Foto: secretgarden – photocase.com 12 Titelthema Der Begriff des „Dopings“ kommt aus dem Englischen und meint die illegale Leistungssteigerung eines Organismus im Spitzensport mittels Medikamenten. Wörtlich übersetzt, steht to dope für „anregen“ oder „aufputschen“, seit etwa 1950 wird es mit pharmazeutischem Betrug im Leistungssport identifiziert. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde to dope in den USA noch mit dem „Übergießen“ einer Speise übersetzt, bevor die minimal kokainhaltige Brause Coca Cola zum Synonym für Dope wurde. Die Wurzel des Begriffs liegt im Niederländischen, wo Doop die „Taufe“ meint. Die christliche Vorstellung, dass ein Mensch durch die Taufe zu einem anderen werde, lebt im Doping weiter, wenn ein Sportler durch die Zufuhr leistungssteigernder Substanzen seine physiologischen Grenzen überschreitet, einen Wettkampf gewinnt und dergestalt zu Ruhm und Ehren gelangt. Doch auch im Breitensport und am Arbeitsplatz greifen die Menschen zu Mitteln, denen sie eine Steigerung ihrer Performance zuschreiben – mit bedenklichen gesundheitlichen Risiken, wie sich in der ärztlichen Praxis zeigt. KV-Blatt 08.2016 Titelthema KV-Blatt 08.2016 Doping im Sport und im Job Besser ohne And though she’s not really ill, there’s a little yellow pill, She goes running for the shelter of a mother’s little helper. The Rolling Stones Es waren medikamentenassoziierte Todesfälle im Radsport, die die interna tionalen Sportverbände ab den 1960erJahren Anti-Doping-Regeln formulieren und kontrollieren ließen. 1 Diese Regeln, die einen fairen sportlichen Wettkampf garantieren sollen, halten allerdings zu allem entschlossene Sportler nicht vom Betrug ab. So setzte ein nach einem aggressiven Hodenkrebs gene sener Radprofi ein bis dahin nicht gese henes komplexes Dopingprogramm in die Tat um, unter langjähriger Mithilfe von Trainern, Funktionären und Ärzten. Dieses halsbrecherische Verhalten ent behrt nicht einer gewissen Logik, sind die sportlichen Karrieren doch kurz, viel Geld steht auf dem Spiel, und wer weiß schon, was die Konkurrenz so treibt. Mittlerweile werden im Radsport im Rahmen versteckte, via Bluetooth ange sprochene Motoren vermutet; beim Schach kommt eine Rechen-Software, deren Ergebnisse via Smartphone dem Spieler durch externe Helfer zugestellt werden, zum Einsatz. Die Daueraktuali tät des Themas wird deutlich im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro, das Internationale Olym pische Komitee (IOC) diskutiert den Ausschluss der russischen Leichtath leten wegen systematisch angelegten Dopings unter ausdrücklicher Billigung des russischen Sportministeriums. 2 Grundsätzlich drohen in Dopingprak tiken verwickelten Ärzten berufsrecht liche Konsequenzen, bei Körperver letzung und/oder Tod müssen sie mit strafrechtlichen Folgen rechnen. Anders verhält es sich Bereich des Brei ten- und Freizeitsports. Hier geht es den Aktiven nicht primär um die Leis tungssteigerung im Wettkampf, im Vor dergrund stehen das sportliche Erleb nis, das Gemeinschaftsgefühl sowie die Kompensation von Stress und Über lastung im Beruf. Die Sportler w erden bei Großveranstaltungen wie dem Berlin Marathon oder dem Radren nen Velothon sowie beim Training im Fitnessstudio nicht auf die Einnahme verbotener Substanzen getestet. Auch wenn Freizeitsportler nicht gegen das Gebot der Fairness im Wettkampf ver stoßen, ist die Einnahme von Anabo lika oder Analgetika keine lässliche Bagatelle, sondern durchaus risiko behaftet. Anders als im Leistungssport 13 14 Titelthema KV-Blatt 08.2016 Fortsetzung von Seite 13 mit der gelegentlichen Aufdeckung organisierten Betrugs und der Sperre promintenter Doper und ihrer Trainer, liegen im