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Dekontextualisierung
Die Konstante inmitten des Wandels
Wolfgang Pfeifenberger
31. Juli 2016
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1 Das Kernproblem . . . . . . . . . . . . . . .
2 Der Kernbegriff . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Nah und fern . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Objekt oder Nichtobjekt... . . . . . . . .
2.3 Die Supernova kommt zum Schluss . . .
2.4 Was macht Nahbeziehungen besonders?
2.5 Sprache und Schrift schaffen Distanz . .
2.6 Entkoppelungen . . . . . . . . . . . . .
3 Bakterien überwinden Zeit und Raum . . . .
3.1 Zeitlich dekontextualisiert . . . . . . . .
3.2 Räumlich dekontextualisiert . . . . . . .
3.3 Fernsinne ermöglichen Vorausschau . .
4 Alles schön der Reihe nach . . . . . . . . . .
4.1 Wirkungszuwachs . . . . . . . . . . . .
5 Medien, Medien, Medien . . . . . . . . . .
6 DNS und Hautgrenze . . . . . . . . . . . . .
6.1 Makroskopisch aus mikroskopisch . . . .
6.2 Die Grenze der Haut, die hartnäckigste
Nahraumfalle . . . . . . . . . . . . . . .
6.3 Brutpflege und Eusozialität, die ersten
Sprengungsversuche . . . . . . . . . . .
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2 Der Kernbegriff
1 Das Kernproblem
Die Wissenschaft Biologie hat bis auf den heutigen Tag
ihre wichtigste Aufgabe nicht angegangen, die darin
besteht, zu klären, wie aus einfachsten molekularen
Strukturen hochgradig komplexe Systeme wie etwa
die heutigen Industriegesellschaften mit ihren hochentwickelten Technologien entstehen konnten. Dieser
Mangel drückt sich unmittelbar in der Art und Weise
aus, in der „Leben“ bis heute definiert wird. In Wikipedia finden wir dazu dieses Stückwerk: [cit14]
2 Der Kernbegriff
2.1 Nah und fern
„Musik ist dämonisches Gebiet“
(Thomas Mann)
Begriffsdefinition ist wie die Musik dämonisches Gebiet. Man nehme einen bereits existierenden und eng
eingegrenzten Begriff, wie ”Dekontextualisierung”, der
aus der Didaktik stammt und verpflanze ihn aus seinem
allzu engen Bezugsrahmen in ein erweitertes Umfeld.
In diesem Moment ereignen sich erstaunliche Dinge.
Lebewesen
Wie ein aus seiner Flasche befreiter Geist erwacht ein
• sind von ihrer Umwelt abgegrenzte Stoffsysteme bereits erstarrter Begriff zu neuem Leben und beginnt
• haben Stoff- und Energiewechsel und sind damit ähnlich einer Nervenzelle Verästelungen in alle möglichen Richtungen auszutreiben und eröffnet auf diese
in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt
Weise faszinierende Einblicke in bis dahin verschlosse• organisieren und regulieren sich selbst (Homöo- ne Welten.
stase)
Vor jeder Neudefinition kommt jedoch stets eine für
• pflanzen sich fort und sind damit auch zu Wachs- sie grundlegende Entdeckung. Betrachtet man die Enttum und Differenzierung fähig
wicklung des Lebens und der Technologie nur geduldig
Zusammengestückelte Definitionen sind immer und und aus unterschiedlichsten Aspekten und versucht
überall ein zuverlässiger Indikator für einen Erkennt- dann sowohl Gemeinsamkeiten als auch grundlegende
nisstand, bei dem der Wesenskern einer Sache noch Unterschiede aufzuspüren, so kristallisiert sich schließnicht aufgedeckt wurde. Die einzelnen Definitionsteile lich aus all der verwirrenden Vielfalt ein wiederkehstehen zusammenhangslos nebeneinander und noch rendes Muster heraus:
schlimmer: Alle kennzeichnenden Begriffe, wie beispielsweise „Stoffwechsel”sind selbst wiederum außerordentlich erklärungsbedürftig. Man könnte also
mit Goethes Mephisto sagen: „Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, sucht erst den Geist
herauszutreiben, dann hat er die Teile in seiner Hand.
Fehlt, leider! nur das geistige Band.“
Was offensichtlich bis heute übersehen wurde, ist die
eigentlich banale Tatsache, dass Wirkungsradien von
biologischen und technischen Entitäten (Organismen,
Medien, Speichern, digitalen Replikatoren) die Tendenz besitzen, sich im Lauf ihrer Geschichte auszudehnen. Im Gegenzug werden die direkten Abhängigkeiten
von Umgebungsbedingungen geringer.
Unter solchen Umständen kann keine Wissenschaft
das ihr innewohnende Potential vollständig ausschöpfen. Sie bleibt stets auf die Bearbeitung von Teilproblemen beschränkt. Dort hat die Biologie in den letzten
Jahrhunderten zwar unstrittig beachtliche Erfolge erzielt. Die sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die eigentliche Arbeit noch bevorsteht.
Dazu ein Beispiel: Bei der Entstehung vielzelliger Organismen kam es notwendigerweise zu einer Größenzunahme. Die Reichweite der Wirkung des Lebewesens wuchs deshalb deutlich an und das Verhältnis der
Oberfläche zu dem umschlossenen Volumen wurde
kleiner.
Tiere jenseits der Komplexitätsstufe von Schwämmen
Ich werde am Ende des Artikels versuchen eine Defi- entwickelten im Kambrium innerhalb weniger Millionition für Leben zu entwickeln, die das Wesen dieses nen Jahre eine durch Muskeln verursachte und durch
rätselhaften Phänomens griffig zum Ausdruck bringt. Nervensysteme kontrollierte makroskopische BeweWas aber ist zu tun, um zu einer solchen in sich ge- gung. Die Evolutionsstränge von Motorik und Sinnesorganen liefen dabei zwangsläufig parallel. Einzeller
schlossenen Definition zu gelangen?
sind bis auf den heutigen Tag auf einen maximalen Bewegungsradius von wenigen Zentimetern beschränkt,
rechnet man die passiven Bewegungen durch Luftoder Wasserströmungen einmal heraus. Der von Muskeln angetriebene Vielzeller hingegen operiert bereits
im Bereich von wenigen Metern bis mehreren tausend
Kilometern.
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2 Der Kernbegriff
Dekontextualisierung ist die Herauslösung von etwas aus Beziehungen mit einer bestimmten räumlichen und/oder zeitlichen Nähe und dessen Überführung in räumlich und/oder zeitlich entferntere
Beziehungen.
gigkeit einer Photosynthese treibenden Pflanze von
energietragenden Molekülen oder die Unabhängigkeit einer GPS-Navigation von kontextuellen Bezugsgrößen.
Was wir gegenwärtig als technologische Explosion erleben ist nichts anderes als ein fortgesetzter und sich
• Relative Dekontextualisierung vergrößert reselbst steigernder Prozess der Entstehung absoluter
levante Größen graduell
Dekontextualisierungen jenseits der Hautschranke. Es
scheint so zu sein, als vor wenigen Millionen Jahren
• Absolute Dekontextualisierung macht von eimit dem Auftauchen der Hominiden ein Damm gener oder mehr relevanten Größen unabhänbrochen wäre, was dazu geführt hat, dass mehr und
gig oder entsteht, wenn eine Größe ubiquitär
mehr Funktionalität vom menschlichen Körper weg in
oder regelmäßig wiederkehrend ubiqitär ist.
die Peripherie verlagert werden konnte. Es entstand
so eine völlig neue Welt der Technologie, die nicht
Dekontextualisierungen finden dabei in allen nur er- mehr an die beengten Bedingungen eines genetisch
denklichen Bereichen statt. Wichtig in diesem Zusam- determinierten Organismus gebunden war.
menhang ist nur, dass auf der jeweils nächsthöheren
Entwicklungsstufe eine räumliche und/oder zeitliche
2.2 Objekt oder Nichtobjekt...
Distanz größer geworden ist.
Dabei ist Dekontextualisierung beileibe kein trivialer
Vorgang. Der Übergang von einem Niveau zum nächsthöheren kann manchmal Milliarden von Jahren dauern, wie etwa der Übergang vom Bakterium zum komplexen vielzelligen Organismus. Erst wenn bestimmte innere und äußere Voraussetzungen gegeben sind,
kommt es zu einem Sprung in die jeweils nächsthöhere
Dekontextualisierungsebene. Dekontextualisierungen
waren bis zum Zeitpunkt der Herausbildung echter
Objekte durch eine Vielfalt chemischer, physikalischer,
genetischer und verhaltensbedingter Einschränkungen sehr stark gehemmt. Ein gewisses Dekontextualisierungsniveau, bei dem die Außenrenze des Organismus und die Wirkungsgrenze weitgehend identisch
waren, konnte bis in die jüngste Erdgeschichte hinein niemals entscheidend überschritten werden. Alle
Fortschritte spielten sich im Wesentlichen innerhalb
des Organismus ab. Die Verlagerung von Wirksamkeit
auf etwas außerhalb eines tierischen Organismus war
nur in Ansätzen vorhanden. Wie durch eine sonderbare magische Schranke blockiert, konnte diese Eins-zuEins-Beziehung lange nicht aufgelöst werden.
Man kann in der Beschreibung von Dekontextualisierungen noch tiefer gehen, indem man den relativen
Dekontextualisierungen die absoluten gegenüberstellt.
Relativ sind Dekontextualisierungen dann, wenn sie
graduelle Veränderungen, wie etwa Größenwachstum,
Anlegen von mehr Fettdepots oder Verdickung von
Panzerungen beinhalten. Absolut dagegegen sind sie,
wenn sie entweder von einer bis dahin bestimmenden
Größe völlig unabhängig werden oder eine bestimmende Größe ubiquitär wird, d.h. ihre Verfügbarkeit
ist permanent oder zumindest stetig wiederkehrend
gegeben. Beispiele hierfür sind die völlige Unabhän-
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Lassen wir es einfach noch einmal vor unserem geistigen Auge ablaufen. In der ostafrikanischen Savanne
vor etwa drei Millionen Jahren ereignet sich etwas Außergewöhnliches: Ein Homo habilis sprengt mit einem
simplen Steinwerkzeug auf eigenartige Weise die einengende Hülle der Haut. Wie macht er das? Er tut es,
indem er Funktionalität, welche zuvor stets an den
Körper gebunden war, in die Peripherie verlagert. Es
entsteht erstmalig in der Weltgeschichte ein echtes
Objekt. Da wir uns tagtäglich von einer Vielzahl von
Objekten umringt sehen, können wir uns eine Welt,
die völlig frei von echten Objekten war, kaum mehr
vorstellen. Dennoch waren diese bis vor nicht allzu
langer Zeit nirgendwo auf diesem Planeten vorhanden. Wenn wir also den Begriff natürlich”definieren
wollen, so können wir ihn einfach als den Zustand der
Abwesenheit echter Objekte kennzeichnen.
Ein Objekt ist dadurch eindeutig gekennzeichnet,
dass es
• vom Körper des Bezugspartners lösbar ist,
d.h. man kann sich von ihm entfernen und es
nach erneuter Annäherung wieder aufnehmen. Es ist also kein Bestandteil des Körpers.
• in einen bewussten Akt hergestellt wird. Dies
geschieht entweder durch Verwendung eines anderen Objekts (Werkzeug) oder in der
weiteren Entwicklung durch ein komplexes
Objekt (Maschine). Präobjekte sind an angeborene Verhaltensweisen gebunden.
2 Der Kernbegriff
Abbildung 1: Ein Löwe kennt keine Objekte
Ein erwachsener Löwe etwa verfügt dank seiner Physis
und seines Verhaltens über alles, was er zum Leben
benötigt. Ein Mensch hingegen besitzt zusätzlich Objekte, die er bei Bedarf nutzen kann.
2.3 Die Supernova kommt zum
Schluss
Die Evolution der Dekontextualisierung auf Objektebene vollzieht sich heute in rasender Geschwindigkeit,
und man kann vorhersagen, dass sie sich morgen noch
schneller vollziehen wird. Diesen Tatbestand nenne
ich die Dekontextualisierungssupernova.
Datenbanken ausgestattete Serversysteme . Anders
formuliert: Die sensorreichen Smartphones und Tablets sind wohl die bis dato universellsten Maschinen
und funktionell das Gegenstück der in der Ferne arbeitenden Serversysteme.
2.4 Was macht Nahbeziehungen
besonders?
Am Anfang gab es ausschließlich nahe Beziehungen,
d.h. chemische Wechselwirkungen, ungefilterte Temperaturübertragung, ungestörte Angleichung des Salzgehalts und der jeweiligen Feuchte. Man könnte auch
so sagen: Natürliche tote Gegenstände zeichnen sich
dadurch aus, dass sie so etwas wie Distanzbeziehungen nicht kennen, da alle zwischen ihnen ablaufenden physikalischen und chemischen Wechselwirkungen unmittelbar sind. Lebende Organismen dagegen
unterhalten räumlich und/oder zeitlich vermittelnde
Schichten, die eine autonome Aktivität erst möglich
machen und echte Objekte sind schon per Definition
auf Distanz hin geschaffen.
Unübersehbar ist die Dekontextualisierungssupernova
im Bereich der Computertechnologie. Wo immer wir in
die sich differenzierende Hard- und Softwarewelt hinein blicken, es entfaltet sich stets das gleiche Bild: Ein
sich permanent steigerndes Wachstum bei Rechengeschwindigkeit und Speicherkapazität. Speicher dient
der Deponierung und schnellen Verfügbarmachung
von Informationen oder Materialien, die in einer nahen oder fernen Zukunft genutzt werden sollen. Und
wo mehr deponiert ist, kann auch mehr zum VorantreiNahbeziehungen werden selbst bei starker Dekonben der Entwicklung zusätzlicher Dekontextualisierung
textualisierung niemals entbehrlich. Computer etwa
genutzt werden.
sind heute über weltweite Netzwerke verbunden. Hier
Dazu kommt noch die Miniaturisierung. Auch sie findet man den höchsten, vorerst nicht zu steigernden
schafft laufend neue Möglichkeiten. Den größten Zu- Dekontextualisierungsgrad und gleichzeitig sehr wenig
wachs an räumlicher Dekontextualisierung generiert Kontext. In einem Heimnetz mit WLAN und LAN sind
gegenwärtig die globale Vernetzung mit anderen Com- die Distanzen schon deutlich geringer. Dafür sind aber
putersystemen. An den Rändern dieses Netzwerks ste- die Übertragungsgeschwindigkeiten höher. Innerhalb
hen heutzutage extrem vielseitige mobile Clients. Im des Computers ist der Plattenspeicher das entfernteste
Inneren hingegen arbeiten stationäre mit gewaltigen Subsystem. Dann folgen Hauptspeicher und schließ-
5
2 Der Kernbegriff
Abbildung 2: Objekte sind nicht fester Bestandteil des Körpers
lich der Prozessor. In diesem schließlich vollziehen sich
die intensivsten und schnellsten Wechselwirkungen.
