1608_WIMO_Freie Bahn für Hierarchie_Loewer

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HOCHSCHULLEITUNG
Forschung & Lehre
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Freie Bahn für Hierarchie?
Grenzen der Machtkonzentration bei Hochschulleitungen
| W O L F G A N G L Ö W E R | Die Frage, wie eine Universität am
besten geführt und verwaltet werden soll, wird immer wieder kontrovers erörtert. Zuletzt fachte der Evaluationsbericht zur Exzellenzinitiative, in dem eine
„starke Hochschulleitung“ gefordert wurde, die Diskussion wieder an. Haben die
deutschen Universitäten Nachholbedarf beim Thema Governance? Eine Analyse.
nig ausgeprägt.“ Interne Steuerungsfähigkeit heißt aber offenbar: „Starke interne Governance“, wie sie für internationale Spitzenuniversitäten typisch sei.
„Stark“ ist solche Governance, wenn sie
die Universitäten von oben steuern
kann. Kurzum: Die Kommission steht
unter dem Eindruck, an den deutschen
Universitäten bestehe immer noch ein
großes ungenutztes Potenzial und ein
substanzieller Nachholbedarf beim Thema universitäre Governance.
I. Universitas semper refor(top down)“, was eine große „Kommumanda?
nikations– und KonsultationsbereitDer Imboden-Bericht zur Evaluation
schaft“ aller Führungspersonen vorausder Exzellenzinitiative ruft neuerlich in
setze. „Sensorium“ und „Bereitschaften“
Erinnerung, dass die Diskussion um die
zielen auf subjektive Qualitäten von
innere Organisation der Universität ein
Führungspersonen; Regeln für „checks
Dauerthema ist. Der Bericht thematiand balances“ müssten einem „Sensorisiert als Erfolgsbedingung für Exzellenz
um“ vorausliegen, damit man bei seiII. Vom Nutzen der Lektüre der
(unter 3.2) die „Governance der Uninem Fehlen auch reagieren kann.
Gesetze
versitäten“; sie ist offenbar von zentraDie Kommission benennt zur IllusUniversitäten sind steuerfinanzierte, öfler Bedeutung, wenn „eine Universität
tration ihres Ansatzes manche Phänofentlich-rechtliche Rechtspersonen, dezu den Besten der Welt gehören will.“
mene (Reorganisations- und Integratiren Ressourcenverwendung rechenMit solchen Aussagen ist schon desonsprozesse durch Graduiertenschulen,
schaftspflichtig ist. Deshalb ist ihre Orhalb nicht einfach umzugehen, weil der
Verbünde, Exzellenzcluster als Querganisation so geregelt, wie sie der degewählte Begriff der Govermokratische Gesetzgenance keinen sonderlich präber für funktionsgerecht
»Der Begriff der Governance erleichtert
zisen Zuweisungsgehalt hat.
hält. Die Universität
Dieser Begriff erleichtert jekann sich ihre Organisadas Be-greifen nicht.«
denfalls das Be-greifen nicht.
tion im Grundsätzlichen
Das zeigt sich schon in
nicht selbst „basteln“.
den Ableitungen im Kommissionsbeschnittsinstitutionen, Professionalisie‚Checks and balances‘ sind Gegenstand
richt (denen ich in vielem zustimme, die
rung durch hauptamtliche Dekane
normativer Anordnung, also indisponiaber eben auch vieles im Unbestimmten
usw.). Insbesondere die Dritte Förderlibel, wenn sie in Grenzen auch unterlassen): Man brauche ein gut „entwinie bedinge eine Stärkung der Handschiedlich „gelebt“ werden können. Im
ckeltes Sensorium“ für „checks and balungsspielräume der Hochschulleitung.
Bericht ist das eine das „Formale“, das
lances“, die „richtige Mischung zwiDieser Topos gestärkter Hochschulleiandere die „gelebte Realverfassung“.
schen akademischer Selbstverwaltung
tungen ist der gewissermaßen subkutane
Das ist nur richtig, wenn man sich von
(bottom up) und einer starken Leitung
cantus firmus der Governance-Ausfühder Größe der Spielräume keine illusiorungen: Autonomie-Gewinne der Uninären Vorstellungen macht.
versitäten schlössen in der Regel auch
Wenn man die im Bundesstaat naAUTOR
eine Stärkung der rechtlichen Befugnisturgemäß nicht völlig einheitlichen
Professor Wolfgang
se der Hochschul- und FakultätsleitunLandeshochschulgesetze liest, wird der
Löwer lehrt Öffentligen gegenüber den Gremien akademivorgetragene Befund allenfalls noch als
ches Recht und Wisscher
Selbstverwaltung
ein.
