Überlegungen zum Wirtschaftswachstum Prof. Stefan Hilbert Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim Definition Wirtschaftswachstum Wirtschaftswachstum als Ziel der Politik wurde im ‚Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft‘ vom 8. Juni 1967 verankert. In § 1 heißt es dazu: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“1 Seine Erweiterung erfuhr das Gesetz durch die Aufnahme der Ziele ‚gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung‘ sowie ‚ökologisches Gleichgewicht‘ (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Das magische Sechseck Quelle: eigene Darstellung Wirtschaftswachstum ist kein Primär- sondern ein Sekundärziel. Wachstum ist eine Voraussetzung für die Erreichung der übrigen Ziele und ist in der öffentlichen Wahr- 1 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stabg/gesamt.pdf 1 nehmung insbesondere mit dem Beschäftigungsziel verknüpft; Wirtschaftswachstum ist die Grundbedingung für einen hohen Beschäftigungsstand.2 Was verstehen wir nun aber unter Wirtschaftswachstum und warum ist die Abgrenzung zum Konjunkturbegriff so wichtig? Für zusätzliche Verwirrung sorgt, dass sowohl für das Wachstum als auch für die Konjunktur der gleiche Indikator zur Messung verwendet wird, nämlich das Bruttoinlandsprodukt (BIP). In seinem Jahresgutachten 2003/2004 beschrieb der Sachverständigenrat, was unter Wirtschaftswachstum zu verstehen ist, nämlich eine langfristige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei voller oder zumindest normaler Auslastung sämtlicher Kapazitäten. Das Wirtschaftswachstum bezieht sich folglich auf die Veränderung des Produktionspotenzials. Eine klare Abgrenzung erfährt der Wachstumsbegriff dabei auch in Bezug auf den Konjunkturverlauf. Konjunkturschwankungen des BIP sind demnach Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials.3 Abbildung 2: Produktionspotenzial, Bruttoinlandsprodukt und Kapazitätsauslastung Quelle: Sachverständigenrat (Hrsg.), Jahresgutachten 2011/12, S. 12 2 3 Vgl. Mussel, Gerhard; Pätzold, Jürgen (Wirtschaftspolitik, 2005), S. 145 Vgl. Sachverständigenrat (Hrsg.), Jahresgutachten 2003/04, S. 412 2 In Abbildung 2 ist die Entwicklung der Größen ‚Produktionspotenzial‘, ‚reales Bruttoinlandsprodukt‘ und ‚Kapazitätsauslastung‘ für Deutschland im Zeitraum 1995 bis 2012 abgetragen. Dabei zeigt sich, dass trotz eines stetigen Anstiegs des Produktionspotenzials nicht immer das Wachstumsziel erreicht wurde. Entscheidend für die Bewertung ist die Schwankung des BIP um das PP. So ist im Zeitraum 2004 und 2005 sowohl das Produktionspotenzial als auch das reale BIP angestiegen. Wachstum ist damit aber nicht einhergegangen, da der Auslastungsgrad im gleichen Zeitraum von 99,20 auf 98,82 gesunken ist. Deutlicher ist dieser Effekt für die Jahre 2008/2009 festzustellen, da für diesen Zeitraum zwar ein Anstieg des Produktionspotenzials konstatiert werden kann, das reale Bruttoinlandsprodukt und der Auslastungsgrad der Kapazitäten war jedoch rückläufig. Tabelle 1: Kapazitätsauslastung in Deutschland 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Produktionspotenzial 1.951,16 1.987,24 2.019,83 2.051,06 2.079,84 2.106,77 2.150,07 2.178,57 2.204,46 2.227,13 2.250,92 2.273,52 2.301,84 2.324,93 2.347,60 2.377,38 2.405,44 2.430,50 Reales BIP Kapazitätsauslastung 1.969,04 100,92 1.984,61 99,87 2.019,09 99,96 2.056,68 100,27 2.095,16 100,74 2.159,23 102,49 2.191,92 101,95 2.192,15 100,62 2.183,92 99,07 2.209,27 99,20 2.224,40 98,82 2.306,70 101,46 2.382,11 103,49 2.407,91 103,57 2.284,46 97,31 2.368,76 99,64 2.439,82 101,43 2.461,78 101,29 Daten: Sachverständigenrat (Hrsg.), Jahresgutachten 2011/12 Wirtschaftswachstum ist stets im Zusammenhang mit dem gesamten Zielbündel der Wirtschaftspolitik zu betrachten, es verfolgt keinen Selbstzweck. Wachstum bildet in einer Volkswirtschaft die Grundlage für gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt, konkretisiert in materiellem Wohlstand. 