Chinesische Investoren gehen in Deutschland auf

Chinesische Investoren
gehen in Deutschland auf
Einkaufstour
Neue Instrumente für Prüfung staatsgetriebener Investitionen erforderlich –
Strukturwandel in Chinas Wirtschaft ist
ins Stocken geraten
(Dieses Interview mit Merics-Direktor Sebastian Heilmann erschien in leicht veränderter Fassung in der „Zeit“ vom 11. August 2016, Seite 22.)
DIE ZEIT: Professor Heilmann, der chinesische Konzern Midea steht kurz davor, Kuka zu
schlucken. Gerade hat sich Midea mit seinem Übernahmeangebot mehr als 85 Prozent des
führenden deutschen Roboterherstellers gesichert. Doch nun erklärt das Wirtschaftsministerium, es werde die Übernahme noch einmal prüfen. Stoppt Minister Sigmar Gabriel den Deal
doch in letzter Minute?
Prof. Sebastian Heilmann: Nein. Dazu fehlen die Instrumente im deutschen Außenwirtschaftsgesetz. Das Wirtschaftsministerium kann allenfalls bemängeln, dass Kuka-Roboter auch in der
Rüstungsproduktion eingesetzt werden – weil das Fragen der Sicherheit Deutschlands betreffen kann. Gabriel hat aber völlig Recht, wenn er die Kuka-Übernahme zum Anlass nimmt, die
Prüfinstrumente gegenüber staatlich gelenkten Investitionen zu schärfen. Nur so können wir
einen systematischen Ausverkauf von Industrietechnologien an China verhindern.
ZEIT: Niemand zwingt die Kuka-Aktionäre, zu verkaufen. Wieso muss da der Staat eingreifen?
Heilmann: Während ausländischen Investoren in China zentrale Zukunftsbranchen verschlossen bleiben, betreibt die Regierung in Peking groß angelegte Förder- und Finanzierungsprogramme: mit dem Ziel, ausländische Technologieführer aufzukaufen und chinesische Kontrolle
über die wichtigsten Industrietechnologien zu erlangen.
ZEIT: Was meinen Sie damit?
Heilmann: Vergangenes Jahr hat Peking das Programm „Made in China 2025“ verabschiedet.
Bis 2025 soll die Volksrepublik eine führende Rolle in Hochtechnologienmärkten erobern, etwa
bei Robotik, Künstlicher Intelligenz, Luft- und Raumfahrt, Elektromobilität oder gentechnisch
hergestellten Medikamenten. Wollen wir zuschauen, wie Hochtechnologie aus Deutschland
und Europa per Regierungsprogramm abgezogen wird?
ZEIT: Aber in vielen der genannten Branchen ist China noch weit hinten dran.
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Heilmann: Eben. Das Land kann mit eigenen Kräften die führende Rolle nicht schnell genug
erreichen. Daher streben Regierung und Industrie ein „Leapfrogging“ an: sie überspringen Entwicklungsstufen, indem sie ausländisches Knowhow übernehmen. „Made in China 2025“ lässt
sich als staatlich verordnete Einkaufsliste lesen.
ZEIT: Und da steht Deutschland obenan?
Heilmann: Die Präzision, Qualität und Zuverlässigkeit unserer Industrie faszinieren Chinas
Lenker. Deutschland ist das zentrale Referenzmodell. Uns allen muss klar sein: Wenn staatliche chinesische Investoren versuchen, hiesige mittelständische Unternehmen zu übernehmen, folgen sie Zielen, die in Programmen der Regierung definiert sind.
ZEIT: Aber Kuka wird von einer privaten Firma gekauft.
Heilmann: Stimmt. Doch in vielen anderen Fällen treten Staatskonzerne als Kaufinteressenten
auf, zum Beispiel der Chemieriese ChemChina beim Spezialmaschinenhersteller Krauss Maffei und beim Kohlefaserspezialisten SGL Carbon oder Shanghai Electric beim Maschinenbauer Manz.
ZEIT: Manche deutsche Unternehmen konnten das Geld gut gebrauchen.
Heilmann: Mir geht es nicht darum, chinesische Investoren völlig aus Deutschland herauszuhalten – im Gegenteil. Die Betriebe bekommen frisches Kapital und oft verbesserten Marktzugang nach China. Aber wir als Gesellschaft müssen uns Gedanken machen, ob wir Schlüsseltechnologien Investoren überlassen, die mit staatlichem Geld operieren und gezielt ausländische Marktführer verdrängen wollen. Das hat mit freiem Wettbewerb nichts mehr zu tun. Da
geht es um knallharte nationale chinesische Interessenpolitik.
