Vortrag von Elisabeth Schweeger, künstlerische

VortragvonElisabethSchweeger,künstlerischeDirektorinderAkademieder
BildendenKünste,StuttgartanlässlichderVerleihungdesMarieZimmermann
Stipendiums2016anderAkademieSchlossSolitude.
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ZurDramaturgie
Anforderung.Überforderung.Kunst-leben
VerzeihenSiemirinderFolge,dassichausschließlichdieweiblicheForm
verwende,dieMännermögenesmirnachsehen,aberselbstverständlichsind
sieingleicherWeisegemeint.(EinekleinehistorischeKehrtwendung).
Dramaturgie,einweitesFeld.Ichhatte,alsichdasFrankfurterSchauspiel
geleitethatte,einesehrgroßeAnzahlanDramaturgInnen,zehnanderZahl,
jede/jederfürsicheineEigenheit.Zusammen,imTeamwarensieder
widerspenstigeThinkTank,deneinsolchesgroßesTheaterbraucht.
Ichhabefürmichkurzrekapituliert,waseigentlichDramaturgiealleszuleisten
hat,welcheKenntnisseicherwartenwürde,umeineDramaturginzu
engagieren.DieListeistlanggeworden:
1. Literaturin-undauswendigkennen.Undzwarnichtnurdie
Theaterstücke,sondernauchRomane,Lyrik,Sekundärliteratur,
Schundliteratur,Populärliteratur…
2. HistorischeKenntnissevorweisen
3. Fassungenmachen
4. Übersetzungenmachen
5. Spielpläneerstellen
6. Besetzungenmiterarbeiten
7. DieanderenKünstekennen,Film,TV,BildendeKunst,Performance,
Musik,Tanz
8. KünstlerInnenimGepäckhaben:u.a.RegisseurInnenSchauspielerInnen,
BühnenbildnerInnen,MusikerInnenetc.
9. DiedeutschsprachigeTheaterlandschaftauswendigkennen
10.Vernetztsein
11.InternationaleTheaterszenekennen
12.AlleVerlagekennenundderenLektorInnen
13.MussVertragsrechteundUrheberrechtekennen
14.Siemussorganisierenkönnen
15.DieBudgetsverantwortenundlesenkönnen
16.KooperationenoderSponsorpartnerwomöglichauftreibenoder
vorschlagen
17.VermittlerinseinnachInnenundnachAußen,dasPublikumlieben,
miteinbeziehen
18.PädagogischeFähigkeitenhaben
19.IntegrativwirkeninsEnsemble
20.Teamplayersein
21.Pressetexteschreiben,werbetechnischinformiertsein
undgrafischeKenntnissehaben
22.LesungenundDiskussionsrundenerstellenundführen
23.DieKonzeptemitdenRegisseurInnenerarbeiten
24.Produktionsdramaturgienmachen
25.PsychologinundTrösterinsein,nichtnurfürSchauspielerInnen,
RegisseurInnen,Bühnen-undKostümbildnerInnen,sondernauchfür
IntendantInnen,JournalistInnen,PolitikerInnen
26.Diskursfähig,Kritikfähig,Zweiflerinsein
27.PolitischesBewusstseinhaben,dietagesaktuellenrelevantenFragen
immerparat
28.Chaoszulassen
29.DanebenmusssieeinfachnurMenschsein,Liebende,meistensliebende
KritikerInundBeobachterIn
30.UndnatürlichFanatikerIn
Sonstkönntesiedasallesgarnichtleisten.
DieDramaturginistalsoeineAllrounderIn,eigentlichistsieeinPhänomen,
dennalldaskanneineinzelnerMenschalleinkaumleisten.Darinenthalten
sindmindestenszehnunterschiedlicheBerufsbilderundtrotzdemhatdie
DramaturginimheutigenTheaterdiesesumfassendeWissenmitzubringen,
schonalleindeshalb,umihreGrenzenzuerkennen,undwodasHinzuziehen
einesanderenAbhilfeschaffenkönnteundTeamarbeitdieeigentliche
Chanceist.
DieDramaturgInnensindMittlerInnenundMulti-TaskerInnnen,
DrehscheibeundAngelpunkt.
DasBerufsbildderDramaturgInnenhatsichindenletztenJahrzehntenrasant
verändert.HistorischwarderDramaturg,–Siewissenschon,frühernur
männlich–,zuerstlediglicheinfürdasTheaterschreibenderundliterarisch
bewanderterBeraterderTheaterleitung.
