitstellen. Und die Energieunternehmen müssen nach und nach he- rausfinden, welche davon Relevanz für die Entwicklung von Produkten haben werden. Sie müssen verstehen, welche Daten sie haben und sie müssen Strategien entwickeln, welche Daten sie noch haben wollen und wie sie diese erheben können. Wir bauen agile Fähigkeiten auf! Wir müssen die neuen Dienstleistungen in schnelle Entwicklungszyklen bringen und Kunden in den Entwicklungsprozess einbeziehen. „Build it and they will come“: Dieser Satz stimmte für die Produktentwicklung der 80er und 90er Jahre, jetzt aber nicht mehr. Wir bei ENTEGA haben festgestellt, dass wir neue, digitale Produkte nicht in der Prozesslandschaft der etablierten Produkte und Tarife entwickeln können. Bei den neuen Produkten für die digitale Welt geht es darum, 20160726_OGE_1-2_Anzeige_et_180 x118_RZ_pfad.indd 1 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN ONLINE SOMMER-SPECIAL 2016 Dazuzulernen und darum, etwas schnell anzupassen. Werden Kunden so etwas überhaupt von uns kaufen? Wo und wie müssen wir sie dafür ansprechen? Was müssen wir dazulernen, um diese Produkte anbieten zu können? Wie testen wir etwas am Markt – ohne teure (und langwierige) Anpassungen am SAP-System machen zu müssen? Wie können wir diesen Prozess überhaupt kosteneffizient aufstellen? Anfang letzten Jahres haben wir deshalb entschieden, dass bei ENTEGA Neuprodukte organisatorisch ganz anders behandelt werden. Intern nennen wir diese Prozesslandschaft „Fahrradspur“ — wir sehen Teams, die an Neuprodukten arbeiten, sozusagen wie Fahrradkuriere: Sie müssen ordentlich strampeln, damit sie rechtzeitig abliefern. Aber wenn mal irgendwo Stau ist, dann dürfen sie auch rechts vorbeiziehen. 26.07.2016 21:13:51 21 Geschäftsmodelle Wir müssen eine „konstruktive Koexistenz“ von Alt und Neu etablieren Wir sehen in der Energiewende zur Genüge, dass Alt und Neu in sinnvolle Harmonie gebracht werden müssen. Und wie wichtig es ist, die Interessen zu balancieren, um eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Linie zu finden und zu halten. Wie stellen wir etablierte und neue Strukturen nebeneinander? Wie setzen wir Ressourcen unternehmerisch sinnvoll ein, und wie managen wir die unvermeidlichen Prioritäten- und auch Anerkennungskonflikte? Das Neugeschäft braucht sicherlich Freiräume, um sich entwickeln zu können. Manchmal braucht es sogar einen „Einspeisevorrang“- nämlich für die Möglichkeit, Ideen umzusetzen, selbst wenn sie noch kein Volumen tragen können. Auch muss nicht das Rad jedes Mal neu erfunden werden. Wir brauchen zwar viel mehr Flexibilität bei den Abrechnungsoptionen für die Neuprodukte, aber wir brauchen sicher keinen zweiten Inkasso-Prozess! Und wenn wir weiter denken: Das Ganze ist auch ein Thema der Unternehmenskultur – und natürlich damit auch der Fehlerkultur. Mit anderen Worten: Wie statten wir Mitarbeiter mit „Digital Skills“ aus? Wie sorgen wir dafür, dass immer mehr Entscheidungsräume entstehen — und dass diese Räume möglichst agil genutzt werden? Wir müssen nach und nach die Kompetenzen aller unserer Mitarbeiter entwickeln und unsere Kultur in Richtung Flexibilität und Selbstverantwortung verändern. Wir wollen weg von den Top-Down-Entscheidungsstrukturen und hin zu „Empowerment“, zu aktiver Innovation und Eigenverantwortung auf allen Ebenen des Konzerns. Wir sind der Meinung, dass wir in der digitalen Zukunft nur erfolgreich