WERNER DELANOY * Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht Abstract. This article concerns the concept of transculturality and some of its implications for literature teaching in EFL-contexts. In the first part the focus is on Wolfgang WELSCH’s definition of the term. According to WELSCH, transculturality stands for cultural hybridisation in a globalised world. For him, the concept is a highly productive new paradigm which should help overcome nationalist concepts of culture. Also, he has placed his approach in opposition to interculturality, which he views as an outmoded paradigm still clinging to the notion of cultures as closed and homogeneous entities. However, from an intercultural-learning perspective such assessment is problematic, since interculturality also includes a transcultural dimension. Thus, WELSCH’s opposition will be deconstructed to give both approaches due credit for their work on culture formation and to encourage a dialogue between the two. Moreover, attention will be drawn to the limitations of WELSCH’s understanding of transculturality to make the concept more inclusive of the diverse and manifold modalities of cultural mixing. As a result, a differentiated concept of transculturality will be introduced. In the second part this concept will be linked to literature and literature teaching. First, the focus is on how literary texts have dealt with issues related to transculturality. Secondly, the concept will be discussed as an invitation to bring English Studies and ELT up-to-date with the global and multilingual dimension of anglophone literatures. Finally, my concept of reader response will be compared to WELSCH’s notion of transculturality. As will be shown, the two share important convictions. Moreover, an aesthetic text approach as suggested by reception aesthetics is rich in potential for reflective and insightful cultural mixing. 1. Überlegungen zum Begriff der Transkulturalität Der Begriff der Transkulturalität wird in aktuellen Fachdebatten insbesondere mit Wolfgang WELSCHs Definition in Verbindung gebracht (WELSCH 1999). Hierzu sei angemerkt, dass derselbe Begriff in den Kulturwissenschaften auch anders verwendet wurde bzw. wird.1 Dazu kommt, dass jene Problembereiche, die WELSCH unter Transkulturalität zusammenfasst, auch mit Hilfe anderer Oberbegriffe diskutiert werden. So sprechen in * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Werner DELANOY, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Institut für Anglistik & Amerikanistik, Universitätsstraße 65, A-9020 KLAGENFURT, Österreich. E-mail: [email protected] Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, interkultureller Fremdsprachenunterricht, Cultural Studies. 1 So verwendet MEYER (1990: 143) den Begriff als Bezeichnung für seine höchste Stufe interkulturellen Lernens, auf der sich die Lernenden mit Hilfe „internationaler Prinzipien“ (selbst)kritisch mit eigenen und anderen Kulturen befassen. Dazu sei angemerkt, dass MEYER verglichen mit WELSCH viel stärker am Konzept der Nation haften bleibt, dass aber solche Prinzipien auch bei Positionen eine wichtige Rolle spielen, die auf WELSCH aufbauen (vgl. ANTOR 2006b). Eine weitere Definition findet sich in der Soziologie bei BECKGERNSHEIM (2007: 151), wobei Transkulturalität hier Phänomene bezeichnet, die verschiedene Kulturen betreffen. Nun ist Transkulturalität auch für WELSCH ein kulturübergreifendes bzw. globales Phänomen, doch meint BECK-GERNSHEIM damit nicht bloß Vermischung, sondern verschiedenste, über Kulturen hinweg geteilte Praktiken. 37 (2008) 96 Werner Delanoy diesem Zusammenhang etwa HANNERZ (1996) oder BECK-GERNSHEIM (2007) von Transnationalität, während WERBNER (1997) oder LOOMBA (1998) Hybridität als übergeordneten Begriff bevorzugen. Ferner ist WELSCH keineswegs der erste, der sich mit solchen Phänomenen in den Kulturwissenschaften befasst hat. WELSCHs Position knüpft an postkoloniale Positionen und Globalisierungsdebatten an, wobei er – anders als viele seiner Kolleginnen und Kollegen – einen Ansatz vertritt, der den Machtaspekt bzw. eine Globalisierungskritik nur am Rande berücksichtigt. Auch sei darauf verwiesen, dass in der Fachliteratur Transkulturalität bzw. dem Begriff zugeordnete und verwandte Problembereiche sehr unterschiedlich beurteilt werden. Während sie für WELSCH ein grundsätzlich positives Phänomen darstellen, haben sich andere Arbeiten (z.B.: FRIEDMAN 1999; WACHINGER 2003) auch mit deren problematischen Aspekten auseinander gesetzt. Schließlich liegen auch zur historischen Verortung von Transkulturalität unterschiedliche Auffassungen vor. Während WELSCH dieses Phänomen mit der gegenwärtigen Globalisierung von Kulturen in Verbindung bringt, betrachten es andere Forscher (z.B. FRIEDMAN 1997: 80) als eine Dimension kultureller Entwicklung, die postmoderne, moderne und vormoderne Gesellschaften betrifft. 