Pflanzenproduktion 32 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Bodennutzung im Lauf der Zeit Anteile an der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Prozent 2 4 Sonstiges Sonstiges 28 Grünland 39 Grünland 57 70 Ackerland Ackerland 1950 2015 Der Anteil der Ackerfläche hat im Vergleich zum Grünland seit dem Jahr 1950 deutlich zugenommen. Quelle: BMEL Weizen verdrängt Roggen Anteile am Getreideanbau in Prozent 32 23 Weizen Foto: Landpixel, Archiv Sonstiges Weizen, Gerste, Mais, Roggen und Raps werden auch 2050 das Landschaftsbild prägen. Der Zuchtfortschritt spricht für eine größere Maisfläche. Raps komplettiert das Spektrum. Brigitte Stein Ressort Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung D em Ackerbau stehen enorme Veränderungen bevor. Wichtige Impulse gehen von der technischen Entwicklung weitgehend selbsttätiger Maschinen aus. Zudem erfordert der Klimawandel strategische Anpassungen, die von der Pflanzenzüchtung begleitet werden. Die Zulassungssituation von Pflanzenschutzmitteln bestimmt den Ertragsfortschritt. Technische Innovationen werden die Landwirtschaft in den kommenden Jahren mindestens ebenso stark verändern wie seit Gründung dieser Zeitung vor 70 Jahren. Die Präzisionslandwirtschaft sowie die zunehmend autonome Arbeitserledigung dürften die Arbeitsproduktivität im Pflanzenbau bis 2050 enorm steigern. Programmierbare, selbstfahrende Feldroboter ermöglichen langfristig eine konsequent mechanische Unkrautbekämpfung und exakte Beobachtung der Bestände. Damit könnte chemischer Pflanzenschutz nur noch dann zulässig sein, wenn sonstige Maßnahmen keine ausreichende Schadensbegrenzung zulassen. Die Pflanzenzüchtung arbeitet schon heute an Sorten mit weitreichender Resistenzausstattung. Diese Züchtungsziele allerdings gehen zunächst zu Lasten des Ertragsfortschritts. Smart Breeding und Hybridsysteme werden zu festen Bestandteilen des Systems. Wenn es gelingt, die gesellschaftliche Akzeptanz für neue, preiswerte Züchtungstechniken zu erringen, könnte auch die Entwicklung von Sorten für Nischenmärkte wieder profitabel werden. In der Gestaltung der Fruchtfolge in Deutschland erwarten Pflanzenzüchter kaum weitere Veränderungen. Der hohe Anteil von Weizen könnte sogar noch steigen, sofern Fruchtfolgekrankheiten beherrschbar werden. Ob sich Hybridweizen wirklich durchsetzt, ist keineswegs sicher. Neben der technischen Komponente trüben auch höhere Saatgutkosten die Perspektiven. Unter günstigen Bedingungen scheint ein Durchschnittsertrag von 14 Tonnen je Hektar möglich. in Getreidefruchtfolgen. Wenn sich der bisherige Ertragszuwachs fortsetzt, dann sind im Jahr 2050 Durchschnittserträge von 16,5 Tonnen Kornertrag je Hektar denkbar, erwarten Züchter. Gerste wird nach Einschätzung der Pflanzenzüchter als bewährte Vorfrucht von Raps die zweitwichtigste Getreideart bleiben. Dafür sprechen die ackerbaulichen Vorzüge: Die frühräumende Frucht schafft Flexibilität in der Bodenbearbeitung und vielfältige Möglichkeiten für Zwischenfrüchte. Ein breiteres Spektrum an Krankheits- und Insektenresistenzen wird in den Gerstensorten Pflicht. Roggen wird auch weiterhin auf den schwächeren Standorten für sichere Erträge sorgen. Mit neuen Züchtungstechniken könnten Roggensorten auf bestimmte Verwertungsprofile optimal zugeschnitten werden. Als preiswerte Futterkomponente und mit einem Ertragspotenzial bis zu 15 Tonnen je Hektar könnte Roggen international sogar Fläche gewinnen. Dass sich im Gerstenanbau Hybridsorten etablieren werden, davon ist nicht nur der derzeitige Anbieter Syngenta überzeugt. Im gut erforschten Gerstengenom könnte die Selektion mit genetischen Markern zu Sorten mit einem Ertragspotenzial von 15 Tonnen je Hektar führen. Raps wird als einzige Blattfrucht in Getreidefruchtfolgen auch langfristig eine feste Größe bleiben, auch weil sich Rapssaat immer verkaufen lässt. Raps geht auf allen Böden, passt in jeden Betrieb und ist mit vorhandener betrieblicher Infrastruktur zu managen, fasst der RapoolRing die Vorzüge zusammen. Raps wird verstärkt als Proteinlieferant betrachtet. Damit sind Proteinqualität und Proteingehalt Zuchtziele in den kommenden Jahrzehnten. Der Durchschnittsertrag könnte bis zu 6 Tonnen je Hektar erreichen. Sofern weiterhin eine intensive Kulturführung möglich ist, sind Spitzenerträge bis 9 Tonnen je Hektar möglich. Mais wird auch in Zukunft seine Erfolgsgeschichte fortschreiben. In Ackerbauregionen wird Körnermais weiter zulegen, weil der Züchtungsfortschritt deutlich höher ist als bei Wintergetreide. Darüber hinaus entzerrt der Anbau von Körnermais Arbeitsspitzen und hilft als Sommerung beim Resistenzmanagement Sonstiges 25 Gerste 14 Fruchtfolge der Zukunft schon heute am Start 16 Gerste 31 1950 Roggen 50 Weizen 9 Roggen 2015 Weizen ist der unumstrittene Star unter den Getreidearten, während die ehemals führende Getreideart Roggen weit Quelle: BMEL abgeschlagen ist. Mais hat auf deutschen Äckern um den Faktor 50 zugelegt von rund 50 000 Hektar auf heute rund 2,5 Millionen Hektar. Das Segment Körnermais gewinnt an Bedeutung von früher 1/8 auf heute 1/5 der Maisfläche. Eindeutiger Gewinner im deutschen Ackerbau ist Raps. Auf diese Ölfrucht entfallen heutzutage mehr als 1,3 Millionen Hektar. Sie ist treibende Kraft für den Zuwachs der Ölfrüchte auf deutschen Äckern, die von 1 Prozent der Ackerfläche zugelegt haben auf heute 11 Prozent. Der Anbau von Kartoffeln ist heute nur noch etwas für Spezialisten. Wachsende Erträge, veränderte Verzehrgewohnheiten und Veränderungen in der Tierernährung sind der Grund dafür, dass es heute genügt, wenn auf 2 Prozent der Ackerfläche Kartoffeln wachsen, statt auf 14 Prozent wie im Jahr 1950. Pflanzenproduktion 33 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Der Konzentrationsprozess stößt an Grenzen“ Der Kartoffelhandel ist wichtiger Vermittler zwischen Konzernen des Lebensmitteleinzelhandels und den Erzeugern. Von den Trends zu Regionalität und veganer Ernährung kann die Speisefrischkartoffel profitieren. agrarzeitung: Die Kartoffelbranche hat einen erheblichen Konzentrationsprozess hinter sich. Setzt sich diese Entwicklung fort? Herkenrath: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Unternehmen um mehr als die Hälfte verringert. Parallel dazu hat sich auch der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) erheblich gestrafft. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, waren größere Produktionseinheiten in der Kartoffelbranche notwendig. Vom klassischen Kartoffelhandel, wie wir ihn als Firma Jungnickel betreiben, sind nur wenige in ganz Europa übrig geblieben. Wir kommen langsam an einen Punkt, an dem der Konzentrationsprozess an Grenzen stößt. Aufgrund der regionalen Anforderungsprofile und logistischen Beschränkungen lassen sich kaum noch große Verschmelzungen erwarten. Die derzeit vorhandenen Packkapazitäten in Deutschland und Europa bilden den Bedarf bei einer notwendigen kleinen Überkapazität gut ab. So halten in Deutschland inzwischen zehn Betriebe mehr als 90 Prozent des Packvolumens und auch in Frankreich gibt es große Strukturen. Im südeuropäischen Raum lassen die vielen kleinen Packbetriebe dagegen noch Anpassungen erwarten. Sind unsere Strukturen gut genug, um dem Druck des übermächtigen LEH standzuhalten? Herkenrath: Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist nicht unbedenklich. Die wenigen Großen werden immer größer, wie jüngst Edeka und Kaisers Tengelmann. Heute halten die fünf Großen des LEH in Deutschland 90 Prozent Marktanteile, kaufen weltweit ein und können erheblichen Druck auf Produzenten und Lieferanten ausüben. Die Anforderungen des LEH, und vor allem im