hitler, satan und sadismus hitler satan und sadismus feuilleton Über meine Begegnung mit dem »National Socialist Black Metal« — und wie ich mich aus den Klauen der Neonazis befreit habe. illustration paula hummer 28 from first to last waltz moore Trotzdem würde ich behaupten, dass die Emo-Kultur harmlos war. Nicht so wie das, was mir kurze Zeit später in die Hände gefallen ist. Schon früh habe ich ein Interesse für Heavy Metal entwickelt. Besonders fasziniert haben mich Albencover mit Waldlandschaften, Pentagrammen und aschgrauen Frauen, die nachts auf Friedhöfen lungern. Doch ähnlich wie bei allen Erscheinungen der Popkultur wimmelt es unter Metal-Künstlern vor mediokren Dilettanten. Nicht so im Black Metal. Das Genre entstand in den 1980er-Jahren in Schweden und Norwegen – und klingt so, als würde es direkt der Hölle entspringen. Black Metal kombi- 29 niert inhumanes Gekrächze, Drumcomputer, monotone Gitarrenriffs und Lyrics, die auf den drei Säulen Misanthropie, Satanismus und Nihilismus fußen. Der perfekte Entwurf einer Gegenkultur. Auch wenn es so klingt, aber ich war kein Creep, der im Kämmerlein blutrünstige Phantasien von Amokläufen hegte. Ich steckte voller Tatendrang, machte Sport und tummelte mich im Nachtleben. Doch wie viele Jugendliche kam ich nicht klar auf die Gesellschaft. Politische Systeme, Religionen und Erziehung kamen mir vor ein Konglomerat aus verschworenen Lügen, die uns versklaven sollten. Deshalb lockten mich Konzepte, die sich radikal gegen die Zivilisation richten. Anstatt positive Lösungen zu suchen, entwickelte ich ein Faible für Zerstörung. Plötzlich gaben mir Nietzsche, Schopenhauer und Black Metal mehr Sicherheit als wehleidige Emo-Kids, die über Eifersucht und Liebe schwadronieren. Ich suchte den Kick – und so geschah es, dass ich im jugendlichen Leichtsinn der Scharlatanerie aufgesessen bin. In der Rock Hard las ich einen Bericht über NSBM (»National Socialist Black Metal«). Seit den 1990er-Jahren wurde die norwegische Black-Metal-Szene von Typen unterwandert, die das okkulte Sujet der Lyrics mit völkisch-heidnischen Elemente würzten. Schnell entstand auch international eine Subkultur, die sich offen zum Rechtsextremismus bekannte. Die Amadeu Antonio Stiftung beschreibt den NSBM-Trend in einer Broschüre: »Die NS-Zeit wird okkult-esoterisch verklärt. Nordische Mythologie und Blut-und-Boden-Ideologie spielen eine wichtige Rolle und werden zu einem Konstrukt der ‚arischen Vorherrschaft‘ zusammengefügt. Die Attribute dieser Philosophie sind Stärke und Härte, der oder das Schwache gilt als minderwertig. […] Die anti-kirchliche, anti-christliche Haltung bestimmter Metal-Subkulturen wird übernommen.« Ich war geflasht. Blasphemie, Menschenhass, Satan – und jetzt auch noch Hitler. Mehr anti geht nicht. Natürlich habe ich Ekel empfunden. Aber mit 15 war ich zu unreif, um zu beurteilen, was wirklich hinter NSBM steckt. Die Ideologie habe ich nie geteilt. Und trotzdem habe ich damit kokettiert, um mich von der Welt abzugrenzen. NSBM ist ein Nischenthema, das für Außenstehende kaum zu durchschauen ist. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Schlüsselfiguren der Szene. Einer der berühmtesten Protagonisten ist Varg Vikernes, das einzige Mitglied der Band Burzum. 1992 war er verantwortlich für Brandstiftungen bei mittelalterlichen Stabkirchen. Sie zählten zu den ältesten Bauwerken in Norwegen. Vikernes verursachte einen Schaden von mehr als 40 Millionen Euro, ein Feuerwehrmann starb bei den Löscharbeiten. Ein Jahr später ermordete er Euronymous, einen befreundeten Gitarristen der Band Mayhem. Vikernes tötete ihn mit 23 Messersti- chen – angeblich aus Notwehr. Als die Polizei daraufhin seine Wohnung durchsuchte, wurden 150 Kilogramm Dynamit und 3000 Schuss Munition entdeckt. Vikernes wanderte für 21 Jahre in den Knast. Im Gefängnis verfasste er Bücher über Wikinger und schloss sich einer US-amerikanischen Neonazi-Organisation an, die von einem KKK-Führer gegründet wurde. Zwar distanzierte sich Vikernes von dem Vorwurf, ein Nazi zu sein – trotzdem veröffentlichte er rassistische Pamphlete und wurde zur rechtsextremen Ikone. Eine weitere Figur des NSBM ist Hendrik Möbus, Sänger der deutschen NSBM-Band »Absurd«. Bis heute pflegt er Kontakte zu NPD-Funktionären und internationalen Neonazi-Gruppen. In der Boulevardpresse erlangte Möbus Berühmtheit durch den »Satansmord von Sondershausen«. Drei damalige Mitglieder von Absurd lockten den 15-jährigen Sando Beyer in eine Waldhütte. Dort fesselten sie ihn an einen Schaukelstuhl, erdrosselten ihn mit einem Stromkabel und vergruben den Leichnam. 