Nebenbei bemerkt hat Martin Casado, der Chefarchitekt für NSX beim Virtualisierungsspezialisten VMWare diese Zusammenhänge sehr gut in Bezug auf
Netzwerksicherheit beschrieben. 1 Damit haben wir
ein Geheimnis der Nahbeziehungen gelüftet. Sie können extrem schnell sein und die Interaktion der an den
spezifischen Wechselwirkungen beteiligten Elemente
kann sehr intensiv sein.
2.5 Sprache und Schrift schaffen
Distanz
Verlassen wir den Bereich des Dinglichen und beschäftigen wir uns mit Virtuellem. Virtualität ist quasi
der Gipfel der Dekontextualisierung , weil hier Wirkungen durch Botschaften vermittelt werden, die
von einem codierenden Sendesystem zu einem decodierenden Empfangssystem versandt werden. Diese
Codierungs-Dekodierungssysteme haben sich schon
sehr früh entwickelt und sind wie dafür gemacht präzise entfernte Wirkungen auszuüben.
Ab einer bestimmten Entwicklungshöhe nennen wir
so einen Mechanismus Sprache. Analysieren wir zum
1 https://www.youtube.com/watch?v=2e0E42V5L00
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besseren Verständnis zunächst eine nichtmenschliche
Sprache: Die Tänzelsprache der Honigbiene. [Fri23,
S.15] Jene ist ausschließlich in der Lage anderen Bienenarbeiterinnen die Entfernung und die Richtung
der Futterquelle oder eines prospektiven Wohnquartiers zu übermitteln. Sie ist also keine universelle, sondern eine sehr spezielle Sprache. Die Bienensprache
ist außerdem analog, da sie die die Intensität und Richtung der Tänzelbewegung als Informationsquelle nutzt.
Die Überbringerin der Botschaft muss aber nun nicht
mehr, und das ist der Dekontextualisierungsgewinn,
den Stockgenossinen voran fliegen, sondern kann in
Abwesenheit des Zieles die Adresse des Futterplatzes
übermitteln. Bei Sprache müssen also die Dinge auf die
Bezug genommen wird, nicht innerhalb der Reichweite
der Sinnesorgane der jeweilgen Tierart liegen. Bienensprache ist überdies eine Form der Radiokommunikation, d.h. Information wird an mehrere Empfänger identisch und gleichzeitig weitergegeben. Soll ein ganzes
Bienenvolk zu einer synchronen Handlung veranlasst
werden, so muss in einem Kaskadierungsprozess ein
ganzes Heer von Botschafterinnen rekrutiert werden.
Perfekt ist so ein Zustand natürlich nicht. Offensichtlich ist dieses Verfahren den begrenzten Möglichkeiten
der Informationsweitergabe auf der Entwicklungsstufe eines Insekts geschuldet. Letztendlich aber erfüllt
es dennoch seinen Zweck. Die raum-zeitliche Kontext-
3 Bakterien überwinden Zeit und Raum
lösung wird uns bei vielen „Bedeutung“ tragenden räumlichen Nähebeziehung gefangen. Die Physik der
Entitäten wieder begegnen. Ich nenne nur Gedächtnis, Schallwellen setzt jedoch enge Grenzen. Erst die Schrift
Schrift und Geld.
sprengt dieses Nahraumfalle. Sie macht es möglich,
sprachliche Inhalte zu fixieren. Diese können dann entweder
durch ein transportables Medium zum EmpExkurs
fänger gebracht werden oder der Empfänger begibt
Die Honigbiene legt sowohl Honig- als auch Pollende- sich zu dem fixen Medium (z.B. Steintafel). Wesentpots an. Depotbildung, die nicht im Körper stattfindet, lich ist wieder die räumliche und zeitliche Entkoppesondern extern in Waben ist räumliche plus zeitliche lung. Schriftliche Medien in dieser Form haben aber
Dekontextualisierung. Sie erlaubt es dem Insekt auch immer noch keinen Vorteil gegenüber dem gesprowährend Schlechtwetterperioden oder Zeiten, in de- chenen Wort, wenn es um zeitnahen wechselseitigen
nen kaum Pflanzen blühen, aktiv zu bleiben und Lar- Informationsaustausch geht, da eine schnelles hin und
ven zu füttern. Die gemeinschaftliche Depotbildung her zwischen den kommunizierenden Partnern aufmuss die Entwicklung der Bienensprache begünstigt grund der Optik (Papier, Tinte) nur in der relativen
haben, da bei gutem Nektarangebot Überschüsse ge- Nahbeziehung möglich ist. Diese Einschränkung wursammelt und anschließend in Speichern verstaut wer- de erst in jüngster Zeit durch das hochmobile digitale
den können. Anders als bei Ameisen können fliegende Bit-Engramm aufgehoben, welches die Peer-to-PeerInsekten keine chemischen Pfadmarkierungen anle- Kommunikation beim Chatten und mit gewissen Eingen, was die Entwicklung der dekontextualisierenden schränkungen auch bei der SMS ermöglicht.
Tänzelsprache mit Sicherheit begünstigt hat.
Digitale Engramme gehören zur Gruppe der digitalen
Externe Depotbildung (=hamstern) ist im Tierreich sel- Replikatoren, von denen es insgesamt nur drei Entten. Meistens werden die Depots im Körper als Fett- wicklungsstufen gibt, die unterschiedliche Reichweioder Kohlehydratspeicher angelegt. Eine interessan- ten besitzen:
te Kombination beider Varianten hat die australische
chemisch
Honigtopfameise realisiert, die zwar im Körperkontext DNS/RNS
in großem Stil zuckerhaltige Nährflüssigkeit speichert,
Schrift/Grafik optisch
aber das Gespeicherte an ihre Stockgenossinen abgeben kann. Im kleineren Umfang machen das sehr viele Bit-Engramm elektromagnetisch
soziale Insekten und Vampirfledermäuse. Man nennt
spricht dann vom sozialen Magen.
Ich denke, schon zu diesem frühen Zeitpunkt wird einsichtig, wie sinnvoll es ist die Welt unter dem Gesichtspunkt von Nah- und Fernbeziehungen zu betrachten.
Ständig finden nahezu unbemerkt Dekontextualisierungsentwicklungen statt. Man könnte sogar soweit
gehen, sich Evolution wie einen Vulkan vorzustellen,
dessen Basis, die schwach dekontexualisierenden Arten darstellen und der in seinem sich immer weiter
vorwölbenden Lavadom die stark dekontextualisierenden Arten und technologischen Entwicklungen hervorbringt. An den Flanken des Vulkans befinden sich die
dazwischenliegenden Formen.
