Die Kunst der Totenspiele in der östlichen Han-Zeit

Die Kunst der Totenspiele in der östlichen Han-Zeit
Von A. Bulling
(London)
Die Kunst der Ban-Zeit ist schon deshalb von besonderem Interesse, weil
sich in ihr die Umformung der Motivwelt vollendet, die in der späteren
Chou-Zeit begann, und die darin bestand, daß geometrische und theriomorphe Formen mehr und mehr zurückgedrängt wurden zu Gunsten
einer bildlidlen Darstellung, in der mensdlliche Figuren dominieren. Den
Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der zweiten Hälfte der HanZeit. Jetzt bietet sich zum ersten Male in der chinesischen Kunst die Möglidlkeit, auf sicherer ikonographischer Basis zu arbeiten, da auf einer
Anzahl der Steinreliefs und auf anderen Objekten die Identität der dargestellten Figuren durch Insdlriften festgelegt ist. Da die meisten dieser
Gestalten aus Mythen, Fabeln, Anekdotensammlungen oder aus der Geschichte bekannt waren, so wurde allgemein angenommen, daß es sich
hier um Bilder handele, die als Illustrationen zu den dazugehörigen Geschidlten dienen sollten und zum Zweck der Erbauung und Belehrung
auf den Wänden der Gräber, Opferhallen oder Geräten dargestellt worden
seien. Soldl eine Interpretation ist aber aus verschiedenen Gründen nicht
überzeugend, und im Folgenden wird eine neue Grundlage für die Beurteilung der bildliehen Darstellungen dieser Epoche vorgeschlagen.
Sdlon aus rein entwicklungsmäßigen Gründen spricht manches gegen
die Annahme, daß wir es hier mit Illustrationen zu tun hätten, die die
aus Literatur oder mündlicher Uberlieferung bekannten Geschichten nun
bildlich darstellten, denn eine solche Aufgabe stellte ungeheure Anforderungen an die Phantasie, die Kompositionsgabe und das technische Können
der Künstler. Um so mehr, da ja in diesem Falle die Künstler der BanZeit erstmalig die Fülle dieser Ereignisse, einschließlich der mannigfaltigen
Welt der Fabelwesen, erdacht haben müßten, ohne auf frühere Vorbilder
zurückfallen zu können. Diese Leistung der Han-Künstler wäre dann um
so höher zu bewerten, als solche Art Illustration eine Umkehr von der
bisherigen Tradition bedeutet haben würde, denn in früheren Epochen
hatte sich die Aufgabe des Künstlers im Wesentlichen auf die Wiedergabe
eines mehr oder weniger traditionsgebundenen Motivsmatzes beschränkt,
die der Phantasie nicht viel Spielraum gelassen hatte. Eine soldle neue
Aufgabe des Künstlers würde also eine Art Revolution der Kunst bedeutet
haben, aber nidlts in der Literatur der Han-Zeit gibt Anlaß zu glauben,
daß sich damals solche epochemachenden Umwälzungen auf künstlerisdlem
Gebiet vollzogen hätten, obwohl uns die Namen einiger Maler und anderer
Künstler überliefert worden sind.
In dieser Arbeit soll nun gezeigt werden, daß sidl die Kunst der BanZeit folgerichtig aus der der vorhergehenden Epochen entwickelt hat und
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nicht eine Revolution, sondern nur eine Erweiterung der bisher geltenden
Prinzipien und Grundlagen der künstlerischen Arbeit bedeutet. Die hier
vorliegende Arbeit ist nur ein Auszug eines größeren Werkes über die
Kunst der Han-Zeit, in der die hier berichteten Ergebnisse noch weiter
unterbaut und an der Hand anderer Beispiele erweitert werden. Im
Laufe dieser Arbeit (und anderer über die Kunst vorhergehender Perioden)
ist es mir immer mehr klar geworden , daß diese Kunst, ob es sich nun um
bildliehe Dastellungen oder Dekorationsmotive der vor-Banzeitlichen Kunst
handelt 1 , in erster Linie danach strebt, etwas Gesehenes wiederzugeben.
Natürlich bedienen sich die realistischen Tendenzen, wie ich schon anderweitig ausführte 2 , anderer Mittel und Methoden als der, an die wir
heutzutage gewöhnt sind. Für diese Art der Identifizierung des Nachbildes
mit dem Vorbild muß man sich eine andere Art des Sehens,- man könnte
es ein objektiviertes Sehen nennen, - angewöhnen, eine Aufgabe, die
nicht immer einfach ist, und bei der uns nicht nur unsere Gewöhnung
an eine Art des perspektivischen Sehens, die eine Raumillusion erzeugt,
sondern auch unsere Erziehung zum stilkritischen Denken im Wege stehen
können. Dieses Nicht-Erkennen der objektiven Vorbilder, sei es der
Muster oder der bildliehen Darstellungen, ist vielleidlt einer der Hauptgründe, weshalb auch Interpretationsversuche in Richtung auf ihre religiöse oder kultische Bedeutung so leicht in Gefahr kommen, im Spekulativen
stecken zu bleiben. Um diese Art Studien auf eine wissenschaftlich haltbare Basis zu stellen, scheint es deshalb wichtig, in jedem Falle zuerst zu
versuchen, die Vorbilder herauszufinden, die nachgeahmt werden sollten,
und darauf aufbauend dann an die Interpretation heranzugehen. Dieser
Weg ist ja nicht neu und schon von verschiedenen Forschern, unter anderen von Hentze, beschritten worden. In vielen Fällen versieht uns die
Lösung der ersten Frage mit einem Schlüssel zur Lösung der zweiten, d. h. der
Frage nach der kultischen oder religiösen Bedeutung der Motive oder
Bilder.
Die Kunst der Han-Zeit, wie auch der vorhergehenden Perioden, ist Sakralkunst und eng mit dem Kult verbunden. Viele der Muster, die wir
auf Bronzegeräten und anderen Objekten der früheren Epochen sehen,
ahmen den Schmuck von Kultplätzen, von Tempelwänden oder auch Objekte und Paraphernalien des Kultes nach; Spiegel, wie ich anderweitig
ausführte, sind z. B. Imitationen von Prunkschirmen oder Baldachinen.
Die Han-Zeit folgt in den Fußspuren der Tradition, nur erweitern die
Künstler das Feld ihrer Tätigkeit. Anstatt lediglich die zum Kult gehörigen
unbeweglichen Schmuckmotive und Paraphernalien nachzuahmen, ziehen
sie die kultische Handlung, das kultische Spiel selbst, in den Bereich der
künstlerischen Wiedergabe. Der Umschwung, der sich in der letzten Zeit
der Chou-Zeit schon anbahnte und in der Han-Zeit vollendet, ist also nicht
so sehr ein Bruch mit der Tradition als ein Wechsel der Motive. Nach wie
1
A. Bulling: The Meaning of China's most Ancient Art. 1952. p. 17, p. 26 ff.
A. Bulling: The Decoration of some mirrors of the Chou and Han Periods.
Artibus Asiae. Vol. XVIII 1. 1950. p. 20.
2
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vor war es nicht die Aufgabe des Künstlers, die Szenen neu zu erfinden,
sondern nur eine passende Form der Wiedergabe für das Gesehene zu
finden. Doch ist das ein großer Unterschied: diese neuen Aufgaben erweiterten den Rahmen ihres Schaffens beträchtlich, und immer neue kultische
Handlungen und Spiele konnten in den Bereich der bildnerischen Wiedergabe gezogen werden. Die ungeheure Vitalität, die so typisch für manche
der Darstellungen ist, erklärt sich aus diesen Vorbildern, und es zeugt für
die GeschiCklichkeit der Künstler der Zeit, daß sie das Moment der Bewegung und den Rhythmus der Handlung so ausgezeichnet wiederzugeben
vermochten. Der Begriff der kultischen Handlung ist hier aber sehr weit
zu fassen, und das Interessante der Kunst der Han-Zeit - wie im Folgenden gezeigt werden soll- ist, daß sie uns in bisher ungeahnter Weise
einen EinbliCk in kultische Vorführungen gibt, weit über den Rahmen der
bekannten Akrobaten-, Gaukler- und Tänzerszenen hinaus.
Auf die Gründe dieses Wechsels der Motive von den mehr abstrakten
Dekorationen zu der bildliehen Darstellung kann hier nicht näher eingegangen werden. Sie sind aber nicht zuletzt durch eine Verschiebung der
Sozialstruktur bedingt, das heißt durch das Verschwinden der feudalaristokratischen Gesellschaftsschicht und das Heraufkommen neuer Klassen mit
ganz anderen geistigen Voraussetzungen.
Obwohl schon einige der Szenen mit dem Toten, bzw. mit Totenfeiern
in Verbindung gebracht worden sind 3 , hat man doch bisher immer angenommen, daß die meisten dieser Darstellungen weder etwas mit dem Tod
noch dem Toten zu tun hätten. Noch 1943 schrieb ein so guter Kenner wie
F. S. Drake 3 a. nach einer eingehenden Arbeit über Han-Reliefs, daß man
diese Kunst, in der die Welt der Geister und das Leben der Menschen,
einschließlich geschichtlicher Ereignisse, dargestellt sei, nicht im eigentlichen Sinne als religiöse Kunst bezeichnen könne , und daß dort weder
etwas vom Kult noch von religiösen Handlungen zu sehen sei. Auch hätten
die Darstellungen nichts mit dem Grab und dem Toten zu tun, es sei dort
weder von einer Reise des Toten noch von einem Abwägen der guten
und bösen Taten zu sehen. Es wiese auch nichts in diesen Bildern auf die
Vorstellung eines Sieges über den Tod hin, und nicht einmal die Trauer
der Angehörigen sei irgendwo angedeutet. Man muß sich aber bei dieser
Kunst, die zum allergrößten Teil aus Gräbern und Opferhallen über Gräbern stammt, fragen, ob es zutreffen kann, daß diese Darstellungen, von
denen einige Szenen immer wieder in Gräbern zu treffen sind, nichts mit
dem Toten zu tun haben. Das scheint um so unwahrscheinlicher in einem
Land wie China, dessen religiöses Leben im Ahnenkult verankert ist,
und in dem in der Han-Zeit und auch schon früher Unsummen für Totenfeiern ausgegeben wurden. Der Ahnenkult der Han-Zeit ist aber eingebaut in eine Weltanschauung, die den MensdJ.en als sehr direkt mit den
3
Otto Fischer : Die chinesische Malerei der Han Zeit. 1931 (Bankette in der
Opferhalle des Chu Hsi); auch W. Fairbank: A Structural Key to Han Mural Art.
HJAS VII, 1942/43 p. 52.
sa F. S. D r a k e : Sculptured Stones oi the Han Dynasty. MS VIII, 1943 p. 284.
30
Kräften des Universums verbunden glaubte. Die Grundvorstellung, die dem
Volkskult sowie den komplizierten kosmologischen Spekulationen der Gelehrten zu Grunde lag, ist die Annahme der Solidarität des Makrokosmos
und Mikrokosmos. Werden und Vergehen in der Natur, Tod und
Leben des Menschen sind bestimmt durch den Ablauf gewisser Zyklen,
die sich ewig wiederholen, mögen sie eine kleine Zeitspanne wie den
Wechsel von Tag und Nacht, den Kreislauf eines Jahres oder größere
Zeitläufe umfassen. Welches auch immer die Zyklen sind, allem Denken
in Zyklen ist gemeinsam, daß die Zeit und alles Geschehen als eine Bewegung im Kreis angesehen wird; wie groß auch immer der Radius sein
mag, letzten Endes wiederholt sich das Geschehen. Die Zeit als Kreis gedacht erlaubt es, sie direkt mit dem Raum zu verbinden. Die Basis der
Raum-Zeit-Verbindung ist der Weg der Sonne während eines Tages und
eines Jahres als Zeiteinheit. Das erlaubt dann jeweils, Osten mit Morgen
und Frühling, Süden mit Mittag und Sommer, Westen mit Abend und
Herbst und Norden mit Nacht und Winter gleichzusetzen. Die Gestirne sind
die Regulatoren der Zeit, deren Weg, sei es nun der der Sonne, des Mondes, der Planeten oder anderer Sterne den Rhythmus bestimmt, dem der
Mensch im Leben und Tod unterworfen ist. Wir wissen, daß im offiziellen
Kult die Sterne eine große Rolle spielten, und man kann annehmen, daß
sie auch im Totenkult von Bedeutung waren, um so mehr als Sterne oft
als Sitz der Ahnengeister bezeichnet wurden.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Im ersten soll versucht werden ,
die Vorbilder, die in den Darstellungen nachgeahmt werden, zu identifizieren; und im zweiten wird eine Interpretation der religiösen Vorstellungen, die ihnen zu Grunde liegen, versucht. Ein großer Teil der Abbildungen sind Abklatsche der Steinreliefs aus den bekannten Opferhallen
in Schantung, die die Familie Wu (Wu Liang tz'u) in der zweiten Hälfte
des zweiten Jahrhunderts n . Chr. über ihren Gräbern in der Nähe von
Chia-hsiang-hsien errichten ließ. (Die Daten 147 und 167 n. Chr. wurden auf
zwei Steinen dort gefunden!)