Dieser
euroZerrbild erkennbar, wie es gelegentlich
senschaftsrecht an der
päische Trend sei „in den Landeshoch„Hochschulleiter“ vortragen nach dem
Friedrich-Wilhelmsschulgesetzen nicht oder wenig ambitioMotto: „Wenn man mich als allkompeUniversität Bonn und
ist Präsident der Nordniert implementiert“. Die „interne
tenten und allgütigen Universitätsherrn
rhein-Westfälischen
Steuerungsfähigkeit und das institutiodoch gewähren ließe …“.
Akademie der Wissenschaften und der
nelle Selbstverständnis der UniversitäDie Hochschulgesetze der jüngeren
Künste.
ten sei im internationalen Vergleich weVergangenheit haben die Gremienuni-
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versität, die die Ordinarienuniversität
gemeinkundiger Befund, dass AutonoLeitungsentscheidungen (wenn man die
abgelöst hatte, doch längst als ineffizienmiezuwächse in der Vergangenheit die
Position der Kommission vergröbert
ten Organisationsfehler erkannt. Sie haAutonomie der Hochschulleitungen und
wiedergibt). Dahinter steht doch unausben die Autonomiegewinne, die vor alnicht die der Kollegialgremien der
gesprochen die Überzeugung, dass Entlem mit den Globalhaushalten einhergeHochschulen forciert haben (Scholz/
scheidungen, die in neu projizierter
gangen sind, doch insbesondere bei den
Stein FuL 2015, 552).
‚Einsamkeit und Freiheit‘ (Helmut
Leitungsorganen ankommen lassen. Das
Welche Wünsche bleiben nach der
Schelsky) der Hochschulleitung getrofwichtigste Steuerungsinstrument sind
Lektüre der Hochschulgesetze der meisfen werden, nötig sind, um eine HochZiel- und Leistungsvereinbarungen, an
ten Länder denn noch offen? Zweifel
schule wirklich voranzubringen.
denen die Kollegialorgane der Universiam Befund der Kommission weckt auch
Entspricht dem irgendeine Empirie?
tät nicht effektiv beteiligt sind. Ziel- und
die Korrelation von HochschulautonoPolitisch vertrauen wir im parlamentariLeistungsvereinbarungen disponieren
mie im Sinne einer Reduzierung minisschen System u.a. auf das Formprinzip
über Forschungsmöglichkeiten, weil sie
terieller Einflussmöglichkeiten und Leisder Kollegialität und der checks and bafinanzrelevant sind. An den Planungstungsfähigkeit der Universitäten. Badenlances – und nicht auf einsame Entprozessen sind die Kollegialorgane nur
Württemberg und Bayern bleiben hinter
scheidungen. Wenn uns gelegentlich
marginal beteiligt. Ihre
einzelne Entscheidungen als
Kreationsrechte (Wahl des
„einsame Führung“ vorkom»Das Kollegialprinzip ist doch der
Rektors/Präsidenten oder
men, sollte man nicht überseDekans) sind für die Wahl
eigentliche Verlierer in der managerischen hen, dass sie anschließend im
des Rektors an einen fremSystem mit nachträglicher
Universität.«
den Willen (Hochschulrat)
Legitimation oder Delegitigebunden. Gleiches gilt für
mation verarbeitet werden.
die Abwahl von Rektor/Dekan (mit hödem Autonomiegrad des nordrheinIn anderen Sektoren funktionaler
herer Varianz bei den Dekanen). Die
westfälischen Rechts nach Maßgabe des
Selbstverwaltung (z.B. der freien Berufe
Residualkompetenz liegt bei den Hoch(inzwischen allerdings gesetzlich rückoder der Vertretung der Wirtschaft in
schulleitungen, die Kollegialorgane müswärtsgewandt reformiert) HochschulIndustrie und Handelskammern) oder
sen ihre Zuständigkeit aus Enumeratiofreiheitsgesetzes zurück, sind aber insgeerst recht bei der gebietskörperschaftlinen ableiten. Soweit die Selbstergänsamt erfolgreicher als die Universitäten
chen Selbstverwaltung (Gemeinde und
zung der verantwortlichen Wissenin Nordrhein-Westfalen und in den übriKreise) käme niemand auf die Idee,
schaftler auf die Hochschulen übertragen Bundesländern.