Breitensport kaum belastbare Zahlen zur Verwendung von Arzneien vor oder während des Trainings vor; Befragungen der Teilnehmer etwa bei Laufveranstaltungen sind zurückhaltend zu bewerten, da generell vom Phäno men sozialer Erwünschtheit bei den Antworten auszugehen ist. Wunsch nach Körperformung Eine Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2006 3 geht den Motiven nach, mit denen Freizeitsport ler trainieren. Körperformungswünsche stehen geschlechterübergreifend noch vor der Gesundheitsförderung auf der Agenda, wobei Männer einem hellenis tischen Ideal nacheifern, Frauen eher Modelmaße anstreben. Dabei setzen sie nicht nur auf die Modellierung der Silhouette durch Laufen, Schwimmen, Radfahren oder Gewichtestemmen, son dern auch auf die Unterstützung des Krafttrainings mittels wachstums- und ausdauerfördernder sowie schmerzstil lender Mittel. Dabei nehmen Männer deutlich häufiger als Frauen Anabolika, Diuretika und Stimulanzien ein; aus gewählte Fragebögen aus Deutschland, Großbritannien und der Schweiz nen nen Verhältniszahlen (m/w) von 49/8, 379/7 und 97/13. Die Anabolika-Miss brauchsraten beim Bodybuilding lie gen zwischen geschätzten 20 und 62 %. Die selbstbeobachteten (Langzeit-) Nebenwirkungen der Anabolika sind etwa Aggressionen, Schwierigkeiten der Affektkontrolle, Schlafstörungen, Depressionen, Akne, Sehnenentzün dungen, Muskelverletzungen durch Übertraining, Haarausfall, H andzittern, Beschleunigung des Herzschlags, Erhöhung des Blutdrucks und Gelenk schmerzen. Hochdosierte Einnahme von Anabolika kann bereits in jungen Jahren zum Tod an Herzversagen füh ren: „Die Pathologen finden bei der Autopsie oft eine ausgedehnte Verkal kung der Blutgefäße“, berichtet Profes sor Dr. Eberhard Nieschlag, ehemaliger Direktor des heutigen Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum M ünster. „In den Herzkrankgefäßen kann dies einen Herzinfarkt auslösen.“ Des Weiteren verschlechtern Anabolika die Fließ eigenschaften des Blutes, sie steigern die Bildung roter Blutzellen im Kno chenmark. „Der gewünschte Effekt ist eine Verbesserung der Sauerstoffversor gung im Gewebe“, führt Nieschlag aus. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass der Blutfluss zum Stehen komme und sich Blutgerinnsel bildeten: „Im Gehirn hat das einen Schlaganfall, in den Lungen eine Embolie und in den Beinen eine Thrombose zur Folge.“ Nahrungsergänzungsmittel als Einstieg Als Bezugsquellen der Anabolika nennt der RKI-Bericht, sich auf verschiedene Befragungen stützend, verschreibungs bereite Ärzte (14 – 60 %), Mitsportler (51 %) und Apotheken (16 – 43 %); das Volumen des Schwarzmarktes in Deutschland wird auf 51 Mio. Euro jähr lich geschätzt, hier fließen zusätzlich Bezüge der Präparate aus dem Darknet ein. Und bezogen auf den Apotheken abgabepreis, geben die Verbraucher in Deutschland pro Jahr 548 Mio. für rezeptfreie Analgetika aus (Quelle: IMS Health). Das Phänomen des Medika mentenmissbrauchs im Freizeit- und Breitensport ist also beileibe keine quantité négligeable. Nach Angaben von Dr. Robert Margerie, Anti-Doping beauftragter des Landessportbundes Berlin, kann der Konsum von Vitamin tabletten, Eiweißkonzentraten und Nah rungsergänzungsmitteln ein Einstieg in die Missbrauchskarriere ambitionierter Freizeitsportler sein. Er zitiert zusätz lich eine Befragung unter Teilnehmern des Bonner Marathons des Jahres 2010, nach der die Hälfte der Teilnehmer vor dem Lauf Schmerzmittel eingenom men hatte. Demnach kam es unter den Verwendenden der Analgetika zu neun vorübergehenden Klinikaufenthalten, drei wegen temporären Nierenversa gens, vier wegen Blutungen und zwei wegen Infarkten. Dr. Margerie betreut Athleten vom Kin desalter bis