Manuskript_Selbst gemachtes Leben

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature
Selbst gemachtes Leben
Der Tapir im Birkenwald
Von Gabi Schaffner
Redaktion: Tina Klopp
Produktion: DLF 2016
Erstsendung: Freitag, 12.08.2016 , 20.10 - 21:00 Uhr
Regie: die Autorin
Schaffner: Gabi Schaffner
Sprecherin 1: Texte und Voiceover, Regina Gisbertz
Sprecher 1: Matthias Scheliga
Sprecher 2: Voiceover Sampsa Pirtola und weitere Texte
Sprecherin 2 finnisch: Niina Braun-Lehtonen
Urheberrechtlicher Hinweis
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©
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Kurz Musik Felix
Erkki Pirtola
Das meint „Itse tehti elämä“, ITE. Es ist wie ein „selbst gemachtes Leben“. Selbst
gemachtes Leben, ja. Das meint das diese Leute eigentlich nichts mit Kunst zu tun
haben.
Erkki von Video: „We bring you the people from the
Finnish Forests.“ etc
Kurz Musik Felix
Sprecher 1
Erkki Pirtola, 1950 in Kuopio in Ostfinnland geboren, Maler, Zeichner, Kurator,
Kunstkritiker, Fernsehredakteur und Autor, außerdem Dokumentar der finnischen
Außenseiterkunst, ITE Art genannt.
Erkki von Video, verschnitten mit:
Erkki
Sie sind Farmer oder Arbeiter in der Fabrik... oder Railways... (lacht) Cows &
Horses Sie haben eine Idee gehabt Ausstellung machen auf ihrem eigenen
Lande, auf ihrem eigenen Hof. Real workers Sie sind vielleicht ganz alt
geworden, vielleicht schon Pensionat... pensioniert und haben diese Idee
bekommen irgendwo. Vielmals haben sie keine Galerie besucht, keine Museen
und das ist eine solche Generation, sie sind ältere Leute. Sie haben keine
Verhältnis zu Kunstwerken, (...) Aber sie haben diese Kreativität und dieses... wie
sagt man... „Wucht“ (lacht) Like Felix....
Musik Felix Schroeder
ANSAGE: Selbstgemachtes Leben. Der Tapir im Birkenwald.
Feature von Gabi Schaffner
Atmo Bahnhof
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Schaffner
24. Januar 2016. Ich stehe auf dem Bahnsteig des Kölner Hauptbahnhofs, schaue
auf mein Telefon und lese: RIP Erkki. He died on the street... yesterday. So
suddenly, so sad!
Einspielung Atmo und O-Ton-Collage:
„He just fell down“
“From heart to heart.
“Its so sad now that he suddenly passed away.”
Laughter! We laughed….
“He’s gone”.
„So plötzlich...“
Wechsel Atmo zu Kirchenmusik
Einen Monat später fahre ich zum Begräbnis.
Einspielung O-Ton aus Kapelle
Schaffner
Erkkis Sarg ist weiß und bemalt mit Autos, langnasigen Geistergestalten, Blumen
und am rechten hinteren Ende mit einer dunkelgrauen Wolke.
Ich erkenne Marko Kaiponen aus Kankainen in der Trauergemeinde. Marko
schreitet den Gang mit erhobenen Armen ab. In seinen Händen das Gebiss eines
Hechtes, das er wie eine Videokamera vor sich hält, auf die Leute richtet und auf
den Jesus am Kreuz. Wir nicken uns zu. Das Hechtmaul wird zu den Blumen
gelegt.
Atmo Kapelle Garderobe, Wechsel zu Time Warp
Von der Garderobe weht der Geruch feuchter Mäntel. 2002, erster Besuch in
Helsinki. Der Hamburger Troubadour Felix Schroeder stellt mich seinem Freund
Erkki vor. Erkki Pirtola, in Mantel und seinem unvermeidlich senffarbenen
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Cordjackett, trägt seine Videokamera auf der Schulter, ein klobiges VHS-Gerät,
das er auf uns richtet. Sein Haar ist blond und verstrubbelt, seine Augen blau, er
lacht hinter seinem Bart und rollt sich nebenher eine Zigarette. Und er erzählt
etwas von einem Mann im Wald, den wir besuchen müssten: Elis Sinistö.
Snow-walk-Geräusche
Sprecherin 1
5. Januar 2002. Wir verlassen Helsinki am frühen Nachmittag mit einem Topf
heißer Suppe und frischem Brot und erreichen das Waldstück bei Espoo nach
knapp anderthalb Stunden Fahrt.
Sprecher 1
Reise nach Kirkkonummi, aus den Aufzeichnungen der Hamburger Reisenden
Sisukas Poronainen:
Musik Felix Snow-walk mit Mandoline
Sprecherin 1
Als wir auf Vorplatz eines nahen Hauses parken, steuert ein massiger Kerl auf uns
zu, eine zänkische, kleine Frau in seinem Windschatten. Elis Sinistö ist nicht
beliebt bei seinen Nachbarn. Sie sagen, er sei verrückt. Er würde ständig nackt
herum laufen und überhaupt....
Erkki
Ja, er war Tänzer und hat allerlei gemacht, aber er hat alles das selbst gebaut,
das ist die Sache. Und er hat alle diese Müll dort gebracht, mit ihre eigne Hände.
Er sagt, er hatte nur 10 Helfer und er zeigt die Finger (lacht). Und die andere
Sache ist, dass er eine... er war ein Tänzer, ja, aber auch ein Schauspieler, ein
Clown und auch ein Yogi. Er machte die Yoga.
