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hitler, satan und sadismus
hitler
satan
und
sadismus
feuilleton
Über meine Begegnung mit dem
»National Socialist Black Metal« — und wie ich
mich aus den Klauen der Neonazis befreit habe.
illustration
paula hummer
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from first to last
waltz moore
Trotzdem würde ich behaupten, dass die
Emo-Kultur harmlos war. Nicht so wie das, was
mir kurze Zeit später in die Hände gefallen ist.
Schon früh habe ich ein Interesse für Heavy
Metal entwickelt. Besonders fasziniert haben
mich Albencover mit Waldlandschaften, Pentagrammen und aschgrauen Frauen, die nachts
auf Friedhöfen lungern. Doch ähnlich wie bei
allen Erscheinungen der Popkultur wimmelt es
unter Metal-Künstlern vor mediokren Dilettanten. Nicht so im Black Metal. Das Genre
entstand in den 1980er-Jahren in Schweden und
Norwegen – und klingt so, als würde es direkt
der Hölle entspringen. Black Metal kombi-
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niert inhumanes Gekrächze, Drumcomputer,
monotone Gitarrenriffs und Lyrics, die auf
den drei Säulen Misanthropie, Satanismus und
Nihilismus fußen. Der perfekte Entwurf einer
Gegenkultur.
Auch wenn es so klingt, aber ich war kein
Creep, der im Kämmerlein blutrünstige Phantasien von Amokläufen hegte. Ich steckte voller
Tatendrang, machte Sport und tummelte mich
im Nachtleben. Doch wie viele Jugendliche kam
ich nicht klar auf die Gesellschaft. Politische
Systeme, Religionen und Erziehung kamen mir
vor ein Konglomerat aus verschworenen Lügen,
die uns versklaven sollten.
Deshalb lockten mich Konzepte, die sich
radikal gegen die Zivilisation richten. Anstatt
positive Lösungen zu suchen, entwickelte ich
ein Faible für Zerstörung. Plötzlich gaben mir
Nietzsche, Schopenhauer und Black Metal
mehr Sicherheit als wehleidige Emo-Kids, die
über Eifersucht und Liebe schwadronieren. Ich
suchte den Kick – und so geschah es, dass ich
im jugendlichen Leichtsinn der Scharlatanerie
aufgesessen bin.
In der Rock Hard las ich einen Bericht über
NSBM (»National Socialist Black Metal«). Seit
den 1990er-Jahren wurde die norwegische
Black-Metal-Szene von Typen unterwandert, die
das okkulte Sujet der Lyrics mit völkisch-heidnischen Elemente würzten. Schnell entstand
auch international eine Subkultur, die sich offen
zum Rechtsextremismus bekannte. Die Amadeu
Antonio Stiftung beschreibt den NSBM-Trend
in einer Broschüre:
»Die NS-Zeit wird okkult-esoterisch verklärt.
Nordische Mythologie und Blut-und-Boden-Ideologie spielen eine wichtige Rolle und
werden zu einem Konstrukt der ‚arischen Vorherrschaft‘ zusammengefügt. Die Attribute dieser
Philosophie sind Stärke und Härte, der oder das
Schwache gilt als minderwertig. […] Die anti-kirchliche, anti-christliche Haltung bestimmter
Metal-Subkulturen wird übernommen.«
Ich war geflasht. Blasphemie, Menschenhass,
Satan – und jetzt auch noch Hitler. Mehr anti
geht nicht. Natürlich habe ich Ekel empfunden.
Aber mit 15 war ich zu unreif, um zu beurteilen,
was wirklich hinter NSBM steckt. Die Ideologie habe ich nie geteilt. Und trotzdem habe
ich damit kokettiert, um mich von der Welt
abzugrenzen.
NSBM ist ein Nischenthema, das für Außenstehende kaum zu durchschauen ist. Deshalb
lohnt sich ein Blick auf die Schlüsselfiguren der
Szene. Einer der berühmtesten Protagonisten
ist Varg Vikernes, das einzige Mitglied der
Band Burzum. 1992 war er verantwortlich für
Brandstiftungen bei mittelalterlichen Stabkirchen. Sie zählten zu den ältesten Bauwerken in
Norwegen. Vikernes verursachte einen Schaden
von mehr als 40 Millionen Euro, ein Feuerwehrmann starb bei den Löscharbeiten.
Ein Jahr später ermordete er Euronymous,
einen befreundeten Gitarristen der Band
Mayhem. Vikernes tötete ihn mit 23 Messersti-
chen – angeblich aus Notwehr. Als die Polizei
daraufhin seine Wohnung durchsuchte, wurden
150 Kilogramm Dynamit und 3000 Schuss Munition entdeckt. Vikernes wanderte für 21 Jahre
in den Knast. Im Gefängnis verfasste er Bücher
über Wikinger und schloss sich einer US-amerikanischen Neonazi-Organisation an, die von
einem KKK-Führer gegründet wurde. Zwar
distanzierte sich Vikernes von dem Vorwurf,
ein Nazi zu sein – trotzdem veröffentlichte er
rassistische Pamphlete und wurde zur rechtsextremen Ikone.
