Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Ortserkundungen Legenden an Tempelwänden In Luang Prabang entsteht eine laotische Literatur Autoren: Regina Kusch und Andreas Beckmann Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Birgit Morgenrath Produktion: DLF 2016 Erstsendung: Dienstag,02. August.2016, 19.15 Uhr Sprecherin 1: Hildegard Meier Sprecher 1: Martin Bross Sprecher 2: Wolfgang Rüter Sprecher 3: Robert Dölle Sprecher 4: Gregor Höppner Spercher 5: Thomas Lang Sprecher 6: Volker Risch Sprecher 7: Christoph Wittelsbürger Sprecherin 2: Susanne Reuter Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Musik Percussion und Flöte Darauf: Die Geschichte von Siaosavat 2 Sprecher 2 Vor sehr langer Zeit lebte im Königreich von Bharanasi eine reiche Familie mit zwei Söhnen. Als Siaosavat, der jüngere, 16 Jahre alt wurde, entschieden die Eltern, dass es Zeit für ihre Kinder sei, jetzt auf eigenen Füßen zu stehen. "Meine lieben Söhne", sagte der Vater, "wenn wir zwei Häuser hätten, könnte jeder von Euch das aussuchen, in dem er gerne leben würde. Da wir aber nur eines haben, ist die Zeit gekommen, dass einer von euch ein zweites errichtet." Sprecher 1 Legenden an Tempelwänden Sprecher 2 Der Ältere wählte das alte Haus. Siaosavat aber wollte zuerst die Welt kennen lernen und Wissen erlangen. Eines Tages legte ein Schiff am Dorf Kai an. Siaosavat packte seine Habseligkeiten, verabschiedete sich von seiner Familie und ging hinunter zum großen Fluss. Er war sehr aufgeregt und glücklich, als der Kapitän die Mannschaft anwies, die Segel zu setzen. Sprecher 1 In Luang Prabang entsteht eine laotische Literatur Atmo Mönche und Tempeltrommeln Sprecherin 1 Der Wat Xieng Thong ist eine der ältesten und schönsten Tempelanlagen in Luang Prabang am Ufer des Mekong. Goldverziert mit geschwungenen roten Ziegeldächern, die fast den Boden berühren, zeugt er von der Pracht des Königreichs Lang Xang, dem "Land der Millionen Elefanten". Mitte des 16. Jahrhunderts, als Luang Prabang noch die Hauptstadt dieses Reiches war, wurde mit dem Bau begonnen. An den Wänden der roten Kapelle, die ein König 1957 zu Buddhas 2.500. Geburtstag bauen ließ, erzählen bunte 3 Bilder aus Glasmosaiksteinen Geschichten aus dem Leben des Kaufmannssohnes Siaosavat, der wegen seiner Weisheit im 17. Jahrhundert zum Richter ernannt wurde. Sprecher 1 Ein Feature von Regina Kusch und Andreas Beckmann O-Ton Khamla My parents said o I studied very well ... to become a novice in Luang Prabang to continue high school. Sprecher 3 Meine Eltern waren sehr zufrieden mit mir, weil ich in der Schule gut gelernt hatte. 'Du solltest auf's Gymnasium gehen', sagten sie. Ich habe noch vier Schwestern, die meinen Eltern bei der Farmarbeit helfen konnten. Ich sollte Novize werden in der Tempelschule von Luang Prabang. Sprecherin 1 Khamla Panyasouk, ist Anfang 30 und wuchs im bergigen Norden von Laos auf, in einem kleinen Dorf etwa 50 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Luang Prabang. Er war der erste in seiner Familie, der die Grundschule besuchte und lesen lernte. Mit zwölf Jahren ging Khamla hinunter zum Dorfkai und bestieg ein Langboot, das ihn in sechs Stunden Mekong abwärts nach Luang Prabang brachte, das damals 50.000 Einwohner hatte. O-Ton Khamla I do not know anything why I should become a monk ... and then I went to teacher training college. 4 Sprecher 3 Ich war jung und ich wusste gar nichts, auch nicht, warum ich überhaupt Mönch werden sollte. Meine Eltern wollten das, denn in meinem Dorf hatten wir kein Gymnasium. Die Mönche gaben uns nicht nur eine religiöse Ausbildung in Buddhistischer Lehre, sondern unterrichteten uns auch in den normalen Schulfächern. Sechs Jahre später habe ich dann ein Lehrerstudium begonnen. Sprecherin 1 Heute ist Khamla Geschäftsführer von "Big Brother Mouse", dem einzigen unabhängigen laotischen Verlag. Der ist in einem unscheinbaren, einstöckigen Holzhaus in einer Nebenstraße des Stadtzentrums, nahe de m Mekong-Ufer zu finden. Vor dem Ladeneingang winkt eine große PappMaus mit einem Buch unterm Arm den Vorbeigehenden einladend zu. Sprecher 1 Mit George Orwells 'Big Brother' hat die Maus nichts zu tun. Orwell kennt hier so gut wie niemand. In Laos ist "großer Bruder" eine respektvolle Anrede. Und der clevere Nager gilt vielerorts als Maskottchen. Sprecherin 1 In den Regalen und auf einem großen Büchertisch im Eingangsbereich stapeln sich die Bücher. Die broschierten gefallen durch ihre Hochglanzcovers mit liebevoll gezeichneten Bildern. Die meisten Titel sind in laotischer Sprache geschrieben, einige auch in Englisch. Eine Reihe Computer bieten Mitarbeitern und Jugendlichen freien Zugang ins 5 Internet. Regelmäßig treffen sich hier englischsprachige Gesprächszirkel. Ausländer sind bei Big Brother Mouse willkommen. Gleichzeitig will der Verlag für Laoten ein Fenster zur Welt sein. Sprecher 1 In Laos, dem kleinen Binnenland westlich von Vietnam und nordöstlich von Thailand, gibt es zwar eine eigene Schrift, aber keine Tradition des Schreibens. Deshalb sind Bildergeschichten eine der wenigen Quellen für eine historische, Jahrhunderte alte Selbstvergewisserung des