In Abb. 1 sehen wir eine typische Szene, die in ähnlicher Form die
Giebel der östlichen oder westlichen Seitenwände in mehreren der Opferhallen schmückte. Gemäß der Himmelsrichtung thront in der Mitte jeweils
entweder Hsi-wang-mu, die Königin-Mutter des Westens, oder Tung-wangkung, der Herrscher des Ostens. Eine ähnliche Darstellung in der Opferhalle
des Kuo Chü (Hsiao-t'ang shan), auch in Shantung, die aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. stammt, bestätigt, daß diese Szenen von großer Bedeutung
sind. Auf vielen Reliefs werden sie in abgektirzter Form dargestellt, zuweilen
sehen wir nur die Gottheit auf ihrem Dramen-Tiger-Thron (Abb. 2) sitzen,
zuweilen ist sie von einigen ihrer Trabanten, wie dem Mondhasen, Sonnenraben, einer Schildkröte oder aud1 einem Bären und Fabelwesen umgeben. In jedem Falle gehören diese beiden Gottheiten zu den am häufigsten dargestellten Gestalten der Han-Kunst.
Die Szene in Abb. 1 ist besonders aufschlußreich. Links vom Thron der
Hsi-wang-mu knieen zwei Männer in langem Gewande mit am Rücken
31
angehefteten Flügeln. Sie halten Täfelchen in den Händen, wie es bei
kaiserlichen Audienzen üblich war. Ihre Köpfe sind mit Helmmasken in
der Form von Tierköpfen bedeckt. Daß es sich bei diesen beiden um die
Bilder von verkleideten Männern, sozusagen um Schauspieler, handelt,
ist unverkennbar und auch schon oftmals bemerkt worden. Man hat aber
diese Figuren immer losgelöst von dem Gesamtbild, von dem sie doch
nur ein Teil sind. In Wirklichkeit ist die ganze Szene das Bild einer Vorführung. Daß dies bisher nicht erkannt wurde, ist leicht zu verstehen, denn
in dieser Szene ist nichts, was an das spätere Theater in China erinnern
könnte. Die Vierfüßler mit Menschenköpfen, die sich der Hsi-wang-mu
Abb. 2
von rechts nähern, sind keineswegs nur zeichnerisch konzipierte Wesen,
sondern Abbilder von Kult- oder besser Spielfiguren, die wahrscheinlich
aus Holz gemacht und bunt bemalt waren. In Abb. 3 und 4 sehen wir
ganz deutlich, daß die Köpfe in einem weiten Halsloch stecken; dies ist
keine Zufügung des Künstlers, sondern hat seinen Grund darin, daß
diese Köpfe beweglich waren und wie Pagodenköpfe hin- und herschwingen konnten. Technisch konnte dieses Schwingen durch ausbalancierte
Gewichte ohne große Schwierigkeiten erzeugt werden. Die Stellungen,
die einige der kleinen geflügelten Menschen einnehmen, läßt vermuten,
daß es ihre Aufgabe war, die Köpfe beim Auspendeln durch einen kleinen
Stoß wieder in Bewegung zu bringen. Der kleine Tänzer, der auf dem
Rücken des einen Tieres tanzt, tritt auf zwei Erhebungen, die in Abb. 3
deutlich zu sehen sind. Sie ähneln den sogenannten "musikalischen Kissen u,
die in anderen Szenen ebenfalls Tänzern und Akrobaten als Fußstützen
dienen 4 • Sie waren aus Leder gemacht und mit Fruchthülsen, Kleie oder
Stroh gefüllt. Man nennt sie pu-tu !11, sie wurden schon in der Chou-Zeit
bei Ahnenfeiern benutzt 5 • Sie gaben beim Betreten einen dumpfen Ton,
0 . Re i demeiste r: Grabplatten der Han Zeit. OZ 17, 1931.
TJAN Tjoe-som: A new Interpretation of some Passages of the Chinese
Classics. Orientala Neerlandica 1940. S. 462.
[1]
32
1il 1ft
Abb. 4
3 Oriens Extremus
33
der vielleicht die Geisterhaftigkeit der Vorführung noch unterstützte. Der
Realismus, mit dem solche Szenen wiedergegeben sind, zeigt sich in manchen Kleinigkeiten, so muß z. B. der kleine Hilfsarbeiter, dessen Beine in
schwanzartige Behälter gesteckt sind, die auf etwas wackeligen Beinen
stehende Figur {Abb. 4) mit dem Tänzer auf dem Rücken stützen und vor
dem Umfallen bewahren. Die Rollen der Hilfsarbeiter wurden anscheinend
oft von Kindern oder jedenfalls jugendlichen Personen gespielt. Fabelfiguren in ähnlichen Formen, entweder als Tiere mit zwei oder mehr
Menschenköpfen oder als Zwillingsmenschen mit zusammengewachsenen
Röcken, werden immer wieder in der Kunst dieser Zeit d argestellt 6 •
Abb. 5
Interessant ist auch der Vogel mit dem Menschenkopf ganz links in der
Ecke des Giebels {Abb . 1 und 5). Hier läßt die Zeichnung des Flügels vermuten, daß er aus Binsen oder Stroh gemacht war, das von Querbändern
gehalten wurde . Links unter dem Vogel liegt eine typische Wolkenfigur ,
aus deren einem Ende ein geflügelter Geist hervorwächst. Derartige Figuren, wahrscheinlich aus Holz oder auch einem leichten mit Stoff oder
Leder bezogenen Gestell gemacht, gehörten zum Bestand dieser Aufführungen , der immer wieder verwandt werden konnte . Eine größere Wolkenfigur, die in einem Vogelkopf endet, steht neben dem Fabeltier mit den zwei
wackelnden Köpfen und mag sogar mit ihm in einer Weise gekoppelt
gewesen sein , daß sie bei jedem Pendelschlag sich hin und her bewegte.
Die Perspektive in diesen und anderen Szenen ist im Prinzip so zu
verstehen, daß das , was im oberen Teil des Bildes dargestellt ist, im Hintergrund vor sich geht. Reste einer alten Art der Darstellung, in der Vordergrund und Hintergrund dadurch unterschieden wurden, daß das, was auf der
e K. Finsterbusch zeigt eine Reihe solcher Figuren in: Das Verhältnis des
Schan-hai-djing zur bildenden Kunst . Berlin 1952. Tafel 13, 14.
34
Zu: Bulling, Totenspiele
Abb. 6
Abb . 8
Oriens Extremus III, 1956
Tafel 1
Zu: Bulling, Totenspiele
Abb. 7
bb . 9
Oriens Extremus 111 , 1956
Abb . 13
Tafel 2
anderen Seite des Weges oder Tales- im Hintergrund also- sich befand,
auf dem Kopfe stehend dargestellt wurde 7 , sehen wir noch in den geflügelten
Menschen, die wie von oben herabschwebend aussehen. Unter den Tiergestalten sehen wir im Hintergrund noch geflügelte Kröten und einen großen
Vogel.
Die steife Haltung und die Größe macht es wahrscheinlich, daß auch
die Figur der Hsi-wang-mu das Bild einer Statue ist. Dies ist umso wahrsdleinlicher, als in den Opferhallen der Familie Wu verschiedentlich Ahnenstatuen, offensichtlich bemalte Holzfiguren, dargestellt sind s, die auf
ganz ähnlichen Sockeln sitzen. Daß Kultfiguren in menschlicher Form in der
Han-Zeit benutzt wurden, geht auch aus einer Bemerkung im Hou-han-shu 9
hervor, in der von einem gewissen Chai Jung l31 berichtet wird, der für
einen buddhistischen Tempel eine vergoldete Menschenfigur machen ließ,
die er in Seidenbrokat kleidete. Noch in späterer Zeit wird Hsi-wang-mu
oft als "goldene Mutter" bezeichnet, und es ist sehr wohl möglich, daß das
zurückgeht auf die Sitte, solche Figuren entweder teilweise oder ganz
zu vergolden. Auf jeden Fall würde solch eine Bemalung den Schein des
Dbernatürlichen erhöhen. Vielleicht noch deutlicher kommt das Holzfigurenhafte in einigen der Darstellungen heraus, in denen die Göttin oder
der Gott auf ihrem Drachen-Tiger-Thron sitzen (Abb. 2) . Zuweilen mögen
diese Figuren auch mit richtigen Kleidern angezogen gewesen sein, an die
die Flügel angenäht waren. Solche Art Figuren - oder besser Puppen werden ja überall in der Welt, besonders in ländlid1en Bezirken, noch bis
auf den heutigen Tag verwandt.
Die kleinen geflügelten Geister, die sich von rechts und links dem
Thron nähern, stellen ganz offensichtlich wirkliche Menschen in Verkleidung dar, gleidlwie die Tänzer und Hilfsarbeiter, deren Beine in drachenoder fischsdlwanzähnlidle Behälter gesteckt waren. Das Interessante in
Bezug auf die Geschichte des Theaters ist das Zusammenspiel von mensmlichen Darstellern in Verkleidungen mit beweglichen und unbeweglichen
Figuren.
Wenn man die Szene in Abb. 1 mit der entspremenden in der Opferhalle des Kuo Chü 9a bei Chavannes vergleimt, so lassen sich einige generelle
Unterschiede feststellen. Dort treten anscheinend keine mechanischen Spielfiguren mit pendelnden Köpfen auf, und die ganze Aufmamung ist überhaupt etwas einfadler. Die Boten, die sich dem Thron nähern, sind in einfache lange Röcke gekleidet, und ihnen fehlen Flügel, wie auch den Männern mit den Tiermasken, die ihnen folgen. Die Mittelfigur mag aum hier
wieder eine Statue vorstellen, die aber in ihren Formen weniger barock
7
A. Bulling, op. cit. S. 56 ff
Vergl. E. Chavannes. La Sculpture sur Pierre en Chine. Paris, 1893. Tat. III
und XXVIII (obere Reihe rechts) .
9
Hou-han shu (Kap. 103) in der Biographie des T' ao Ch'ien 121; da Chai Jung [31
im Jahre 195 n. Chr. starb, muß das in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts gewesen sein.
oa. C h a v an n es op. cit. Taf. XXXVIII.
8
[2]
3.
~-
[3]
1tl*
35
wirkt wie in den Darstellungen der Wu-Opferhallen. Diese Unterschiede
mögen symptomatisch sein für den Stilwandel bei solchen Aufführungen
vom ersten zum zweiten Jahrh. n. Chr. Aber auch der älteren Vorführung
fehlte das phantastische Element nicht. Zum Beispiel sieht man links von
der Hauptfigur "die Leute mit der durchbohrten Brust" (Abb. 6). Diese
aus der Literatur sattsam bekannten Gestalten hat man einfach dargestellt,
indem man Puppen nahm, die man auf Stangen steckte und von zwei Männern tragen ließ. Die Haltung läßt darauf schließen, daß die Puppen aus
Stoff oder weichem Material gemacht waren. Auch Fabeltiere fehlen nicht.
Der Mondhase mit seinem Mörser, der so oft in der Han-Kunst dargestellt
wird, mag seine Beliebtheit der Tatsache v·erdanken, daß man Figuren machen konnte, die so konstruiert waren, daß sie den Stöpsel auf und ab
bewegen konnten. Auf der rechten Seite nähern sich auf der früheren
Darstellung zwei Riesen der Göttin. Diese Rolle mag von großen Menschen
gespielt worden sein. Riesen und Zwerge haben ja wohl von jeher eine
der Attraktionen jedes Zirkus gebildet. Charakteristisch für die ältere
Aufführung ist der Gebrauch von dressierten Tieren: von links nähern sich
Hunde, die anscheinend Masken tragen, und rechts sehen wir einen zahmen
Leoparden, und eins der Tiere sieht wie ein Schwein oder Stachelschwein
aus.
