Neue Zuger Zeitung

Montag, 18. Juli 2016 / Nr. 164
Kultur
Neue Zuger Zeitung
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Sommerliche und musikalische Wärme
CHAM Überzeugendes Gastkonzert des Bläserquintetts
«Azahar»: Das Publikum erlebt
Spielfreude und eine musikalische Wärme, die sich gut mit
den Temperaturen verbindet.
JÜRG RÖTHLISBERGER
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Schon in den humoristisch gefärbten
Erläuterungen zum Konzertort Enikerhof Cham fand der in der wissenschaftlichen Bauernhausforschung tätige Geograf Benno Furrer den Weg zum Publikum. Der Enikerhof war einer der
zahlreichen Weiler, aus denen sich die
Gemeinde ursprünglich zusammensetzte. Er blieb aber klein, und so konnte
die Gastgeberfamilie Rüttimann am
rasch nahenden Stadtrand immer noch
zahlreiche Produkte aus eigener Landwirtschaft anbieten.
«Azahar» bedeutet in der andalusischen Originalsprache «Orangenblüte»:
Unter diesem Namen konzertierten Frederic Sanchez Muñoz, Flöte, Maria Alba
Carmona Tobella, Oboe, Gonzalo Esteban Francisco, Klarinette, Antonio Lagares Abeal, Horn, sowie Miriam Kofler,
Fagott. Die Interpreten hatten seit ihrer
sechs Jahre zurückliegenden Studienzeit
immer wieder als Ensemble musiziert.
Neben dem souveränen individuellen
Können ergab sich dadurch wie selbstverständlich ein lebendiges und gleichzeitig präzises Zusammenspiel, dem sich
die relativ kurzfristig eingesprungene
Fagottistin ebenbürtig anschloss.
Steigerung des Hornisten
Im Vergleich mit anderen Ensembles
führte die Flötenstimme recht stark, oft
ähnlich wie die erste Geige im Streichquartett. Neben der Literaturauswahl,
vor allem im ersten Teil, wurde dies
durch das bis in die tiefsten Lagen imposante Klangvolumen des Flöteninstruments unterstützt. Die Oboistin –
meist zweite Stimme – fand die angemessene Klangbalance zwischen
selbstständiger konzertanter Gestaltung
und Begleitfunktion. Die Klarinette
spielte fast immer Mittelstimme, was
eigentlich schade war, weil der Interpret
so nur selten seine auch in der Höhe
ausgezeichnete Klanggestaltung einbringen konnte. Nach eher verhaltenem
Das Publikum ist
begeistert von den
Vorträgen.
Bild Stefan Kaiser
Beginn meisterte der Hornist die nach
der Pause oft hohen technischen
Schwierigkeiten magistral, und er wusste auch beim Einbringen neuer Themen
angemessen zu führen.
Die meisten Bläserkomponisten haben für wechselnde Besetzungen geschrieben, und damit sind für fest zusammengesetzte Gruppen die Bearbeitungen fast nicht zu vermeiden.
Immerhin bestand der Schwerpunkt des
Programms aus drei Originalkompositionen. Am besten gefiel offensichtlich
das Quintett Opus 91 von Anton Reicha
(1770–1836) mit seiner klaren Struktur,
die eigenwillig, aber überzeugend vorgetragen wurde. Die Einleitung erinnerte zunächst an eine französische Ouvertüre, fand dann aber schnell die klassische Sonatenform. Im gewählten – und
präzise durchgehaltenen – Tempo verwandelte sich das Menuett in ein Scherzo; imponierend gelangen auch die
zahlreichen sehr raschen Tonwiederholungen im Schlusssatz. Einzig dem
Adagio – der Vortrag war eher in der
Nähe eines Andante – hätte man gerne
etwas mehr Ruhepunkte gegönnt.
Auf ausgezeichnetem Niveau gelangen
auch das wohl bekannte Quintett Opus
31 von Samuel Barber (1910–1981) und
das vor zwei Jahren entstandene Bläserquintett von Gija Kacheli (1935 geboren).
Besonders imponierte beim fast 80-jährigen Georgier der Einfallsreichtum zwischen einfachen bis beinahe atonalen
Strukturen, mit Überleitungen, die
manchmal streng klassisch und dann
wieder fast sentimental erschienen. Stilgerecht wirkte die Bearbeitung Mozart,
KV 616, weil ja Mozart selber die Orgelwalze des Originals auch nur als Notbehelf verstand. Die «Fünf Zigeunertänze» von Joaquim Turina (1882–1949),
Opus 55, waren für unsere Hörgewohn-
heiten höchstens von der Original-Zigeunermusik inspiriert.
Das überaus zahlreiche Publikum füllte das Eventlokal auf dem Hof bis auf
den letzten Platz und beheizte damit
das sonnenbeschienene Haus noch zusätzlich. Aber angesichts der Qualität
des Gebotenen störte dies kaum jemanden. Als einzige Konzession entschlossen sich die Musiker, die zweite Hälfte
ohne Veston und Krawatte zu spielen.