Discountbereich, werden immer spezieller, denn man versucht, sich mit immer höheren Qualitätsansprüchen zu profilieren. Für die Produzenten kann dies problematisch werden, wenn sie sich auf einen Großabnehmer und dessen Qualitätsanforderungen fokussiert haben und den Abnehmer wechseln wollen. Auf der anderen Seite bieten feste Programme auch Chancen für eine längerfristige Absatzsicherung. Die großen Ketten fordern höchste Qualitäten von den deutschen Landwirten. Unsere Lebensmittelpreise sind aber die billigsten in ganz Europa. Das beißt sich doch, oder? Herkenrath: Vor zehn bis 15 Jahren haben die Landwirte ihre Waren produziert und frei auf dem Markt verkauft. Heute schreiben die Ketten vor, was und wie die Nahrungsmittel hergestellt werden sollen. Der LEH hat klare Lieferantenvereinbarungen und Spezifikationen, die er den Packbetrieben und dem Handel vorgibt und die diese an die Landwirte weiterreichen. Kaum nachvollziehen lässt sich aber, dass der LEH bei uns den Einsatz bestimmter Produktionsmittel ablehnt, im Ausland dagegen diverse Wirkstoffe zulässt und dort auch noch höhere Preise für die Produkte bezahlt. Dies muss bei unseren Erzeugern zu großen Verstimmungen führen. Hier sind wir als Deutscher Kartoffelhandelsverband gefordert und haben auch schon erfolgreich interveniert. Als die Aldi-Gruppe Anfang des Jahres den Einsatz von bienentoxischen Mitteln bei ihren Produkten völlig verbieten wollte, sind wir initiativ geworden. Zusammen mit den Branchenverbänden Unika, DBV, Bundesverband der Erzeugergemeinschaften Kartoffeln und dem Fachverband Deutsche Speisezwiebeln konnten wir im Dialog mit der Aldi-Geschäftsleitung und den NGOs eine praktikable Lösung für den Einsatz von Neonicotinoiden finden. Wir haben das Zerrbild der Landwirtschaft in Bezug auf Bienenschutz ins rechte Licht gerückt, denn ein Verzicht auf diese Maßnahmen würde schließlich bis zu fünf weitere Behandlungen notwendig machen. Der Kartoffelverbrauch ist seit Jahren rückläufig, lässt sich das aufhalten? Herkenrath: Das ist sehr schwierig, doch ich bin zuversichtlich, dass sich der Trend zumindest stoppen lässt. Zu diesem Zweck haben wir als DKHV zusammen mit dem Landvolk Niedersachsen und der Bundesvereinigung Erzeugergemeinschaften Kartoffeln die ‚Kartoffeln Marketing GmbH’ gegründet. In den vergangenen 15 Jahren ist der Kartoffelkonsum um 12 Kilogramm auf 57 Kilogramm gesunken, der Konsum an Frischkartoffeln beträgt nur noch etwa 26 Kilogramm pro Kopf. Doch während früher viel mehr Kartoffeln weggeworfen wurden, kaufen die Verbraucher heute fast nur noch bedarfsgerecht in Kleingebinden ein. Das Bewusstsein für frische und regionale Produkte oder Trends wie vegane Ernährung könnten der Kartoffel wieder zugutekommen. Bleibt der Kartoffelanbau in Deutschland und Europa stabil oder könnte sich der Anbau verlagern? Herkenrath: Verschiebungen lassen sich in erster Linie über klimatische Einflüsse, die Bodenqualität, Verfügbarkeit von Wasser, phytosanitäre Bedingungen oder einen weiter limitierten Einsatz von Wirkstoffen erwarten. In Deutschland gibt es größere Flächen, die stark mit Drahtwurm-Befall belastet sind, und auf denen sich nach dem Verbot des Wirkstoffs Fipronil der Kartoffelanbau nicht mehr rechnet. Dies könnte bei uns eine leichte Anbauverschiebung nach Mittel- und Norddeutschland nach sich ziehen. Große Verschiebungen erwarte ich aber aufgrund der vom LEH geforderten Regionalität kaum. Können wir unsere Selbstversorgung mit Frühkartoffeln ausbauen oder sind wir auf Importe angewiesen? Herkenrath: In Deutschland sind in den vergangenen Jahren erhebliche Lagerkapazitäten entstanden, aus denen sich der hiesige Markt auf Wunsch des LEH und der Verbraucher länger mit Inlandsware versorgen lässt. Dadurch ist der Bedarf an importierten Frühkartoffeln etwas gesunken. Im Mai haben wir üblicherweise eine Versorgungslücke und brauchen die Importe aus Ägypten und Israel. Vor dem Start unserer Frühkartoffelsaison in der Pfalz und im Burgdorfer Raum sind wir für vier bis sechs Wochen auf spanische Herkünfte angewiesen. Der deutsche Frühkartoffelanbau hat zwar eine Chance, ist aber durch die klimatischen Bedingungen, Bewässerungsmöglichkeiten und durch Restriktionen beim Pflanzenschutz limitiert. Könnte der Kartoffelexport künftig einen größeren Stellenwert bekommen oder bleibt unser Anbau eine regionale Veranstaltung? Marktexperte und engagierter Branchensprecher Thomas Herkenrath ist seit 1998 Geschäftsführer des Familienunternehmens Fritz Jungnickel GmbH & Co. KG, Neuss. Der Schwerpunkt der Firma liegt im weltweiten Handel von Speise-und Pflanzkartoffeln. Pro Jahr werden etwa 6 000 Tonnen Pflanzkartoffeln und rund 80 000 Tonnen Speisekartoffeln vermarktet. Hauptkunden sind andere Händler und Packbetriebe. In Spanien betreibt Jungnickel zudem einen Kartoffelanbau in eigener Regie. Die Wurzeln der Firma Jungnickel reichen bis in das Gründungsjahr 1912 in Dresden zurück. 1953 erfolgte eine Neugründung. Fritz Jungnickel eröffnete in Neuss einen Pflanzkartoffelhandel und übernahm im westdeutschen Raum die Vertretung für die Sorten der Kartoffelzucht Böhm. Daraus ging 1978 die heutige Firma Fritz Jungnickel hervor. Seit 2015 ist Herkenrath Präsident des Deutschen Kartoffelhandelsverbands e.V. (DKHV). Der Verband deckt mit Ausnahme des Verarbeitungsbereichs nahezu den gesamten deutschen Kartoffelhandel ab und ging 2007 aus der Verschmelzung des Zentralverbandes der Deutschen Kartoffelkaufleute mit den Verbänden der Kartoffelkaufleute Weser-Ems und dem Verband der Kartoffelkaufleute e.V. hervor. Daneben ist Herkenrath Vizepräsident des europäischen Kartoffelhandelsverbandes ‚Europatat‘. Im Juni dieses Jahres endete Herkenraths Amt in der europäischen Vertretung St turnusgemäß. Herkenrath: Im Gegensatz zu Frankreich sind wir nicht auf Ausfuhren im großen Stil angewiesen Die Frischware lässt sich aus Haltbarkeitsgründen nur begrenzt transportieren und die Möglichkeiten bleiben im Wesentlichen auf Süd- oder Osteuropa begrenzt. Hier gibt es noch etwas Potenzial für den Handel, auch für uns als Firma Jungnickel. Für Tiefkühl-Ware, Convenience-Produkte oder Kartoffelstärke gibt es sicherlich andere Absatzmöglichkeiten, zumal sich für Europa in den kommenden Jahren ein zusätzlicher Bedarf von 500 000 bis 700 000 Tonnen abzeichnet. Wir müssen aufpassen, dass die zusätzlichen Flächen nicht zulasten der Speisekartoffeln gehen, zumal die Produktion und Vermarktung von Speiseware für unsere hochtechnisierten Landwirte ein größeres Risiko als Verarbeitungsware bergen. Die großen Pflanzenschutzkonzerne erweitern ihr Portfolio um Saatgut. Interessieren sie sich auch für Kartoffeln? Herkenrath: In Deutschland haben wir mit Europlant, Solana und Norika drei große Züchterhäuser, die hervorragende Ergebnisse liefern und weltweit einen sehr guten Ruf genießen. Auch kleinere Züchter haben bei Spezialsorten und speziellen Segmenten Zukunftsperspektiven. Die großen Pflanzenschutzkonzerne sind an gentechnisch veränderten Pflanzen in Kombination mit eigenen Pflanzenschutzmitteln interessiert. Für gentechnisch veränderte Sorten fehlt hierzulande die Akzeptanz. Bei Speisekartoffeln müssen wir als Unternehmen GMO-Freiheit garantieren. Das könnten wir aber nicht mehr, wenn irgendwo auf einem Acker genma- nipulierte Kartoffeln angebaut würden. Diese Flächen wäre aufgrund von Durchwuchs oder Knollen, die auf dem Feld bleiben, für den Speisekartoffelanbau nicht mehr tragbar. Der DKHV und der europäische Kartoffelhandelsverband Europatat sehen momentan keine Notwendigkeit für genmanipulierte Kartoffeln. Das Gespräch führte Hermann Steffen Die Ketten des Lebensmittel einzelhandels schreiben vor, welche Nahrungsmittel auf welche Weise hergestellt werden.