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SÜDKURIER NR. 163 | K
SAMSTAG, 16. JULI 2016
S AÜ M
D KS U
T ARGI E, R1 6N. RJ. U1L6I 32 0| 1K6
Kultur in der Region 33
Kultur in der Region 33
Moderne Kunst
im Rheintal
Für alle Kunstinteressierten bietet die
Region Rheintal vom Bodensee bis nach
Graubünden ein einmalig breites Spektrum. Um dem gemeinsamen Publikum in den Sommermonaten besondere Vorteile bieten zu können, haben sich
die führenden Häuser der Region – das
Kunsthaus Bregenz, das Kunstmuseum
St. Gallen, das Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz und das jüngst eröffnete
Bündner Kunstmuseum in Chur – seit
2001 zu einer Kooperation zusammengeschlossen.
Mit einer Postkarte wird zudem auf
die Sommerausstellungen in allen
Häusern hingewiesen. Die Kulturachse-Karte ermöglicht einen ermäßigten
Eintritt. Sie liegt in den vier Institutionen sowie bei Tourismusinformationszentren der Region auf.
In den beteiligten Häusern erwartet
die Besucher während der Sommermonate ein hochrangiges Angebot an internationaler moderner und zeitgenössischer Kunst. Das Kunsthaus Bregenz
präsentiert den ägyptischen Künstler Wael Shawky (* 1971), der die Geschichte der Kreuzzüge neu erzählt –
als verfilmtes Marionettentheater. Mit
der Filmtrilogie Cabaret Crusades, deren erster Teil ihn 2011 schlagartig berühmt gemacht hat, zeichnet Shawky
die Kriegshistorie aus arabischer Sicht
nach. In Bregenz sind neben den jüngsten Filmen der Trilogie auch die Puppenfiguren ausgestellt, als neues Werk
entsteht ein raumgroßes Flugzeug,
Sinnbild sowohl für die Anschläge von
9/11 als auch die legendäre Pilgerfahrt
nach Mekka, den Hadsch.
Das Kunstmuseum St. Gallen überspannt mit drei Ausstellungen einen
kunsthistorischen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten. Unter dem Titel
Heilige, Wunder und Visionen zeigt es
erstmals Ikonen und weitere Kultgegenstände aus der Schenkung Gürtler,
mit der das Museum 2013 bedacht wurde. Abgründiges in der Kunst von Albrecht Dürer bis Martin Disler ist in der
Ausstellung The Dark Side of the Moon
zusammengestellt. Die Lokremise
schließlich steht mit „Simon Starling –
Zum Brunnen“ im Zeichen eines Kunstschaffens, das sich auf die ökologischen
und ökonomischen Systeme von heute
bezieht.
Mit Charlotte Moth. Travelogue lädt
das Kunstmuseum Liechtenstein dazu
ein, das Geheimnisvolle im Vertrauten zu entdecken. Die britische Künstlerin Charlotte Moth (* 1978) verbindet
in ihrer ersten umfassenden Museumsausstellung Fotografie und Film,
Diaprojektionen und skulpturale Anordnungen zu besonderen räumlichen
Inszenierungen. Im Ausstellungsgebäude der Hilti Art Foundation sind 50
Gemälde und Plastiken aus dem Gesamtbestand der privaten Kunstsammlung zu sehen.
Nach gut zweijähriger Bauzeit feiert
das erweiterte Bündner Kunstmuseum Chur mit „Solo Walks“. Eine Galerie des Gehens seine Wiedereröffnung.