Später,mitDramaturgenwieHorstLaubeundnochspäterwieMarie
Zimmermann,wurdedasBerufsbildausgeweitet,beinhaltetedie
AuseinandersetzungmitanderenKunstrichtungenundrücktedie
DramaturgInnenzumeinenimmernäherandieProduktionenheranundzum
anderenwurdensieeinfesterBestandteilderTheaterleitungunddes
Theatermanagements.MitkritischerDistanzsollensieeinerseitsaufdie
ProduktionundihrekünstlerischeAbsichtundEntwicklungblicken,
andererseitsaberauchdenAnspruchvongesellschaftlichenundpolitischen
KontextensowohlinnerhalbdesHausesaberauchnachaußenhinvertreten.
DieDramaturginistdurchunddurchkritische(Ver)MittlerIn.
MittlerInzwischengesellschaftsrelevantenThemenundkünstlerischen
Träumen,zwischenAutorInnenundRegisseurInnen,zwischenRegisseurInnen
undSchauspielerInnen,zwischenderProduktionundderTechnik,zwischender
ProduktionundderÖffentlichkeit.DieDramaturginistScout,dieTalente
jeglicherCouleurfindensoll,diegleichzeitigeineerfolgsversprechendeund
gesellschaftsrelevanteSpielplanpolitikgestaltenunddabeiaberauchhöchstes
VerantwortungsbewusstseinfürdieAusgabevonöffentlichenGeldernhaben
soll.DieDramaturgInsollgeschützteFreiräumeschaffenfürkünstlerische
Prozesse,aberebensoinderLagesein,Vertragsverhandlungenmit
KünstlerInnen,VerlagenoderanderenPartnerInnenzuführen.Die
DramaturgInistingleicherWeisefürdieAusstrahlungdesHauses(z.B.Inhalts-
undWerbestrategien)alsofürdasgroßeGanzezuständigsowiefürdie
ZufriedenheitallerAngestellten(z.B.fürInformationundgrößtmögliche
TransparenzallerEntscheidungenundoptimaleBeschäftigungspolitik).Die
DramaturgInistvomVorschlageinesStückes/Projektes,überdieVergabean
eineRegisseurInodereinkünstlerischesLeitungsteam,überdieErarbeitung
einerKonzeption,dieBesetzungmitSchauspielerInnenusw.,direktam
ProbenprozessbeteiligtundbetreutdieProduktionbisweitüberdiePremiere
hinaus.DarüberhinauswirdsieProduktionsabläufekoordinierenundKosten
kalkulierenkönnen,VerbindungenundVernetzungenschaffen,gleichzeitigdie
durchsetzungsfähigeProduktionsleiterInunddieverständnisvollePsychologIn
sein,diefüralleProblemeundSchwierigkeiteneinoffenesOhrundRatschläge
hat.
Kurzgesagt,derBerufsalltagderDramaturgInheißtÜberforderung.Unddas
mussmitLustvonstattengehen,weilallesgleichzeitigzutunistunddennoch
bescheidenausdemHintergrundherausagiertwerdenmuss.EineDramaturgIn
istundwirdinersterLiniekeineeigenständigeKünstlerInsein.Sieistvorallem
dieZuarbeiterIn,dieErmöglicherIn,dieBeraterInundimbestenFalledie
GeburtshelferineinesTheaterereignisses.DenApplausdafürerhaltendie
anderen.Dennoch,dieDramaturginisteinerderabwechslungsreichsten,
anspruchsvollstenundschönstenBerufe,dasieesständigmitsehrvielen
verschiedenenMenschenundsehrunterschiedlichenAufgabenundThemenzu
tunhat.DieDramaturginkannRichtungenvorgeben,umgemeinsamdieein
oderanderegesellschaftlicheund/oderkünstlerischeGrenzezuüberwinden.
Umdiesallesleistenzukönnen,brauchteineDramaturgInnebenden
KenntnissenderSpezialistinvorallemdieGrundtugendenjedes
Kunstschaffenden:Siesollteneugierigsein,lesen,schauen,denken,hören,
reden,inFragestellen,zweifeln,Widersprucherzeugenundschreibenkönnen
unddenMuthaben,sichihreseigenenVerstandeseigenständigzubedienen.
AußerdemmusssieinderLagesein,inundmitTeamszusammenzuarbeiten.
AufwasmussalsoeineAusbildungindiesemGebietachten:Siemuss
zukunftsorientiertundinterdisziplinärsein,dentiefgreifendenVeränderungen
imBereichDramaturgieundTheaterRechnungtragen,MutzumWiderspruch
undzumAndersdenkenanregen.DieAusbildungmusseinerseitsversuchen,
dasHandwerkdurchpraktischeÜbungeninmöglichstvielen
Anforderungsprofilenkennenundbeherrschenzulernenundandererseits
TheorieinunmittelbarerAnwendungzuprüfenundzuhinterfragen.AmEnde
solldieangehendeDramaturginrelevanteThemen,ÄsthetikenundStrukturen
ausderunsumgebendenRealitätinkünstlerischeProduktionenzuübertragen
wissen,sollteGrundkenntnisseundEinblickeindieMöglichkeitenundZwänge
derTheaterführungerhaltenhaben,sollinderLagesein,idealerweisenichtnur
reflektierend,sondernauchmodellhaftprojizierendzuwirken.Undvorallem
solldieDramaturgInüberdenschmalenTellerranddesTheatergenres
hinausblickenkönnen.