“ Foto: St Der Präsident des Deutschen Kartoffel handelsverbands e.V. (DKHV), Thomas Herkenrath, sieht die Branche für die Zukunft gut gerüstet. Die vorhandenen Packkapazitäten in Deutschland und Europa bilden den Bedarf gut ab. Regi onale Anforderungsprofile gewinnen an Bedeutung. Für Gentechnik ist in der Kartoffelwirtschaft kein Platz. 34 Pflanzenproduktion Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Gemeinsame Werte stehen im Vordergrund Ausgesprochen vielschichtig ist das Image des Saatgutanbieters KWS: Der Landwirtschaft international als Saatgutmarke bekannt, wird KWS in Publikumsmedien gern zu den Konzernen gezählt. Dennoch beharrt die Unternehmensführung auf der Zugehörigkeit zum Mittelstand – aus guten Gründen. Dieses Datum muss Andreas Büchting nicht nachschlagen. Der Aufsichtsrats vorsitzende kennt es auswendig. Er hat das Ereignis in seinen Kalender ein getragen, auch wenn dieser Tag keine besondere Rolle spielt. Aber er gehört zu seiner Familien und der Unterneh mensgeschichte. Gegründet wurde KWS bereits 1856 von Büchtings Urururgroß vater aus einem landwirtschaftlichen Impuls heraus. Wurzeln in der Landwirtschaft Aus diesen landwirtschaftlichen Wurzeln entwickelt sich das Unternehmen, das in 6,6 Millionen Aktien gestückelt ist, wei ter. Daran lässt Büchting keine Zweifel. Wie wichtig diese Erdung ist, bestätigt auch Vorstandssprecher Hagen Duen bostel: „Das Unternehmen ist geprägt von den Werten, die in den Familien der sechs Generationen gelebt wurden.” Diese Werte seien auch für den Vorstand und die Mitarbeiter gültig. Aus dieser engen Bindung an die Gründerfamilien heraus begründet Duenbostel auch den Anspruch, als Mittelständler zu gelten: „Reale Personen und nicht anonyme Kapitalgeber bestimmen den Weg des Unternehmens.” Tatsächlich halten drei Familien – Büchting, Arend Oetker und Giesecke – mit 56 Prozent die Mehrheit der Aktien. Darum fürchtet Duenbostel auch keine feindliche Übernahme. Die Familien haben sich fest verpflichtet, bestätigt Büchting. Durch eine komplexe Konst ruktion gibt es kein Bröckeln der Aktien. Wie in der Landwirtschaft üblich, soll das Unternehmen von Generation zu Gene ration weitergegeben werden. Direkten Einfluss aber nehmen die einzelnen Familienmitglieder nicht. Sie entschei den lediglich, wer sie im Aufsichtsrat ver tritt. „Der Vorstand hat vollständig freie Hand, strategische Konzepte zu entwi ckeln”, betonen Aufsichtsratsvorsitzen der und Vorstandssprecher einhellig. Der kontinuierliche Gedankenaustausch hat einen hohen Stellenwert. Bei gemeinsa men Reisen zu ausländischen Zuchtsta tionen werden informell Konzepte und strategische Überlegungen diskutiert. „So stellen wir frühzeitig sicher, dass wir nicht in fundamentalen Grabendiskussi onen enden”, erklärt Büchting. Trotz der Familienbindung, sehen Büchting und Duenbostel die Börsen notierung als großen Vorteil für das Unternehmen. „Wir sind zu einer Trans parenz gezwungen, die wir für Banken sowieso haben, wenn wir Finanzierung in Anspruch nehmen wollen”, erklärt Duenbostel. Aber weder Kursschwan kungen noch das Platzen der speku lativen Agrarblase 2008/09 sorgen für operative Hektik. „Börsenkurs und Divi dende sind nicht die Dinge, die Fami liengesellschaften elektrisieren”, sagt Büchting. Dennoch versucht Duenbos tel zweistellige Betriebsergebnisrendi ten zu wahren und zwischen 6 und 10 Prozent Umsatzwachstum zu erreichen. Dass die Gesellschafter Rendite erwar ten vor allem in Form einer langfristigen Wertentwicklung, ist für ihn selbstver ständlich. Für die langfristige Entwick lung werden mehr als 70 Prozent des Jahresüberschusses investiert, um das Unternehmen weiter zu stärken. Vorurteilsfreie Forschung Rund 15 Prozent des Umsatzes gehen in die Forschung. Damit ist das Unterneh men auch in der TechnologieEntwick lung ganz vorne mit dabei. Das galt in den 1980er Jahren in der Biotechnologie und angewandten Pflanzengenetik. Das gilt auch heute mit den neuen Züchtungs verfahren. Dabei geht es einerseits um die Zukunft des Unternehmens, das am internationalen technologischen Fort schritt Teil hat. Zudem geht es um die Rol le der KWS für die Landwirtschaft: „Wir bieten Lösungen an, vorurteilsfrei und methodenneutral.” Das ökonomische Potenzial kann sich das international aufgestellte Unternehmen nicht entge hen lassen. Aber: „Wenn diese Methoden in Europa keine Relevanz haben sollen, sind wir die letzten, die missionieren und dann gegen die Wand laufen”, erklärt Duenbostel. KWS will mit dem Sortenportfolio mög lichst jedem Landwirt genau jene Pro dukte anbieten, die für seine Zwecke Foto: KWS G eldanleger interessieren sich zunehmend für Saatgut und Pflanzenzüchtung, die ihnen zumeist als Geschäftsfelder in größeren Zusammenhän gen begegnen. In weitem Abstand zum DAX, im SDAX, rangieren oft schillernde Unternehmen wie Puma oder Borussia Dortmund, die für eine andere Perspek tive auf große Märkte sorgen. Hier ist mit der KWS Saat SE auch die Aktie eines der ältesten börsennotierten Unterneh men überhaupt gelistet: Ihr Start war am 29. Mai 1885. Gespräche verbinden: Vorstandssprecher Hagen Duenbostel (l.) und Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Büchting die richtigen sind. Duenbostel schließt die ÖkoLandwirtschaft explizit mit ein. Dass die weite Spanne von Gentechnik bis ÖkoSaatgut eine Herausforderung in Sachen Glaubwürdigkeit bei ganz über zeugten Biolandwirten bedeutet, räumt er ein. Aber Transparenz ist für ihn der Schlüsselbegriff. Begleitend zur GentechnikForschung hat KWS ein Kuratorium für Pflanzen züchtung eingerichtet, mit externen Experten besetzt und darin ethische Fragen diskutiert. Vertreter von Verbrau cherseite, Technikfolgenabschätzung, Kirche und Wissenschaft gehörten dazu. „Wir sind daher nie in die Bredouille gekommen, dass wir Dinge getan haben, bei denen wir ein mulmiges Gefühl hat ten”, resümiert Büchting. Diesen bislang auf Deutschland orientierten Kreis für die EthikDebatte will Duenbostel nun erweitern. Die Erörterungsplattform soll künftig Themen globaler betrachten, weil Stoffströme auch globaler fließen. Die Gremien könnten themenspezifisch sein oder auch länderspezifisch. Daran wird noch gefeilt. Technologie begleitet Diversifikation Die weitere Diversifikation des Sorten portfolios orientiert sich an dem Grund gedanken, Kulturarten zu bearbeiten, die eine Chance auf Hybridisierung haben, bei denen der Züchtungserfolg hoch ist und bei denen KWS eine Dif ferenzierung aufbauen kann, umreißt Duenbostel die Entscheidungsmatrix. Er favorisiert Kulturarten, in denen KWS vorhandene Technologien nutzen kann, um den Züchtungserfolg auszubauen. Soja kommt derzeit ebenso wenig in Fra ge wie Zuckerrohr. Büchting plant gewissenhaft die Zukunft des Unternehmens. Er trägt dafür Sorge, dass die Gründerfamilien über Generatio nen Kontakt zu Unternehmen und Land wirtschaft halten. Einmal im Jahr trifft sich die Familie für ein Wochenende an einer Zuchtstation. Zuchtprogramme und Menschen vor Ort stehen im Mittelpunkt. „Um nicht nur Aktien zu haben, sondern auch zu sehen, wie die Dinge funktionie ren und einen persönlichen Eindruck zu bekommen”, erklärt er die Idee. Die Fortsetzung dessen ist die Hauptver sammlung der Aktiengesellschaft. Jedes Jahr kommen rund 700 Aktionäre zum Firmensitz in die kleine, südniedersäch sische Fachwerkstadt Einbeck. Die Atmo sphäre von KWS soll verbinden. brs Abkehr vom Weltmarkt nötig Die Pflanzenzüchtung in Deutschland hat sich in der Vergangenheit stark gewandelt. Der Ehrenvorsitzende des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter Dr. Kartz von Kameke, zugleich Gesellschafter der