Leitmotiv der Ausstellung ist Alberto
Giacomettis Plastik L’homme qui marche. Das Werk des bedeutenden, aus
Graubünden stammenden Künstlers ist
Ausgangspunkt für eine besondere Beschäftigung mit dem Thema Gehen. (sk)
Weitere Infos: www.kunsthaus-bregenz.at;
www.kunstmuseumsg.ch; www.kunstmuseum.li; www.buendner-kunstmuseum.ch
GA LER IE
AUS STELLUNG
Singen zeigt Becker
und Müller-Landau
Curt Georg Becker (1904-1972)
und Rolf Müller-Landau (19031956) verband eine anregende
Künstlerfreundschaft, die sich
aus ähnlich gelagerten Interessen speiste. Beide Künstler stehen für eine festliche, zwischen
Gegendständlichkeit und Abstraktion mäandernde Malerei,
die sich mit der Formensprache und Farbkultur der französischen Moderne auseinandersetzte. Das Kunstmuseum
Singen widmet nun beiden
Künstlern eine Ausstellung, die
am Freitag, 22. Juli, 19.30 Uhr
eröffnet. wird. Eine Einführung
ins Werk gibt Museumsleiter
Christoph Bauer. (sk)
KUNST
Auf dem Skulpturenweg
unterwegs
Der Skulpturenweg Bettenreute
ist nun seit einem Jahr eröffnet
und erfreut sich großer Beliebtheit. Am Samstag, 23. Juli, wird
eine öffentliche Führung rund
um das Wasserschloss Bettenreute angeboten. Das ehemalige, im Mittelalter errichtete
Wasserschloss ging aus einer
Turmburg hervor. Der Treffpunkt: Feuertobelbachbrücke
an der Kreisstraße (bei Bettenreute) um 14.30 Uhr. Für Gruppen werden nach telefonischer
Terminvereinbarung auch Sonderführungen angeboten. Infotel.: 07505-1252. (sk)
KONZERT
Nun hat sich die ganze bunte Truppe beim Apero zusammengefunden. In der Mitte des Bildes die beiden Hauptakteure des Musicals: Renato alias Andreas Zaron (mit Strohhalm am Mund) und neben ihm Helmut Mooshammer als Drag-Queen Albin. B I L D : MA R I O G A C C I O L I
Ein Paar zum Verlieben
Das Seeburg-Theater in
Kreuzlingen lädt für das Musical „Käfig voller Narren“ ins
Spiegelzelt und zeigt Klasse
VON MARIA SCHORPP
Zum Stück
Käfig voller Narren (frz. Originaltitel:
La Cage aux Folles) ist eine italienischfranzösische Filmkomödie aus dem
Jahr 1978 und gilt als der erste erfolgreiche Film aus dem Drag-Queen-Milieu. Sie basiert auf einem Theaterstück
von Jean Poiret von 1973. Im Mittelpunkt steht ein homosexuelles Paar,
Renato, der Besitzer eines Nachtclubs,
und sein Freund und Star des Clubs,
Albin. Aus Renatos einzigem kurzen
Abenteuer mit einer Frau stammt sein
Sohn Laurent, von Albin und ihm liebevoll aufgezogen. Es kommt zu amüsanten Verwicklungen, als der mittlerweile zum jungen Mann gereifte Laurent
heiraten will. (sk)
Im Rahmen der zweiten Ausstellung zum Rückblick auf 30
Jahre Atelier Laubbach in Ostrach fragt am Samstag, 23. Juli,
19.30 Uhr, Uwe Degreif, warum
das Verhältnis von Kunst und
Region oft so problematisch ist.
Der Biberacher Ausstellungsmacher stellt einige Künstler
vor, die die Region Oberschwaben verkörpern, und stellt infrage, ob „regionale Kunst“
wirklich nur abwertend verstanden werden muss. Kann
„regional“ nicht auch als Vorteil
gesehen werden? Im Anschluss
ist Gelegenheit zum Gespräch.
Eintritt frei. (sk)
Die Liebe schlägt Wunden. Wer wüsste das besser als Francis. Mal ein blaues Auge, mal eine Halskrause, mal ein
Arm in der Schlinge. Hanna ist die
Übertäterin, die Liebestäterin, würde Francis wohl sagen. Er ist glücklich
über jede Blessur. Bastian Stoltzenburg
schaut ganz selig bei der Erinnerung an
den zurückliegenden Liebeskampf, den
er mit Wonnen jedes Mal verliert. Sein
Francis, der Inspizient des Nachtclubs
„La Cage aux Folles“, hat etwas von einem zerrupften Heiligen, der sich im
Namen der Liebe martern lässt.
Und um die Liebe dreht sich alles im
„Käfig voller Narren“, ob um die normierte zwischen Mann und Frau oder –
und vor allem – um die Liebe unter dem
Vorzeichen uneindeutiger Geschlechtergrenzen. Die Eigenliebe nicht zu vergessen, die Närrchen wie Jacob hervorbringen, der schlicht behauptet: „Ich
bin zum Strahlen geboren.“ Als das Publikum bei der Premiere der diesjährigen Produktion des Seeburg-Theaters
daraufhin spontan applaudierte, meinte es wohl die famose Darstellung durch
Frank Wöhrmann. Solch einen eitlen,
eigensinnigen Pfau mit derartigen Sympathiewerten auszustatten, muss man
erst einmal hinbekommen.
