dbb Hessen Nachrichten 10/2016 - dbb beamtenbund und tarifunion

Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst
Gewalt oder Drohung mit Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind längst an
der Tagesordnung. Häufigkeit und Intensität nehmen permanent zu.
Für viele Beschäftigte ist die Angst zum Begleiter auf dem täglichen Weg in den Dienst geworden.
Einige wenige Fallschilderungen vorab:
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Rettungsdienste und Feuerwehr werden immer wieder bei Einsätzen bedroht
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Mitarbeiter/innen der Straßenverkehrsdienste werden mit Urinbeuteln beworfen
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Ein 46-jähriger Polizeibeamter wird an Heiligabend 2015 in Herborn bei einer brutalen Messerattacke getötet. Sein 47-jähriger Kollege überlebt schwer verletzt
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Am 15. März 2016 wird ein Gerichtsvollzieher in Ausübung seines Dienstes in Gelnhausen durch einen Kopfschuss schwerstverletzt
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Am 11. Mai 2016 wird ein Polizeibeamter im Odenwald bei einer Verkehrskontrolle
von einem Motorradfahrer mit einer Geschwindigkeit von rd. 200 km/h erfasst. Der
Kollege erleidet schwerste Verletzungen, verliert beinahe sein Bein
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Zugbegleiter/innen der deutschen Bahn haben mittlerweile Angst vor Nachtdiensten;
sie werden angepöbelt, bedroht, beleidigt oder gar körperlich traktiert
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Ein Beamter vom RP Darmstadt wird bei der Kontrolle eines Betriebes in Südhessen
vom Firmeninhaber mit einem Kopfstoß niedergestreckt. Reaktion der Behörde:
künftig soll ein anderer Kollege diesen Betrieb kontrollieren
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Gerichtsvollzieher werden von Bürgern, die Adressaten von Vollstreckungsmaßnahmen geworden sind, bis nach Hause an deren Privatadressen verfolgt, dort bedroht
und eingeschüchtert
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Kolleginnen im Jobcenter werden von „Bürgern“ in einem rüden Ton beschimpft, bedroht, die „Bürger“ bringen gefährliche Hunde zum Termin mit, rasten völlig aus.
Der Alarmknopf, den die Kolleginnen in den Büros mittlerweile zur Verfügung haben,
löst ein Signal im Nachbarbüro einer Kollegin aus. Das war’s.
Wie sollte sie der Alarm auslösenden Kollegin tatsächlich Hilfe leisten können?
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Bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt im Frühjahr 2015 werden nicht nur Polizeibeamte massiv angegriffen, sondern auch Feuerwehrleute und
Rettungssanitäter
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Lehrer werden von Schülern massiv bedroht, weil sie auf das Einhalten bestimmter
Verhaltensweisen hinzuwirken versuchen
Usw. usw.
Der Landesvorstand des dbb Hessen hat in seiner Sitzung am 15.02.2016 beschlossen, das
Thema „Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst“ ebenso wie der dbb Bund zu
einem Schwerpunktthema zu machen.
Alle bisherigen Aktionen und Bemühungen haben den rasanten Anstieg der Fallzahlen und
das rasche Fortschreiten der Werteerosion und der Respektlosigkeit nicht aufhalten können.
Es muss auch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, wodurch der schon rein
statistisch nachweisbare Anstieg der Zahlen der realen Entwicklung wohl noch ein gutes
Stück hinterherhinken dürfte. So wird uns immer wieder berichtet, dass Vorgesetzte versuchen, zu relativieren, unter den Teppich zu kehren, nach dem Motto: „War doch nicht so
schlimm!“
Bislang gibt es nur für Polizeibeamte ein statistisches Lagebild, wobei aufgrund der Tatsache, dass nach wie vor viele Kolleginnen und Kollegen als Opfer auf eine Anzeige verzichten, selbst dort eine gewisse Dunkelziffer angenommen werden muss.
Für alle anderen Bediensteten, die deshalb, weil sie als Repräsentant des Staates wahrgenommen und deshalb Opfer eines gewaltsamen Übergriffs werden, sind uns keine öffentlich
recherchierbaren statistischen Erhebungen bekannt.