3 Wirtschaftswachstum und Wohlstand Wirtschaftswachstum stellt eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele in allen Volkswirtschaften dar. Wirtschaftswachstum ist die Voraussetzung dafür, dass der Wohlstand eines Landes gesteigert werden kann. Denn die Verbesserung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen - sowohl qualitativ als auch quantitativ erhöht die Konsummöglichkeiten der Wirtschaftssubjekte und führt somit zu mehr Wohlstand. Die Operationalisierung des Wohlstandsziels erweist sich jedoch als nicht unproblematisch, in der Volkswirtschaftslehre wird häufig unterstellt, dass das BIP als Maß für den Wohlstand bzw. Lebensstandard geeignet ist. In der Realität stellen wir aber fest, dass mit dem BIP allenfalls Tendenzaussagen für das Wohlstandsniveau einer Volkswirtschaft getätigt werden können. Anhand einiger Beispiele soll diese Überlegung verdeutlicht werden: Die reine Zunahme des BIP ist wenig aussagekräftig, da die Relation zum Bevölkerungswachstum entscheidend ist. Denn was sagt die Zunahme des BIP um 3% aus, wenn die Bevölkerung der betrachteten Volkswirtschaft um 5% gewachsen ist und somit der Wohlstand pro Kopf rückläufig ist? (Diese Überlegung ist die Begründung dafür, dass z.B. Wachstumsmodelle in der Makrotheorie auf pro Kopf-Größen aufbauen.) Zudem erlaubt die Veränderung des BIP auch keine Aussage über die Verteilung des Volkseinkommens. Denn es kann ja durchaus sein, dass das BIP einen deutlichen Zuwachs erfahren hat, dieser Zuwachs aber nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung entfällt. Vielleicht ist sogar das pro Kopf BIP gestiegen, im Durchschnitt also eine Wohlstandssteigerung festzustellen. Durchschnitte lassen aber auch keine Aussagen über Verteilungen zu, da Extreme geglättet werden. Der Lebensstandard einer Volkswirtschaft hängt nicht nur von seinen materiellen Gütern ab. So werden etwa karitative, unentgeltliche Leistungen ebenso wenig im BIP erfasst wie beispielsweise die freiwilligen Unterstützungsleistungen in Familienverbänden. Diese nicht statistisch erfassten Leistungen erhöhen aber sehr wohl das individuelle Wohlstandsniveau. Nicht alle Güter und Leistungen, die unseren Wohlstand positiv beeinflussen, werden auf offiziellen Märkten gehandelt. Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit gehen bisweilen ineinander über. Die Leistung, die wir über Schwarzarbeit beziehen, erhöht durchaus unseren individuellen Wohlstand. Erfasst wird diese Leistung in der offiziellen Statistik, und damit im BIP, aber nicht. In Abbildung 3 sind die geschätzten Anteile der Schattenwirtschaft am jeweiligen BIP ausgewählter OECD-Länder für die Jahre 1990, 2000 und 2005 zusammengefasst. Deutschland belegt hier in allen Untersuchungszeiträumen einen mittleren Platz. 4 Abbildung 3: Anteil der Schattenwirtschaft ausgewählter OECD-Länder (Angaben in Prozent des BIP) Quelle: http://www.econ.jku.at/members/Schneider/files/publications/Schattenwirtschaft%20und%20Irregulaer e%20Beschaeftigung%20160605.pdf Immaterielle Güter (z.B. Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Ausgaben für Markennamen) werden in den Statistiken unterschiedlicher Länder nicht einheitlich erfasst und schränken die Vergleichbarkeit zwischen den Nationen ein. Gelten diese immateriellen Güter als Investitionen, erhöhen sie das BIP und somit den Wohlstand. Der Wohlstand von Volkswirtschaften wird zu einem nicht unerheblichen Teil vom Angebot an öffentlichen Gütern (z.B. Infrastruktur, Sicherheit, Bildung) 5 beeinflusst. Die Bewertung dieser Leistungen des Staates erfolgt in Deutschland nicht zu Marktpreisen, sondern sie gehen gemäß dem Kostenwertprinzip mit den effektiven Ausgaben (z.B. für Löhne und Gehälter) ins BIP ein. Während das Bildungsangebot einer Universität in Deutschland etwa mit den Ausgaben (z.B. für die Professoren und Verwaltungsangestellten) bewertet wird, wird die gleiche Leistung einer Universität in den USA, dort sind die Universitäten meist privat organisiert, mit Marktpreisen bewertet und erhöht das BIP der USA stärker, als dies in Deutschland der Fall ist. Ein größeres BIP geht aber auch meist mit einer höheren Umweltbelastung einher. Ein höherer Output führt zu einem höheren Ressourcenverbrauch und einer höheren Emission von Schadstoffen. Die Erfassung dieser Umweltschädigungen (externe Effekte) ist schwierig und vermindert aber in Summe die Wohlfahrt bzw. den Wohlstandszuwachs. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen der Schädigungen nicht an Landesgrenzen gebunden sind. Die Produktions- und Wohlstandssteigerung eines Landes kann durchaus zu Lasten des Wohlstandes anderer Länder gehen. (Mit dem EU-weiten CO2Zertifikatehandel wird versucht, diese Kosten zu internalisieren.) Wachstum kann aber auch zu Anpassungslasten bei den Beschäftigten im Inland oder Ausland führen (z.B. fallen durch Innovationen auch Berufsfelder weg oder durch komparative Kostenvorteile des Inlands verliert das Ausland Arbeitsplätze). Wohlstandsgewinne einer Berufsgruppe können zu Wohlstandsverlusten anderer Berufsgruppen führen. Gleiches ist für den Vergleich zwischen einzelnen Volkswirtschaften festzustellen: Der Wohlstand des einen Landes kann durchaus zu Lasten des Wohlstandes eines anderen Landes gehen. Ferner ist Wachstum dann sinnlos, wenn die Verwendung der produzierten Güter nicht bedacht wird. Anhand der Verwendungsgleichung des BIP soll dies verdeutlicht werden. Y = C + I + G + X - M Das erzeugte BIP (Y) kann somit der inländischen Verwendung (Konsum (C), Investitionen (I) und Staatsverbrauch (G)) zugeführt werden oder es wird in den Rest der Welt exportiert (X). Inland und Ausland determinieren die Verwendung und das Wachstum des BIP in zweierlei Hinsicht: Im In- und Ausland muss es nicht nur einen Bedarf für die produzierte Gütermenge geben, In- und Ausländer müssen auch in der Lage sein, sich diesen Bedarf leisten (d.h. bezahlen) zu können. Somit muss ein wachstumsstarkes Land wie Deutschland alleine von der Verwendungsseite des BIP auch ein Interesse an der ökonomischen Entwicklung aller Volkswirtschaften (als Konsumenten) haben. Ein isoliert betriebenes Wachstumsstreben ist demnach sinnlos. Denn was würde passieren, wenn wir das bundesdeutsche Wachstumsziel im Sinne eines stetigen und angemessenen Entwicklungspfades von 3,0% p.a. aus heutiger Sicht in den kommenden 25 Jahren erreichen würden? 