Solides Fundament

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>Solides
Fundament
Die Stille vor dem Sturm währt nur Sekunden. Stephan
schaue, ob der Wald das hergibt.“ Die Zahlen liefern
Schütte klappt das Visier seines Schutzhelms herunter
die Inventuren, die in allen Revieren alle zehn Jahre
und blickt zu der wankenden winterkahlen Krone des
durchgeführt werden. Dabei nehmen die Förster stich-
stattlichen Baums hoch. Dann kracht es, und die Eiche
probenartig Bäume in Augenschein, um die Qualität zu
rast tosend dem Waldboden entgegen. „Die ist maro-
bewerten. Und sie ermitteln anhand von Größe und
de“, sagt Stephan Schütte. „Aber für die Landeskasse
Alter eines Baums die Wachstumsleistung jeder Baum-
können wir das Holz noch nutzen.“ Seit heute Morgen
art. „Das ist kompliziert, aber der Computer hilft bei
sind die Forstarbeiter damit beschäftigt, Laubbäume im
der Berechnung“, sagt Schütte. „Ich rechne dann die
südwestlich von Bonn gelegenen Kottenforst zu fällen.
Einzeldaten auf alle Staatswaldflächen hoch und ver-
Sie arbeiten sich an den Bäumen ab, die der Revier-
gleiche sie mit den Zahlen eines Normalwaldes, in
förster mit einem blauen Strich markiert hat – abge-
dem alle Baumarten aller Altersstufen optimal wach-
storbene, schwache, fehlgewachsene, zu eng stehen-
sen.“ Das Ergebnis zeigt ihm, wie hoch der Holzzu-
de und erntereife. „Wir entnehmen nur einzelne Bäu-
wachs im Staatsforst pro Jahr sein wird: „Ich stimme
me, damit die starken mehr Licht bekommen und sich
den Holzeinschlag mit den Förstern ab und mache mit
der Wald aus eigener Kraft verjüngen kann“, sagt Schüt-
den Sägewerken Holzverkaufsverträge.“
te und zeigt auf drei kniehohe Eichenbäumchen. „Da
Krisen vorbauen: Die Forstwirtschaft
setzt auf nachhaltiges Wachstum. Damit
sichert sie die Bedürfnisse der heutigen
Generation und schafft künftigen Generationen ein reiches „Wald-Erbe“
kommt die neue Waldgeneration. Die haben sich selber
EICHEN STATT FICHTEN
ausgesät.“
Mittlerweile hat sich einer der Forstarbeiter darange-
Für Damwild, Wildschweine, Rehe und Hasen wä-
macht, mit Maßband und Kluppe die Länge und den
ren die Jungbäume ein gefundenes Fressen, weiß
Durchmesser der 180 Jahre alten Eiche zu messen. Ein
Schütte. Damit ein Gleichgewicht herrscht zwischen
zweiter markiert mit der Kreissäge die Stellen, wo das
Wildpopulation und Waldbau, gehen er und seine Kol-
wertvolle Stammholz herausgesägt werden soll. Der
legen regelmäßig auf die Jagd. Aber heute ist Schütte
Rest ist Brennholz. Morgen wird der Förster noch ein-
in den Wald gekommen, um zu schauen, wie die Ar-
mal vorbeischauen und die Verwertungsvorschläge
beiten vorankommen. Eine Ausnahme, denn meistens
mit seinen Baumdaten abgleichen. Der Baum wird
sitzt der diplomierte Forstwirt und Fachgebietsleiter
dann mit dem Forwarder auf eigens dafür vorgese-
Staatswald an seinem Schreibtisch im Forstamt Rhein-
henen „Rückegassen“ aus dem Wald gezogen, um
Sieg-Erft und hat ein wachsames Auge darauf, dass die
den Boden und die wertvollen Bäume
23.000 Hektar großen, unter Naturschutz stehenden
zu schützen. Schütte wird den Holz-
nordrhein-westfälischen Landeswälder im Ballungs-
käufer später anrufen und ihm mittei-
raum Köln-Bonn so bewirtschaftet werden, wie es das
len, dass der Baum zur Abholung be-
Forstgesetz für Staatsforste vorgibt: ökonomisch und
reitliegt.
ökologisch nachhaltig. Eine natürliche Waldverjüngung
Im benachbarten Waldstück stapeln
gehört ebenso zu den Prinzipien der nachhaltigen
sich indes die Holzstämme. Ein Forstar-
Waldbewirtschaftung wie der Grundsatz, niemals mehr
beiter hat mit dem Harvester reihen-
Holz zu fällen als nachwächst. „Wir planen und arbei-
weise Fichten geerntet, Äste entfernt,
ten für zukünftige Generationen“, sagt Schütte.
Stämme gefällt und zugeschnitten. „Die
Rund 7.000 Bäume dürfen in diesem Jahr in diesem
Äste lassen wir für die Pilze und Insek-
Teil des Kottenforstes eingeschlagen werden. Darauf
ten liegen. Die machen nährstoffrei-
haben sich Revierförster Bongartz und Schütte geeinigt:
chen Humus daraus“, sagt Schütte.
