18 > fokus volatilität reportage „Typisch!“ Petra Stielicke steht am Wohnzimmerfenster im sauerländischen Winterberg und blickt dorthin, wo sie gleich die Frühschicht antreten wird: Auf den Gipfel des 839 Meter hohen Kahlen Asten, der mal wieder in den Wolken steckt. Die 46-Jährige schnappt sich ihre braune Lederjoppe und den Autoschlüssel. Um sieben Uhr ist Schichtübergabe. Die gut drei Kilometer lange Fahrt hoch zum Berg nutzt sie, um den lokalen Radiowetterbericht zu hören: sonnige Abschnitte, vereinzelt Schauer, maximal elf Grad werden vorhergesagt. Dass sie auf dem Berg anderes Wetter erwarten wird, ist der Mitarbeiterin des Deutschen Wetter- ein paar Regentropfen. Und die Großwetterlage? Um dienstes (DWD) klar. Seit 1952 beobachtet der DWD sich für telefonische Nachfragen zu wappnen, ruft Pe- das Wetter auf dem Kahlen Asten, Petra Stielicke ist tra Stielicke am Computer die Wettervorhersage der seit 15 Jahren dabei, sie leitet die Bergwetterwarte. DWD-Zentrale auf. „Derzeit rufen häufig Bauern an; Wegen Wolkenstaus an den Westhängen des Rot- aber auch Gastwirte wollen wissen, wie hier das Wet- haargebirges, Feuchtigkeit durch Westwinde vom At- ter wird.“ Die Meteorologen in Offenbach haben ges- lantik und Temperaturen fünf Grad unter Tiefland ist tern Abend „markante Wettererscheinung“ gemeldet der Kahle Asten ein sonnenscheinarmer Ort und das – erstellt auf der Basis von Millionen von Wetter-, Wit- schneereichste deutsche Mittelgebirge. „100 Tage im terungs- und Klimadaten: Momentaufnahmen von Jahr haben wir hier eine geschlossene Schneedecke – 173 deutschen Wetterwarten, rund 2.800 Landbeob- und an 300 Tagen ist es nebelig, besonders morgens. achtungsstationen und gut 11.000 Stationen weltweit Später klart es auf. Meistens.“ Auch an diesem Mor- NUR NOCH ZUR - von Schiffen und Bojen, von Wetterballons und Flug- gen wabern Schwaden um den Aussichtsturm. NACHKONTROLLE... zeugen, von Satelliten im All und Radars auf der Erde. ...oder Wartung der au- Die Informationen gehen rund um die Uhr zum Hoch- DEM HIMMEL GANZ NAH tomatischen Messgerä- leistungsrechner in Offenbach ein und werden zu Petra Stielicke schraubt sich die eiserne Wendeltrep- te wie dem Nieder- möglichen Wettermodellen verarbeitet. pe hinauf, hoch in die „Schaltzentrale“ der Wetter- schlagmesser legt Petra warte – ein Raum, fast ein Nichtort. Möbel und Boden Stielicke Hand an. > Sonne, Wolken – oder beides? Wechselhaft und launisch wie die Börsen ist das Wetter. Es lässt sich jedoch immer präziser vorhersagen – wenn auch nie hundertprozentig. Warum das so ist, erfuhr compass auf der Wetterwarte am nebligen Kahlen Asten Die DWD-Meteorologen haben sich für „Schauer mit gewittrig lokalem Starkregen bis Mittwoch 12 Uhr“ sind so grau wie die Wolken, die als wahrscheinlichste Prognose entschieden, weil draußen an den Fenstern vorbeizie- „Deutschland derzeit an einem Höhentrog liegt“ – ei- hen. Einzig Stofffrosch Soni, das Sta- nem Tiefdruckgebiet in der Höhe, verursacht durch po- tionsmaskottchen, und die beiden lare Kaltluft und feuchte und labil geschichtete Warm- Luftdruckmesser aus vordigitalen Zei- luft. Für den Kahlen Asten prognostiziert der DWD heu- ten auf dem Tisch und an der Wand te ein Zwischenhoch und vier Grad. Sind das die weisen darauf hin, dass an diesem „Eisheiligen“, die noch Nachtfröste bringen können? Ort „Wetter gemacht“ wird. Die Petra Stielicke lacht. Für die Wetterfachfrau ist Wetter Übergabe ist schnell erledigt: „Wie kein Mysterium, das sich mit Gottes Gnade oder mit ist die Lage? Irgendwas Besonderes Bauernregeln erklären ließe – auch wenn ihr Großva- letzte Nacht?“ – „Nein, nicht.