6 Ausgehend vom Wert des BIP für das Jahr 2011 lässt sich dies einfach errechnen: 2.439,82 * 1,03 25 = 4.879,38 Somit verdoppelt sich bei einer Wachstumsrate von 3,0% alle 25 Jahre das BIP! Natürlich hat das Wachstum nicht nur quantitative sondern auch qualitative Aspekte (z.B. bessere, ressourcenschonende oder umweltverträglichere Güter). Dennoch wird deutlich, dass Wachstum keinen Selbstzweck erfüllt und als Sekundärziel seine Relativierung in Bezug auf die weiteren Ziele der Wirtschaftspolitik erfährt. Unterschiedliche Entwicklungen bzw. Niveaus des Wohlstandes von Volkswirtschaften kann die politische Stabilität von Handels- und Währungsräumen vor Herausforderungen stellen (z.B. basiert ein wesentlicher Teil des deutschen Wachstums auf dem hohen Export in die europäische Union, was im Gegenzug die Produktionsmöglichkeiten der übrigen europäischen Volkswirtschaften beschränkt). Bei offenen Volkswirtschaften und einem uneingeschränkten Wettbewerb basiert der Wohlstandszuwachs durch hohe Exporte des ‚Gewinnerlandes‘ jedoch auf einer verbesserten Produktivität. Der Leistungswettbewerb führt dabei zu einer leistungsgerechten Verteilung des Wohlstandes durch internationale Handelsbeziehungen. Dies wird allerdings von den Importländern aus Gründen des Nationalstaatendenkens nicht immer so gesehen.4 Trotz dieser Einschränkungen ist das BIP für die Betrachtung von Wohlstand und gesamtwirtschaftlicher Produktionsaktivität von zentraler Bedeutung und soll im Folgenden weiter Anwendung finden. Wirtschaftswachstum und Verteilungskonflikte Eine Steigerung des Outputs (Produktion) ist generell auf zweierlei Weise möglich: Durch eine bessere Technologie (technischer Fortschritt) und / oder durch eine Steigerung der Inputfaktoren (Arbeit, Kapital). Gerade letzterer Zusammenhang findet in der öffentlichen Wahrnehmung besondere Beachtung. Denn Wirtschaftswachstum führt tendenziell dazu, dass die Beschäftigung einer Volkswirtschaft ausgeweitet werden kann und dadurch die Arbeitslosigkeit reduziert wird. (Dieser Effekt auf die Beschäftigung muss aber differenziert betrachtet werden, wie wir im Folgenden noch feststellen werden). Wirtschaftswachstum kann sich positiv auf den Abbau von Verteilungskonflikten auswirken. Die größere Produktionsmenge und das damit verbundene Umsatzplus der Unternehmen bildet die Basis für die Aufteilung der Erträge 4 Vgl. etwa http://www.welt.de/wirtschaft/article6813154/Merkel-Deutschland-gibt-Exportstaerke-nichtauf.html 7 auf die unterschiedlichsten Anspruchsgruppen. Eigentümern können höhere Dividenden ausgeschüttet und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern höhere Löhne und Gehälter gezahlt werden. In globalisierten Volkswirtschaften kommt hinzu, dass der gestiegene Güterberg der inländischen und der ausländischen Nachfrage zur Verfügung steht und somit mögliche Verteilungskonflikte zwischen dem In- und dem Ausland beseitigen kann. Ferner profitiert auch der Staat insgesamt, da mit dem Wachstum einhergehende Steuermehreinnahmen in das Angebot öffentlicher Güter oder den Schuldendienst fließen können. Verteilungskonflikte auf Güter- und Kapitalmärkten lassen sich dabei abbauen oder reduzieren, da der Staat mit den übrigen Wirtschaftssubjekten im Wettbewerb um die knappen Ressourcen steht. Letztendlich vermögen die mit dem Wachstum verbundenen Ertragssteigerungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Verwendung finden; Wachstum und Fortschritt können die Erreichung des Umweltziels einer Volkswirtschaft erleichtern. Aus der Forderung des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft nach stetigem und angemessenem Wachstum könnte etwa abgeleitet werden, dass sich die geforderte Nachhaltigkeit nicht ausschließlich auf die zeitliche und quantitative, sondern ebenso auf die qualitative Ausrichtung bezieht. Die bisherigen Überlegungen machen deutlich, dass das Wachstumsziel für die Politikakteure von besonderer Bedeutung ist, zumal die komplementäre Beziehung zu anderen Zielen der Wirtschaftspolitik seine besondere Bedeutung unterstreicht. Da dem