Polen will endlich ohne fremden Vormund leben

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Kommentar: Polen will endlich ohne fremden Vormund leben
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Artikel vom
31.07.2016 / Ausgabe 31 / Seite 11
Polen will endlich ohne fremden Vormund leben
Von Henryk M. Broder
Reporter
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Im Rahmen der traditionellen "Mainz bleibt Mainz"-Karnevalssitzung, die vom ZDF
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live übertragen wird, trat in diesem Jahr auch der Mainzer Humorist Lars Reichow
mit einer Art Jahresrückblick auf. Er sagte unter anderem: "Selbst gewähltes Pech
1.
hatten, Wodka umsonst in der Wahlkabine oder was – jetzt sind sie aufgewacht mit
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einer Regierung, angeführt von der nationalkonservativen PiS-Partei, die
2.
Abgeordneten nennen sich vermutlich PiSser. Der mächtigste Mann in Polen ist
Jarosław Kaczyński, ein eineiiger Zwilling – das andere Ei ist vor ein paar Jahren
abgestürzt."
3.
4.
Katyn teilzunehmen.
Unter den Gästen der "Mainz bleibt Mainz"-Sitzung war auch ZDF-Intendant
Thomas Bellut. Er trug eine Narrenkappe und amüsierte sich prächtig.
Gefragt, was er von dem Witz über das "abgestürzte" Ei halte, meinte er: "Als
Intendant erlebt man vielfältige Termine und Herausforderungen, und dazu gehört
auch der Besuch von 'Mainz bleibt Mainz'. Trotz meiner Anwesenheit lag es jedoch
nicht in meiner Macht, alle dort live geäußerten Reime – wie geschmackvoll oder
geschmacklos sie auch immer waren – auszuschließen. Ich teile aber Ihre
Auffassung, dass die von Ihnen zitierte Passage zu den auch im Rahmen einer
Fastnachtsveranstaltung wenig geglückten Äußerungen gehörte."
Immerhin. Ob die Äußerung des Humoristen hausintern Folgen hatte, ließ der
Intendant unerwähnt. Vermutlich war sie niemandem aufgefallen, weder während
der Proben, noch in der Sendung und auch nicht in der Manöverkritik hinterher.
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Was ist schon dabei, wenn ein nationalkonservatives Ei abstürzt? Es bleiben noch
genug übrig.
Ein solcher Mangel an Mitgefühl, gepaart mit Schadenfreude, ist mehr als
erstaunlich. Historisch mag er damit zu erklären sein, dass zwischen Mainz und
Polen die DDR lag, ein Brückenkopf der Sowjetunion. Andererseits: Millionen
Deutsche hatten Gelegenheit, Polen kennenzulernen, von 1915 bis 1918 im
"Generalgouvernement Warschau" und von 1939 bis 1945 im
"Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete". Aber alles, was die
deutschen Besucher heim ins Reich brachten, waren Souvenirs aus Krakau,
Lemberg und Lublin. Keine Vorstellung, kein Wissen darüber, was den Polen
Freiheit, Nation und Unabhängigkeit bedeuten.
Es ist noch nicht lange her, dass der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und
Gesellschaft, Günther Oettinger, der Regierung in Warschau androhte, man werde
sie "unter Aufsicht stellen". So etwas hört man in Polen besonders gern, wenn es
von einem Deutschen gesagt wird. Unter Aufsicht stellen! Warum nicht gleich
besetzen, diesmal im Auftrag und mit dem Segen der EU?
Seit dem Ende der kommunistischen Zeitrechnung hat Polen nicht nur
wirtschaftlich einen großen Sprung nach vorn gemacht. Es hat sich auch aus der
Umarmung eines Hegemons befreit, dem nationale Befindlichkeiten egal waren. Es
will kein Mündel sein und keinen Vormund haben, weder in Moskau noch in Brüssel.
"Was wir brauchen, ist weniger Zentralismus", sagt der PiS-Vorsitzende Jaroslaw
Kaczyński in einem lesenswerten "Bild"-Interview. "Die EU-Verträge sprechen ganz
klar für ein Bündnis von Nationalstaaten, die so weit wie möglich ihre nationalen
Zuständigkeiten bewahren." Polen will den Euro nicht übernehmen ("lohnt sich
nicht!") und keine Syrien-Flüchtlinge aufnehmen. Das Land habe "bereits eine
Million Ukrainer aufgenommen", dazu viele Weißrussen und Tschetschenen. Über
ein von der EU gegen Polen eingeleitetes "Rechtsstaatsverfahren" macht sich
Kaczyński mit den Worten lustig, es sei "ein fröhliches Schaffen zum Vergnügen
der EU-Kommission und ihrer Beamten". Und er kündigt an, Polen werde
"Deutschland bei Wohlstand und Wirtschaftskraft" einholen. Das werde "keine 100
Jahre dauern".
Es ist keine Drohung, es ist ein Versprechen. Im Gegensatz zur Ankündigung der
Kanzlerin, die Energiewende werde bis 2050 vollzogen sein, steht es auf soliden
Füßen. Die "polnische Wirtschaft" ist nicht mehr das, wofür viele sie immer noch
halten.
Nur Mainz bleibt Mainz. Helau!
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