Die Dualaktivierung als moderne Klassik Eine vergleichende Betrachtung zweier Systeme zur Ausbildung von Pferden von Saskia Rönspies lizenzierte Dualaktivierungstrainerin Görlsdorfer Dorfstraße 18 15926 Luckau www.endlich-harmonie.de Inhaltsverzeichnis Thema I) Einleitung II) Die Dualaktivierung 1) Was ist die DA? 2) Die Grundsätze der DA a) Konzentration b) Art der Übungen c) Farben d) Das Prinzip dahinter 3) DA am Boden a) Ausrüstung b) Voraussetzungen c) Formen der Bodenarbeit 4) DA unter dem Sattel a) Ausrüstung b) Voraussetzungen c) Reiten in der Dualaktivierung III) Die klassische Reitkunst 1) Was ist überhaupt Klassik? 2) Die Grundsätze der Klassik 3) Klassik an der Hand 4) Klassik unter dem Sattel IV) Vergleich der Systeme 1) Gemeinsamkeiten 2) Unterschiede 3) Fazit V) Fallbeispiel aus der Praxis Literaturverzeichnis/Weblinks Seite 3 4 4 5 5 6 7 7–8 8 8 9 9 10 10 10 11 12 12 13 – 15 16 16 17 17 18 18 19 – 20 21 2 I) Einleitung Vor einiger Zeit stellte jemand die These auf, bei der Dualaktivierung handele es sich um die moderne Klassik. In dieser Facharbeit will ich nun ermitteln, inwieweit diese Behauptung zutrifft. Ich will herausfinden, ob es zwischen Dualaktivierung und Klassik tatsächlich so viele Gemeinsamkeiten gibt, dass diese These untermauert werden kann. Hierfür werde ich im Folgenden die beiden Methoden – die Dualaktivierung einerseits sowie die klassische Reitkunst andererseits - einzeln genau betrachten, um sodann einen Vergleich der Systeme durchzuführen, an dessen Ende eine Beantwortung der aufgeworfenen Eingangsthese stehen wird. Den Abschluss der Arbeit wird ein Fallbeispiel bilden, welches veranschaulichen wird, inwiefern sich die getroffenen Erkenntnisse in der Praxis auswirken. Wenn davon die Rede ist, es handele sich hier um die vergleichende Betrachtung zweier Ausbildungssysteme für Pferde, so meint dies grundsätzlich die Ausbildung eines jungen Pferdes zu einem Reitpferd. Insbesondere in der heutigen Zeit ist es jedoch bei den Freizeitreitern eher selten der Fall, dass jemand ein rohes Pferd von Grund auf ausbildet. Weitaus häufiger kommt es vor, dass Pferde schlecht oder unzureichend ausgebildet verkauft werden. Die Käufer werden dann mit diversen daraus resultierenden Problemen bei ihren Pferden konfrontiert, die wiederum nur gelöst werden können, wenn sie den Tieren nunmehr eine korrekte Ausbildung angedeihen lassen. Der Begriff der Ausbildung in dieser Arbeit bezieht sich daher also auch auf ältere Pferde, die (noch einmal neu) ausgebildet oder weiter gefördert werden sollen. 3 II) Die Dualaktivierung Beginnen möchte ich mit der Betrachtung der Dualaktivierung (kurz „DA“). Im Folgenden werde ich erörtern, worum es sich dabei handelt, welche Grundsätze dem System zugrunde liegen und wie die Ausbildung des Pferdes (und des Reiters) dort gehandhabt wird, um der anschließenden Betrachtung der klassischen Reitkunst einen Rahmen zu geben, der einen Vergleich der beiden Systeme überhaupt erst möglich machen wird. 1) Was ist die Dualaktivierung? Zunächst einmal stellt sich die Frage, was die Dualaktivierung überhaupt ist. Bei der Dualaktivierung handelt es sich um eine von Michael Geitner entwickelte Trainingsmethode für Pferde aller Rassen, Altersstufen und Reitweisen, welche durch die Verwendung von blauen und gelben Gassen und Pylonen, welche zu bestimmten Figuren ausgelegt werden, die Basisausbildung der Tiere sicherstellt. Dies wird dadurch gewährleistet, dass die Arbeit mit der Dualaktivierung bei den Pferden insbesondere Takt und Losgelassenheit verbessert, welche die ersten beiden Punkte der Skala der Ausbildung des Pferdes gemäß den Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung sind. Aber auch die anderen vier Stufen der Skala der Ausbildung (Anlehnung, Schwung, Geraderichten, Versammlung) können durch die Dualaktivierung eine deutliche Verbesserung erfahren, ohne dass dafür ein besonders geübter Reiter erforderlich wäre. Das obige Bild zeigt die Stufen der Skala der Ausbildung, wobei sie von oben nach unten zu lesen ist. Takt und Losgelassenheit bilden die Basis jeder Ausbildung, da die folgenden Stufen der Ausbildungsskala ohne sie nicht erreicht werden können. In aller Regel wird aber gerade die Basisarbeit heutzutage (nicht nur) in der Reiterei stark vernachlässigt, vermutlich vor allem deshalb, weil sie gänzlich unspektakulär ist. Wie ich im Folgenden zeigen werde, sorgt die Dualaktivierung unter anderem dafür, der Basisarbeit wieder mehr Glamour zu verleihen, indem sie schlicht sichtbar macht, was eigentlich getan wird. 4 2) Die Grundsätze der DA Die Dualaktivierung beruht auf drei Säulen, denen ein bestimmtes Prinzip zugrunde liegt. Diese drei Säulen sind die unverrückbaren Grundsätze der Dualaktivierung, die ihre Funktionsfähigkeit erst sicherstellen. a) Konzentration Die erste Säule der Dualaktivierung ist die Konzentrationsfähigkeit von Pferd und Reiter. Konzentration ist die Zuwendung einer Person zu einer Tätigkeit, einem Objekt oder einem Denkakt. Die geistige Aktivierung geschieht zielgerichtet eingeengt auf eine bestimmte Sache, unter Ausschaltung aller äußeren Einflüsse. Viel wird darüber diskutiert, wie lange sich ein Pferd konzentrieren kann. Ganz ohne Zweifel handelt es sich dabei um eine sehr berechtigte Frage, denn es macht durchaus einen Unterschied, ob es eine halbe oder eine Stunde ist. Bezieht man die Konzentrationsfähigkeit des Menschen mit ein, spielt die Beantwortung der Frage jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle. Zwar ist die Konzentrationsfähigkeit von Menschen individuell verschieden, doch kann man ziemlich allgemein festlegen, dass sich die meisten Menschen ab einem Alter von 20 Jahren ca. 25 Minuten lang auf eine Sache konzentrieren können. Je stärker ablenkende Außenreize aufkommen und je mehr versucht wird, mehrere Aufgaben gleichzeitig mit Aufmerksamkeit zu bedenken, desto mehr schwindet die Konzentration für die aktuelle Tätigkeit. Beim Reiten ist man oft vielfältigen Außenreizen ausgesetzt, wie den plappernden Stallkollegen an der Bande oder dem schnüffelnden Hund am Zaun. Kommt noch ein planloses Vorgehen bei der Arbeit hinzu, bei dem man nicht einmal sieht, was man eigentlich tut, wird aus Freude am Reiten schnell Frust. Die Tatsache, dass in der Dualaktivierung mit sichtbaren Bodenhindernissen gearbeitet wird, gibt Pferd und Reiter eine nachvollziehbare Form für ihre Arbeit und verbessert so die Konzentrationsfähigkeit von beiden, denn beide können sehen, was als nächstes zu tun ist. Auf diese Weise bekommt der Reiter auch einen Plan von dem, was er tun will, was sich wiederum ebenfalls positiv auf die Konzentrationsfähigkeit auswirkt. Zuletzt sorgen die vielfältigen Bodenhindernisse auch für Abwechslung und Kreativität in der Trainingsgestaltung. Dies beugt nicht nur Langeweile bei Pferd und Reiter vor, sondern sorgt damit gleichzeitig auch für eine Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit, denn auch Langeweile sorgt für eine Abnahme der Aufmerksamkeitsspanne. 