. Eine Chance für kommunalen Klimaschutz und Bewohnerschaft?·

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Integriertes ene'rgetisches Quartierskonzept in Stade
.E ine Chance für kommunalen Klimaschutz und
Bewohnerschaft?·
In der Hansestadt Stade soll der Stadtteil Hahle zum Klimaquartier werden so hat es der Rat 2011 einstimmig beschlossen. Bis 2050 sollen die COz-Emissionen im etwa 60 Jahre alten Quartier aufein Minimum verringert werden. Um das anspruchsvolle Ziel zu erreichen. wurde ein integriertes energetisches Quartierskonzept erstellt - das nicht zuletzt die Bewohnerschaft und ihre Bedüifnisse einbindet.
Michael Danner I Gültekin Kirci
Das Quartier Hahle entstand in den
I 950er bis I 960er Jahren. Aufeinem hal­
ben Quadratkilometer wohnen ungeHihr
3.000 Menschen in etwa 500 Einfami­
Jien- und 61 Mehrfamilienhäusern. Die
zahlreichen Einfamilienhäuser entstan­
den in einer Zeit, in der n0ch ohne Wär­
meschutz-Vorgaben gebaut wurde, be­
reits dadurch wird ein hohes Einsparpo­
tenzial zu erwarten sein. Das Quartier be­
findet sich zudem in einem Generationen­
Umbruch: Immer mehr junge Familien
kaufen Einfamilienhäuser von den Erst­
besitzern; sie bringen damit auch neue
Wohnbedürfnisse mit.
ren, Verkehrs- und Stadtplanern sowie
Sozialwissenschaftlern verantwortlich.
Dabei wurden frühzeitig Synergieef­
fekte, aber auch mögliche Interessens­
konflikte erkannt. Letztere treten z. B. auf
.
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treffen die En'ergieversorgung, die Sied­
lungsstmktur, den Verkehr, die Gebäude
sowie die Wirtschafts- und Sozialstruk­
tur. Ergänzend wurden Multiplikatoren
befragt. Letzttijres ist entscheidend, um
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BlIujahnt'der Geblude
Das Konzept beschränkt sich
nicht auf das Feld "Energie"
Neben dem energetischen Erneuerungs­
bedarfwurden bereits durch vorangegan­
gene Beteiligungsprojekte Defizite bei
den Grünflächen, in der Aufenthaltsqua­
lität und der Infrastruktur benannt. Das
führte zu der Entscheidung, diese Er­
kenntnisse mit energetischen Aspekten zu
ergänzen und in einem Quartierskonzept
zu vereinen. Dieses Vorhaben wurde als
Pilotprojekt im Rahmen des Programms
"Energetische Stadtsaniemng" durch die
KfW mit einem Zuschuss in Höhe von
65 Prozent der förderfahigen Kosten ge­
fördert. Es verknüpft das Thema "Ener­
gie" mit den städtebaulichen, sozialen,
ökonomischen und demografischen As­
pekten im Quartier sowie den für die ge­
samte Stadt geltenden Strategien. Für die
Erarbeitung des Konzepts war ein inter­
disziplinäres Team aus Energieingenieu­
Quartier Hahle in Stade: Kartierung nach Baujahren
zwischen langfristig angelegten Entwick­
lungszielen der Stadt und den Einzelin­
teressen der Hauseigenrumer. Jene eher
älteren BürgerInnen stehen energetischen
Maßnahmen an ihrem Gebäude skeptisch
gegenüber, da sich die Investitionen ftir
die Menschen selten kurzfristig amorti­
sieren.
Die Bearbeitung des Quartierskon­
zeptes erfolgte in drei Phasen: Analyse,
Potenzialermittlung und Erstellung des
Maßnahmenkatalogs. Die Analysen be­
Grafik: eigene Darstellung
die Einstellungen der BewohnerInnen
sowie ihre Handlungsfahigkeit einzu­
schätzen.
Wo macht Nahwärme Sinn, wo
wurde schon teilsaniert?
Zentrales Ergebnis ist die quartiersspezi­
fische Gebäudetypologie, die die Gmnd- .
lage für die Potenzialermittlung darstellt.
