Thema: Neurologie, Neurochirurgie & Psychiatrie 23.07.2016 | Focus Medienquelle: Print Seitenstart: 38 Auflage: 613.641 Anzahl der Zeichen: 12481 Autor: A. HÖRTER Gesamttitel: Amok für Allah Beim Massaker von Nizza und dem Axt-Attentat von Würzburg zeigte der islamistische Terror sein neues Gesicht. Junge und labile Muslime lassen sich extrem schnell radikalisieren und sind zu barbarischen Verbrechen fähig Er wolle mal mit dem Rad weg. Es könne länger dauern, sagte Riaz Khan Ahmadzai seinen Pflegeeltern auf einem Bauernhof nahe dem fränkischen Ochsenfurt. Das Messer und die Axt unter seiner Kleidung versteckt, machte sich der Asylbewerber auf. Kurz nach 21 Uhr vergangenen Montagabend stieg er in den Regionalzug 58130. Auf dem Weg nach Würzburg startete er seinen Amoklauf. Mit dem Ruf "Allahu akbar" (Gott ist groß) schlug der Attentäter auf eine chinesische Familie und deren Bekannten ein. Der Vater und sein Schwiegersohn in spe stellten sich schützend vor ihre Lieben. Axthiebe trafen die Männer am Kopf. Die Frauen wurden an den Armen und am Oberkörper verwundet. Die Notbremse stoppte den Zug auf der Strecke. Der Täter flüchtete in die Dunkelheit. Wenig später fiel er über eine Spaziergängerin her, bevor ihn zwei Polizisten stellten und per Kopfschuss töteten. Der Attentäter zählt offenbar zu einer neuen Generation von Terroristen. Es sind junge, psychisch labile Muslime, die sich extrem schnell radikalisieren und urplötzlich in Monster verwandeln, fähig zu barbarischen Taten. Diese unheimliche Gruppe von Spontan-Dschihadisten agiert außerhalb jeder Kontrolle von Polizei oder Geheimdiensten. "Wir haben sie nicht auf dem Radar", gestand jetzt Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Vor diesem Hintergrund warnt das Bundeskriminalamt (BKA) in einer Lageeinschätzung, die FOCUS vorliegt, vor weiteren Terrorattacken in Zügen: "Die genannten Beispiele belegen die hohe Bedrohungsqualität, die für den Verkehrsträger Bahn ausschlaggebend ist und die sich jederzeit in einem (erfolgreichen) Anschlag manifestieren kann." Attentäter wie in Würzburg oder Nizza sind der Albtraum deutscher Staatsschützer: Jedes Mal schlugen junge Muslime zu, die gar nicht im Blickfeld der Terrorabwehr standen. Jedes Mal reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Attacken gegen die "Ungläubigen" (Kuffar) für sich, obschon die Protagonisten allein agierten. Die Fahnder sprechen von "einsamen Wölfen". Einzeltäter, schwer aufzuspüren. Und deshalb kaum zu stoppen. Aufgehetzt durch Hassprediger oder die Dschihad-PR im Netz, seelisch gestört, oft kleinkriminell mit Drogenvita. Vollkommen neu ist dieser Tätertyp freilich nicht. Bereits im Jahr 2005 beurteilte der deutsche Denker Hans Magnus Enzensberger die islamistischen Terroristen der Anschläge von London als "radikale Verlierer". Solche Typen benötigen keinen Auftrag, keinen Plan und keine Kumpane. In Israel stellt diese Sorte der Einzeltäter mittlerweile die größte terroristische Bedrohung für Zivilisten dar: Dort gibt es die alte Mordmethode der Sprengstoffanschläge nur noch selten; am häufigsten stechen mittlerweile radikalisierte Jugendliche und mitunter sogar Kinder mit Messern auf Passanten ein; andere Dschihadisten überfahren Israelis mit dem Auto. Und auch dort erfüllen die Täter nach ihrer festen Überzeugung eine Mission, für die sie keine Mitgliedschaft in irgendeiner Terrortruppe brauchen. Die Täter würden sich kurzfristig zu Anschlägen entschließen, "um so einen Beitrag zum Heiligen Krieg zu leisten". Die Auslöser könnten nahezu beliebig sein - "von Internet-Propa-ganda über subjektiv als islamfeindlich empfundene Ereignisse bis hin zu persönlichen Krisensituationen". Nachdem der französische Extremist Larossi Abballa im Juni 2016 nahe Paris einen Polizeioffizier und dessen Frau niedergemetzelt hatte, versendete er ein Selfie-Vid- -26- eo auf Facebook: "Tötet sie, tötet sie, tötet sie alle!" Sein Profil ähnelt jenem des Todesfahrers von Nizza, des axtschwingenden Islamisten von Würzburg oder des mental labilen Orlando-Killers Omar Mateen, der 49 Besucher in einem Club für Homosexuelle erschoss. Die Täter inszenieren ihren Dschihad-Plot in Eigenregie. Angefixt durch die IS-Propaganda im Internet. Eine erfolgreiche Strategie, meint der französische