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Hintergrundartikel – MEDICA 2016
ENTSCHEIDERFABRIK präsentiert bei der MEDICA 2016 interessante
IT-Projekte für den klinischen Alltag
Wenn der Fernseher zu einem spricht
„Guten Morgen, Max!“
- das Erlebnis, vom eigenen Fernseher mit
Vornamen begrüßt zu werden, kennen wohl nur die wenigsten. An
manchen Klinikbetten ist dies aber bereits Realität. Dabei beherrscht das
TV-Gerät am Krankenbett mehr als nur Entertainment. Die IT-Initiative
ENTSCHEIDERFABRIK untersucht
im Rahmen der weltführenden
Medizinmesse MEDICA in diesem Jahr (14. – 17. November 2016/
Düsseldorf),
wie
sich
die
zahlreichen
neuen
Möglichkeiten
im
Krankenhausalltag sinnvoll einsetzen lassen. „Patienten-Infotainment neu
gedacht“ ist nur eines der Szenarien, die Kliniken bei der ErgebnisVeranstaltung zu den „ENTSCHEIDERBARIK IT-Schlüsselthemen des
Jahres“ beim Deutschen Krankenhaustag während der MEDICA 2016
diskutieren werden. Vor dem Hintergrund des wachsenden ökonomischen
Drucks auf die Krankenhäuser wird es dabei immer wichtiger, dass sie
Lösungen für mögliche Probleme in ihren Abläufen finden. Ziel der
ENTSCHEIDERFABRIK ist es, diese exemplarisch und praktisch in zwei
Krankenhäusern und unter Mithilfe der Industrie zu erarbeiten. Dazu
werden 29 Verbände, mehr als 720 Kliniken, 96 Industrie-Unternehmen
und von den Verbänden gewählte Beratungshäuser zusammen gebracht.
Ausgewählt
wurden
die
Schlüsselthemen
für
dieses
Jahr
beim
sogenannten „Entscheider-Event“ im Februar.
Das am häufigsten gewählte Thema war dort „Echtzeit-Analyse und
Bewertung des Arzneimitteleinsatzes im klinischen Alltag mit der SAP
Foundation for Health“. Der wesentliche Hintergrund des Projekts ist die
Unterstützung des rationalen Einsatzes von Antibiotika und die langfristige
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Erhöhung
der
Arzneimitteltherapiesicherheit
im
Bereich
der
Antibiotikaverordnungen. Für Antibiotika existieren in (inter)nationalen und
klinikinternen Leitlinien indikationsabhängig Empfehlungen bezüglich der
optimalen Dosierung und Therapiedauer. Zu lange Vergabedauern von
Antibiotika
können
unter
anderem
die
Entwicklung
bakterieller
Resistenzen begünstigen und zum Auftreten weiterer unerwünschter
Nebenwirkungen führen. Damit verbunden sind höhere Arzneimittelkosten
und
in
einigen
Fällen
verlängerte
Patientenliegedauern
bzw.
Intensivliegedauern. Bislang gestaltet sich die manuelle Analyse der
Therapiedauern in Punktprävalenz-Studien sehr aufwändig und ist
während des Routinebetriebs eines Klinikums nicht regelmäßig oder gar
kontinuierlich durchführbar. Auf diese Weise durchgeführte Studien am
Uniklinikum Freiburg (UKF), aber auch bereits veröffentlichte Daten in der
Literatur,
beschreiben
häufige
Überschreitungen
der
empfohlenen
Therapiedauern. Am UKF wurde z. B. im betrachteten Zeitraum in 27
Prozent der Fälle die empfohlene Therapiedauer überschritten. Selbst
wenn in einigen Fällen eine längere Therapie durchaus indiziert sein kann,
lässt sich hier ein hoher Optimierungsbedarf vermuten. Um dies zu
erreichen, wäre es hilfreich, die Anwendung der Antibiotika in Echtzeit zu
überwachen
und
die
Therapiedauern
an das
ärztliche
Personal
tagesaktuell zurück zu melden. So können Ärzte während der aktuellen
Therapie unterstützt und das Outcome der Patienten verbessert werden.
Genau dies will das Projekt umsetzen, in dem unter anderem die
Universitätskliniken
Freiburg
und
Tübingen
mit
der
SAP
zusammenarbeiten.