5 b) Art der Übungen Die zweite Säule der Dualaktivierung ist die Art der Übungen. Bei der Dualaktivierung werden aus Pylonen und mit Schaumstoff gefüllten Schläuchen verschiedene Übungen auf den Boden gelegt. Hierbei entstehen Quadratvolte, Halbe-VolteGerade, Kleeblatt, Dreieck und andere Figuren. Einige dieser Figuren sind den meisten Reitern nicht unbekannt, da sie oft auch so im Reitalltag eingebaut werden, nur dass man sich den Weg der Figuren normalerweise selbst vorstellen muss, während sie bei der Dualaktivierung ganz klar zu sehen sind. So wird es Pferd und Reiter ermöglicht, zu sehen, was sie zu tun haben. Der Reiter kann sich dadurch wesentlich besser auf seinen Sitz und sein Pferd konzentrieren, wodurch er automatisch schon viel harmonischer mit diesem agieren wird. Das Pferd wird durch die Übungen außerdem dazu angeregt, die Dauer der Lastaufnahme an seinem inneren Hinterbein zu erhöhen, unter den Schwerpunkt zu fußen und sich korrekt zu stellen und zu biegen. So lernt es, kräftesparend um die Kurve zu laufen, weshalb es diese Art zu laufen, gerne wiederholen will. Daraus folgt dann quasi ganz automatisch eine für das Reitpferd korrekte Haltung. Es ist allerdings wichtig zu wissen, dass die Übungen nur dann ihren Zweck entfalten, wenn das Pferd sie ohne äußere Einflüsse selbstständig bewältigen kann. Daher hat der Mensch alle Hilfen auszusetzen, solange das Pferd sich in einem Hindernis befindet. Erst wenn es dieses verlässt, darf der Mensch wieder Hilfen geben. Das Bild zeigt einen Parcours der gerittenen Dualaktivierung. Im Vordergrund die Quadratvolte, links die Lange Gasse und in der Mitte die Halbe-Volte-Gerade. Die Ecken sind mit Pylonen markiert, die Pferd und Reiter zwingen, diese korrekt auszureiten. 6 c) Die Farben Die Farben der Schläuche und Pylonen bilden die dritte Säule der Dualaktivierung. Diese sind in blau und gelb gehalten – und das aus gutem Grund. Eine Studie amerikanischer Forscher brachte im Jahr 2001 ans Licht, dass es sich hierbei um die Farben handelt, die Pferde als solche wahrnehmen. Alle Säugetiere haben im Grunde ein identisches Seh-System. In ihrer Netzhaut befinden sich verschiedene Rezeptoren in Form von Stäbchen, welche für das Hellund Dunkelsehen zuständig sind, sowie Zapfen, welche eine entscheidende Rolle beim Farbsehen spielen. Insgesamt gibt es drei Typen von Zapfen. Nur Menschen und Menschenaffen besitzen alle drei, wodurch sie ein sehr großes Farbspektrum sehen können. Pferde und alle anderen Säugetiere besitzen dagegen nur zwei Zapfen-Typen und werden deshalb Dichromaten genannt. Aus diesem Grund können Pferde ihre Welt nur in Grau-, Schwarz- und Weißschattierungen wahrnehmen, eben mit Ausnahmen der Farben blau und gelb, welche sie als solche erkennen. Diese Tatsache nutzt die Dualaktivierung dergestalt, dass ein Farbreiz in einer Welt aus schwarz und weiß eben nahezu zwingend die Aufmerksamkeit des Betrachters erregt. d) Das Prinzip dahinter Diesen drei Säulen liegt ein Prinzip zugrunde, dessen Grundlage sich im Gehirn des Pferdes abspielt. Zunächst hat weiterhin alles mit den Augen des Pferdes zu tun. Diese sind seitlich am Schädel angeordnet, was es dem Fluchttier ermöglicht, gleichzeitig den Weg zu sehen und das verfolgende Raubtier im Blick zu behalten – etwas, was uns Menschen aufgrund der Anordnung unserer Augen unmöglich wäre. Das Pferd nimmt also folglich mit jedem Auge ein gesondertes Bild seiner Umgebung wahr, was man als monokulare Sehweise bezeichnet. Was für das Überleben als Fluchttier so praktisch ist, hat aber Nachteile für den Einsatz als Reittier. Weil Pferde meist mit dem rechten Auge eher passiv den Fluchtweg erfassen, ist ihre Wahrnehmung der entsprechenden Körperhälfte auch deutlich schwächer ausgeprägt. Dagegen betrachten Pferde mit dem für die Raubtierüberwachung aktiven linken Auge alles ganz genau und speichern die entsprechenden Eindrücke in der rechten Gehirnhälfte ab, so dass deren Bildspeicher meist wesentlich besser gefüllt ist, als der der linken Gehirnhälfte. Sehen sie einen Gegenstand, gleichen sie ihn sofort mit den schon gespeicherten Bildern ab, um seine Gefährlichkeit beurteilen zu können. Finden sie ein entsprechendes Bild als ungefährlich eingestuft vor, bleiben sie ruhig. Folglich verfallen Pferde, die etwas mit dem schlechter geschulten rechten Auge wahrnehmen, schneller in Panik, als wenn sie es mit links sehen, wo sie auf einen gut gefüllten Fotospeicher zum Abgleichen zurückgreifen können. Nun ist es zwar so, dass zwischen linker und rechter Gehirnhälfte ein Datenaustausch stattfindet, doch ist dieser beim Pferd bedeutend langsamer als beim Menschen. Wenn das Pferd nun geritten wird, ist allerdings ein schnelles Umschalten erwünscht. Denn jedes Mal, wenn das Pferd einen Gegenstand mit dem rechten Auge nicht einordnen kann, bekommt es Angst davor, dass es von diesem gefressen werden könnte. Im selben Moment verliert es für einen kurzen Augenblick seine Balance. Nun kommt zur Angst, von dem unbekannten Ding gefressen zu werden, noch die Angst zu fallen hinzu – was aus Sicht des Pferdes wiederum zwangsläufig in 7 Gefressenwerden mündet. Bevor das Gehirn seinen Datenabgleich durchführen konnte, wird das unkoordinierte Pferd daher sicherheitshalber seinem Fluchtinstinkt folgen. An dieser entscheidenden Stelle setzt die Dualaktivierung an. Zum einen verbessert sie durch die wechselnden Farbreize die Geschwindigkeit des Hin- und Herschaltens zwischen rechter und linker Gehirnhälfte und zum anderen stabilisiert sie die Hinterhand des Pferdes und damit seine gesamte Balance. Problematisch ist nämlich auch, dass Pferde ihre Hinterhand grundsätzlich erst einmal nur im Moment der Flucht im Bewusstsein haben, wo der kräftige Motor für ein schnelles Davonkommen sorgt. Der Einsatz der Hinterhand ist also für das Pferd beängstigend, da er stets mit Flucht in Verbindung gebracht wird. Damit ein Reitpferd lange gesund bleiben kann, ist es aber notwendig, dass es lernt, die Dauer der Phase, in der es auf dem inneren Hinterbein lastet, zu erhöhen. Denn lastet das Pferd länger auf dem äußeren Schubbein oder gar auf den Vorderbeinen, führt dies automatisch zu einer Fehlbelastung der Rückenmuskulatur und der Wirbelsäule – und damit zu einem frühzeitigen