Wie viel Museum braucht eine Stadt?

Nr. 40 | 29. November 2011
museen der stadt nürnberg
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Geschichten aus den Sammlungen
Sammeln, Bewahren, Erwerben, Erhalten, Schenken – Einblicke in die Museumsarbeit
Birnkrug mit Bemalung von A. Helmhack, um 1700 und Schüssel mit Allianzwappen, 1723
zeugen von der hohen Qualität Nürnberger Fayencen. Fotos: Richard Krauss
Damit Museen – als dingliche Archive gelebten Lebens – „funktionieren“, bedarf es intensiver Sammlungs- und Forschungsarbeit. Dies betrifft sowohl
die Pflege und den Ausbau der eigenen Bestände als
auch die Kooperation mit privaten Sammlungen und
anderen Leihgebern. Daher gehört zu jedem guten
Museum auch ein gutes Depot, um auch künftig Geschichte anschaulich vermitteln zu können. Im Laufe
der Sammlungsgeschichte entwickelt sich so ein
Fundament von „Sachzeugnissen“, die im Rahmen
von Ausstellungen zum „Sprechen“ gebracht werden
können.
Nicht immer gelingt es, für jedes Thema eigene
Sammlungsbestände aufzubauen. Gerade hier ist
eine Kooperation mit privaten Sammlern von hohem
Interesse, von der Leihgabe bis hin zur Schenkung
oder zum Ankauf eines Objektes. Besonders aussagekräftig sind die Objekte dann, wenn beim Erwerb
ein Bericht zur Nutzungsgeschichte und Herkunft
der Objekte vorliegt. Die folgenden vier Beispiele verdeutlichen, welches Spektrum an Aktivitäten zum Alltagsgeschäft der museen der stadt nürnberg gehört:
Lehmann-Sammlung – Rettung durch Ankauf
Eine der beliebtesten Abteilungen des Spielzeugmuseums ist der 2002 eingerichtete Ausstellungsbereich
mit der weltweit bedeutendsten Sammlung von
Blechspielzeug der Firma Ernst Paul Lehmann. In
einer attraktiven Präsentation sind nahezu alle jener
fantasievollen und witzigen Spielsachen zu sehen,
die jemals die Fabrik in Brandenburg a. d. Havel verließen. Diese Sammlung war als Dauerleihgabe der
seit 1949 in Nürnberg ansässigen Firma ins Museum
gekommen. Da das Unternehmen Ende 2006 Konkurs
anmelden musste, drohte ein Verkauf der Sammlung.
Nach intensiven Verhandlungen ist es nun gelungen,
die befürchtete Zerschlagung der Sammlung durch
Auktionierung zu verhindern. Dank der großzügigen
Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder und des Fördervereins des Spielzeugmuseums
konnte die Sammlung durch die museen der stadt
nürnberg erworben werden. Dem Spielzeugmuseum
bleibt auf diese Weise eine Sammlung von mehr als
350 Objekten erhalten, um die Nürnberg weithin beneidet wird.
Barbie-Sammlung – strategisches Sammeln
Zieht es männliche Gäste des Spielzeugmuseums
meist mehr in die Blechspielzeugräume, so sind in
der Puppen- und Puppenstubenabteilung eher Besucherinnen anzutreffen. Hier sind seltene Holz- und
Wachspuppen aus dem Rokoko und dem Biedermeier ebenso zu bewundern wie edle französische Modedamen, Biskuitporzellanpuppen aus Thüringen oder
Käthe-Kruse-Puppen.
Nur „Barbie“, die erfolgreichste Puppe aller Zeiten,
war bislang weder in der Schausammlung noch im
Depot angemessen vertreten. Dies konnte nun nachhaltig geändert werden: Vor wenigen Wochen konnte das Spielzeugmuseum eine der größten Barbie-Privatsammlungen Europas übernehmen. Sie umfasst
etwa 1600 Puppen aus der großen Barbie-Familie
– die berühmte Barbie Nr. 1 im schwarz-weißen Badeanzug von 1959 ebenso wie zahlreiche exquisit gestaltete Barbies aus den unterschiedlichsten Sammlerserien; modische Accessoires, schicke Möbel, flotte
Autos und rassige Pferde ergänzen den pinkfarbenen
Barbie-Kosmos.