Solana-Gruppe, macht unter anderem den mangelnden Respekt vor dem geistigen Eigentum dafür verantwortlich. Prof. Ulrich Hamm sieht Lösungen in der Öko-Landwirtschaft agrarzeitung: Was zeichnet aus Ihrer Sicht den Standort Deutschland aus? von Kameke: Die Branche der Pflanzen züchter ist in Deutschland geprägt durch die vielen mittelständischen Firmen und Familienbetriebe. Dadurch gibt es nicht nur eine Vielzahl von Unternehmen und einen gesunden Wettbewerb, sondern auch eine große, bedarfsgerechte Vielfalt an Kulturarten und Sorten. Diese Struktur ist weltweit einzigartig. Leider verschlechtern sich die Rahmen bedingungen für die Pflanzenzüchtung in Deutschland, sodass es nicht auszu schließen ist, dass Züchtungsunterneh men ihre Aktivitäten in andere Länder mit besseren Rahmenbedingungen ver lagern werden oder ihre Tätigkeit sogar aufgeben müssen. Was sehen Sie als die größten Hürden am hiesigen Standort? von Kameke: Es fehlt in Teilen immer noch die Bereitschaft, geistiges Eigentum anzuerkennen und sich an den Kosten Zur Person Dr. Kartz von Kameke ist geschäftsführender Gesellschafter der Solana-Gruppe. Das international tätige Unternehmen geht auf die Kartoffelzüchtung der Saatzucht von Kameke-Streckenthin zurück. Das Unternehmen wird künftig in vierter Generation von der Familie geführt. Nach starkem ehrenamtlichen Engagement im Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) ist Dr. Kartz von Kameke heute Ehrenvorsitzender brs des Verbands. Foto: Solana „Wir brauchen Unterstützung“ Die Rahmenbedingungen in Deutschland verschlechtern sich.“ der erbrachten Innovationsleistung zu beteiligen. Die Fruchtart Kartoffel ist davon besonders betroffen. In jeder zugelassenen Sorte stecken zehn bis fünfzehn Jahre Arbeit und hohe Inves titionen. Die Entwicklung einer neuen Kartoffelsort kostet im Durchschnitt etwa 1 bis 2 Millionen Euro. Das können wir nur leisten, wenn unsere Arbeit und der Züchtungsfortschritt auch über die Nachbaugebühr gewürdigt werden. Des wegen brauchen wir hier eine bessere Unterstützung von den Bauernverbän den und von der Politik eine Gesetzge bung, die uns die erforderliche Rechts sicherheit gibt. Fehlt diese, kann es dazu führen, dass immer mehr Unterneh men aufgeben müssen.Sinvoll wäre es, steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung zu schaffen, wie es andere Länder bereits erfolgreich tun. Was hat die Wiedervereinigung Deutschlands für Ihr Unternehmen bedeutet? von Kameke: Durch die Öffnung der Gren ze haben sich für uns Chancen ergeben: Anfang der 1990er Jahre konnten wir in MecklenburgVorpommern die Güter in Gransebieth, Ranzin und Voigtsdorf und 2001 das Gut Stolpe zunächst langfris tig pachten – die landwirtschaftlichen Betriebe waren in der ehemaligen DDR Erhaltungszüchtungsstationen. Alle Flä chen liegen in einer Gesundlage und ermöglichen uns so, gesundes, hochwer tiges Pflanzgut zu produzieren. Auch das Knowhow der Mitarbeiter war natürlich eine Bereicherung für unser Unterneh men. Und schließlich konnten wir viele Arbeitsplätze erhalten. Haben Sie eine Vorstellung davon, welche Rolle die Kartoffel im Jahr 2050 spielen kann? von Kameke: Kartoffeln werden auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Sie sind schon heute das viertwichtigste Nah rungsmittel weltweit und können einen großen Beitrag im Kampf gegen den Hun ger leisten. Denn sie liefern pro eingesetz ter Wassereinheit mehr Kalorien als jede andere Feldfrucht und sie enthalten wich tige Vitamine, Mineralstoffe und Eiweiße. Die genetische Variation der Kartoffel ist gewaltig und bei weitem noch nicht aus geschöpft. Kartoffeln haben also noch viel Potenzial, gerade für die Schwellen und Entwicklungsländer. Kartoffeln werden heute in über 100 Ländern weltweit mit unterschiedlichen Klima und Bodenbe dingungen angebaut. Wird Cisgenetik als Züchtungsmethode für Kartoffeln bis 2050 beim Verbraucher ankommen? von Kameke: Es wird viel davon abhän gen, wie unsere Gesellschaft gene rell mit dem Thema Innovationen umgehen wird und dass neue Züch tungsmethoden rechtssicher ange wendet werden können. Eine verläss liche Einschätzung zur Einstellung der Verbraucher in 34 Jahren ist auch für uns sehr schwer, obwohl Züch ter immer in die Zukunft schauen. Das Gespräch führte Brigitte Stein V on anderen Hochtechnolo giebranchen kann die deut sche Landwirtschaft lernen. Agrarökonom Prof. Ulrich Hamm empfiehlt, sich als Produzenten hochwertiger Lebensmit tel zu profilieren. „Der deutsche Verbraucher ist nicht gei zig”, davon ist Ulrich Hamm, Professor für Agrar und Lebensmittelmarketing an der Universität Kassel in Witzen hausen zutiefst überzeugt. Die Liste der Beispiele, mit denen er seine The se untermauert, ist lang: Für Spaghet ti, Marmelade und selbst Weizenmehl oder Zucker ist die Preisspanne zwi schen dem billigsten und dem teuersten Produkt im Laden enorm – den Faktor sieben oder acht nennt der Marktfor scher. Verbraucher seien bereit, für Lebensmittel hohe Preise zu zahlen, wenn sie darin einen zusätzlichen Nut zen erkennen. Einfallslose Werbung Dieses Potenzial nutzen Landwirte zu wenig. Der Preis ist nach den Erfahrun gen des Kasseler Marktforschers ein völ lig überschätztes Kriterium. Vor allem der Einzelhandel erziehe regelrecht zum Blick auf den Preis. Dass Verbraucher ausgerechnet bei Lebensmitteln sparen müssen, lässt Hamm nicht gelten, solan ge bei Auto, Smartphone oder Schuhen andere Kriterien zählen: „Nur 20 Prozent der deutschen Verbraucher müssen wirklich jeden Cent umdrehen.” Darüber hinaus landet ein erheblicher Teil der billig gekauften Lebensmittel im Müll. Über den Verbraucher und seine Einstel lungen weiß Hamm sehr gut Bescheid. Seit den 1980er Jahren betreibt er Markt forschung. Der Forschungsschwerpunkt ÖkoLebensmittel hat sich recht früh herauskristallisiert, als der Ökonom wissen wollte, warum die Produkte mit dem Verbandssiegel von Demeter und Bioland sehr viel teurer angeboten wurden. Die Marktforschung hat Hamm im Lauf der Zeit stetig verbessert. Valide Aussagen und Prognosen sind ihm wich tig. Für seine Untersuchungen sucht er gezielt Einzelhandelsfilialen in Durch schnittsStädten aus. Die Verbraucher müssen dort mit ihrem Geld bezahlen, um ihren Aussagen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Spontane Verbraucherbefra gungen mit OnlineFragebögen, die in extrem kurzer Zeit ohne nachzudenken ausgefüllt werden, kommen für Hamms Marktforschung nicht infrage. Mit einer weitblickenden These über die Konsumgesellschaft lag der Wissen schaftler schon früh richtig: Unter den Verbrauchern findet ein Wertewandel statt. Schon längst geht es beim Einkau fen nicht mehr darum, satt zu werden. Zusätzliche Eigenschaften der Produkte geben den Ausschlag. Waren zunächst die Gesundheit und die Unterstützung der alternativen Bewegung wichtige Kaufmotive für ÖkoProdukte, so sind im Laufe der Zeit weitere hinzugekom men. Und für alle diese Merkmale sind die deutschen Verbraucher bereit, tief in das Portemonnaie zu greifen. Trotz steigender Preise für ÖkoLebens mittel wächst die Nachfrage nach die sen ungebremst weiter. Anstatt gegen „unwissende” oder „fehlgeleitete” Verbraucher zu polemisieren, sollte die deutsche Landwirtschaft entspre chende Produkte anbieten, fordert der Ökonom. Am Beispiel des Eiermarktes könne man schön studieren, wie sich Verbraucher verhalten, wenn sie ein fache Entscheidungshilfen für ihren Einkauf erhalten: eine leicht nachzu vollziehende staatliche Kennzeichnung der Tierhaltungssysteme hat den Weg zu deutlich höheren Preisen für Öko oder Freilandhaltung geebnet. Ein ähnliches Kennzeichnungssystem für Milch und Fleisch hält Hamm für weit zielführen der als die