Der Gebrauch von Kultfiguren in der Gestalt von Tier- und Fabelwesen
aller Art ist keine Erfindung der Han-Zeit, sondern läßt sich in der Kunst
bis in die früheste Zeit zurückverfolgen, Formgebung und technische Ausstattung hingegen unterliegen einem ständigen Wandel. Typisch für das
zweite J ahrh. n. Chr. sind z. B. eine bestimmte Art von Pendel- oder
Schaukelfiguren, die anscheinend besonders in Shantung beliebt waren.
Ein gutes Beispiel stellt die Gruppe in Abb. 7 dar. Die beiden Hauptpersonen stellen Nü-kua (mit dem Zirkel in der Hand) und Fu-hsi (mit dem
Winkelmaß) dar. Wieder kopiert die Darstellung das Original bis in's
kleinste Detail. Die rechte Figur (Fu-hsi) pendelt gerade leicht nach rechts,
so daß ihr Schwanz an eine kleine Wolkenfigur stößt, die anscheinend
dazu da ist, ein zu weites Ausschwenken zu verhindern. Diese Pendelbewegung veranlaßt, daß entweder das Winkelmaß des Fu-hsi oder der
Zirkel der Nü-kua in die Höhe gehoben wird. Die Bewegungsmöglichkeit
dieser Gruppe scheint aber noch weiter gereicht und auch die beiden
Seitengruppen umfaßt zu haben. So viel man sehen kann, waren sie in der
Weise mit der Hauptfigur verbunden, daß sie beim jeweiligen Pendelschlag
abwechselnd auf und nieder schwebten. Im Augenblick drückt z. B. Nükua's Rockzipfel auf die linke Wolkenfigur und verursacht dadurch, daß
die kleine Geisterfigur sich hebt. Mehr noch, die Schwänze Nü-kua's und
Fu-hsi's berühren beide nicht den Boden, und das läßt vermuten, daß sie
entweder nur lose auf den unteren Figuren aufliegen oder daß sie aufgehängt waren. Im letzteren Falle müßte man annehmen, daß die Flügel der
kleinen Geister über ihnen an einem Querbalken befestigt waren. Daß sie
an der Bewegung beteiligt waren, zeigt die Art, in der sie mit der Hauptfigur anscheinend lose oder durch Gelenke verbunden waren. Die Ausführung einer solchen Pendelfigur verlangt einige Präzisionsarbeit, aber rein
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technisch liegen Konstruktionsschwierigkeiten nicht vor. Das Pendeln beruht auf dem Prinzip einer Waage, und es ist darum nicht uninteressant,
daß im Kapitel über Divination im Shih-chP 0 von einem Wei Ping berichtet
wird, daß er bei seiner Arbeit Zirkel, Winkelmaß und Waage zusammen
benutzte. Es ist also nicht unmöglich, daß diese Pendelfigur der Nü-kua
und Fu-hsi sich aus einer älteren Form eines Divinationsinstruments entwickelt hat.
Auf manchen Darstellungen in Sze-chuan tragen diese beiden Gestalten
anstatt Winkelmaß und Zirkel jeweils eine Mond- oder Sonnenscheibe in
der Hand 11 • Eine Pendelbewegung würde in diesem Falle also den jeweiligen Auf- und Abstieg dieser beiden Gestirne versinnbildlicht haben und
damit den ewigen Wechsel von Tag und Nacht, Sommer und Winter, yang
und yin angedeutet haben. Die enge Verbindung dieser Art Gestalten mit
dem Himmel und der Bewegung der Gestirne ist vielleicht am überzeugensten auf einem Relief dargestellt , das in der Nähe von Nan-yang in
Süd-Honan gefunden wurde (Abb. 8). Hier sehen wir eine ähnliche Figur
mit der Mondscheibe in der Hand (symbolisiert durch die Mondkröte)
zwischen richtigen Sternbildern stehen, in diesem Falle ist der Partner der
Grüne Drache, das Sternbild des Frühlings, und das ganze Bild stellt den
Mond am Frühlingshimmel dar. Noch im 7. und 8. Jahrhundert werden
Fu-hsi und Nü-kua umgeben von Sternen in Gräbern dargestellt 12 . Im
Unterschied zu Abb. 7 sind in Abb. 8 keine freistehenden Kultfiguren
nachgeahmt, denn nichts deutet darauf hin, daß die einzelnen Figuren
stehen konnten, oder daß sie zusammen eine feste Gruppe bildeten. Man
kann im Gegenteil annehmen, daß hier, wie in früheren Epochen, die Vorbilder Dekorationen waren, die Wände und Decke der Kulträume schmückten. Es würde sich also in diesem Falle wohl um die Nachahmung von
Dekorationen in Flach- oder Halbrelief handeln, eine Art Schmuck, wie
wir sie bis auf den heutigen Tag in vielen Tempeln in China sehen können. Diese Deutung wird durdl Besdlreibungen solcher Hallen in verschiedenen Gedichten aus der Han- und Nach-Han-Zeit unterstützt, wie z. B. im
Lu-ling-kuan-tien, (eines Palastes in Wu) oder in Ho Yen's poeUscher Beschreibung des Ching-fu-Palastes (gebaut von Wei Ming-ti um 232 n . Chr.)
und anderen. Aus diesen Berichten kann man schließen, jaß Figuren von
Tieren und Fabelwesen aller Art an Wänden, Decken und Gebälk angebracht waren. Die bizarre Art der Formgebung einer anderen Figur aus
Nan-yang (Abb. 9) zeigt vielleicht noch besser, daß das Vorbild aus Holz
geschnitzt war und läßt vermuten, daß es als Wanddekoration diente. Die
stilistischen Untersmiede der Darstellungen in verschiedenen Teilen des
Landes sind also zum großen Teil bedingt durch die verschiedenen Vorbilder, die imitiert wurden. Einige andere der Halb-Mensdl-halb-ReptilWesen, die auf Steinen im südlichen Honan gefunden wurden, ranken sich
10 übersetzt von Herbert Po h l: Ein Beitrag zur altchinesischen Divination.
Hamburg, Dissertation 1948.
11 R. C. Ru d o l p h. Han Tomb Art of West China. University of California
Press, 1951. Abb. No. 58, 59.
1! Aurel Stein: Innermost A sia, Chapt. XIX. sct. III. S. 664.; Taf. CIX.
37
um einen Stab derart, daß man annehmen muß, daß sie an solchen Stützen
auch wirklich befestigt waren. Auch in Shantung in den Opferhallen der
Familie Wu (Abb. 14) sehen wir eine solche Figur mit langem Schwanz
freiplastisch gearbeitet an einer Säule befestigt.
Mit der Darstellung einer Aufführung haben wir es aber wieder auf
einem Relief zu tun, das aus den Opferhallen der Familie Wu stammt.
Hier sehen wir in der zweiten Reihe von oben eine Menge solcher Menschen mit langen Schwänzen aufgestellt (Abb. 10). Die meisten stellen
wieder Kultfiguren dar, von denen einige beweglich waren, denn offensichtlich konnten nicht nur die Gruppe der Nü-kua und Fu-hsi, sondern auch
einige der andern Figuren hin- und herpendeln. In jedem Falle geben die
verschiedenen Gestalten ein gutes Bild von der Variationsmöglichkeit
dieser Art Spielfiguren. Zwischen ihnen bewegen sich auch hier Hilfsarbeiter, deren Aufgabe es war, die Figuren in Bewegung zu halten und so
den Eindruck des Unheimlichen oder Seltsamen noch zu verstärken.
Alle Darstellungen auf diesem Stein gehören insofern zusammen, als in
ihnen verschiedene Stadien einer Reise über den Himmel gezeigt werden.
In allen haben wir es mit Szenen aus Vorführungen zu tun. In einigen
Reihen sehen wir die Reisenden in Wolkenwagen dahinsausen, gezogen
von Dramen, vierbeinigen Fabelwesen mit Vogelköpfen (Abb. 10, oberste
und dritte Reihe, Abb. 11, 12 oberste Reihen). Ihnen voran galoppieren
Drachen, Drachenreiter, geflügelte Pferde und Reiter. Die Wolken
sind durch Spiralen versinnbildlicht, und die Wagen sind Wolkenwagen,
die anstatt auf Rädern auf Wolkenspiralen laufen. Zuweilen bewegt sich
die Kavalkade von rechts nam links, zuweilen verfolgt sie ihren Weg in
umgekehrter Rimtung. Im Wagen sitzen meist zwei Personen, der Lenker
und die Hauptperson , die, nach dem Kopfsmmuck zu urteilen, zuweilen ein
Mann, zuweilen eine Frau ist. Die Drachen und die anderen Fabeltiere sind
leimt als Bilder von Spielfiguren zu erkennen, einige konnten sogar
anscheinend den Kopf heben und senken (z. B. Abb. 10, der erste in der
dritten Reihe). Solch eine Bewegung konnte auf mannigfache Art erreicht
werden, z. B. durch ausbalancierte Gewichte, oder auf noch viel einfachere
Weise durch Fäden, die von jemandem hinter der Szene gezogen wurden.
Daß es sich um plastisme Figuren und nicht um Schattenspiele handelt,
geht aus gewissen Kleinigkeiten hervor. Anscheinend war es die Aufgabe
der kleinen Hilfsarbeiter, die Figuren zu kontrollieren. In Abb. 10 (dritte
Reihe) sehen wir z. B. einen, der gerade die Füße des einen Dramen, der
den Wagen zieht, wieder in die richtige Lage bringt. Auch die beiden kleinen geflügelten Knaben, die in Abb. 14 (oberste Reihe) hinter den Wagen
rennen, hatten anscheinend die Aufgabe, ihn zu steuern. Nicht von vornherein klar ist, ob die Rollen der Drachenreiter und der Insassen der
Wagen von menschlichen Darstellern oder von Puppen gespielt wurden.
Auch hier hilft jedoch der Realismus der Darstellung; vergleimt man z. B.
diese Drachenreiter mit Fischreitern in einer anderen Darstellung 12a, so
sieht man sofort den Unterschied. Im letzteren Falle handelt es sich ganz
t:!a
38
C h a v an n es : La sculpture sur pierre. . .. Taf. XXIX .
Zu : Bulling, Totenspiele
O riens Extremus III , 1956
Abb. 10
Tafel 3
Zu: Bulling, Totenspiele
Oriens Extremus III , 1956
Abb. 11
Tafel 4
unzweifelhaft um Menschen, denn man sieht ganz deutlich ihre Beine
unter den Tieren hervorgucken, während das hier nie der Fall ist. Demgemäß kann man also schließen, daß es sich hier um Puppen handelt. Dasselbe trifft auch für die Insassen der Wagen zu, die ohnehin viel zu leicht
gebaut sind, um das Gewicht von menschlichen Insassen tragen zu können.
Der starke Eindruck des geisterhaften Dahinsausens mag in der Aufführung noch dadurch verstärkt worden sein, daß sich die Kavalkade wirklich von einer Seite zur anderen bewegte. Es ist natürlich möglich, daß
hinter den Wolkenspiralen Räder verborgen waren, so daß die Wagen
rollen konnten. Aber es ist noch wahrscheinlicher, daß die verschiedenen
Figuren auf Brettern befestigt waren - vergleichbar unseren Karusselpferden - , die dann, von unsichtbarer Hand bewegt, langsam über die Bühne
gezogen wurden.
Berechtigt uns nun der Gebrauch dieser beweglichen Figuren in menschlicher oder tierischer Form, diese Spiele als k'uei-lei-hsi 141, Marionetten,
zu bezeichnen? Wir wissen, daß in der Han-Zeit k'uei-lei-hsi speziell bei
Totenfeiern vorgeführt wurden, oft begleitet von Totenliedern. Erst
im zweiten Jahrh. n. Chr. begann man sie auch bei fröhlichen Gelegenheiten, Banketten und Hochzeiten, zu zeigen 13 . Obgleich sicher einige der
Figuren durch Fäden kontrolliert wurden, würde es doch generell falsch
sein, die k'uei-lei-hsi der späteren Zeit mit denen der Han-Zeit zu identifizieren. Im Gegenteil, in alter Zeit, wie ganz klar aus Texten hervorgeht,
verstand man darunter Spiele mit mechanisch bewegten Figuren. Obgleich
SUN K'ai-ti 14 in seiner ausgezeichneten Arbeit die verschiedenen Texte,
in denen von k ' uei-lei-hsi in der frühen Chou- und im Beginn der BanZeit berichtet wird, mit Berechtigung als unzuverlässig ablehnt, so bedeutet das doch keineswegs, daß solche Figuren in der früheren Zeit nicht existiert hätten. Wie so oft wird an der Tradition als solcher etwas Wahres
sein, wenn auch in der mündlichen Uberlieferung die Einzelheiten verloren gegangen sind. Nicht nur in China, sondern auch in anderen Kulturen
wurden mechanisch bewegte Figuren von Menschen und Göttern in sehr
früher Zeit verwandt; und nach Ansicht einiger Gelehrter entwickelte sich
aus diesen Wurzeln nicht nur das Volkstheater 15 , sondern auch das klassische Theater Indiens 16 . Es wäre also ganz interessant zu untersuchen, ob
vielleicht auch das spätere Theater in China Spuren einer derartigen
Herkunft zeigt. Jedenfalls sind wir über eine bestimmte Art mechanisch
bewegter Spielfiguren in menschlicher Form, die mindestens schon zur
13 e. g. in LIU Ch'ao's Kommentar des Hou-Han-shu (Kap. Wu-hsing) nach einem
verlorenen Teil YING Shao's, Feng-su t'ung-i-wen.