Darin werden für alle Gebäudetypen der
Energiebedarf und die CO 2-Emissionen
sowie die Einsparpotenziale ftir unter­
schiedliche Sanierungsvarianten darge­
stellt. Für exponierte Gebäude (z. B. Kir­
che und Schule) wurden Feinanalysen
durchgeführt.
Die Energieversorgung basiert zu über
80 Prozent auf Erdgas, der Rest erfolgt
über Ölkessel. Erneuerbare Energien und
Nahwärmenetze sind nur in geringem
Umfang vorhanden. Ein effizienter und
wirtschaftlicher Betrieb großer Nah­
wärmenetze ist nicht überall im Quartier
möglich, da durch die energetische Sa­
nierung auch weniger Wärme abgenom­
men wird. Daher wird der Ausbau klei­
ner Wärmeversorgungsnetze mit geringe­
ren Wärmeverlusten favorisiert, die den
Einsatz von Mini-Blockheizkraftwerken
erlauben. Dafür existieren aktuell För­
derprogramme der KfW und des Bundes­
amtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrol­
le (BAFA). Der dezentral erzeugte Strom
und die Wärme können bei guter Ausle­
gung fast vollständig in den Objekten
selbst genutzt werden.
Wie sehen die Bewohnerinnen
ihre Zukunft im Quartier?
Während die Mehrfamilienhäuser durch
die vor Ort aktive Wohnungsgenossen­
schaft bereits in vielen Bereichen energe­
tisch teilsaniert wurden, sind bei den Ein­
familienhäusern der 1950er und 1960er
Jahre der Sanierungsbedarf und damit
auch die Einsparpotenziale hoch. Die Be­
wohnerinnen der Häuser äußerten bei ei­
ner Befragung überwiegend, weiterhin in
ihren Häusern wohnen zu wollen. Nur
wenige ziehen im Alter einen Umzug,
z. B. in eine kleinere Wohnung oder ein
Seniorenheim, in Betracht. Jedoch hat nur
ein geringer Teil der Befragten Pläne für
zukünftige Renovienmgen oder gar ener­
getische bzw. altersbedingte Sanierun­
gen. Diese Analyse-Ergebnisse zeigen ei­
nen weiteren Handlungsschwerpunkt auf:
Die Verknüpfung von energetischen Sa­
nierungen mit den Bedürfnissen an ein
alters gerechtes. barrierefreies Wohnen.
Kurz-, mittel- und langfristig
umsetzbare Schritte
Basierend auf der Analyse und der Po­
tenzialermittlung wurde ein Maßnahmen­
katalog erstellt. Die darin skizzierten Vor­
schläge wurden nach der Handlungs­
ebene differenziert und bewertet. Krite­
rien sind die erwarteten Einsparungen an
Energie und CO 2 sowie die anfallenden
Kosten. So entstand eine Liste mit kurz-,
mittel-, und langfristig umsetzbaren
Schritten. Energetische Maßnahmen an
öffentlichen Gebäuden kann die Stadt in
eigener Regie kurzfristig (bis 2016) um­
setzen. Beratungsaktionen können eben­
falls kurzfristig gestartet werden, dafür
müssen jedoch Partner (z. B. Verbrau­
cherzentrale, Stadtwerke, Handwerk) ein­
gebunden werden.
Ein Leuchtturmprojekt wäre etwa eine
Mustersanierung. Viele Privatleute schre­
cken vor Sanierungen zurück, weil sie
den Aufwand und die hohen Investitio­
nen fürchten, und die zu erwartenden po­
sitiven Effekte noch unsichtbar sind. Die
Stadt könnte als Vorbild ein Haus aus dem
Quartier erwerben und beispielhaft ener­
getisch sanieren. Auf einer gläsemen
Baustelle ließen sich für die Bewohner­
schaft und für Interessierte die Phasen der
Sanierung sowie die Kosten und Effekte
veranschaulichen.
tigen Ansprache der Bewohnerschaft und
potenzieller Käuferinnen verschiedene
Kommunikationswege zu beschreiten.