2.6 Entkoppelungen
Bei der menschlichen Sprache wird die Kontextlösung
noch viel weiter vorangetrieben als bei der Biene. Es
gibt keine Bindung mehr an einen bestimmten Zweck
der Informationsübermittlung. Die Sprache ist universell und daher digital. Eine Dekontextualisierungsexplosion kann aber auf dieser Entwicklungsstufe noch
nicht stattfinden. Der Grund dafür: Sender und Empfänger sind nach wie vor in einer zeitlichen u n d
3 Bakterien überwinden Zeit
und Raum
Bakterien gelten als primitive Organismen, die überwiegend saprophytisch oder parasitisch leben. Sie bilden kaum komplexere Zellverbände und liegen, was
die Größe der Zellen betrifft, weit hinter den Eukaryonten. Dennoch gibt es gerade bei Bakterien sehr interessante Strategien die Einschränkungen, die durch
ihre Kleinheit verursacht sind, zu überwinden.
3.1 Zeitlich dekontextualisiert
Der Durchschnittsdurchmesser einer Bakterienzelle ist
etwa 0,6 - 1 Mikrometer. Das größte derzeit bekannte
Bakterium Thiomargarita namibiensis mit einer Größe
von 750 Mikrometer ist eine lithochemisch lebende
Art, die nur vor der Küste Südwestafrikas vorkommt.
Sie bewohnt dort den Meeresgrund in Tiefen um 100
Meter und wird zu bestimmten Zeiten passiv an die
Sedimentoberfläche gespült, wo sie Nitrat (ein Oxydationsmittel) in großen Mengen aufnimmt und in
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4 Alles schön der Reihe nach
einer für Bakterienverhältnissse riesigen Körpervakuole speichert. Dann wieder verfrachten Thiomargarita
Meereströmungen in tiefere sauerstofflose Sedimentschichten. Dort setzt sie den Stickstoff ein, um Sulfid
(ein Reduktionsmittel) zu oxydieren. Das Nitratdepot
reicht dann für einen aktiven Stoffwechsel von 40 bis
50 Tagen.
Die Dekontextualisierung ist in diesem Fall eine zeitliche, da Sammeln von Oxydationsmitteln und die Oxydation von Reduktionsmitteln zeitlich getrennt stattfinden.
Speicherung ist also immer ein zeitlicher Dekontextualisierungsvorgang. Räumlich ist sie in den meisten Fällen ein Rekontexualisierungsvorgang, da die Ressourcen zur schnellen Verfügbarkeit nah gehalten werden.
Es kann aber auch in externen Speichern gespeichert
werden. Beispiele hierfür sind die Nahrunsdepots von
Tannenhähern und Eichhörnchen oder die entfernte Deponierung von aktuell nicht benötigten Dingen
bei kommerziellen Lagerraumanbietern, wie Myplace
oder Lagerbox.
3.2 Räumlich dekontextualisiert
Desulfobulbaceen sind hingegen kleine Schwefelverbindungen verstoffwechselnde Bakterien. Nicht größer als 3-5 Mikrometer, lösen einige Arten das Problem, voneinander „weit“ entfernte Oxydations- und
Reduktionsmittel zusammen zu bringen durch extreme räumliche Dekontextualisierung. Sie bilden zu diesem Zweck lange fädige Kolonien aus, die von einer
stromleitenden Ummantelung umhüllt sind. Durch sie
fließen Elektronen vom Elektronendonator, dem Reduktionsmittel Sulfid zum Elektronenakzeptor, dem
Sauerstoff. Es findet also nicht der allgemein übliche
physische Kontakt von oxydierenden und reduzierenden Substanzen statt, sondern es werden nur „reine“
Elektronen, die der Spannungsdifferenz folgen, auf
eine lange Reise geschickt. Auf diese Weise können
Entfernungen von bis zu zwei cm überbrückt werden.
Das ist das rund Zehntausendfache der Länge einer
einzelnen Bakterienzelle. Hier wird etwas vorweg genommen, was wir erst wieder sehr viel später in der
technischen Evolution wiederfinden werden: Der homogene elektrischer Leiter.
3.3 Fernsinne ermöglichen
Vorausschau
zu gelangen. Dabei umgehen sie das zeit- und energieaufwändige Trial-and-error-Verfahren der Chemotaxis,
die auf klassischen Nahsinnen, nämlich chemischen
Rezeptoren beruht. Das Überwinden medialer Grenzen ist sowohl in der biologischen als auch der technologischen Evolution ungeheuer schwierig. Die Nutzung
der Lichtenergie durch Cyanobakterien wurde erst vor
2,5 Milliarden Jahren „erfunden“, nachdem die Prokaryonten schon weit über eine Milliarde Jahre lang
vorhandene Energie tragende chemische Substanzen
verstoffwechselt hatten. Bis heute ist die Photosynthese aufgrund der engen Bindung an die biochemischen
Gegebenheiten der Zelle ein außerordentlich ineffizienter Vorgang mit einem Wirkungsgrad von 6-8%.
Die besten Fotovoltaik-Zellen bringen es immerhin auf
44,7%.
Doch erst während der kambrischen Explosion vor etwa 543 Millionen Jahren, als sich komplexe mehrzellige
Organismen entwickelten, brach das Zeitalter der Fernsinne endgültig an. Das Ausweichen vor Hindernissen,
die Antizipation von Gefahren oder auch von Beuteerwerb setzt komplexe Rezeptoren und nachgeschaltete
neuronale Strukturen voraus. Beim Menschen etwa
sind allein über 30 Zentren im Großhirn an der Auswertung optischer Reize beteiligt. Die räumliche und
zeitliche Distanz zum jeweiligen „Objekt“ ermöglicht ja
erst das Sammeln von Information und die Entstehung
eines Gedächtnisses, welches dann das sich anschließende Handeln modifizieren kann. Man nennt diesen
Prozess „Lernen“.
4 Alles schön der Reihe nach
Bei der Evolution ballistischer Waffen vom Speer bis
hin zum Maschinengewehr werden sukzessive diskrete
Dekontextualisierungsschritte vollzogen. Ballistische
Waffensysteme tauchen schon sehr früh in der Menscheitsgeschichte auf und enthalten eine besondere
Klasse von Objekten: Die Projektile. Diese entfalten
ihre beabsichtigte Wirkung erst, wenn sie sich vom Ursprungsort gelöst und eine bestimmte Strecke durch
den freien Raum zurückgelegt haben. Nach dem Abschuss sind sie vom Sender nicht mehr steuerbar, sondern folgen einer durch Impuls, Masse und Luftwiderstand definierten Flugbahn.
Speer
Der Speer ist die primäre Dekontextualisierung vom
Körper des Menschen. Der Speer ist nicht mehr Bestandteil des Körpers, wie der Zahn, sondern ein losMagnetotaktische Bakterien nutzen das Magnetfeld lösbares Objekt. Dadurch wird die Reichweite erhöht
der Erde um mithilfe von Magnetitkristallen in ihrem (durch den ballistischen Wurf) und zugleich die IntrusiKörper in für sie günstigere tiefere Wasserschichten onstiefe (Speerspitze dringt tiefer ins tierische Gewebe
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4 Alles schön der Reihe nach
ein als Zahn). Beim Speer sind Waffe und Projektil noch Prozesse erzeugt (Prinzip der thermischen Expansion
identisch, denn er steht in einer direkten Beziehung von Gasen bei exothermer chemischer Reaktion). Dazu
zur menschlichen Hand.
kommt noch eine zeitliche Dekontextualisierung: Die
Präparation und Speicherung des Pulvers kann lange
Exkurs
vor der Verwendung stattfinden. Vom Mittelalter bis
Grundsätzlich kann man drei Bereiche der Wirkungs- in die Neuzeit gab es den europäischen Städten den so
genannten Pulverturm als nicht ganz ungefährliches
erweiterung unterscheiden:
Depot für Schießpulver.