ZEIT: Was könnte die deutsche Politik konkret dagegen tun?
Heilmann: Wir müssen von ausländischen Investoren eine viel striktere Offenlegung von Finanzierungs- und Subventionsstrukturen verlangen – und die Prüfinstrumente schärfen. Das
gilt ganz besonders für Beteiligungen staatlicher Konzerne. Es wäre für Deutschland verheerend, wenn unsere industrielle Basis ausgehöhlt würde. Chinas offen asymmetrische Wirtschaftspolitik, die ausländische Investoren und Firmen immer stärker benachteiligt, muss auf
politischem Wege korrigiert werden.
ZEIT: Als vor einigen Monaten die Börsenkurse in Shanghai und Shenzhen abstürzten, warnten Ökonomen wie Sie vor einem Wachstumseinbruch. Jetzt aber haben sich Chinas Aktienmärkte einigermaßen stabilisiert. Die Realwirtschaft auch?
Heilmann: Nein. Chinas Wirtschaft ist einer sehr schwierigen Lage. Der angestrebte Umbau
läuft nicht wie gewünscht. Weg von der Schwerindustrie, Staatskonzernen und einfachen Fabrikjobs, hin zu Dienstleistungen, innovationsgetriebenen Branchen mit höherer Wertschöpfung
– so lautete der Plan. Aber bei den Innovationen geht es nur in Informations- und Biotechnologien wirklich voran. Das reicht längst nicht, um den Einbruch der alten Industrie und der
Exporte zu kompensieren.
ZEIT: Woran hakt es?
Heilmann: Weite Teile der chinesischen Industrie waren jahrzehntelang auf Massenproduktion
getrimmt. Billige Arbeitskräfte stellten mit einfachen Handgriffen billige Exportgüter her. Selbst
beim iPhone, das in China montiert wurde, blieb der lokale Anteil an der Wertschöpfung extrem
gering. Aber um höhere Wertschöpfung zu erreichen und innovative Produkte zu entwickeln,
braucht das Land ganz andere Strukturen: Qualifizierte Ingenieure und Facharbeiter, Unternehmen mit starken eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, einen produktiven
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Privatsektor mit ausreichend Kapital und der Bereitschaft, langfristig zu investieren. Solche
Umwälzungen können Jahrzehnte dauern.
ZEIT: Laut „Made in China 2025“ soll der Umbruch schon in neun Jahren vollendet sein.
Heilmann: Man kann Innovation und Wandel nicht per Regierungsprogramm verordnen. Die
Impulse müssen aus der Wirtschaft kommen, von unten. Aber viele private Industriebetriebe
investieren zurzeit nicht: aus Angst, dass Binnen- und Exportmärkte kurzfristig schwach bleiben. Aber Innovationen brauchen einen langfristigen Horizont. Und für derart kostspielige Investitionen in Forschung und Entwicklung kommen Chinas private Unternehmen oft kaum an
Kapital.
ZEIT: Und die Staatskonzerne?
Heilmann: Sie haben weitaus leichter Zugang zu Geld. Und sie investieren auch dann, wenn
die Marktlage schlecht ist, die Regierung es aber anordnet. Chinas Staatskonzerne sind keine
eigenständig handelnden, marktgetriebenen Unternehmen, sondern weisungsabhängige
staatliche Wirtschaftseinheiten. Da läuft vieles gewaltig schief: gerade wenn es um Innovationen geht.
ZEIT: Konkreter, bitte.
Heilmann: In Chinas Wirtschaft gibt es ein außergewöhnliches Phänomen: eine Art „Kampagnenfieber“. Wenn Peking neue Programme beschließt, stürzen sich viele Wirtschaftsakteure
zugleich auf einige wenige in den Programmen definierte Technologiefelder - weil sie dafür
leicht an Finanzierung kommen und um sich bei der politischen Führung beliebt zu machen.
Zurzeit entwickeln Dutzende Kommunalregierungen und Konzerne gleichzeitig die Robotik,
weil Peking diese als Zukunftsindustrie definiert.
ZEIT: Machen dann alle dasselbe?