Sprecherin 1
Wir folgen dem Pfad durch ein verwinkeltes Areal mit Stühlen und Tischgruppen.
Unter dem Schnee blinken falscher Schmuck und Lametta, leuchten Plastikobst
und Kunstblumen. Mit bunten Fähnchen und Metallstückchen behangene Schnüre
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teilen kleine Grundstücke von einander ab, auf denen Elis’ Häuser stehen:
Meditationstempel, Saunas, Bienenhäuser, Holzvorrats- und Märchenhütten. Fast
jedes Häuschen ist mit Aufschriften und Sprüchen versehen.
Finnische Sprecherin/ Sprecherin 1
.
Käännä
Umdrehen!
Nyt tuli aukko elämänkatsomukseen!
Sanoi vegetaari kun söi juustoa.
Nun gibt es ein Loch in der Weltanschauung, sagte
der Vegetarier, als er in den Käse biss.
Matkatoimisto
Reisebüro
Hölmölä
Deppendorf
Yömaja pölhöllä
Herberge für Dusselige
Erkki
Seine Häuser, sie sind auch Kunstwerke. Sie sind verschiedene... aus
verschiedenen Material gebaut, und man kann sehen, da ist eine sehr
künstlerische Treib. Die andere Sache ist, dass er wirklich lebt, in dieser
Bildhauerein (lacht)... und das ist ein kleines Dorf und das ist alles was er braucht.
Da ist die Sauna, Rauchsauna... und das kann... Ja er ist gestorben mit 92 Jahren.
Er lebte dort 40 oder 50 Jahre.
Der Platz ist... wie sagt man, ganz ohne Hygiene. (Ton Elis) Es ist ein
Schmutzplatz, weil das ist ganz viel Natur. Er sagt er hat keine Haustiere, alle
Tiere sind zuhause, die Ameisen und die... Er war ein Naturmensch.
Finnische Sprecherin/ Sprecherin 1
Mehutarha
Tyttöjen onneksi
Talvitakka
Satulinna
Saftgarten
Glück für die Mädchen!
Winterkamin
Märchenhütte
Vor einer Holzhütte machen wir Halt. Auf dem runden, roten Schild über dem
Eingang steht "Kerho", das bedeutet "Klub". (Ton Elis) Elis kommt, zusammen
mit einem warmen, muffigen Luftzug, aus der engen Tür über ein kleines
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Treppchen zum Vorschein. Er trägt eine speckige Lederlatzhose, einen
dunkelgrünen Pullover und festes Schuhwerk. Wir steigen nacheinander hinein in
den einzigen Raum des Hauses, Schlafplatz, Wohnhöhle und Kunstkammer in
einem.
Einspielung Elis und Erkki
Sprecherin 1
Die Wände von Elis’ Höhle sind Rand an Rand mit Fotos geschmückt. Auf fast
allen ist er nackt zu sehen: Kopfstehend, schlammbadend, als Baum verkleidet
oder ein Boot in nächtliches Wasser schleifend – letzteres ein Bezug auf eine
Szene der Kalevala, dem finnischen Nationalepos. Wir bitten ihn, einige Zeilen des
Liedes zu singen, das er gerade in seinem Heft aufgeschlagen hat. Elis lehnt ab
mit der Begründung, das Lied sei zu unanständig. Stattdessen schlägt er vor, uns
draußen etwas andersvorzusingen.
Einspielung Tangos bei Elis
Erkki
Und das war eine Bühne für seine Vorführungen, weil die Leute kamen dort. Er
war Einsiedler, er lebte allein, aber er liebte dass die Leute dort kamen und dann
machte er seine Shows. Da war eine Tanzbühne, wo er eine Magnetophon... aus
diese Magnetophon, er hatte Tapes wie Tangos und Walzers und er machte so
fröhliche Abende dort.
Sprecherin 1
Die "Villa Mehussa" ist ein kirchenartiger Bau mit einem "Tanzboden" im Inneren,
von dessen Vordach drei bunt gekleidete Puppen baumeln. Elis hebt seinen Arm
elegant in die Höhe und beginnt ein langes Lied zu singen. Elis denkt nicht daran,
seinen Wald jemals zu verlassen. Wir dagegen fahren nach Helsinki zurück.
Einspielung Gesang Elis
Wechsel Atmo
Schaffner
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Während die Trauergemeinde aus der Kapelle strömt, fährt draußen ein Bus von
der Größe eines Überlandgefährts vor. Er wird uns auf die Insel Laajasalo fahren,
wo die anthroposophische Schule steht, an der Erkki, seine Frau Papu und etliche
seiner Freunde und Kollegen Kunst unterrichtet haben.
Im Laufe der folgenden drei Stunden höre ich finnische Reden, Lieder und
Gedichte zu Erkkis Ehren.
Atmo Lieder Trauerfeier
Begrüßungsszene ITE-Damen
In der Pause begegnen mir die drei Damen des 1999 gegründeten Büros für
Selbstgemachtes Leben. Ja, sie wollen sehr gerne meine Fragen beantworten,
aber es ist so laut.
Begrüßungsszene weiter
Liisa
My name is Liisa Heikkilä-Palo, I was the director of the culture department. Now I
am retired since three years ago, but now I am working in our publishing company
and we have documented many many ITE-projects…
Elina im Off: She is also called “Mother ITE”, because she started it all.
