Literaturreferat zu Johannes van Laarhoven: Luthers Lehre von den

Kirchengeschichtliches Hauptseminar SS 2000
Luthers sog. Zwei-Reiche bzw. Zwei- Regimentenlehre
Dozent: Prof. Dr. W. Sommer
Referentin: M. Mößner
Literaturreferat zu:
Johannes van Laarhoven
LUTHERS LHERE VON DEN ZWEI REICHEN
Notizen über ihre Herkunft
Ausgangspunkte
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Auf protest. Seite: Diskussion über das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht,
angestoßen durch die Kritik K. Barths an der ZRL nach dem 2. Weltkrieg,
Parallele im kath. Bereich: Interesse für das Verhältnis von Kirche und Welt
Untersuchung über die Herkunft der ZRL kann vielleicht ein typisch christliches Problem
lösen
Die zwei Reiche bei Luther
Versuch einer Systematisierung (Heikles Unterfangen, da nur verstreute Angaben):
! Teilung der Menschheit in zwei Gruppen (corpus), die soziologisch nicht sichtbar sind
! Gruppe der Gläubigen, deren Haupt Christus ist
! Gruppe der Ungläubigen, deren Haupt der Teufel ist
⇒ Kampf der beiden Gruppen, bis zum Endsieg Christi
! Die ZRL ist fundamental bestimmter durch die sog. REGIMENTENLEHRE
charakterisiert:
Regiment: Art und Weise der Herrschaft Gottes; modus quo
Reich: locus quo bzw. effectum quod
! Gott wirkt in beiden Reichen (linke und rechte Hand):
Durch Christus geistig/innerlich im Herzen der Gläubigen ⇒ Mitglieder im geistiggeistlichen Reich; gleichzeitig auch Mitglieder im weltlichen Reich, in dem sie als
Ausführer des Willens Gottes (Bergpredigt) leben sollen (coram deo)
Im Reich der Welt regiert Gott durch den Zwang des Schwertes der Obrigkeit die nicht
Glaubenden (coram hominibus)
Jedes der beiden Reiche will in den Machtbereich des anderen Reiches eindringen
⇒ confusio
Die zwei Civitates bei Augustinus
Woher kommt die Lehre von den Zwei Reichen?
! Biblische Reminiszenzen
! Zwei Civitates bei Augustinus: Ableitung jedoch nur schwer möglich, da große
Unterschiede zwischen Augustinus und Luther
! Hauptunterschied: Stellung des Christen in der Welt
Augustinus:
Bei Augustinus sind beide civitates in der Welt vermischt und werden erst in der
Endzeit voneinander getrennt. Ein Christ ist somit Bürger eines einzigen civitas
(zwei Pässe sind nicht notwendig).
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Für Augustinus ist der Kampf zwischen den beiden civitates ein gesellschaftlicher
Konflikt.
Bei ihm „ist `die Stadt Gottes´ auf der Pilgerschaft hic in terra, auf dieser Erde,
nutznießend, aber nicht genießend, zufrieden, aber nicht befriedigt, unruhig und
doch nicht beunruhigt, weil sie weiß, daß dies eben ihre Situation ist.“ (S. 89)
Luther:
Die eschatologische Dimension des Augustinus ist Luther bekannt. Doch bei ihm ist
der Christ Bürger zweier Reiche. Daraus ergibt sich bei Luther für einen Christen
ein ethischer Konflikt, da er sich immer die Frage stellen muß: Was habe ich zu tun?
„Muß ich in dieser Lage als Glied des geistig-geistlichen Reiches leben oder will
Gott, daß ich als Glied des weltlichen Reiches auftrete? Bin ich, hier und jetzt,
persona privata oder persona publica?“ (S. 89)
Bei Luther ist der Konflikt zwischen den beiden Reichen zu einem individuellen
Problem eines jeden Christen geworden.
Die mittelalterliche Kirche lebte in unterschiedlichen Versionen der augustinischen Idee.
Sie betrachtete allerdings die Welt zu sehr als ihr zu Hause und nicht mehr als zeitliches
Haus, wie das Augustinus gedacht hatte.
Luther hat diese Verkehrung innerhalb der mittelalterlichen Ordnung – nach Meinung
vieler Autoren – durch seine scharfe Scheidung prinzipiell durchbrochen und die
verwirrende Vermischung der beiden Reiche ungeschehen gemacht
Fazit:
Laarhoven kommt zur folgenden, negativen Feststellung:
„Wenn wir nach der Genesis dieser Lehre von den zwei Reichen suchen, kann uns
Augustinus nicht helfen; sie ist zu sehr ein uneheliches Kind, Augustinus ist nur zum
Schein ihr geistiger Vater.“ (S. 90)
Luthers Originalität?