Heilmann: Genau: sie nehmen Schulden auf, duplizieren die Geschäftsmodelle anderer und
bauen rasend schnell Überkapazitäten auf. Das sind verschwenderische Kampagnen, zurückzuführen auf das traditionelle Planungssystem der Kommunistischen Partei. Wohin so ein Fieber führen kann, zeigt die Solarbranche. Dort hat China zwar den Weltmarkt erobert. Aber
viele seiner Solarunternehmen sind nach einem verheerenden Preiskrieg überschuldet oder
insolvent.
ZEIT: Der Internationale Währungsfonds warnt neuerdings, dass China auf »ernste Probleme«
zusteuere, wenn es die hohe Verschuldung nicht in den Griff kriege. Teilen Sie diese Sorge?
Heilmann: Chinas schuldenfinanzierter Boom beruhte darauf, dass außergewöhnlich hohe
Wachstumsraten alle Altschulden verkleinerten. Lässt nun das Wachstum aber dauerhaft
nach, werden die Altschulden zur Riesenlast. Es gibt in China viele Zombie-Firmen, die nur
durch Überwälzung von alten Krediten am Leben erhalten werden.
ZEIT: Und was passiert, wenn die Zombies gar nicht mehr zurückzahlen können?
Heilmann: Viele Risiken werden in Bilanzen von Unternehmen, Banken oder staatlich gestützten Vermögensverwaltern verschleiert. In Chinas Regionen haben sich viele Varianten von
„Bad Banks“ entwickelt, die Meister im Verschieben und Verdecken uneinbringlicher Kreditschulden sind. Die Risiken in Chinas Finanzsystem sind gewaltig. Noch aber trägt die Regierungsgarantie, und die Koffer des Zentralstaats erscheinen gut gefüllt.
ZEIT: Wie reagiert die Führung auf das nachlassende Wachstum?
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Heilmann: Die Regierung versucht, mit neuen Stimulusprogrammen die Konjunktur anzukurbeln – und verzögert so den Strukturwandel. Wir erleben gerade ein Comeback der alten staatlich getriebenen Infrastruktur- und Anlageinvestitionen.
ZEIT: Werden wir bald neue Geisterstädte sehen?
Heilmann: Ich habe eine sechsseitige Liste voller gigantischer Projekte für Straßennetze,
Bahnlinien und sonstige Bauten gesehen, die Chinas Führung bis 2018 plant und finanziert.
Dabei ist das Land vielerorts schon jetzt gepflastert mit moderner Infrastruktur und Immobilien,
die niemand braucht.
ZEIT: Den Staatskonzernen bringt das Aufträge.
Heilmann: Es hübscht kurzfristig Bilanzen und Wachstumsstatistik auf. Aber das ist kein gesundes Wachstum. Wir hören, dass manche Staatsbetriebe neue Fabrikhallen bauen, bei denen schon jetzt klar ist, dass sie nie gebraucht werden. Diese Firmen werden krank gepäppelt:
ihre Schulden wachsen doppelt so schnell wie die Profite.
ZEIT: Sie klingen extrem pessimistisch. Aber China hat für den Fall der Fälle 3200 Milliarden
Dollar Währungsreserven auf der hohen Kante.
Heilmann: Die Reserven sind enorm, aber vor zwei Jahren waren es noch 4000 Milliarden.
Viele Wohlhabende misstrauen der Führung und bringen Geld außer Landes. Schauen Sie
mal auf den Währungsmarkt. Der Renminbi ist gerade gegenüber dem US-Dollar auf den tiefsten Stand seit sechs Jahren gestürzt.
ZEIT: Erwarten Sie einen China-Crash?
Heilmann: Es gibt zwei denkbare Szenarien. Im moderaten Szenario werden Chinas Wachstumsraten beständig abfallen, bis sie dauerhaft niedrig sind, ähnlich wie einst in Japan. Nur
wird China auf einem niedrigeren Entwicklungsstand sein als Japan 1990. Wir müssen uns
dann auf neue gesellschaftliche und politische Spannungen einstellen.
ZEIT: Und wie sieht das andere Szenario aus?
Heilmann: Eine offene Finanzkrise könnte ausbrechen: ausgelöst durch eine plötzliche Häufung von Zahlungsausfällen in Chinas riskantem Markt für Unternehmensanleihen und im
Schattenbankensystem. Kommt es zu dieser Vertrauenskrise, könnte die Regierung sie kaum
stoppen. Peking arbeitet daran, diese Risiken einzudämmen. Aber eine Krise innerhalb der
nächsten drei, vier Jahre ist wahrscheinlicher, als die meisten bislang erwarten.
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