Bauernvolkes. Musik - Akzent Sprecher 1 Erst nach dem Indochina-Krieg erlangte die frühere französische Kolonie 1954 ihre Unabhängigkeit. In den 60er-Jahren wurde Laos in den Vietnamkrieg hineingezogen. Damals hatte Nordvietnam seine Waffenlieferungen an die Guerillakämpfer des Vietkong über den sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfad durch den laotischen Dschungel nach Südvietnam geschleust. Daraufhin weiteten die USA ihren Bombenkrieg auch auf Laos aus. Nach dem Ende dieses Krieges kam die kommunistische Pathet Lao-Bewegung an die Macht, die den König vertrieb aber anders als die Roten Khmer im benachbarten Kambodscha keinen Völkermord beging. In den nächsten Jahrzehnten lebten die gut sechs Millionen Laoten in dem Einparteienstaat fast völlig von der Welt 6 abgeschnitten. Erst nach der Jahrtausendwende öffnete sich das Land neuen Einflüssen von außen. Sprecherin 1 Khamla nutzt die Gelegenheit. Gemeinsam mit einer Gruppe junger Autorinnen und Autoren hat Khamla Siaosavats Geschichten aufgeschrieben und in einem Buch in laotischer Sprache veröffentlicht. Der 32-Jährige will Laos in ein Land verwandeln, in dem man Bücher liebt. O-Ton Khamla We shared text books ... I didn't see a book except text books from the government. Sprecher 3 Als ich Kind war, haben wir uns mit fünf Familien ein Schulbuch geteilt. Jeden Tag haben wir es weiter gereicht. Ich bin auf dem Land geboren. Bevor ich in die Schule kam, hatte ich noch nie ein Buch gesehen. Atmo - Gesänge der Mönche Sprecher 1 Seit dem 14. Jahrhundert war der Buddhismus in Laos Staatsreligion. In ihren Tempeln richteten die Mönche Schulen ein und sogenannte Palmblattbibliotheken, in denen sie in Sanskrit verfasste religiöse Parabeln sammelten, die wie der Buddhismus selbst aus Indien stammten. Dafür ritzten sie Schriftzeichen in Palmblätter. Die meisten Parabeln werden bis heute vor allem mündlich weitergegeben und an hohen Festtagen von Mönchen vorgesungen oder wie kleine Theaterstücke aufgeführt. Als die kommunistische Partei Pathet Lao die Macht übernahm, schaffte sie die Staatsreligion ab und strich den Mönchen alle Zuwendungen, die 7 ihnen der König früher gewährt hatte. Seitdem haben die Ordensleute in mühevoller Kleinarbeit die Tempel mit ihren farbenfrohen Mosaiken 40 Jahre lang instand gehalten. Atmo Bittprozession der Mönche in Luang Prabang Sprecher 1 Auch unter kommunistischer Herrschaft prägt bis heute der Buddhismus den 'Alltag in Laos. Jeden Morgen ziehen um vier Uhr Hunderte Mönche aus allen Klöstern Luang Prabangs barfuß in ihren orangefarbenen Gewändern durch die Altstadt. Sie nehmen Lebensmittelspenden der Gläubigen entgegen, die damit Gutes für ihre Seele tun. Den Rest des Tages widmen die Mönche dem Gebet und der Meditation oder sie fegen, putzen und polieren die Tempel. Bis heute ist es üblich, dass jeder junge Mann eine Zeit lang als Mönch lebt. Atmo Luang Prabang vor dem Verlagshaus O-Ton Thavivanh Bouoban I work with Big Brother Mouse because I am Lao ... to help to develop education. Sprecher 5 Ich bin Laote und ich arbeite bei Big Brother Mouse mit, weil ich ein Teil des Landes sein möchte, der hilft, die verschütteten Traditionen zu erhalten. Sprecherin 1 8 Thavivanh Bouoban hat zusammen mit zehn jungen Leuten vor dem Verlagshaus von Big Brother Mouse zwei Geländewagen mit Bücherkisten, Reisgebäck und Sojamilch vollgeladen. O-Ton Thavivanh Bouoban I saw many foreigners to help Laos to develop ... why I don't come to help Lao students to develope? Sprecher 5 Ich habe viele Fremde getroffen, die helfen wollten, hier die Bildung weiterzuentwickeln. Ich bin Laote, warum soll ich nicht erst recht den Schülern in meinem Land helfen? Atmo Autofahrt Sprecherin 1 Die Gruppe ist unterwegs in das kleine Bergdorf Kok Niu, etwa 30 Kilometer von Luang Prabang entfernt. In der Schule dort soll heute zum siebten Mal eine Big Brother Mouse-Buchparty stattfinden. Diese Veranstaltungen sind begehrt in ganz Laos. Denn jeder Teilnehmer wird ein Buch geschenkt bekommen. O-Ton Thavivanh Bouoban My father he was a teacher. And he always brings books home. ... The children a lot. Sprecher 5 Mein Vater war Lehrer und bei uns zuhause lagen immer Bücher, die er gelesen hat. Mich haben vor allem die bunten Bilder darin fasziniert und ich wollte unbedingt wissen, was darunter steht, deshalb wollte ich schon 9 früh lesen lernen. Und ich glaube, das geht den Schülern hier ganz genauso. Sprecherin 1 Thavivans Vater besaß nicht nur ein paar Lehrbücher, er hat seinem Sohn auch den Wert von Bildung erklärt. Der hat nicht nur früh lesen gelernt, sondern auch, dass man Bücher sorgfältig behandeln und sie vor Feuchtigkeit und Termiten schützen muss. Doch die Familie war zu arm, um Schulgeld für das Gymnasium aufzubringen. O-Ton Thavivanh Bouoban I really worked hard ... until night. So my eyes, it's really hard. Sprecher 5 Ich habe gearbeitet, und selber Geld verdient, um die Schule bezahlen zu können. Mein Vater war zwar Lehrer, hat aber nicht viel verdient . Dann wurde er krank und ist gestorben. Es war sein Wunsch, dass ich studieren sollte, um selber einmal Lehrer zu werden und später meine Familie