Sprecher 1:
Liisa Heikkilä-Palo war bis vor drei Jahren die Direktorin der Kulturabteilung und
ist die Initiatorin des Projekts. Darum wird sie auch „Mutter ITE genannt.
Akzent Kantele
Elina
It comes from Finnish “ITE”… Itse tehty elämä. Self made life.
Sprecher 1:
Elina Vuomies ist die Kuratorin des Museums für Selbst-Gemachtes Leben in
Kokkola.
Elina
And the idea tells that by doing your art you nominate what is your life
surroundings and the quality of your life or the atmosphere around you. By art. By
doing your art.
And you don’t need any education… art education. You can create, you can make
art without artistic education.
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Sprecherin 1
Das kommt von dem finnischen „ITE"… Itse tehti elämä. Selbst gemachtes Leben.
Und die Idee ist, dass man über das Machen von Kunst sein Leben und dessen
Qualität und alle damit verbundenen Sphären selbst bestimmt. Durch Kunst,
einfach durch das Machen dieser Kunst. Und man braucht keine Ausbildung dafür,
man kann Kunst machen ohne künstlerische Ausbildung.
Akzente Kantele
Elina
Creativity comes from the very inner soul. I usually call it “not filtered art”, so it
comes straight and there is no education disturbing it … or other things. It is pretty
much the same section like Art Brut, even though our ITE artists are not Art Brut
artists because Art Brut artists are, as you know, institutionalized or they live in
isolated places.
Sprecherin 1
Kreativität entspringt dem Innersten der Seele. Ich nenne es meist “ungefilterte
Kunst”, also es kommt direkt und es wird nicht durch eine Ausbildung oder andere
Dinge behindert. Kantele Atmo kurz Es ist eine ähnliche Sparte wie Art Brut,
auch wenn unsere ITE-Künstler keine Art-Brut-Künstler sind, weil diese Künstler ja
in Anstalten untergebracht sind oder sonst wie isoliert leben.
Wechselt zu Küche mit Hippiemusik „Savu“
Schaffner
28. März 2016. In Berlin bei Sampsa Pirtola, drittjüngster Sohn von Papu und
Erkki Pirtola.
Finnische Hippie-Musik läuft weiter...
Sampsa Pirtola
He was very struck by the whole American, let’s say, this hippie and art
movement, like starting from Robert Crumb and all these cartoonist and writers.
That was one of his very first strong inspirations because his childhood… it wasn’t
so much art he was interested in, it was more like comic books and stuff like that.
In one interview in the early Nineties he said that Donald Duck was his first artistic
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inspiration. And then, when he realized that with comics you can do art also, like
more experimental and crazy stuff, that was his entrance to the underground
scene and quite soon afterwards the rest followed.
Like meeting with Kalervo Palsa who was also doing cartoons… doing it Kafkastyle or much more philosophical and poetic and raw… like showing the shadow
side of the psyche which was not so typical for that art form.
Sprecher 2
Er war sehr beeindruckt von dieser ganzen amerikanischen, sagen wir mal,
Hippie- und Kunstbewegung, angefangen mit Robert Crumb und ähnlichen
Zeichnern und Autoren. Während seiner Kindheit war er weniger mit Kunst
beschäftigt als mit Comicheftchen, die stellten eine echte Inspiration dar. Ich
erinnere mich, dass er in einem Interview in den 90ern mal sagte, Donald Duck
hätte ihm seine erste künstlerische Inspiration eingegeben. Und als er dann
herausfand, dass man mit Comics ebenso Kunst machen konnte, also
experimentelleres und verrücktes Zeug, war das sein Zugang zur UndergroundSzene. Der Rest folgte dann von selbst. Wie das Zusammentreffen mit Kalervo
Palsa, der auch Cartoons zeichnete, kafkaesker und auch viel philosophischer,
poetischer und roher… indem er die Schattenseite seiner Seele zeigte, was eher
untypisch war für diese Kunstform.
Erkki
Kalervo Palsa. Er war, kann man sagen, eine ganze klassische Outsider-Künstler.
Er hat mir gezeigt, alle diese Outsider-Künstler, Bücher, aus Büchern, Wölfli und
diese... mentally ill people.
Einspielung Vuoren Villit, läuft weiter
20 Jahre danach habe ich diese Leute getroffen, weil ich mit der Videokamera
arbeite und dokumentiere.
Sprecher 1
Kalervo Palsa und Erkki Pirtola trafen sich 1971 bei einer Comic-Messe in Turku.
Auch Palsa studierte in Helsinki, doch seine Heimat war das 780 km entfernte
Kittilä in Lappland. In Helsinki war er unglücklich, Mangel an Geld und Überfluss
an Alkohol verstärkten seine Depressionen. Seine Bildgeschichten nannte er
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„Tragix“ anstelle von Comics und sie zeigten, wie die Mehrzahl seiner späteren
Bilder und Selbstportraits, mehr oder weniger humorvolle Szenen von Einsamkeit,
Tod und allen erdenklichen sexuellen Phantasien.
Teuri Haarla
He showed everything of the sexuality and what ever he had problems. And I think
that the artist should be that kind of person.
Sprecher 2:
Er offenbarte alles über die Sexualität und womit er sonst noch Probleme hatte.
Und ich denke, genauso sollten Künstler sein.
Sprecher1
Der finnische Künstler Teuri Haarla, Jahrgang 1955.