„Die Förster geben mir ihre Jahresplanungen und ich
„Und den alten Baum dahinten lassen
wir auch stehen, für Spechte und Fledermäuse zum Brüten.“ Totes Holz
GENAUE BEGUTACHTUNG
sorgt für Tierartenvielfalt, das wisse
Stephan Schütte denkt
man aus der Waldforschung. Und man
beim einzelnen Baum an
die Zukunft des gesamten
Ökosystems Wald
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„Wir planen und arbeiten fur
zukunftige
Generationen“
Stephan Schütte
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brauche Baumvielfalt, um die Ansprüche, die die Men-
ma“ haben hier 2007 und 2008 gewütet und eine fuß-
schen an Holzprodukte hätten, zu erfüllen: Fichtenholz
ballplatzgroße Kahlfläche in den Wald gerissen. „Fich-
für die Papier- und Bauholzproduktion, Kirsche, Esche,
ten bieten dem Wind eine große Angriffsfläche, weil
„Nachhaltige Waldwirtschaft ist stetiges Abwägen zwischen Ökonomie und Ökologie“
Buche und Eiche, um Möbel herzustellen.
sie im Winter ihre Nadeln nicht verlieren“, erklärt der
Fichten werde man im Kottenforst allerdings zu-
Forstwirt. Im Rheinland blieb der Schaden vergleichs-
künftig nicht mehr flächig anpflanzen, sagt Schütte.
weise klein – 230 Hektar sind in den Staatsforsten ver-
Denn die Fichte sei anfällig, erzählt er, während er sei-
nichtet worden. In Schüttes Heimat, dem Hochsauer-
nen alten Golf vorsichtig an einer Gruppe von Wande-
land, fielen dagegen 30.000 Hektar Wald um – 95 Pro-
rern vorbei- und um mehrere große Schlaglöcher her-
zent davon waren Fichten. Auch Schüttes Bruder verlor
umlenkt: „Wir sind der Hydepark von Köln und Bonn.
dort 80 Prozent seines 50 Hektar großen Waldes. „Ei-
Am Wochenende ist hier der Teufel los.“ Doch mit den
ne ökonomische Katastrophe. Ich habe ihm geraten,
2,50 Euro, die das Land pro Bürger jährlich für den Wald
schnell zu handeln, denn in Sturmjahren geht der Holz-
zur Verfügung stellt, bleibe für die Pflege der 110 Kilo-
preis wegen des Überangebotes in den Keller“, erzählt
meter Fuß- und Reitwege aktuell nichts übrig. Erst
Schütte. Sein Bruder verkaufte – mit Verlust. Statt 50
müssen noch die letzten 20 Prozent Fichtenbestand im
Euro verdiente er im Krisenjahr 2008 nur 25 Euro pro
Forst zu Laubwäldern umgebaut und damit der Anteil
Festmeter. Viel zu wenig, um die Wiederaufforstung
an Werthölzern für den Möbelbau erhöht werden. „Die-
davon finanzieren zu können. Also nahm er das staat-
ser Prozess dauert rund 100 Jahre. Und wir stehen erst
liche Förderprogramm zur Wiederaufforstung in An-
im Jahr 20“, so Schütte.
spruch, mit der Auflage, nur Laubbäume zu pflanzen.
Auch im Kottenforst sollen Eichen und Buchen die
ANGRIFFSFLÄCHEN VERMEIDEN
Wurfschäden, die „Kyrill“ und „Emma“, angerichtet ha-
„Die Fichten müssen weg, weil sie eigentlich Gebirgs-
ben, kompensieren. Bis man die ersten Stämme für
bäume sind“, erklärt Stephan Schütte. „Hohe Tempe-
den Holzverkauf nutzen kann, werden allerdings 200
raturen bedeuten Stress für sie und machen sie anfäl-
Jahre vergehen, weiß Schütte. Sollte man da vielleicht
lig für den Fichtenborkenkäfer.“ Der vermehrt sich im
doch auf die mehr als doppelt so schnell wachsenden
milden Rheinklima exponentiell – statt der üblichen 60
Fichten setzen? Schütte lässt seinen Blick über die
bekommt hier ein Käferpärchen rund 1.360 Nachkom-
sonnengeflutete Lichtung schweifen: „Nachhaltige
men pro Jahr. Außerdem sind Fichten weniger stand-
Waldwirtschaft ist ein stetiges Abwägen zwischen
haft als Laubbäume. Schütte hält neben einer Lichtung.
Ökonomie und Ökologie. Beim nächsten Sturm oder
Mücken tänzeln in der morgendlichen Februarsonne.
der nächsten Trockenperiode wären die Fichten die
Doch das Idyll trügt, die Winterstürme „Kyrill“ und „Em-
ersten Opfer. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt.“ |
> Hartes Business
Das Bundeswaldgesetz verpflichtet alle Waldbesitzer dazu, ihren Wald nachhaltig zu bewirtschaften und weiterzuentwickeln: als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, als Erholungsraum
für Menschen und als Holzlieferant für die Bau-,
Möbel- und Energieindustrie. Vorrangiges Ziel dabei ist, artenreiche Wälder mit standortgeeigneten Bäumen aufzubauen und dafür die natürlichen Abläufe des Waldökosystems zu nutzen.
Hohe Renditen lassen sich damit allerdings nicht
erzielen: Bis sich ein Buchensetzling zu einem
erntereifen Qualitätsbaum entwickelt hat, vergehen 150 Jahre. Nach heutigen Marktpreisen wäre
das Nutzholz, etwa drei Festmeter Stammholz
und zwei Festmeter Brennholz, 450 Euro wert.
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