Initiative Tierwohl: „Vom Verbraucher aus gedacht, muss erkenn bar sein, welche Zusatzleistung in dem Produkt steckt, das im Laden liegt.” Dann werde der Markt schnell zeigen, wonach der Verbraucher wirklich verlangt. Irrweg Massenware Ganz grundsätzlich zieht der Agraröko nom die derzeitige Orientierung der deutschen Landwirtschaft am Welt markt in Zweifel. „Die Erzeugung von Massenware ist ein Irrweg”, sagt er. Andere deutsche Wirtschaftszweige set zen auf hohe Qualität und die Innova tionskraft des Standorts Deutschland. Dass die Landwirtschaft glaubt, ökono mische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen zu können, erntet sein Kopfschüt teln. Bei hohen Boden und Lohnkos ten, Tierhaltungs, Umwelt und Bau auflagen ist die Wettbewerbsfähigkeit zu Weltmarktpreisen auf Dauer nicht gegeben. Von Nährstoffüberschüssen belastetes Grundwasser und hohe Anti biotikagaben für intensive Formen der Tierhaltung stoßen zudem auf Ableh nung in weiten Teilen der Gesellschaft. Hamm weist darauf hin, dass von Jahr zu Jahr mehr ÖkoLebensmittel, Weide und Heumilchprodukte nach Deutsch land importiert werden, obwohl Ver braucher für ÖkoLebensmittel aus der Region oder aus Deutschland höhe re Preise bezahlen würden. Auch im Export erwähnt er gute Chancen. Für ÖkoMilchpulver und Babykost „made in Germany” beispielsweise zahlt eine reiche Elite in China, die immerhin mehrere Millionen Menschen umfasst, sehr hohe Preise. Auch gibt es einen Markt für deutsche Spezialitäten in Nordamerika und weiteren Ländern. Die deutsche Land und Ernährungs wirtschaft sollte auf solche hochwerti gen Märkte setzen. brs Düngemittel 35 Foto: SKW Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung High Tech unterm Holzdach: Um die Qualität von Düngemitteln zu erhalten, bedarf es einer optimalen Lagerraumtemperatur und Umwälzanlagen. Scharfer Wettbewerb in der Düngerwelt – Schwache Konjunktur schmälert Gewinne von Unternehmen onen für Betriebsmittel, die beispielsweise die indische Regierung für Kleinbauern gewährt. Alle diese vielfältigen Einflüsse machen den Düngermarkt zu einem wenig vorhersehbaren, witterungsabhängigen und volatilen Gebilde. Daphne Huber-Wagner Ressort Düngemittel I m weltweiten Geschäft mit Düngemitteln liegen Risiken und Chancen eng beieinander. Die Nachfrage nach den wichtigsten Pflanzennährstoffen, Stickstoff, Phosphat und Kali, wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst. An erster Stellte steht die wirtschaftliche Konjunktur und die damit einhergehenden steigenden Lebensstandards in den Regionen und Kontinenten. Großen Anteil, ob in einem Jahr viel oder weniger Dünger verkauft werden, hat die Preisentwicklung für Agrarrohstoffe, und immer bedeutender für den Verbrauch werden politische Entscheidungen wie die Düngeverordnung in der EU, eine Exportsteuer für Harnstoff in China oder die Höhe von Subventi- Kurzfristig sollten sich nach Einschätzung von Marktteilnehmern die internationalen Notierungen für Getreide und Ölsaaten trotz der Abschwächung seit 2015 weiterhin auf einem Nivau halten, dass es ein Anreiz für die Farmer in Kanada, Brasilien, Vietnam oder in Frankreich ist, den Ertrag je Hektar auch durch einen optimalen Einsatz von Pflanzennährstoffen zu steigern. Analysten wollen nicht ausschließen, dass sich mittelfristig das Wachstum der Schwellenländer weiter verlangsamt und die Schuldenkrise im Euroraum auch durch den Brexit von Großbritannien an Schärfe gewinnt. Niedrige Agrarpreise verunsichern Landwirte weltweit über ihre Erlössituation, was deren Nachfrageverhalten nach Pflanzennährstoffen negativ beeinflussen könnte. Auf eine solche Situation reagieren die Hersteller wie derzeit mit einer bedarfsgerechten Produktionsdrosselung oder vorgezogenen Reparaturarbeiten der Düngerwerke. Andererseits, sollte sich die Weltwirtschaft besser entwickeln als erwartet und das Wachstum in den wichtigen Verbrauchsregionen anspringen, könnten sich die Hersteller freuen und ihre Produktion ausdehnen. Anbieter wie die K+S AG, Kassel, geben sich optimistisch angesichts einer steigenden weltweiten Kalinachfrage. Nach vielen Jahren nimmt das Unternehmen in der Region Saskatchewan in Kanada eine Mine auf der grünen Wiese in Betrieb. Eine Investition auf zwei Kontinenten in die Zukunft: Ab 2060 geht der Kaliabbau in Deutschland zur Neige. Die Unberechenbarkeit auf dem globalen Düngermarkt beschleunigt den Strukturwandel. In immer kürzeren Abständen berichten die Unternehmen von Fusionen. Allerdings nicht zu jedem Preis. So biss sich der größte Kaliproduzent Potash Corp. an der freundlichen Übernahme seines deutschen Wettbewerbers K+S 2015 die Zähne aus. Das Angebot wurde als zu niedrig erfolgreich zurückgewiesen. Mittlerweile dürfte Potash froh sein, dass es angesichts des eigenen Ergebnisrückgangs vor K+S zurückwich. Doch ungeachtet dessen wird die Konsolidierung unter den Anbietern von Düngemitteln weiter voranschreiten. Das derzeitige Über- leben ist den niedrigen Energiepreisen geschuldet, hingegen schmälern schwache Düngerpreise die Gewinne. Viele der angekündigten neuen Harnstofffabriken in Nordafrika sind auf Grund der politischen Lage längst aufgegeben oder auf lange Sicht verschoben worden. Neuinvestitionen und Forschung sind teure Experimente. Die natürlichen Phosphorreserven in Marokko, der Westsahara, China und den USA sind endlich und dürften nach Einschätzung von Schweizer Wissenschaftlern in 50 bis 80 Jahren zu Ende gehen. Viele Pilotanlagen sind bereits in Betrieb, um das in Klärschlamm enthaltene Phosphor abzutrennen. In einigen Jahren könnten rund 80 Prozent des Phosphors erneut in den Düngekreislauf wandern. Dieser Wandel von mineralischen zu organischen Düngern vollzieht sich vor allem in den westlichen Industrieländern. Weltweit gesehen steigt der Bedarf weiter an. Der internationale Düngerverband IFA prognostiziert für die kommenden fünf Jahre einen jährlichen Anstieg von 3 bis 4 Prozent. Die größten Wachstumsmärkte befinden sich in Afrika und Asien. Die Global Player sind längst auf diesen Märkten aktiv, wenn auch in kleinem Umfang. in kg Nährstoff je ha* 160 Kalk 120 Stickstoff 80 40 Kali Phosphat 0 50/51 55/56 60/61 65/66 70/71 75/76 80/81 85/86 93/94 96/97 01/02 06/07 11/12 14/15 *ab 1991 einschließlich Ostdeutschland Quelle: Statistisches Bundesamt Kalkstickstoff ist Trumpf Die Werbekampagne für Kalk stickstoff aus Trostberg war schon in der Zeit vor dem Zwei ten Weltkrieg sehr einfalls reich. Heute düngen Landwirte wieder verstärkt mit Kalkstick stoff, um ihre Kulturen bedarfs gerecht zu ernähren und in engen Fruchtfolgen die Boden gesundheit zu verbessern. Schon immer diente die Kombi nation von Stickstoff und Kalk auch zur Unkrautbekämpfung. Foto: Alzchem Verschnaufpause vor der nächsten Übernahmewelle Mineraldünger in Deutschland 36 Düngemittel Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Geplante Hoftor-Bilanz bedeutet mehr Bürokratie – Mühlen stellen hohe Ansprüche an die Qualität Über die Düngung in Deutschland wird kontrovers diskutiert. Der Gesetzgeber muss die Vorgaben aus Brüssel erfüllen, die Landwirte hingegen fühlen sich gemaßregelt. Drei Experten aus Industrie, Beratung und Verwaltung suchen nach einem gemeinsamen Weg. agrarzeitung: Wie hat sich der Nährstoffeinsatz verändert? Pradt: Vor 70 Jahren gingen Wissenschaft und Praxis von der Vorstellung aus, der Boden ist ein Nährstoffspeicher, den ich immer wieder auffüllen muss, um niemals in eine Mangelsituation zu geraten. Dann kam um 1980 der Umbruch. Bei Nitrat hat man festgestellt, dass bei einem vollen Speicher das System anfängt, Nährstoffe abzugeben. Damit war die Grundwasserproblematik erkannt und es begann ein Umdenken. Die Entzugsdüngung ist heute das Prinzip, nach dem Dünger angewendet werden. Hüther: Wir feiern in diesem Jahr 100 Jahre Düngerecht. Eine Art Düngemittelverordnung war damals das erste maßgebliche Instrument. 