a) Die räumliche Entfernungsvergrößerung (Steigerung
der Wirkungsreichweite des „Subjekts“ z.B durch eiFeuerwaffe mit Patrone
nen Rüssel oder eine Schleuderzunge bzw. der Reichweite sich entfernender Objekte)
Die Patrone fasst eine synthetische Tätigkeit (das Laden) in einer Struktur zusammen (Prinzip des Präparats). Ein Präparat stößt die Tür zur Automatisierung auf, da normierte, nicht unbedingt identische
Schlüssel-Schloss-Konfigurationen realisiert werden,
die sehr schnelle Objekt-Andock- und Lösungsgeschwindigkeiten zulassen. Die Evolution von Präparaten kann man bis in die abstrakten Bereiche der Softc) Ein Prozess, der eigentlich nicht definitionsgemäß
wareprogrammierung hinein verfolgen. Ich nenne nur
zur Dekontextualisierung zählt: Das Vermögen in imdas Stichwort: Objektorientierte Programmierung.
mer kleinere Strukturen gezielt einzugreifen (z.B. Mikroelektronik, Gentechnik und Nanotechnologie). Intrusionen stehen sehr oft am Ende von Distanz über- Maschinengewehr
windenden gezielten Bewegungen.
Die Auslösevorgänge für den zweiten Schuss und die
darauf folgenden Schüsse werden nicht mehr durch
Speer mit Speerschleuder
den Schützen vorgenommen, sondern durch ein selbst
Ein Zwischenglied (Prinzip des Hebels) erhöht die erhaltendes System. Es wächst damit die Feuerkraft
Reichweite des Speers. Waffe und Projektil differenzie- ((=Zerstörungskraft des Einzelprojektils x Anzahl der
ren sich. Die Beziehung zur menschlichen Hand wird Projektile):Zeit). Das Prinzip der Automatisierung wird
indirekt.
eingeführt, was bedeutet, dass in einem zyklischen Ablauf mit einer bestimmten Anzahl von Prozessschritten
Pfeil und Bogen
sich Wiederholung einstellt. Man kann produktive AuDie kinetische Energie wird nicht mehr direkt durch tomaten von konsumptiven Automaten unterscheiden.
die Muskelkraft auf das Projektil übertragen. Der Bo- Produktive Automaten erhöhen die Komplexität der
gen gibt die gespeicherte Muskelenergie beim Loslas- durch sie hindurch bewegten Objekte (z.B. Webstühsen der Sehne ab. Dadurch wird die Reichweite des le, Druckerpressen oder Automaten in der industrielProjektils erhöht (Prinzip der Umwandlung von Span- len Produktion). Konsumptive Automaten reduzieren
Komplexität von Präparaten oder Kraftstoffen(z.B.Manungsenergie in Bewegungsenergie)
schinengewehr, Verbrennungsmotor). Daneben existieren auch noch neutrale Automaten (z.B. ArmbandArmbrust
uhren)
Durch einen Halte- und Auslösemechanismus wird der
menschliche Arm von der Aufgabe des Haltens der
Spannung entbunden (Prinzip der kontrollierten Auslösung). Das Resultat ist eine zeitliche Dekontextualisie- 4.1 Wirkungszuwachs
rung. Der Zeitpunkt des Schusses muss nun nicht mehr
unmittelbar dem Spannungsvorgang folgen. Durch ei- Eine Dekontextualisierungsreihe zeigt sehr anschaunen Hebelspannmechanismus kann dem Bogen eine lich, dass die potentielle Entfernung des Wirkortes im
sehr hohe Energie zugeführt werden, die in ein Mehr Verlauf der Entwicklung permanent anwächst, ebenan kinetischer Energie des Projektils umgesetzt wird. so die Intensität der Projektilwirkung und parallel
b) Die zeitliche Entfernungsvergrößerung sowohl in
die Vergangenheit (Speicherung von Energieträgern
oder Information, letztere auf DNS/RNS-, nervöser,
schriftlicher und digitaler Ebene) und die sich ausdifferenzierende Antizipation, also die Vorwegnahme von
zukünftigen Ereignissen
dazu die Komplexität des jeweiligen Waffe-ProjektilSystems. Das sich differenzierende HerstellungsproceDie kinetische Energie kommt jetzt nicht mehr aus dere und die Erweiterung der Werkstoffpalette lassen
der Muskelkraft. Sie wird vielmehr durch chemische wir dabei noch außer acht.
Feuerwaffe
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5 Medien, Medien, Medien
5 Medien, Medien, Medien
Die sich in diesem Entwicklungsstadium etablierenden
Substanz- und Elektronentransportvorgänge waren also mit ausschließlich freier Diffusion wie in der VerMedien sind d i e Wirkfaktoren der Dekontextualisiegangenheit nicht mehr zu bewerkstelligen. Spätestens
rung. Sie stellen die Überbrückung von Entfernungen
bei den raumgreifenden Prozessen Phago- und Pinoin der räumlichen Dimension sicher.
zytose, die erst bei eukaryontischen Einzellern, wie
Pantoffeltierchen oder Amöben zur Tagesordnung gehörten, gelangten nicht mehr nur einzelne Moleküle,
Die für die Dekontextualisierungstheorie passensondern größere Einheiten ins Zellinnere. Die ersten
de Mediendefinition:
echten Verdauungsapparate entstanden.
Medien oder besser mediale Systeme sind die Teile eines lebenden oder technischen Systems, die
Letztendlich stellt sich Evolution aus der Perspektive
für die mehr oder weniger gezielte Fortbewegung
der Dekontextualisierung als ein fortwährender Provon Materie oder elektromagnetischer Strahlung
zess der Überwindung zeitlicher und räumlicher Grenzuständig sind.
zen dar. Dabei sind es paradoxerweise häufig die Wie-
Die räumliche Distanz, die überwunden werden kann,
ist während der Evolution der medialen Systeme anfangs sehr klein, wird aber im Verlauf der Evolution
immer größer. Zuerst klinkt sich das Leben nur als simpler selbstreproduzierender Katalysator in die Energiedifferenz zwischen reduzierenden und oxidierenden
Substanzen ein. Es steckt so erst einmal in einer klassischen Nahraumfalle. Denn in der Chemie können Reaktionspartner nur dann miteinander reagieren, wenn
sie einen sehr geringen Abstand zueinander haben. Die
Grenzen der freien Diffusion der Reaktionspartner stellen aber zu Beginn eine magische Grenze dar, die nicht
so leicht überwunden werden kann. Diffusion ermöglicht einerseits das Zusammentreffen von entfernten
Reaktionspartnern, verhindert aber im Gegenzug die
Etablierung von „vernünftigen“ Konzentrationsgradienten, da sie ja für Vermischung sorgt. Ein scheinbar
unlösbares Dilemma.
derannäherungen von bereits ausdifferenzierten Subsystemen und deren Interaktion, die den Sprung in
die Distanz ermöglichen. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz nannte diesen Vorgang einst „Fulguration“.
Ich nenne es „Rekontextualisierung“, um deutlich zu
machen, dass es sich um eine sekundäre Wiederannäherung von Teilsystemen handelt. Diesem in der
Entwicklung von biologischen, wie auch technischen
Entitäten sehr wichtigen Vorgang wird ein eigener Absatz gewidmet.