Islamexperte Gilles Kepel: "Dem IS ist es gelungen, in die Köpfe einzudringen." Die Terrormiliz brauche die Attentate nicht mehr zu organisieren. Einzelpersonen führten deren Ziele aus. Der neue SelfmadeDschihad funktioniere weltweit. "Ein Smartphone reicht, um die extremistischen Botschaften weiterzuleiten", weiß Kyle Matthews, kanadischer Experte für Cyber-Terrorismus. Der IS habe es geschafft, die neuen digitalen Technologien in Waffen umzuformen. "Und kreativ sind sie dabei auch noch", erläutert Matthews. "Ein ganzes Team mit offensichtlich westlichem Bildungshintergrund bearbeitet Videos professionell. Für Jugendliche bilden sie Videospiele wie ,Grand Theft Auto' mit DschihadKämpfern nach. Kleinsten Kindern widmen sie sich mit Cartoons. Sie haben eine direkte Verbindung zur Jugendkultur. Kinder auf der ganzen Welt können sich damit identifizieren." Die Analyse passt zur Bilanz hiesiger Terrorfahnder: Nicht nur, dass die deutsche Salafisten-Bewegung auf 9000 Personen angewachsen ist, "die Zahl der Minderjährigen in dieser Szene hat sich in den vergangenen beiden Jahren auf fünf Prozent verdoppelt", so Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes NRW. Das Alter potenzieller Attentäter sinke auf 13 bis 16 Jahre. Die Geschichte von Yusuf, Mohammed, Tolga, Muhammed und Hilmi zeigt, wie schnell Jugendliche auf die Terrorschiene geraten können. Yusuf gilt als der Kopf der WhatsApp-Gruppe "Unterstützer/Anhänger Thema: Neurologie, Neurochirurgie & Psychiatrie des Islamischen Khalifats". Am 7. Januar schwor er alle Chat-Kumpane auf "die gemeinsame Sache" ein. Die Clique tauschte Dschihad-PR aus, vereinbarte konspirative Treffen, und diskutierte über Waffen. Wohl wissend, dass die Staatsschützer nicht mithören konnten. Im April ließen die Teenager einen Sprengsatz in einem Sikh-Tempel in Essen hochgehen. Radikalisiert hatten sich die 16 Jahre alten Haupttäter um Yusuf T. teils bei Hasspredigern, teils via Internet. Safia S. trat schon als Kind in einem Clip mit dem Hassprediger Pierre Vogel auf. Im Alter von 15, in dem andere Mädchen mit ihrem ersten Freund schmusen, kündigte sie eine "Märtyrer-Operation" an. Den Auftrag sollen ihr ranghohe IS-Leute erteilt haben. Auf dem Hauptbahnhof in Hannover stach sie einem Polizisten ein Messer in den Hals. Nach Ansicht von Fachleuten weisen viele Täterprofile auf "Persönlichkeitsauffälligkeiten" hin. Oft spielen Kränkungen eine Rolle. Das Gefühl, benachteiligt, ungerecht behandelt und diskriminiert zu werden, stehe häufig am Beginn der bösen Tat. "Kränkung ist ein starker Motor für aggressives Verhalten", betont Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin. "Eine unglaubliche Geltungssucht" zeichne speziell die brutalsten Täter aus. Die Diagnose passt auf den Todesfahrer von Nizza: die Ehe gescheitert, eine klägliche Perspektive, nach außen hin ein muskelstarrender Kraftprotz, gewalttätig, vorbestraft - am Ende nur ein Verlierer, der so gar nichts mit einem frommen Muslim gemein hatte. Binnen weniger Wochen soll er sich radikalisiert haben. Laut einem Bericht des Bundeskriminalamts vom März 2014 verfolgt die Terrormiliz inzwischen eine weitere perfide Taktik: "psychisch auffällige Personen zu Selbstmordattentätern auszubilden". Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen einen aus Algerien stammenden Zahnarzt, der seelisch kranke oder auffällige junge Männer für den IS rekrutiert haben soll. Nach FOCUS-Informationen finden sich in den Ermittlungsakten Kontaktaufnahmen zu Psycho-Kliniken und mindestens drei Anbahnungsversuche. In einem Fall kontak- tierte der Rekrutierer einen Konvertiten, der unter einer paranoiden Schizophrenie litt. Der Mann kam schließlich in die geschlossene Psychiatrie. In einem anderen Fall soll der Arzt erfolgreich gewesen sein: Yannick Pipiorka, ein junger Arbeitsloser, entmündigt, ein einfältiger Verlierer, der seit seiner Kindheit nichts auf die Reihe bekam, soll sich letztlich in IS-Diensten im Nordirak im Mai 2015 in die Luft gesprengt und 15 Soldaten in den Tod gerissen haben. Das Ticket zur Reise in den Dschihad bezahlte ihm der Arzt. Seine Betreuerin von der Einrichtung für Straßenkinder in Freiburg resümiert: "Yannick war ein klassischer Opfertyp, er war auf der Suche nach Aufmerksamkeit." Seine