Schaffner
Erkki war einer von Teuris frühen Unterstützern, heute hat Teuri in ganz Europa
Ausstellungen, wie hier in der Galerie Hilbertraum in Berlin-Neukölln.
Teuri
They should show people the whole self and how it is and not to pretend.
Nowadays it seems a little bit like artists should be moral and ecological and fine
persons. And I think there is some problem, because they are not truly honest,
because in every person there is a dark side.
Sprecher 2
Sie sollten den Leuten das ganze Selbst zeigen, wie es ist und nichts vorgeben.
Heute scheint es eher, als seien die Künstler alle moralisch und ökologisch gute
Menschen. Aber das ist ein Problem. Weil sie dann nicht wahrhaft ehrlich sind,
denn in jedem Menschen steckt eine dunkle Seite.
Akzente Kantele
Sprecher 1
Kalervo Palsa verschreckte das Kunstpublikum, das keine Bilder von
onanierenden Skeletten, Selbstmord oder Sensenmännern in U-Bahnzügen sehen
wollte. 1978 nach Lappland zurückgekehrt, beschloss Palsa in seinem Atelier
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Gethsemane zu bleiben. Für elektrischen Strom musste er ein Kabel vom
benachbarten Haus legen, in Zeiten ohne Strom arbeitete er im Licht von
Öllampen oder Kerzen. Pirtola währenddessen hielt seine Augen in der Stadt offen
für das, was sich in der finnischen Gesellschaft veränderte.
Erkki
Ich wollte nicht diese wirkliche Kunstszene mitmachen. Wir haben eine FluxusGruppe gehabt, Ende 70er. Wir haben das Ö genannt, Ö-Gruppe, weil die Ö ist
der letzte Vokal in die Alphabet. Ich sehe diese Performance-Szene, das ist auch
eine ITE in irgendeine Weise, weil jedermann kann Performance machen.
Atmo Straße in Helsinki
Otso Kantokorpi
They, for example, gave money for people outside the gallery and police came
and took them to the car and questioned them what’s happening here.
Sprecher 2
Zum Beispiel verteilten sie Geld an die Leute vor der Galerie und dann kam die
Polizei, nahm sie zum Auto mit und verhörte sie.
Schaffner
Otso Kantokorpi ist Kunstkritiker.
Kantokorpi
But I don’t know if it was very underground because our society was already quite
open at that time.
Sprecher 2
Aber ich weiß nicht, ob das so sehr Underground war, denn unsere Gesellschaft
war zu dieser Zeit schon ziemlich offen.
Sampsa
The underground scene was like a small group, they all knew each other. There
was also one gallery called Cheap Thrills and that was where the whole kind of
contemporary art scene was taking place. There was Jan Olof Mallander who was
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one who recognized Erkki already very early and let him take the stage and do
things in his gallery. And then also Pekka Haavisto, who had this Komposti
magazine, which means “Kompost”.
Sprecher 2
Die Undergroundszene damals war ziemlich klein, alle kannten sich. Da gab es
eine Galerie die sich Cheap Thrills nannte, wo sich die Szene der
zeitgenössischen Kunst versammelte. Da war Jan Olof Mallander, der Erkki Dinge
in seiner Galerie veranstalten ließ. Und außerdem Pekka Haavisto, der dieses
“Kompost”-Magazin machte.
Sprecher 1
Pekka Haavisto, Gründer und Chefredakteur von Komposti, sitzt inzwischen für
die Grünen im Parlament.
Haavisto (finnisch)
… there was also a punk-group hanging around the Komposti-papers edition, and
Erkki made a funny exhibition at the Amos Anderson art museum (in Helsinki) by
the name RURAL FINLANDS ELASTIC YONGSTER NJOMS-exhibition. All the
guys wore those obligatory cravattes by the time, round their necks, and they had
installed an iron-thread inside the cravattes, so all the cravattes were in an erected
position above their chest, on the exhibition opening. The exhibition lasted for a
week, after which the museum-porter tore the pictures from the walls with such
violence that the paintings and drawings were torn into two pieces.
Sprecher 2
Es gab da auch diese Gruppe von Punks, die im Dunstkreis von Komposti
herumhingen und Erkki machte eine lustige Ausstellung mit ihnen im Amos
Anderson Museum in Helsinki mit dem Titel „Südwest-Finnlands elastische
Jugend-Robben“. Alle diese Typen trugen, wie damals üblich, Krawatten, aber sie
hatten einen Metalldraht hineingesteckt und so standen diese Krawatten aufrecht
von ihrer Brust ab, das war während der Eröffnung. Die Ausstellung dauert eine
ganze Woche und danach riss der Hausmeister des Museums die Bilder und
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Zeichnungen mit solcher Gewalt von den Wänden, dass viele davon kaputt
gingen.
Einspielung Punkgesang
Haavisto
He was social media already before internet was invented.
Schaffner
Pekka sagt, Erkki war „Social Media“ bevor es so etwas wie Soziale Medien
überhaupt gab.
Haavisto
He also collected already at that time people around him, not only this kind of
performance artists, but young people, young punk rockers who were active that
time... In his character he was an artist who wanted to encourage everyone.
And now, during the recent years, he has been supportive of these ITE artists,
which is about finding the self made men and women around Finland…
Sprecher 2
Schon damals begann er damit, Leute um sich zu sammeln, nicht nur diese
Performance-Künstler, sondern junge Leute, junge Punk-Rocker, wie sie es zu der
Zeit gab. Er war seiner Natur nach ein Künstler, der alle anderen ermutigen wollte.