zu ernähren. Deshalb bin ich zum Studium nach Luang Prabang gekommen. Atmo Kindergeschrei, aussteigen, auspacken der Bücher Sprecherin 1 Am Eingangstor der Grundschule von Kok Niu, die in einem Tal mitten im Dschungel liegt, wartet schon ungeduldig eine Gruppe von Kindern in blau weißen Schuluniformen mit roten Halstüchern. Gleich schnappen sie sich jeweils zu zweit eine der kostbaren Kisten und schleppen sie , vorbei an 10 liebevoll gepflegten Blumenrabatten, über den staubigen Schulhof zum Haupthaus. Atmo Schulkinder Gerede und kurz im Chor in Klasse im Hintergrund Sprecherin 1 Drinnen können die Lehrerinnen und Lehrer die gut 100 Kinder kaum zurückhalten. Alle wollen sich sofort über die Bücherkisten hermachen. Das Team von Big Brother Mouse, gut zu erkennen an den froschgrünen T-Shirts mit dem Maus-Emblem, verteilt sich auf die Klassenzimmer und singt mit den Kindern. Atmo Lied der Kinder von Big Brother Mouse O-Ton Thavivanh Bouoban These are simple songs ... we love to read. Sprecher 5 Das sind kleine Lieder mit einfachen Botschaften aus dem Alltagsleben: ZUM BEISPIEL der Schulbus kommt jeden Tag vorbei. Oder: Wir müssen jeden Tag ein Viertelstündchen lesen mit Big Brother Mouse, das bringt uns Freude und macht uns schlau. So was in der Art. Deshalb lieben wir es, zu lesen. Sprecherin 1 Wie Animateure stehen Thavivanh und die anderen in den einfachen Klassenzimmern, ohne Scheiben in den Fensteröffnungen. Die weißgekalkten Wände sind über und über mit bunten Kinderbildern 11 tapeziert. Zu den Liedern tanzen alle und bewegen die Hände in Gebärdensprache. So können auch taube Kinder alles verstehen und lesen lernen. Sprecher 1 Seit acht Jahren reisen Lese-Teams aus Luang Prabang in alle Schulen des Landes. Manche Bergdörfer haben bis heute keine asphaltierte Straße, geschweige denn Bücher. Die erreicht Big Brother Mouse nur per Boot über den Mekong, manchmal auch mit einem Arbeitselefanten. Er heißt der "Boom Boom", laotisch für Bücher. Auf die Lektüre freuen sich nicht nur Kinder, sondern auch deren Eltern und Großeltern. Viele Erwachsene haben zwar in der Schule Lesen gelernt, aber nie Gelegenheit gehabt, es zu trainieren. Meistens reicht es gerade, um ein paar Behördenformulare auszufüllen. Doch eine schöne Bildergeschichte macht auch den Alten Spaß. O-Ton Buntiam Xendao (lao) Sprecherin 2 Früher gab es auch in unserem Dorf keine Straße, aber jetzt kann man uns gut erreichen Sprecherin 1 Buntiam Xendao ist Mitte vierzig und die Direktorin der Grundschule von Kok Niu. Sie hat ihre langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trägt stolz ihre Dienstkleidung, ein khakifarbenes Kostüm mit einer breiten bestickten Bordüre am Rocksaum. Buntiam Xendao ist Autodidaktin und hat sich das Lesen und das Motorradfahren 12 selber beigebracht. Inzwischen hat sie auch ein Netzwerk der einzelnen Grundschulen im Land aufgebaut und 1999 eine Bibliothek in ihrer Schule: Ein etwa 20 Quadratmeter großes, weiß getünchtes Steinhaus mit Wellblechdach. Innen Regale an den Wänden, und ein großer Tisch mit Bänken in der Mitte. Auf einem Schild über dem Eingang steht in Lao und Englisch: 'Kulturelles Zentrum für Kinder'. O-Ton Buntiam Xendao Sprecherin 2 Sie lesen hier alle gut und viel. Unsere Bücherei ist die einzige in der Gegend. Den Kleinen lesen die Lehrer zuerst vor, bis sie es selber gelernt haben. Wir ermutigen alle, viel freie Zeit in der Bibliothek zu verbringen. Nicht nur unsere Schüler, sondern auch Kinder von den höheren Schulen und aus den umliegenden Dörfern kommen zu uns. Manchmal ist es so voll, dass wir nicht genug Platz haben. Wir haben ja nur den einen Raum, in den rund 20 Leute hineinpassen. O-Ton Interviews Kinder, laotisch Sprecherin 1 Lang Na Sami singt gerne das Lied von Big Brother Mouse und sie spielt gerne Spiele. Ihr Lieblingsbuch handelt von einem Zauberer. Sonipon liest gerne ein Buch über den Mond. Sie ist zehn Jahre alt und möchte später Krankenschwester werden. Sie findet die Besuche von BIG BROTHER MOUSE sehr lustig. Seou se Da sagt, dass Bücher sein Wissen vergrößern. Sein Lieblingsbuch erzählt die Geschichte einer starken Krabbe, die ganz große Muskeln hat. O-Ton Buntiam Xendao Sprecherin 2 13 Ich lese so gerne, dass ich selber angefangen habe, die Geschichte von Phonsavan, unserer Region, und von Kok Niu aufzuschreiben. Aber alles mit der Hand, denn einen eigenen Computer habe ich nicht. Musik-Akzent O-Ton Sasha Alyson I first came in 2003 ... no magazines. Sprecher 4 Ich kam 2003 zum ersten Mal nach Laos. Und ich habe nie irgendjemanden in Laos irgendetwas lesen sehen. Kein Buch, keine Zeitung, keine Illustrierte. Sprecherin 1 Das fiel dem Amerikaner Sasha Alyson besonders auf, weil er selber Verleger war. 15 Jahre lang hatte er in New York Sportliteratur veröffentlicht, dann sein Unternehmen verkauft und beschlossen zu reisen. O-Ton Sasha Alyson It took three years ... one of them was Khamla Sprecher 4 Drei Jahre lang bin ich als Tourist hier durchs Land gereist. Ich habe sehr enthusiastische junge Leute kennen gelernt und ich habe dann einigen Studenten beigebracht, wie man Bücher macht. Einer von ihnen war Khamla. O-Ton Khamla I first met Sasha in 2004 ... In the first two years we focussed making books easy, funny for people to learn to read. 14 Sprecher 3 Ich habe Sasha zum ersten Mal 2004 getroffen. Zu dieser Zeit war ich Referendar in der Lehrerausbildung. Und habe mich um die Schulbibliothek gekümmert hier in Luang Prabang. Sasha ist dann mit mir nach Chiang Mai in Nordthailand gefahren und da habe ich wirklich viele Bücher gesehen. Ich wollte gar nicht wieder raus aus dem Buchladen. 