Sehnsucht stillten offenbar Fundamentalistenkreise um den Arzt in einer Freiburger Moschee. Der Diplom-Pädagoge Nils Böckler kennt die Lebenswege zahlreicher Islamisten. Am Beginn stehe häufig das Gefühl persönlichen Scheiterns. "Radikale Gruppen geben derartigen Menschen die Möglichkeit, so etwas wie eine alternative Karriere zu machen", so Böckler. "Die Grenze zwischen einem persönlich motivierten Amoklauf und einem politisch motivierten Attentat verschwimmt." So wie bei dem Würzburger Attentäter Ahmadzai. Angeblich soll der Tod eines Freundes in der Heimat der Auslöser der Tat gewesen sein. Er habe sich danach verändert, erzählen seine Pflegeeltern. Von islamistischem Fanatismus keine Spur. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bezweifelt Alter und Herkunft des Flüchtlings. Möglicherweise stammt er aus dem von Stämmen beherrschten pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan. Vermutlich, so heißt es aus Sicherheitskreisen, habe er sich mit einer Legende bereits bei seiner Einreise vor zwei Jahren jünger gemacht. Der angeblich 17-jährige Attentäter wird auf 20 geschätzt. In seinem Zimmer fand sich ein Abschiedsbrief an den Vater: "Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann." In einem Bekennervideo wedelt der Täter mit einem Messer herum und offenbart sich als "Soldat des Kalifats". Ein BfV-Team geht nun der Frage nach, ob der Täter womöglich ein Schläfer war. -27- Das Drama im Regionalzug nach Würzburg löste nach FOCUS-Informationen im Kanzleramt Anfang vergangener Woche heftigen Streit aus. Fürchtet man doch, dass erneut die Diskussion um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung hochkocht. Teilnehmer der Sicherheitsrunde am Montagabend drängten auf eine "Versachlichung der Debatte". Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) mahnte die Chefs der Sicherheitsbehörden, die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Man solle in Interviews darauf hinweisen, dass nahezu alle Attacken in Europa nicht von Flüchtlingen, sondern von einheimischen Muslimen begangen worden seien. Manche Behördenleiter widersprachen dem Minister. Die Herkunft Tausender junger Flüchtlinge sei unklar. Etliche seien womöglich im Terrorkampf ausgebildet - und so versiert mit Waffen wie hiesige Polizisten. Altmaier winkte ab. Bundesinnenminister Thomas de Maizière verhielt sich tags darauf diplomatischer. Es gebe "Hinweise auf Bezüge zum internationalen Terrorismus" unter den Flüchtlingen, sagte der CDU-Politiker. In den allermeisten Fällen seien diese falsch gewesen. Manche Informationen würden aber noch überprüft. Tatsächlich überprüfen die Ermittler noch 403 Einzelhinweise auf mutmaßliche Kämpfer, Angehörige, Unterstützer und Sympathisanten terroristischer Organisationen. "Deswegen kann man nicht sagen, es gibt zwischen Flüchtlingen und Terrorismus keinen Zusammenhang", bekannte der Minister. Das BKA zumindest ist durch den Axt-Anschlag im Regionalzug alarmiert: Da der Angriff durch einen Flüchtling erfolgte, sei davon auszugehen, so ein vertrauliches Lagebild vom 19. Juli, dass "Asylbewerber verstärkt in den Zielfokus von Gewaltstraftaten" durch Rechtsextreme rücken. Ein entsprechendes Vorgehen "gewaltgeneigter Täter" könne sich sowohl "außerhalb als auch innerhalb" von Flüchlingsunterkünften verwirklichen", notierten die Terrorfahnder. Die Chancen, Anschläge im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern, sinken durch selbst radikalisierte und völlig unauffällige Attentäter Thema: Neurologie, Neurochirurgie & Psychiatrie Nach der Tat von Würzburg stritten sich hohe Beamte im Kanzleramt über die Ab- wehr der neuen Terrorwelle Karl-Josef Hildenbrand dpa Bekennervideo Eine IS-nahe Nachrichtenagentur veröffentlichte einen verstörenden Film, in dem sich der Würzburger Attentäter martialisch mit Messer zeigt Fröhlich-entspannt So präsentierte sich der Axt-Attentäter aus dem Regionalzug auf seiner Facebook-Seite. Alles nur Fassade action press "Zwischen Amoklauf und Terror" Innenminister Thomas de Maizière (am vergangenen Mittwoch) sieht den Anschlag von Würzburg als Akt eines Einzeltäters - angestachelt von der IS-Ideologie Copyright 2016 PMG Presse-Monitor Deutschland GmbH und Co. KG -28-
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