1998 wurde Möbus nach acht Jahren Haft auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen. Diese Entscheidung stellte sich als Fehler heraus. Einen Monat später hob Möbus auf einem Konzert den Arm zum Hitlergruß und verhöhnte den getöteten Beyer in einem Interview als »Volksschädling«. Als die Bewährung ausgesetzt werden sollte, floh er in die USA und lebte bei dem Gründer der rechtsextremen »National Alliance«. Kurz darauf scheiterte Möbus bei dem Versuch, politisches Asyl zu beantragen und wurde an die deutschen Behörden ausgeliefert. Ein Großteil der Szene wuchert abseits der Öffentlichkeit in Internetforen und auf Musikportalen wie last.fm. Im Underground stolperte ich dauernd über Bands wie Gaszimmer, Kristallnacht, Gestapo 666, Hakenkreuzzug, Holocaustus oder Aryan Werewolf. Das Internet ist der beste Ort, um diese Form von Menschenverachtung zu propagieren. Ab jetzt verzichte ich darauf, weiteren Akteuren eine Plattform zu bieten. Trotzdem ist es wichtig, darüber aufzuklären. Unter anderen Umständen hätte mein Leben eine ungeahnte Wendung nehmen können. Ein wachsames Elternhaus und Freunde mit liberalem Mindset waren wie ein Schutzwall für mich. Zum Glück habe ich rechtzeitig angefangen, mich kritisch mit NSBM auseinanderzusetzen. Doch Menschen in einer anderen Situation hätten sich womöglich radikalisiert, mit Nazis vernetzt und Straftaten begangen. Die Protagonisten des NSBM idealisieren Militarismus und Herdenmentalität. Ihre Ideenwelt ist das Gegenteil von dem Zustand, nach dem ich mich gesehnt habe. Dieser Text ist ein Versuch, Außenstehende für das Thema zu sensibilisieren. Ich möchte niemandem verbieten, sich mit Musik und Kunst auseinanderzusetzen. Doch NSBM ist für mich keine Kunst, sondern Instrumentalisierung des Kunstbegriffs. __ text thorsten gutmann layout tom reed V i can’t eat anything without shoving my hands down my throat. and I refuse to meet the world without smearing on makeup with my hair blinding my eyes or einigen Wochen stolperte ich zufällig über meinen MySpace-Account. Ich staunte nicht schlecht über das, was ich dort gefunden habe. Auf einem schwarzweißen Profilfoto posiere ich mit düsterer Mine im T-Shirt einer Screamo-Band in meinem Kinderzimmer. Die Finger der linken Hand umschlingen die Saiten einer E-Gitarre, die ich seit Jahren nicht mehr angerührt habe. Das Profil erinnerte mich an eine Zeit, die ich nicht als einfachste Phase meines Lebens bezeichnen würde. Ich erinnerte mich an den Sound von ICQ-Nachrichten, an stundenlange Chats mit depressiven J-Pop-Fangirls, an verlorene Seelen auf 4chan und an WoW auf privaten Servern. Ähnlich wie bei vielen Altersgenossen war meine Pubertät der Startschuss für eine Verweigerungshaltung gegenüber Elternhaus und gesellschaftlichen Normen. Es war auch die Zeit um 2005, in der eine Jugendbewegung aus den USA nach Europa schwappte – die »Emo«-Kultur. In meinem Schulspind klebte ein Foto von knutschenden Heterojungs und die Kopfbewegung, bei der man sich die Haare seitlich aus dem Gesicht wirft, wurde allmählich zu einem auffälligen Tick. In meiner Erinnerung ist die Emo-Kultur ein Auffangbecken für Wohlstandskids, die gerne im Selbstmitleid baden. Ein Mädchen in der Parallelklasse versteckte ihre mit einem Bleistift zugefügten Schnittwunden unter schwarzen Armstulpen und einem Freund missglückte der Versuch, sich einen Kajalstrich zu ziehen. Es gab aber auch Bands, die mit ihren Texten labile Teenager aus der Bahn geworfen haben:
© Copyright 2024 ExpyDoc