sein werden, wenn die notwendigen Veränderungen auf allen Ebenen gelebt und mitgetragen werden. Wir müssen uns auf Disruption vorbereiten und selbst „innovativ zerstören“! Wir haben vor fünf Jahren angefangen, unsere Kunden intensiv zum Thema Energieeffizienz und Energiesparen zu beraten. Das ist ein Geschäft, das sich gut entwickelt hat, denn viele Kunden haben das Angebot interessiert angenommen, da sie alles, was sie brauchen, aus einer Hand bekommen. Trotzdem wird immer noch die Frage gestellt: Kann man euch als Energieversorger eigentlich trauen, wenn ihr Energieeffizienz anbietet? Geht das nicht gegen euer eigentliches Geschäftsinteresse, den Kunden möglichst viel Energie zu verkaufen? So denkt ENTEGA nicht! Erstens stehen viele unserer Geschäftskunden im internationalen Wettbewerb, der bei deutlich niedrigeren Energiepreisen pro- duzieren kann. Wenn wir morgen also noch Kunden haben wollen, dann brauchen wir erfolgreiche Kunden. Zweitens ist aber doch klar – und da komme ich auf den Punkt der innovativen Zerstörung –, wenn wir unsere Kunden bei diesen Denkprozessen nicht begleiten, dann werden es andere tun. Dann machen das Energieberater, und wir haben die Schnittstelle zu unseren Kunden verloren. Digitalisierung treibt auch die Vernetzung, die „Sharing Economy“, und das treibt neue Geschäftsmodelle ohne Infrastruktur. Airbnb ist heute der weltweit größte Anbieter von Übernachtungen, ohne ein einziges Bett zu besitzen. Facebook ist heute der größte Anbieter von „Content“, ohne einen einzigen Reporter zu beschäftigen. Wann kommt also der weltweit größte Anbieter von Energie, der keine einzige Erzeugungsanlage besitzt? Das Fazit lautet: „Smartness“ ist für uns immer wieder die Frage, wie wir mit Chancen umgehen. Ob wir nun Kundennähe aufbauen, Datenstrukturen entwickeln, die Organisation agil aufstellen oder gute Kooperationen gestalten: „Smartness“, das ist der Weg, „Chancenintelligenz“ in die Organisation zu bringen. Das ist auch ein Lernprozess, in dem der Aufbau von Kompetenzen eine wichtige „Währung“ ist. Dr. M.-L. Wolff-Hertwig, Vorsitzende des Vorstandes, ENTEGA AG, Darmstadt [email protected] IMPRESSUM Herausgeber Dipl.-Betriebsw., Dipl.-Kaufm. Martin Czakainski (verantwortlich) E-Mail: [email protected] Chefredakteur Franz Lamprecht, M. A. E-Mail: [email protected] Redakteur Jörg Siefke-Bremkens, M. A. E-Mail: [email protected] Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Berlin Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Prof. Dr. Andreas Löschel, Münster Prof. Dr. Wolfgang Löwer, Bonn Prof. Dr. Albert Moser, Aachen Prof. Dr. Ulrich Wagner, Köln Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker, Bonn 22 „et“-Redaktion Montebruchstr. 20, D-45219 Essen Telefon: (0 20 54) 95 32-11 Telefax: (0 20 54) 95 32-60 E-Mail: [email protected] Internet: www.et-energie-online.de Layout, Satz, Druckvorstufe E-Mail: [email protected] Montebruchstr. 20, D-45219 Essen Verlag EW Medien und Kongresse GmbH Kleyerstraße 88 60326 Frankfurt am Main Anzeigenverkauf und Verlagsvertretung Monika Kusche, Im Lingesfeld 42, 47877 Willich Telefon (0 21 54) 42 90 51 Telefax (0 21 54) 4 17 05 Mit Namen oder Initialen gezeichnete Beiträge Dritter stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar.Mit der Annahme eines Manuskripts gehen sämtliche Verlagsrechte auf den Verlag über. 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