14
SUN K'ai-ti: K'uei-Jei-hsi k'ao-yüan !51 Han Hiue (Bulletin du Centre Francodlinois d'Etudes Sinologiques) I, (1944) S. 82-105.
15 E. R. Saratschandia: The Singhalese Folkplay, Ceylon 1953 .
tG R. Pis c h e 1 : Die Heimat des Puppenspiels, Halle a.d. Saale, 1900 und Das
altindische Schattenspiel, Sitzungsberichte der Königlichen Preußischen Akademie
der Wissenschaften 1906, XXIII, S. 489.
39
Zeit des Konfuzius benutzt wurde, wohl unterrichtet, und das sind die
sogenannten yung !61, die den Toten mit in's Grab gegeben wurden, und
die nach den Berichten der Kommentare zuweilen hüpfen oder tanzen
konnten.
Im allgemeinen läßt sich nach einiger Ubung in den meisten Fällen auf
den Darstellungen der Han-Zeit erkennen, ob es sich in einer Szene um
menschliche Darsteller oder um Spielfiguren handelt. Die letzteren sind besonders an der Art ihrer Bewegungen zu erkennen und oft auch an der
Kleidung. Die drei Männer, die z. B. in Abb. 10 (unterste Reihe) von
rechts eintreten, sind ganz offensichtlich wirkliche Menschen, genau wie
diejenigen, die sich in Abb. 11 (unterste Reihe) gerade vor dem Gott des
Großen Bären verneigen. Während hinwiederum der Ochsenhirt, der den
Schwanz des OChsen festhält (Abb. 10, unterste Reihe, links), sowie die
Wolkenfiguren mit den Vögel-Drachen und Menschenköpfen, Spielfiguren
sind. Nicht ganz klar ist indessen, ob der Gott in seinem Sternwagen (Abb.11)
eine Figur darstellt, oder ob die Rolle von einem Schauspieler gespielt
wurde. In dieser Szene treten auch Pferde auf, und man kann annehmen,
daß es sich hier, wie in vielen anderen Szenen, um richtige Tiere handelt,
wie auch der Wagen in seiner Form denen entspricht, die in der Han-Zeit
gebraucht wurden.
Die Zusammenstellung dieser verschiedenen Reiseszenen ist nicht etwa
zufällig, sondern ganz systematisch. Die Fahrt führt durch verschiedene
Regionen des Himmels. Sternbilder oder andere Indizien geben mehr oder
weniger genau Ort und Zeit an, an dem die Reisenden sich gerade befinden. In Abb. 11 (unterste Reihe) befinden sie sich also im zircumpolaren
Teil des Himmels, in dem der Große Bär, der "Nördliche Scheffel", peitoul71, der auch der "Wagen des Herrschers", ti-ch'el 81, genannt wird, um
den Polarstern kreist. Gemäß der nlten Vorstellung reguliert dieses Sternbild die vier Jahreszeiten, indem es mit seinem Schwanz am Beginn jeder
Epoche in die ihm zugeordnete Richtung weist. Der Gott des Großen Bären
1st in China von ganz besonders großer Bedeutung sowohl für die Lebenden als auch für die Toten. Ein kleiner Hilfsarbeiter klettert gerade auf
den ersten Stern, das Ende der Deichsel des Wagens, er hält eine Scheibe
in der Hand, mit der er den zweiten Stern berührt. Die Scheibe mag einen
Doppelstern bedeuten, der mit dem Großen Bären verbunden ist und meist
chao-yao 191 genannt wird. Im Shih-chi 17 wird das Aufridlten einer Standarte, geschmückt mit diesem Sternbild, als Zeichen der Unterwerfung der
"Neun Barbaren" angesehen. Die Tatsache, daß gerade der zweite Stern
der Deichsel berührt wird, mag von einiger Bedeutung sein, er wird k'ai
yang fto J, "Offner des Yangu, genannt, ein Name, der sowohl mit der Rückkehr des Lichts und der Sonne d. h. mit dem Frühling verbunden werden
17
C h a v an n es: Les Memoires Historiques de Se-ma Ts'ien, 1895-1905, Vol. III.
S. 343 und 617.
40
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[8)
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115~
[10]
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kann, als auch im metaphysischen Sinne mit der Metamorphose der Seelen
des Toten. Hier sitzt der Gott in seinem Sternenwagen, aber dieses Sternbild kann auch noch anders in Vorführungen dargestellt werden. Noch in
heutiger Zeit werden die sieben Sterne oft durdJ. sieben Schauspieler repräsentiert, die zusammen auf die Bühne kommen, eine Sitte, die bis auf die
Han-Zeit zurückgehen und eine Darstellung erklären mag, die auf einigen
Steinen in Sze-chuan zu sehen ist. Dort sieht man sieben Menschen um
einen kleinen Wagen versammelt 18 , eine Szene, für die man bisher keine
Erklärung finden konnte. Wenn man sie mit dem Gott in seinem Sternenwagen vergleicht, dann ergibt sich der Eindruck, daß die Vorführungen
in Szechuan provinzieller und burlesker waren als die in Shantung.
Die unterste Reihe in Abb. 10 zeigt die Ankunft des Reisenden in einer
anderen Region des Himmels. Der Ochse stellt hier das Sternbild niu 111 1
dar, und die Szene bezieht sich auf eine Sitte, die bis in die Chou-Zeit
zurückgeht und in wenig veränderter Form noch zu Anfang dieses Jahrhunderts regelmäßig im Frühling abgehalten wurde. Man nannte sie "die
Bannung der Kälte" oder "die Vertreibung des Winters". Niu ist das
neunte der 28 sogenannten lunaren Zodiakzeichen und regiert über einen
Teil des letzten Wintermonats. Sein Verschwinden - das ist seine Vertreibung- ist daher gleichbedeutend mit dem Frühlingsanfang. An diesem
Tage brachte man die Figur eines Ochsen und Ochsenhirten vor den
Yamen, und in der von den Astronomen bestimmten Stunde des Frühlingsanfangs begann man die Gestalt mit Stöcken zu zerschlagen. In dieser
Szene besuchen nun die Reisenden dieses Sternbild; es ist also gerade
Frühlingsanfang.
Interessant sind auch die Szenen, in denen der Donnergott in seinem
Wagen oder Schlitten gezogen wird (Abb. 11, 12, zweite Reihe von oben).
In beiden Szenen kann kein Zweifel darüber sein, daß die sechs Männer,
die den Wagen an zwei Stricken ziehen, wirkliche Menschen sind, die mit
ganzer Kraft ziehen. Der Donnergott selbst mag eine künstliche Figur gewesen sein, die vielleicht sogar so konstruiert war, daß sie abwechselnd
die Trommeln schlagen konnte, die vorne und hinten am Wagen angebracht waren. Dies wäre verhältnismäßig leid:J.t dadurdl zu erreichen, daß
man die Kufen oder Räder des Fahrzeuges mit der Bewegung koppelte.
Auch der Windgott, der in Abb. 12 (und auf andern Bildern) die Gesellschaft auf den Weg bläst, mag das Bild einer Figur sein, die vielleicht sogar
ein wind-artiges Geräusch produzieren konnte. Vielleicht war es auch hier
wieder die Aufgabe der kleinen Hilfsarbeiter, die vor ihnen stehen oder
knieen, den Mechanismus in Gang zu setzen.
Es erübrigt sich, die Szenen in allen Einzelheiten zu beschreiben, da
sie allgemein bekannt sind. Dem Zuge voran eilen Männer mit Schalen
und Krügen in der Hand, die Regengötter vorstellen sollen, die den Weg
18
[11]
Ru d o I p h, op. cit. No. 1, 2.
4
41
sprengen; einige haben lange Regenschnüre in der Hand, mit denen sie
wohl wie mit Peitschen das Geräusd1 des Regens und Sturmes nachahmen.
In Abb. 12 sieht man einen Bogen mit Drachenköpfen an beiden Seiten,
der nach dem Chin-shih-so 19 einen Regenbogen darstellen soll; in Abb. 11
ist er durch eine etwas flachere Erhöhung des Wolkenbandes gekennzeichnet. Die Wolkenbänder mögen z. Teil aus Holz, zum Teil aus Lederschläuchen gemacht worden sein. Die Männer, die mit Hämmern in der
Hand auf kegelförmige Geräte (meist für Meißel gehalten) schlagen, ahmen
den Blitz nach . Wahrscheinlich waren die Hämmer aus Metall und die
Kegel aus Stein, so daß beim Aufeinanderschlagen wirklich Funken sprühten; es ist nicht einmal unmöglich, daß man sogar eine primitive Art von
Pulver dabei verwendete, um den Effekt noch zu erhöhen. Auf jedem Bild
kniet unter dem Bogen ein Mensch; und in Abb. 12 sehen wir, daß sich
ein anderer mit Hammer und Kegel über ihn beugt, was wohl seinen
Tod durch Blitz ankünden soll. In jedem Falle zeigt diese Szene deutlich,
daß hier eine gefährliche Zone des Himmels zu passieren ist, in der ein
Unwetter mit Blitz und Donner die Reisenden bedroht. Blitz und Donner
und der Regenbogen sind alles Zeichen des Kampfes zwischen den Kräften
des yin und yang, die im Frühling und Herbst besonders heftig toben. Der
Donnergott ist der Herr der himmlischen Metamorphosen, und man glaubt ,
daß durdl das Grollen des Donners die Natur im Beginn des Frühlings
aufgeweckt wird zu neuem Leben.
Die Szene, die in der dritten Reihe von oben (Abb . 12) gezeigt wird, ist
sdlon oft behandelt worden und in der verschiedenartigsten Weise interpretiert. Man glaubte, daß der tanzende Bär mit der Maske die Rolle des
Fang-hsiang-shih [121 gespielt habe und hier ein Teil einer No-Zeremonie
dargestellt sei 20 . Andere identifizierten den tanzenden Bären mit Ch'ihyu [131, dem Dämon der Dunkelheit und Meister des Krieges, und hielten
das Ganze für eine Szene aus dem Kampfe des Ch'ih-yu mit Huang-ti 21 • Oder
man verband die Szene mit Tod- und Wiedergeburtsriten, Reste von Knabeninitiationen und Legenden um den Tu-shuo Berg 22 oder mit koreanischen Stammessagen 23 . Alle Bearbeiter der Szenen hatten aber erkannt,
daß es sidl hier um ein rituelles Spiel handelt, in der der Bär in seiner
Maske die Hauptrolle spielt. Er tanzt einen Kriegstanz mit Waffen in
allen vier Pfoten. Es ist aber ganz unmißverständlidl, daß es sidl hier
nicht um ein Laienspiel handelt, sondern um eine Vorführung; denn wer,
19
FBNG Yün-p'eng und FBNG Yün-yüan : Chin-shih-so, 1822, Neudruck 1893.
A . Thorpe: Fang-hsiang-shih, Pantheon 1930.
21
LIU Ming-shu: A Study of the Pielure of Fighting between Huang-ti and
Ch ih-yu seen in the rear chamber of the Wu Liang Offering shrines of the Han
dynasty 114 1. BCS II, 1942, p . 341-365.
22
C. He n t z e : Die Sakralbauten und ihre Bedeutung in der frühchinesischen
Kunst, S. 75, 84 ff. 87 und 40.
3
!
Ch. KIM : Han Dynasty Mythology and the Korean Legend of Tan Gan,
Archives of the Chinese Art Society of America, III, 1948/49 S. 341 ff.
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[12]
[13]
42
*1J ;to
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~
außer Dompteuren, könnte es wagen, in dieser Weise mit Bären zu spielen,
(auch links in der Szene sehen wir drei tanzende Bären) und sie zu einem
solchen Kriegstanz zu dressieren. Einige der Helfer mögen trotzdem Knaben gewesen sein, denn man begann sie ja schon in jungen Jahren für
ihren Beruf zu erziehen, und Kinder spielten, wie schon mehrmals bemerkt,
als Helfer in vielen dieser Vorführungen eine große Rolle. Mit Knabeninitiationen haben sie aber wohl kaum etwas zu turi.