Verschleiß des Pferdes. Hat das Pferd auf diese Weise gelernt, seine Hinterhand im Bewusstsein zu haben, wird es im Schreckmoment auch nicht so schnell die Kontrolle über diese verlieren und ist so dazu in der Lage, emotionsunabhängig eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer Flucht zu treffen. Neben der Verbesserung der körperlichen Faktoren führt die Dualaktivierung in der eben beschriebenen Weise also auch dazu, dass das Pferd in Schrecksituationen gelassener reagieren kann. 3) DA am Boden In der Dualaktivierung kann das Pferd am Boden und unter dem Sattel trainiert werden. Zunächst möchte ich die Möglichkeiten der Arbeit am Boden betrachten. Diese sind in der Dualaktivierung vielfältig. a) Ausrüstung Bevor ich mich jedoch den einzelnen Methoden der Arbeit am Boden widme, möchte ich kurz ein paar Worte über die Ausrüstung des Pferdes hierfür verlieren. In der Dualaktivierung werden alle Hilfsmittel abgelehnt, die es dem Pferd erschweren oder gar unmöglich machen, sich frei und ungehindert von äußeren Zwängen selbst auszubalancieren und zu tragen sowie sich ein eigenes Körperbewusstsein anzueignen. Von daher sind Hilfszügel jeglicher Art am Boden genauso wie unter dem Sattel absolut tabu! Denn sie zwingen das Pferd in eine Form, welche es aufgrund mangelnder Körperbeherrschung eigentlich gar nicht einnehmen kann. Sie sorgen lediglich dafür, dass sich das Pferd mit der Halsmuskulatur gegen die Hilfszügel stemmt, wobei nicht nur diese Muskeln verspannen, sondern in der Folge auch die mit ihr verbundenen Rücken- und Hinterhandmuskulatur. Damit ist dann jegliche Balance zunichte gemacht. In der Dualaktivierung wird darüber hinaus am Boden auf den Gebrauch des Gebisses im Maul verzichtet. Das möglicherweise nicht einmal absichtliche Rucken am Gebiss des Pferdes bei der Bodenarbeit durch den Menschen verursacht dem Tier Schmerzen im Maul, welche es fortan mit der Arbeit verbinden wird. Das erklärte Ziel der Dualaktivierung ist es aber, dass das Pferd Freude am Training hat und infolgedessen gerne und freiwillig mit seinem Menschen zusammenarbeitet. 8 b) Voraussetzungen Die wichtigste Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit am Boden und im Sattel in der Dualaktivierung ist das Wissen darüber, wie ein Pferd am besten lernt. Das richtig eingesetzte Lob ist dabei der wichtigste Faktor, denn es sorgt für schnelle Erfolge. Es ist daher notwendig, dass der Mensch stets dafür sorgt, dass das Pferd so viel wie möglich richtig machen kann und dafür auch sofort belohnt wird, denn dann lernt es schnell und gerne. Pferde lernen nur durch konstante Wiederholung und sofortiges Lob oder falls nötig Strafe. Gewalt, Ungeduld und Zorn sind daher in der Ausbildung des Pferdes kontraproduktiv und somit in der Dualaktivierung unerwünscht. Stattdessen können alle Formen von Lob ausgeschöpft werden, sei es durch Stimme, Streicheln und/oder Futter, eine kurze Pause oder gar das sofortige Trainingsende nach einem besonders großen Erfolg. Zudem ist es wichtig, das Pferd durch das Training nicht zu überfordern, denn unter Stress können Lebewesen nicht lernen und Muskeln nicht wachsen. Daher ist es entscheidend, gerade am Anfang der Arbeit in der Dualaktivierung die Zeit genau im Auge zu behalten und lieber kurze intensive Trainingseinheiten zu gestalten, als sich zu lange an einer Aufgabe festzubeißen. c) Formen der Bodenarbeit In der Dualaktivierung gibt es mehrere Möglichkeiten, mit einem Pferd am Boden zu arbeiten. Die Grundlage dabei ist das Führen oder auch Positionstraining, dessen Name daher stammt, dass der Mensch dabei Position gegenüber seinem Pferd bezieht. Es richtet sich nach dem Prinzip „wer bewegt wen“ Dabei führt derjenige, der den anderen bewegen kann, das heißt er bestimmt wohin im Ernstfall geflüchtet wird. Fohlen lernen dieses Prinzip von klein auf, der Mensch muss sich daher mit Konsequenz auch bei Kleinigkeiten angewöhnen, dass er stets der Beweger und nicht der Bewegte ist. Das alles verfolgt das Ziel, ein verlässlicher Partner für das Pferd zu werden und hat absolut nichts mit Dominanz oder Unterwerfung zu tun. Eine Sonderform des Führens ist die Fahnenarbeit in der Dualaktivierung. Hierbei geht der Mensch rückwärts vor dem Pferd her und schwenkt eine gelbe Fahne vom rechten zum linken Auge des Pferdes. Diese Arbeit soll dem Pferd dabei helfen, Reize mit beiden Augen wahrzunehmen. Beim Longieren in der Dualaktivierung bezieht der Mensch Position in der Mitte eines etwa 13 Meter durchmessenden Zirkels, auf dem Dualgassen und Pylonen in verschiedensten Figuren ausgelegt sein können. Ungeachtet einiger StandardFiguren wie der Quadratvolte sind der Kreativität des Menschen hier grundsätzlich keine Grenzen gesetzt – mit Ausnahme der Leistungsfähigkeit seines Pferdes, denn das Longieren in der Dualaktivierung ist äußerst anstrengend. Von daher sollte es auch nicht länger als 15 Minuten betrieben werden, mit möglichst häufigen Handwechseln. Die letzte Möglichkeit der Bodenarbeit in der Dualaktivierung stellt das sogenannte Longe-Walking dar. Dabei wird eine Doppellonge in das Halfter des Pferdes geschnallt und der Mensch läuft hinter dem Pferd mit diesem durch einen blaugelben Parcours, der durchaus die gesamte Reithalle ausfüllen und kreativ gestaltet werden darf, wobei man sich auch hier an einigen Standard-Figuren orientieren sollte, da diese besonders effektiv sind. 9 4) DA unter dem Sattel Natürlich ist es auch möglich, mit der Dualaktivierung unter dem Sattel zu trainieren. Gegenüber der Bodenarbeit (mit Ausnahme des Longe-Walking), ist die gerittene Dualaktivierung sogar deutlich effektiver, da erst hier ein ständiger Wechsel der Farbreize auf die beiden Augen des Pferdes erfolgen kann. a) Ausrüstung Wie bei der Bodenarbeit ist es auch beim Reiten wichtig, keinerlei Ausrüstungsgegenstände zu benutzen, welche das Pferd in irgendeiner Art und Weise behindern. Neben jeglicher Form von Hilfszügeln ist daher auch zwingend auf den Gebrauch des Sperrriemens zu verzichten, da dieser verhindert, dass das Pferd seinen Speichel abschlucken kann und das Kiefergelenk in seiner Beweglichkeit einschränkt, was wiederum zu einer mangelnden Federung der Wirbelsäule und damit zu Verspannungen führt. Aus denselben Gründen sollte in der gerittenen Dualaktivierung nach Möglichkeit auch auf den Gebrauch des Nasenriemens verzichtet werden, wenn dieser auch nicht ganz so stark einschränkende Wirkung hat wie der Sperriemen. Abgesehen davon sollte es klar sein, dass das Pferd nur mit passendem Sattel und Zaumzeug geritten werden darf, denn mit drückendem Sattel wird ein Pferd seine Muskulatur nicht loslassen und damit auch keine Balance finden können. b) Voraussetzungen In der Dualaktivierung wird mit Impulsen geritten. Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Reiter unabhängig im Sattel sitzen und sich geschmeidig den Bewegungen seines Pferdes anpassen kann, ohne es zu stören. Ganz wichtig ist dabei, dass der Reiter an keiner Stelle seines Körpers verkrampft. Natürlich ist dies meist leichter gesagt, als getan, aber es hilft, wenn man den Spaß an der Arbeit nicht verliert, denn dann kann man auch nicht so leicht verkrampfen – und die Freude wird zudem auf das Pferd abfärben. Hilfen werden in Form von Impulsen gegeben und zwar immer dann, wenn das Pferd nicht mehr das tut, was eingangs von ihm verlangt wurde oder wenn es etwas Neues tun soll. Das heißt, dass der Mensch nicht ständig auf das Pferd einwirkt, da jede Bewegung des Menschen auf seinem Rücken für das Pferd eine Bedeutung hat. Ein „Dauerfeuer“ an Hilfen überfordert die Tiere daher nur und macht sie auf Dauer stumpf gegen die Einwirkung des Reiters. Beim Durchreiten der Hindernisse ist es absolut notwendig, alle Hilfen gänzlich einzustellen, da das Pferd nur dann lernen wird, seine Balance zu finden, wenn es sich die Aufgabe allein erarbeitet hat und nicht ständig von seinem Reiter „an die Hand genommen“ wird. Dafür sollte der Reiter beim Einreiten in das Hindernis geradeaus sehen und die Zügel deutlich nach vorne gehen. Will er das Tier noch weiter entlasten, kann er zum Durchreiten der Hindernisse auch durchaus den Leichten Sitz einnehmen, vor allem im Trab empfiehlt sich dieses Vorgehen, um alle möglicherweise störenden Einflüsse auf das Pferd zu minimieren. 10 c) Reiten in der Dualaktivierung Für das Reiten in der Dualaktivierung wird ein beliebiger Parcours aus Gassen und Pylonen ausgelegt, wobei man sich auch hier durchaus an Standard-Figuren orientieren kann. Geritten wird nach einem Zeitsystem, welches stets eingehalten werden sollte, weil das Pferd sich auf diese Weise daran gewöhnt, dass es nach einer bestimmten Zeitspanne Ruhe hat. Folglich wird es keine Energie mehr zurückhalten, was die Tiere in einem Training ohne Zeitsystem stets tun, da sie ja nicht wissen können, wie lange sie diesmal durchhalten müssen werden. Man beginnt mit zehn Minuten intensiver Schrittarbeit durch den Parcours, gefolgt von zehn Minuten Trab und erneuten fünf Minuten intensivem Trab. Dazwischen wird dem Pferd jeweils eine Erholungspause gegönnt, in der es am langen Zügel durch die Bahn bummeln darf. Diese Pausen sind wichtig für die Motivation und das Durchhaltevermögen des Pferdes und dafür, dass Muskeln wachsen können, denn diese wachsen nur, wenn genug Sauerstoff vorhanden ist. Die Pausen ermöglichen es, dass Puls und Atmung des Pferdes wieder ruhiger werden und die Muskeln so weiterhin mit Sauerstoff versorgt werden können. Eine separate Aufwärmphase ist in der Dualaktivierung nicht nötig. Grundsätzlich ist es notwendig, ein Pferd vor der Arbeit mindestens zehn Minuten im Schritt aufzuwärmen, denn die gleichmäßige Bewegung bringt den Kreislauf auf Touren, schmiert die Gelenke und verhindert Muskelrisse. In der Dualaktivierung wird deshalb zu Beginn der Arbeit zehn Minuten Schritt geritten. Anstatt aber sinnlos durch die Bahn zu gurken, reitet man sofort konzentriert in den Parcours, so dass das Pferd schon gleich zu Beginn der Arbeit auch gebogen wird, was zum korrekten Aufwärmen unerlässlich ist. Galoppiert wird in der Dualaktivierung wenig bis gar nicht. Dies hat den Hintergrund, dass der Galopp eine Gangart ist, die vom Pferd sehr viel Kraft, Balance und Körperkoordination erfordert. Da es den meisten Pferden aber eben genau daran mangelt, sind sie mit dem Galopp in aller Regel völlig überfordert. In der Dualaktivierung werden Balance, Kraft und Körperkoordination des Pferdes im Schritt und Trab verbessert. Sobald dies geschehen ist, wird das so geschulte Pferd automatisch keine Probleme mehr mit dem Galopp haben. Und dann ist auch die Zeit gekommen, diese Gangart gemeinsam mit seinem Pferd genießen zu können. Auch Seitengänge und höhere Lektionen wie Piaffe und Passage sind in der Dualaktivierung nicht vorgesehen. Allerdings gilt wie beim Galopp, dass die Arbeit mit der Dualaktivierung das Pferd so in seiner Koordination schult, dass es sich anschließend mit diesen Übungen viel leichter tun wird. Tatsächlich gibt es sogar einige Figuren in der Dualaktivierung, die auch sehr gut zur Erarbeitung und Verbesserung der Seitengänge und höheren Lektionen genutzt werden können. 11 III) Die klassische Reitkunst Sodann möchte ich mich der genauen Betrachtung der Klassik oder auch klassischen Reitkunst widmen. Es gilt die Frage zu beantworten, worum es sich bei diesem viel bemühten Begriff überhaupt handelt, welche Grundsätze ihm zugrunde liegen und wie die Ausbildung des Pferdes dort gestaltet ist. 1) Was ist überhaupt Klassik? Zunächst gilt es die Frage zu beantworten, was Klassik überhaupt ist. In Bezug auf die Reitkunst bezeichnet das Wort keine zeitgeschichtliche Epoche, sondern eine Art, mit Pferden umzugehen, die sich, unabhängig von modernen Strömungen, an althergebrachten Grundsätzen und historischen Vorbildern orientiert. Bevor ich einen Blick auf die Grundsätze der Klassik werfe, möchte ich ein paar Worte zu den historischen Vorbildern verlieren, auf die man sich in der klassischen Reitkunst allgemein bezieht. Als Begründer der Lehre vom Pferd und Reiten wird Xenophon angesehen, der um 365 v. Christus als Feldherr in Athen lebte und dort all sein Wissen über Reitpferde niederschrieb, womit er uns die wohl erste schriftlich niedergelegte Reitlehre überhaupt vermachte. Nach Xenophon folgte lange kein bedeutender Reitmeister mehr. Erst das 16. Jahrhundert brachte einige französische und englische Ritter hervor (Simon de la Broue, Antoine Pluvinel, William Cavendish Duke of Newcastle), die bedeutende Neuerungen in der Reiterei schriftlich niederlegten. Mit Francois Robichon de la Guérinière trat dann im späten 17. Jahrhundert der Mann auf die Bühne der Reitwelt, dessen Werk aus dem Jahr 1733 bis heute die bedeutendste Grundlage der klassischen Reitkunst bildet. Dem Werk Guérinières folgten noch weitere von anderen Reitmeistern späterer Zeiten, die allesamt weniger bekannt sind, wie der zum Teil kontrovers diskutierte Francois Baucher. Erst im 19. Jahrhundert gab es schließlich mit Gustav Steinbrecht auch einen Begründer der deutschen Reitlehre, auf die sich die Vertreter der klassischen Reitkunst ebenfalls bis heute berufen. Auch nach Steinbrecht gab es noch bedeutende Reitmeister der Klassik, wie den englischen James Fillis und den Portugiesen Nuno Oliveira, doch möchte ich mich hier im Wesentlichen auf die Betrachtung der Werke der drei wichtigsten historischen Vorbilder klassischer Reitkunst Xenophon, Guérinière und Steinbrecht beschränken. Hin und wieder trifft man auch auf den Begriff der „klassisch barocken Reiterei“. Der Vollständigkeit halber und um Verwirrung über die Begriffe zu vermeiden, sei hier erwähnt, dass sich ihre Anhänger nur auf die Lehren von Reitmeistern aus der geschichtlichen Epoche des Barock, welche von 1575 bis 1770 währte, beziehen. Insbesondere werden hier die Lehren Guérinières vertreten, wohingegen Steinbrecht und Xenophon für die Anhänger der Barockreiterei keine Relevanz haben. Da sie aber in der eingangs erwähnten Definition der klassischen Reitkunst definitiv zu ihren Meistern gehören, erörtere ich hier auch deren Werke. 