674 HOCHSCHULLEITUNG Forschung & Lehre 8|16 Freie Bahn für Hierarchie? Grenzen der Machtkonzentration bei Hochschulleitungen | W O L F G A N G L Ö W E R | Die Frage, wie eine Universität am besten geführt und verwaltet werden soll, wird immer wieder kontrovers erörtert. Zuletzt fachte der Evaluationsbericht zur Exzellenzinitiative, in dem eine „starke Hochschulleitung“ gefordert wurde, die Diskussion wieder an. Haben die deutschen Universitäten Nachholbedarf beim Thema Governance? Eine Analyse. nig ausgeprägt.“ Interne Steuerungsfähigkeit heißt aber offenbar: „Starke interne Governance“, wie sie für internationale Spitzenuniversitäten typisch sei. „Stark“ ist solche Governance, wenn sie die Universitäten von oben steuern kann. Kurzum: Die Kommission steht unter dem Eindruck, an den deutschen Universitäten bestehe immer noch ein großes ungenutztes Potenzial und ein substanzieller Nachholbedarf beim Thema universitäre Governance. I. Universitas semper refor(top down)“, was eine große „Kommumanda? nikations– und KonsultationsbereitDer Imboden-Bericht zur Evaluation schaft“ aller Führungspersonen vorausder Exzellenzinitiative ruft neuerlich in setze. „Sensorium“ und „Bereitschaften“ Erinnerung, dass die Diskussion um die zielen auf subjektive Qualitäten von innere Organisation der Universität ein Führungspersonen; Regeln für „checks Dauerthema ist. Der Bericht thematiand balances“ müssten einem „Sensorisiert als Erfolgsbedingung für Exzellenz um“ vorausliegen, damit man bei seiII. Vom Nutzen der Lektüre der (unter 3.2) die „Governance der Uninem Fehlen auch reagieren kann. Gesetze versitäten“; sie ist offenbar von zentraDie Kommission benennt zur IllusUniversitäten sind steuerfinanzierte, öfler Bedeutung, wenn „eine Universität tration ihres Ansatzes manche Phänofentlich-rechtliche Rechtspersonen, dezu den Besten der Welt gehören will.“ mene (Reorganisations- und Integratiren Ressourcenverwendung rechenMit solchen Aussagen ist schon desonsprozesse durch Graduiertenschulen, schaftspflichtig ist. Deshalb ist ihre Orhalb nicht einfach umzugehen, weil der Verbünde, Exzellenzcluster als Querganisation so geregelt, wie sie der degewählte Begriff der Govermokratische Gesetzgenance keinen sonderlich präber für funktionsgerecht »Der Begriff der Governance erleichtert zisen Zuweisungsgehalt hat. hält. Die Universität Dieser Begriff erleichtert jekann sich ihre Organisadas Be-greifen nicht.« denfalls das Be-greifen nicht. tion im Grundsätzlichen Das zeigt sich schon in nicht selbst „basteln“. den Ableitungen im Kommissionsbeschnittsinstitutionen, Professionalisie‚Checks and balances‘ sind Gegenstand richt (denen ich in vielem zustimme, die rung durch hauptamtliche Dekane normativer Anordnung, also indisponiaber eben auch vieles im Unbestimmten usw.). Insbesondere die Dritte Förderlibel, wenn sie in Grenzen auch unterlassen): Man brauche ein gut „entwinie bedinge eine Stärkung der Handschiedlich „gelebt“ werden können. Im ckeltes Sensorium“ für „checks and balungsspielräume der Hochschulleitung. Bericht ist das eine das „Formale“, das lances“, die „richtige Mischung zwiDieser Topos gestärkter Hochschulleiandere die „gelebte Realverfassung“. schen akademischer Selbstverwaltung tungen ist der gewissermaßen subkutane Das ist nur richtig, wenn man sich von (bottom up) und einer starken Leitung cantus firmus der Governance-Ausfühder Größe der Spielräume keine illusiorungen: Autonomie-Gewinne der Uninären Vorstellungen macht. versitäten schlössen in der Regel auch Wenn man die im Bundesstaat naAUTOR eine Stärkung der rechtlichen Befugnisturgemäß nicht völlig einheitlichen Professor Wolfgang se der Hochschul- und FakultätsleitunLandeshochschulgesetze liest, wird der Löwer lehrt Öffentligen gegenüber den Gremien akademivorgetragene Befund allenfalls noch als ches Recht und Wisscher Selbstverwaltung ein. Dieser euroZerrbild erkennbar, wie es gelegentlich senschaftsrecht an der päische