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Bei der Suche nach dem Ursprung der Originalität der ZRL Luthers verweißt Laarhoven
auf den jungen Luther. Da es aber vor 1520 kein Textmaterial zur ZRL gibt, kann eine
Forschung in den Schriften vor 1520 nützlich sein.
„Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute“ (August 1518):
Hier stellt Luther die Frage, wer den teuflischen Kommentar zu Lk. 24,38 verfaßt hat, in
dem dem Papst das geistliche wie das materielle Schwert zukommt.
Diese Triade gegen die traditionelle Glosse, die manche Forscher als ersten deutlichen
Bruch mit der fundamental mittelalterlichen Auffassung ansehen, ist aber selbst schon ca.
200 Jahre alt. Luther bezieht sich an dieser Stelle unter anderem auf Occam und Marsilius
von Padua.
„Auslegung des Vaterunsers“ (1519):
Gerade die 2. Bitte des Vaterunsers bietet einem Exegeten wie Luther, der zwei Reiche
unterscheiden will viele Möglichkeiten: So kann die 2. Bitte als der Wunsch aufgefaßt
werden, daß Gott alle Sünden des weltlichen Reiches aus den Christen vertreiben und alle
Tugenden seines Reiches fördern möge.
Auch hier unterscheidet sich Luther nicht wesentlich von anderen mittelalterlichen
Exegeten (vgl. G. Biel: „Expositio super canonem Missae“)
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Fazit:
Solche Texte fallen vor dem normalen mittelalterlichen Hintergrund der Theologie und
Kanonistik nicht weiter auf. Es wäre eine Überbewertung in ihnen erste Ansätze für eine
neue ZRL zu sehen.
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Ab 1520 ändert sich die Situation:
Die Schriften „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (Juni 1520) und „De
captivitate Babylonica“ (Oktober 1520) enthalten wesentliche Elemente der ZRL.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die polemische Schrift „Von dem Papsttum zu
Rom“ (Juni 1520): In dieser Schrift wendet sich Luther gegen den Versuch des Exegeten
A. von Arnold, das historisch gewachsene Papsttum biblisch zu beweisen und stellt in ihr
geistig-geistlich und weltlich auf eine Art und Weise nebeneinander die weder
augustinisch noch mittelalterlich ist. Luthers eigentliche Sorge, die der Kern seiner regnaLehre ist, nämlich die Sorge um ein inneres Christentum , um ein geistiges Reich (das
weltliche Reich wird kaum umschrieben) wird hier zum ersten mal deutlich.
Diese Sorge um das Geistliche, die den Widerstand gegen jede Art von Missbrauch des
Geistlichen einschließt, und die Abweisung jeder confusio haben die Lehre von den zwei
Reichen mitbestimmt und geformt (vgl. Schuurman).
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Fazit Laarhovens:
! Den drei sola müsste noch ein viertes hinzugefügt werden: das sola regno spirituali.
Diesem solo fällt allerdings dasselbe tragische Los zu, wie den drei klassischen sola:
„auch hier wird ein korrekter und notwendig berichtigender Akzent zur Einseitigkeit.
Geboren aus einer im Grunde traditionellen Kritik, hat diese Kritik sich in einer
Konfliktsituation zu einem System entwickelt.“ (S. 96)
Äußerungen über die Abschaffung des geistlichen Standes und die inkonsequente Haltung
gegenüber der weltlichen Obrigkeit erklärt Laarhoven mit der Sorge Luthers um das
unantastbare, unberührbare, nichtmenschliche und nichtweltliche Reich Christi.
! Das Luthers bezüglich der mittelalterlichen Veräußerlichung eines augustinischen Ideals,
ist bei ihm anfangs weniger revolutionär als z. B. bei Hus, Wiclif oder Occam. „Erst nach
dem Ausbruch des Konflikts wächst er, mit Berufung auf die Schrift, in eine
spiritualisierende Tendenz hinein, die mit einer grandiosen, religiös inspirierten
Einseitigkeit dadurch bis zum Äußersten gerieben wird, daß man das, was man hätte
unterscheiden müssen, zugunsten des einen geistigen christlichen Reiches voneinander
schied.
! Die ZRL Luthers kann als das Ringen mit einem verwirrten mittelalterlichen Weltbild
verstanden werden.
! Ausgehend von der Beschäftigung mit der ZRL hält es Laarhoven für möglich, daß sich
sowohl die reformierte wie auch die katholische Kirche auf neue besinnen sollen, nämlich
nicht auf ihr regnum, sondern auf ihr servitium in mundo.
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