1 Einleitung - Expert Verlag

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1.1
Einleitung
Allgemeines
In den zurückliegenden Jahren hat es im gesamten Bereich des Brandschutzes beachtliche wissenschaftliche Fortschritte gegeben und in der „Brandschutzphilosophie“ ein
Prozess des Umdenkens stattgefunden, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Es
geht dabei darum, den Brandschutz nicht allein auf der Basis von strengen gesetzlichen
und normativen Vorschriften zu regeln, sondern diesen durch die Anwendung wissenschaftlicher und praxisorientierter Ingenieurmethoden sicherzustellen. Dieses soll ermöglicht werden durch die Fortentwicklung des Brandschutzingenieurwesen, insbesondere durch die
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Anwendung von zielorientierten Brandschutzkonzepten,
Einführung von Brandschutznormen für Ingenieurmethoden,
Anwendung von bauaufsichtlich akzeptierten Brandsimulationsberechnungen und
Evakuierungsmodellen.
Unter Brandschutzingenieurwesen versteht man in diesem Zusammenhang die Anwendung ingenieurmäßiger Prinzipien, Regeln und Methoden, welche auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und zum Nachweis der Brandsicherheit geeignet sind [1].
Das Anwendungsspektrum erstreckt sich auf die folgenden Bereiche:
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Quantifizierung der Brandgefahren und Brandauswirkungen,
Personenschutz, Evakuierung, Rettungswesen,
Schutz von Bauwerken und Bauteilen,
Schutz und Erhalt der Umwelt und der Kulturgüter,
Schutz von Sachwerten,
Verfahren zur Berechnung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen.
Im Rahmen der in der EU harmonisierten „Brandschutzphilosophie“ haben die
Ingenieurmethoden bereits einen festen Platz eingenommen. Das Grundlagendokument
„Brandschutz“ hat die ingenieurgemäßen Verfahren folgendermaßen als Nachweismöglichkeit zur Erfüllung der wesentlichen Anforderungen „Brandschutz“ in das
Gesamt-Nachweiskonzept aufgenommen:
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Danach sind Ingenieurmethoden für die Brandsicherheit ein Ansatz zur Anwendung
ingenieurmäßiger Grundsätze zur Bewertung des erforderlichen Brandsicherheitsniveaus
und zur Bemessung und Berechnung der notwendigen Schutzmaßnahmen.
Der Brandschutz in Bauwerken kann durch die Ingenieurmethoden auf vielfältige Art
und zielorientiert verbessert werden:
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Ermittlung grundlegender Kenntnisse über die Entwicklung und Ausbreitung von
Feuer und Rauch in Bauwerken z. B. durch:
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Berechnung der Brandentwicklung in Räumen und Gebäuden,
Berechnung der Brandausbreitung innerhalb und außerhalb von Gebäuden über den
Ort der Brandentstehung hinaus,
Berechnung der Rauchgasströmungen in Gebäuden;
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Berechnung der Brandeinwirkungen:
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Einwirkung von Wärme und Rauchgasen auf Personen und Bauteile,
mechanische Einwirkungen auf die Baukonstruktionen oder Bauteile,
Widerstand von Konstruktionen bei einem Brand hinsichtlich des Raumabschlusses
und ihrer Tragfähigkeit;
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Beurteilung des Verhaltens von Baustoffen, wenn sie einem Brand ausgesetzt sind:
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Feststellung der Entzündbarkeit, Flammenausbreitung,
Abbrandgeschwindigkeit,
Energiefreisetzung, Brandleistung,
Entwicklung von Rauch und toxischen Gasen;
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Beurteilung und Bemessung von Räumungs- und Rettungsmaßnahmen:
-
Länge der Rettungswege,
Evakuierungskonzept,
Evakuierungsberechnungen oder -simulationen;
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Beurteilung der Brandmeldung:
-
die Zeit bis zur Aktivierung von Schutzsystemen, der Feuerwehr und der Gebäudenutzer,
Beurteilung der Wirksamkeit von Feuer- und Rauchschutzanlagen,
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-
Bewertung von Brandmelde- bzw. Alarmierungszeiten je nach Art und Anordnung
der Brand-/Rauchmelder;
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Beurteilung der Brandbekämpfung:
-
Wirksamkeit von Löschmitteln und der manuellen Brandbekämpfung,
Simulation von Löscheinrichtungen und automatischen Löschanlagen,
Beurteilung der Wechselwirkung zwischen Brandbekämpfung und anderen Sicherheitsmaßnahmen;
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Beurteilung der betrieblichen Brandschutzmaßnahmen:
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Brandschutzkonzept,
Brandschutzordnung,
Brandverhütung,
Brandschutzbeauftragter.
Gegenwärtig sind noch nicht alle Teile der Ingenieurmethoden für den Brandschutz
entwickelt. Wesentliche Arbeiten hat in diesem Zusammenhang die „International
Organisation for Standardisation (ISO)“ in ihrem Subkomitee „Fire Safety
Engineering“ geleistet, das unter dem Technischen Komitee TC 92 „Fire Safety of
Buildings“ die ersten Schritte zu einer normativen Beschreibung der ingenieurgemäßen
Arbeitsweise unternommen hat [2]. In Deutschland wird diesbezüglich seit 2009 im
Rahmen des FNA DIN NABau 005-52-21 an der Erstellung einer entsprechenden Basisnorm „Brandschutzingenieurverfahren“ gearbeitet.
Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ergibt sich durch die Anwendung zielorientierter Brandschutzkonzepte. Die Anwendung von zielorientierten Brandschutzkonzepten (Performance Based Fire Design) beruht auf der Grundannahme, dass die
Schutzziele des Brandschutzes durch geeignete Maßnahmen erreicht werden und die
Wirksamkeit der getroffenen Brandschutzmaßnahmen mit akzeptierten Nachweisverfahren (Modellen) nachgewiesen werden. Diese Nachweise können mittels technischer Regelwerke (Normen etc.), durch Experimente oder ingenieurmäßige
Berechnungsmethoden erbracht werden.