12 2) Die Grundsätze der Klassik Alle Reitmeister, auf welche sich die klassische Reitkunst bis heute bezieht, haben in ihren Werken eigene Grundsätze entwickelt oder die Ideen ihrer Vorgänger um wichtige Neuerungen ergänzt und weiterentwickelt. Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei Weitem sprengen, hier alle Grundsätze auch nur der drei wichtigsten historischen Vorbilder der klassischen Reitkunst darzulegen. Da es hier um eine vergleichende Analyse der klassischen Reitkunst mit der Dualaktivierung geht, werde ich nur auf diejenigen Grundsätze eingehen, welche eine Beantwortung der These meiner Arbeit möglich machen. Zunächst einmal möchte ich hierfür die Grundsätze der Arbeit Xenophons betrachten. Dieser Reitmeister, der vor Christi Geburt im antiken Griechenland lebte und wirkte, setzte sich intensiv für einen freundlichen und schonenden Umgang mit dem Pferd ein. Sein Werk ist geprägt von der Idee, dass Mensch und Pferd partnerschaftlich zusammenarbeiten können. Vor alles andere stellt er das Ziel, dass das Pferd jede von ihm verlangte Aufgabe stets angstfrei und mit Freude verrichtet, wobei er betont, dass das Pferd soweit gebracht werden soll, dass es aus Liebe zum Menschen diesem gehorchen will. Daneben legt er Wert auf einen leistungsfähigen und gesunden Pferdekörper, der durch sorgfältige Gymnastizierung und intensives Training erreicht werden soll, wobei das Pferd niemals überfordert werden darf. Außerdem auf eine gefestigte Pferdeseele, die dazu führt, dass das Pferd gelassen mit Stresssituationen umgehen kann. Dies erreicht er auch dadurch, dass er durch eine abwechslungsreiche Arbeit keine Langeweile beim Pferd aufkommen lässt. Auf sämtliche Zwangsmittel verzichtet Xenophon, sondern betont die Wichtigkeit konsequenter Belohnung in Form von Streicheln, Schrittpausen oder dem Ende der Arbeit, sobald das Pferd eine Übung gut gemacht hat. Er verwehrt sich ausdrücklich gegen den unsinnigen Einsatz von Zügeln, Sporen und Gerte, da ein Pferd diese Hilfsmittel nicht einordnen und verstehen kann, wodurch es in Stress und Panik versetzt wird, was er unbedingt zu vermeiden sucht, da er den Anblick der Bewegungen eines in Stress und Angst verspannten Pferdes für unschön und unerfreulich hält. Es ist ihm wichtig, dass die Tiere niemals das Gefühl bekommen, zu irgendetwas gezwungen zu werden, denn er vertritt die Auffassung, dass nur die freudige freiwillige Mitarbeit das Pferd zu schönen und energischen Bewegungen veranlassen kann. In Bezug auf den Reiter verlangt er eine stetige Schulung von Körper und Charakter, wobei er vor allem Wert auf einen unabhängigen geschmeidigen Sitz und das Erlernen von Selbstbeherrschung und Geduld legt In der Zeit zwischen Xenophon und Guérinière folgten nur wenige neue Grundsätze. Simon de la Broue betonte, die Wichtigkeit der Schonung des Pferdemauls beim Reiten, Antoine Pluvinel erfand die Pilaren und der Duke of Newcastle war ein erklärter Feind von Martingal und italienischen Nasenriemen. Sie alle vereinte ihr Streben nach einer pferdefreundlichen, gewaltfreien Pferdeausbildung. Mit seinem Werk von 1733 vereinte Guérinière schließlich alle bis dahin existierenden Meinungen zu einem einzigen Standardwerk und ergänzte sie durch neue Entwicklungen - beispielsweise gilt er als der Erfinder des Schulterherein am Hufschlag. Seine Arbeit behandelt umfassend den Umgang mit Pferden, vor allem aber die systematische Ausbildung des Reitpferdes. Dabei betont er vor allem, wie wichtig es sei, das individuelle Wesen eines jeden Pferdes bei der Ausbildung zu berücksichtigen. An den Anfang der Ausbildung eines Reitpferdes stellt er das Anlongieren am Kappzaum – er lehnt das Longieren am Gebiss rigoros ab, da dies den Pferden „das 13 Maul beleidige“ (Reitkunst, S. 172) -, gefolgt vom Reiten im Schritt und Trab sowie der Erarbeitung der Seitengänge. Es folgt die Erarbeitung der Piaffe in den Pilaren, wobei ihm wichtig ist, das Pferd langsam an diese zu gewöhnen, so dass das Tier angstfrei und vertrauensvoll – zunächst ohne Reitergewicht – darin arbeitet. Erst wenn das Reitpferd dies alles beherrscht, ist in Guérinières Werk die Erarbeitung des Galopps vorgesehen, gefolgt von den höheren Schulen, wie Levade und Terre à Terre. Im Trab sieht er den erhabensten aller natürlichen Gänge des Pferdes und betont dessen Notwendigkeit um ein Pferd leicht an der Hand, gelenkig und biegsam zu machen. Den Schritt betrachtet er dagegen eher als Gangart zur Versöhnung mit der Strenge, die der Reiter im Trab an den Tag legen muss, und als Verschnaufpause, die es dem Pferd ermöglicht, das Gelernte besser abzuspeichern. Im Galopp sieht er zwar einige Vorteile, betont aber, dass man ein Pferd niemals galoppieren dürfe „bis es durch den Trab so gelenksam gemacht ist, dass es sich von selbst, ohne in die Hand zu drücken oder zu ziehen, zum Galopp zeigt“ (Reitkunst, S. 223). Dies kann seiner Meinung nach nicht vor der Beherrschung der Piaffe in den Pilaren erfolgen. Besonderen Wert legt er darauf, die Pferde niemals zu überfordern, sondern nur neue Lektionen zu verlangen, zu denen sie bereits psychisch und physisch in der Lage sind. Schon zu seiner Zeit bemängelt er, dass viele Widersetzlichkeiten von Pferden darauf beruhen, dass ihnen zu früh zu viel abverlangt wurde oder sie sogar viel zu jung schon angeritten wurden. Das Alter zum Anreiten eines Pferdes legt er mit sechs bis acht Jahren fest, denn er war der Auffassung, dass ihnen vorher die Kraft fehle, die gewünschten Leistungen zu erbringen, womit man den Pferden irreversiblen Schaden an Rücken und Beinen zufüge. Jede Form von Zwangsausübung auf ein Pferd lehnt er rigoros ab, da die Pferde zwar irgendwann gehorchen, weil ihnen die Kraft zum Widerstand erlahmt, aber ihnen wird damit jegliche Freude an der Arbeit verdorben und sie werden