1.1 Wolfgang WELSCHs Vorstellung von Transkulturalität Für WELSCH (1999) steht Transkulturalität für Formen kultureller Vermischung und Durchdringung in einer global vernetzten Welt. Er gibt seinem Begriff klare Konturen, indem er ihn in Opposition zu anderen Kulturkonzepten stellt. Zum einen unterscheidet WELSCH (ibid.: 195) Transkulturalität von Herders Begriff der Nation, der Kulturen als intern einheitliche und nach außen abgegrenzte Größen denkt, wobei hier die Grenzen einer Einheitskultur mit jenen eines Nationalstaates zusammenfallen. Für WELSCH ist dieser Nationenbegriff ein Kulturkonzept, das sich im 19. und 20. Jahrhundert als dominantes Kulturmodell durchgesetzt hat, das aber in Anbetracht seiner Enge und Gefährlichkeit (z.B.: gewaltsame Eliminierung interner Differenz und Abwehr von Außeneinflüssen), sowie im Lichte veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen durch ein neues Paradigma ersetzt werden muss. Dieses neue Paradigma ist nun jenes der Transkulturalität, das innerkulturelle Vielfalt anerkennt, eine vielfältige Verflechtung nach außen hin hervorhebt und für Vermischung in verschiedenster Hinsicht offen ist. Dabei verweist WELSCH auf die Bedingungen für Kulturentwicklung in einer globalisierten Welt, die geradezu nach einem solchen Paradigma verlangen. Damit meint WELSCH den vielfältigen Austausch innerhalb und zwischen Kulturen in Anbetracht von Migration, global vernetzter Kommunikationssysteme sowie transnationaler wirtschaftlicher und politischer Interdependenz. Zum anderen stellt WELSCH (ibid.: 196) seinen Begriff in Opposition zu den Theorien der Multi- und Interkulturalität. Beiden bescheinigt er ein Bemühen, kulturelle Vielfalt anzuerkennen (Multikulturalität), bzw. ein friedliches Neben- und Miteinander von Kulturen fördern zu wollen (Interkulturalität). Beiden wirft er aber vor, dass sie an der Vorstellung festhalten, Kulturen als abgrenzbare und einheitliche Größen zu denken, weshalb sie ein traditionelles Kulturverständnis nur ungenügend überwinden helfen. Ich 37 (2008) Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 97 habe bereits a.a.O. (vgl. DELANOY 2006: 239 ff) darauf verwiesen, dass mir diese Abgrenzung aus dem Blickwinkel der Interkulturalitätsdebatte in der Fremdsprachendidaktik als problematisch erscheint, weil dort Vermischung und Veränderung im Lichte des/der Anderen (vgl. KRAMSCH 1993), veränderte Bedingungen für kulturelle Entwicklung in einer global vernetzten Welt (vgl. VOLKMANN 2000) und kulturelle Binnendifferenzierung (vgl. HU 1999) sehr wohl eine wichtige Rolle spielen. Diese Dimension von Interkulturalität findet in der aktuellen Transkulturalitätsdebatte durchaus Erwähnung, wobei HUGGAN (2006: 57–58) Interkulturalität als „premised on a mutually transforming, usually enriching relationship with the cultural other“ charakterisiert. Damit scheint der bei WELSCH formulierte Gegensatz überwunden. HUGGAN (ibid.: 58) wirft den Vertreterinnen und Vertretern des interkulturellen Paradigmas in den Folgesätzen aber vor, dass sie nach wie vor an einem essentialistischen Kulturverständnis – er spricht von einem „back-door cultural essentialism“ – festhalten, das kulturelle Grenzen aufrecht erhält, bestehende Machtverhältnisse perpetuiert, Fremdes im Bereich des Exotischen belässt und somit an einer Vermischung und Verflechtung von Kulturen nicht wirklich Interesse zeigt. Laut HUGGAN ist das Bekenntnis zu Vermischung im interkulturellen Diskurs daher nur leere Rhetorik. Es ist hier nicht der Platz, HUGGANs Aussage im Detail zu begegnen. Es sei aber festgehalten, dass sich in der interkulturellen Fremdsprachendidaktik eine Reihe von Positionen finden, die ein essentialistisches Kulturverstehen entschieden ablehnen und bestehende Machtverhältnisse im Interesse einer gerechteren Gesellschaftsordnung verändern möchten (vgl. DELANOY 2005; oder KRAMSCHs [1993: Kapitel 8] Vorstellung vom dritten Ort). Problematisch finde ich an den Konzepten von HUGGAN und WELSCH, dass Interkulturalität als einheitliches Paradigma abqualifiziert wird, um dem eigenen Begriff klare Konturen zu geben. HUGGAN und WELSCH handeln damit in einer Form, die ihren Grundsätzen von Transkulturalität widerspricht, nach denen kulturelle Vielfalt anerkannt und klar trennende Grenzen vermieden werden sollen. Mit anderen Worten, die Heterogenität von Interkulturalität wird eliminiert, um eine klare Grenze zum anderen Fachdiskurs zu ziehen. Dazu kommt bei WELSCH auch eine Homogenisierung von Transkulturalität, die bei seinem Ansatz grundsätzlich als positives Phänomen vorgestellt wird, wobei er Hybridisierung mit kulturellem Fortschritt gleichsetzt und Globalisierung als zentralen Motor für Kulturvermischung denkt. WELSCHs Auffassung von Transkulturalität ist keineswegs unumstritten. So verweist BAUMAN (1998: 67, 75 ff) auf die ungleichen Machtverhältnisse und Freiheitsverluste bei gegenwärtigen Globalisierungspraktiken (vgl. BAUMAN 1998: 67, 75 ff). Ferner wird in der postkolonialen Kulturkritik auf „the diverse modalities of hybridity“ verwiesen, die von den Betroffenen sehr unterschiedlich erfahren (SHOHAT 1993: 110) und per se nicht als „progressive position“ bewertet werden können (vgl. LOOMBA 1998: 183).2 WACHINGER (2003: 149) warnt daher vor einer „celebratory rhetoric“ , die den Blick auf die Vielfältigkeit und Ambivalenz transkultureller Phänomene verstellt. LOOMBA (1998: 181) und WACHINGER (2003: 143) plädieren deshalb für eine differenzierte und kontextspezi2 Zu den „many faces of transculturality“, vgl. DELANOY (2006: 236–239). 