Und im Lauf der letzten Jahre hat er vor allem diese ITE-Künstler unterstützt.
Einspielung „Original Idiots“
Sprecher 1
Am 3. Oktober 1987 stirbt Kalervo Palsa im Alter von nur 40 Jahren an einer
Lungenentzündung in seinem Atelier in Kittilä, Lappland. Pirtola hat sich soeben
seine erste Videokamera gekauft.
 ATV Collage mit Schroeder, läuft weiter
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Sprecher 1
1999 bietet der freie Fernsehkanal ATV Pirtola einen Sendeplatz an. Er hat völlig
freie Hand, kann eigene Videos zeigen oder die Arbeiten der jungen Journalisten,
die in der Stadt unterwegs sind. Das erste Mal in der Geschichte des finnischen
Fernsehens kann man das Kunstleben, die Straßen, die Bars, Performances,
nächtlichen Kapriolen und Konzerte live verfolgen, ob es den Gefilmten nun passt
oder nicht.
Kantokorpi
And somebody brought a full pint of beer to my head and it was all on ATV!
Sprecher 2
Und jemand kam mit diesem Bier über meinen Kopf und es war alles auf ATV!
MUSIK Felix Schroeder “TO THE BONE”
Sprecher 2:
„Am Anfang hatten die Menschen, also Adam und Eva im Garten Eden, erst
Spaten anstelle ihrer Hände, weil sie soviel Erdarbeiten machen mussten, aber
dann wuchsen ihnen Zinken am Ende ihrer Arme, damit die dem anderen besser
in die Taschen greifen konnten.“
Einspielung Hevonkoski im Dialog mit Erkki
Erkki
ITE ist überall in der Welt! Beinahe in jedem Dorf ist ein ITE. Aber das ist nicht so
leicht zu finden.
Akzent Kantele
Sprecher 1
1989 veröffentlicht der Fotograf Veli Granö das Buch, „Onnela/Glück. Eine Reise
ins Paradies“. Es zeigt Bilder von bis dahin unbekannten Künstlern, Kunstwerken
und selbst entworfenen Häusern im Abseits der Dörfer und Städte.
Granös‘ Buch gibt den Ausschlag für die ersten Recherchen, doch bis zur
offiziellen Gründung des ITE-Büros dauert es noch 10 Jahre.
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Akzent Kantele
Raija
There must be something like in folk music, the same thing must be in visual arts
and we were sure it exists but how to find it.
Sprecherin 1
Da es Volksmusik gab, musste so etwas auch in der visuellen Kunst existieren, da
waren wir sicher. Nur – wo würden wir sie finden?
Sprecher 1
Raija Kallionen ist die heutige Direktorin des ITE-Büros und war zusammen mit
Liisa Heikkilä-Palo an den allerersten Recherchen beteiligt.
Raija
And then Liisa was running this process to invite artists and researchers together
and then we made „Wanted“ announcements throughout Finland and we
collaborated with journalists and photographers and then we got tips on what kind
of contemporary folk art there exists. And the n we found we need somebody to
document and film, and then we decided, Elina decided – that Erkki Pirtola is the
person who we need to collaborate with.
Sprecherin 1
Und dann begann Liisa mit diesem Aufruf als Einladung an Künstler und Forscher
und wir verteilen diese „Künstler-Gesucht-Poster“ im Land, arbeiteten mit
Journalisten und Fotografen zusammen. Dadurch bekamen wir viele Hinweise.
Und nun brauchten wir jemanden, der das alles dokumentierte und wir
beschlossen, also Elina entschied, dass Erkki Pirtola die Person war, mit der wir
zusammenarbeiten sollten.
Akzent Kantele
Raija
I think the typical Finnish thing we have to combine creativity and systematic.
For seeking our ITE artists we go throughout the whole country very systematically
and if this process would have been like that in Sweden or in Germany I am sure
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that you will find your treasures from your villages… but of course they will be
different, but this kind of creativity exists.
Sprecherin 1
Ich denke, es ist typisch finnisch, diese Kombination von Kreativität und
Systematik. Um die ITE-Künstler zu finden, haben wir das Land systematisch
abgesucht. Wenn man das in Schweden oder in Deutschland genauso so machte,
würdet ihr bestimmt auch solche Schätze in euren Dörfern finden… natürlich ganz
andere, aber diese Art von Kreativität existiert überall.
Erkki
Sie können sogar ihre eigene Biografie hauen, bildhauen. Und sie beginnen von
ihrer Kindheit und machen... machen wie Fotos, aber das ist dreidimensional und
sie sind gemacht aus allerlei Müll. Trash! Oder Holz. Weil Holz soviel in Finnland
gibt’s. Und die andere Sache ist, sie sind meistens auf dem Lande und da gibt’s
viel Raum. Sie wohnen auf Feldern, im Wald. In Finnland die Leute wohnen nicht
so nahe aneinander wie in Deutschland in einem Dorf. Es gibt viel Raum und das
stört nicht den Nachbarn.
Alpo im Gespräch mit Erkki, Überblendung in Alpos
Geburtstagsfeier 2006)
Sprecher 1
Ein Tapir in Kauhajoki. Aus den Aufzeichnungen der Hamburger Reisenden
Sisukas Poronainen
Sprecherin 1
Es ist der 30. Juli 2009 und Alpo Koivumäki ist 70 geworden.