Den überaus intensiven Schlussapplaus
verdankten sie mit einer Bearbeitung
des Liedes «An Chloe» von Reynaldo
Hahn (1874–1947).
Das Instrument erfordert seinen vollen Körpereinsatz
ZUG Vom Kirchenschiff aus
den Organisten beim Spiel
beobachten: Die Liveübertragung auf Leinwand beschert
einen Konzertgenuss der ganz
anderen Art. Das gefällt.
Man sah den Leuten die Ungewissheit,
was sie erwarten würde, förmlich an,
als sie am Freitagabend die St.-MichaelKirche betraten. Man wusste natürlich,
es wird ein Orgelkonzert mit unkonventionellem Programm geben, bei dem
das Spiel des Organisten live auf eine
Leinwand übertragen wird.
Doch wie mag dies umgesetzt werden? Wie wird sich die Wirkung entfalten? Wie authentisch wird das musikalische Erlebnis? Das Equipment
stand: Eine grosse Leinwand vor dem
Volksaltar, ein Beamer und eine Lautsprecherinstallation.
Die Technik
machts möglich:
Auf der Leinwand
verfolgt das
Publikum live das
Orgelspiel von
Miklos Árpás auf
der Empore.
Auf den Raum abgestimmt
Diese Art von Orgelkonzert war faktisch ein Pilotversuch von Miklos Árpás.
Der Zuger Kirchenmusiker wollte damit
die in letzter Zeit weitgehend «brach»
liegende Kuhn-Orgel der Michaelskirche
aufleben lassen und ihr erstaunliches
Potenzial einem interessierten Publikum
vorführen. Und das gelang dem gebürtigen Ungarn auf der ganzen Linie. Die
Übertragung mit unterschiedlichen Perspektiven und stimmungsvollen Überblendungen klappte perfekt, sie war
exakt mit der natürlichen Klangverzö-
Bild Werner Schelbert
zarts C-Sinfonie kam mit dem «Fête des
Vignerons» aus der Suite Helvétique von
Stephan Thomas fast ein bisschen Lefébure-Wely-Stimmung in der Michaelskirche auf. Ähnlich verspielt interpretierte Árpás drei Schubert-Kompositionen,
und mit Volksliedern von Béla Bartók
erfüllten geradezu slawische Weisen die
weiten Gewölbe der Kirche. Diese erwies
sich mit ihren monumentalen Ausmassen als idealer Raum für ein Instrument
von der Grösse der Kuhn-Orgel. Der
intensive Hall verlieh dem Spiel eindrucksvolles Volumen. Als ziemlich
nachteilhaft hingegen zeigte sich dieser
Umstand für die erklärenden Einschübe
des Organisten. Per Mikrofon erläuterte
er von der Empore aus jeweils das folgende Werk. Je nach Sitzposition im
Schiff waren die Worte aus den Lautsprechern nur schwer bis kaum verständlich. Das war zwar schade, tat aber dem
Konzertgenuss keinen Abbruch. Mit dem
melodiös-dramatischen letzten Satz des
zweiten Brahms-Klavierkonzerts fand
das eindrucksvolle Programm fulminant
sein offizielles Ende. Selbstredend, gab
es gleich noch eine Zugabe: Auf dem
Orgelpedal solo spielte Miklos Árpás die
Courante aus Bachs erster Cello-Suite.
Ein Schuss ins Schwarze
gerung des Instrumentes in diesem
voluminösen Kirchenraum abgestimmt,
so dass Bild und Ton stets zu 100 Prozent synchron waren. Bereits nach wenigen Takten ging begeistertes Raunen
durch das Publikum. Wo hatte man
zuvor schon dem Organisten live beim
Spiel zusehen können, entspannt und
ohne Verrenkungen in den Kirchenbänken sitzend?
Die Programmwahl mit vorwiegend
eigenen Orgelarrangements symphonischer Orchesterwerke ermöglichte Miklos Árpás das breite Ausloten des eindrucksvollen Instruments – auch unter
Anwendung selten gebrauchter Register.
Entsprechend gestaltete sich sein Körpereinsatz, der ihn zuweilen ins Schwitzen brachte. Gefühlt hautnah konnten
die Besucher mitverfolgen, wie der Musiker virtuos über die drei Manuale und
das Orgelpedal fegte und den profanen
Orchesterwerken eine sakrale Note verlieh. Nach dem Allegro Vivace aus Mo-
Der Beifall des hochbegeisterten Publikums war riesig, man verdankte dem
Ungarn seine Leistung gar mit einer
stehenden Ovation. Der ungewöhnliche
Anlass erwies sich als ein Schuss ins
Schwarze, der geradezu nach einer weiteren Ausgabe schreit.
ANDREAS FAESSLER
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