Das Wichtigste für die Erkenntnis der Bedeutung der Szene ist aber , daß
sie in den Zyklus der himmlischen Reisen gehört, die auf diesem Stein
dargestellt sind. Die Männer mit Krügen und Schalen in der Hand gleichen,
wie Hentze ganz richtig bemerkt hat, denen, die dem Donnergott voraneilen. Auch hier sollen sie den Weg sprengen und damit Regen symbolisieren. Wir befinden uns also wieder in einer Region des Himmels. Man
kann annehmen, daß der tanzende Bär die Hauptperson ist und uns über
Position und Zeit informieren soll. Es gibt nun eine ganze Anzahl von Kalender- oder Zyklus-Zeichen, die sich mit einem Bären, Eber oder Schwein
(diese drei sind auswechselbar) verbinden lassen. Zum Beispiel ist unter
den Tieren des Zwölferzyklus (12 Erdzweige) der Eber oder das Schwein
das Tier des letzten Wintermonats, das ist in diesem Zyklus der Monat
vor dem Wintersolstiz. Er ist dem Zeichen hai 11 5 1 zugeordnet, daß nad1
dem Shuo-wen in seiner ursprünglichen Schreibart das Bild eines Schweines
war. Das mag bedeuten, daß Tänze, bei denen die Teilnehmer in ein
Bären-, Schweine- oder Eberfell gehüllt waren, zum Bestandteil der ältesten
Jahreszeitenfeste Chinas gehörten, eine Ve rmutung, die durch Legenden
wie die vom Bärentanz des Yü unterstützt wird. Der Tanz in solch einem
Fell wäre dann der Tanz der Dunkelheit, und die Teilnehmer könnten dann
als Dämonen der Dunkelheit bezeichnet werden oder in der Figur des
Ch'ih-yu personifiziert worden sein. Dies ist insofern besonders bemerkenswert, als F. R ö c k 24 berichtet, daß in anderen alten Kulturen Bär,
Eber oder Schwein Tiere des Dunkelmondes seien und in rituellen Tänzen
durch Männer, die mit ihren Fellen bekleidet waren, dargestellt wurden .
Diese Tänze mögen auch in China auf einen Mondkult zurückgehen, dessen
Phasen dann in typischer Weise auf das Sonnenjahr übertragen wurden,
so daß der Tanz des Dunkelmondes zum Tanz der dunkelsten Zeit des Jahrres wurde. Auch nach der Elementenlehre gehört das Schwein zum Winter,
es ist dem Element Wasser zugeordnet. Jedoch wird in der späten Chouund in der Han-Zeit ein Bär (oder Eber) oft anstatt des Weißen Tigers
als Zeichen der Konstellation des Herbstes benutzt 25 . In der Tat gehört
zum Sternbild des Weißen Tigers eine Gruppe von 18 Sternen, die meist
mit k ' uei [1 61 bezeichnet wird, die aber auch unter dem Namen t'ien-shih [171
24
F. R ö c k: Die kulturhistorische Bedeutung von Ortungszeichen Anthropos,
1930.
25
E. g. K'ao Kung-chi {6. Sekt. des Chou-Ji) unter den Zeidlen der vier Konstellationen, die eine Standarte schmücken, wird der Bär anstatt des Weißen
Tigers genannt. In Biot's Ubersetzung des Chou-li siehe auch S. 489.
[15]
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[16]
~
[17]
7(~
43
bekannt ist. Diese Konstellation ist der zweiten Hälfte des letzten Herbstmonats zugeordnet. Dieses "Himmlische Schwein" scheint dasselbe zu sein,
das von dem berühmten Bogenschützen Hou I (oder I) gefangen oder getötet wurde, als die Sonne in k'uei [161 stand. Es wird meist als Eber bezeichnet oder als ein Untier mit Fangzähnen. Daß man aber darunter in
der Han-Zeit einen Bären verstand, mag aus der Darstellung (Abb. 14)
hervorgehen, in der ein kleiner Bär gerade über dem Hou I zu sehen ist.
Ein besonders leuchtender Stern dieser Gruppe wird auch wohl als "Auge
des Himmlischen Sd1weins" oder als "Großer General" bezeichnet. Das
ganze Sternbild herrscht über Wasserläufe und Flüsse 26 , und die Männer
mit den Krügen und Sdlalen symbolisieren die Verbundenheit des Sternbilds und des Bären (siehe Elementenlehre) mit Wasser. Als Sternbild des
Herbstes ist es auch direkt mit Metall, dem Element des Herbstes, verbunden.
Man kann also annehmen, daß es sich in dieser Vorführung um Reste
der alten Dunkelheitstänze handelte, die sich ja auch in der am Ende des
Jahres stattfindenden No-Zeremonie mit dem in ein Bärenfell gekleideten
Fang-hsiang-shih, dem Exorzisten, erhalten haben. Jedoch tanzt der Bär
hier einen Kriegstanz, und das läßt vermuten, daß es sich um die Kombination zweier alter Jahresfeste handelte: dem Bärentanz des Winters mit
dem Kriegstanz des Herbstes. Dieser Bären-Krieg-stanz würde dann sozusagen die Kraft des Yin und die Zeit der steigenden Macht der Dunkelheit in seiner Gesamtheit ausdrücken, und könnte schon deshalb mit Ch'ihyu in Verbindung gebradlt werden, der ja auch Dämon der Dunkelheit
und Meister des Krieges ist. Die Maske des Fang-hsiang-shih soll einen
kuei l181, d. h. das Gesicht eines der zahlreichen dämonischen Gestalten
vorstellen, deren Heimat in den Regionen außerhalb Chinas ist, und über
die Ch'ih-yu als Meister herrsdlt. Unter ihnen gibt es eine Gruppe, die
mei L191, von denen im Shan-hai-ching 27 gesagt wird, daß sie Menschenkörper, schwarze Köpfe, oder auch Schweinsköpfe, und vertikal stehende
Augen hätten. Sie wohnen im nordwestlichen Teil der Welt "innerhalb
des Meeres", also einer Himmelsrichtung, die dem Herbst und Winter
entspricht. Die beiden Männer, die rechts und links von tanzenden Bären
stehen, tragen Masken mit vertikal stehenden Augen und stellen also derartige mei 1191 dar, und ähnliche Masken scheinen auch im Kult der Hsiwang-mu, der im Spätherbst nach der Ernte gefeiert wurde, getragen worden zu sein. Es wurde dann von Wesen berichtet, die in das Land einzufallen drohten und die vertikal stehende Augen hätten 2s. Die Szene soll
also im nordwestlichen oder nördlichen Himmel stattfinden. Es ist natürlich
audl möglim, daß es sich hier um die Vertreibung des Bären analog zur
26
27
28
Gustave Sc h 1 e g e 1: Uranographie Chinoise, Leyde, 1875, S. 320 ff.
Shan-hai-ching (mit Kommentar des KUO P'o), ed. Ssi1-pu ts'ung-k'an, Kap. 12,3.
H. H. Du b s: An Ancient Chinese Mystery Cult, Harvard Theologieans
Review, 1942.
[18]
44
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[19]
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Vertreibung des Ochsen handelte und das Spiel symbolisierte, das Ende
des Winters. In dem Falle ließe sich die Szene mit dem Kampf zwischen
Ch'ih-yuh und Huang-ti verbinden, der ja ein Kampf zwischen den Kräften
des Lichts und der Dunkelheit ist, in dem am Ende das Licht siegt.
Es ist darum bedeutungsvoll, die Rolle des Bären als Dämon der Dunkelheit
mit Bärenmythen in anderen alten Kulturen zu vergleichen. Man mag nur
an die Rolle denken, die diesem Tier in der Adonis-Mythe zukommt; und
als Antagonist des Lichtes tritt es auch in der Osiris-Legende auf, indem
Seth, der Osiris tötete, zuweilen als Bär bezeichnet wird. Auch in den
Neujahrsfesten in Babyion stellte anscheinend ein Bär den Gegner dar,
der getötet werden mußte, bevor de r gefangene Gott des Lichtes befreit
werden konnte. Diese Sitte soll sich nach Ansicht von H. Frankfort bis
in das dritte Jahrt. v. Chr. zurückverfolgen lassen 29 • In Deutschland ist ja
das Schwein als Glücksschwein noch immer mit Weihnachten und mit
Metall (Münzen) verbunden, und auch diese Sitte mag in Vorstellungen
ähnlicher Art begründet sein.
Man muß sich klar darüber sein, daß für die Menschen der Han-Zeit
mit solch einem Bärentanz sich sofort eine ganze Reihe von Vorstellungen
verbanden, nicht nur in bezug auf die Jahreszeit, sondern auch in Verbindung mit dem Schicksal der Menschen im Diesseits und Jenseits. In
Abb. 13 sehen wir einen Gürtelhaken in der Form eines Bären oder Untieres,
der in ähnlicher Weise einen Kriegstanz mit Waffen in den Pfoten und
im Maul und einer Art Klapper in der Hand tanzt. Das Interessante an diesem Haken ist, daß er anscheinend eine bewegliche Figur nachahmt, die
wie ein Hampelmann einige Glieder bewegen und die Waffen auf und
nieder schwenken konnte. Im T' ai-p'ing-yü-Jan 30 wird aus der Nach-Han-Zeit
von tanzenden Figuren erzählt, die den Kampf zwischen Ch'ih-yu und
Huang-ti darstellten, was aber nicht ausschließt, daß derartige Figuren
schon in früheren Zeiten gemacht worden waren.
Der Empfang in der Halle (Abb. 14) nimmt meist den Ehrenplatz in den
Opferhallen ein und schmückt die Mitte der Rückwand, und Mrs. Fairb an k 31 zeigt, daß eine entsprechende Szene auch in einem Grab in der
Mandschurei auf die Mitte der Nordwand gemalt war. Es muß sich hier
also um ein wichtiges Ereignis handeln. Diese Hallen oder Pavillons hat
man bisher für Beispiele chinesischer Architektur der Han-Zeit gehalten,
obgleidl diese einfadlen Bauten kaum mit den äußerst prächtigen Gebäuden, wie wir sie in Gedichten beschrieben finden, übereinstimmen. Daß
wir diese Hallen immer nur von vorne sehen, hat nichts mit der Unfähigkeit der Künstler zu tun, Schrägansichten zu geben, diese Hallen sind vielmehr keine richtigen Gebäude, sondern Bühnenbauten, die keine Tiefenausdehnung hatten. Daß sie keine wirklichen Bauten sein können, zeigt
sich sdlon an der Art ihrer Konstruktion. Oft ruht das Dadl auf Karyatiden
2
~
H . Frankfort : Kingship and the Gods, S. 206 ff.
Kap. 343.
Wilma Fairbank und Masao KITANO: Han Mural Paintings in the Peiyuan Tomb in Liao-yang, South Manchuria, Artibus Asiae XVII, 3/4 1954, S. 262 ff.
°
31
3
45
in der Form von Mensdlen oder Tieren, die das obere Stockwerk nur
mit einer Hand stützen und immer so leicht konstruiert sind, daß sie unmöglidl einem tüchtigen Windstoß oder gar Sturm standhalten konnten.
Einige der Dächer scheinen noch mit einer Fülle von Mustern bemalt gewesen zu sein, die wohl auch nicht für einen starken Regen berechnet
waren. Es sind nicht nur einige der Dächer solcher Hallendarstellungen
mit Akroterien überladen, sondern man sieht auch Affen, Bären und Menschen
über die Giebel und von Dach zu Dach klettern. Es handelt sich also
auch hier ganz offensichtlich wieder um eine Szene aus einer Vorführung,
in der Dompteure und Akrobaten mitwirkten. Auch der verschlungene
Baum an der Seite der Halle ist ein Bühnenstück, das ohne große Schwierigkeiten auf- und abmontiert werden konnte. Die Reisenden, die gerade
ihren Wagen verlassen und ihr Pferd am Baum angebunden haben, sieht
man in die Halle eintreten, wo sie von einem Würdenträger empfangen
werden. Diese Rollen werden anscheinend von menschlichen Darstellern
gespielt, obgleich man bei dem Würdenträger etwas zweifelhaft sein
könnte.
Im folgenden Teil soll nun noch kurz auf die religiösen Vorstellungen
hingewiesen werden, die den bisher besprochenen Szenen zu Grunde lagen.