Atmo läuft weiter mit Geburtstagskonzert und Waldwiese
Sprecherin 1
Alpo Koivumäki feiert in seiner Schuppensiedlung in Kauhajoki. Hinter den Kiefern,
Sträuchern und Birken auf seinem Grundstück stolpert man über Schlangen aus
geripptem, schwarzem Gummi und vor seinem Studio bäumt sich ein Pferd aus
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Blech neben einer rostigen Palme. Alpos Tapir hat den Kopf halb witternd
erhoben, am Waldrand stehend. Sein rechtes Bein bereits angewinkelt, lehnt das
ganze Tier nach vorne, in einer Bewegung, die eigentlich gar nicht mehr
aufzuhalten wäre, stünde er nicht in einem rätselhaften Gleichgewicht auf dem
Waldboden. Links wächst eine schneeweiße Birke, rechts eine Fichte, hinter deren
Stamm ein höhnisch grinsender Geier lauert. Aber der Tapir ist gepanzert in alten
Autoreifen, seine Nase ist aus Hartgummi und die Ohren aus den Sohlen alter
Gummistiefel – wachsam nach außen gestellt, so dass das Gelb der
Einlegesohlen darin weithin leuchtet.
Akzent Alpo
Sprecher 1
Bis 1986 ist Alpo Koivumäki ein einfacher Bauer, der seinen Hof in Westfinnland
bewirtschaftet. Die EU-Wirtschaftskrise in den 80ern macht die Farm unrentabel
und so wendet er sich der Gestaltung seiner „Savanne“ zu.
Alpo, der nie gereist ist, holt sich die Vorlagen für die Anatomie seiner Tiere aus
der Dorfbibliothek, aus Zeitschriften und Büchern. Er spricht sogar ein wenig
Englisch.
Borghild
I need to say, he had an uncle, this he told me at the breakfast, who had moved
like many Finnish people to America,
Sprecher 1
Borghild Håkonsson ist Kuratorin der postfuturalistischen Gesellschaft für “Annan
Konst”, “Andere Kunst”, in Göteborg und arbeitete seit 2003 mit Pirtola zusammen.
Borghild
… And the uncle had bought a linguaphone where he could learn English. And this
linguaphone, I think it must have been in the 50s, Alpo had when he was milking
his cows. So in the morning and in the evening he trained to learn English!
Sprecherin 1
Er hatte einen Onkel, erzählte mir Alpo beim Frühstück, der wie viele Finnen nach
Amerika ausgewandert war, und dieser schickte ihm einen Schallplatten17
Sprachkurs zu, damit er Englisch lernen könne. Und diesen Linguaphon-Kurs, das
war so in den 50ern, stellte Alpo immer an, während er seine Kühe molk. Jeden
Morgen und jeden Abend übte er auf diese Weise Englisch.
Sprecherin 1
Atmo Alpo mit Erkki
Eine Bärin mit zwei Jungen verharrt am Rande einer Lichtung. Eines der Kleinen
hat seinen Kopf unter ihren Bauch gesteckt, das andere schaut neugierig in meine
Richtung. Die Ohren der Kleinen sind aus platt gequetschten Getränkedosen, die
Augen sind Schraubenmuttern. Der Rücken der Bärin, mächtig, matt und schwarz
schimmernd, besteht aus einem einzigen riesigen Traktorreifen der Marke
Goodyear.
Atmo Karaoke mit Alpo
Zur Feier des Geburtstags wird auf einer nahe gelegenen Waldbühne eine
Karaoke-Maschine aufgestellt. Alpo singt Karaoke, seit es Karaoke in Finnland
gibt, also seit den frühen 70ern. Klein und hager, wie die Miniaturausgabe eines
scheuen, alten Dachses steht er auf den Brettern des höhlenartigen Aufbaus und
schaut auf die kleine Versammlung. Alpo ist, seinem vorauseilendem Ruhm zum
Trotz vielleicht kein Caruso. Doch wenn einer singt, das ist so gut als ob er
träumte. Und dass dieser Mann, ob 70 oder nicht, dort öffentlich eine halbe Stunde
für sich und alle anderen träumt, imponiert mir sehr.
Wechsel von Tango zu Lied von ITE-Künstler Martti Hömppi
Sprecher 2
„Die Herren in der Stadt tragen ihren Arsch als Gesicht, da sieht man gleich, sie
denken nicht“
Atmo Küche Berlin
Sampsa
These ITE-artists, they are also criticizing all this. Just simply by doing their own
thing. Some of the artists also very directly by writings sign or pamphlets or writing
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things on the wall of their barns. That they are critizising the way the society is
going.
Sprecher 1
Diese ITE-Künstler kritisieren die Gesellschaft auch. Einfach, indem sie ihr
eigenes Ding machen. Einige unter ihnen werden dabei sehr direkt. Sie malen
Schilder oder verfassen Flugblätter oder beschreiben die Wände ihrer Scheunen.
Sie kritisieren den Weg, den die Gesellschaft eingeschlagen hat.
Einspielung Hömppi, Erkki und Ukulele
Sprecher 1
Der 2013 verstorbene Martti Hömppi aus Siuro porträtiert Bürokraten und
Regierungsmitglieder als stocksteife Figuren aus Holzresten und mit alten
Vogelhäusern als Köpfen.
Edvin Hevonkoski verarbeitet seine Erfahrungen im zweiten Weltkrieg zu einer
Schützengraben-Installation im Wald, die, umgeben von zusammengeschweißten
Ufos, Romanfiguren, Riesenameisen und dem überdimensionalen Haupt der
ehemaligen finnischen Präsidentin Tarja Halonen eine persönliche Geschichte
Finnlands schreibt.