Eine weitere Figur des NSBM ist Hendrik
Möbus, Sänger der deutschen NSBM-Band
»Absurd«. Bis heute pflegt er Kontakte zu
NPD-Funktionären und internationalen Neonazi-Gruppen. In der Boulevardpresse erlangte
Möbus Berühmtheit durch den »Satansmord
von Sondershausen«. Drei damalige Mitglieder
von Absurd lockten den 15-jährigen Sando
Beyer in eine Waldhütte. Dort fesselten sie ihn
an einen Schaukelstuhl, erdrosselten ihn mit einem Stromkabel und vergruben den Leichnam.
1998 wurde Möbus nach acht Jahren Haft auf
Bewährung aus dem Gefängnis entlassen.
Diese Entscheidung stellte sich als Fehler heraus. Einen Monat später hob Möbus auf einem
Konzert den Arm zum Hitlergruß und verhöhnte den getöteten Beyer in einem Interview als
»Volksschädling«. Als die Bewährung ausgesetzt
werden sollte, floh er in die USA und lebte bei
dem Gründer der rechtsextremen »National Alliance«. Kurz darauf scheiterte Möbus bei dem
Versuch, politisches Asyl zu beantragen und
wurde an die deutschen Behörden ausgeliefert.
Ein Großteil der Szene wuchert abseits der
Öffentlichkeit in Internetforen und auf Musikportalen wie last.fm. Im Underground stolperte ich dauernd über Bands wie Gaszimmer,
Kristallnacht, Gestapo 666, Hakenkreuzzug,
Holocaustus oder Aryan Werewolf. Das Internet
ist der beste Ort, um diese Form von Menschenverachtung zu propagieren.
Ab jetzt verzichte ich darauf, weiteren Akteuren eine Plattform zu bieten. Trotzdem ist es
wichtig, darüber aufzuklären. Unter anderen
Umständen hätte mein Leben eine ungeahnte
Wendung nehmen können. Ein wachsames
Elternhaus und Freunde mit liberalem Mindset waren wie ein Schutzwall für mich. Zum
Glück habe ich rechtzeitig angefangen, mich
kritisch mit NSBM auseinanderzusetzen. Doch
Menschen in einer anderen Situation hätten sich
womöglich radikalisiert, mit Nazis vernetzt und
Straftaten begangen.
Die Protagonisten des NSBM idealisieren Militarismus und Herdenmentalität. Ihre Ideenwelt
ist das Gegenteil von dem Zustand, nach dem
ich mich gesehnt habe. Dieser Text ist ein Versuch, Außenstehende für das Thema zu
sensibilisieren. Ich möchte niemandem
verbieten, sich mit Musik und Kunst
auseinanderzusetzen. Doch NSBM ist
für mich keine Kunst, sondern Instrumentalisierung des Kunstbegriffs. __
text thorsten gutmann
layout tom reed
V
i can’t eat anything
without shoving my
hands down my throat.
and I refuse to meet the
world without
smearing on makeup
with my hair
blinding my eyes
or einigen Wochen stolperte ich zufällig über meinen
MySpace-Account. Ich
staunte nicht schlecht über
das, was ich dort gefunden
habe. Auf einem schwarzweißen Profilfoto posiere ich mit düsterer Mine im
T-Shirt einer Screamo-Band in meinem Kinderzimmer. Die Finger der linken Hand umschlingen die Saiten einer E-Gitarre, die ich seit Jahren
nicht mehr angerührt habe.
Das Profil erinnerte mich an eine Zeit, die ich
nicht als einfachste Phase meines Lebens bezeichnen würde. Ich erinnerte mich an den Sound von
ICQ-Nachrichten, an stundenlange Chats mit
depressiven J-Pop-Fangirls, an verlorene Seelen
auf 4chan und an WoW auf privaten Servern.
Ähnlich wie bei vielen Altersgenossen war
meine Pubertät der Startschuss für eine Verweigerungshaltung gegenüber Elternhaus und
gesellschaftlichen Normen. Es war auch die Zeit
um 2005, in der eine Jugendbewegung aus den
USA nach Europa schwappte – die »Emo«-Kultur. In meinem Schulspind klebte ein Foto von
knutschenden Heterojungs und die Kopfbewegung, bei der man sich die Haare seitlich aus
dem Gesicht wirft, wurde allmählich zu einem
auffälligen Tick.
In meiner Erinnerung ist die Emo-Kultur ein
Auffangbecken für Wohlstandskids, die gerne
im Selbstmitleid baden. Ein Mädchen in der
Parallelklasse versteckte ihre mit einem Bleistift
zugefügten Schnittwunden unter schwarzen
Armstulpen und einem Freund missglückte der
Versuch, sich einen Kajalstrich zu ziehen. Es
gab aber auch Bands, die mit ihren Texten labile
Teenager aus der Bahn geworfen haben: