Zum Interview - Freie Waldorfschule Ludwigsburg

„Instrumente für den Neuanfang“ – Klassen- und Musiklehrer Reinhard Steidl über
die verschiedenen Schritte der Waldorfschule Ludwigsburg hin zur Integration
Ob internationale Klasse, Pädagogischer Tag, Podiumsdiskussion oder ehrenamtliches
Engagement der Schulgemeinschaft – die freie Waldorfschule Ludwigsburg (FWL) möchte
mit großem und vielseitigem Engagement einen Beitrag zum Gelingen der Integration von
Flüchtlingen beitragen. Reinhard Steidl, Klassen- und Musiklehrer sowie Vorstandsmitglied
der Waldorfschule, wirft einen Blick auf bisherige Anstrengungen, konkrete Pläne für die
Zukunft und hoffnungsvolle Aussichten.
FWL: Herr Steidl, wo steht die Waldorfschule Ludwigsburg in Sachen Integration im
Moment?
Steidl: Wir sind auf einem guten Weg hin zu gelebten
Integrationsmaßnahmen an unserer Schule. Erste wichtige Schritte
haben wir bereits unternommen, so zum Beispiel mit unserem
Themen- oder Pädagogischen Tag zum Thema „Fremdsein –
Begegnungsformen in der Arbeit mit traumatisierten Menschen“,
der Ende Juni stattgefunden hat. Dazu hatten wir nicht nur unsere
Schulgemeinschaft, sondern auch ehrenamtliche Helfer und
Pädagogen eingeladen, um ihnen für ihr tägliches Engagement für
Flüchtlinge Perspektiven und Instrumente an die Hand zu geben –
mit Vorträgen, Seminaren, Gesprächskreisen und Workshops rund
um die Praxis in der Flüchtlingsbetreuung.
FWL: Warum eignet sich gerade die Waldorfpädagogik, um wiederkehrenden Gefühlen von
Todesangst, Ohnmacht und Schutzlosigkeit zu begegnen?
Steidl: Das Wunderbare an der Waldorfpädagogik ist, dass sie auch für Nicht-Experten ein
breites Spektrum an Möglichkeiten bietet, um Traumata positiv und ohne Berührungsängste
zu begegnen. Nehmen wir zum Beispiel die Musik – Musik ist Heimat, sie hilft beim
Überleben. Dasselbe gilt für Kunstformen wie Aquarellmalen, mit praktischen
Wahrnehmungs- und Malübungen, oder das Theater, mit dem man sich dem Thema
„Trauma“ spielerisch nähern kann. Eine große Bedeutung kommt auch rhythmischen Spielen
im Kreis zu, bei denen es zu Ich-Du-Wir-Erlebnissen kommt. Überhaupt ermöglicht die
Kreisform in hohem Maße die Sicherheit des „eigenen Platzes“, von dem aus man alle sehen
kann. Man kann im Spiel hinein und heraus treten, sich nach innen oder nach außen
wenden. All das sind grundlegende soziale Gesten. Helfer und Flüchtlinge erhalten dadurch
die Chance, völlig neue Perspektiven einzunehmen – mit Instrumenten für einen neuen Blick
auf das Leben, einen Neuanfang.
FWL: Welche Schritte hin zur Integration sind an der FWS als nächstes geplant?
Steidl: Am Samstag, 23. Juli 2016, findet eine weitere öffentliche Veranstaltung in unserer
Schule statt, die von unserem Verein der Ehemaligen initiiert wurde. Eine Podiumsdiskussion
wirft die Frage auf „Ursachen der Flüchtlingskrise – kann die Krise in den Herkunftsländern
gelöst werden?" Dabei werden Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Journalismus und der
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Zivilgesellschaft im Festsaal der Schule über Ursachen der Flüchtlingskrise und
Lösungsvorschläge der Krise diskutieren. Ziel ist es den Gästen eine Vielzahl
unterschiedlicher Meinungen und Standpunkte und die damit verbundenen Lösungsansätze
vorzustellen.
FWL: Gibt es auch schulintern Pläne, um Integration in die Praxis umzusetzen?
Steidl: Wir eröffnen im September 2016 eine kostenfreie Vorbereitungsklasse, in der täglich
von 8.00 h bis 11.40 h unterrichtet wird. Auf dem Stundenplan steht neben viel Bewegung
und Spiel zur Gemeinschaftsbildung auch Deutsch und Rechnen, Singen und Flötenunterricht
sowie konkrete kulturelle Integration.
FWL: Und wie sieht die Integration im Schulalltag aus?
Steidl: Die Kinder werden zwar als Klasse geführt, können aber ab 10 Uhr auch in den
Fachunterricht unserer bestehenden Klassen wechseln. Da an unserer Schule viele
künstlerische und praktische Fächer – wie Handarbeit, Holz-Werken, Eurythmie, Gartenbau,
Musik, Orchester und Sport – unterrichtet werden, spielt dabei das Sprachniveau eine
untergeordnete Rolle. Nicht nur für neu ankommende Familien ist dieses Angebot attraktiv,
sondern auch für alle, die nach der 4. Klasse ohnehin die Schule wechseln werden. Wenn
sich das Sprachniveau so weit entwickelt hat, dass ein Kind aus der Vorbereitungsklasse in
eine unserer bestehenden Klassen wechseln kann, führen wir nochmals ein Gespräch über
die Schullaufbahn – denn wir bieten alle Abschlüsse an.
FWL: Wird diese Vorbereitungsklasse vom Land Baden-Württemberg organisiert?
Steidl: Nein, das ist Sache unserer Schule. Da wir keine Schüler von der Behörde zugewiesen
bekommen, müssen die betreffenden Flüchtlings-Eltern mit unserer Schule bekannt gemacht
werden, so dass sie Schulveranstaltungen besuchen können und Kennenlern-Gespräche
stattfinden. Wir freuen uns deshalb über jeden einzelnen Kontakt mit Flüchtlings-Eltern, der
über die Vermittlung von hilfsbereiten Mitmenschen zustande kommt.
FWL: Und wie wird die Finanzierung dieser Vorbereitungsklasse gesichert?
Steidl: Als „Öffentliche Schule in freier Trägerschaft“ werden wir nur zu 78% vom Land
Baden-Württemberg unterstützt und finanzieren den Rest durch Elternbeiträge. Diese
beruhen jedoch auf dem Solidar-Prinzip: Wer viel kann, zahlt mehr - wer wenig kann, zahlt
wenig oder gar nichts, oder er hilft auf praktische Weise in der Schule mit. Dies gilt natürlich
besonders für Flüchtlingsfamilien.
Weitere Informationen rund um Fragen zum Thema Flüchtlingsintegration an der Freien
Waldorfschule Ludwigsburg sowie Auskunft zur Vorbereitungsklasse gibt es unter
www.waldorfschule-ludwigsburg.de. Auch Reinhard Steidl gibt gerne persönlich Auskunft
unter [email protected].
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