37 (2008) 98 Werner Delanoy fische Betrachtung transkultureller Phänomene, um genauer verstehen zu können, was sie für wen in welchen Zusammenhängen bedeuten. Will ich WELSCHs Idealbild von Transkulturalität auch relativieren, so ist es nicht meine Absicht, dessen Relevanz für die Kulturwissenschaften und ihre Didaktik in Abrede zu stellen. Kulturelle Hybridität bzw. eine Verflechtung von Kulturen haben in Anbetracht einer zunehmend globalisierten Welt zweifellos an Bedeutung gewonnen, wobei ich wie ANTOR (2006b: 30) meine, dass ein Bewusstsein für diese Form von Kulturentwicklung noch nicht ausreichend gegeben ist. Auch leistet WELSCHs Definition einen wichtigen Beitrag, um einen ausschließenden Nationenbegriff überwinden zu helfen und kulturelle Vielfalt sowie damit verbundene Vermischungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gebührend anzuerkennen. Schließlich ist WELSCH zuzustimmen, dass Kulturkonzepte „operativ“ wirken, d.h., dass sie Wirklichkeit in einer bestimmten Hinsicht wahrnehm- und gestaltbar machen (vgl. WELSCH 1999: 200). So lassen sich mit einem positiven Bild von Transkulturalität Stereotype in Frage stellen und korrigieren, die kultureller Hybridität dort entgegen gebracht werden, wo die Vorstellung einer Leitkultur die Wahrnehmung von Menschen nach wie vor prägt. BECK-GERNSHEIM (2007: 88 ff) verweist in diesem Zusammenhang auf die Annahme, dass Hybridität in erster Linie Menschen am Rande einer Gesellschaft betrifft. Dem ist entgegen zu halten, dass kultureller Vermischung schon in Anbetracht einer wachsenden Bevölkerungszahl mit Migrationserfahrung eine zunehmend zentrale gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Ferner stellt BECK-GERNSHEIM (2007: 98–100) die Vorstellung in Frage, dass Menschen mit Bindestrichidentitäten nirgends zu Hause sind. Sie verweist hier auf Fallstudien, die belegen, dass dies zutreffen kann, dass aber vielen Menschen ein Heimischwerden in mehreren Kulturen und neu geschaffenen hybriden Kulturräumen durchaus gelungen ist. 1.2 Für einen Dialog zwischen Trans- und Interkulturalität Bei WELSCH markieren Trans- und Interkulturalität noch gegensätzliche Konzepte, die einander ausschließen. In der aktuellen Diskussion finden sich aber Bemühungen, Brücken zwischen den beiden Ansätzen zu bauen. An der Universität Köln etwa wurde ein Zentrum für Inter- und transkulturelle Studien (CITS) eingerichtet, das die Leistungen beider Diskurse anerkennen und miteinander verknüpfen möchte (vgl. ANTOR 2006a: 9 ff). Dabei werden beide Zugänge zu einem Dialogbegriff in Beziehung gesetzt, der ihnen einen bestimmten Referenz- und Zielrahmen vorgibt. Dieser Dialogbegriff ist so konzipiert, dass er absolute Standpunkte ausschließt, „die Menschenwürde und Menschenrechte eines jeden Einzelnen [anerkennt]“ und eine kritisch-reflektierende Auseinandersetzung mit eigenen und anderen Ansichten vorsieht (vgl. ANTOR 2006b: 32, 38).3 Trans- und Interkulturalität werden dabei an das Entwickeln eines (selbst)kritischen Bewusstseins geknüpft, das ein gutes und gerechtes Leben für möglichst viele Menschen anstrebt. 3 Eine ähnliche Forderung findet sich bei DELANOY (2006: 241–243), der aus der Position einer interkulturellen Hermeneutik für einen vergleichbaren Dialogbegriff als gemeinsamen Bezugsrahmen argumentiert. 37 (2008) Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 99 Mit ANTORs Vorschlag wird eine wichtige Grundlage für das Einbeziehen beider Fachdiskurse geschaffen. ANTOR (ibid.: 29) hält aber an einer prinzipiellen Unterscheidung zwischen Inter- und Transkulturalität fest, da für ihn „viele Interkulturalitätsforscher“ noch „von konzeptuelle[n] Grenzen“ zwischen Kulturen ausgehen, während bei Transkulturalität „die Grenzen zwischen Kulturen soweit aufgelöst [sind], dass diese nicht mehr als getrennte Entitäten zu denken sind“. Interkulturalität wird somit vorrangig mit klarer kultureller Abgrenzung in Verbindung gebracht, während Transkulturalität den Blick auf kulturelle Vermischung lenkt, wobei ANTORs Transkulturalitätsbegriff auf jenem von WELSCH aufbaut. Dieser Unterscheidung ist zweierlei entgegen zu halten. Zum einen beruft sich die interkulturelle Fremdsprachendidaktik hermeneutischer Prägung auf einen Verstehensbegriff, der ein Auflösen von Grenzen durch Vermischung mit anderen Sichtweisen sehr wohl einschließt. Dieser Verstehensbegriff sieht ein Einlassen auf andere Perspektiven auf der Grundlage einer (selbst)kritischen Prüfung eigener und anderer Sichtweisen vor. Dabei will das Verstehenssubjekt seine Begrenztheiten über die Konfrontation mit anderen Standpunkten erweitern, um sich im Lichte des Gegenübers weiter zu entwickeln. Das ,Inter‘ in Interkulturalität steht daher für einen Zwischenraum, wo verschiedene Elemente einander begegnen und sich