2006 habe ich die Lehrerausbildung abgeschlossen und Sasha fragte mich, ob ich denn gerne Verleger werden wolle. Das wollte ich, und so haben wir Big Brother Mouse gegründet. In den ersten zwei Jahren haben wir Bücher produziert, die leicht zu lesen und lustig waren. Für Leute, die in Laotisch lesen lernen wollten. Musik Sprecher 2 Vor langer Zeit fragte ein König Siaosavat: "was bedeutete das Sprichwort von einem Stein, der in zwei Hälften gebrochen und dennoch verbunden ist?" Daraufhin erzählte ihm Siaosavat folgende Geschichte: "Ein Mann hatte zwei Frauen, die erste bekam keine Kinder, als die zweite Frau schwanger wurde, vergiftete die erste die zweite und das ungeborene Kind. Als diese nach einer Weile als Katze wiedergeboren wurde, betete sie um Vergeltung. Kurz darauf starb die erste Frau an einer schweren Krankheit und wurde als Huhn im selben Haus wiedergeboren. Die Katze fraß sie mitsamt ihrem Gelege. Später wurde die Henne als Tiger wiedergeboren und die Katze im selben Dschungel als Reh. Der Tiger fraß das Reh und sein Kitz. Das Reh wurde als Riese wiedergeboren und Mutter Tiger nach ihrem Tod als Mädchen. Das heiratete einen Farmer und wurde schwanger. Nach der Niederkunft kam der Riese, nahm das Neugeborene und verschlang es. Ein Jahr später, als das Mädchen wieder schwanger wurde, gingen sie in den Tempel von Xatavanh und baten Buddha um Hilfe. Der erklärte den Eltern und dem Riesen: "Durch Euer Karma habt ihr Euch in den vergangenen Leben immer wieder gegenseitig vernichtet. Von jetzt an haltet Euch an die Gebote des Buddhismus, seid gutherzig, lügt 15 und tötet nicht, trachtet nie mehr nach Rache, redet miteinander und respektiert euch gegenseitig." Das taten sie und führten seitdem ein glückliches Leben. Sprecherin 1 Bald wollten Khamla und Sasha nicht mehr nur Geschichten erzählen, die sie auf den Tempelwänden vorfanden, sondern auch Bücher herausbringen mit Inhalten, die in Laos noch unbekannt waren. O-Ton Khamla I wrote a book, an alphabeth book ... have colourful cartoons, simple for children. Sprecher 3 Ich habe auch selbst ein Buch geschrieben, ein Alphabetisierungsbuch, das ist ziemlich beliebt. Als ich noch Kind war und zur Grundschule ging, wurde das Alphabet nach immer denselben Stereotypen gelehrt. Bei Ihnen wäre das A für Apfel, B für Blume. Auf Laotisch klingt das so: Gogaigogoah ... Immer wieder dasselbe, in jedem Dorf, in jeder Klasse wird das Alphabet auf diese Weise gelehrt. Und ich habe einfach neue Worte dazu genommen und kleine Gedichte verfasst, dann wird es leicht zu lesen. Und es macht auch mehr Spaß. Dazu viele bunte Bilder und Piktogramme für die Kinder. O-Ton Sasha Alyson And we got an artist to illustrate ... hermit, poluci is the Lao word. A more magical, mystical somehow religious figure here in Laos. Sprecher 4 Ein Künstler hat es dann illustriert. Inzwischen haben wir 60.000 Exemplare in Umlauf gebracht. Und das in einem Land mit nur sieben Millionen Menschen. Ich mache sehr gerne Radtouren aufs Land. Dann nehme ich immer Bücher mit. Und die Kinder kennen inzwischen die 16 Buchstaben und Gedichte. Wir haben auch ein Handbuch für Lehrer veröffentlicht und ein Buch über einen Einsiedler, ein magisches und auch religiöses Geschöpf hier in Laos. Sprecherin 1 Schon lange können sie nicht mehr alle Bücher selbst verfassen. Big Brother Mouse hat deshalb begonnen, ein Autorenteam aufzubauen. Zu dem gehört auch Thipnouda Itthipol, die alle Nawla nennen. Sprecher 1 Naw bedeutet junger Bambus-Steckling und La ist die in Laos übliche Bezeichnung für das letztgeborene Kind. Sprecherin 1 Nawla ist als einziges Mädchen unter fünf Geschwistern in einem BauernDorf in den Bergen, das nur über den Mekong zu erreichen ist, aufgewachsen. Mit Ende 20 organisiert sie heute die Büroarbeit bei Big Brother Mouse und schreibt vor allem für die Reihe "I can read" Bücher für die ganz Kleinen. Sie hat das Buch über die starke Krabbe geschrieben. O-Ton Nawla My name Nawla. ... about flowers. I tell them about the names of the different flowers. Sprecherin 2 Ich schreibe lustige Geschichten über Tiere, weil ich möchte, dass die Kinder jeden Satz verstehen und spielend das Alphabet lesen lernen. Hier das ist über Blumen. Viele Kinder kennen alle Blumen aber kennen oft 17 nicht deren Namen. Und ich erzähle ihnen dann Geschichten zu den Namen der verschiedenen Pflanzen. Sprecherin 1 Für die etwas größeren hat Nawla ein regionales Kochbuch geschrieben, das für Big Brother Mouse zum Bestseller geworden ist. Es ist bereits ihr achtes Buch. Auch Tavivanh hat angefangen zu schreiben. Zurzeit besucht er Heiler und Hebammen in den Dörfern für einen Gesundheitsratgeber, der in Lao