körperlich und geistig zugrunde gerichtet. Umso erstaunlicher ist es, dass er, anders als Xenophon, für die Ausbildung der Pferde vor allem Strafen (in Form von Rute, Peitsche und Sporen) empfiehlt und die von ihm aufgeführten Hilfen als Warnung an das Pferd sieht, dass eine Strafe folgt, wenn es die Hilfe nicht befolgt. Ganz am Anfang seiner Ausbildungslehre für Pferde beschäftigt sich Guérinière aber nicht mit den Tieren, sondern mit den Reitern. Er bedauert, dass so wenige gute Reiter existieren und betont die Notwendigkeit, einer zu werden. Das wesentliche Merkmal eines guten Reiters sieht er darin, nicht ständig Hilfen mit Beinen und Zügeln an das Pferd zu senden oder das Tier in eine Form zu pressen, die seinem Naturell widerspricht. Er betont, dass ein guter Reiter sein Pferd lieben und viel Geduld haben müsse, auch solle er stark und herzhaft sein. Da er die Missverständlichkeit der beiden letzten Begriffe scheinbar selbst erkennt, fügt er erklärend hinzu, dass er damit nicht etwa zu gewalttätigem Reiten aufrufen wolle, welches nur zu Furcht beim Pferd führe, sondern der Reiter eine starke Persönlichkeit entwickeln müsse, die es ihm ermögliche, das Pferd dazu zu bringen, sich ihm freiwillig unterzuordnen. Er vermutet, dass viele Reiter aufgrund der Dauer, die es braucht, diese Eigenschaften zu erlangen, keine Lust auf das Reiten in der Bahn haben, betont jedoch dessen Wichtigkeit, denn nur so sei es möglich ein Pferd „auf die Hanken zu setzen, ohne welches ein Pferd … in seinen Bewegungen weder angenehm noch für den Reiter bequem sein kann“ (Reitkunst, S. 108/109). Das wichtigste Kriterium eines guten Reiters ist für ihn jedoch ein geschmeidiger, ausbalancierter Sitz. Diesen beschreibt er recht genau, wobei er vor allem Wert darauf legt, dass der Reiter an keiner Stelle seines Körpers Verspannungen erzeugt, 14 beispielsweise durch einen zu tiefen Absatz. Auch die von ihm geforderte weiche Hand sieht er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geschmeidigkeit des Sitzes. Nach Guérinières wegweisender Lehre folgten nur wenige Reitmeister mit Neurungen in ihren Reitlehren. Dom Pedro de Alcantara e Meneses IV. Marquies von Marialva, der „Guérinière der Iberischen Halbinsel”, setzte im 18. Jahrhundert auf die Leichtigkeit der Bewegungen des Pferdes, welche aus aus einer kräftigen Hinterhand stammen. Ludwig Seeger, der erste deutsche Reitmeister und Lehrer Steinbrechts, erinnerte im beginnenden 19. Jahrhundert an die Notwendigkeit des Vorwärts der Pferde, entstehend aus der Hinterhand. Ebenfalls im 19. Jahrhundert in Frankreich betonte Francois Baucher die herausragende Bedeutung des Schrittes und des Nachgebens mit der Hand. Da er sich in seinen Werken allerdings nicht gut auszudrücken vermochte, wurde er oft fehlinterpretiert. 1884 schließlich erschien mit Das Gymnasium des Pferdes die noch heute grundlegende deutsche klassische Reitlehre Gustav Steinbrechts. Gleich zu Anfang seines Werkes betont er die absolut herausragende Notwendigkeit des losgelassenen Reitersitzes. Der Reiter müsse jederzeit weich mit den Bewegungen des Pferdes mitgehen, wobei der Schwerpunkt des Reiters und der des Pferdes stets übereinstimmen müssen. Neben den körperlichen Aspekten verlangt er von den Reitern vor allem Ruhe und Geduld sowie Einfühlungsvermögen für das Individuum Pferd. In Bezug auf die Ausbildung des Pferdes schlägt er vor, sich an den Vorgängen der Natur zu orientieren, denn alles, was Ziel der Dressur ist, kann das Pferd ohne Reiter in der Regel mit Leichtigkeit. Er sieht den Zweck der Dressur darin, die Muskulatur des Pferdes für das Dasein als Reittier zu gymnastisieren, indem das Pferd ins Gleichgewicht gebracht wird. Unter dem Begriff Gleichgewicht des Pferdes versteht er die „richtige gleichmäßige Verteilung seines Körpergewichts auf die vier Füße“ (Gymnasium, S. 43). Von Natur aus sei dies nicht vorhanden, sondern werden die Vorderbeine mehr belastet, als die Hinterbeine. Im Gleichgewicht ist ein Pferd dann, wenn der Reiter es dazu bringen kann, die Last auf die Hinterbeine zu nehmen. Er beginnt die Ausbildung des Pferdes mit der Arbeit an der Longe – am Kappzaum! Dabei betont er stets, wie wichtig es sei, den Tieren keinen Zwang zuzufügen und jeden Schritt der Ausbildung langsam und in aller Ruhe anzugehen – und das Ende der Arbeit als Belohnung zu nutzen. Beim Anreiten ist es das oberste Ziel zunächst die „Schiebkraft“ der Hinterhand zu entwickeln. Er führt aus, dass es sich beim Trab zwar durchaus um die wichtigste Gangart im Training handelt, der Galopp aber nicht ausgelassen werden solle, sofern ihn das junge Pferd von sich aus anbiete, da es sich bei ihm um eine natürliche Gangart handele, derer das Pferd nicht beraubt werden dürfe. Besonders bekannt von ihm ist sein Aufruf „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ (Gymnasium, S. 61). Mit Vorwärtsreiten meinte er die Ausformung der Schubkraft der Hinterhand des Pferdes, wobei er mit Geraderichten meinte, dass die Hinterbeine stets in die Spur der Vorderbeine des Pferdes treten – er betont allerdings, dass dies nicht durch die Hand erzwungen werden dürfe. Die Biegsamkeit des Pferdes im ganzen Körper ist ihm so wichtig, dass er ihr ein eigenes umfassendes Kapitel widmet. Als Übung um dem jungen Pferd die Biegung beizubringen, beschreibt er die Quadratvolte, die nach und nach zu einer runden Volte wird, je mehr das Pferd lernt, sich korrekt zu biegen. Doch nicht nur die körperliche Gymnastizierung des Pferdes sieht er als Ziel jeder Ausbildung, sondern auch die geistige, denn die Tiere sollen durch die Arbeit mit dem Menschen intelligent und aufgeweckt werden. 15 3) Klassik an der Hand Einhellig betonen praktisch alle klassischen Meister, dass die Ausbildung des jungen Pferdes an der Hand zu beginnen hat – und zwar am Kappzaum um dem rohen Pferd Schmerzen durch Rucke im Maul zu ersparen. Dabei wird zunächst das Führen an der Hand eingesetzt, die sogenannte Handarbeit. Hierbei werden bereits bestimmte Lektionen, wie die Piaffe, ohne störendes Reitergewicht erarbeitet, so dass die Umsetzung unter dem Sattel für das Pferd leichter wird. Seit ihrer Erfindung bedienen sich viele Klassiker hierzu auch der Pilaren. Daneben wird das Longieren eingesetzt, um dem Pferd den Weg in die Biegung und Anlehnung ebenfalls ohne Reitergewicht beizubringen. Zuletzt ist eine Methode der Bodenarbeit in der Klassik die Arbeit am Langen Zügel, bei welcher der Mensch schräg hinter dem Pferd geht und es zu allen möglichen Lektionen veranlasst. Diese Arbeit wird allerdings erst bei dem Italiener Federigo Mazzuchelli, Anfang des 19. Jahrhunderts, erwähnt. Der Gebrauch sämtlicher Hilfszügel wird in der klassischen Reitkunst abgelehnt, da sie die Pferde einschränken und ihnen Furcht einflößen. 