Zwar kann diese außergewöhnliche Sammlung
aufgrund der beschränkten räumlichen Möglichkeiten nicht dauerhaft in einer eigenen Abteilung
präsentiert werden, doch für künftige Ausstellungsideen steht jetzt ein einzigartiger Sammlungsfundus
bereit.
Die Nürnberger Knopffabrik bewahrt
Im Jahr 1879 gründeten die Brüder Hieronymus und
Adolf Herzfelder ein Handelsgeschäft für Schmuckund Bijouteriewaren, welches sie in den 1890er Jahren um die Produktion von Uhrketten aus Büffelhorn,
Broschen und Hutnadeln aus poliertem Schildpatt erweiterten. Im Jahr 1905 übergab Adolf Herzfelder die
Firma an seine Söhne. Diese stellten auf die Produktion hochwertiger Büffelhornknöpfe um und fertigten
Mechanische Wunderwerke aus dem E.P. Lehmann Patentwerk: Kletteraffe „Tom“
(1895-1948) und der „Störrische Esel“ (1897-1939). Fotos: Christiane Richter
ab 1920 mit bis zu 130 Beschäftigten ein reichhaltiges
Sortiment an Knopfmodellen. Nach 1933 hatten die
jüdischen Fabrikanten Herzfelder zunehmend mit
Repressalien zu kämpfen. 1938 schließlich, im Zuge
der „Arisierung“ jüdischer Unternehmen, mussten
sie ihre Firma verkaufen und emigrierten wenig später nach England und Amerika.
Der neue Besitzer setzte 1938 Christian Büttner als
Geschäftsführer ein. Büttner, der seit Beginn seiner
Lehrzeit bei den Herzfelders beschäftigt war und
diesen auch weiterhin verbunden blieb, setzte sich
nach Kriegsende mit Geduld und Hartnäckigkeit für
die Entschädigung der Gebrüder Herzfelder ein. Ende
1950 war es dann so weit – Grundbesitz und Firma
waren wieder im Besitz der rechtmäßigen Eigentümer. An eine Rückkehr jedoch dachten die Herzfelders nicht mehr und verkauften das Unternehmen
an Christian Büttner, der die Nürnberger Knopffabrik
zu einer weiteren Blüte führte. Für seine Leistungen
zum Wiederaufbau, zur Betriebsintegration von
Flüchtlingen und seine uneigennützige Hilfe für emigrierte Juden erhielt Christian Büttner 1967 das Bundesverdienstkreuz. Nach seinem Tod übernahmen
seine Witwe und nach ihr die gemeinsame Tochter
das Geschäft.
1974 wurde die Produktion aufgrund der zwischenzeitlich veralteten Fabrikationsanlagen bis auf
den Knopfhandel eingestellt. Aus Altersgründen entschied die Seniorchefin im Jahr 2010, die inzwischen
ruhende Firma aufzulösen. Allerdings wurde eine
wichtige Entscheidung getroffen: Große Teile des
Firmenarchivs und eine Vielzahl wertvoller Objekte
aus der einstigen Produktion wurden dem Museum
Industriekultur übergeben. Auf diese Weise können
wir die Geschichte der Nürnberger Knopffabrik für
die Zukunft bewahren und anschaulich präsentieren.
Fayence-Manufaktur und die Sammlung Neuner
Die Nürnberger Fayencemanufaktur wurde 1712 von
drei Nürnberger Händlern gegründet. Sie ist also
nicht – wie die meisten anderen Fayencemanufakturen dieser Zeit – die Gründung eines Fürstenhauses.
Die Gemälde- und Skulpturensammlung nutzt das
300-jährige Jubiläum nicht nur, um die ungewöhnliche Firmengeschichte aufzuarbeiten, sondern auch,
um auf verschiedene Strategien der Bewahrung von
historischem Überlieferungsgut hinzuweisen.
Das Thema „Nürnberger Fayencen“ kann nur dann
umfassend dargestellt werden, wenn die Museen
und privaten Sammler zusammenarbeiten: die museen der stadt nuernberg, das Germanische Nationalmuseum mit seinem Gewerbemuseum und der Privatsammler Helmut Neuner, der seit Ende der 1980er
Jahre verstärkt eine erlesene Sammlung Nürnberger
Fayencen und Hausmalerkrüge erworben hat.