Die Verwendung von zielorientierten Brandschutzkonzepten gewinnt bei der brandschutztechnischen Beurteilung von Bauwerken immer mehr an Bedeutung. Sie leiten
sich aus den sogenannten „Performance Based Codes“ ab. Die Performance Based
Codes stellen eine neue Entwicklung in den rechtlichen und technischen Grundlagen des
Brandschutzes dar. Diese Codes (Vorschriften, Gesetze) regeln die Verfahren zur Ent3
wicklung und Implementierung von Brandschutzkonzepten. Im Gegensatz dazu stehen
die „Descriptive Codes“, also die beschreibenden Vorschriften (wie Bauordnungen und
diverse Rechtsvorschriften). Bei den zielorientierten Verfahren werden die Brandschutzziele (in Absprache mit den Behörden), die Maßnahmen zur Erreichung des
Brandschutzzieles und der Nachweis der Wirksamkeit der Maßnahmen vom Planer verantwortlich festgelegt. In den beschreibenden Vorschriften werden dagegen sowohl die
Brandschutzziele als auch die Maßnahmen direkt oder indirekt durch die bestehenden
Vorschriften von den Behörden festgelegt, d. h. die im Einzelfall vorliegenden Besonderheiten können gar nicht oder nur pauschal berücksichtigt werden.
Zielorientierte Brandschutzkonzepte sind wie folgt aufgebaut [3]:
a) Zunächst werden die Schutzziele des Brandschutzdesigns festgelegt. Solche Schutzziele können beispielsweise sein:
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Schutz der tragenden Konstruktion,
Schutz der Personen im betrachteten Bauwerk im Brandfall (Flucht und Rettung),
Möglichkeit der Feuerwehr zur Brandbekämpfung und Rettung (Fremdrettung),
Schutz von angrenzenden Bauwerken (Verhinderung der Brandausbreitung),
Schutz vor Freisetzung gefährlicher Stoffe im Brandfall,
Schutz vor Verlust von Einrichtungen im Gebäude (Sachschutz),
Schutz der Umwelt (als umfassender Begriff, z. B. Löschwasserrückhaltung).
b) Zum Erreichen dieser Schutzziele müssen geeignete Maßnahmen gesetzt werden.
Solche Maßnahmen können beispielsweise sein:
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Bauteil- und Baustoffauswahl (z. B. Baustoffe und Bauteile mit erhöhtem Feuerwiderstand),
bauliche Maßnahmen (z. B. zusätzliche Flucht- und Rettungswege),
Rauch- und Wärmeabzugsanlagen,
anlagentechnische Maßnahmen: Löschmaßnahmen (Sprinklerung),
Detektionssysteme (Rauchmelder), Brandmeldeanlagen (BMA).
c) Die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen ist nachzuweisen u. a. durch:
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technische Regelwerke, z. B. bauaufsichtlich eingeführte Normen,
Experimente (bei gesicherter Übertragbarkeit),
Berechnungsmethoden wie
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genormte Berechnungsverfahren (z. B. nach DIN 18 230-1 und -4, DIN 18 232-2
und Eurocode 1 bis 5),
- analytische Berechnungsverfahren (Plumeformeln usw.),
- Brandsimulationsberechnungen (z. B. mit MRFC: Multi Room Fire Code),
Risikoanalysen.
Sofern Methoden zur Anwendung kommen, welche nicht in den eingeführten Technischen Baubestimmungen angegeben sind, ist die Zustimmung zur Anwendung bei der
zuständigen Behörde einzuholen [4].
1.2
Brandschutzziele und Maßnahmen
1.2.1 Definitionen
Unter dem Begriff „Brandschutz“ versteht man alle Maßnahmen zur Vermeidung von
Bränden und zur Minimierung von Brandschäden.
Unter dem Begriff „Vorbeugender Brandschutz“ versteht man die Gesamtheit aller
Maßnahmen vor Brandausbruch, die geeignet sind, Brände möglichst zu vermeiden oder
diese an ihrer Ausbreitung zu hindern. Dazu zählen organisatorische und technische
Brandschutzmaßnahmen.
Die Bereitstellung von Mitteln für die erste und erweiterte Löschhilfe sowie die Versorgung mit Löschmitteln und Vorbereitungen zum Einsatz derselben gehören zu den
betrieblichen und abwehrenden Brandschutzmaßnahmen. Die technischen Maßnahmen
werden üblicherweise in bauliche und anlagentechnische Brandschutzmaßnahmen unterteilt (siehe Abb. 1.2.1).
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Abb. 1.2.1:
Struktur des Brandschutzes im Bauwesen nach [22]
1.2.2 Ziele des Brandschutzes
Brandschutzmaßnahmen verfolgen zwei grundlegende Schutzziele:
Den Schutz von Leben und Gesundheit von Personen im betroffenen Gebäude und
dessen Umgebung (Personenschutz).
Den Schutz von Eigentum und die Begrenzung finanzieller Schäden im betroffenen Gebäude und dessen Umgebung (Sachwertschutz).
Weitere Schutzinteressen sind:
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Schutz der Umwelt (Luft, Wasser, Erdreich),
Sicherstellung der Versicherbarkeit des Bauwerkes.
Der vorbeugende bauliche Brandschutz umfasst im Rahmen dieser Zielsetzungen folgende Einzelmaßnahmen:
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Vorbeugende Maßnahmen gegen die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und
Rauch durch:
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Wahl der Baustoffe,
Wahl der Konstruktion,
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