Clinical Data Warehouse schafft bedarfsgerechte Informationen
Dirk Liftin, SAP Deutschland, schildert, dass auch die behandelnden Ärzte
künftig sehen können sollen, wie lange ihre Patienten bereits das
Antibiotikum bekommen haben und wie lange sie es - entsprechend den
Krankenhaus-individuellen Empfehlungen - noch bekommen sollten.
„Unsere Anwendung ist ursprünglich gar nicht für diesen einzelnen Zweck
entwickelt worden“, erklärt Litfin. Vielmehr sei das System geeignet, Daten
aus unterschiedlichsten Quellen zu sammeln. Große Krankenhäuser
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können auf über 100 Datenquellen kommen, in denen Daten zum
einzelnen Patienten sich verbergen könnten – und SAP würde den
Krankenhäusern damit die Möglichkeiten eröffnen, diesen Datenschätze
mit ihrem Tool im Interesse der Patienten zu heben.
Die Informationen aus relevanten Datenquellen sollen dazu in einem
Clinical
Data
Warehouse
zusammengeführt
werden.
So
wird
beispielsweise das gleiche System im Krebszentrum Heidelberg für die
Beantwortung onkologischer Fragestellungen eingesetzt. Im Projekt der
ENTSCHEIDERFABRIK
sammelt
Krankenhausinformationssystem
dieses
sowie
Daten
den
aus
dem
unterschiedlichen
Medikationssystemen auf der Normal- und Intensivstation. Um tatsächlich
die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen und die Häufigkeit von
unerwünschten Arzneimittelwirkungen verringern, wäre es wichtig, dass
die Ergebnisse vor Ort auf der Station gezeigt werden. Viele
Krankenhäuser wünschen sich darüber hinaus, dass die SAP-Software
von ihren übrigen Systemen aufgerufen wird – und hierfür ist die
Kooperation mit anderen Softwareherstellern erforderlich. Immerhin ist ID
Diacos Pharma bei diesem Projekt bereits aktiv mit an Bord. Insgesamt
wird das Gelingen davon abhängen, inwiefern andere Hersteller bereit
sein werden, Schnittstellen zu bauen oder sich in die Karten gucken zu
lassen: SAP will ja nur sammeln und die Ergebnisse im Krankenhaus vor
Ort präsentieren. Nicht nur diesbezüglich ist spannend, was in Düsseldorf
während der MEDICA 2016 präsentiert wird.
Bedside Terminal für die schlaue Interaktion
Patienten begeistern und Prozesse verbessern will das Projekt, das
BEWATEC und die Universitätskliniken in Münster und Frankfurt
gemeinsam angehen. Bedside Terminals sind dabei nicht billig und stellen
initial hohe Investitionskosten für interessierte Krankenhäuser und Kliniken
dar und sind somit eigentlich zu schade, um nur für die Bereitstellung von
Entertainment-Diensten und Kommunikation zu dienen. Die Systeme von
BEWATEC bieten daher neben einem ausgebreiteten EntertainmentSeite 3 von 8
Angebot zahlreiche weitere Applikationen für erhöhten Komfort und
Service für den Patienten, die Integration von Klinikinformationen sowie
die Digitalisierung der Prozesse am Point of Care. Die aktuelle Androidbasierte Geräteserie „MediPaD“ ist technisch mit handelsüblichen Tablets
gleichzusetzen
und
bedient
bereits
diverse
Schnittstellen
der
Klinikinfrastruktur (z. B. Abrechnungssysteme, VoIP-Server). Das Ziel laut
Dr. Michael Knappmeyer, Leiter der Forschung & Entwicklung bei
BEWATEC, ist es, zum einen klinikinterne Workflows zu unterstützen, um
den
Investitionen
einen
wirtschaftlichen
Einsparungseffekt
gegenüberzustellen. Zum anderen kann die Patientenzufriedenheit erhöht
werden, indem das Terminal transparent beispielsweise über anstehende
Behandlungsschritte informiert. Ermöglicht werden soll dies dadurch, dass
die Informationen aus dem Krankenhausinformationssystem über einen
Kommunikationsserver in „MyMediNet“ eingespeist werden.