Nun unternehmen wir wieder mal eine gedankliche
Reise durch Zeit und Raum. Wir finden uns am 11.November 1886 im Labor von Heinrich Hertz ein, wo er
gerade mit seinem Assistenten einen Versuch durchführt. Bei diesem leider viel zu wenig gewürdigten Experiment gelingt es ihm mithilfe elektromagnetischer
Wellen Energie von einem Sender zu einem Empfänger
zu übertragen. Es ist die Geburtsstunde eines neuen
distanzüberwindenden Mediums, welches später Information über eine bis dahin nicht erreichbare EntferWie könnte die Lösung aussehen? Zu Beginn fehlten nung mit nahezu Lichtgeschwindigkeit transferieren
einfach die medialen Voraussetzungen, sprich ausrei- kann.
chend große und komplexe Moleküle. Neue Medien Zuvor hatte schon Thomas Newcomen 1712 die erskönnen aber nur auf schon bereits vorhandenen Me- te einsatzfähige Dampfmaschine erfunden. Die Nutdien aufbauen. Es war wohl die mehr oder weniger zung der thermischen Expansion durch explodierenzufällige Entstehung von Membranen und passiven des Schießpulver ist schon über 1000 Jahre alt. Auch
und aktiven Kanalproteinen, die im nächsten Sukzessi- diese Daten markieren evolutive Sprünge im medialen
onsschritt für eine gewisse Abhilfe sorgte.
Raum, die sich in nicht einmal tausend Jahren ereignet haben. Was früher Jahrmilliarden gedauert hatte,
Die Evolution betrat damals neues nano-„technologinämlich die Entstehung neuer raumgreifender mediasches“ Terrain. Auf einmal waren es nicht mehr nur
ler Prinzipien geht jetzt Schlag auf Schlag.
miteinander reagierende Moleküle, die das Feld beherrschten. Vergleichsweise große zusammenhängen- Wir müssen es uns wieder und wieder vor Augen fühde Strukturen etablierten echte physikalische Schran- ren, dass durch die Externalisierung von Funktionaliken, die selektiv durchlässig waren. Konzentrationsge- tät aus dem „Gefängnis“ der Organismus heraus der
fälle entstanden und somit auch eine höhere Dichte „aktive“ Raum sprunghaft zunahm. Alle Arten von Obenergiehaltiger Substanzen im Inneren einer Zelle. Mit jekten, ob nun statisch oder dynamisch, üben ähnlich
wachsender Zellgröße verstärkte sich dann der selek- wie in unserer Mediendefiniton beschrieben, gezielt
tive Druck, Funktionalität in spezielle Strukturen, die Einflüsse aus. Diese Raumerweiterung findet gegenOrganellen zu verlagern.
wärtig sich selbst verstärkend in ungeahntem Maße
10
6 DNS und Hautgrenze
statt. Mehr und mehr Materie und auch elektromagnetische Strahlung im Einflussbereich des Menschen
ist nun nicht mehr naturbürtig, sondern zweckhaft
transformiert.
Ein wesentlicher Grund, warum diese Transformation nicht vor dem Auftreten des Menschen in größerem Stil vor sich gehen konnte, liegt in der Verletzlichkeit organischen Gewebes. Auch hier versteckt sich
eine bisher unbeachtete Nahraumfalle. Es kann einfach kein geeigneter für weitreichendere Medien geeigneter Werkstoff im organischen Kontext entstehen.
Die enormen Drücke und Temperaturen, die zur Erzeugung von Keramik, Metallen, Halbleitern, reinen
Chemikalien und dergleichen benötigt werden können
innerhalb eines Organismus nicht realisiert werden.
Also bleiben diese für die Entstehung von technischen
Medien unabdingbaren Werkstoffe für die größte Zeitspanne der Evolution außen vor. Die Wärme freisetzende chemische Kettenreaktion, die eine so wichtige
Rolle als Energie für Fortbewegungsmaschinen, sprich
Automobile, Lokomotiven, Flugzeuge spielt, kommt
im Tierreich nur bei den Bombardierkäfern vor. Dort
dient sie aber nicht der Fortbewegung, sondern der
Abwehr von Fressfeinden. Selbst wenn es einem hypothetischem Bombardierkäfer gelungen wäre, die
Kettenreaktion für die Fortbewegung zu nutzen, seine
Energiebilanz wäre umgehend katastrophal geworden,
d.h. er hätte durch Nahrungsaufnahme nie die Energiemengen bereitstellen können, die er durch thermisch
getriebene Fortbewegung verbraucht hätte. Erst durch
die Nutzung bereits reichlich akkumulierter fossiler
Brennstoffe im Rahmen von Technologie wurde der
Quantensprung hin zu neuen Werkstoffen und Motoren möglich. Anders formuliert: Nicht die heute viel
beschworene Nachhaltigkeit ließ den technologischen
Fortschritt zu, sondern die Durchbrechung dieses Prinzips.
Viele Prinzipien, die in der Technik bestimmend sind
stehen in der Natur isoliert und anekdotisch da. Der
ballistische Tropfenwurf des Schützenfisches wurde
z.B. keine bahnbrechende evolutive „Erfindung“, die
das Zeug dazu gehabt hätte, sich epidemisch auszubreiten, wie dies später die ballistische Technologie tat.
Er ist und bleibt auf die Gattung Toxotes beschränkt
und führt dort sein Nischendasein. Es gibt nämlich
kein hinreichend kohärentes massives, schweres, gehärtetes Medium, welches im Körper präpariert werden kann, um es dann gezielt hinauszuschleudern. Nur
die kurzreichweitige gifthaltige Kalkharpune der Kegelschnecke geht etwas in diese Richtung. Wasser als
Medium ist aus verständlichen Gründen eine evolutive
Sackgasse. Erst der vom Homo erectus gefertigte Fichtenholzspeer mit im Feuer gehärteter Spitze eröffnete
ein neues zukunftsträchtiges Kapitel der Ballistik.
Das Mediale ist nach meinem Verständnis ein ubiquitäres Basisprinzip des Lebens und der Technologie. Es steht aber nicht allein, sondern wird ergänzt
durch das antagonistische Prinzip der Speicherung. Bei
ihm ist nicht die Bewegung das Wesentliche sondern
das Konservieren von Etwas, sei es nun Energie, Information, Schuldentilgungskapazität(beim Geld), Lösungsmittel(z.B. Wasser) etc. für eine spätere Mobilisierung. Alle, wirklich alle historischen Prozesse gewinnen durch die Betrachtungsweise der Medien- und
Speicherevolution ein wirkliches Fundament, das den
Paläontologen und den Historikern bisher weitgehend
entgangen ist.
6 DNS und Hautgrenze
Die Kernthese der Dekontextualisierung ist, dass es
eine historische Abfolge von sich immer weiter distanzierenden Beziehungen gibt. Zu Beginn treten nur sehr
kurze Entfernungen überwindende chemische Wirkungen auf, die auf Diffusion angewiesen sind. Dabei sind
die besonderen Eigenschaften des Kohlenstoffatoms
die Grundvoraussetzung für das Entstehen langer komplexer Kettenmoleküle. Ohne Kohlenstoff gibt es kein
Leben und auch keinen digitalen Replikator DNS.