4) Klassik unter dem Sattel Bei der Arbeit unter dem Sattel betonen alle klassischen Meister vor allen Dingen die Wichtigkeit eines geschmeidigen, balancierten Reitersitzes. Auch sind sich alle darin einig, dass das Pferd nicht durch ständige Hilfengebung abgestumpft werden darf, sondern der Reiter nur Impulse an das Pferd senden soll. Die wichtigste Gangart ist dabei allen Klassikern der Trab. Leichttraben war ihnen übrigens unbekannt. Diese Form des Sitzens beim Trab wurde erst später von den Engländern erfunden um den Pferderücken bei flotten Ausritten zu schonen. Der Galopp wurde zum Teil erst nach der Piaffe erarbeitet, alle Reitmeister betonen aber, dass er erst geritten werden dürfe, wenn das Pferd ihn freiwillig ohne Zwang anbiete. Nach der Erarbeitung der drei Grundgangarten stehen bei den Meistern die Lektionen der höheren Schule, wie Passage und die Schulen über der Erde, sofern das Pferd hierzu eine Veranlagung zeigt. Geritten wird bei allen Meistern mit einer Zäumung mit Gebiss oder Kandare, wobei die einhändige Führung auf blanker Kandare als Ziel der Ausbildung des Pferdes angesehen wird. Der Sperrriemens wird nicht gebraucht, da er erst deutlich nach der Zeit der alten Meister erfunden wurde – und von diesen auch mit Sicherheit abgelehnt worden wäre, da er das Pferd einengt, ihm das Atmen erschwert und zu Verspannungen führt. Aus demselben Grund ist der Gebrauch von Hilfszügeln jeglicher Art in der klassischen Reiterei abzulehnen. 16 IV) Vergleich der Systeme Nachdem ich nun beide Systeme jeweils einzeln betrachtet habe, werde ich in diesem Abschnitt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten, um einen Vergleich ziehen zu können. 1) Gemeinsamkeiten Es lassen sich in der Tat diverse Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Systemen feststellen. In Bezug auf die Ausrüstung des Pferdes verzichten beide Systeme auf den Gebrauch von Gebissen bei der Bodenarbeit sowie vollständig auf den Gebrauch von Hilfszügeln und Sperrriemen. Beide Systeme legen Wert auf eine Ausbildung des Pferdes, bei der dessen jeweiliges Naturell berücksichtigt wird. Das Pferd wird als Individuum gesehen, welches Freude bei der Arbeit haben und diese freiwillig und ohne Zwang anbieten soll. Viele Pausen, in denen das Pferd sich erholen und über das Gelernte nachdenken kann, finden sich in beiden Varianten, genauso wie der Einsatz von Lob um das Lernen zu beschleunigen, auch in Form des sofortigen Arbeitsendes. Die Quadratvolte, welche in der Dualaktivierung mithilfe von Gassen ausgelegt wird, wird auf diese Weise auch von Steinbrecht als nützliche Übung für die Erarbeitung der korrekten Biegung des Pferdes beschrieben. In Bezug auf den Reiter ist beiden Systemen gemein, dass er geduldig sein und einen geschmeidigen, balancierten Sitz haben soll, damit er das Pferd nicht stört, sondern sich dessen Bewegungen jederzeit anzupassen vermag. Außerdem soll er nicht dauerhaft auf das Pferd einwirken, sondern nur Impulse geben. Beide Systeme lehnen es ab, den Galopp zu früh vom Pferd zu verlangen, sondern dies erst dann zu tun, wenn das Pferd körperlich so gekräftigt ist, dass es dazu in der Lage ist, zu galoppieren – und diese Gangart freiwillig anbietet. Das Ziel beider Systeme ist es, das Pferd ins Gleichgewicht zu bringen, ein fleißiges Vorwärts zu erhalten und insbesondere die Hinterhand des Pferdes so zu kräftigen, dass es dazu in die Lage versetzt wird, für eine längere Dauer Last am inneren Hinterbein aufzunehmen. Vor allem bei Xenophon zeigt sich genau wie in der Dualaktivierung, dass es das Ziel ist, dass Mensch und Pferd partnerschaftlich zusammenarbeiten sollen, wobei das Pferd freiwillig aus Liebe zum Menschen diesem Gehorsam leistet. Einig sind sich die Systeme auch darin, dass man ein Pferd niemals überfordern darf. Beide Systeme legen nicht nur Wert auf die körperliche, sondern auch die seelische Ausbildung des Pferdes, denn die Wichtigkeit der Gelassenheit für das Reitpferd wird von beiden Systemen anerkannt. Auch fällt die Ähnlichkeit der Formen der Bodenarbeit auf. In beiden Systemen wird longiert und das Longe-Walking der Dualaktivierung hat durchaus Ähnlichkeit mit der Arbeit am Langen Zügel in der Klassik. Zuletzt sei noch erwähnt, dass bereits Guérinère in seinem Werk betont, wie empfindlich Pferde auf den Anblick neuer und unbekannter Gegenstände reagieren. Ohne es damals schon wissenschaftlich belegen zu können, hatte er damit schon eines der Grundprinzipien der Dualaktivierung, das monokulare Sehen und die daraus resultierenden Folgen, angeschnitten. Überhaupt ist es erstaunlich, wie viel die alten Meister schon über die Biomechanik des Pferdes wussten, ohne dieses Wissen bereits wissenschaftlich verifizieren zu können. Die Dualaktivierung kann sich dieses Hilfsmittels heutzutage natürlich bedienen und kommt zu denselben Ergebnissen in Bezug auf das Training. 17 2) Unterschiede Zwischen den beiden Systemen lassen sich auch ein paar Unterschiede feststellen. Zunächst fällt natürlich auf, dass die Dualaktivierung keine der „höheren“ Übungen der klassischen Reitkunst – wie Schulterherein, Piaffe, geschweige denn die Schulsprünge – etabliert. Allerdings lehnt die Dualaktivierung diese auch nicht ab oder wäre dafür kontraproduktiv. Im Gegenteil, die Arbeit mit der Dualaktivierung kann sehr wohl dazu führen, die Erarbeitung dieser Lektionen zu vereinfachen oder zu unterstützen, sofern das Pferd dazu eine Veranlagung hat. Denn ein Pferd, das durch die Dualaktivierung gelernt hat, die Lastdauer am inneren Hinterbein zu verlängern und seinen Körper zu koordinieren, wird sich mit allen höheren Lektionen umso leichter tun. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass vor allem Guérinière nicht mit Lob, sondern nur mit Strafen arbeitet. Allerdings ist er der einzige der klassischen Reitmeister, der diese Vorgehensweise vorschlägt. Und da er ansonsten betont, wie wichtig es sei, dass das Pferd stets freudig mitarbeitet und niemals überfordert oder gewalttätig behandelt werden darf, kann seine Meinung in Bezug auf den Einsatz von Strafen hier einmal als weniger bedeutsam eingestuft werden. Der größte Unterschied besteht natürlich darin, dass die Meister der Klassik nicht mit blauen und gelben Pylonen gearbeitet haben. Dies war zu ihrer Zeit auch gar nicht nötig, denn selbst die damals eher mittelmäßigen Reiter dürften dennoch besser gewesen sein, als der heutige Durchschnitt. Außerdem hatten sie auch nichts anderes zu tun, als sich mit ihren Pferden zu beschäftigen, so dass ihre Voraussetzungen schon einmal ganz andere waren. Die Gassen und Pylonen sind sichtbare Hilfsmittel, die es dem heutigen Durchschnittsreiter einfacher machen mit seinem Pferd die Dinge zu erarbeiten, welche die klassischen Meister ganz ohne optische Hilfen zu erreichen vermochten. Zuletzt ist festzustellen, dass die Dualaktivierung sich auf etliche wissenschaftliche Erkenntnisse stützt, wohingegen die Erkenntnisse der klassischen Meister hauptsächlich auf Erfahrungswerten beruhen. Dies ist zwar objektiv betrachtet ein Unterschied, doch spielt dieser insofern keine Rolle, als dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse einerseits viele Meinungen der Meister belegen und andererseits einfach die moderne Form sind, Dinge erklärbar zu machen. 