Trend sei „in den Landeshoch„Hochschulleiter“ vortragen nach dem Friedrich-Wilhelmsschulgesetzen nicht oder wenig ambitioMotto: „Wenn man mich als allkompeUniversität Bonn und ist Präsident der Nordniert implementiert“. Die „interne tenten und allgütigen Universitätsherrn rhein-Westfälischen Steuerungsfähigkeit und das institutiodoch gewähren ließe …“. Akademie der Wissenschaften und der nelle Selbstverständnis der UniversitäDie Hochschulgesetze der jüngeren Künste. ten sei im internationalen Vergleich weVergangenheit haben die Gremienuni- 8|16 675 HOCHSCHULLEITUNG Forschung & Lehre versität, die die Ordinarienuniversität gemeinkundiger Befund, dass AutonoLeitungsentscheidungen (wenn man die abgelöst hatte, doch längst als ineffizienmiezuwächse in der Vergangenheit die Position der Kommission vergröbert ten Organisationsfehler erkannt. Sie haAutonomie der Hochschulleitungen und wiedergibt). Dahinter steht doch unausben die Autonomiegewinne, die vor alnicht die der Kollegialgremien der gesprochen die Überzeugung, dass Entlem mit den Globalhaushalten einhergeHochschulen forciert haben (Scholz/ scheidungen, die in neu projizierter gangen sind, doch insbesondere bei den Stein FuL 2015, 552). ‚Einsamkeit und Freiheit‘ (Helmut Leitungsorganen ankommen lassen. Das Welche Wünsche bleiben nach der Schelsky) der Hochschulleitung getrofwichtigste Steuerungsinstrument sind Lektüre der Hochschulgesetze der meisfen werden, nötig sind, um eine HochZiel- und Leistungsvereinbarungen, an ten Länder denn noch offen? Zweifel schule wirklich voranzubringen. denen die Kollegialorgane der Universiam Befund der Kommission weckt auch Entspricht dem irgendeine Empirie? tät nicht effektiv beteiligt sind. Ziel- und die Korrelation von HochschulautonoPolitisch vertrauen wir im parlamentariLeistungsvereinbarungen disponieren mie im Sinne einer Reduzierung minisschen System u.a. auf das Formprinzip über Forschungsmöglichkeiten, weil sie terieller Einflussmöglichkeiten und Leisder Kollegialität und der checks and bafinanzrelevant sind. An den Planungstungsfähigkeit der Universitäten. Badenlances – und nicht auf einsame Entprozessen sind die Kollegialorgane nur Württemberg und Bayern bleiben hinter scheidungen. Wenn uns gelegentlich marginal beteiligt. Ihre einzelne Entscheidungen als Kreationsrechte (Wahl des „einsame Führung“ vorkom»Das Kollegialprinzip ist doch der Rektors/Präsidenten oder men, sollte man nicht überseDekans) sind für die Wahl eigentliche Verlierer in der managerischen hen, dass sie anschließend im des Rektors an einen fremSystem mit nachträglicher Universität.« den Willen (Hochschulrat) Legitimation oder Delegitigebunden. Gleiches gilt für mation verarbeitet werden. die Abwahl von Rektor/Dekan (mit hödem Autonomiegrad des nordrheinIn anderen Sektoren funktionaler herer Varianz bei den Dekanen). Die westfälischen Rechts nach Maßgabe des Selbstverwaltung (z.B. der freien Berufe Residualkompetenz liegt bei den Hoch(inzwischen allerdings gesetzlich rückoder der Vertretung der Wirtschaft in schulleitungen, die Kollegialorgane müswärtsgewandt reformiert) HochschulIndustrie und Handelskammern) oder sen ihre Zuständigkeit aus Enumeratiofreiheitsgesetzes zurück, sind aber insgeerst recht bei der gebietskörperschaftlinen ableiten. Soweit die Selbstergänsamt erfolgreicher als die Universitäten chen Selbstverwaltung (Gemeinde und zung der verantwortlichen Wissenin Nordrhein-Westfalen und in den übriKreise) käme niemand auf die Idee, schaftler auf die Hochschulen übertragen Bundesländern. nach einer Kommandostruktur des Entgen ist, liegt die Letztentscheidung scheidens im Interesse einer höheren „nach der Realverfassung“ in einer InIII. Zwischenbemerkung Entscheidungsqualität zu rufen. tensität beim Rektorat, wie sie dem MiUnbeschadet der Richtigkeit der FestSchließlich: Sind wir eigentlich sinisterium nie zugestanden worden ist. stellung, dass ein System sich selbstblocher, dass wir