PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Pastoralreferentin Ute Klewitz, Mainz-Kastel
hr1-Zuspruch am Dienstag, 02.08.2016
Immer mehr Narzissten
Ich habe beruflich viel mit Studierenden zu tun: Ich begleite sie und bekomme auch
mit, was in unserem Studierendenwohnheim los ist. Meine Kollegen und ich haben
den Eindruck: Der Narzissmus unter den jungen Menschen nimmt zu. Wir hören
Aussagen wie: „Ich bin daran nicht schuld. Das waren die anderen. Ich bin etwas Besonderes. Ich verdiene eine Extrawurst. Ich möchte mich nicht einbringen, das bringt
mir nichts.“ Genau das sind auch Kennzeichen für Narzissmus: Menschen sind egozentrisch, sie haben wenig Einfühlungsvermögen, sind selber hoch empfindlich und
neigen ständig dazu, andere zu entwerten. Im Hintergrund unserer Studierenden erleben wir Eltern, die ihre Kinder finanziell bis an die eigenen Grenzen unterstützen
und mit Hingabe für alles Mögliche loben: „Kind, du bist toll! Du kannst alles werden!“
Es fällt den jungen Leuten schwer, alltägliche Dinge zu erledigen, wie das Zimmer
aufräumen und putzen. Sie schaffen es kaum anfallende Arbeiten zu sehen und von
sich aus zu übernehmen. Studien zeigen: Narzissten halten sich für besser und
schlauer. Innerlich sind sie davon überzeugt, dass die Regeln des Zusammenlebens
für andere gelten. Nach außen scheint es so, dass sie mehr Selbstvertrauen haben,
aber das Gegenteil ist der Fall. Sie brauchen unbedingt die Bewunderung und Bestätigung durch ihre Mitmenschen.
Natürlich hat jeder Mensch narzisstische Tendenzen. Aber die Ausprägung ist doch
ziemlich unterschiedlich. Theorien des sozialen Lernens beschreiben zwei Gruppen
von Elterntypen, die sich bei diesen jungen Menschen häufiger finden. Eltern, die
ihre Kinder mit Lob und Preis überschütten. Sie hoffen so auf selbstbewusste Kinder.
Das kann ich als Mutter von zwei Söhnen gut nachvollziehen. Oder Eltern, die ihre
Kinder vernachlässigen. In beiden Fällen erleben diese jungen Menschen keine „elterliche Wärme“. Gemeint ist damit eine Eltern-Kind-Beziehung, die den Kindern hilft,
herauszufinden, was sie selber denken und fühlen.
Ich versuche den jungen Leuten oder auch meinen Söhnen zu zeigen: Du musst gar
nicht der Tollste sein. Und um dich herum gibt es viele spannende Menschen, die
sollst du auch wahrnehmen. Es lohnt sich, mal was für andere zu tun, ohne eine Gegenleistung zu bekommen, das fühlt sich sogar gut an. Und im Idealfall merken sie:
Es tut gut, kein Narzisst zu sein.