Das Seeburg-Theater hat das Musical „Ein Käfig voller Narren“ von Jerry Herman und Harvey Fierstein aus
den 1980er-Jahren nach dem Theaterstück von Jean Poiret zur Vorlage seines
Spektakels genommen. Ein historisches
Spiegelzelt im Kreuzlinger Seeburgpark
liefert das Jugendstil-Ambiente. Das
klingt nicht sehr heutig, und, von den
Einblendungen des Lichtkastens auf
der Bühnenrückwand abgesehen, hat
es Klaus Hellenstein mit seinem Bühnen- und Kostümbild offenbar auch
nicht darauf abgesehen, hipp zu sein.
Die Drag Queen von Helmut Mooshammer mit ihrem schrillen Flitter, den Federschlangen und dem dauergewellten
Wasserstoffblond umweht die Melancholie vergangener Zeiten. Mooshammers Zaza ist formidabel – allerdings
erst im Zusammenspiel mit Andreas
Zaron als Lebensgefährte und Nachtclubbesitzer Georges das, was sie ist:
eine herzzerreißend eitle, traurige, eifersüchtige, zutiefst unsichere, selbstironische Persönlichkeit mit Hang zu
Krokodilstränen, die Mooshammer in
ihrer ganzen Widersprüchlichkeit aufleben lässt. Ein Paar zum Verlieben.
Mit Georges Sohn Jean-Michel, dem
Ergebnis eines Ausrutschers mit einer
Lido-Tänzerin, zieht dann die Gegenwart ein. Michel Kopmann spielt ihn als
T-Shirt-und-Jeans-Träger und harmlosen Jungen, der in aller Nettigkeit sehr
rücksichtslos sein kann. Er will heiraten – eine Frau – und glaubt, seine Herkunft verleugnen zu müssen. Das Mädchen seiner Träume ist die Tochter
wohnenden Dichter und Anwalt Peter
Salomon. Und in der Tat: eine wechselvolle, historische wie gegenwartsnahe lyrische Prägnanz zeichnet Sprache
und Thematik seiner Dichtungen aus –
die eben mit dem Bodensee-Literaturpreis 2016 der Stadt Überlingen gewürdigt wurde.
So auch die in dem neuen Band
„Nichts ist so schwer wie Papier“ versammelten Verse, von denen ein beträchtlicher Teil der abendländischen
Malerei, ihren Werken und ihren Erzeugern gewidmet ist. Gestaltungstechnische Details werden mit historischen
und persönlichen Eigenheiten der dargestellten Figuren und Sujets wie auch
ihrer Urheber, der berühmten oder aber
auch aus dem Dunkel des Vergessens
heraufgeholten Künstler verbunden.
Namen und Zeitereignisse ziehen am
Leser vorbei und malen Licht und Schatten der Jahrhunderte. Kunstgeschichte
und Zeitgeschichte verbinden sich zu
Horizonten künstlerisch-menschlicher
Existenz. Der niederländische Maler
Balthasar van der Ast aus dem 17. Jahrhundert erscheint mit seinen Blumenstilleben, ebenso der Franzose Renoir,
der Engländer Sisley, aber auch weniger
bekannte Namen wie etwa Gustav Holstein. Und den vielseitigen englischen
Schriftsteller, Künstler und Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts John Ruskin
stellt Salomon sich gar als „Gott in Frack
und Zylinder“ vor.
Diesen der Kunst und ihren Schöpfern gewidmeten Gedichten steht eine
Serie lyrischer Beschreibungen persönlicher Erfahrungen und Erinnerungen
des Autors gegenüber. So an den gestorbenen Vater, an die Mutter, deren Wohnung aufgegeben werden muss. „Nichts
ist so schwer wie Papier“ heißt es im
Blick auf die zahlreichen dabei wegzuräumenden Bücher. Oder an Begegnun-
gen wie die mit dem österreichischen
Schriftsteller Hermann Jandl, dem bulgarischen Tenor Nicolai Ghiaurov.
Das Metier des Dichtens selbst wird
des Öfteren zum auch ironisch beleuchteten Thema: „Ich lege bloß den Stift
hin / Dann schreibt er von allein / Und
sucht sich seinen Unsinn / Wie alte Kartoffeln das Schwein“. Ernsthaftigkeit
kreuzt sich mit Humor, Tradition vermischt sich mit Progressivität und lässt
den Leser dadurch umso neugieriger
in der Phantasie nach der ihr zugrunde liegenden Realität suchen. So im Gedicht „Die Stadt“, das beginnt:
„Hier ist der Ort, der immer Frieden
hat. / Hohe Bäume rauschen leis an seinem Rand“. Und das schließt: „Hier endet auch mein Weg den ich so oft verlor
/ In dieser Stadt – 1924“.