für den Organismus der Das zuerst die Ordinarienuniversität ckierender Kollegialität, das sich im unGroßunternehmen mit ihrer vorsichtigund dann die Gruppenuniversität begünstigsten Fall zur organisierten Vercaesaristischen Struktur die optimale herrschende (zuerst enge, dann weite) antwortungslosigkeit denaturieren Lösung gefunden haben? Wird in der Kollegialprinzip ist doch der eigentliche kann, überrascht aus politischer und Wirtschaft nicht auch intensiv über das Verlierer in der manageralen Universiwirtschaftlicher Perspektive das ZutrauThema „flachere Hierarchien“, also wetät. Es ist doch längst ein einigermaßen en in die Leistungskraft von top down niger Caesarismus, diskutiert? Anzeige Georg ForsterForschungspreis Mit dem Georg Forster-Forschungspreis zeichnet die Alexander von Humboldt-Stiftung Forscherinnen und Forscher aller Fachrichtungen aus Schwellen- und Entwicklungsländern aus. Die Preisträger sollen bereits international anerkannt sein und mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit helfen, Lösungen für entwicklungsrelevante Aufgaben zu finden. Nominieren Sie als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler an einer deutschen Forschungseinrichtung eine herausragende Forscherpersönlichkeit, um gemeinsam eine langfristige internationale Zusammenarbeit aufzubauen. Finanziert wird die Auszeichnung in Höhe von jeweils 60.000 Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Nominierungsfrist ist der 15. Januar 2017. www.humboldt-foundation.de/georg-forster-preis 676 HOCHSCHULLEITUNG Forschung & Lehre 8|16 IV. Vom Nutzen der Lektüre der dungen, die im Kern wissenschaftlich kultätsrats rückzuversichern, muss um Verfassung geprägt waren, durften aber nicht ohne sein Amt fürchten müssen. Das „Produkt“, das die manageriale maß-gebenden Einfluss der WissenAllerdings reichen kommunizierende Universität hervorbringen soll, entsteht schaftsseite getroffen werden. EntscheiRöhren für hierarchisches Entscheiden völlig unabhängig von organisationsdungen aus angemaßtem Fremdwissen und Kontrolle allein nicht aus. Das Gerechtlichen oder governancegestützten war vorgebeugt. richt identifiziert auch Entscheidungen, Mechanismen: Es soll das Neue in die Als dieses Modell nach einigermadie wichtigste ist die Zielvereinbarung, Welt gebracht werden. Das setzt Kreatißen einheitlicher Auffassung aller Beoban denen der Senat entscheidungserhebvität, Fleiß, Beharrlichkeit von Indiviachter (aus welchen Gründen auch imlich mitwirken können muss. Gleiches dualisten voraus, die gleichwohl häufig mer) gescheitert war – dieser Befund gilt für Planungsprozesse, die nicht ohne im Team kooperieren und zumeist für war seit Anfang der 90er Jahre des vorikollegiale Mitsteuerung wirksam werihre Forschung Geld brauchen. Der Ergen Jahrhunderts einigermaßen stabil -, den dürfen. folg ist nicht planbar, selten vorhersehhat das Gericht auch die Wende zur maHinter diesen Deduktionen steht als bar, nicht einmal monetäre Incentives nagerialen Universität im Grundsatz geverfassungsrechtliches Eckdatum, dass mögen ihn herbeizuzwingen. Das Bebilligt (Brandenburg-Beschluss) und auf Strukturentscheidungen wissenschaftseinflussbare erschöpft sich prägender Natur keine bloßen in der Identifikation und Management-Entscheidungen »Strukturentscheidungen wissenschafts- sein dürfen. Den LeitungsorgaGewinnung möglichst leistungsfähiger Wissenschaftnen dürfen dann weitreichende prägender Natur dürfen keine bloßen ler. Schon deren IdentifikaKompetenzen zustehen, wenn Management-Entscheidungen sein.