Nur durch diese Kooperation ist es möglich, erstmals das Werk der Nürnberger Fayencemanufaktur
annähernd vollständig zu präsentieren und ihre bisher fast unbekannte Firmengeschichte darzustellen.
Die Ausstellung wird ab September 2012 im Ausstellungsforum des Stadtmuseums Fembohaus zu sehen
sein.
Das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Präsentieren
und Vermitteln ist der Auftrag aller öffentlichen Museen. Mitunter kann das aber nur dann erfolgreich
gelingen, wenn Partnerschaften zwischen öffentlichen Museen und privaten Sammlungen vertrauensvoll aufgebaut und gepflegt werden..
Eine kleine Auswahl des beeindruckenden Sortiments echter Büffelhornknöpfe
aus der Nürnberger Knopffabrik. Foto: Erika Moisan
Wie viel Museum braucht eine Stadt?
Aufsatzband zur gleichnamigen Fachtagung
soeben erschienen. Foto: Thomas Schlegel
Das Wort „Museum“ ist die latinisierte Form des
griechischen Wortes museion, das den Ort der Musen bezeichnet. Diese Institution hat sich innerhalb
der letzten fünf Jahrhunderte zu einem weltweiten
Phänomen entwickelt.
Das Sammeln von Gegenständen ist dem Menschen abstammungsgeschichtlich in die Wiege
gelegt – und Museen, als institutionelle Verkörperungen des Sammelns und Bewahrens, gehören
anscheinend untrennbar zur Identität menschlicher
Gemeinschaftskultur.
Heutzutage findet im Bereich der Freizeitgestaltung und Bildung ein intensiver Wettbewerb zwischen den einzelnen Anbietern statt: Museen konkurrieren um die Gunst der Besucher mit Theatern,
Freizeitparks, Festivals, Kinos und einer überbordenden Palette der übrigen Freizeit-Industrie. Stets geht
es um die beiden knappen Ressourcen Aufmerksamkeit und Zeit, die auch im privaten Bereich immer
professioneller gemanagt werden.
Im Werben um das Besucherinteresse geht es daher
um Alleinstellungsmerkmale, um Einzigartigkeit.
Der rasanten Entwicklung auf der Nachfrageseite
kann und darf sich die Institution Museum auf der
Angebotsseite nicht entziehen. Schließlich können
die Museen in einer sich medial konfigurierenden
Welt ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal bieten: Museen sind Orte der Originale.
Mit der Frage „Wie viel Museum braucht eine
Stadt?“ zielen wir nicht auf die bloße Zahl von Museumseinrichtungen. Es geht uns um die Präsenz
der Institution Museum im Bewusstsein der Bürger
und der Besucher einer Stadt. Von der Rumpelkammer zum Kuriositätenkabinett, von der Kunst- und
Wunderkammer zum Musentempel, vom Ort der Erbauung und Belehrung zur Eventlocation bis hin zur
außerschulisch-interdisziplinären Lernwelt – all dies
sind Entwicklungsschritte in den vergangenen zwei
Jahrhunderten.
Wie wird die Vision für Museen im beginnenden
21. Jahrhundert lauten? Diese Diskussion vor dem
Hintergrund der Nürnberger Stadtgeschichte mit ei-
Ikone einer neuen
Puppengeneration:
Barbie No. 1 (1959).
Foto: Spielzeugmuseum
Nürnberg
nem Kreis von Expertinnen und Experten zu führen,
war Sinn und Zweck der Tagung „Wie viel Museum
braucht eine Stadt?“, die 2009 von den museen der
stadt nürnberg veranstaltet wurde.
Die Redebeiträge der Tagung werden mit dem nun
erschienenen Tagungsband für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Matthias Henkel
Das Buch kostet 19,80 Euro und ist an folgenden
Orten erhältlich:
Stadtmuseum Fembohaus
Burgstraße 15, 90403 Nürnberg
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Bayernstraße 100, 90478 Nürnberg
Auch zur diesjährigen Fachtagung „Bewahrt die
Kunst! Auftrag und Anforderung zukunftsweisender Museumsarbeit“ wird ein Tagungsband im Jahr
2012 erscheinen.