1996 kam dann die erste Düngeverordnung dazu, auch um die EU-Nitratrichtlinie national umzusetzen, primär aber, um die gute fachliche Praxis beim Düngen zu konkretisieren. Damit kamen die ersten Sperrfristen. Wenn man ehrlich sein will, ist aber eine Sperrfrist der krasse Gegensatz zur guten fachlichen Praxis. Viele von uns haben gelernt, wir fahren aus Gründen des Bodenschutzes bei Frost. Nun haben wir Stufe 3 der Düngeverordnung. Cloos: Die Regeln der Düngeverordnung gehen in Teilen völlig an den praktischen und wissenschaftlichen Erfahrungen vorbei. Zwar steht da, dass nach Pflanzenbedarf gedüngt werden soll, aber es gelten starre Sperrzeiten und Obergrenzen. Diese sind nicht in Einklang zu bringen mit Vegetation und Aufwuchs. Wir hatten in den drei vergangenen Jahren milde Winter mit einem fast ungebremsten Wachstum in den Beständen zum einen, aber auch fortwährenden Mineralisationswie auch Verlagerungsprozessen. Das bereitet Probleme beim Nitrat. Landwirte richten sich nach der Vegetation und den Wetterbedingungen. Ein starrer Termin zur Düngung lässt sich von uns Beratern nur schwer vermitteln. Pradt: Ich denke, der Widerstand leitet sich aus dem Verständnis ab: „Natur lässt sich schwer regeln.” Durch Justus von Liebig, die technische Umsetzung im Kalibergbau Ende des 19. Jahrhunderts und 1913 das Haber-Bosch-Verfahren wurden Möglichkeiten geschaffen, mineralische Nährstoffe den Pflanzen gezielt verfügbar zu machen. Bis dahin war die Vorratsdüngung üblich, damit die Pflanze sich bedienen konnte, wann immer sie wollte. Das war die Philosophie im Pflanzenbau. Hüther: Im alten Düngemittelgesetz, das erst 2009 durch das Düngegesetz abgelöst wurde, fand sich die Vorgabe, Düngemittel so einzusetzen, um die Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen, preiswerten Lebensmitteln zu versorgen. Pradt: Dann hat man festgestellt, das funktioniert nicht für immer und ewig, wir müssen etwas ändern. Das war der Umschwung von der Vorratsdüngung hin zur effizienteren Entzugsdüngung. Hüther: In den 1980er Jahren waren die Vorreiter Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit den Gülleverordnungen. Denn schon damals war klar, dass der Mineraldünger gar nicht das Problem ist. Die Hauptursache ist der Wirtschaftsdünger. Er bereitet uns hinsichtlich Nährstoffverfügbarkeit und -effizienz Probleme. Wir müssen die Verluste so gering wie möglich halten. Wir bewegen uns in einem offenen System und nicht in einem Gewächshaus, in dem man Wasser- und Nährstoffzufuhr genau steuern kann. Pradt: Genau dieses Beispiel macht klar, wo das Problem liegt. Nämlich auf der einen Seite das offene System in der Landwirtschaft und auf der anderen Seite ein juristisches Regelwerk, das von Kiel bis Berchtesgaden einheitlich ist. Das ist ein Problem. In den viehstarken Regionen im Nordwesten haben wir einen enormen Phosphatüberschuss aus der Gülle. Gleichzeitig gibt es Phosphatdefizit. Wie will man die Differenzen in ein- und demselben Regelwerk vernünftig unter einen Hut bringen? Wäre der Gülletourismus die Lösung? Cloos: Ist es sinnvoll, wenn man über große Strecken organischen Dünger transportiert? Das muss unsere Gesellschaft beantworten. Mein Aufgabe ist, Landwirte darin zu unterstützen, gezielt und verlustminimierend zu arbeiten. Hüther: Gülletourismus ist negativ belegt. Vielmehr haben wir ein Verteilungsproblem. Warum also nicht den Wirtschaftsdünger aus den viehstarken in die viehschwachen Regionen transportieren, einige Bundesländer praktizieren dies ja schon. Pradt: In den Niederlanden wird mit dem Problem anders umgegangen. Das hängt mit der Akzeptanz der Landwirtschaft als Einkommens- und Erwerbsbereich zusammen. Dort leistet der Staat – stärker als bei uns – Unterstützung, damit man die Gülle in eine Form bringt, die transportiert werden kann. Warum kommt nach Ostsachsen oder Sachsen-Anhalt, Hühnertrockenkot aus Holland und nicht aus Weser-Ems? Droht mit der Emissions-Richtlinie neuer Ärger? Hüther: Ja. Mit den diskutierten Senkungen der Emissionen sehe ich viel größere Probleme auf uns zukommen, als wir derzeit mit der Nitrat-Richtlinie haben. Deutschland hat die Ziele der NEC-Richtlinie nachweislich nicht erreicht, die Dr. Jörg Hüther ist Referatsleiter im Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Diplom-Agraringenieur versteht es, in klarer Sprache die Komplexität verwaltungsrechtlicher Zusammenhänge den Landwirten vor Ort zu erklären. Der 59-Jährige ist seit dem Jahr 1993 für Düngungsfragen und Umweltangelegenheiten der Pflanzenproduktion im Landwirtschaftsministerium in Wiesbaden tätig, das heute von der Grünen Priska Hinz geleitetet wird. Die Sperrfrist steht im Gegensatz zur guten fachlichen Praxis.“ Dr. Jörg Hüther Hessisches Agrarministerium, Referatsleiter Landwirtschaft, Wiesbaden wir bis zum Jahr 2010 hätten erreichen müssen. Wir rauschen auf das nächste Vertragsverletzungsverfahren zu. Wir müssen adäquate Maßnahme finden, die das geforderte Einsparpotenzial erfüllen. Aber der Berufsstand hat schon bei einer Einarbeitungsfrist von vier Stunden Probleme. Wer weiß, ob die auf Eis gelegte Ein-Stunden-Regelung nicht wieder kommt? Pradt: Das ist das Dilemma. Jedes Kilogramm Nährstoff, egal ob es aus dem Mineraldünger kommt oder aus der Gülle, das nicht im pflanzlichen Ertrag landet, ist ein Verlust und verursacht Kosten. Die Bestrebungen müssen dahin gehen, möglichst hohe Effizienz bei der Nährstoffanwendung zu erreichen. Nur, wenn ich das per Reglementierung durchsetze, stellt sich die Frage, wie ein Betrieb betroffen ist. Ein 1 000 Hektar-Betrieb im Osten kann unter Umständen die Gülle Fotos: Sz Die Betriebe stoßen mit den Auflagen an ihre Grenzen Expertenrunde: Jörg Hüther, Dietrich Pradt, Rainer Cloos und Daphne Huber-Wagner (v.l.n.r.) diskutieren über die Folgen einer strengeren Düngegesetzgebung. den Selbstversorgungsbilanzen ausgehend sind wir in der Situation wie in den 1960er Jahren. wieder erwirtschaften, indem er angemessene Preise von den Mühlen für sein Produkt bekommt. Landwirte und Handel bangen mit weniger Stickstoff um die Qualität? Hüther: Das Problem liegt im Abrechnungssystem von Getreide. Der Erfasser zahlt nach dem Rohproteingehalt. Für die Backqualität ist aber die Eiweißqualität, die Zusammensetzung des Rohproteins viel wichtiger. Wir kennen das vom Öko-Landbau. Hier wird auf einem anderen Dünge-Niveau gearbeitet. Um die erforderliche Backqualität zu erreichen, kommen andere Sorten zu Anwendung. Cloos: Ich beschäftige mich seit 20 Jahren intensiv mit dieser Problematik. Die Mühlen brauchen für ihre Produkte bestimmte Mindest-Eiweißwerte, um die an sie gestellten Qualitätsanforderungen erfüllen zu können. Sie müssen Mehle Wo liegt das N-Optimum? Pradt: Es liegt da, wo alle physischen und ökonomischen Faktoren am besten zusammenpassen. Der Landwirt könnte optimal produzieren, wenn ihm jemand genau sagen könnte, wann etwa welche Temperaturverhältnisse herrschen und Regen fällt. Dann könnte er den optimalen Punkt jedes Jahr erreichen, aber so weit sind wir noch lange nicht. Cloos: Wir haben in Hessen Dauerversuche über 30 Jahre mit Stickstoff angelegt und man kann sehr schön die Verschiebungen des N-Optimum entsprechend der Änderung der Begleitparameter Erzeugerpreis sowie Preis für das Kilo Stickstoff aufzeigen. Wir wissen recht genau, auf welchem Niveau wir uns bewegen müssen, da ist das einzelne Jahr weniger entscheidend, als man glaubt. Das Optimum liegt bei Weizen zwischen 