« tion setzt regelmäßig die daraus abgeleiteten EntKenntnisse voraus, die in scheidungen vor ihrer Wirkder Vielzahl der Fälle bei der LeitungsSicherungsmechanismen gegenüber der samkeit im Kollegialzusammenhang spitze nicht vorhanden sind; deshalb Hierarchisierung von Entscheidungen insbesondere mit den Wissenschaftlern bedarf die Berufung eben auch einer zunächst verzichtet, weil es meinte, es und den Wissenschaftlerinnen im Gezweckrationalen Vorbereitung durch genüge, die individuelle Wissenschaftsspräch gehärtet worden sind. Topein entsprechendes Verfahren, das der freiheit zu schützen. Down- und Bottom-up-Prozesse sollen Leitungsspitze nur begrenzten Einfluss Erst mit dem Hamburger-Dekanesich im Diskurs begegnen, statt der Hiegestattet, damit nicht aus angemaßtem Beschluss und dem Beschluss zur Medirarchie freie Bahn zu geben. „Freie Fremdwissen entschieden wird. zinischen Hochschule Hannover grenzt Bahn“ würde dazu führen, dass LeiDie Verfassung weiß alles dies: Sie das Gericht den Modus der Hierarchie tungsorgane auf der Basis angemaßten räumt der Wissenschaft und ihrer Eigenstärker ein, indem Hierarchieprinzip Fremdwissens agieren. Das aber wäre gesetzlichkeit einen Freiraum ein, der und Kollegialprinzip für im Kern wisnicht wissenschaftsadäquat. Und das ist auch jeder Organisation, auch wenn sie senschaftliche Fragen zum Ausgleich gekeine Frage des „Sensoriums“ oder der Governance genannt wird, Grenzen bracht werden. Das Gericht wendet sich „Bereitschaft zum Diskurs“, sondern zieht. Das gilt kraft nationalem Verfaszwar nicht gegen die Stärkung der Leizwingende Vorgabe, wenn es um die sungsrecht und kraft UniGesamthandsverantwortung onsrecht (Art. 5 Abs. 3 GG, von Wissenschaft und Hoch»Je mehr Kompetenzen zu LeitungsArt. 13 GRCh). Das Freischulleitung für Zielvereinbaheitsversprechen für die aufgaben werden, desto mehr Kontrolle rungen und wissenschaftsstrukWissenschaft ist natürlich turelle Entscheidungen von ist auf der Kollegialebene zu leisten.« nicht realitätsfremd und vergleichbarem Gewicht geht. blind gegenüber der TatsaWas die Gesetze den Hochche, dass sich diese Freiheit nur innertungsebene auf zentraler und fakultärer schulleitungen derzeit an Kompetenzfülhalb einer Organisation entfalten kann, Ebene, verlangt aber, dass die Träger des le gewähren, geht demnach punktuell zu dass sie auf die Nutzung der knappen Kollegialprinzips mit den Trägern des weit. Ressource Steuergeld angewiesen ist, hierarchischen Prinzips gewissermaßen In der verfassungsrechtlichen Logik dass der einzelne Forscher in der Verim Dialog bleiben, indem eine Responsidieses Systems liegt nicht die Ausstateinzelung nicht mehr der Grundfall wisvität zwischen Kompetenzanreicherung tung der Leitungsebene mit weiteren senschaftlicher Arbeit ist. Die Verfasauf der Leitungsebene und den KonKompetenzen, wie dies der Kommissisung gibt dem demokratischen Gesetztrollkompetenzen der Kollegialebene onsbericht anzudeuten scheint (ohne geber auch Raum, sein Bild der Uniververlangt wird. Je mehr Kompetenzen zu eventuell dafür geeignete Zuständigkeisität als „Gelehrtenrepublik“ klassischer Leitungsaufgaben werden, desto mehr ten zu benennen). In der Logik dieses Prägung oder als managerial gesteuerKontrolle ist auf der Kollegialebene zu Systems wird vielmehr die Wissentem, übrigens immer auch bürokratileisten. Durch das Medium der Kontrolschaftsseite intensiv mit der Erwartung schen, Organismus zu normieren. le wird die Vermittlung von Top-Downbelastet, dass sie sich der MitgestalDeshalb hat das BundesverfassungsEntscheidungen gewissermaßen „ertungsverantwortung durch Mitentscheigericht die große Weichenstellung in der zwungen“. Wichtigster Hebel in diesem den und Kontrolle auch stellt. Vom Hochschulorganisation von der OrdinaZusammenhang ist die Möglichkeit, den MHH-Beschluss geht die Botschaft an rienuniversität zur Gruppenuniversität Amtsverlust durch Abwahl herbeizufühdie Wissenschaftler und Wissenschaftleauch nicht für verfassungswidrig befunren. Wer sich nicht darum bemüht, hierinnen aus: Kümmert Euch um Eure den. Das Kollegialprinzip als Grundverrarchische Entscheidungsverantwortung Hochschule und überlasst sie nicht alfassungsnorm blieb erhalten. Entscheiim Kollegium des Senats oder des Falein der Hochschulleitung!
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