Zielbündel Wirtschaftswachstum und hoher Beschäftigungsstand besondere Bedeutung zukommt, soll dieser Zusammenhang im Folgenden näher erläutert werden. Wirtschaftswachstum und hoher Beschäftigungsstand In einem einfachen mikroökonomischen Ansatz soll dieser Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung kurz erläutert werden. Es handelt sich dabei um ein vereinfachtes Beispiel. Gegeben ist eine gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion (Y) vom Typ CobbDouglas mit den Produktionsfaktoren Beschäftigung (B) und Kapital (K). Für die folgende Betrachtung wird angenommen, dass der Kapitalstock (K) konstant ist. In der Ausgangssituation besteht ein gesamtwirtschaftliches Produktionsniveau von Y1, bei einem korrespondierenden Beschäftigungsniveau von B 1. Vollbeschäftigung würde beim Beschäftigungsniveau von Bvoll herrschen, so dass in dieser Ausgangssituation Arbeitslosigkeit im Umfang von AL1 herrscht. 8 Um die Arbeitslosigkeit zu verringern ist ein Anstieg von Y (Wirtschaftswachstum) anzustreben. Wir nehmen an, dass das Wirtschaftswachstum zu einem neuen BIP in Höhe von Y2 führt. Durch die Produktionsfunktion Y = f (B, K) mit dY/dB > 0 bei K: konstant ist nun ein Beschäftigungsstand von B2 erforderlich, um das BIP von Y2 zu produzieren. Das Wirtschaftswachstum hat dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, da AL2 < AL1. Abbildung 3: Gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion Quelle: eigene Darstellung Wenngleich sich die Situation am Arbeitsmarkt verbessert hat reicht das Wirtschaftswachstum aber nicht aus, um das Vollbeschäftigungsniveau Bvoll zu erlangen. Demnach kann in der neuen Situation (B2, Y2) dieser Volkswirtschaft konstatiert werden, dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist das Wohlstandsniveau gestiegen ist, da mit dem höheren Outputniveau Y 2 die Gütermenge gestiegen ist mit dem höheren Volkseinkommen (Y2 > Y1) grundsätzlich die Finanzierung der Staatsausgaben sowie der Sozialversicherungssysteme erleichtert wird 9 die Ziele in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverteilung eher zu erreichen sind, da auch das Volkseinkommen gestiegen ist. Der bisher dargestellte Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung kann aber allenfalls kurz-/mittelfristig festgestellt werden. Denn langfristiger wird insbesondere der Produktivitätsfortschritt entwickelter Volkswirtschaften dazu führen, dass die Effekte des Wirtschaftswachstums auf das Beschäftigungsniveau schwächer ausfallen werden (hierzu soll im Folgenden eingegangen werden). Letztendlich setzt aber auch das Patentrezept ‚Wirtschaftswachstum = Rückgang der Arbeitslosigkeit‘ voraus, dass das Qualifikationsniveau derjenigen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, den durch die Mehrproduktion erforderlichen Arbeitskräften entsprechen. Wirtschaftswachstum und technologischer Fortschritt Die bisherigen Überlegungen basierten auf der Annahme, dass kein technologischer Fortschritt existiert. In der Realität ist jedoch festzustellen, dass technischer Fortschritt und die damit einhergehende Zunahme an Produktivität, wesentlich für die prosperierende Entwicklung von Volkswirtschaften sind. Abbildung 4: Gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion mit technischem Fortschritt Quelle: eigene Darstellung 10 Mit Blick auf das Beschäftigungsziel gilt es jedoch zu bedenken, dass Wirtschaftswachstum nicht zwingend mit einer Zunahme des Beschäftigungsstandes einhergeht. Denn Wachstum ist auch durch technischen Fortschritt erzielbar, was sich negativ auf den Beschäftigungsstand auswirken