Einspielung Hevonkoski über Präsidentin.
Einspielung Text „Tässä on arkkitehtuuria“
Schaffner
Etwa anderthalb Stunden von Jyväskylä entfernt steht in der Waldwildnis
ein Rundbau aus Holz und Stein, den Marko Kaiponen gemeinsam mit
seiner Frau und Freunden gebaut hat. (Tässä ...) Das Haus ist innen und
außen mit Schnitzwerk und Mosaiken verziert und beherbergt sogar eine
Zeitmaschine.
O-Ton Dialog „Tässä on arkkitehtuuria“ (das ist
Architektur)
Sprecher 1 und 2
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Sprecher 1 Also, Kaiponen, was hast du hier eigentlich gebaut - das ist also ein
Selbst-Haus?
Sprecher 2 Ja, sowas... hm.
Sprecher 1 Also, ein selbst-gemachtes-Leben... du hast also es wirklich
buchstäblich verwirklicht?
Sprecher 2 Ja, hier tanzt man nicht nach der Pfeife der anderen. Das ist Zug um
Zug nur zusammen gebastelt worden.
Sprecher 1 Du sagtest, dass die Idee dieses Hauses als Ausgangspunkt so was
wie eine politische Idee hat, ich meine, eine Gegen-Politik des eigenen Zuhauses
zu errichten, gegen die Politik, die wir heutzutage haben, also das Bauen mit
Bankkrediten?
Sprecher 2 Ja, absolut... und gegen die heutige Baumaterialien-Politik, die völlig
im Arsch ist...
Schaffner
Marko besucht als Weihnachtsmann verkleidet Häusermessen und veranstaltet
dort „Störaktionen“. Dann trägt er einen roten Mantel und Bart und schleift ein
längliches Paket wie einen Leichnam hinter sich her. Auch auf seinem Grundstück
veranstaltet er gesellschaftskritische Ausstellungen.
Es sind vor allem Männer, die Kunst fernab der Zivilisation machen.
Einspielung Saurofon, darüber:
Erkki
Da sind Herren und Frauen... mehr Herren, die diese treiben. Weil man sagt in
finnische Herren eine Gene von mongolische Jäger ist, ein Mammutjäger-Gene
(lacht) aber nicht in Damen. Ich weiß nicht was für eine Wissenschaft ist das, aber
ich habe das gehört. Eine wissenschaftliche Theorie, warum die finnische Männer
so verschieden... sie haben solche Präge. Sie sind von Siberian. Aber das kann
man sehen, das sind so viel, diese Sachen in Finnland, Ich habe Hunderte
besucht und das ist immer die Herren und sie machen diese “Terrible Art in the
Forest“ (lacht).
Saurofon läuft weiter und endet.
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Sprecher 1
Es gibt auch ITE-Kunst in den Städten. Sie ist weniger sichtbar, gerade wenn es
Frauen sind, die sie herstellen, weil sie meist in den privaten Räumen passiert.
Oder: Sie entsteht spontan, auf der Straße, im Gehen, in der Improvisation.
Vokalimprovisation DJ Tixa + „My Name is Tixa...“
Erkki
Tixa ist, wie könnte man sagen, „Urban ITE“, seine Wurzeln sind auf dem Lande.
Er ist ein Radiojournalist gewesen und er hatte seine eigene Programm im Radio.
Aber dann hat er diese Sauna-DJ entwickelt. Das meint, dass er eine Sauna
macht, da macht er eine DJ.
Einspielung Collage aus Tixa im Radio
Und das ist sehr sehr lustig. Er macht die Schallplatten und was er liebt und was
die Leute wollen. Aber das muss immer sein eigene Verhältnis zur Musik haben,
weil er singt mit oder macht Sprichwörter in Finnisch und in English auch. Und er
ist sehr popular geworden und er macht auch bildnische Kunst. Und ich habe
diese immer gesehen und ich dachte, er ist der führende Outsider-Artist in
Finnland.
Er ist ITE, aber auch... (...) Er mixt diese finnische Mythologie mit Maya-Indianer.
Popul-Vuh-Buch, das er ganze Zeit aufzeichnet. Und auch er hat diese Wortspiele.
Sprecher 2
Ich wurde am 11. Dezember 1958 geboren. Der Name meiner Mutter ist Maija und
mein Vater heißt Topi.
Sprecher 1
In der Zeitschrift Voima stellt Erkki Pirtola 2010 den „offiziellen Freak von Helsinki“
in dessen eigenen Worten vor.
Vokalimprovisation DJ Tixa, läuft weiter
Sprecher 2
Einer der Hauptgötter der Maya ist Topilzin. Mein Familienname ist Yuka, Und das
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kulturelle Zentrum der Mayas war nun mal Yukatan... daher diese
Verwandtschaft...
Aber das Wichtigste ist, dass Dads Erektion ihn damals nicht im Stich ließ, als er
das Saufen und die Messerkämpfe aufgab, um Prediger zu werden. Damals war
sein Leben dermaßen aus dem Ruder, dass er außer Erhängen keine andere
Lösung mehr sah. Er hatte den Strick schon am Ast befestigt, da hörte er Jesus
aus dem Baum zu ihm sprechen! Er rannte geradewegs ins Dorf und zu einem
Zelt, in dem die Mitglieder der Pentacost-Kirche ihre Versammlung abhielten. Er
erklärte, noch mit dem Seil in der Hand, was ihm passiert war. Ab da war er
gläubig.