zum Greis und vom Anfän ger bis zum Olympiakader. So bleibt ihm nicht verborgen, dass gerade im Freizeitsport Medikamente in aberwit zigen, supratherapeutischen Dosie rungen zum Einsatz kommen. Getreu der Überzeugung, dass sportliche Höchstleistungen auch ohne Doping zu erzielen seien und eingedenk der Maxime, dass es den Organismus des Sportlers vor Schädigungen zu schüt zen gelte, liegt ein Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Prävention. Diese setzt in der Trainerausbildung an, umfasst Vor träge an Schulen und bezieht die Eltern sportbegeisterter ehrgeiziger Jugend licher mit ein. Darüber hinaus sind niedergelassene Ärzte im Verdachtsfall gehalten, ihre Patienten aktiv auf Eigen medikation im Sport hin anzusprechen und auf die langzeitschädigende Wir kung potenziell verwendeter Präparate (inklusive Infertilität und Impotenz) hinzuweisen. Nur so kann die Freude an der Bewegung in ein Plus an Lebens qualität umschlagen. Doping auch am Arbeitsplatz Das Phänomen resp. die Begrifflichkeit des Dopings wird mittlerweile ausge weitet auf die Arbeitswelt. Eine Studie der DAK-Gesundheit zu den Arbeits unfähigkeitsdaten ihrer Versicherten 4 widmet sich in einem Update dem „Doping am Arbeitsplatz“. Hohe Anfor derungen im Job sowie Flexibilisierung und Ökonomisierung des Wirtschafts lebens erhöhen den Druck auf die Titelthema KV-Blatt 08.2016 Geht es um Leistungssteigerung am Arbeitsplatz, werden Ziele wie Konzen trationsfähigkeit, Ausdauer und Stim mungsverbesserung avisiert. Unter den verschreibungspflichtigen Arzneien geraten die Wirkstoffe M ethylphenidat (zur Therapie bei ADHS eingesetzt) und Modafinil (zur Therapie bei Nar kolepsie eingesetzt) in den Blickpunkt. Dieses pharmakologische Neuro enhancement (pNE) stiftet seinen Kon sumenten Euphorie, macht sie konzen triert und scheuklappenbewehrt, lässt sie ausdauernd, diszipliniert und willen los ihre kognitive Leistung steigern. Am relativen Ende eines derartigen Aufput schens können eine Persönlichkeits veränderung, Paranoia, Sucht und der seelisch-körperliche Zusammenbruch stehen. Knapp die Hälfte der befragten Arbeitnehmer weiß um die anregende Wirkung bestimmter Substanzen, eben falls die Hälfte meint, dass die Risiken der Einnahme den möglichen Nutzen der Präparate überwiegen. Der DAKGesundheitsreport des Jahres 2009 ging noch von knapp 2 % aktiven Nutzern unter den Erwerbstätigen im Alter von 20 und 50 Jahren aus und sprach dies bezüglich von einem „marginalen Phä nomen“. Normenkonformes Verhalten? Anders als im Leistungssport wird bei pNE kein Konkurrent im W ettkampf betrogen und keine Regel eines ethisch sauberen Sports verletzt; vielmehr ver halten sich Arbeitnehmer normenkon form, wenn sie ihre Stimmung und darüber ihre individuelle Performance im Beruf zu optimieren versuchen. Doch während Alltagsmittel wie K affee, Tee, Zucker, Nüsse und Schokolade sozial akzeptiert sind (und Alkohol und Nikotin lediglich unter Vorbehalt), ist pNE definiert als „die Einnahme ver schreibungspflichtiger Medikamente mit der Absicht, Hirnfunktionen wie z. B. Erinnern, Wachheit oder Konzentration zu steigern oder das psychische Wohl befinden zu verbessern oder Ä ngste und Nervosität abzubauen“. Beson ders anfällige Gruppen für diese Art Foto: lzf – istockphoto.de Arbeitnehmer, dem diese mittels Medi kamentenkonsums auch abseits ärzt licher Diagnosen zu begegnen suchen, so die einleitende These des Berichtes. Auf Erkrankungen des Muskel/SkelettSystems, psychische Erkrankungen und Atemwegserkrankungen entfallen 53 % der AU-Tage; dabei führen psychische Erkrankungen zu langen Ausfallzeiten und sind besonders kostenintensiv. Die Datenbasis des Berichts bilden die erwerbstätigen