vermischen können. Dabei werden in neuen Arbeiten die aufeinander treffenden Standpunkte keineswegs als einheitliche und klar trennbare Entitäten betrachtet. Vielmehr sind sie an die spezifischen Biographien von Verstehenssubjekten gebunden, die von Mehrfachzugehörigkeiten, Brucherfahrungen sowie diversen Vermischungs- und Abgrenzungspraktiken geprägt sind (vgl. dazu: DELANOY 2007; HU 1999; KÖGLER 2003). Zum anderen spielen Grenzen und Abgrenzung auch bei WELSCH eine wichtige Rolle. Für WELSCH (1999: 66) ist Transkulturalität ein offener und sich fortsetzender Prozess, der immer auf einem Wechselspiel zwischen Grenzüberschreitung durch Vermischung und erneuter Grenzziehung beruht. WELSCH denkt hierbei an eine Progression, bei der in einer ersten Phase nationale Kulturvorstellungen durch Vermischung überschritten werden. Dabei sind die betroffenen Menschen aber auch darum bemüht, eine eigene Identität zu bewahren bzw. zu entwickeln, die sie von anderen unterscheidet. Ja, WELSCH sieht in der Abgrenzung ein legitimes Interesse von Menschen, um der Gefahr globaler Uniformität entgegen zu wirken. Für WELSCH unterscheidet sich diese neue Grenzziehung von den ‚alten‘ Grenzen dadurch, dass nun Vermischung in die neuen Identitäten bereits Eingang gefunden hat. Dieser Prozess setzt sich in der Folge fort und bewirkt eine fortschreitende Hybridisierung von Identität. Diesen Prozess denkt WELSCH als Zuwachs an kultureller Heterogenität, da die unterschiedlichsten Kombinationen verschiedenste Positionen entstehen lassen. Gleichzeitig sieht er darin eine günstige Entwicklung für mehr Toleranz füreinander, weil trotz Differenz Anteile von vielen Kulturen sich auch in die eigene zunehmend einschreiben. Ich möchte WELSCHs Vorstellung von Kulturprogression hier nicht kommentieren, sondern nur hervorheben, dass auch bei seinem Transkulturalitätsbegriff Vermischung immer in Verbindung mit Abgrenzung gedacht wird, wobei Grenzziehung dem Entwickeln eigener Standpunkte dient. Hierzu sei angemerkt, dass auch ANTOR (2006b: 34) die 37 (2008) 100 Werner Delanoy Bedeutung einer eigenen Positionalität unterstreicht, die erst das Artikulieren eigener Interessen sowie ein Bewusstwerden von und Nachdenken über Differenzen und Gemeinsamkeiten ermöglicht. Wenn Abgrenzung einen wesentlichen Bestandteil transkultureller Positionen ausmacht und umgekehrt Vermischung für interkulturelle Ansätze eine zentrale Rolle spielt, so macht es wenig Sinn, die beiden Fachdiskurse je einem Pol zuzuordnen. Es ist vielmehr an der Zeit, auch Überschneidungen gebührend anzuerkennen. Ist dies nicht der Fall, so besteht die Gefahr, dass die Gegenüberstellung von Trans- und Interkulturalität als operatives Konzept wirkt und vor allem das Trennende zwischen den beiden in das Blickfeld rückt. Damit wird ein konstruktiver Austausch zwischen den beiden Fachdiskursen behindert und einer Vermischung der beiden Fachdiskurse ein Riegel vorgeschoben, wodurch beiden Möglichkeiten zur Weiterentwicklung im Lichte des Gegenübers genommen werden. Ich möchte daher für einen offenen Dialog zwischen inter- und transkulturellen Debatten im Interesse eines differenzierten Kulturverstehens plädieren, wo beide Fachdiskurse ihre Potentiale zum Verstehen verschiedenster kultureller Vermischungs- und Abgrenzungsphänomene einbringen, kritisch überprüfen und weiterentwickeln können. Eine solche Theoriebasis ist um ein differenziertes Verstehen von Transkulturalität und damit verbundenen Phänomenen bemüht. Eine solche Position erscheint mir auch dem Diskursbereich Literatur gegenüber als notwendig, der aus der Sicht der Kultur- und Literaturwissenschaft Transkulturalität in ihrer Komplexität zur Diskussion gestellt hat. 2. Transkulturalität und Literaturunterricht im Fachbereich Englisch Im Folgenden gilt mein Augenmerk zunächst den Fragen, wie Literatur – allgemein betrachtet – sich mit Transkulturalität befasst hat, und welche Anforderungen sich daraus an den Literaturunterricht ergeben. Ferner wende ich mich den anglophonen Literaturen zu, deren Gegenstandsbereiche sich im Lichte von Transkulturalität beträchtlich erweitern können. Schließlich wird Transkulturalität mit meiner literaturdidaktischen Position verglichen. Dabei handelt es sich um einen rezeptionsästhetischen Ansatz, der das Lesen von Literatur als vom Text gelenktes Schaffen ästhetischer Bedeutungen denkt. Hier wird der Frage nachgegangen, wie sich dieser Ansatz in seinen Grundfesten zu WELSCHs Vorstellung von Transkulturalität verhält, wobei die beiden Positionen aus meiner Sicht wichtige Grundüberzeugungen teilen. 