und Englisch erscheinen soll. Ein Ernährungsratgeber im Verlagsprogramm hat ihn auf diese Idee gebracht. In der Ratgeber-Reihe entstand auch "What's in the Market?", ein Führer durch die traditionellen Märkte, mit einem Überblick über Geschmack, Kultur und tägliches Leben in Laos: Über Medizin, wie in Alkohol eingelegte Schlangen und Kräuter, über Delikatessen wie Algen aus dem Mekong, frittierter Büffelhaut und Süßigkeiten aus Klebereis, bis hin zu Musikinstrumenten und gewebten Stoffen aus den Bergdörfern. Musik - Percussion und Flöte, darauf Sprecher 2 Maeng khaeng oder Stinkekäfer sind zwei bis drei Zentimeter lange dunkelbraune Insekten. Sie leben in den Blättern des Longan Baumes, dessen Früchte mit Lichees verwandt sind. Ihren bedauernswerten Namen verdanken sie ihrem starken Geruch, von dem man sich aber nicht 18 abschrecken lassen sollte. Normalerweise isst man sie frittiert oder verarbeitet sie zu einer Sauce. Sie haben ein knuspriges Äußeres und sind innen ölig klebrig. Die jüngeren Stinker schmecken delikater als die alten, die ein stärkeres Aroma haben. Wer diese kleinen Kerle auf dem Markt sieht, sollte sich nicht entgehen lassen, sie wenigstens einmal zu kosten. Es lohnt sich. Sprecherin 1 "What's in the Market?" ist zweisprachig aufgemacht, in Lao und Englisch, sodass man die Broschüre auch Touristen anbieten kann. Doch nicht alle Kosten des Verlages lassen sich durch den Buchverkauf abdecken. Deshalb sucht Big Brother Mouse regelmäßig nach Sponsoren, die Patenschaften für Bücher übernehmen und deren Druck finanzieren. Die wirbt Sasha Alyson ein, während sich Khamla Panyasouk um den täglichen Produktionsprozess kümmert. O-Ton Khamla Mostly I work to get books ready for the printer and for government... Sprecher 3 Ich bin immer für den letzten Schliff zuständig, das heißt ich muss wie in jedem Verlag, das Layout fertig stellen, Texte und Illustrationen zusammenfügen und die Dateien an die Druckerei weiter leiten. Sprecherin 1 Das heißt auch, das Buch in eine Form zu bringen, die genehmigungsfähig ist. 19 O-Ton Khamla I'm the person for the final check ... to get approve from government. Sprecherin 1 Im kommunistischen Laos gibt es auch eine Zensurbehörde. Mit der könnte ein Ausländer gar nicht verhandeln, weil er deren Empfindlichkeiten kaum verstehen würde. Die Zensoren in Laos seien nicht besonders streng, erklärt Khamla. Probleme entstünden, wenn sie etwas nicht verstehen und es verbieten, bevor es womöglich Ärger gibt. Und laotische Zensoren verstehen vieles nicht, weil sie das Lesen nicht gewohnt sind. Sprecher 1 Erst die französischen Kolonialherren hatten in den 1920er-Jahren Druckmaschinen ins Land gebracht. Ihre Literatur-Produktion beschränkte sich aber auf französische Werke. Nach der Unabhängigkeit 1954 erschienen im Königreich ein offizielles Geschichtsbuch auf laotisch und ein Wörterbuch, aber die schmale Oberschicht las – wenn überhaupt weiter französische Autoren. Die Pathet Lao waren die ersten, die versuchten, eine eigene laotische Literatur zu schaffen. Die sollte vor allem propagandis tisches Werkzeug sein. In der Hauptstadt Vientiane gründeten sie ein kleines staatliches Verlagswesen und schufen einen Schriftstellerverband nach dem Vorbild der sozialistischen Bruderstaaten. Dessen Mitglieder schrieben ein paar Werke, die überladen waren mit marxistisch-leninistischen Belehrungen 20 und damit völlig an der Lebenswelt der Bauern vorbeigingen. Sie entsprachen den Regeln der Zensur, die bis heute hauptsächlich verlangen, dass ein Buch nicht für Unruhe sorgt oder Mächtige beleidigt. Sprecherin 1 Die Zensoren ahnen natürlich, dass die Autoren von Big Brother Mouse eine ganz andere Literatur schaffen und zwischen den Zeilen gefährliche Botschaften platzieren wollen, die ihnen entgehen. O-Ton So I must look carefully for things the government don't like. Or things that aren't the way it should be in Laos. Sprecher 3 Deshalb müsse er immer besonders sensibel mit ihnen verhandeln, erzählt Khamla, damit sie am Ende das Gefühl hätten, alles sei so, wie es in Laos nun einmal sein müsse. Besonders knifflig wurde es, als der Verlag ausländische Werke herausbrachte. Für Khamla stand von Anfang an fest, dass Big Brother Mouse nicht nur ein Forum für laotische Schriftsteller sein, sondern auch Weltliteratur ins Land bringen sollte. O-Ton Khamla In Laos we don't have many books ... Sasha had a lot of ideas to make books ... And we made it happen. 21 Sprecher 3 Es gab ja so wenige Bücher in Laos. Und Sasha hatte viele Ideen, er hatte ja schon mal einen Verlag geleitet. Er kannte so viele Bücher, di e in anderen Ländern erfolgreich waren, und wusste auch, welche Bücher vielleicht für laotische Leser interessant sein könnten. Und dann haben wir zusammen überlegt, mit welchen es hier klappen könnte. Sprecherin 1 Zuerst haben sie ein paar Sherlock Holmes Geschichten veröffentlicht. Krimis gehen überall auf der Welt und Geschichten, die in längst vergangenen Zeiten spielen, regen Zensoren nicht so schnell auf. Dann aber wollten sie ihr Sortiment auf zeitgenössische Werke ausweiten. O-Ton Sasha Alyson We looked at a list of books from the past ... Anne Frank Foundation was very helpful. Sprecher 4 Wir haben zehn Klassiker ins Auge gefasst und versucht, die Rechte zu bekommen. Und beim Tagebuch eines jungen Mädchens, Anne Frank, hatten wir eine Chance. Die Anne-Frank-Foundation war wirklich sehr kooperativ und hilfsbereit. Sprecherin 1 Anfangs dachte Sasha Alyson, er könne die Übersetzung selbst bewerkstelligen. Er lebt schließlich lange genug im Land, um sich problemlos zu verständigen. Aber schnell merkte er, dass er viel zu viele Fehler machte und vor allem keinen Erzählstil fand, der Laoten gefesselt hätte. Also engagierten sie einen einheimischen Übersetzer. 