Sachverhalt - Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften

Dr. Sönke E. Schulz
Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften
Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene
(25.07.2016 bis 28.09.2016)
Keule (K), ein stadtbekannter Rocker aus Kiel, ist stolzer Besitzer von zwei Hunden: Anton ist
ein kräftiger, ausgewachsener Deutsch Kurzhaar mit einem Stockmaß von 75 cm, Odin ein
Jack-Russel-Terrier mit einem Stockmaß von 30 cm.
Keule wurde am 19. Juni 2016 bei einem Spaziergang in der Kieler Forstbaumschule von Beamten des städtischen Ordnungsamtes angetroffen, als Odin und Anton gerade freilaufend in
unmittelbarer Nähe eines Kinderspielplatzes umher tollten. Eine Hundeleine hatte Keule wie so
oft nicht dabei. Aufgrund dieses Vorfalls und angesichts von Keules stadt- und amtsbekannter
Vergangenheit – zahlreiche „milieutypische“ Straftaten, immer wieder wechselnde Hunde, darunter auch sog. Kampfhunde – entschied sich die Stadt Kiel, Bürger- und Ordnungsamt, dazu,
Maßnahmen zu ergreifen.
Mit Bescheid von 21. Juni 2016, der vom Ordnungsamt noch am gleichen Tag zur Post gegeben wurde und mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, wurde Keule aufgefordert, die erforderliche Sachkunde zum Halten von Odin und Anton durch die Teilnahme an einer Sachkundeprüfung nachzuweisen.
Außerdem wurde im gleichen Bescheid festgestellt, dass es sich bei Odin um einen gefährlichen Hund handele. Hintergrund dieser Einschätzung der Beamten ist ein anonymer Hinweis
aus dem Kieler Rockermilieu: Danach würde Odin bei seinen täglichen Spaziergängen im Park
immer wieder andere Tiere hetzen und beißen; zudem sei es auch zu Beißattacken gegenüber
Menschen gekommen. Diesen Hinweis hält die Behörde für ausreichend; weitergehende Ermittlungen seien nicht erforderlich. Hinsichtlich dieses Teils des Bescheids ordnet die Stadt Kiel die
sofortige Vollziehbarkeit des Bescheids an. Dies begründet sie nicht näher, sondern verweist
lediglich auf die Begründung der Feststellung der Gefährlichkeit.
Keule ist empört und beratschlagt mit seinem alten Freund Schädel, der mittlerweile sein Jurastudium abgeschlossen hat, was man dagegen nun machen könne. Die Beiden fertigen umgehend einen Einspruch, da Keule keine Lust auf eine Sachkundeprüfung hat. Schon die Führerscheinprüfung sei ja schief gegangen. Den Einspruch hinsichtlich der Sachkundeprüfung
adressieren sie an den Oberbürgermeister der Stadt Kiel und versenden ihn aufgrund von Keules Vergesslichkeit erst am Abend des 25. Juli 2016 mit einer sog. De-Mail an die Adresse bü[email protected]. Schädel hat nämlich gehört, dass es sich bei der De-Mail um
den neuesten Dienst für rechtssichere und verbindliche Kommunikation handele; mittlerweile
soll es sogar möglich sein, die gesetzliche Schriftform mit dieser Technologie einzuhalten. Das
Adressformat bü[email protected] entspricht dem Standard und kann so den
allgemeinen Informationen zu De-Mail im Internet entnommen werden. Keule wählt extra einen
teuren Premiumversand, bei dem seine sichere Anmeldung – ein Glück ist er stolzer Besitzer
des elektronischen Personalausweises – zum De-Mail-Portal in der Nachricht so bestätigt wird,
dass die Unverfälschtheit der Bestätigung jederzeit nachprüfbar ist.
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Dr. Sönke E. Schulz
Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften
Keule erhält zwar keine Zustell- oder Abrufbestätigung, ist sich aber sicher, alles Erforderliche
getan zu haben. Mitte August 2016 trifft er bei seiner täglichen Runde in der Forstbaumschule
Ludwig, einen alten Schulfreund, der mittlerweile im Ordnungsamt der Stadt Kiel beschäftigt ist.
Dieser teilt ihm mit, dass bei ihnen sicher keine solche De-Mail eingegangen sei. Von diesem
Dienst habe er ja noch nie gehört.
Gleich am nächsten Tag verfasst Keule daher mit Hilfe von Schädel ein empörtes Schreiben:
Es könne wohl nicht angehen, dass man seine De-Mail ignoriere; schließlich gebe ihm das Landesverwaltungsrecht ein subjektives Recht auf diese Form der Kommunikation; die Behörde sei
verpflichtet, einen De-Mail-Zugang zu eröffnen. Dies stehe so auch in § 2 Absatz 2 des E-Government-Gesetzes. Außerdem handele die Behörde sogar verfassungswidrig, da auch die
schleswig-holsteinische Landesverfassung ein Recht auf elektronischen Zugang enthalte. Daher sei die Behörde so zu behandeln, als sei seine De-Mail form- und fristgerecht eingegangen.
Ihn treffe jedenfalls keine Schuld. In der Sache verweist er erneut darauf, dass es überhaupt
keine Rechtsgrundlage gebe, von ihm eine Sachkundeprüfung zu verlangen.
Dass sein kleiner Odin gefährlich sein solle, bringt Keule noch mehr auf die Palme. Der Kleine
habe noch nie irgendjemandem etwas getan. Außerdem könne mal wohl nicht jedem daher gelaufenen Rocker glauben. Schließlich sei der Informant sicher Mitglied eines verfeindeten
Clubs. Daher hat er sofort, nachdem er den Bescheid der Stadt Kiel am 22. Juni 2016 erhalten
hat, ein Telefax an das Verwaltungsgericht Schleswig geschickt. Dies erschien ihm sicherer;
Behörden würden ja ohnehin machen, was sie wollen. Er beantragt festzustellen, dass die Stadt
Kiel auf Grundlage der Feststellung jedenfalls keine weiteren Maßnahmen ergreifen kann, bis
die Angelegenheit abschließend geklärt sei.
Bearbeitervermerk: Prüfen Sie die Erfolgsaussichten von Keules Vorgehen. Alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen sind in einem umfassenden Rechtsgutachten (ggf. Hilfsgutachten) zu beantworten. Viel Erfolg!
Die Bearbeitung der Hausarbeit darf 25 Seiten (ohne Deckblatt, Inhalts- und Literaturverzeichnis) nicht
überschreiten. Ein Drittel Rand ist freizulassen, Schriftgröße 12 pt., 1 ½ Zeilenabstand. Die Hausarbeit ist
zwischen dem 25. Juli und dem 28. September 2016 zu bearbeiten. Empfohlen wird eine Bearbeitungszeit von drei Wochen.
Abgabe durch Einwurf in den gekennzeichneten Briefkasten im Seminar oder per Post mit Stempel spätestens vom 28. September 2016 an: Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften, Dr. Sönke
E. Schulz, Olshausenstraße 75, 24118 Kiel.
Die Rückgabe und Besprechung der Hausarbeit findet am Freitag, den 4.11.2016, von 16.15-17.45 Uhr
(voraussichtlich: Hörsaal 3, Olshausenstraße 75, Hans-Heinrich-Driftmann-Hörsaal) statt.
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