“ Nur ter manchmal richtig gelegen habe mit seiner Prognose: Der Mai kühl und nass, füllt dem Bauern Scheun' und Fass. „Das ist zu allgemein“, sagt Stielicke: „Das „Das Wetter ist chaotisch. Lokale U Aufwinde, Nebelfelder und winzige Moleküle in der Luft beeinflussen die Wetterentwicklung.“ comdirect > compass 3 10 3 10 comdirect > compass 18 U > fokus volatilität reportage Klima in Deutschland ist regional sehr unterschiedlich.“ WELTWEITER STANDARD Sie wirft einen Blick auf die Wanduhr, die statt der Orts- Jede Station verwendet zeit die Weltzeit anzeigt, damit weltweit alle Stationen die gleichen Instrumente zeitgleich jede halbe Stunde ihre Daten abschicken: In und macht auf einem in- 15 Minuten steht ein „großes Wetter“ an, das nicht nur ternational genormten die Messdaten der vergangenen 30 Minuten enthält, Messfeld standardisierte Meter Sichtweite gibt sie in die „Terminmeldung“ am sondern auch die Mittelwerte der zurückliegenden 12 Messungen. Computer ein. Der Rest wird nach internationalem Stunden: die Temperatur in der Luft, im und am Boden, Zahlencode verschlüsselt: 9 ist die Schlüsselzahl für Luftdruck und -feuchtigkeit, Windrichtung und -ge- „Wolken können nicht beobachtet werden“, 47 steht schwindigkeit, Niederschlag, Sonnenscheindauer, für „Nebel in der letzten Stunde stärker geworden“. Sichtweite, Höhe der Wolkenuntergrenze und die Ra- Auch die nächtlichen Regentropfen trägt sie ein. „Die dioaktivität in der Luft und im Niederschlag. hat der automatische Niederschlagstopf auf dem Messfeld nicht registriert, weil es dort nicht geregnet STOCHERN IM NEBEL hatte.“ Nichts Außergewöhnliches, erklärt Petra Stie- Schnellen Schrittes geht es hoch zur Plattform des licke: Was automatischen Sensoren der Messinstru- Aussichtsturms. Bei klarem Wetter habe man eine fan- mente nicht punktgenau erfassen können, nehmen tastische Rundumsicht über das Rothaargebirge, be- die Mitarbeiter der Wetterwarte zusätzlich in Augen- teuert Petra Stielicke, und man könne bis zur Wetter- schein – Sichtweite, Wolkenart, die Höhe der Wol- warte auf dem Brocken im Harz schauen – 163 Kilo- kenuntergrenze oder die Niederschlagart. meter mit dem bloßen Auge. Doch jetzt: Nebel, wohin Binnen Sekunden hat der Rechner aus allen Wet- man sich wendet. Doch für die Bestimmung des Nie- terdaten eine codierte Wettermeldung erstellt und derschlags reicht es: Sprühregen. Zurück in der „Schalt- pünktlich um sieben nach Offenbach verschickt. Petra zentrale“, überprüft sie noch schnell die Sichtweite. Stielicke schaut aus dem Fenster. Draußen ziehen Ne- Vom Nordfenster aus schaut sie in die Richtung, in der belwolken vorbei. Aber die „Wettermacherin“ ist zu- vor 30 Minuten das 100 Meter entfernte Messfeld dif- versichtlich, dass der Wetterbericht Recht behält. „In fus zu erkennen war. Jetzt kann sie es nur erahnen. 80 ein, zwei Stunden wird es aufklaren.“ Vielleicht. | „Wenn ein Schmetterling in Japan mit den Flügeln schlägt, ändert sich das Wetter in Europa.“ WETTER IN BEWEGUNG Der Deutsche Wetterdienst erstellt mit Hilfe von Hochleistungsrechnern numerische Wettervorhersagen. 280 Prozessoren sorgen für 1,9 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde und erstellen daraus mögliche Wetterszenarien, die erfahrene Meteorologen beurteilen. Dazu werden der Globus und einzelne Gebiete mit einem Gitternetz überzogen. Die „Maschenweite“ des globalen Netzes beträgt 40 Kilometer und erlaubt großräumige Wettervoraussagen bis zu sieben Tage. Das feinmaschigste lokale Netzhat ein 2,8Kilometer-Raster und erlaubt Vorhersagen von bis zu 18 Stunden. Für die Voraussage von lokal eng begrenzten Gewittern wären noch mehr Daten und damit noch leistungsfähigere Rechner nötig. > www.dwd.de comdirect > compass 3 10
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