2.1 Literatur und Transkulturalität In der Fachdebatte fällt auf, dass wiederholt unterschieden wird, wie Literatur und einige Kulturwissenschaftler mit dem Problemkomplex Transkulturalität umgehen. Hierbei wird Hybriditätsbefürwortern vorgeworfen, dass sie ein einseitig positives Verständnis von Transkulturalität über den Verweis auf literarische Texte konstruieren, obwohl sich ein solches Vorgehen anhand von Literatur nicht rechtfertigen lässt. In der Ethnologie spricht 37 (2008) Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 101 z.B. FRIEDMAN (1999: 247) von „hybrid ideologues“, die sich ‚in die Literatur flüchten‘, um dort Bestätigung für ihre Annahmen zu finden. Seine Kritik gilt aber diesen Denkern und nicht den ins Spiel gebrachten literarischen Texten, die aus seiner Sicht sehr wohl „open to alternative interpretations“ sind (ibid.).4 In der Argumentation durchaus vergleichbar fällt die Kritik des Literaturwissenschaftlers WACHINGER (2003: 156) aus. Für ihn sind „multicultural diversity and visions of productive intermingling […] not in the least as favourably represented in fiction [...] as the theoretical debate and some writers’ mediatised statements suggest“, wobei letztere Aussage auf Kommentare von Salman Rushdie bezogen ist, die der Autor in theoretischen Schriften sowie Interviews vorgestellt hat. Schließlich unterstreicht SOMMER (2000: 190) die Komplexität von Literatur bei der Beschäftigung mit Transkulturalität, wobei er auf die sehr unterschiedlichen Erfahrungen damit in der von ihm erforschten Migrationsliteratur verweist. Diesen Aussagen folgend lässt sich Literatur als Diskursbereich denken, der Transkulturalität in ihrer Komplexität und Polyvalenz zur Diskussion stellt. Diese Auffassung überschneidet sich mit einem rezeptionsästhetischen Literaturbegriff, wie er von BREDELLA vertreten wird. Für BREDELLA (2002: 56) thematisieren literarische Texte Problembereiche „in ihrer unauflöslichen Gebundenheit an komplexe konkrete Situationen und Erfahrungen“. Konkrete Erfahrungen sind an Menschen gebunden, weshalb Literatur am konkret Menschlichen ansetzt, um sich mit Wirklichkeiten auseinander zu setzen. Dazu kommt, dass Literatur aufgrund ihrer ästhetischen Distanz zu Primärwelten ein relativ sanktionsloses Experimentieren mit Vorstellungen erlaubt. Die Stärken von Literatur liegen somit in einer konkreten Komplexität und im ästhetischen Spiel mit Gedanken, wobei auf den Ästhetikaspekt noch zurückzukommen sein wird. Im Hinblick auf Transkulturalität kann Literatur somit im konkret Menschlichen verortete, komplexe und vom Druck der Primärwelt entlastete Zugänge zu diesem Problembereich eröffnen. Welche Folgen hat ein solches Literaturverständnis für die Beschäftigung mit Transkulturalität im Literaturunterricht? Zum einen setzt es eine bestimmte ästhetische Erfahrungshaltung gegenüber Literatur voraus, auf die ich noch zurückkommen werde. Zum anderen ist bei der Textauswahl darauf zu achten, dass ein komplexer Zugang zu diesem Problembereich möglich wird. Hierbei kann DECKE-CORNILLs (1994) Vorstellung vom „didaktischen Text“ als Leitidee dienen, wobei ich ihren Begriff insofern offener verwende, als ich ihn nicht nur auf Textarrangements sondern auch auf Einzeltexte beziehe. So verstanden steht der Begriff für Texte bzw. Textreihen, die für den Unterricht ausgewählt und zusammengestellt werden. Diese Texte bzw. Textreihen zeichnen sich dadurch aus, dass sie kontroverse und komplexe Perspektiven zur Darstellung bringen. Dadurch werden die Lernenden eingeladen, ein differenziertes Verstehen zu entwickeln, das in verschiedene Richtungen denken lässt und für weitere Beschäftigung offen bleibt. Ich möchte dieses Konzept kurz anhand eines Beispiels illustrieren. Dabei handelt es sich um den Film East is East (2000), in dem das Leben einer britisch-pakistanischen Familie in den frühen 1970er Jahren zur Darstellung kommt. Der Film zeigt, wie unter4 FRIEDMAN (1999: 251) verweist dabei auf seine eigene Feldforschung, die belegt, dass Transkulturalität von vielen Menschen als „field of contradictory forces, of misconstruals, and anxieties“ erfahren wird. 37 (2008) 102 Werner Delanoy schiedlich die Eltern und ihre sieben Kinder ihre Identitäten konstruieren und wie ihr Selbstverständnis sich im Lichte bestimmter Themen ändert und von bestimmten Ereignissen beeinflusst wird. Besonderes Augenmerk verdient die Person des Vaters (George Khan), der Pakistan verlassen und in GB eine weiße Britin geheiratet hat. George findet sich in einer prekären Situation, da er sowohl in der englischen Gesellschaft als auch in der pakistanischen Diasporagemeinschaft auf Ablehnung stößt, aber gleichzeitig auch in beiden eine Heimat gefunden hat. Je nach Thema (z.B. Heirat der Kinder; MannFrau Beziehung) und Ereignis pendelt George zwischen Positionen, wobei er sich als Despot, besorgter Vater, Patriarch, aber auch als aufgeschlossener Ehepartner präsentiert. Vermischung und Abgrenzung spielen hierbei eine zentrale Rolle, zumal die Familie beständig mit ihrer kulturellen Mehrfachverortung konfrontiert ist. Dazu kommt, dass ihre Umgebung der Bindestrichidentität der Familie nur begrenzt positiv gegenüber steht, wobei die am stärksten formulierte Kritik innerhalb der pakistanischen Diasporagemeinschaft geäußert wird (vgl. KHAN-DIN 1999: 115).5 Was diesen Film zu einem ‚didaktischen Text‘ macht ist die Vielfalt der gezeigten Standpunkte. Ferner werden die zentralen Charaktere und auch die Kollektive, in denen sie sich bewegen, divers und differenziert gezeichnet. Schließlich bleibt offen, wie sich das Leben der Protagonistinnen und Protagonisten weiter entwickeln wird. Dadurch können kulturelle Hybridität, aber auch Wünsche nach Assimilation sowie ein Beharren auf Tradition in einem konkreten und komplexen Kontext erfahren und zur Diskussion gestellt werden. 