150 und 190 Kilogramm Stickstoff pro Hektar. Dabei sind Unterschiede bei den Erzeugerpreisen von 10 bis hin zu 20 Euro pro 100 Kilogramm Weizen und von 0,80 Euro bis hin zu 1,10 Euro pro Kilogramm Stickstoff in der Betrachtung unterstellt gewesen. Pradt: Völlig richtig. Die Düngemittelpreise werden heute nicht mehr in Europa und schon gar nicht in Deutschland gemacht, sondern in Brasilien, Indien, China und Russland. Das führt auch zu mehr Volatilität. Auf der Produktseite ist es ähnlich, die Getreidepreise werden heute nicht mehr von der Mühle in der Region festgelegt, sondern an den Börsen. Hüther: Nur, von all diesen Dingen wissen viele Verbraucher nichts. Sie schrecken auf, wenn durch Kampagnen verkündet wird, das Grundwasser ist hoch belastet. Die Stickstoff-Strategie des Bundes zielt auf die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ab. Aber was will die breite Gesellschaft wirklich? Billige Nahrungsmittel oder ein Höchstmaß an Umweltschutz? Beides ist kaum in Deckung zu bringen. Pradt: Das ist genau der Punkt. Im Speckgürtel Rhein-Main gibt es Proteste in der Bevölkerung gegen den Bau eines Schweinestalls mit rund 2 000 Mastplätzen. Dieser darf nicht gebaut werden. Dann wundern sich die Kunden hinterher, wenn das Fleisch nicht mehr in Deutschland produziert wird, sondern sonstwoher kommt. Was will die Gesellschaft wirklich?“ Rainer Cloos Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, Friedberg innerhalb einer Stunde einarbeiten. Ein kleiner Gemischtbetrieb schafft diese Anforderungen finanziell und von der Schlagkraft her nicht. Hüther: Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die viele oftmals nicht einhalten können. Das fördert den Frust und beschleunigt in der Konsequenz den Strukturwandel hin zu großen, effizient arbeitenden, hoch technisierten und damit schlagkräftigen Betrieben, was von der Politik gar nicht so gewollt ist. Cloos: Wir müssen daran arbeiten, die Regeln als praktische Empfehlungen dem Landwirt nahezubringen. Ich bin dafür, verlustfrei zu arbeiten. Aber die Umsetzung stößt bei den Betrieben an ihre Grenzen. Nimmt das die EU-Kommission zur Kenntnis? Hüther: Ganz im Gegenteil. Als ich vor zehn Jahren bei der letzten Runde der Düngeverordnung an bilateralen Gesprächen in Brüssel teilnahm, sagte der damalige Referatsleiter: „Wir sind nicht hier, um die Landwirtschaft zu schützen, sondern das Gewässer.” Das hat mich schon mächtig beeindruckt. Cloos: Diese Aussage hat große Entrüstung bei den Landwirten ausgelöst. Mit dieser Äußerung stellt er die Landwirte pauschal als generell Schuldigen an der Gewässerverunreinigung an den Pranger, ob gewollt oder ungewollt, und das ist absolut unkorrekt. Hüther: Das zeigt, wie problematisch die Lage und die Verhandlungen sind. Die Düngeverordnung wird mit der Generaldirektion Umwelt und mögliche Ausnahmeregelungen, die sogenannte Derogation, mit dem Nitratausschuss verhandelt. Dort finden sich allenfalls vereinzelt Gesprächspartner, die sich mit den Problemen der praktischen Landwirtschaft auseinandersetzen wollen. Da geht es nur um den Gewässerschutz. Im Hinblick auf Realisierbarkeit und Akzeptanz müssen landwirtschaftliche Aspekte einfließen. Pradt: Europaweit sind wir in einer defizitären Situation. Überschüsse sind nicht mehr charakteristisch. Wir sind Nettoimporteure bei landwirtschaftlichen Produkten und kein Exportland mehr. Von Rainer Cloos ist ein Allroundtalent. In Gesprächen und Versammlungen mit Landwirten lässt der Pflanzenbauberater keine Frage unbeantwortet. Der Wetterauer Landwirt Cloos hat 1985 mit der Beratertätigkeit im hessischen Friedberg angefangen. Der Ackerbau dominiert vor den Toren der Rhein-Main-Metropole Frankfurt am Main. Mit seinem unglaublichen Wissensschatz über Düngung, Kartoffeln und Sortenfragen seit mehr als 30 Jahren Beratertätigkeit kennt der Wetterauer alle Tücken. für Backwaren, die unter industriellen Bedingungen hergestellt werden, zur Verfügung stellen. Damit werden an die Qualität des zu verarbeitenden Weizens höchste Ansprüche gestellt, so auch an den Rohproteingehalt. Früher hat der Müller in Jahren mit Eiweißeinbußen mit einfachen Handgriffen nachgeholfen. Heute kommt die über den Züchtungsfortschritt deutlich gesteigerte Ertragsleistung hinzu. Wie bekomme ich heute Qualitätsweizen mit 110 Dezitonnen je Hektar im Eiweißgehalt dahin, wo ich ihn haben möchte? Mit gesetzlichen Vorgaben müssen wir eher zu neuen Werten in den Qualitätsansprüchen kommen. Dabei muss hinterfragt werden, ob die derzeit im Raum stehenden Eiweißgehalte überhaupt unbedingt erforderlich sind oder andere Qualitätsparameter genauso schnell und einfach bei der Annahme erfasst werden können. Dabei müssen wir genau analysieren, mit welchen Sorten und Düngeintensitäten die erforderlichen Qualitäten am besten realisierbar sind. Eventuell müssen wir uns von vielen Sorten und vom absoluten Hochertragsdenken verabschieden. Der Sortenfrage wird eine noch größere Bedeutung zufallen. Wir brauchen außer Eiweiß andere Faktoren, die aussagekräftiger und sicherer bezüglich der Qualitätsbestimmung sind. Dabei muss aber auch die Bereitschaft von jeder Seite da sein, dies zu akzeptieren und zu honorieren. Der Landwirt müsste bereit sein, auf die letzte Dezitonne beim Ertrag zu verzichten. Die kann er Was können Tierhalter tun? Hüther: In einigen Bundesländern mit intensiver Veredlungswirtschaft gibt es bereits Filtererlasse für Tierhaltungsanlagen. Auch die Emissionen bei der Wirtschaftsdüngerausbringung müssen wir drastisch zurückfahren. Schließlich ist jedes verlorene Kilogramm Stickstoff nicht nur eine Belastung für die Umwelt, sondern auch eine ungenutzte Nährstoffressource. oft, die Regeln sind da, sie müssten nur durchgesetzt werden. Und das geht – leider – nur mit der Androhung von Sanktionen, siehe Cross Compliance. Aber mir ist Kooperation immer lieber als Konfrontation. Wir müssen Betroffenheit erzeugen, kooperativ nach realisierbaren Lösungen suchen und die Betriebe begleiten und unterstützen. Es gibt einige Bundesländer, die mit ordnungsrechtlichen Vorschriften noch stärker reglementieren wollen. Welche Mehrheit sich am Ende im Bundesrat zur Düngeverordnung durchsetzt, das wird spannend. Das Ziel, dass die Düngeverordnung im Jahr 2017 in Kraft treten soll, nehme ich wie viele andere zur Kenntnis, ob es aber realisierbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Setzt sich die Hoftor-Bilanz durch? Cloos: Ich würde es begrüßen, wenn wir auf die Hoftor-Bilanz verzichten können, weil sie für die Betriebe sehr aufwendig ist. Hingegen ist die Feld-Stall-Bilanz, wie sie momentan praktiziert wird, sehr genau. Pradt: Eine Hoftor-Bilanz kann die gesamte Nährstoffsituation eines Betriebes abbilden. Wir sind Befürworter einer Hoftor-Bilanz. Wir sehen natürlich die Probleme. Es ist ein deutlich höherer Aufwand ist als bisher. Aber das kann von Vorteil für den Landwirt sein, weil er durch den besseren Überblick Kosten sparen kann. Ist Smart Farming die Zukunft? Cloos: Wir sind ja in kleinen Schritten bereits auf dem Weg dorthin. Der Landwirt muss es jedoch umsetzen können und es muss vom Aufwand und von der finanziellen Seite her stimmen. Wir werden auf Dauer noch mehr überbetrieblich arbeiten müssen. Wichtig sind dabei die Ausbildung der Landwirte und die Schulung zur technischen Anwendung. Ich kann beispielsweise dem Cultan-Verfahren zur Ausbringung von Stickstoffdüngern viel abgewinnen, weil wir die Ammonsulfat-Lösung verlustfrei in den Boden einbringen. Pradt: Auch mit der optischen Sensorik kann man den Pflanzenbedarf besser in den Griff bekommen. Alle Maßnahmen zielen darauf, zum richtigen Zeitpunkt den Nährstoff in der passenden Menge an die Pflanze zu bringen. Vor einigen Jahren gab es den Ansatz, für jeden Einzelbetrieb spezielle Mehrnährstoffdünger zu produzieren. Das hat sich nicht wirklich durchgesetzt. Mit Sicherheit bekommen wir Lösungen, möglichst viel der Nährstoffe in die Pflanzen zu bringen und in Ertrag umzuwandeln. Das Gespräch führte Daphne Huber-Wagner Und was ist mit den Sanktionen? Hüther: Sanktionen müssen sein, das gilt in allen Bereichen des Ordnungsrechts. Was nutzt es, wenn ich qualitative Vorschriften beschließe, die aber nicht konsequent umsetze. Schon jetzt heißt es Dr. Dietrich Pradt Die Entzugsdüngung ist das geltende Prinzip.