22 O-Ton Sasha Alyson Anne Frank's diary ... a book about World war 2. Sprecher 4 Anne Franks Tagebuch zu übertragen war natürlich eine Herausforderung. Die Übersetzung hat fünf Jahre gedauert. Es gab viele Anspielungen, die der Übersetzer nicht kannte, und es ist für laotische Verhältnisse ein sehr langes Buch. Übersetzung ist eine Kunst, die nur sehr wenige Leute hier beherrschen. Als wir dabei waren, fragte mich einer: 'Zweiter Weltkrieg, ist das so etwas wie Star Wars?' Und da war uns klar, dass wir am besten gleich noch ein Sachbuch über den Zweiten Weltkrieg parallel schreiben sollten. Sprecherin 1 Einfacher wäre es, der Verlag könnte mit ausländischen Autoren arbeiten, deren Geschichten etwas mit Laos zu tun hätten. Davon gibt es nur ganz wenige. Einer von ihnen ist der Brite Colin Cotterill. Er hat mittlerweile zwölf Krimis veröffentlicht, die im Laos der 70er-Jahre spielen. Sie sind bereits in einige Sprachen übersetzt und so etwa in Deutschland zu Bestsellern geworden. Aber eine Ausgabe in laotischer Sprache gibt es bisher nicht. Die Hauptfigur aller zwölf Bände ist der Pathologe Dr. Siri Paiboun, der von den Pathet Lao zum Gerichtsmediziner bestimmt wurde. Seine Ermittlungen führen den greisen Genossen auch nach Luang Prabang in den Garten des abgesetzten Königs. Sprecher 2 Er überquerte die staubige Kreuzung in der Dorfmitte und schlenderte zum Fluss hinunter. Dort angekommen, folgte er dem Wasserlauf, der sich 23 cremigbraun dahinwälzte wie zähflüssiger Milchkaffee. Er achtete sorgfältig auf seine Schritte, um nicht versehentlich auf eine Hundefurzblume zu treten. Die sinkende Sonne wanderte am anderen Ufer vor sich hin und verschwand immer wieder hinter Bäumen. Die tristen Hügel vor den Toren Luang Prabangs waren mit frisch gedroschenen Feldern übersät, die von fern wie schmerzhafte Hautverpflanzungen aussahen. Die Bäume ... hingen voller Früchte. ... Mangostanen, Rambutanen, Rosenäpfel, allesamt prall, reif und unberührt. O-Ton Colin Cotterill The books weren't published in Laos ... a literacy programme that started with Big Brother mouse. Sprecher 6 Ich wollte die Bücher ins Laotische übersetzen lassen, um zum Aufbau einer Literaturszene beizutragen, wie es damals Big Brother Mouse angefangen hat. Sprecherin 1 Cotterills Bücher wurden in Laos erst veröffentlicht, nachdem international bereits der siebte oder achte Band erschienen war. Und auch nur in Englisch. Der Schriftsteller – ein sportlicher Typ mit Stoppelbart und kurzen grauen Haaren unter dem Basecap - und Sasha Alyson sind alte Freunde. Cotterill ist Anfang 60 und hat 15 Jahre in Laos gelebt. Er spricht laotisch und bildete in einem UNESCO-Projekt im Süden des Landes Englischlehrer aus. O-Ton Colin Cotterill I saw my Dr. Siri Books as the adult version ... because there is no Lao literature. Sprecher 6 24 Ich habe meine Dr.-Siri-Bücher als Ergänzung zu seinem Programm gesehen, weil sie Lesestoff für Erwachsene sein könnten. Denn für sie gab es nichts anderes zu lesen als einige Zeitungen mit Reportagen über die Reisernte der letzten sechs Monate oder politische Abhandlungen. Ich träumte davon, dass meine Bücher auf laotisch an der Universität gelesen würden und ich eingeladen würde, mich vor einer Gruppe von Literaturstudenten für meine Fehler verantworten zu müssen. Was mir überhaupt nichts ausgemacht hätte. Aber leider gibt es keine Literaturwissenschaft an den laotischen Universitäten, weil es keine laotische Literatur gibt. Atmo Sabbai di ... Schulkinder, Chor in Klasse Sprecherin 1 Wenn er zu Recherchen für seine Bücher nach Luang Prabang kommt, fährt Colin Cotterill gerne mit Big Brother Mouse zu den Book Partys, um mit den Kindern zu spielen, zu singen und zu lesen. Er lebt heute in Thailand und darf nur noch mit einem Touristen-Visum einreisen. Er war 1994 ausgewiesen worden war, weil er sich mit den Behörden angel egt hatte. Musik »Dr. Siri, darf ich fragen, wie es mit Ihrer Revolution vorangeht? « »Am Lagerfeuer im Dschungel gehen Revolutionen in aller Regel reibungsloser vonstatten als im richtigen Leben. « »Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber Sie machen mir eigentlich nicht den Eindruck eines glühenden Sozialisten. « »Ich kann eine gewisse Enttäuschung nicht verhehlen. ... Die Machtübernahme hat uns ziemlich kalt erwischt. Sie kam so plötzlich. « 25 »Zwanzig Jahre kann man wohl kaum plötzlich nennen«, meinte der König. »Aber das ist es ja gerade. Das ewige Herumhocken macht einen träge und lethargisch. Nach einer Weile fragt man sich, ob der revolutionäre Traum wohl jemals wahr wird. Und plötzlich – zack – muss man ein Land regieren. Die Pathet Lao sind auf dem Rücken eines wütenden nordvietnamesischen Drachen an die Macht in Laos gelangt.