Der Patient soll also nicht nur morgens begrüßt werden. Er soll auch
durch
Erinnerungen
motiviert
werden,
die
ihm
verschriebenen
Medikamente pünktlich und entsprechend der vereinbarten Dosis zu
nehmen. Auch Termine zur Therapie, Physiotherapie, Visite, Entlassung
und ähnliches können übersichtlich in einem Kalender dargestellt werden
– und dem Patienten zu helfen, sich darauf vorzubereiten. Über eventuell
notwendige
informiert.
Aktualisierungen
Das
Tablet
wird
wird
so
er
zur
per
Push-Benachrichtigung
bidirektionalen
Daten-
und
Kommunikationsschnittstelle zwischen Patient und Klinik.
Außerdem wird auch die digital gestützte Patientenaufklärung direkt am
Point-of-Care unterstützt. Sie soll helfen, ein für den Patienten leicht
verständliches und individuell auf ihn abgestimmtes Gespräch zu führen.
Dabei
werden
gezeigte
Aufklärungssequenzen
protokolliert.
Das
Dokument wird vom Arzt direkt am Bett bearbeitet. Auch die zeitgleiche
digitale Ablage sowie die elektronische Unterschrift durch den Patienten
führen zu Zeit- und Kostenersparnissen. Allerdings muss der Patient, die
von ihm unterzeichneten Unterlagen ausgehändigt bekommen, um diese
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mit
nach
Hause
nehmen
zu
können,
wenn
dies
alles
dem
Patientenschutzgesetz entsprechen soll. Um entsprechende Ausdrucke
wird man also auch am High-Tech-Krankenbett nicht herumkommen.
Rechtssichere Dokumentation von Daten
In einem weiteren Projekt wird die rechtssichere Dokumentation sogar
eine Hauptrolle spielen. Es geht um die Langzeitarchivierung von Daten.
Die sollte IHE-konform werden. Tatsächlich ist „Integrating the Healthcare
Enterprise“ (IHE) eine Initiative von Anwendern und Herstellern mit dem
Ziel, den Datenaustausch zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen
zu standardisieren und zu harmonisieren. Arztpraxen, Medizinische
Versorgungszentren,
Gesundheitswesen
Krankenhäuser
sollen
künftig
und
Daten
alle
andere
Player
im
„schrankenlos“
nahezu
austauschen können. Wünschenswert wäre es dabei natürlich, dass die
Einrichtungen notwendige Dokumente auch Jahre später vorlegen
können.
An
einem
entsprechenden
Projekt
im
Rahmen
der
ENTSCHEIDERFABRIK beteiligen sich auf Industrieseite DMI, März und
Cerner.
„Neben
dem
intersektoralen
Austausch
steht
auch
die
revisionssichere Archivierung im Fokus, die es idealerweise auch
ermöglichen soll, zu einem späteren Zeitpunkt archivierte klinische
Dokumentation auszutauschen“, erläutert Annett Müller vom DMI Münster.
Im ersten Schritt soll bei den beteiligten Kliniken der Digitalisierungsgrad
analysiert werden. Schwerpunkte sind hier, genutzte Dokumententypen analog und elektronisch -, Verwendung der klinischen Dokumentation
sowie Anforderungen durch die Anwender der digitalen Akte. Ein weiterer
wichtiger Punkt der Analysen ist die Klassifizierung aller genutzten
Dokumente mittels der Konsolidierten Dokumentenliste (KDL), um die
IHE-Konformität zu gewährleisten.
Wichtig sei, dass die Kliniken ihre Bedürfnisse klar formulierten, meint
Michael Meilutat, Mitarbeiter des ebenfalls am Projekt beteiligten
Healthcare-IT-Unternehmens Cerner, zum Thema IHE. Zunächst solle klar
sein, ob ein Archivsystem für Dokumente einzelner Einrichtungen und/
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oder
eine
Plattform
für
den
einrichtungsübergreifenden
Dokumentenaustausch gewünscht sei. Die Einbeziehung von Ärzten sei
unbedingt zu empfehlen. Zu beantworten sei etwa die Frage, womit ein
Krankenhaus
starten
wolle:
Soll
mit
anderen
Kollegen
einrichtungsübergreifend über Dokumente geredet werden? Oder ist das
primäre Ziel, die Dokumente intern zur Verfügung zu stellen? Auch beides
gleichzeitig sei möglich, wenn die höhere Projektkomplexität adäquat
geplant werde, so Michael Meilutat. Einen Hemmschuh der Entwicklung
sieht Meilutat eher weniger in der vorhandenen Technologie. Die
grundsätzlichen Applikationen hätten den notwendigen Reifegrad und
warteten auf ihren Einsatz. Technische Standards wie HL7 ergänzt
beispielsweise um IHE XDS-b für den einrichtungsübergreifenden
Dokumentenaustausch ermöglichten eine dauerhafte Unabhängigkeit der
Krankenhäuser von einzelnen Herstellern.