Dazu gehören aufsuchende Beratungsan­
gebote in den Häusern und öffentlichen
Räumen des Stadtteils. Daftir ist es wich­
tig, Multiplikatoren im Quartier wie zum
Beispiel die Kirchengemeinde einzubin­
den. Darüber hinaus können Banken und
Immobilienbüros frühzeitig Informatio­
nen an Kaufinteressenten weiterleiten.
Die Realisierungschancen und dieAk­
zeptanz vor Ort sind deutlich höher, wenn
die zu erwartenden Effekte transparent
und verständlich vermittelt werden. Frü­
here Beteiligungsprojekte im Quartier
zeigten zudem, dass es an Orten des so­
zialenAustausches fehlt und die öffentli­
chen Grünbereiche eine Aufwertung brau­
chen. Diese Bedürfnisse sollten im Sin­
ne des integrierten Ansatzes wieder auf­
gegriffen werden, um die Wohnqualität
im Quartier insgesamt zu verbessern.
Darüber hinaus ist eine quartiersbezo­
gene Information und EnergieberatUng zu
sämtlichen Sanierungsmaßnahmen (Teil­
sanierung mit Einzelmaßnahmen,,Hffifas­
sende Gesamtkonzepte) sinnvolt: Dazu
gibt es als Beratungsgrundlage.fUr die
vorhandenen Gebäudetypen spezifische
Steckbriefe mit technischen Varianten,
energetischen und finanziellen Einsparef­
fekten sowie den erforderlichen Investi­
tionen und Rahmenbedingungen. Für die
Mieterinnen, v. a. einkommensschwache
Haushalte, bieten sich zudem Beratungen
zu geringinvestiven Maßnahmen an.
Damit die Konzept- in die Umset­
rungsphase mündet, ist ein Sanierungs­
management gepJJmt, das die prioritären
Maßnahmen initlneti uhdbegleitet. Dafür
gibt es vom zuständigen Ausschuss der
Hansestadt bereits 'Zustimmung.
Ein weiterer Leuchtturm kaM der Kli­
mapark sein: Auf einer Grünfläche lie­
ßen sich spielerisch und anschaulich die
Themen "Klimawandel/Klimaschutz"
vermitteln und mit den Lösungsmög­
lichkeiten im Quartier verknüpfen. Dabei
können die Einrichtungen im Quartier
wie Grundschule, Kitas und das Bil­
dungshaus genauso beteiligt werden wie
Einrichtungen der beruflichen Bildung
(z. B. Bildungszentrum der Handwerks­
kammer).
Die Vielfalt der Kommunika­
tionswege führt zum Ziel
Im Quartier, v. a. bei den Einfamilien­
haussiedlungen, findet ein allmählicher
Generationenwechsel statt. Dieses Zeit­
fenster sollte man nutzen, um die hohen
energetischen Einsparpotenziale auszu­
schöpfen. Empfehlenswert ist es, zur rich­
Eine gute Grundlage
Um die Frage der Artikel-Überschrift zu
beantworten: Das. Quartierskonzept lie­
fert die Grundlage dafur, die quartiers­
bezogenen, objektübergreifenden Ziele
mit den individuellen Interessen der Be­
wohnerinnen und objektbezogenen Maß­
nahmen frühzeitig abzustimmen und eine
gemeinsame Strategie zu entwickeln. Zu­
dem bietet das Konzept auch die Chan­
ce, das rur viele Menschen immer noch
abstrakte Thema Klimawandel anschauli­
cher zu machen. Insofern ja: Das Quar­
tierskonzept ist eine Chance rur den Kli­
maschutz und die Verbesserung der
Wohnsituation im Quartier. Diese gilt es
zu nutzen!
Weitere Informationen Download von Auszügen des Berichts unter: www.stadt-stade.info. Pfad: Rathaus! StadlenI­
wicklung & Bauenl Integriertes Energetisches Quartierskonzept Stade-Hahle. :> Michael Danner leitet das Büro "Kommuni­
kation für Mensch&Umwelt", Dipl.lng. Gülte­
kin Kirci ist Partner der "EnergieIngenieure
GbR". Beide arbeiten in der AG EnergieEffi­
zienzTeam (Hannover) und erstellen kommu­
nale Quartiers- und K/imaschutzkonzepte.
www.energieeffizienzberatung.info. kirci@
energieeffizienzberatung.info
AKP 112014125
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