« ... Der König nippte an seinem Whisky, und seine angewiderte Grimasse mutierte zu einem schiefen Lächeln. »Dann haben Sie die Beamten des alten Regimes also nicht in Konzentrationslager gesteckt?« »Ich glaube, die Partei zieht die Bezeichnung Umerziehungslager vor. Sie sind wie Ferienlager mit Stacheldraht und Zwangsarbeit. Ich weiß genau, was Sie meinen. Und einige Ihrer Bedenken teile ich durchaus. Ich halte es für ein Unding, Leute aufgrund ihrer Überzeugung einzusperren. Aber ich weiß auch, dass – zumindest in der Anfangsphase – ein gewisses Maß an Stabilität vonnöten ist. Abweichler, die das Volk gegen die Regierung aufhetzen, kann sich die Partei nicht leisten. Sie hat so schon genug Probleme.« »Aber ... « »Und Sie müssen zugeben, dass Ihre Regierungsbeamten auch keine Engel waren, von Militär und Polizei gar nicht zu reden. Der Sicherheitsrat hat jede Menge Beweise für Korruption in großem Stil, bis hinauf in höchste Stellen.« »Auch Ihre Beamten werden nicht allzu lange brauchen, um die hohe Kunst der Bestechung zu erlernen. Der Mensch ist nun einmal von Natur aus habgierig. Traurig, aber wahr.« »Sie haben ja recht. Aber in unseren Reihen gibt es viele gute, anständige Leute, denen das Wohl des Landes wirklich am Herzen liegt. »Dann wollen wir Buddha dafür danken.« Atmo Stimmen, Atmo des Raumes Cope Visitor Center 26 Sprecher 1 In der laotischen Geschichte gibt es mehrere Kapitel, die weitgehend beschwiegen werden. O-Ton Michael Boddington My name is Mike ... and I set up COPE. Sprecherin 1 Der Britische Entwicklungshelfer Michael Boddington hat vor 19 Jahren COPE gegründet, eine Kooperative, die Prothesen für Opfer des Vietnamkriegs herstellt. Anfangs hat er selbst an künstlichen Gelenken mitgeschraubt. Seit er in Rente ist, macht er nur noch Führungen im Besucherzentrum in der Hauptstadt Vientiane, in dem COPE an den schmutzigen Krieg der USA gegen den Kommunismus in Südostasien erinnert. Sprecher 1 Rund zwei Millionen Tonnen Bomben, Granaten und vor allem Streumunition gingen auf das Land nieder bis der Krieg 1975 endete. Luang Prabang blieb zwar verschont, aber immer noch liegen in anderen Landesteilen im Dschungel und auf Feldern, am Rand von Straßen und auf dem Grund von Seen Blindgänger. Nach US-amerikanischen Unterlagen könnten es bis zu 80 Millionen sein. Noch heute explodieren immer wieder Geschosse und verstümmeln Menschen. Sprecherin 1 27 Zum Beispiel Herrn Ta, dessen Geschichte Michael Boddington seinen Besuchergruppen erzählt. O-Ton Michael Boddington He had a boat and he rowed up the river ... be like a dog and get down to eat his plate on the floor Sprecher 7 Er hatte ein Boot und fand beim Fischen eine Bombe am Ufer. Er beschloss, die Bombe in den Fluss zu bugsieren und dort hochgehen zu lassen. Mit Bambusstangen versuchte er die Bombe zu entschärfen. Sie explodierte bei der Berührung und er verlor beide Hände, Teile seiner Arme und ein Auge. Er bekam im Krankenhaus eine Minimalversorgung und seine Familie lebte zwei Jahre lang unter ärmlichsten Verhältnissen. Er musste gefüttert werden oder er musste von einem Teller auf dem Boden essen und fühlte sich wie ein Hund. Atmo Visitor Centre Sprecherin 1 Viele Laoten wissen so gut wie nichts über diesen Krieg, der in den meisten Familien verschwiegen wird. O-Ton Michael Boddington The experience of being a refugee ... so they forget it. Sprecher 7 Die Fluchterfahrungen und die Kriegserlebnisse haben die alte Generation so traumatisiert, dass sie nicht darüber sprechen wollen. Und so erfahren die Jungen nichts und alle vergessen dieses Kapitel ihrer Geschichte. Sprecherin 1 28 Im Museumsshop des Besucherzentrums liegen neben den Siri-Romanen Cotterills zwei Bücher in laotischer Sprache, die das ändern könnten. Erschienen sind sie bei Big Brother Mouse. O-Ton Sasha Alyson We have a book ... of one of our staff .... they have no writing experience. Sprecher 4 Einer unserer Mitarbeiter hatte sich entschlossen, ein Buch über die laotischen Kämpfer herauszubringen - als die USA Laos so schwer bombardiert haben. Dafür versuchte er Zeitzeugen zu finden. Das war ziemlich schwierig, weil niemand Erfahrung mit dem Schreiben hatte. Sprecherin 1 Also, erzählt Verleger Sasha Alyson weiter, hat sich der Autor Thongphet Insimixay in die schwer erreichbaren Dschungelgebiete im Osten des Landes an der Grenze zu Vietnam aufgemacht, dorthin, wo der Ho-ChiMinh-Pfad verlief. Er hat mit Veteranen gesprochen, die damals den Nordvietnamesen geholfen haben. Einige wurden schwer verwundet und alle haben im Bombenhagel der Amerikaner Genossen verloren. O-Ton Sasha Alyson He had to drag the details bit by bit ... Xieng Khouang, which is up in the mountains further away. Sprecher 4 29 Er musste ihnen die Geschichten wirklich mühsam aus der Nase ziehen. Aber es hat sich gelohnt. Letztendlich konnten wir mit seinem Material zwei Bücher veröffentlichen. Sprecherin 1 Die sicher heikelste Geschichte aus den Kriegstagen