Da es am Anfang sehr viel Chemie und kaum Physik in
der Biologie gab, ist natürlich auch der erste digitale
Replikator chemischer Natur. Die DNS ist der primäre
Ausgangspunkt für intrazelluläre Fernwirkungen und
zwar sowohl räumlich (Distanzüberbrückung zum Ribosom via Messenger-RNS und bei Zellteilung), als auch
zeitlich (Archivfunktion).
Exkurs
Räumliche Dekontextualisierungen sind sehr plausibel.
Zeitliche Dekontextualisierungen sind dagegen viel weniger anschaulich und vollziehen sich in Prozessen wie
Archivierung, Energie- und Wasserspeicherung, Lernen und Antizipation zukünftiger Ereignisse. Betrachten wir kurz grundlegendende Prinzipien der zeitlichen
Dekontextualisierung
Archive
Information wird in digitalen
Replikatoren (DNS, Schrift,
Bit-Engramm) konserviert oder in
Nervenzellverbänden analog
gespeichert, um von dort bei
Bedarf ausgelesen zu werden.
Depots
Der Organismus bleibt bei Mangel
an Reduktions- oder
Oxydationsmitteln länger aktiv.
11
6 DNS und Hautgrenze
Lernen
In einer Situation Gelerntes kann in
zukünftigen analogen Situationen
Aktionen ermöglichen, die der
eigenen Fitness oder der Fitness
anderer zuträglich sind.
Antizipation
Die Vorwegnahme zukünftiger
Zustände ist nicht klar vom Lernen
zu trennen. Jedes Lernen hat mit
Erwartungen zu tun. Ein einfaches
Beispiel einer raumzeitlichen
Antizipation ist die rechnerische
Vorwegnahme von ballistischen
Flugbahnen mithilfe von
Differentialgleichungen.
6.1 Makroskopisch aus mikroskopisch
im Wesentlichen seine Wirkungsgrenze und die DNS
oder seltener die RNS ist der zentrale informationelle Bezugspunkt. Daran ändert auch die sich immer
weiter entwickelnde Fähigkeit des Lernens wenig. (In
einem gesonderten, noch zu schreibenden Abschnitt
werde ich auf die Dekontextualisierungseffekte der
verschiedenen Lernformen eingehen). Wenn die Hautschranke überschritten wird, wie bei olfaktorischer,
akustischer oder optischer Kommunikation, Spinnennetzen, Termitenbauten, gespuckten Wassertropfen
von Schützenfischen etc., so bleibt dennoch die DNS
als Informationsträger bestimmend, da nur hier Tradition stattfindet, also die Generationenschwelle übersprungen wird. Alle gelernten Inhalte gehen mit dem
Organismus nach seinem Tod unter. Digitales Archiv
und Phänotyp „kleben“ fest aneinander. Tertium non
datur.
Dies ändert sich erst sehr spät in der EvolutionsgeIm Lauf der Evolution wird mit dem Enstehen zuerst schichte, als, man möchte fast sagen ”endlich“, Lebeprokaryotischer und viel später eukaryotischer Zellen wesen entstehen, die zu Imitation und Abstraktion
und Organismen der Wirkraum immer größer.
befähigt sind. Jetzt erst können völlig neue dekontextalisierende Entitäten entstehen.
Die Distanzierungen vollziehen sich
• durch Aufbau von vermittelnden Strukturen in- Sprache
nerhalb der Zelle (Cytoskelett)
Betrachten wir Sprache einmal als etwas, das gezielte
• durch Entstehung von Zellverbänden
Handlungen bei Zielpersonen bewirken kann. Jedesmal, wenn wir auf jemanden treffen, der nicht unsere
• durch Mechanismen, die die Organismen selbst
Sprache spricht und dessen Sprache wir nicht verstefortbewegen (Flagellen, Cilien, amöboide Ausstülhen, wird uns dies bewusst. Wir können denjenigen
pungen )
dann nicht oder nur sehr schwer zu von uns intendier• durch makroskopische Bewegungen, die Nerven- ten Handlungen bewegen. Das weiter oben aufgeführund Muskelzellverbände ermöglichen
te Beispiel der Bienensprache hatte schon deutlich
Bei Nervenzellen wird Distanz durch das Prinzip gemacht, dass Sprache es ermöglicht, Verhalten gedes Dominoeffekts überwunden. Sehr schnelle, ge- zielter zu steuern, als es beispielsweise Warnrufe oder
richtete Depolarisationswellen enstehen aus klein- olfaktorische Signale je könnten. Der Sender muss zuräumigen durch Kanalproteine vermittelten Ionen- dem nach einem Übermittlungakt physisch überdies
Bewegungen. Bei Muskeln kommt die makroskopi- nicht mehr präsent sein. Die Empfänger werden mit
sche Bewegung hingegen durch eine hierarchische dem Auftreten von Sprache gleichsam zu lebendigen
Struktur von Myosin-Aktin-Filamenten zustande. Bei- Werkzeugen, also zu sehr komplexen Präobjekten des
de Distanzüberbrückungs-„Technologien“ überwinden Senders. Dies ist ein hochinteressanter Aspekt der kulalso Entfernungen nicht durch wirklich raumgreifende turellen Evolution des Menschens, da sich hier ein
Prozesse, wie Explosionen oder Stromflüsse in metalli- Trend zur Asymmetrie anbahnt. Dominierende Indivischen Leitern, sondern durch eine Aneinanderreihung duuen (Häuptlinge, Medizinmänner, Adlige, Politiker,
oder aber durch eine Potenzierung identischer mikro- Manager, Geistliche) benutzen andere als universelle
„Maschinen“ (Sklaven, Soldaten, Arbeiter, Zeitarbeiskopischer Prozesse in einer Baumstruktur.
ter). Erst durch Sprache und Schrift ist so etwas wie
Machtausübung überhaupt möglich. Wir definieren
Macht daher als „symbolgesteuerte Fernwirkung“.
6.2 Die Grenze der Haut, die
hartnäckigste Nahraumfalle
Bis zum Ende des Tertiärzeitalters bleibt aber etwas
bestehen, was eine nahezu unüberwindbare Schranke
bei allen bis dahin existierenden Organismen bildet:
Die Hautgrenze. Die Außengrenze des Lebewesens ist
12
Schrift
Mit der geschriebenen Schrift taucht der zweite digitale Replikator nach dem Kettenmolekül DNS bzw. RNS
auf. Sprache, die man ebenfalls für einen digitalen Replikator halten könnte, fehlt eine Eigenschaft, die sie
6 DNS und Hautgrenze
Ein digitaler Replikator hat unabdingbar
1. Hochkonservative Archivfunktion
die jene von Buchdruck, Telefonie, Radio- und Fernsehtechnik in den Schatten stellen und sie sogar integrieren.
2. Replikationsfähigkeit
Ein Beispiel: Bei einem modernen Textverarbeitungsprogramm bleibt der editierte Text im Speicher des
3. die Eigenschaft primärer Ausgangspunkt für
Computers, ohne dass er sofort zur physischen FiFernwirkung zu sein
xierung gebracht werden muss. So kann dieser Text
beispielsweise per E-Mail versandt, beliebig oft aus4. Diskretheit, d.h, verwendete Zeichen sind so
deutlich von anderen Zeichen unterschieden, gedruckt werden(ohne physischen Durchschlag), per
dass eine “Verwechslung“ sowohl bei der Ko- Sharing anderen Usern zur Bearbeitung zur Verfügung
gestellt oder in ein soziales Netzwerk fernübertragen
pie, als auch bei der Umsetzung in Handlung
werden.
