Grüne fordern zentrales Register für Implantate

Grüne fordern zentrales Register für Implantate | Manuskript
Grüne fordern zentrales Register für Implantate
Bericht: Laura Zirkel, Sebastian Speidel
Stefanie Winter - so nennen wir sie - leidet unerträgliche Qualen. Nur mit einem Cocktail aus
starken Schmerzmitteln kommt sie über den Tag. Weiter als 200 Meter am Stück kann sie
nicht mehr gehen. Die 46-Jährige ist körperlich und seelisch am Ende.
Stefanie Winter
Der Schmerz hat mich auch als Mensch verändert, also ich hatte so schlimme
Schmerzphasen vor der letzten Operation. Ich war auch depressiv. Ich habe das erste Mal
in meinem Leben Antidepressiva nehmen müssen. Natürlich nimmt das Einfluss auf mein
Familienleben.
Schuld an ihrem Gesundheitszustand sind Metallspuren in ihrem Körper. Frau Winter hat
eine künstliche Hüfte. Vermutlich wurde an den beweglichen Prothesenteilen Metall
abgerieben. Dieser Metallabrieb schädigt offenbar das umliegende Gewebe.
Stefanie Winter
Also nachdem ich im CT war und man diese Zysten entdeckt hat, hat sich dann in der
letzten Operation gezeigt, dass daumengroße Zysten im Becken waren, die mit
Metallabtrieb gefüllt waren.
Dabei sollte ihr das künstliche Hüftgelenk zu einem beschwerdefreien, ganz normalen Leben
verhelfen. Doch genau das Gegenteil ist nun der Fall. Jetzt möchte sie Schadensersatz vom
Implantathersteller, doch ihr fehlen die Beweise: Die künstliche Hüfte wurde im Klinikum
Bad Bramstedt zwar ausgetauscht, doch das Implantat ist nach dem Austausch
verschwunden, obwohl Frau Winter vor der Operation um die Herausgabe gebeten hatte.
Dominik Schirmer, AOK Bayern
Das Implantat ist Eigentum des Patienten, niemandem sonst gehört es. Und wenn das
Implantat nach der OP verschwindet oder vorsätzlich beseitigt wird, dann ist das im
rechtlichen Sinn Diebstahl.
Wir fragen im Bad Bramstedt nach, das Klinikum gibt per Mail zu: Die Patientin hatte, Zitat:
„präoperativ darauf hingewiesen, dass sie gerne die entfernten Implantatmaterialien
ausgehändigt bekommen möchte. Dieses ist leider nicht geschehen.“ Ohne die
ausgetauschte Hüfte kann Frau Winter aber nicht beweisen, woher der Metallabrieb in
ihrem Körper kommt.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Der Berliner Medizinanwalt Jörg Heynemann kennt zahlreiche Fälle von verschwundenen
Implantaten.
Jörg Heynemann, Rechtsanwalt
Es ist kein Einzelphänomen, sondern leider die Regel muss man sagen. Es gibt sicherlich
Kooperationen zwischen Kliniken und Herstellern und da ist es eben so, dass der Patient
gar nicht gefragt wird, sondern dass die Prothese stillschweigend mitgegeben wird.
Vielmals ist es allerdings auch Unkenntnis der Ärzte, die kennen die rechtliche Situation
nicht und denken sich nichts dabei.
Und auch die Krankenkassen können in diesen Fällen nicht wirklich helfen.
Dominik Schirmer, AOK Bayern
Wir wissen nicht, welches Produkt implantiert wurde, aus welcher Charge und von
welchem Hersteller. Das ist fatal. Bei Rückrufaktionen ist das fatal. Weil wir hier ja auf die
Freiwilligkeit der Meldung angewiesen sind.
Doch wie ist die Gesetzeslage?
Stellt das Krankenhaus einen schwerwiegenden Fehler an einem Implantat fest, muss es das
dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, melden. Gleichzeitig
muss die Klinik, mit Einwilligung des Patienten, das fehlerhafte Implantat zur Überprüfung an
den Hersteller schicken.
Jörg Heynemann, Rechtsanwalt
Es ist natürlich ein bisschen systemfremd, wenn man sagt: Der, der es herstellt, der soll
auch feststellen, ob es fehlerhaft war oder nicht. Wer attestiert sich denn schon selbst die
Fehlerhaftigkeit einer Produktserie?