Uber die Jenseitsvorstellungen in der vorbuddhistischen Zeit ist bisher
wenig Genaues bekannt. Nur soviel ist sicher, daß man dort wie in
vielen alten Kulturen glaubte, die Seele bzw. die Seelen der Menschen
gingen nach dem Tode auf eine Reise 32 , als deren Ziel "die Dunkle Stadt" 33 ,
"der Dunkle Berg des Todes" 34 oder auch noch häufiger "die Gelben
Quellen" 35 bezeichnet werden. In die letzteren versinkt die Sonne in
der Nacht, und aus ihnen wird die neue Sonne z. Zt. der Wintersonnenwende wiedergeboren. "Die Dunkle Region" , "die Dunkle Stadt" sind also
Namen für einen Ort, der im Innern der Erde liegt, und den die Sonne
auf ihrer nächtlidlen Wanderung berührt. Es liegt auf der Hand, daß die
Reiseszenen in Abb. 10 - 12 mit der Reise nach dem Tode zusammenhängen, aber nicht nur diese, sondern auch alle anderen hier besprochenen
Szenen sind eng mit dieser Reise verknüpft. Aufschlußreicher noch als
der Besuch beim Gott des Großen Bären oder anderer Sternbilder sind
die Szenen, in denen Hsi-wang-mu oder Tung-wang-kung Audienz
abhalten (Abb. 1). Die Tatsache, daß diese Art Darstellungen im westlichen und östlichen Giebel solcher Opferhallen angebracht sind, bedeutet,
daß die Szene im westlichen oder östlichen Teil des Himmels stattfinden
soll. Nach den allgemein gültigen Raum-Zeit-Gleichungen entsprechen diese
32
In der Chou-Zeit spridlt man zuweilen von den verstorbenen Herrschern
als denjenigen, die "die große Reise gemadlt haben", und man glaubte, daß die
Seelen zuerst zum Himmel aufstiegen. Vgl. Shu-ching (in der Ubersetzung von
Leg g e: The Chinese Classics, III S. XXX wird von K'ang Wang, der kürzlidl
gestorben war, als "die Majestät, die hinaufgestiegen ist" gesprochen.
33
z. B. E. Cha vannes: Quaire inscriptions du Yunan. JA 1909. Auf einem
Grabstein ist gesdlrieben, daß der Tote zur "Dunklen Stadt" geht. Datiert 25 n. Chr.
34
z. B. A. Wa 1 e y: Chinese Poems, 1946, The Bones of Chuang Tzu, S. 68.
35
z. B. in Gesängen bei Totenfeiern, Waley, op. cit, Bearers Song, S. 82 und
Seventeen Old Poems, S. 62 und andere.
46
beiden Himmelsrichtungen dem Herbst und dem Frühling, und auf die engen
Beziehungen dieser beiden Gottheiten zu den Sternbildern des Herbstes
und Frühlings wird oft in Spiegelinschriften der Han-Zeit hingewiesen,
in denen es heißt: "Tung-wang-kung und Hsi-wang-mu, der Grüne Drache
ist zur Linken (Osten) und der Weiße Tiger zur Redlien (Westen) ". Auf
die Verbindung dieser beiden Gottheiten mit diesen Gestirnen weist ja
auch schon der Drachen-Tiger-Thron hin, auf dem sie sitzen (Abb. 2).
Jedenfalls sind diese beiden Gottheiten eng mit Gestirnen verbunden, wenn
auch die Himmelskörper, mit denen sie assoziiert werden, sich im Laufe der
Jahre verschieben, gemäß den kosmologischen Spekulationen der betreffenden Zeit 86 • In den Spiegelinschriften werden sie auch oft als so "alt oder
so langlebig wie Himmel und Erde" bezeichnet. Ihre Kraft, langes Leben
oder Unsterblichkeit zu verleihen, wird ja auch noch durch den Mondhasen ,
der das Elixier des Lebens bereitet, betont. Andererseits ist aber die Hsiwang-mu mit den Kräften des Todes, der Epidemien 37 und der Dunkelheit
verbunden, sie ist also ein Exponent der destruktiven Kraft des yin.
In Abb. 1 sehen wir sie umgeben von ihren Trabanten. Einige d~r
kleinen Menschen, die als Hilfsarbeiter gebraucht wurden, sollen wohl
Wesen niedriger Art in der streng gestuften Hierarchie der Geister vorstellen. Die geflügelten Menschen, die sich der Göttin von rechts und links
nähern, halten Stäbe mit drei Kugeln in den Händen. Auf dem entsprechenden Bild in der Opferhalle des Kuo Chü halten sie stattdessen
Zweige. Nicht nur in China, auch anderswo war es üblich, Zweige in den
Händen zu tragen, wenn man sich einer Gottheit näherte und Verbindung
mit ihr suchte 38 • Die Stäbe und Zweige sollen hier wohl Zweige vom
Juwelen- oder Perlenbaum vorstellen, der auf dem K'un-lun-Gebirge wuchs
lUld eine Art Lebensbaum war. Man kann aus der Haltung dieser Männer
ersehen, daß sie eine Botschaft für die Göttin haben, und man kann
annehmen, daß sie direkt etwas mit dem Schicksal des Toten zu tun hat.
Die Männer mit den Masken hinter ihnen stellen Tiere des chinesischen
Tierkreises dar, des sogenannten Zyklus der 12 Erdstämme, dessen Zeichen
auch je für eine Doppelstunde des Tages gelten . Die Maske des einen
zeigt einen Pferdekopf, die des anderen den Kopf eines Hahnes, sie stellen
also die siebente und neunte Stunde des Tages und auch die Sterne des
siebenten und neunten Monats im solaren Zodiakus dar. Die zwölf Tierkreiszeichen sind von ungeheurer Wichtigkeit für die Metamorphose, die
die Seelen der Toten durchzumachen haben. Eine Tatsache, die auch aus
der großen Zahl der Grabbeigaben in Form dieser Tiere ersichtlich ist.
Noch in der T'ang-Zeit finden wir solche Figuren (oft aus Stein) um den
36 B. Karlgren: Legends and Cults, BMFEA 18, 1946, S. 272, macht audl auf
die enge Beziehung Hsi-wang-mu's zu Gestirnen aufm.erksam.
.
,.
. .
37 Nach dem Shan-hai-ching 2, 23 b, beherrscht Hs1-wang-mu d1e t Ien-ch1h-l1
und wu-ts'an [20J, die nach dem Kommentator Sternbilder sind, die zu mao 121 1
(Herbstkonstellation) gehören, diese Sterne bringen Pestilenz und Epidemien .
38 E. R. D o d d s : T he Greek and the Irrational, S. 73
[
201
X
z ~ I Ji jJ:
[21]
~
47
Sarg herum aufgestellt, und sie bilden auch oft den Schmuck der sogenannten Totenvasen, die noch in viel späterer Zeit dem Toten mit ins
Grab gestellt wurden. Diese Boten berichten alle von dem Fortgang der
Reise der Seelen des Toten, und die Tiere des Zodiakus werden wohl
besonders vom Durchgang der Seelen durch ihre Häuser und der damit
verbundenen glücklich vollzogenen Metamorphose erzählen. Wieder haben
wir es hier mit einer Vorstellung zu tun, von der sich Spuren im Totenkult und den Mysterien in vielen Teilen der alten Welt finden lassen.
Noch in den Athener Lenae-Feiern hatte der Initiant zwölf symbolische
Metamorphosen durchzumachen, die seinen Durchgang durch die Häuser
des Zodiakus versinnbildlichten, die er zu passieren hatte, bevor er zu den
letzten Tod- und Wiedergeburtsriten zugelassen wurde. In den Transformationen des Lucius Apuleius von Madaura wird dies durch das Anziehen
von zwölf verschiedenen Stolen symbolisiert 39 • Auf die Vorstellungen, die
diesen Metamorphosen und Reisen der Seelen zu Grunde liegen, kann hier
nicht weiter eingegangen werden. Sie beruhen auf der Annahme, daß der
Mensch ein Epitom des Makrokosmos ist und somit aus denselben Materien
zusammengesetzt wie der Kosmos und auch denselben zyklischen Gesetzen
unterworfen. Gemäß den Spekulationen der einzelnen Gelehrten, wie z. B.
des TUNG Chung-shu oder im Huai-nan-tzu werden nun die Glieder des
Menschen und Funktionen seines Körpers mit den vier Jahreszeiten, den
zwölf Monaten usf. gleichgesetzt. Deshalb müssen die Seelen, deren
Metamorphose einer Art Auflösung gleichkommt, alle die Geister besuchen,
die in der Menschwerdung zu ihrem Aufbau beigetragen haben. Das Ziel
ist in allen Fällen die Wiedergeburt als unsterblicher Geist, die erst nach
einer vollendeten Metamorphose erfolgen kann. Daraus ergibt sich, wie
wichtig diese Reisen sind, und noch im vierten Jahrh. n. Chr. glaubte man,
daß die Seele dem Ziel, nämlich der Wiedergeburt, umso näher käme, je
weiter der Radius dieser Reisen gezogen würde 40 •
Eine große Zahl der Fabelwesen in Abb. 1 und 6 gehören einer Gruppe
an, die nach dem Shan-hai-ching und Huai-nan-tzu die Welt "außerhalb
der vier Meere" bewohnt. Ihre Zahl wird zuweilen mit 36, oder auch 35
oder 39 angegeben 41 . Die Zahl 36 mag uns einen Anhaltspunkt über ihren
Ursprung und ihre Verbindung mit Zeitabschnitten und Sternen geben.
Sie gehen anscheinend auf die Zeitrechnung der Shang-Dynastie zurück,
in der man mit einer Woche von 10 Tagen rechnete. Demgemäß hatte das
Jahr ungefähr 36 Wochen, vergleichbar den 36 Dekanen der Ägypter, die
ja auch Sterngeister waren und über die Wochen des Jahres regierten.
Die letzteren werden auch oft in der Form von Fabelwesen mit zwei oder
mehr Köpfen dargestellt. In China findet man später, wenn auch vereinzelt,
die sogenannten 28 lunaren Zodiaksternbilder nicht nur in der bekannten
39
R. G r a v es: Apuleius. The Golden Ass, Penguin ed. S. 14/ 15 und 286.
W . Lieben t h a l: The Immortality of the Soul in Chinese Thought, MN.
VIII, M 52, 112 S. 344 ff. (treaty by Lo-han [Lo Chün]).
41
Im Huai-nan-tzu (Kap. IV) werden 36 genannt, obgleich nur 35 beschrieben
werden. Im Shan-hai-ching werden 39 aufgezählt und in WANG Ch'ung's Lunheng w ieder 35.
40
48
Form als Tiere, sondern audl als Fabelwesen in mensdllidler und tierisdler
Gestalt dargestellt. Die Anwesenheit der zwei Repräsentanten der zwölf
Zodiaksterngeister besagt also, daß die Seelen des Toten sie ,besudlt'
haben, d. h. sidl der notwendigen Metamorphose unterzogen. Um die
Anwesenheit der versdliedenen Gruppen ganz zu verstehen, haben wir
uns die Vorstellungen der damaligen Zeit, die Einteilung des Universums,
also des Himmels sowie der Erde, in versdliedene konzentrisdle Kreise
zu vergegenwärtigen. Gemäß der damaligen Anschauung beherrsdlten die
zwölf Erdstämme,- die Stunden und Monatszeidlen -,den inneren Kreis
der von den Mensdlen bewohnten Zone, speziell China, während die
Geister, die "außerhalb der Vier Meere" wohnten, die Ränder der Welt
beherrsdlten. Eine Einteilung, die auf Spiegeln klar wiedergegeben wird 4 2 •
Daß die Fabelwesen, von denen uns das Shan-hai-ching und Huai-nan-tzu
beridlten, mit Vorführungen zusammenhängen, wird aus mandlen Eigenheiten der Beschreibung klar. K. Finsterbusch 43 hat in ihrer Arbeit sehr
deutlidl auf die Bedeutung hingewiesen, die Gesten, Stellungen und
Attributen zukommt. Das waren Handhaben, um in Vorführungen klar
verständlich zu machen, um wen es sidl handelte. Die Bezogenheit auf
Spiele erklärt auch eine gewiße Eintönigkeit der Typen. Mensdlen mit
Tierköpfen oder Tiere mit Menschenköpfen konnten leimt durch verkleidete Menschen mit Masken oder durch Spielfiguren dargestellt werden.
Dasselbe trifft für Geschöpfe zu, die nur einen Arm , ein Bein oder ein
Auge hatten. Unter den Wesen, die "außerhalb der Vier Meere " wohnten,
sind die "Leute mit der durchbohrten Brust" vielleimt am besten bekannt
(Abb. 6). Ihre bizarre Erscheinung war eine Attraktion für jede Vorführung.