Wenn der Nutznießer nicht die Kosten trägt…
Vielmehr stellten die finanziellen Bedingungen Hürden dar. Meilutat
schildert,
dass
Interessengruppen
Kosten
und
aufteilten.
Nutzen
Während
sich
die
auf
unterschiedliche
Investitionen
und
Umstrukturierungen bei Ärzten oder Krankenhäusern anfielen, seien die
Nutznießer die Patienten oder die Krankenkassen. „Die Motivation, etwas
zu ändern ist dementsprechend verständlicherweise bei den Versorgern
eher verhalten, weil für sie nur Aufwand und Kosten anfallen. Welcher
Radiologe hat schon ein Interesse daran, Doppeluntersuchungen zu
vermeiden?“, fragt Meilutat entsprechend überspitzt. Auch das eHealthGesetz werde daran wenig ändern. So müssten sich die Krankenhäuser
besonders klar darüber sein, was sie mit einer Investition erreichen
wollten. Eine Lösung für alle Kliniken werde es künftig nicht geben.
Vielmehr müssten die individuellen Bedürfnisse eines jeden Klinikums für
Archivierung über lange Fristen, zur Revisionssicherheit und für
einrichtungsübergreifende Kommunikation berücksichtigt werden.
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Aus Sicht von Michael Haumann, Leiter IHE-Fachvertrieb bei der März
Internetwork Services, steht das Projekt stellvertretend für eine ganze
Reihe von Standardisierungsprojekten, die die März umgesetzt hat. In
diesen Projekten wurde aus der Betrachtung des Krankenhauses als
„Silo“
durch
die
Einführung
einer
IHE
konformen
Archiv-
und
Interoperabilitätplattform ausgebrochen. Hierfür stünden exemplarisch:
„Gemeinsames Medizinisches Versorgungszentrum der Charité und
Vivantes“, „Digitales Archiv des Universitätsklinikums Jena“ oder auch die
„RIS-Migration im Klinikum Stuttgart“.
Alle drei skizzierten Projekte gehören zu den fünf IT-Schlüssel-Themen
des Jahres, die beim Entscheider-Event im Februar gewählt wurden. Die
zwei weiteren sind „Elektronisches Anordnen mit Anordnungssets Entwicklung eines standardisierten Anordnungskatalogs“ und „Neue
Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine hilft organisatorische
Fehler bei der Sprechstundenplanung zu vermeiden“. Sie trugen beim
Sommer-Camp der ENTSCHEIDERFABRIK Ende Juni 2016 ihre Projekte
vor und bearbeiteten zurzeit diese. Spätestens seit diesem Zeitpunkt geht
es in die tatsächliche Umsetzung in maximal zwei ausgewählten
Krankenhäuser pro Arbeitsgruppe. Die Produkte der Industrie müssen
sich dort bewähren. Am 17. November präsentieren dann alle Beteiligten
ihre Ergebnisse beim Deutschen Krankenhaustag während der MEDICA
2016. Dr. Pierre-Michael Meier, stv. Sprecher des IuiG-Initiativ-Rates der
ENTSCHEIDERFABRIK, berichtet, dass die dort geübte Kritik für die
Industriepartner manchmal nicht einfach sei. Dennoch biete die
ENTSCHEIDERFABRIK
eine
gute
Gelegenheit
für
die
Industrie,
innovative Produkte in den Markt zu bringen – und die Krankenhäuser
bekämen die Gelegenheit, diese zu testen.
Weitere
Informationen
online
unter:
http://www.medica.de/entscheiderfabrik.
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Autorenhinweis: Dr. Lutz Retzlaff, freier Medizinjournalist (Neuss)
Messe Düsseldorf GmbH
Pressereferat MEDICA 2016
Martin-Ulf Koch/ Larissa Browa
Tel. +49(0)211-4560-444/ -549
E-Mail: [email protected]
Düsseldorf, 25. Juli 2016
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