lässt sich aber bis heute nicht erzählen. Sie hat sich nur etwa 100 Kilometer südöstlich von Luang Prabang abgespielt. Sprecher 1 In Long Cheng lag ein Luftwaffenstützpunkt der Amerikaner, der so geheim war, dass nicht einmal der Kongress davon erfahren durfte. Die Präsidenten Johnson und Nixon finanzierten ihn aus schwarzen Kassen. Von Long Cheng stiegen kleine Propellermaschinen auf, die über dem Dschungel mit Leuchtraketen die Bomberpiloten zu ihren Zielen leiteten. Die US Air Force hätte diesen Stützpunkt niemals ohne die Hilfe der 50.000 laotischen Kämpfer vom Volk der Hmong betreiben können. Sie leben als ethnische Minderheit in Gebieten in Myanmar über Thailand und Laos bis hin nach Nordvietnam. Sie hatten gehofft, die USA würden ihnen nach einem Sieg helfen, einen eigenen Staat aufzubauen. Nach der Niederlage der Amerikaner zogen sich die Hmong-Krieger in die Berge des Nordens zurück, wo sie angeblich noch heute kämpfen. Sprecherin 1 Sicher aber ist, dass Big Brother Mouse niemals ein Buch durch die Zensur bringen könnte, das zum Beispiel diese ethnischen Konflikte im Land 30 anspräche. Aber Sasha Alyson glaubt, dass das Interesse an solchen aufwühlenden, bisher tabuisierten Themen in Laos langsam wächst. O-Ton Sasha Alyson Yes, very much. ... .... some can not. Sprecher 4 Gerade Jugendliche sind sehr interessiert an diesen Geschichten, und wenn sie aufs Gymnasium gehen, wagen sie sich auch an so ein Buch heran. Für andere ist diese Lektüre aber einfach noch zu schwer. Sprecherin 1 Ein noch größeres Problem besteht darin, dass sich viele Familien Literatur nicht leisten können. Deshalb sollen ein paar Bücher frei zugänglich sein. O-Ton Sasha Alyson Right now we are putting some of our books online ... they are more likely buying. Sprecher 4 Im Moment sind wir dabei, einige unserer Bücher online zu stellen, damit man sie in Laos auf dem Handy lesen kann, wie ein kleines E-Book. Das machen doch junge Erwachsene auf der ganzen Welt. Außerdem gibt es hier selbst in den meisten größeren Städten keine Buchläden. Wir haben jetzt sechs Bücher auf unserer Homepage, aber nur in Lao. Das bringt Leute dazu, das Lesen zu entdecken. Das Problem ist natürlich, dass wir daran nichts verdienen. Aber es lohnt sich trotzdem. Wenn die Leute erst einmal auf ihrem Handy Big Brother Mouse entdeckt haben, wollen sie vielleicht irgendwann auch Bücher kaufen. O-Ton Khamla The most important now, I would like to ... if they don't read they cannot learn anything. 31 Sprecher 3 Wenn wir den Bildungsstandard heute mit dem der Vergangenheit vergleichen, ist er zwar besser, aber noch lange nicht so gut, wie er sein sollte. Es darf nicht sein, dass bei uns immer noch Kinder von der Schule abgehen und nicht lesen können. Wenn sie nicht lesen können, können sie auch nichts lernen. Sprecher 1 Alle zwei Jahre verleiht das International Board on Books for Young People seinen begehrten Jugendbuchpreis, der von der renommierten japanischen Tageszeitung Asahi Shimbun gesponsert wird. Weltweit werden zwei herausragende und nachhaltige Projekte der Leseförderung ausgewählt und mit jeweils 10.000 US-Dollar unterstützt. Sprecherin 1 Im August 2016 kann Khamla Panyasouk diesen Preis in Auckland in Neuseeland entgegennehmen. Musik Sprecher 2 Eines Tages beschloss der König, einen neuen Palast zu bauen. Er holte einen Astrologen an seinen Hof, der ihm sagen sollte, an welchem Tag er am besten mit seinem Vorhaben beginne. Sprecher Legenden an Tempelwänden Sprecher 2 32 Am nächsten Samstag bei Sonnenaufgang stehen die Sterne günstig, sagte der Astrologe, wenn du dann anfängst, werden sich die Steine in Gold verwandeln. Also befahl der König den Bauarbeitern, genau dann die Gründungspfähle in den Boden zu rammen. Sprecher 1 In Luang Prabang entsteht eine laotische Literatur Sprecher 2 Als der Samstagmorgen gekommen war, bemerkten die Bauarbeiter, dass die Baugrube, die sie vorbereitet hatten, zu klein war. Bis sie sie erweitert hatten, war der Moment verstrichen und die Pfähle kamen erst kurz nach Sonnenaufgang in die Erde. Sprecher 1 Sie hörten ein Feature von Regina Kusch und Andreas Beckmann. Sprecher 2 Ein Jahr lang hoffte der König, dass sich die Palastwände trotzdem zu Gold verwandeln würden. Aber nichts passierte. Da ließ der König de n Astrologen hinrichten. Sprecher 1 Es sprachen: Hildegard Meier Martin Bross Wolfgang Rüter Robert Dölle 33 Gregor Höppner Thomas Lang Volker Risch Christoph Wittelsbürger und Susanne Reuter Sprecher 2 Kurze Zeit später brachte die Hofgärtnerin dem König ein Bündel goldener Bananen. 'Wie hast du denn die gezüchtet?' fragte der König. Ich habe sie nicht gezüchtet, antwortete die Gärtnerin. Ich habe einfach nur den Setzling in dem Moment gepflanzt, den der Astrologe für günstig erklärt hatte. Sprecher 1 Ton und Technik: Wolfgang Rixius, Roman Weingardt Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Birgit Morgenrath Sprecher 2 Da befiel den König eine große Traurigkeit, weil er so ungerecht mit seinem Untertan umgegangen war. Sprecher 1 Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016. Musik
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