kann. Technischer Fortschritt kann aber auch einen positiven Effekt auf die Anzahl der Beschäftigten haben, da er die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Kontext stärkt (Sicherung von Arbeitsplätzen) oder durch Innovationen neue Produktionsbereiche entstehen lässt (Schaffung neuer Arbeitsplätze).5 Wir werden nun sehen, dass das Patentrezept ‚Wirtschaftswachstum = Rückgang der Arbeitslosigkeit‘ selbst dann nicht erfüllt sein muss, wenn die Arbeitssuchenden über das von den Unternehmen geforderte Qualifikationsniveau verfügen. In Abbildung 4 ist das Ursprungsmodell (vgl. Abbildung 3) um die Komponente ‚technischer Fortschritt‘ erweitert worden. Wir erkennen dies an der nach oben verschobenen gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion; zusätzlich ist die Produktionsfunktion mit einem + gekennzeichnet. Durch das Wirtschaftswachstum (Y2 > Y1) ist die Gütermenge gestiegen und der Wohlstand der Volkswirtschaft hat zugenommen. Positive Effekte auf den Arbeitsmarkt können in diesem Beispiel jedoch nicht festgestellt werden, denn das ursprüngliche Niveau an Arbeitslosigkeit AL1 bleibt bestehen. Trotz Wirtschaftswachstum erwachsen keine Impulse für den Arbeitsmarkt. Zu erklären ist dieser Sachverhalt auch dadurch, dass durch den technischen Fortschritt zwar grundsätzlich die Menge an Investitionen zunimmt, was sich positiv auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auswirkt und zu einer höheren Menge an Y führt, da dY/dI > 0. Investitionen dienen in Unternehmen (und damit auch ich der Volkswirtschaft insgesamt) aber nicht nur der Erhaltung des Kapitalstocks (der durch die Abschreibungen an Wert verliert) und der Erweiterung des Kapitalstocks (was zu einer Ausweitung der Produktionskapazitäten führt) sondern ebenso der Rationalisierung. Dieser Rationalisierungseffekt führt dazu, dass eine höhere Menge an Gütern (Y2) mit der gleichen Anzahl an Beschäftigten (B1) produziert werden kann, wie in der Ausgangssituation (ohne technischen Fortschritt geht mit der Anzahl B 1 die Menge 5 Vgl. Mussel, Gerhard; Pätzold, Jürgen (Wirtschaftspolitik, 2005), S. 145ff. 11 Y1 einher). Somit verharrt in diesem Beispiel die Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftswachstums auf dem Niveau AL1. Konklusio Wirtschaftswachstum als Sekundärziel der Politikentscheider nimmt eine herausragende Stellung in modernen Volkswirtschaften für die Steigerung der ökonomischen Wohlfahrt (und damit auch der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt; vgl. Abbildung 5) ein. Dies ist nicht nur darin begründet, dass das Erreichen des Wachstumsziels die Bedingung für die Erlangung der weiteren wirtschaftspolitischen Ziele darstellt (vgl. Abbildung 1, Magisches Sechseck). Ferner erweist sich die Forderung nach mehr Wirtschaftswachstum für Politikerinnen und Politiker als einfach vermittelbar, sollte aber differenziert betrachtet werden. Denn mit zunehmendem Wachstum und seinen positiven Wirkungen sind auch Lasten verbunden (z.B. ökologischer Art, Rationalisierungseffekte). Abbildung 5: Ökonomische Wohlfahrt Quelle: Koch, Walter; Czogalla, Christian (Grundlagen, 2004), S. 227 12 Literaturempfehlungen: Blanchard, Oliver; Illing, Gerhard (Makroökonomik, 2009): Makroökonomie, 5., aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2009 Koch, Walter; Czogalla, Christian (Grundlagen, 2004): Grundlagen der Wirtschaftspolitik, 2. Auflage, Stuttgart 2004 Mussel, Gerhard; Pätzold, Jürgen (Wirtschaftspolitik, 2005): Grundfragen der Wirtschaftspolitik, 6. Auflage, München 2005 13
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