Selbst wenn andere Bedienstete als Vollstreckungsbeamte eine Strafanzeige erstatten, lässt
sich aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht ablesen, dass es sich um einen Angriff auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst handelte. Denn eine Anzeige von anderen Beschäftigten als den Vollzugsbeamten geht statistisch als ein Körperverletzungsdelikt in die
PKS ein. Die Tatsache, dass das Opfer ein Beschäftigter im öffentlichen Dienst war, ist nicht
erkennbar.
Aber selbst wenn eine Strafanzeige kein belastbares statistisches Bild erkennen ließe, muss
zudem beklagt werden, dass in den meisten Fällen von der Erstattung einer Strafanzeige
gänzlich abgesehen wird. Dafür gibt es mehrere Ursachen, so z. B.:
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Fehlender Mut, Anzeige zu erstatten
Geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Täter tatsächlich eine merkliche Sanktion erfährt
Angst vor Repressalien durch den Täter als Reaktion auf die Anzeigeerstattung
Fehlende Unterstützung durch die Vorgesetzten und zuständigen Verwaltungsabteilungen vor Ort
Fehlender spezifischer strafrechtlicher Schutz vieler Beschäftigtengruppen
...
Neben den besonders medienwirksamen Ereignissen geraten also vor allem die täglich an
allen möglichen Einsatzorten und in den Büros der Kolleginnen und Kollegen sich abspielenden Szenen völlig aus dem Blickwinkel. Sie werden den häufig den Vorgesetzten, vor
allem aber den Verfolgungsbehörden nicht bekannt. In der Folge fehlt es an einer realitätsnahen Erkenntnislage und in der Öffentlichkeit fehlt die entsprechende Wahrnehmung.
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Letztlich hat dies zur Folge, dass Entscheidungsträger in der Politik den Eindruck gewinnen
müssen oder können, es gebe keinen akuten Handlungsbedarf.
Wir beabsichtigen u. a. folgende Maßnahmen:
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Einführung eines „Meldedienstes“, d. h., Beschäftigte berichten uns ihre „Erlebnisse“
(gerne auch anonym) in kurzer schriftlicher Form und teilen uns mit, ob und in welcher Form wir öffentlich berichten dürfen
Fortlaufende öffentliche Berichterstattung durch uns
Gespräche mit Politik, Behörden- und Dienststellenleitern zur Sensibilisierung, Appell
an die Fürsorgepflicht
Info-Veranstaltungen (nach innen und außen)
Verbesserung des Rechtsschutzes
Gespräche mit Verantwortlichen der Justiz
Initiative zur Einführung eines umfassenden strafrechtlichen Schutzes aller Personen, die deshalb angegriffen werden, weil sie als Repräsentant des Staates wahrgenommen werden. Dabei soll der Schutz der körperlichen Integrität im Vordergrund
stehen.
Es darf nicht kapituliert werden vor der fortschreitenden Entwicklung und es darf nicht bei
Lippenbekenntnissen bleiben. Niemand darf erwarten, dass Beschäftigte im öffentlichen
Dienst Gewaltattacken hilflos ertragen müssen.
Der dbb Hessen findet die Entwicklung skandalös! Wir ergreifen jetzt gezielt die Initiative.
Bedienstete müssen geschützt werden und sie müssen Rückendeckung erfahren, wenn sie
angegangen wurden!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie unsere Initiative in ihrem und in
unser aller Interesse! Melden Sie ihr Erlebnis/ihre Erfahrung direkt an unsere Geschäftsstelle ([email protected]) oder an ihre dbb Fachgewerkschaft, damit wir anhand
konkreter Fallbeispiele fortlaufend berichten und auch in ihrem Fall konkret helfen können.
Frankfurt, 2.8.2016
Impressum
Herausgeber: dbb beamtenbund und tarifunion Landesbund Hessen
Verantwortlich (V.i.S.d.P.): Landesvorsitzender Heini Schmitt
Landesgeschäftsstelle: Eschersheimer Landstr. 162, 60322 Frankfurt/Main
E-Mail: [email protected]; Telefon: 069.282780; Fax: 069.28 29 46
Internet: www.dbbhessen.de
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