Siesollnichtlernen,wasallesnichtgeht,sondernIdeenentwickeln,wiees
geht.DahermusseineAusbildunginDramaturgienichtnurStudieninhalte
vermitteln,diedieDramaturgInnenfürdenbereitsexistierendenTheateralltag,
sondernauchaufeinnochunbekanntes,zukünftigesTheatervorbereiten.
NebenderKenntnisdesrealexistierendenTheaterbetriebesundseinen
BedingungensollauchdaspolitischeVerantwortungsbewusstseinunddie
sozialePhantasieangeregt,dasWissenumanderekünstlerischeMöglichkeiten
ausgebaut,dieSensibilitätfürdasUnkonventionelle,Unbekanntegeschärft
werdensowiedieFähigkeitgeschultwerden,esaufBegriffezubringen,umdie
Bereitschaft,esgegendieökonomischenundpolitischenHindernissedes
BetriebsundderGesellschaftdurchzusetzen.
Etwastheoretischzuwissen,hilftdaallerdingsnochwenigweiter.Zur
VertiefungdertheoretischenKenntnissemussdasHauptaugenmerkder
Ausbildungdarinliegen,dieAnwendungundAnbindungdesErlerntenan
praktischeArbeitserfahrungenundArbeitsprozessezuermöglichen.D.h.,die
jungenDramaturgInnenmöglichstschnellinkünstlerischeProjekte
einzubinden,mituntersieauchaußerhalbanTheaternundanderen
künstlerischenEinrichtungenmitwirkenzulassen.Diefrühzeitige
AuseinandersetzungmitanderenKünstlerInnenundInstitutionenimRahmen
voneigenenProduktionenermöglichtschonwährendderAusbildungszeit
schlagkräftigekünstlerischeTeamsfürdieZukunftzubildenunddie
unumgänglicheVernetzungzuermöglichen.
DieVisionsolltesein,DramaturgInnendafürauszubildenundfitzumachen,
sichgemeinsamdenneuenAnforderungenandasTheaterzustellen,ummit
Lustneue,zeitgemäßeFormendesTheaterszuentdeckenbzw.zuerfinden.
DieDramaturgInnenverkörperndamiteinVerständnisvonMenschenbild,das
demTheatersehreigenist–undletztenEndesimmernochdem
humanistischenGedankenverpflichtetist,dassderMenscheinUniversumist
unddas,wasihnumgibtundwaserbewirkt,unweigerlichzuihmgehörtund
mitbedachtwerdenmuss.DieDemutistzentralerBestandteildesBerufesund
inderPaarungmitderFähigkeitzumDiskursunddamitzurkonstruktiven
Streitkultur,alswesentlichesInstrumentdesHandelns,kannTheaterals
immanentgesellschaftlichrelevanterkanntundweiterentwickeltwerden.
OssipMandelstamhatinseinemBuchDieReisenachArmeniendavon
gesprochen,dass»dasAugeeinInstrumentdesDenkensist,dassdasLichteine
KraftunddassdasOrnamentGedankeist«.SeinBuchehandlevon
»Freundschaft,vonWissenschaft,vonintellektuellerLeidenschaft,undnicht
vonDingen«.Manmüsse»immerreisen,undnichtnurnachArmenienund
Tadschikistan.DiegrößteAuszeichnungeinesKünstlers«wäre,»jenezur
Tätigkeitzuveranlassen,dieandersdenkenundfühlenalser«.Undergänzt:
»DochmeinAuge,versessenaufallesSeltsame,Flüchtigeundschnell
Verfließende,hataufderReisenurdaslichtbringendeZitternder
Zufälligkeiten,dasPflanzenornamentderWirklichkeiteingefangen…«.
EineDramaturgin,einDramaturgkönntensichdasalsMottodesBerufes
voranstellen.ZwarkeineKünstlerInnenzusein,aberReisendemit
künstlerischemFeingespür,umdiezittrigeWirklichkeiteinzufangen,zu
hinterfragen,zubegreifen,zuvermitteln,zubestaunen.
DankefürIhreAufmerksamkeitundGratulationdemPreisträger
©ElisabethSchweeger