Auf der anderen Seite derselben Szene nähern sich Riesen de r Gottheit,
und Riesen und Zwerge werden verschiedentlich als Bewohner solcher
Regionen genannt und sind nur zu unterscheiden an der Ausstattung,
Haltung oder anderen Kleinigkeiten. Es ist anzunehmen , daß es sich in
diesem Fall um die Leute aus dem Chang-fu-Reich !221 handeln soll 44 , stattliche Menschen, die mit Kappe, langem Rock und Gürtel bekleidet waren,
und von denen berichtet wird, daß sie einmal das Land der Hsi-wang-mu
besuchten, um von ihr ein Zauberkraut zu erlangen. Die Hunde mit den
Masken mag man mit denen identifizieren, von denen das Shan-hai-ching 45
sagt, daß sie Menschengesichter haben und gewandt im Werfen sind. Im
Allgemeinen ist es aber kaum möglich , textliche Belege für alle die verschiedenen Wesen zu finden. Außer einigen wohlbekannten Typen war es
den Vorführern überlassen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Wesen zu
zeigen, die allgemein den Anforderungen der Vorstellung von der Fabel42
43
siehe Bulling: The Decoration of some mirrors, op . cit. S. 42 ff.
Das Verhältnis des Schan-hai-djing zur bildenden Kunst, Abhandl ungen der
Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische
Klasse, Bd. 46, Heft 1, 1952, S. 46 ff.
44
Shan-hai-ching, op. cit. 7, 3a.
45
ibid = 3, 7b.
[22]
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4 Oriens Extremus
49
welt entsprachen. Riesen und Zwerge, schwarze und weiße Menschen, seltsame Tiere aus fernen Ländern , dressierte Tiere sowie künstliche Figuren
und Menschen in Verkleidungen, alles konnte in solch eine Schau eingefügt
werden. Der Vogel mit dem Menschenkopf (Abb. 5) mag Kou-mang 1231,
den Geist des Ostens, vorstellen, der einen Vogelkörper und ein Menschengesicht haben soll, aber es gibt eine ganze Anzahl Geister, die ähnlich
beschrieben werden, und die sich nur durch die Farbe ihrer Ohrgehänge
in Schlangenform und dergleichen Kleinigkeiten unterscheiden. Auf jeden
Fall haben alle diese Fabelwesen die gleiche Aufgabe, nämlich über Weg
und Verlauf der Reise der Seelen des Toten zu berichten.
In der Aufführung mögen manche der Teilnehmer, - ungleich dem
Bilde - , hintereinander aufgetreten sein. In Abb. 6 sehen wir z. B. einen
Mann, der ein Kind führt. Dieses Kind soll ganz offensichtlich auch der
Göttin vorgeführt werden. Hier mögen wir es mit Nachklängen viel älterer
Riten zu tun haben, die in der Han-Zeit längst aus dem eigentlichen
Totenkult ausgeschaltet waren und sich nur noch in Vorführungen erhalten hatten. Das Kind spielt hier die Rolle des shih 124 1, eines kleinen
Kindes, das in der Chou-Zeit bei Totenopfern mitwirkte, und von dem man
annahm, daß die Seele des Toten während dieser Zeit sich in ihm niedergelassen habe. Hier haben wir einen Hinweis auf die metaphysischen Vorstellungen, die gerade dieser Szene zu Grunde liegen. Man glaubte, daß
nach dem Tode die zwei Seelen, die in jedem Menschen wohnten, sich
trennten, die erdgeborene, die p' o 1251 Seele wurde in der Metamorphose
zum kuei 1261, einem Geist gefüllt mit yin, der Kraft, die wirksam ist in
Mond, Dunkelheit, Winter, Tod und weiblichem Geschlecht, während die
geistige hun 127 1-Seele zum shen 1281 wurde, einem Geist, gefüllt mit yang,
dessen Essenz sich in Sonne, Licht, Sommer, Leben und männlichem Gesd1lecht auswirkt. Beide Seelen gehen auf die Reise, aber ihre Ziele sind
verschieden, ihre Metamorphosen konnten sich letzten Endes nur in Verbindung mit den ihnen zugehörigen Ursprungskräften vollziehen. Die
erstere mußte zu Hsi-wang-mu, die letztere zu Tung-wang-kung zurückkehren. Diese beiden werden noch in späterer Zeit als die Eltern des
yin und yang, die Quelle der Schöpfung, die Urkräfte des Himmels und
der Erde bezeichnet. Die Szene, die wir hier sehen, klingt nach in Geschichten, die erst in viel späterer Zeit niedergeschrieben wurden, in denen
es heißt, daß diejenigen, die Unsterblichkeit erlangen wollen, zuvor die
Mutter, das ist Hsi-wang-mu, grüßen müssen und vor dem Vater (Tungwang-kung) sich beugen, bevor sie zu den "Drei Reinen" aufsteigen
können 46 • Dieses Begrüßen oder Verbeugen ist die spielerische Ausdrucksform für die metaphysische Verwandlung, die ein Aufgehen der entsprechenden Seelen in ihre Urform bedeutet. Die Reise der Seelen ist nicht
46
[23)
[24]
50
R. Wilhe Im: Chinesische Volksmärchen, Jena 1927, S. 258 ff.
1ry 1!:
?
[25]
[26]
*
~
[27]
~
[28]
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Zu: Bulling, Totenspiele
Oriens Extremus III , 1956
bb. 12
Tafel 5
Zu: Bulling, Totenspiele
Abb. 14
Oriens Extremus III , 1956
Tafel 6
nur eine Reise durdl Zeit und Raum, sondern im wahren Sinne eine Rückkehr, eine Reise, die zu den Ureltern zurückführt, zum Beginn der Sdlöpfung. Das Kind soll also hier die Seele des Toten darstellen, das die
Gottheit grüßt. Daß ein Kind diese Rolle zu spielen hat - und in der
Chou-Zeit wurde oft sogar ein Kind, das noch nicht laufen konnte, dafür
gewählt - ist audl kein Zufall. Es soll damit symbolisiert werden, daß
die irdische Substanz sidl schon so weit der Metamorphose unterzogen
hatte, daß nur noch der letzte Schritt zur völligen Auflösung fehlte.
Erst wenn wir die Idee der Identifikation oder des Eingehens der Seelen
mit je einer der beiden Gottheiten verstanden haben, können wir die
Bedeutung de~ Szene in der Halle (Abb. 14) ganz verstehen. Im Chinshih-so wird sie als Vorbereitung zu der Hochzeit von Hsi-wang-mu und
Tung-wang-kung bezeichnet. Oben in der Mitte des ersten Stockwerks
sieht man die Braut sitzen, umgeben von ihren Frauen, und unten erwartet
der Brautvater den Bräutigam, der mit seinen Begleitern gerade in die
Halle eingetreten ist. Es ist die Reise dieser beiden Gottheiten, die wir
in Abb. 10-12 verfolgen konnten, und das läßt uns verstehen, weshalb
die Reise auf einigen Bildern von rechts nach links und auf anderen von
links nach rechts geht, und weshalb die Hauptperson im Wagen zuweilen eine Frau und zuweilen ein Mann ist. In der Hochzeit, die hier
vorbereitet wird, der mystischen oder "dunklen Vereinigung" hsüant'ung [29 1, werden die beiden Seelen, die getrennt waren, wieder vereinigt
werden. In dieser Vereinigung wird der neue Ahnengeist geschaffen, ein
Geist, der durch seine Metamorphosen von allen Schlacken der Erdenwelt
befreit ist und allen Bindungen der Materie entwachsen: ein neues Wesen,
das schwerelos und unsichtbar ist, und für dessen Bewegungen Zeit und
Raum keine Hindernisse mehr sind, das wie die Sterne schweben und mit
den Wolken segeln kann. Es ist ein Mißverstehen des Ahnenkultes, wenn
man glaubt, daß es ein Kult des Toten sei. Im Gegenteil, die Seelen der
Toten, die die Metamorphose nicht durchgemafit haben, sind unrein und
werden gefürdltet. Verehrt wird nur der wiedergeborene Geist, dem die
Kräfte des Kosmos zur Verfügung stehen 47 .
Wann findet diese Hochzeit statt? Die Idee, daß der Mensch das Ebenbild des Makrokosmos sei, bedingt, daß sich auch seine Metamorphosen
dem zyklischen Rhythmus der Natur anzupassen haben. Die Hochzeit mag
auf uralte heilige, kosmische Hochzeitsfeste zurückgehen, wie sie in vielen
Teilen der alten Welt gefeiert wurden. Wann sie stattfanden, hing von
der jeweiligen örtlichen Tradition und den kosmologischen Spekulationen
ab. In Verbindung mit dem Totenkult ist es interessant, daß in der ChouZeit während der Frühlingsfeste die hun-Seele angerufen wurde, sich mit
47 Wilma Fairbank: The Offering Shrines of Wu Liang tz'il, HJAS 6, 1941/2,
S. 34. Frau Fairbank glaubt nicht, daß diese Szene irgendetwas mit Hsi-wang-mu
zu tun habe, sondern hält sie im Gegenteil für eine Darstellung des Toten, der
als Würdenträger in der Halle sitzend seine Gäste empfängt.
[29]
4.
1i. fPl
51
der p'o-Seele zu vereinigen. Die Darstellung gibt uns aber einige Anhaltspunkte, die zeigen, zu welcher Zeit und an welchem Ort diese Szene spielte.
Der Baum, der links neben der Halle steht, ist der Fu-sang, der Baum
der Sonne, der im östlichen Teil der Unterwelt wächst. An seinen Zweigen
klettert die Sonne zum Himmel empor. Ihm entspricht ein anderer Baum,
der Jo-Baum, der im westlichen Teil der Unterwelt wächst und dem Mond
ähnliche Dienste leistet. Daß wir es in diesem Falle mit dem Fu-sang zu
tun haben, ist bezeugt durch den Bogenschützen Hou-i, der auf dem Dach
der Halle stehend auf die Sonnenraben schießt. Dieser Baum steht links
von der Halle, das bedeutet nicht nur, wie Wilma Fairbank richtig
erkannt hat, daß die Halle sich nach Süden öffnet, sondern auch, daß die
Szene in der Unterwelt spielt, eben dort, wo dieser Baum wächst, von
dessen Wurzeln die Sonne ihren Aufstieg beginnt. Man kann also annehmen, daß es Nacht sein soll. Diese Szene ist in den meisten Fällen,
wenn auch, wie W. Fairbank erklärt, nicht in allen, auf der Nordwand der
Opferhalle angebracht, und es ist von einiger Bedeutung, daß auch in dem
Grab in der Mandschurei die entsprechende Szene auf die Nordwand
gemalt war. Norden entspricht dem Winter. Gemäß der herrschenden Ansicht glaubte man, daß die Sonne nachts ihren Weg unter der Oberfläche
der Erde weiterverfolge. Den tiefsten Punkt innerhalb des Berges der
Erde erreichte sie zur Zeit der Wintersonnenwende. Daß die Szene tatsächlich innerhalb des Berges spielen soll, ist in manchen Fällen dadurch angedeutet, daß man diese Steine noch in eine besondere Vertiefung, in
eine flache Nische der Wand setzte. Hier haben also die Reisenden "die
Dunkle Region", "den Dunklen Berg des Todes", "die Dunkle Stadt", oder
"die Gelben Quellen" erreicht, den Ort, an dem die alte Sonne zur Zeit der
Wintersonnenwende sterben muß und die junge Sonne geboren wird.
Noch ein anderer Faktor deutet darauf hin, daß wir im Reich der Unterwelt sind. Pferd und Wagen stehen unter dem Baum, und in manchen der
alt n Gedichte, wie im Li-sao, oder im Yüan-yu, wird berichtet, wie der
Dichter nach einer Fahrt über den Himmel am Abend sein Pferd am J ooder Fu-sang-Baum anbindet und die Nacht dort verbringt.
