160808 taz Ingenieur über World Overshoot Day

08.08.2016
Ingenieur über World Overshoot Day
„Die Deutschen sind viel zu langsam“
Vom 1. Januar bis zum 8. August hat die Menschheit so viele Ressourcen verbraucht, wie die Erde
in einem Jahr regenerieren kann, sagt Mathis Wackernagel.
Es reicht. Die Erde hat nix mehr Foto: dpa
taz: Herr Wackernagel, ab dem heutigen Montag
lebt die Menschheit auf Pump. Was bedeutet
das?
Mathis Wackernagel: Heute hat die Menschheit
das Budget der Natur für dieses Jahr aufgebraucht. Die Menschheit hat also vom 1. Januar
bis zum 8. August so viel von der Natur verbraucht, wie die Erde im ganzen Jahr regenerieren
kann. Der Mehrverbrauch ist möglich, weil wir
mehr CO2 in die Atmosphäre ausstoßen können,
als unsere Ozeane und Wälder absorbieren, weil
wir schneller fischen können, als sich die Fischbestände erholen, und wir Bäume schneller fällen
können, als sie nachwachsen.
Welche Ressourcen sind besonders übernutzt?
Die Erde! Nein, im Ernst, am drängendsten ist das
Problem der Aufnahmefähigkeit der Erde für CO2Emissionen. Das Problem an Öl und Gas ist nicht,
dass es zu wenig davon gibt, sondern dass die Erde die Verbrennungsrückstände daraus nicht
mehr aufnehmen kann, ohne sich zu erwärmen.
Die Welt ist wie ein Bauernhof, der uns alles gibt.
Vor 150 Jahren war der CO2-Footprint praktisch
null. Wenn wir die 2-Grad-Grenze von Paris ein-
halten wollen, müssten wir weltweit vor 2050
wieder auf diese Null zurück. Leider sind wir aber
auf einem ganz anderen Weg. In Ländern mit hohem Einkommen können Wohlstand und Ressourcenverbrauch teilweise entkoppelt werden. Bei
Ländern mit kleinem Fußabdruck wird es schwierig. Die wollen verständlicherweise mehr Reis,
mehr Transport, mehr Licht. In China etwa hat sich
der ökologische Fußabdruck in den letzten 15 Jahren pro Kopf verdoppelt.
Als Positivbeispiel nennen Sie die Energiewende
in Deutschland. Doch die wird doch gerade ausgebremst, es werden weniger Solaranlagen installiert.
Das ist ja die Tragik, dass sogar schwache Beispiele
noch die besten Beispiele sind. Die Deutschen sind
viel zu langsam, aber viele andere machen gar
nichts. Wenn wir messen, welche Länder ihre Politik am engsten an den Nachhaltigkeitszielen der
Vereinten Nationen ausrichten, sind das Länder
mit einem riesigen ökologischen Fußabdruck. Pro
Kopf brauchen die dreimal mehr, als es pro Kopf
auf der Erde gibt.
im Interview:
Mathis Wackernagel
53, ist Gründer und Präsident des Global Footprint
Network, das jährlich errechnet, ab wann wir von
der Substanz der Natur leben.
Ist die „grüne Wirtschaft“ eine Antwort auf die
Ressourcenfrage?
In der Theorie schon – wenn das bedeutet, innerhalb des Budgets der Natur statt gegen sie zu arbeiten. Nachhaltigere Praktiken sind nötig, aber
nicht hinreichend. Nehmen sie die Ökolandwirtschaft. Die ist ressourcenschonender als die konventionelle. Aber wenn die Menschen mehr wollen, als die Erde regenerieren kann, dann geht das
auch mit Biolandwirtschaft nicht. Wir brauchen
Qualität, aber Quantität sticht Qualität.