2.2 Transkulturalität und anglophone Literaturen Die anglistische Literatur- und Kulturwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten eine beträchtliche Erweiterung ihrer Gegenstandsbereiche erfahren. Neben den etablierten Literaturen Großbritanniens, Irlands und Nordamerikas wurden postkoloniale bzw. ‚neue‘ Literaturen (New Literatures) in die Fachdiskussion einbezogen. Dabei ist ein zunehmendes Berücksichtigen kultureller Hybridisierung zu vermerken, das sowohl die Literaturen in den ‚Kernländern‘ als auch jene in weiter reichenden Kontexten betrifft. So sind über die fictions of migration (SOMMER 2000) Texte in das Zentrum der Diskussion gerückt, die sich häufig mit Diasporaerfahrungen in GB und Nordamerika befassen. Ferner hat sich die Anglistik verstärkt mit Literaturen befasst, in denen kulturelle Hybridität per traditionem eine besondere Rolle gespielt hat. SCHULZE-ENGLER (2002: 75) verweist hier auf die karibische Literatur, die er als „bevorzugte[n] Ort der unterschiedlichsten Kreolisierungen und Synkretismen“ charakterisiert. Ähnlich argumentiert BASSNETT (1993: 78–79) mit ihren Hinweisen auf die Literaturen der Karibik und der Chicanos. Aus ihrer Sicht teilen Gesellschaften, die in diesen Kulturräumen leben, eine „cultural and racial hybridization“ sowie Bi- und Multilingualität. Letzterer Aspekt impliziert, dass Autorinnen und Autoren in diesen Kulturräumen sich auch mehrerer Sprachen bedienen und 5 Die Textstelle lautet: „I will never let my daughters marry into this jungli family of half-breeds“, wobei diese Aussage von Mrs. Shah gemacht wird, deren Töchter zwei der Söhne der Familie Khan heiraten sollen. 37 (2008) Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 103 diese zum Teil mischen. Eine Anglistik, die sich im Lichte von Transkulturalität neu bestimmen möchte, ist daher auch aufgefordert, sich mit neuen Varianten des Englischen zu befassen und in Richtung Mehrsprachigkeit zu öffnen. Ein zentrales Charakteristikum von Transkulturalität ist eine De-Territorialisierung von Kultur (vgl. WERBNER 1997: 8 ff). Damit ist gemeint, dass sich Kulturen immer weniger mit den Grenzen bestimmter Nationen und Regionen decken, sondern sich vielmehr über solche Grenzen hinweg vernetzen und weiter entwickeln. In diesem Sinne lässt sich auch von einer zunehmenden De-Territorialisierung anglophoner Literaturen sprechen. So ist in den letzten Jahren ein Zuwachs an Texten zu beobachten, die auf Englisch geschrieben werden, deren Autorinnen und Autoren sich aber weder mit englischsprachigen Ländern befassen noch englischsprachiger Herkunft sind. Ich denke hier etwa an Khaled HOSSEINI, der sich in A Thousand Splendid Suns (2007) mit sozio-kulturellen Entwicklungen im Afghanistan der letzten 30 Jahre beschäftigt, oder an Hishan MATARs In the Country of Men (2006), das in Libyen zur Zeit der Machtübernahme Gaddafis spielt. Beide Autoren sind zunächst in ihren Herkunftsländern aufgewachsen und später in die USA bzw. nach Großbritannien ausgewandert, wo sie heute leben und schreiben. Handelt es sich bei diesen Texten um eine afghanische oder libysche Exilliteratur oder fallen die beiden in den Gegenstandsbereich der anglophonen Literaturen? Die Beschäftigung mit den jeweiligen Herkunftsländern legt eine Zuordnung zur Exilliteratur nahe. Andererseits leben diese Autoren seit Jahrzehnten in englischsprachigen Ländern, weshalb ihr Blick auf ihre Herkunftsländer auch von den Diskursen geprägt ist, die sie in den USA und in Großbritannien kennen gelernt haben. Dazu kommt, dass Englisch zu ihrer ersten Sprache geworden ist, dieses Englisch aber auch eine Qualität der Vermischung auszeichnet.6 Schließlich sind in Anbetracht der Weltmachtpolitik der USA Länder wie Afghanistan Teil ihrer Einflusssphäre geworden, wobei HOSSEINIs Roman im Unterschied zu medial vermittelten Stereotypen ungleich differenziertere Einblicke in das Leben der Menschen in Afghanistan gewährt. Solche Texte sind daher für die englischsprachige Welt, ja für ein kosmopolitisches Publikum insgesamt von Bedeutung. Geht man von einer global vernetzten Welt aus, so lässt sich argumentieren, dass alle Texte, die auf Englisch bzw. teilweise in dieser Sprache verfasst werden, in den Bereich der Anglistik fallen. Dabei stellt sich die Frage, wie weit der Begriff des Englischen hier gefasst ist, d.h. welche Varianten er ein- bzw. ausschließt. Wie schon erwähnt, ist Englisch für HOSSEINI oder MATAR zur Erstsprache geworden, wobei sich beide einer Standardvariante bedienen. Anders verhält sich der Sachverhalt etwa bei der chinesischen bzw. chinesisch-britischen Autorin Xiaolu GUO, die seit 2002 in London lebt und seit kurzem auch auf Englisch schreibt. Im Roman A Concise Chinese-English Dictionary for Lovers (2007) beschreibt sie in einer Lernersprache des Englischen die Erfahrungen einer jungen chinesischen Frau, die ein Jahr in GB bzw. Europa verbringt und dann wieder nach China zurückkehrt. Dabei spielen sowohl kulturelle Hybridisierung als auch eine Abgrenzung von neuen Einflüssen und ehemaligen Überzeugungen eine zentrale Rolle. 