nach einer Kommandostruktur des Entgen ist, liegt die Letztentscheidung
scheidens im Interesse einer höheren
„nach der Realverfassung“ in einer InIII. Zwischenbemerkung
Entscheidungsqualität zu rufen.
tensität beim Rektorat, wie sie dem MiUnbeschadet der Richtigkeit der FestSchließlich: Sind wir eigentlich sinisterium nie zugestanden worden ist.
stellung, dass ein System sich selbstblocher, dass wir für den Organismus der
Das zuerst die Ordinarienuniversität
ckierender Kollegialität, das sich im unGroßunternehmen mit ihrer vorsichtigund dann die Gruppenuniversität begünstigsten Fall zur organisierten Vercaesaristischen Struktur die optimale
herrschende (zuerst enge, dann weite)
antwortungslosigkeit
denaturieren
Lösung gefunden haben? Wird in der
Kollegialprinzip ist doch der eigentliche
kann, überrascht aus politischer und
Wirtschaft nicht auch intensiv über das
Verlierer in der manageralen Universiwirtschaftlicher Perspektive das ZutrauThema „flachere Hierarchien“, also wetät. Es ist doch längst ein einigermaßen
en in die Leistungskraft von top down
niger Caesarismus, diskutiert?
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IV. Vom Nutzen der Lektüre der
dungen, die im Kern wissenschaftlich
kultätsrats rückzuversichern, muss um
Verfassung
geprägt waren, durften aber nicht ohne
sein Amt fürchten müssen.
Das „Produkt“, das die manageriale
maß-gebenden Einfluss der WissenAllerdings reichen kommunizierende
Universität hervorbringen soll, entsteht
schaftsseite getroffen werden. EntscheiRöhren für hierarchisches Entscheiden
völlig unabhängig von organisationsdungen aus angemaßtem Fremdwissen
und Kontrolle allein nicht aus. Das Gerechtlichen oder governancegestützten
war vorgebeugt.
richt identifiziert auch Entscheidungen,
Mechanismen: Es soll das Neue in die
Als dieses Modell nach einigermadie wichtigste ist die Zielvereinbarung,
Welt gebracht werden. Das setzt Kreatißen einheitlicher Auffassung aller Beoban denen der Senat entscheidungserhebvität, Fleiß, Beharrlichkeit von Indiviachter (aus welchen Gründen auch imlich mitwirken können muss. Gleiches
dualisten voraus, die gleichwohl häufig
mer) gescheitert war – dieser Befund
gilt für Planungsprozesse, die nicht ohne
im Team kooperieren und zumeist für
war seit Anfang der 90er Jahre des vorikollegiale Mitsteuerung wirksam werihre Forschung Geld brauchen. Der Ergen Jahrhunderts einigermaßen stabil -,
den dürfen.
folg ist nicht planbar, selten vorhersehhat das Gericht auch die Wende zur maHinter diesen Deduktionen steht als
bar, nicht einmal monetäre Incentives
nagerialen Universität im Grundsatz geverfassungsrechtliches Eckdatum, dass
mögen ihn herbeizuzwingen. Das Bebilligt (Brandenburg-Beschluss) und auf
Strukturentscheidungen wissenschaftseinflussbare erschöpft sich
prägender Natur keine bloßen
in der Identifikation und
Management-Entscheidungen
»Strukturentscheidungen wissenschafts- sein dürfen. Den LeitungsorgaGewinnung möglichst leistungsfähiger Wissenschaftnen dürfen dann weitreichende
prägender Natur dürfen keine bloßen
ler. Schon deren IdentifikaKompetenzen zustehen, wenn
Management-Entscheidungen sein.«
tion
setzt
regelmäßig
die daraus abgeleiteten EntKenntnisse voraus, die in
scheidungen vor ihrer Wirkder Vielzahl der Fälle bei der LeitungsSicherungsmechanismen gegenüber der
samkeit im Kollegialzusammenhang
spitze nicht vorhanden sind; deshalb
Hierarchisierung von Entscheidungen
insbesondere mit den Wissenschaftlern
bedarf die Berufung eben auch einer
zunächst verzichtet, weil es meinte, es
und den Wissenschaftlerinnen im Gezweckrationalen Vorbereitung durch
genüge, die individuelle Wissenschaftsspräch gehärtet worden sind. Topein entsprechendes Verfahren, das der
freiheit zu schützen.