Und erst wenn der Hersteller das Ergebnis seiner Selbstkontrolle dem BfArM gemeldet hat,
wird das Amt wieder tätig.
Dominik Schirmer, AOK Bayern
Wenn das Amt feststellt, dass ein Fehler dahinterliegt, dann kann das Amt lediglich eine
Empfehlung aussprechen. Der Hersteller kann mit der Empfehlung machen, was er will: Er
kann sie lesen, er kann sie befolgen, er kann sie auch abheften oder in den Papierkorb
werfen.
Denn das BfArM kann weder Strafen noch Sanktionen aussprechen. Auch nicht, wenn die
Krankenhäuser „vergessen“, überhaupt eine Meldung zu machen.
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Jörg Heynemann, Rechtsanwalt
Das BfArM ist ein zahnloser Tiger. Sie sind nicht in der Lage ein Produkt vom Markt zu
nehmen oder Produkte zu untersuchen oder untersuchen zu lassen.
Das BfArM kann lediglich einzelne Landesaufsichtsbehörden informieren, die dann weitere
Schritte prüfen und schließlich die Möglichkeit haben, vom Hersteller eine Rückrufaktion zu
verlangen. Bis dahin schreitet aber viel Zeit ins Land und Patienten erhalten jahrelang
schrottreife Produkte. Aber es kommt noch schlimmer: Krankenkassen berichten, dass
mangelhafte Implantate von den Krankenhäusern immer wieder sogar doppelt abgerechnet
werden.
Dominik Schirmer, AOK Bayern
Die Klinik bekommt das Implantat kostenlos, bekommt von uns 100 Prozent Pauschale und
hat sich aus Sicht der Klinik sogar noch einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft. Zum
doppelten Lasten der Versichertengemeinschaft. Denn wir haben die Erst-OP bezahlt, wir
haben die zweite OP gezahlt, wir haben das schadhafte, verpfuschte Produkt bezahlt und
wir haben das neue Produkt bezahlt. Also ein vollkommenes Unding!
Die AOK Bayern ist inzwischen gegen etliche Krankenhäuser juristisch vorgegangen. Die
Kliniken haben vom Hersteller Ersatz-Implantate kostenlos zur Verfügung gestellt
bekommen, diese Gratis-Implantate dann aber den Kassen in Rechnung gestellt. Auf Grund
von Schweige-Verpflichtungen darf uns die AOK keinen konkreten Fall nennen.
Und wie wirkt sich dieser Betrug auf die Versicherten aus?
Dominik Schirmer, AOK Bayern
Das hat schon eine gewaltige wirtschaftliche Dimension und das hat im Zweifel auch
Auswirkungen auf den Beitrag, den die Versicherten an ihre Krankenkasse entrichten
müssen.
Schweden gibt es daher ein verpflichtendes Register. Jedes künstliche Gelenk, also HüftKnie- oder andere Gelenke, wird registriert. Ist eine Serie häufig schadhaft, fällt das sofort
auf: Ein Rückruf kann gestartet werden, Krankenkassen können Regress von den Herstellern
fordern. Seit Jahren fordern die Grünen ein solches Register auch in Deutschland:
Kordula Schulz-Asche (MdB), Die Grünen
Es sind sehr viel strengere Auflagen notwendig, um zu verhindern, dass schadhafte
Medizinprodukte eingesetzt werden. Von daher ist es notwendig und auch schon längst
überfällig ein Medizinprodukteregister einzuführen.
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Zuständig
für
die
Einführung
eines
Implantateregisters
ist
das
Bundesgesundheitsministerium. Doch hier stecken die Vorbereitungen noch immer in den
Kinderschuhen. Per Mail teilt man uns mit: „Die Arbeiten an Eckpunkten einer gesetzlichen
Regelung laufen aktuell.“ So besteht für Patienten weiterhin die Gefahr, mangelhafte
Implantate transplantiert zu bekommen.
Stefanie Winter
Das finde ich ehrlich gesagt sehr erschreckend. Das macht mir Angst, weil ich immer
denke: Wie geschützt ist der Patient?
Fazit: Schrottreife Implantate werden nicht ausreichend kontrolliert, manche Krankenhäuser
verdienen an der Revisions-OP doppelt und die Krankenkassen-Mitglieder bezahlen das alles
mit ihren Beiträgen.
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