6 MATAR (2006: 248) äußert sich in einem Interview dazu wie folgt: „I am aware of an Arab hum in my prose“. 37 (2008) 104 Werner Delanoy Dazu kommt eine kunstvoll gestaltete Lernersprache, die sich im Verlauf des Auslandsaufenthaltes der Protagonistin vielfältig entwickelt. Bezieht man Texte wie jene GUOs in die Anglistik ein, so hat dies zur Folge, dass auch jene Varianten und damit verbundenen Lebenswelten in den Gegenstandsbereich der anglophonen Literatur- und Kulturwissenschaften fallen, in denen Englisch als Lingua Franca bzw. Lernersprache verwendet wird. Ich habe bereits zuvor auf mehrsprachige Literaturen verwiesen und sehe sie insofern als transkulturelles Phänomen, als hier die Vorstellung aufgebrochen wird, dass die Grenzen einer Kultur mit den Grenzen einer Sprache zusammenfallen. Ich möchte anhand dreier Filmbeispiele zeigen, dass die Anglistik auch in diesem Kontext unterschiedlich gefordert ist, über bestehende Fachgrenzen hinaus zu gehen. Eine Variante, die noch stark in den ‚Kernländern‘ der Anglistik verortet ist, betrifft mehrsprachige Filme, die sich mit Menschen mit Migrationshintergrund z.B. in Großbritannien oder den USA befassen. In diese Kategorie fällt etwa Gurinder CHADHAs Film Bhaji on the Beach (1993), der in England spielt und produziert wurde, wobei überwiegend auf Englisch kommuniziert wird und in einzelnen Passagen Hindi als Sprache Verwendung findet. Eine größere Distanz zu den ‚Kernländern‘ findet sich in Mira NAIRs Film Monsoon Wedding (2002), der in Indien spielt und die mehrsprachige Lebenswelt der Textcharaktere zur Darstellung bringt. Lässt sich dieser Film in einem bereits anerkannten anglistischen Gegenstandsbereich (d.h. in den postkolonialen Kulturen) ansiedeln, so werden beim folgenden Beispiel bestehende Fachgrenzen stärker in Frage gestellt. Bei Swimming Pool (2002) handelt es sich um eine Produktion des französischen Regisseurs Francois OZON. Der Film spielt sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich, wobei in der Originalversion beide Sprachen Verwendung finden. Dazu kommt, dass der Regisseur im Hinblick auf Großbritannien und Frankreich mit kulturellen Stereotypen arbeitet, die er über die beiden weiblichen Hauptcharaktere, die jeweils beide Sprachen sprechen, miteinander verknüpft. Aufgrund seiner Mehrfachverortung kann dieser Film mehreren Fächern zugeordnet werden. Aufgrund der Verwendung des Englischen und der Bezüge zu Großbritannien ist er für die Anglistik von Relevanz, wobei diese Argumente umgekehrt auch für die Romanistik gelten. Der Text bietet aber auch Möglichkeiten für fächerübergreifende Kooperationen und eine Komparatistik, die sich mit kultureller Mehrfachverortung und damit verbundenen Phänomenen befasst. Die hier skizzierten Entwicklungen eröffnen dem Literaturunterricht im Fach Englisch eine Reihe von Möglichkeiten zur Erweiterung seiner Gegenstandsbereiche. Vor allem gewinnt die globale Dimension englischsprachiger Literaturen an Bedeutung, wodurch eine Reihe neuer Texte in den Englischunterricht Eingang finden und verschiedenste Kulturräume in das Blickfeld des Englischunterrichts rücken. Es ergeben sich daraus aber auch neue Verantwortungen. Englischunterricht übernimmt so verstanden verstärkt die Aufgabe einer globalen Bildung. Das Fach Englisch ist aber mit einer kolonialen Vergangenheit und damit verbunden mit westlichen Hegemonialbestrebungen belastet. Dazu kommen die globalen Macht- und Kulturinteressen der Weltmacht USA (vgl. CHOSSUDOVSKY 2002). Das Fach Englisch ist daher gefordert, globale Bildungsansprüche mit machtkritischen Positionen zu verknüpfen. Das Fach Englisch verfügt über gute Ressourcen, um sich dieser Aufgabe zu stellen. Über postkoloniale Debatten hat es ein reiches 37 (2008) Transkulturalität und Literatur im Englischunterricht 105 Instrumentarium zur Machtkritik und zum Verstehen transkultureller Phänomene entwickelt. Ferner können Fachwissenschaft und Fachdidaktik auf eine dialogische Tradition zurückgreifen, wobei ich über ANTOR (2006b) bereits auf jenen Dialogbegriff verwiesen habe, den ich als allgemeinen Zielrahmen für dieses Projekt vorschlagen möchte (vgl. DELANOY 2005/2007). Schließlich bieten sich dem Fach Englisch über seine ‚alten‘ und ‚neuen‘ Literaturen vielfältige Möglichkeiten, um ein komplexes Verstehen transkultureller Phänomene in verschiedensten Kulturräumen zu fördern. 