DAK-Mitglieder (histo risch gesehen, eine typische Angestell tenkasse in traditionellen Frauenberufen wie Handel, Verwaltung, Gesundheits wesen, seit 1999 offen für andere Bran chen), ihre Fehlzeiten und Erkran kungen (2,6 Mio. Versicherte, 57 % w, 43 % m). Für das Update „Doping am Arbeitsplatz“ hat das IGES Institut 5.000 Erwerbstätige der DAK-Gesund heit befragt. des Hirndopings sind Schüler und Studenten mit hohem Lern- und Prü fungspensum, Beschäftigte mit regem Kundenkontakt und „Freundlichkeits pflicht“, Krankenhauspersonal mit geringen Beschaffungsschwierigkeiten, Beschäftigte mit prekären Arbeitsplät zen bei hohem Leistungsdruck und monotonen Abläufen sowie Berufs musiker und Schauspieler (Betablocker zur Bekämpfung von Lampenfieber). Die Debatte um pNE resp. Hirndoping nimmt in Deutschland seit 2010 an Intensität zu, ohne dass die verfügbaren Zahlen einen sich verfestigenden Trend stützten. So kommt der DAK-Bericht zu einer Lebenszeitprävalenz von 6,9 % (bei einer Dunkelziffer von 12 %) der Befragten und zu einer 12-MonatsPrävalenz von 3,2 % (bei einer Dunkel ziffer von 6 %). Von den (nach eigener 15 Titelthema KV-Blatt 08.2016 Fortsetzung von Seite 15 Aussage) bisherigen Nichtverwendern zeigen sich 10,6 % prinzipiell offen für deren Einsatz, 89,4 % lehnen diesen generell ab. Männer geben als Motiv eines möglichen Konsums Leistungs steigerung an, Frauen zielen eher auf den Abbau von Ängsten und Nervosi tät. Eine empfindliche Hürde des pNE ist sicher die Rezeptpflicht der genann ten Arzneien, deswegen kommt entwe der analog zum Doping der Schwarz markt in Betracht oder das Ausweichen auf legale, freiverkäufliche Artikel wie Vitamin- und Koffeintabletten, Ginseng extrakte oder Johanniskraut. Es steht zu vermuten, dass in Zeiten wachsender Konkurrenz am Arbeitsplatz der Kon sum potenziell leistungsfördernder Mit tel zunimmt; so wie auch Arbeitsplatz sicherheit und Krankmeldungen positiv miteinander korrelieren. Angesichts des Suchtpotenzials der genannten Arz neien beim Konsum ohne medizinische Indikation sollten niedergelassene Ärzte besonders hellhörig werden, wenn sie von Patienten mit dem Wunsch nach einem Rezept für Antidementiva oder Antidepressiva konfrontiert werden. Im Zweifel reicht bereits der Hinweis auf moderaten Sport mit seinen wohltuen den Wirkungen. Auch in puncto Bewe gung gilt schließlich: dosis facit vene num. Andrea Bronstering 1 www.dopinginfo.de/ 2 Bei Redaktionsschluss lag noch keine abschließende Entscheidung des IOC (olympic.org) vor. 3 www.drogenbeauftragte.de/drogenund-sucht/medikamente/doping-imbreitensport.html 4 www.dak.de/dak/download/Gesund heitsreport_2015_Update_Doping_ am_Arbeitsplatz-1587940.pdf Bitte beachten Sie auch den Text „Medi kamentenmissbrauch – ein gesamtgesell schaftliches Problem mit guten Lösungs ansätzen“ auf Seite 24 dieses Heftes. Anzeige 16 Wählen Sie die Liste 4: Die Fachärzte, wenn Sie wie wir • eine starke und geschlossene Vertretung der Fachärzte in der neuen Vertreterversammlung der KV Berlin anstreben • für Ihre Arbeit ein faires und angemessenes Honorar erwarten • gegen Irrungen der Politik, wie z.B. Praxisenteignungen, angehen wollen • nicht durch unsinnige Wirtschaftlichkeitsprüfungen belastet werden wollen • für den Erhalt der ärztlichen Selbstverwaltung in der KV mit Ärzten in allen Gremien anstelle von nicht medizinisch Erfahrenen sind • den Erhalt der freien selbständigen niedergelassenen Arztpraxis und die Verhinderung des Ausverkaufs der ambulanten Versorgung wollen Die Fachärzte ist die Liste von Fachärzten für Fachärzte. Sie wird von 18 Berufsverbänden unterstützt. weitere Informationen unter www.die-fachaerzte.org
© Copyright 2024 ExpyDoc