Down- und Bottom-up-Prozesse sollen
Leitungsspitze nur begrenzten Einfluss
Erst mit dem Hamburger-Dekanesich im Diskurs begegnen, statt der Hiegestattet, damit nicht aus angemaßtem
Beschluss und dem Beschluss zur Medirarchie freie Bahn zu geben. „Freie
Fremdwissen entschieden wird.
zinischen Hochschule Hannover grenzt
Bahn“ würde dazu führen, dass LeiDie Verfassung weiß alles dies: Sie
das Gericht den Modus der Hierarchie
tungsorgane auf der Basis angemaßten
räumt der Wissenschaft und ihrer Eigenstärker ein, indem Hierarchieprinzip
Fremdwissens agieren. Das aber wäre
gesetzlichkeit einen Freiraum ein, der
und Kollegialprinzip für im Kern wisnicht wissenschaftsadäquat. Und das ist
auch jeder Organisation, auch wenn sie
senschaftliche Fragen zum Ausgleich gekeine Frage des „Sensoriums“ oder der
Governance genannt wird, Grenzen
bracht werden. Das Gericht wendet sich
„Bereitschaft zum Diskurs“, sondern
zieht. Das gilt kraft nationalem Verfaszwar nicht gegen die Stärkung der Leizwingende Vorgabe, wenn es um die
sungsrecht und kraft UniGesamthandsverantwortung
onsrecht (Art. 5 Abs. 3 GG,
von Wissenschaft und Hoch»Je mehr Kompetenzen zu LeitungsArt. 13 GRCh). Das Freischulleitung für Zielvereinbaheitsversprechen für die
aufgaben werden, desto mehr Kontrolle rungen und wissenschaftsstrukWissenschaft ist natürlich
turelle Entscheidungen von
ist auf der Kollegialebene zu leisten.«
nicht realitätsfremd und
vergleichbarem Gewicht geht.
blind gegenüber der TatsaWas die Gesetze den Hochche, dass sich diese Freiheit nur innertungsebene auf zentraler und fakultärer
schulleitungen derzeit an Kompetenzfülhalb einer Organisation entfalten kann,
Ebene, verlangt aber, dass die Träger des
le gewähren, geht demnach punktuell zu
dass sie auf die Nutzung der knappen
Kollegialprinzips mit den Trägern des
weit.
Ressource Steuergeld angewiesen ist,
hierarchischen Prinzips gewissermaßen
In der verfassungsrechtlichen Logik
dass der einzelne Forscher in der Verim Dialog bleiben, indem eine Responsidieses Systems liegt nicht die Ausstateinzelung nicht mehr der Grundfall wisvität zwischen Kompetenzanreicherung
tung der Leitungsebene mit weiteren
senschaftlicher Arbeit ist. Die Verfasauf der Leitungsebene und den KonKompetenzen, wie dies der Kommissisung gibt dem demokratischen Gesetztrollkompetenzen der Kollegialebene
onsbericht anzudeuten scheint (ohne
geber auch Raum, sein Bild der Uniververlangt wird. Je mehr Kompetenzen zu
eventuell dafür geeignete Zuständigkeisität als „Gelehrtenrepublik“ klassischer
Leitungsaufgaben werden, desto mehr
ten zu benennen). In der Logik dieses
Prägung oder als managerial gesteuerKontrolle ist auf der Kollegialebene zu
Systems wird vielmehr die Wissentem, übrigens immer auch bürokratileisten. Durch das Medium der Kontrolschaftsseite intensiv mit der Erwartung
schen, Organismus zu normieren.
le wird die Vermittlung von Top-Downbelastet, dass sie sich der MitgestalDeshalb hat das BundesverfassungsEntscheidungen gewissermaßen „ertungsverantwortung durch Mitentscheigericht die große Weichenstellung in der
zwungen“. Wichtigster Hebel in diesem
den und Kontrolle auch stellt. Vom
Hochschulorganisation von der OrdinaZusammenhang ist die Möglichkeit, den
MHH-Beschluss geht die Botschaft an
rienuniversität zur Gruppenuniversität
Amtsverlust durch Abwahl herbeizufühdie Wissenschaftler und Wissenschaftleauch nicht für verfassungswidrig befunren. Wer sich nicht darum bemüht, hierinnen aus: Kümmert Euch um Eure
den. Das Kollegialprinzip als Grundverrarchische Entscheidungsverantwortung
Hochschule und überlasst sie nicht alfassungsnorm blieb erhalten. Entscheiim Kollegium des Senats oder des Falein der Hochschulleitung!