Vokalimprovisation und O-Ton Würfelspiel Tixa...
Als Kind begleitete ich meinen Vater in seinem kleinen Fiat durch ganz Finnland
und unterwegs sprachen und sangen wir in Zungen. Jeden Sonntag war
Gebetstreffen. Und die begeisterten alten Damen da verfielen in alle Arten von
Unsinnssprachen und -Mantren. Diese frühen Erfahrungen führten dann auch zu
meinem Interesse an Vokalakrobatik.
Nach Helsinki kam ich zufällig übers Trampen. Ich wohnte im Lepakko, einem
Heim für Wohnungslose und Alkoholiker. Im Lepakko traf man Leute mit allen
möglichen Lebensentwürfen: Satanisten und Bibelgruppen lebten auf
verschiedenen Stockwerken, dann noch die Punks und die Faulenzer !
Zuspielung Musik Hevospistooli
Ich begann Platten aufzulegen und wir verkauften sogar Karten dafür. So kam es
zur Gründung des „Dampf-Klubs“, des Höyryklubi. Seitdem waren wir fast überall
auf der Welt unterwegs.
Ein emotionaler Überträger zu sein oder ein Gefühlsdealer... das ist Genetik, es
liegt einem im Blut.
Yankees gehen nicht nackt in die Sauna. Der Gipfel waren dann diese sechs
Mädels, die in Schnürstiefeln hereinkamen. Sie dachten, es wäre sexy, mit Stiefeln
in die Sauna zu gehen. Bald merkten sie dann, dass das heiße Leder einen
fürchterlichen Gestank abgab. In Amerika ist alles eine Show, aber der DampfKlub ist keine. Er steht für die Teilnahme am Leben.
Für Geld zu arbeiten ist bloß ein Job. Ich habe in meinem Leben in mehr als 40
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Berufen gearbeitet, vom Treppenhausreiniger bis zum Installateur von
Geldautomaten. (..)Kaufhausdetektiv war auch aufregend, allerdings habe ich nur
einen Dieb gefangen und wurde später rausgeschmissen weil ich mich als Pinguin
verkleidet habe.
Es ist gut, als Gegengewicht dazu auch Projekte zu haben, die lebenslang gehen
wie der Dampfclub, die Familie und meine Band Hevonpistooli, das heißt
„Pferdepistole“.
Hevospistooli-Song Fade + Tixa O-Ton
Einspielung Musik Felix Schroeder
Sprecher 1
Sowenig Pirtola daran interessiert ist, ein „Star“ zu sein, gelingt es ihm mit seinen
ITE-Stars der glitzernden Kunst- und Boulevardszene eine selbstgemachte
Parallelwelt zur Seite zu stellen.
Borghild
It is two parallel art worlds. The world of museums, galleries and the papers, there
is money. And the world of ITE-Art, that has no money, but this is an art world too.
Erkki was a translator between these two art worlds. The only one in Finland. And
maybe that’s the most important he had done.
Sprecherin 1
Erkki war der einzige in Finnland, der in beiden Welten unterwegs war. Die Welt
der Museen, Galerien und Feuilletons, da steckt Geld drin. Und die andere Welt
der ITE-Kunst, die gar kein Geld hat, aber genauso zur Welt der Kunst gehört.
Erkki war der Vermittler, der Übersetzer zwischen diesen beiden Welten. Und
vielleicht ist das das Wichtigste, was er getan hat.
Kantele Akzent
Liisa
Erkki was also the person who could say: No, that is not ITE art. And that is the
problem now to us.
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Sprecherin 1
Erkki war auch die einzige Person, der sagen konnte: Nein, das ist keine ITEKunst! Und das ist auch ein Problem.
Kantokorpi
I said more than once you are using big power defining what is the real ITE art and
what is not. And he refused to have that kind of power. He just said he’s doing
what he loves to do.
Sprecher 2
Ich sagte, du gebrauchst da eine große Macht, wenn du bestimmst, was ITE ist
und was nicht. Aber er weigerte sich, diese Macht zuzugeben. Er sagte bloß, er
tue das, was er liebt.
Einspielung Erkki „It’s really my biggest hobby. It’s
like a lifetime work that I have followed...
Musik Felix Schroeder
Schaffner
15. Mai 2016. Mein Schreibtisch ist bedeckt mit Cassetten, Rekordern, Cds,
DVDs. Erkki Pirtolas Archiv wird diesen Monat von der Nationalgalerie Finnlands
übernommen. Das Selbstgemachte Leben als magisches Puzzle. Es steckt kein
Plan dahinter, aber ein Leuchten.
Erkki
Ja, ich denke, diese Leute machen sehr wichtige Arbeit. Wir wissen nicht, was der
wirkliche Kosmos ist und was sind die wirklichen Arbeiten, die die Menschen
sollten haben. Die meisten Menschen sind in die falschen Arbeiten und machen
die Welt kaputt.
Absage
Selbst gemachtes Leben. Der Tapir im Birkenwald
Ein Feature von Gabi Schaffner
Sprecher: Regina Gisbertz, Matthias Scheliga, Adam Nümm, Niina LehtonenBraun
Mit Musik von Felix Schroeder
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Ton und Technik: Alexander Brennecke, Günther Rose, Kathrin Fidorra
Regie: Gabi Schaffner
Redaktion: Tina Klopp
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016
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