Obgleich als Entstehungszeit ein Jahr
vermerkt ist, in dem Salomon noch
gar nicht auf der Welt war, lässt sich
Vokalensemble
singt Evergreens
Das Vokalensemble Gottmadingen lädt am Sonntag, 24.
Juli, 20 Uhr, in die Lutherkirche Gottmadingen zum Sommernachtskonzert bei Kerzenschein ein. Der Chor lässt
bekannte Melodien von Stars
der 20erJahre bis zur heutigen
Zeit erklingen: Frank Sinatra,
Luis Armstrong, Eric Clapton
und Billy Joel lassen grüßen,
aber auch Songs von den Beatles und den Comedian Harmonists kommen zur Aufführung.
Der Eintritt ist frei. (sk)
VORTR AG
Uwe Degreif referiert
im Atelier Laubbach
eines rechtspopulistischen Abgeordneten. Und der hat etwas gegen Schwule. Maria Lisa Huber gibt eine in ihrer
Unschuld reizende Anne, Astrid Keller
beweist als unterdrückte Abgeordneten-Gattin wieder ihr Talent für die Komik, die auch die schrecklichsten Figuren nahebringt, und Walter Küng darf
ein rechter Heuchler sein. Miriam Japp
ist als Restaurantbesitzerin Jacqueline
von eindrucksvoller Präsenz.
Was Leopold Huber hier zusammengefügt hat ist ein Gesamtkunstwerk. Zu
diesem gehört auf jeden Fall die Travestie-Tanz-Truppe „Les Cagelles“, die
Sabine Mouscardes-Hoeltschis Choreografie nicht nur in klassischen Revuenummern glänzen, sondern jeden
einzelnen Tänzer individuell in Erscheinung treten lässt. Wesentlicher
Erfolgsgarant ist auch Volker Zöbelin
und sein Orchester, das die Songs Jerry Hermans mit einem weichen gefühlvollen Klang unterlegt, auf dem insbesondere Mooshammer so schön je nach
Gefühlslage den Outing-Klassiker „Ich
bin, was ich bin“ intonieren kann. Das
alles ist mitreißend und von geradezu
jugendlicher Frische.
Am Ende bleibt dieses sehr bühnentaugliche Toleranz-Plädoyer für die
bunten Spielarten der Liebe und jegliche Form des Zusammenseins doch ein
Männer-Stück. Astrid Keller spielt als
einzige weibliche Darstellerin in einer
kleinen Nebenrolle einen Mann. Keinen knackigen Kerl, was sie ja durchaus
könnte, sondern einen gebeugten alten
Kellner. Vielleicht bezeichnend dafür,
dass es aus der Frauenperspektive keine
ähnlich populären Rollen gibt wie die
von Zaza und Georges.
Der „Käfig voller Narren“ ist, dem ungeachtet, ein Erlebnis. Das fand das Premierenpublikum offensichtlich auch,
was es durch sehr langes Applaudieren
zu verstehen gab.
Vorstellungen bis zum 11. August. Karten unter 0041-71 670 14 00 und per E-Mail unter:
[email protected]
REINGELESEN
Peter Salomon:
„Nichts ist so schwer
wie Papier“. Gedicht.
Isele Verlag, Eggingen. 77 S., 15 Euro
GEDICHTE
Ein Spieler mit dem
Material Sprache
V O N W A LT E R N E U M A N N
„Den bedeutendsten am Bodensee lebenden Lyriker“ nennt der Egginger
Verleger Klaus Isele den 1947 in Berlin
geborenen und seit 1972 in Konstanz
doch auf seine jetzige „Heimatstadt“,
auf Konstanz, tippen. So ensteht eine
phantastisch-elegante Form der Zeitvermischung! Die Erfindungen solcher
Kunstgriffe, die realistische Vorgänge mit lyrischer Phantasie ummanteln
und ihnen damit unerwartete Bild- und
Sinnhaftigkeiten verleihen, sind Salomons Stärke. Sie offenbaren eine weit
über das nur Dichterische hinausgehende Fähigkeit zum Spiel mit dem Material „Sprache“ und reizen dadurch auf
intensive Weise die Vorstellungskraft
des Lesers.
Salomon wird den mit 5000 Euro dotierten Bodensee-Literaturpreis am 9.
Oktober im Kursaal Überlingen aus der
Hand der Oberbürgermeisterin Sabine
Becker entgegennehmen. Die Laudatio hält der St. Galler Literaturwissenschaftler und Dozent Mario Andreotti, der Mitglieder der Jury ist. Der letzte
Preisträger war 2014 Arnold Stadler.