Hsüan-t' ung, "die Dunkle Vereinigung'', findet also unter der Herrschaft
des Sternbildes des "Dunklen Kriegers" statt, dessen Zeichen eine Schlange
ist, die sich um eine Schildkröte windet, also wieder ein Hinweis auf die
dann stattfindende Verbindung. Die Beziehung anderer Szenen zu Sternen
macht es wahrscheinlich, daß auch hier Sterne in die Handlung in irgendeiner Form verwoben sind. Unter den 28 Tierkreiszeichen sind einige,
die zum Sternbild des "Dunklen Kriegers" gehören, und die man mit der
Halle in Verbindung bringen kann. Die drei Sterne des Sternbildes wei 1301
- "Gefahr" - (eines der drei Sternbilder, die über den mittleren Wintermonat regieren) werden in der Form eines Daches verbunden und oft als
Dach bezeichnet 48 • Dieses Sternbild wird auch wu 131 1, "Haus" oder chi 1321,
'
8
[30]
52
Schlegel, op. cit. S. 233 ff.
f{L
[31]
ßi
[32]
~
Pfeiler, Pfosten, genannt. Unter chi versteht man besonders den mittleren
Mast eines Zeltes oder den Mittelpfosten eines Baues. Im kosmologismen
Sinne ist chi ein Pfosten, der das Himmelszelt stützt, und der pei-chi (33],
der nördlime Pfeiler, ist derjenige, dessen Spitze den Polarstern berührt.
Wei wird auch chia-wu 1341, "Bau des Hauses", genannt. Das ist insofern
wichtig, als Sternnamen sich oft direkt auf jahreszeitliche Tätigkeiten
praktischer oder ritueller Art beziehen. Die Namen chi, wu and chia-wu
mögen deshalb Nadlklänge einer Zeit sein, in der es Sitte war, um diese
Abb. 15
Jahreszeit einen heiligen Pfosten oder eine Halle zu errichten. In der Tat
wissen wir, daß die Herrscher der alten Zeit sich im zweiten Wintermonat
in die hsüan-t'ang[3 5 l "die Dunkle Halle", zurückgezogen. Auch das 13. Sternbild desselben Zyklus , das über den letzten Teil des ersten Wintermonats
herrscht, mag mit solcher Tätigkeit zusammengebracht worden sein, es
wird shih[ 3 6l, "Haus", genannt. Es herrscht über den "Dunklen Palast" 137 1
und trägt auch den Namen ying shih 1381, "Hausbau". Die Halle in Abb. 14
und 15 mag deshalb auf eine alte Sitte zurückgehen, in der vor der Wintersonnenwende eine Art "heiliges Haus" gebaut wurde.
Die Spiele dieser Jahreszeit hängen selbstverständlich alle mit dem
Drama des Todes und der Wiedergeburt der Sonne zusammen, und man
kann deshalb annehmen, daß in früheren Zeiten ein solches Haus oder
ein heiliger Pfosten das Zentrum eines Ritus waren, in der in irgendeiner
Weise diese Vorgänge symbolisiert wurden. Es mag darum sein, daß
mandle Textstellen von uns bisher viel zu abstrakt aufgefaßt wurden,
und daß z. B. der t'ai chi 13 91, der im Yi-king als Quelle der Schöpfung be[33]
341
[
[35]
[36]
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~
*
1t
(~X ~~ &€_, 4 ~)
53
sduieben wird, aus dem die beiden großen Kräfte Yin und Yang entspringen,
die sidl dann wieder in die vier Jahreszeiten teilen, auf einem Spiel
beruht, das einen großen Mast als Zentrum hatte, um den herum diese
Vorgänge in irgendeiner Form symbolisch dargestellt wurden. Die Vorführungen der Han-Zeit, in denen Schauspieler die Rollen übernommen
haben, die früher von Königen , Fürsten und Priestern gespielt wurden,
sind nidlts als ein ferner Nadlklang der alten Feste in einer- man mödlte
sagen - vulgarisierten Form. Jedenfalls kann man die Halle hier mit
den Wochen vor der Wintersonnenwende, der Zeit der Vorbereitung, verbinden.
Der Fu-sang ist nidlt nur ein Maulbeerbaum, sondern wird oft audl als
"hohler Maulbeerbaum~~, k ' ung sang, oder einfadl als "Hohler Baum" 140 1
bezeichnet, man kann ihn deshalb mit dem Sternbild hsü 141 1, "der Leere",
"dem leeren Baum", "dem Hohlen" , verbinden, das über die Mitte des
zweiten Wintermonats herrscht, also gerade über die Tage der Wintersonnenwende. Weit davon entfernt, daß der Pu-sang hier eine bedeutungslose Zufügung sei, die mit der Szene in der Halle nidlts zu tun hätte 49 ,
spielt er hier eine widltige Rolle. Er wird zuweilen direkt als "Baum, zu
dem die Hun-Seele zurückkehrt", fan hun shu 142 1 bezeichnet. In Besdlwörungen, in denen die Seelen der Toten vor den Gefahren gewarnt werden,
die ihnen auf der Reise drohen, wird ihnen geraten, zum "Hohlen Maulbeerbaum" zurückzukehren 50 • Mehr noch, der Fu-sang gehört zum alten
Bestandteil der kosmischen Hochzeitsfeste . In einem der Gedichte, die in
den Neun Gesängen (CH'U Yüan zugesdlrieben) 1431 enthalten sind, wird
die Fahrt einer männlidlen und weiblidlen Gottheit über den Himmel
besdlrieben, die dann beide im "Hohlen Maulbeerbaum" versdlwinden,
der zum Platz ihrer Hochzeit wird, zum Platz, in dem die beiden Seelen
des Toten sich vereinen , ihre Identität vollkommen verlieren und als neuer
Geist wiedergeboren werden 5 1 .
In vielen alten Kulturen spielen hohle Bäume im Kult eine wichtige
Rolle; oft symbolisieren sie, was man den kosmischen Mutterleib nennen
könnte, oder sie werden als Braut bezeichnet. Durch das Offnen des
Baumes mit einer Axt oder einem Schwert wurde dann die kosmische
Geburt versinnbildlicht 52 • Aber derselbe Vorgang kann auCh auf andere
Art ausgedrückt werden, z. B. durch das Offnen einer Doppeltür. Wie
lebendig zu dieser Zeit noch diese Riten waren, ist an einigen der Hallen
(Abb. 15) zu sehen, die in der Mitte des oberen Stockwerks eine Doppel11
..
W. Fairbank , op. cit. glaubt, daß der Fu -sang hier nur dargestellt ist, um
zu zeigen, daß die Halle sidl nadl Süden öffne.
50 Waley, op. cit., The Great Summons. "Oh soul come back to the hollow mulberry tree u.
51
Bulling. op. cit. S. 137 ff. Hier ist ganz klar angegeben, daß es sidl um die
Göttin des Mondes handelt.
52 ibid. s. 128 ff.
[40]
[41]
54
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[42]
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[ 43]
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* 1iJ 1ilt
türe haben, an genau der Stelle, wo sonst die Braut sitzt. Man kann annehmen, daß es sich hier um Nachklänge der Riten handelte, die mit der
"Dunklen Halle'' zusammenhingen. Durch das Offnen oder Schließen dieser
Türen wurden die jeweiligen Vorgänge symbolisiert. Jedenfalls stellt der
Pu-sang, dessen Wurzeln zu den "Gelben Quellen" hinunterreichen, mit
seinen verschlungenen Zweigen auch eine Art Lebensbaum oder Stammbaum der Menschheit dar, der auf das Urelternpaar, das ja in Hsi-wang-mu
und Tung-wang-kung personifiziert ist, zurückgeht. Je mehr jedoch die
alten Riten in Vergessenheit gerieten , desto weniger begriff man die
eigentliche Bedeutung dieses Baumes mit seinen verschlungenen Zweigen,
und er wurde zum bloßen Fruchtbarkeitssymbol, zum Zeichen für viele
Kinder 53 •
Die Zeit der Sonnenwende ist aber eine eine Zeit der Gefahr, die alte
Sonne muß sterben und der Bogenschütze Hou-i spielt hier eine wichtige
Rolle. Er schießt gerade neun der zehn Sonnen ab, die nach der bekannten
Mythe alle zusammen am Himmel erschienen und die Erde zu verbrennen
drohten. Er gehört sehr eng zum Sagenkreis der Hsi-wang-mu, die ihm
einst die Pille des Lebens gab. Sie wurde ihm dann von seiner Frau gestohlen, die damit zum Monde floh und zur Mondgöttin wurde. Der ursprüngliche Sinn der Mythe ist unschwer zu erkennen. Hier ist Hsi-wangmu die Göttin des Mondes , d. h . des Vollmondes, die durch die Weggabe
der Pille ihre Lebenskraft einbüßt und langsam sterben muß. Dann aber
bringt die Frau des Hou-i die Pille wieder zum Mond und sichert so das
Leben des Mondes und seine Neugeburt Die Geschichte der zehn Sonnen
geht wahrscheinlich auf die Zehntagewoche zurück, in der an jedem Tag
eine Sonne sterben mußte und eine neue geboren wurde. In allen Fällen
ist der Schütze Hou-i der Vollstrecker des Todes , und hier ist es offensichtlich seine Aufgabe, die alte Sonne zu töten.
Die Darstellungen, die hier behandelt worden sind, gehören zu einer
bestimmten Gruppe von Vorführungen, und es scheint sehr wahrscheinlich,
daß es sich hier um k ' uei-lei-hsi l41 handelt. In ihnen spielen Spielfiguren
eine größere Rolle als in allen anderen Typen von Spielen, aber - und
das ist wichtig, - sie traten zU6ammen mit menschlichen Darstellern auf.
Da die k ' uei-Jei-hsi ursprünglich nur bei Totenfeiern gezeigt wurden , ist
zu erwarten, daß in ihnen die abenteuerliche Welt der Erlebnisse nach
dem Tode gezeigt wurde. Zum Schluß mag noch einmal darauf hingewiesen
werden, wie wichtig das Studium der Kunst für das Verständnis des Ablaufs der chinesischen Kultur ist. Es ist vielleicht symptomatisch für die
Textgebundenheit unserer Zeit, daß in den bisher erschienenen Werken über
die Geschichte des chinesischen Theaters der dokumentarische Wert der
Kunst so wenig erkannt worden ist. Obgleich die Akrobaten und Tänzer,
53 z. B. im Po-hu-t'ung, übers. von TJAN Tjoe Som, Leiden 1949, Bd. I, S. 242
note 347 wird ein verschlungener Baum vor der Tür des Schlafzimmers des Königs
als Omen für viele Nachkommen bezeichnet, ein pin-lien-yüeh [44 1.
[44]
l~
00
55
die so oft in der Kunst der Han-Zeit dargestellt sind, als Beispiele der
Zirkuskunst in versdliedenen Werken angeführt worden sind, hat dodl
niemand erkannt, daß wir in der Kunst der Han-Zeit eine Art Bilderbudl
der verschiedensten Arten von Aufführungen und Spielen vor uns haben.
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Abb. 1 Audienz der Hsi-wang-mu (Tung-wang-kung). Giebel einer der Opferhallen der Familie Wu, (Wu Liang tz'ü). Chavannes: Mission arclu~ologi­
que dans Ja Chine Septentrionale, Vol. I, No. 110.
Abb. 2
Hsi-wang-mu auf dem Drachen-Tiger Thron. Zeichnung nach einer Darstellung auf dem Pfeiler des Shen. (V. Segalen, G. de Voisins et J. Lartique:
Mission arclu~ ologique en Chine, fig. 34).
Abb. 3
Tierfigur mit Pagodenköpfen. Detail von Abb. 1.
Abb. 4
Zwillingsfigur mit Pagodenköpfen. Detail von Abb. 1.
Abb. 5
Vogel mit Menschenkopf. Detail von Abb. 1.
Abb . 6
Die Menschen mit der durchbohrten Brust. Detail aus derselben Szene in
der Opferhalle des Kuo Chü (Hsiao T'ang shan) nach dem Chin-shih-so.
Abb . 7
Pendelgruppe der Nü-kua und Fu-hsi. (Wu Liang tz'ü. Chavannes: Mission archeologique, No. 123).
Abb. 8
Frühlingshimmel mit Mond. Abklatsch eines Steines aus Nan-yang. (SUN
Wen-ching: Sculptured Panels found in Tombs of the Han Dynasty in
Nan-yang, 1936, Taf. 3.
Abb. 9
Menschenfigur mit Reptilschwanz. Aus Nan-yang. (ibid. Taf. 54).
Abb. 10
Reiseszenen. (WuLiangtz'ü. Chavannes: Sculpture sur Pierre, Taf.XXXIII).
Abb. 11
Reiseszenen. (Chavannes ibid., Taf. XXXII).
Abb. 12
Reiseszenen. (Chavannes ibid., Taf. XXXI).
Abb. 13
Bär oder Untier, das einen Kriegstanz vollführt. Haken aus Bronze. (by
courtesy of Freer Gallery of Art, Washington D.C.).
Abb. 14
Empfang in der Halle. (Wu Liang tz'ü. Chavannes: Mission archeologique,
No. 107).
Abb. 15
Zeichnung einer Halle. (Wu Liang tz'ü. Chavannes ibid. No. 170).
56