3) Fazit Die Beantwortung der Eingangsfrage ist damit einfach. Es gibt viele Gemeinsamkeiten und keine relevanten Unterschiede zwischen den beiden Systemen. Man kann daher getrost behaupten, dass es sich bei der Dualaktivierung um die moderne Klassik handelt. Sie beinhaltet die wesentlichen Grundsätze der klassischen Reitmeister, ergänzt um moderne Erkenntnisse. Wenn sie auch nicht alle Elemente der Klassik, dafür aber sichtbare Bodenhindernisse nutzt, dann doch nur deshalb, um dem Durchschnittsreiter ein System zu bieten, in dem er sein Pferd auch ohne das überragende Können der alten Meister in deren Sinn ausbilden kann, so dass er und sein Pferd lange Freude miteinander haben können. Natürlich erfordert auch die moderne Klassik vom Menschen Geduld und Gründlichkeit, aber letztendlich wird beides mit einem balancierten, ausgeglichenen Pferd belohnt, welches gerne mit dem Menschen zusammenarbeitet. 18 V) Fallbeispiel aus der Praxis Um den Nutzen der klassischen Reitkunst und der Dualaktivierung zu demonstrieren und zu zeigen, wie gut sich die beiden Systeme ergänzen, möchte ich an dieser Stelle ein Fallbeispiel aus der Praxis anführen. Als Beispiel soll hier mein eigenes Pferd Jessy dienen. Jessy ist eine Tinkerstute schweren Kalibers, die als junges Pferd nach Deutschland importiert wurde. In Irland lief sie wohl vor der Kutsche, wurde dann in Deutschland in der Westernreitweise ausgebildet, aber äußerst selten geritten, ehe sie weiter verkauft wurde. Ihre neue Besitzerin bildete sie in der englischen Reitweise aus, nutzte sie aber vor allem für Ausritte. Von dieser Frau kaufte ich Jessy schließlich. Zu diesem Zeitpunkt war die Stute acht Jahre alt, und ich merkte schon beim Probereiten, dass sie äußerst unbalanciert war. Doch ich hatte mich in das Pferd verliebt, also kaufte ich es dennoch, mir wohl bewusst, was für eine Herausforderung ich da annahm. Kaum war das Pferd bei mir, begannen auch schon die Probleme. Sie vertraute mir nicht und war völlig unbalanciert, weshalb sie bei praktisch jedem Ausritt unkontrollierbar durchging, sobald sie aus geringstem Anlass die Kontrolle über ihre Hinterhand verlor. Ich war mit meinem Latein am Ende und suchte mir eine Reitlehrerin. Diese arbeitete nach den Prinzipien der klassischen Reitkunst. Ich kam aus der englischen Reiterei, so dass die Klassik völlig neu für mich war. Als mich meine Trainerin in der ersten Stunde aber anwies, nicht mehr dauernd zu treiben, sondern nur Impulse zu setzen, war ich vorbehaltlos von ihr und der klassischen Reitkunst überzeugt. Künftig arbeiteten wir einmal die Woche gemeinsam im Reitunterricht und nach und nach wurden die Probleme, die Jessy mit ihrem Körper hatte, besser. Der entscheidende Durchbruch kam aber, als ich mit Jessy an einem Kurs meiner Reitlehrerin zum Thema Dualaktivierung teilnahm. Sie hatte sich gerade zur Trainerin dieser Methode ausbilden lassen, und ich war gespannt auf diese neue Art der Pferdearbeit. Der Kurs war ein voller Erfolg. Es wurde noch einmal sehr deutlich, dass Jessy noch immer unbalanciert war und ihre Hinterhand nur schlecht einzusetzen wusste. In den Übungen der Dualaktivierung, insbesondere im Dreieck, wurde dieses Problem nahezu augenblicklich besser. Ich war überzeugt und arbeitete auch zu Hause weiter mit dieser Methode, in Verbindung mit den Grundsätzen der klassischen Reitkunst. Beides ergänzte sich wunderbar und die Dualaktivierung machte es mir leichter, die Übungen der klassischen Reitkunst zu reiten, da sie diese zum Teil sichtbar zu machen vermochte. Insbesondere mit dem Kleeblatt hatte ich große Schwierigkeiten, ehe ich es mir mit Gassen legte, und auf diese Weise sehen konnte, was zu tun war. Jessys Koordination wurde immer besser. Sie ging auf Ausritten nicht mehr durch und wurde ein absolut entspanntes Reitpferd, was sich von nichts mehr so schnell aus der Ruhe bringen ließ. Bald wurden wir immer gebeten, mitzureiten, wenn unruhige Pferde ins Gelände gehen sollten, denn mit ihrer erlernten Ruhe steckte Jessy die anderen Tiere stets an. Unser größter Erfolg nach intensiver Trainingszeit bestand darin, dass sie es schaffte, sich für einen kurzen Moment zu versammeln. Als ich spürte, wie sie in meiner Hand leicht wurde und sich auf ihre Hinterhand setzte, durchströmte mich ein solches Glücksgefühl, dass ich von nun an endgültig eine überzeugte Anhängerin der Dualaktivierung als moderner Form der Klassik war. 19 Dieses Bild von mir und Jessy beim Dualaktivierungskurs auf dem Hof meiner Trainerin zeigt eindrucksvoll, wie die Übung „Dreieck“ aus der Dualaktivierung mein sonst mit der Hinterhand schlurfendes Pferd dazu bringt, ihre Beine deutlich zu heben und gezielt zu platzieren. 20 Literaturverzeichnis Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN): Grundausbildung für Reiter und Pferd – Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1, 29. Auflage 2012, FN-Verlag Warendorf Geitner, Michael: Dualaktivierung, 1. Auflage 2010, Müller Rüschlikon Verlag Stuttgart Giffels, Ruth: Klassisch barockes Reiten, 2008, Franck-Kosmos Verlags-GmbH Stuttgart Guérinière, Francois Robichon de la: Reitkunst oder gründliche Anweisung, 2006 (5. Nachdruck der Ausgabe Marburg 1817), Georg Olms Verlag AG Hildesheim Podhjasky, Alois: Die klassische Reitkunst, 2. Auflage 2009, Franck-Kosmos Verlags-GmbH Stuttgart Steinbrecht, Gustav: Das Gymnasium des Pferdes, 1989 (3. Nachdruck der 1. Auflage Potsdam 1886), Olms Presse Hildesheim Zürich New York Xenophon: Reitkunst, 1. Auflage 2007, Wu-Wei-Verlag Schondorf Weblinks Anja Beran www.anjaberan.de Hülsmann Pädagogik www.huelsmann-paedagogik.de Marijke de Jong www.academicartofriding.com Emil Scheid www.klassischereitkunst.de Xenophon – Gesellschaft für Erhalt und Förderung der klassischen Reitkultur: www.xenophon-klassisch.org 21
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