2.3 Transkulturalität und die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik Als Vertreter einer rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik7 stellt sich mir schließlich die Frage, wie sich dieser Ansatz in seinen Grundstrukturen zum Konzept der Transkulturalität verhält. Dabei gilt mein Augenmerk zwei zentralen Aspekten dieser Rezeptionsästhetik, nämlich (a) ihrem Modell vom Zusammenspiel von literarischem Text und Leser/in und (b) ihrer Vorstellung von einer ästhetischen Textlektüre. Die hier vertretene Rezeptionsästhetik ist dem interaktiven Paradigma verpflichtet. Diese Position baut auf ISERs (1976), ROSENBLATTs (1994) und BREDELLAs (2002) Vorstellungen vom Leseprozess auf. Das Lesen von Literatur wird hierbei als vom Text gelenktes Schaffen von Bedeutungen betrachtet. Dabei vermischen sich Leserbewusstsein und Textanlage in einem offenen und sich fortsetzenden Leseprozess. Daraus resultieren gemeinsam geschaffene Bedeutungen, die sich weder einseitig dem Text noch dem/der Leser/in zuordnen lassen, da der Text stets im Lichte eines bestimmten Leservorverständnisses zum Leben gebracht wird. Trotz Vermischung ist es aber möglich, Text- und Leserbeiträge – wenn auch nur begrenzt – auseinander zu halten, zumal beide auf der Grundlage spezifischer Anlagen miteinander interagieren. Dabei wird Literatur aufgrund ihrer komplexen Beschäftigung mit Wirklichkeit die Kraft zugestanden, den/die Leser/in zu neuen Sichtweisen bzw. zum Überschreiten bestehender Verstehensgrenzen anzuregen. Diese Vorstellung überschneidet sich in wesentlichen Belangen mit WELSCHs und ANTORs Konzeption von Transkulturalität. Auch dort geht es um Interaktion und Grenzüberschreitung durch Vermischung der ins Spiel gebrachten Positionen. Auch dort werden Grenzen zwischen den beteiligten Partnern so weit aufgelöst, dass neu Entstehendes nicht nur einer Seite zugesprochen werden kann. Schließlich ist das Verstehenssubjekt auch bei WELSCH und ANTOR aufgefordert, eine eigene Position von anderen weiterhin unterscheiden zu können. Aber auch der Ästhetikbegriff dieser Rezeptionsästhetik schafft günstige Bedingungen für Entwicklung in Richtung Transkulturalität. BREDELLA (2002: 154–163) bekennt sich zu einem Ästhetikkonzept, das auf Mukarovskis Vorstellung von Kunst als ‚dialektischer Negation der praktischen Funktion‘ zurückgeht. Damit ist gemeint, dass Menschen bei ihrer Begegnung mit Kunst bzw. Literatur lebenspraktische Zwänge vorübergehend aufheben und sich in eine fiktionale Welt begeben. Dabei wird die Primärwelt aber nicht 7 Ich habe hier eine Rezeptionsästhetik vor Augen, die ihre dialogischen Grundlagen im Lichte der Ideologieund Machtkritik weiterentwickelt hat (vgl. DELANOY 2007). 37 (2008) 106 Werner Delanoy verdrängt oder aus dem Denken eliminiert. Vielmehr stellt das Verstehenssubjekt eine Distanz zu ihr her und stellt sich aus dieser Distanz die Frage, was das im Text Gesagte für seine/ihre Primärwelt insgesamt bedeutet. Mit anderen Worten, es wird ein sehr offener Erfahrungsfokus gewählt, der Texte keinem engen Erkenntnisinteresse unterordnet, sondern vielmehr zum Herstellen verschiedenster, quer über Grenzen hinweg reichender Verknüpfungen zwischen dem literarischen Text und der jeweiligen Primärwelt anregen möchte. Ferner wird mit Gedanken und Gefühlen experimentiert, zumal die Sekundärwelt einen Ort relativer Sicherheit markiert. Ein in dieser Form offen gehaltener Fokus erlaubt mannigfaltige Vermischung und Veränderung im Lichte eines Gegenübers. Dazu kommt, dass die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik ästhetische Erfahrung als (selbst)kritischen Akt denkt. Ein ästhetischer Textzugang schließt die Aufforderung zu einer kritischen Prüfung eigener Sichtweisen im Lichte des jeweiligen Textes ein. Er sieht aber auch eine kritische Betrachtung der Textanlage vor, um zu prüfen, ob, wie weit und in welcher Hinsicht ein Text ein kritisches Verstehen behindern kann (vgl. DELANOY 2002: insb. Kapitel III). Eine solche Position will daher – wie auch ANTOR (2006b: 34) – einen (selbst)kritischen Umgang mit dem Problemfeld Transkulturalität fördern. Die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik beschäftigt sich als leserorientierter Ansatz mit der Literaturrezeption realer Lernender als Leser und Leserinnen von Literatur. Auf Transkulturalität bezogen stellt sich hier die Frage, welche Erfahrungen das jeweilige Lernerpublikum mit kultureller Mehrfachverortung und Hybridität bereits gemacht hat und daher in den Lektüreprozess einbringen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass kulturelle Hybridität und Mehrfachverortung den Schulalltag in deutschsprachigen Ländern bereits nachhaltig beeinflussen. Ferner ist zu klären, wie bestehende Lernervorstellungen gegenüber Transkulturalität im Lichte literarischer Texte herausgefordert und weiter entwickelt werden können. Es sind mir keine Arbeiten bekannt, die sich mit diesen Problembereichen im Kontext Englisch- und Literaturunterricht befasst haben. Die Literaturdidaktik für das Fach Englisch ist somit aufgefordert, sich einem Problemfeld verstärkt zuzuwenden, das für die gegenwärtige Kulturentwicklung von zentraler Bedeutung ist. Literatur ANTOR, Heinz (2006a): „Inter- und Transkulturelle Studien in Theorie und Praxis: Eine Einführung“. In: ANTOR, Heinz (Hrsg.): Inter- und Transkulturelle Studien. Theoretische Grundlagen und interdisziplinäre Praxis. Heidelberg: Carl Winter, 9–24. 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