Er kann aber aber auch einfach im Computersehr unwahrscheinlich ist.
speicher bleiben, wo er jederzeit verändert werden
kann. Vorherige Versionsstände können ebenfalls abals solchen tauglich macht: Beständigkeit. Die Schrift gespeichert werden und, und, und...
ist ein optisches Medium, kann daher schon beim ers- Bei der Schrift existiert noch eine sehr statische phyten medialen Schritt (Schrift -> Auge) viel weiter wirken sische Bindung an kontrastgebende Farbe und den
kann, als es die chemische DNS (DNS -> Messenger- optischen Hintergrund bildendes Substrat. Die weitesRNS ->Ribosom)je konnte. Sie wirkt überdies schon te direkte Wirkung liegt in der überbrückbaren Distanz
außerhalb des Körpers und breitet ihre Information von Schrift zu Auge, das können maximal ca. 500m
in einem beträchtlichen Streuwinkel aus. Auf einer sein, ignoriert man einmal an den seltenen Fall von
Plakatwand können viele Empfänger einen Text gleich- an den Himmel „gemalter“ Schrift. Der Transport der
zeitig lesen. Einen Braille-Text kann nur eine Person Schrift kann auch nur materiegebunden geschehen
gleichzeitg rezipieren.
und die Zeichen können nur zweidimensional linear
„Schrift“ ist in meinem Verständnis etwas umfassender
zu definieren als üblich und umfasst alle kopierbaren
Einheiten, also auch grafische und numerische Darstellungen, die komplexes Verhalten erzeugen können,
z.B. technische Zeichnungen.
Elektronische Digitalität
Mit der Erfindung der Halbleitertechnologie war der
Weg frei für die Verflüssigung der Zeichen und gleichzeitig für die dritte Generation digitaler Replikatoren.
Der Terminus „Verflüssigung“ gibt dabei nur einen Teilaspekt des Geschehens wieder, die Dynamisierung.
Der andere Teil besteht darin, dass Schrift bis zu diesem Zeitpunkt nur durch ein menschliches Gehirn interpretiert und verarbeitet werden konnte, um dann
gegebenenfalls wieder in Schrift transformiert zu werden. Schrift und andere Zeichen können ja nie direkt
auf Zeichen einwirken. Dieses Faktum ist eigentlich
schon ein Teil ihrer Definition.
Mit Beginn der elektronischen Datenverarbeitung begannen sich die Verhältnisse grundlegend zu ändern.
Zeichen konnten mittels Software und Hardware mit
anderen Zeichen in Wechselwirkung treten, ohne dass
ein denkender Mensch auf sie direkt Einfluss nehmen
müsste.
Die Tragweite dieses Geschehens wird uns im Alltag selten bewusst. Mit der elektronischen Digitalität kommt
es zu neuen De- und Rekontextualisierungsqualitäten,
angeordnet sein.
Für unsere Betrachtungen wichtig sind nur drei Replikatoren: DNS/RNS, optische Schrift und Bit-Engramm.
Sprache scheidet wegen der unpräzisen Speicherung
der dadurch vermittelten Inhalte im menschlichen Gehirn aus.
DNS ist noch präobjektiv. Schriftstücke sind schon echte Objekte. Bit-Engramme hingegen könnte man wie
die schon erwähnten Projektile als „Superobjekte“ charakterisieren. Denn sie sind in der Lage extrem schnell
vom Speicher her kommend im Prozessor als Programme (aktiv) oder Daten (passiv) prozessiert zu werden.
Anschließend erstarren sie wieder im Speicher. BitEngramme sind zudem in der Lage im Internet mit
Lichtgeschwindigkeit den gesamten Planeten zu umrunden.
Digitale Replikatoren besitzen stets analoge Vorläufer. Im Falle der Schrift sind dies die vorsprachlichen
Signale und die echten Sprachen. Beim Bit-Engramm
sind die analogen Vorläufer elektrische Analogsignale,
Fotochemie, magnetische Analogspeicherung(Ton-, Videoband) und in ein Substrat eingeprägte Form(Schallplatte). Man kann also mit einer gewissen Restunsicherheit schlussfolgern, dass dies bei DNS und RNS
ebenso war. Ausgehend von Kohlenstoffatomketten,
die auf eine noch unbekannte Art zu energiezehrendem Wachstum befähigt waren, entstand sehr bald
ein ganzer „Zoo“ von nicht exakt replizierenden, daher stark variierender Kohlenstoffverbindungen, die
13
in der Lage waren durch Ausnutzung von chemischen Literatur
Energiegefällen sich zu vermehren. Die komplexe Maschinerie einer kompletten Zelle wäre dabei noch nicht [cit14] http://de.wikipedia.org/wiki/
einmal notwendig gewesen. Leider sind uns solche präLeben
digitalen Wesenheiten nicht bekannt, könnten aber
vielleicht einmal in ferner Zukunft im Labor syntheti- [Fri23] FRISCH, Karl von: Über die „Sprache“ der Bienen. Verlag von Gustav Fischer, 1923
siert
6.3 Brutpflege und Eusozialität, die
ersten Sprengungsversuche
Einzeller, wie Mehrzeller haben ein Handicap. Sie müssen auf eigene Rechnung leben, d.h. sie müssen die
Ressourcen, die sie zu ihrem Überleben benötigen körperlich erreichen. Es existiert also wieder einmal eine
1:1-Abhängigkeit. Bei der Brutpflege, aber auch schon
bei der einfacheren Brutfürsorge, lockert das Elternoder Arbeitertier diesen Kontext. Es entstehen neue
Freiräume. Die Betreuung der Brut im Körper des Elterntieres rekontextualisiert zwar Mutter und Kind,
schafft räumliche Limits, stellt aber dem Kind Ressourcen zur Verfügung, die das entwickeltere (= dekontextualisiertere) erwachsene Tier erreichen kann. Die
Pflege im Nest öffnet den Körperkontext, birgt aber Gefahren, da Schutzfunktion und Nahrungsbeschaffung
nicht zugleich erreicht werden können. Die Vor- und
Nachteile von Nah- und Fernbeziehungen lassen sich
bei den verschiedenen Strategien der Jungenaufzucht
sehr gut analysieren.
Bei der Eusozialiät geht die Evolution noch einige
Schritte weiter. Hier ist nicht nur die ErwachsenenKind-Relation wichtig, sondern auch die Beziehungen
zwischen allen Beteiligten eines Gruppenverbandes.
Ressourcenteilung macht jedem Individuum Ressourcen von Orten zugänglich, die es selbst nie erreicht
hat. Es existiert aber trotz Brufpflege und Eusozialiät
ein ungelöstes Problem, die Bindung an einen organischen Körper, mit all seinen Limitierungen. Erst die
Überschreitung dieser Grenze mit der Schaffung echter Objekte, stößt das Tor zu einer gänzlich neuen Welt
auf und dies ohne den theoretischen Rahmen der Dekontextualisierungstheorie zu sprengen. (Fortsetzung
folgt)
Abbildungsverzeichnis
1 Männlicher Löwe, Wolfgang Pfeifenberger, 6.März 2014 . . . . . . . . . . . . .
2 Imbusschlüssel, Burning Well Repository
5
6
Index
Dekontextualisierung, 4, 6
Depot, 7
Honigbiene, 7