“ Dr. Dietrich Pradt Geschäftsführer Industrieverband Agrar, IVA, Bereich Pflanzenernährung, Frankfurt am Main Die Wünsche von deutschen und europäischen Düngemittelunternehmen unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung. Dr. Dietrich Pradt versteht es seit mehr als 20 Jahren, die Einzelinteressen in einen gemeinsamen Konsens zu bündeln und mit einer Stimme als Industrieverband Agrar, IVA, aufzutreten. Als Geschäftsführer Pflanzenernährung ist Pradt ständig zwischen Frankfurt, Brüssel und Berlin unterwegs, um sich als Interessenvertreter auf der politischen Bühne Gehör zu verschaffen. Düngemittel 37 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Die Landwirtschaft wird in 50 Jahren viel effizienter sein“ dene Bodengruppen und vielleicht je Schlag mindestens zwei unterschiedliche pH-Wert-Gehaltsklassen. Ohne digitale Werkzeuge benötigt ein Berater circa einen Tag Arbeit. Das kann er jetzt in fünf Minuten erledigen. Fakt ist: Sowohl die Qualität und Schnelligkeit einer Beratungsentscheidung als auch die Zahl der Betriebe, die während der Saison qualitativ hochwertig beraten werden können, nimmt mit der Digitalisierung deutlich zu. Berater werden in Zukunft noch mehr Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen können, weil sie dafür nun mehr objektive Informationen zur Verfügung haben. Aus einer Empfehlung, aus einer Beratung wird zunehmend direkt eine (Fast-)Entscheidung. Das sächsische Unternehmen Agricon ist einer der führenden Anbieter für Lösungsansätze im digitalen Pflanzenbau in Mittel- und Osteuropa. Geschäftsführer Peer Leithold erläutert Vorteile für die Landwirte und skizziert die Zukunftstrends. Know-how aus Sachsen des Lebens voran. Was genau charakterisiert diesen neuen Entwicklungsschritt beim Pflanzenbau? Leithold: In den Betrieben und Produktionsprozessen entsteht eine komplett neue Infrastruktur der Informationsverarbeitung. Diese ist gekennzeichnet von qualitativ neuen Eigenschaften. Neben den Daten einzelner Maschinen werden nun ganze Arbeits- sowie Boden-, Pflanzen- und Wachstumsprozesse erfasst, und zwar mit präziser Zeitund Ortsangabe. Diese Daten werden automatisch von Sensoren oder Datenloggern erzeugt, direkt von der Maschine zum Beispiel ins Büro gesendet oder stehen aus anderen Informationsquellen digital zur Verfügung. Es kommt zu einer Verschmelzung von betrieblichen Daten, Daten aus dritten Informationsquellen und externem Know-how. Das führt einerseits zu einer exponentiellen Zunahme der Datenmengen und Datendichte. Andererseits wird der Betriebsleiter von der technischen Pflege des Datenmanagementsystems weitgehend entlastet. Dies kann allerdings nur mit cloud-basierten Wissens- und Datenmanagement-Systemen gelingen. Aufgrund der Standardisierung der Daten lassen sich naturwissenschaftliche Zusammenhänge in automatischen Auswertungsroutinen und Algorithmen abbilden, die wiederum bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Dies geschieht in Echtzeit. Peer Leithold ist Gründer und Geschäftsführer der Agricon GmbH mit Sitz in Ostrau. Der Fokus der mittel ständischen Ingenieur und Dienstleis tungsgesellschaft liegt auf der Entwick lung, dem Verkauf und Service sowie der Beratung zu innovativen Produkten für die Pflanzenproduktion. Vor der Gründung von Agricon 1997 war Leit hold Gebietsleiter der Agrolab GmbH sowie Gründer und Geschäftsführer der Jahnatalgemüse GmbH, einem 150 Hektar großen Landwirtschaftsbetrieb in Sachsen. Sz Was bedeutet die zunehmende Digitalisierung für die Landwirte; welche Chancen, aber auch welche Herausforderungen birgt sie? Leithold: Die Digitalisierung ist ein Prozess in den Betrieben. Dieser bedarf hin und wieder bewusster Entscheidungen; insofern wird es auch hier qualitative Sprünge geben. Die Chancen für die Betriebe, die sich mit der Digitalisierung ergeben, sind enorm. Die Vielzahl der neuen digitalen Informationen macht den gesamten Produktionsund Pflanzenwachstumsprozess auf den agrarzeitung: Herr Leithold, Sie sagen, dass wir in das Zeitalter des digitalen Pflanzenbaus eintreten. Was macht dieses Zeitalter aus? Leithold: Die Digitalisierung befähigt uns, mehr zu hören, mehr zu sehen und damit im Pflanzenbau mehr zu erkennen, zu wissen und zu verstehen. Wir werden schneller und präziser entscheiden können als bisher in der analogen Welt. Wir werden größere Einheiten in einer deutlich höheren Qualität managen können und dabei jeden Quadratmeter im Optimum bewirtschaften können. Kurz gesagt: Der digitale Pflanzenbau ist die Fortentwicklung einzelner Smart-Farming-Lösungen hin zu einem pflanzenbaulich ganzheitlichen und vollständig in den Betrieb integrierten Managementsystem. Der Prozess der zunehmenden Digitalisierung schreitet in vielen Bereichen Feldern transparent. Verknüpft mit sinnvollen Auswertungsroutinen und intelligenten Regeln erhält der Betriebsleiter auf Knopfdruck die objektiv richtigen Informationen – quasi aus der Vogelperspektive bis in den letzten Winkel seines Betriebs. Das ist eine ganz neue Welt. Der Nutzen für den Landwirt: Er kann Maschinen, Arbeitsgeräte und Betriebsmittel exakter planen und einsetzen. Damit einher gehen Arbeitszeiteinsparungen, die Senkung des Managementaufwands, ein effizienterer Maschinen- und Betriebsmitteleinsatz sowie Kostensenkung und Ertragssteigerung. Natürlich ist die Digitalisierung auch mit Herausforderungen für den Betriebsleiter verbunden. Er muss bewusst in diese Technologie investieren und sie in seinen Betrieb einführen. Die Digitalisierung greift in bestehende Arbeits- und Entscheidungsprozesse ein und verändert diese. Das verlangt vom Betriebsleiter Offenheit und die Bereitschaft, neue Wege im Pflanzenbau zu beschreiten. Wichtig ist außerdem, dass die Mitarbeiter des Betriebs in den Prozess einbezogen werden. Kritiker mahnen, der Fortschritt finde ohne die Landwirte statt. Was entgegnen Sie denen? Leithold: Der Fortschritt findet nur statt, wenn es die Landwirte wollen. Natürlich werden die Lösungskonzepte für die Digitalisierung des Pflanzenbaus von spezialisierten Anbietern entwickelt. Aber ob diese Angebote von der Praxis angenommen werden, entscheidet allein der Landwirt. Nur wenn die Entwickler die Bedürfnisse der Anwender kennen, werden sich diese Angebote durchsetzen. Nur wenn Betriebsleiter mit Begeisterung die neuen Verfahren einsetzen, werden sich diese verbreiten. Sie sagen, digitale Informationen sorgen für mehr Transparenz. Landwirte fürchten indes, Big Data mache sie in Zukunft vollends gläsern. Teilen Sie diese Sorge? Leithold: Um den Produktionsprozess Foto: Agricon In den Betrieben entsteht eine komplett neue Infrastruktur der Informations verarbeitung – Entwickler müssen Bedürfnisse der Anwender kennen Im Zeitalter des digitalen Pflanzenbaus werden wir jeden Quadratmeter im Optimum bewirtschaften können.“ intelligenter zu steuern, ist mehr Transparenz unabdingbar. In dem Sinne ist der Betrieb gläsern, ja. Die entscheidenden Fragen sind aber andere: Wem gehören die Daten? Wer kann sie sehen? Wer hat Zugriff? Generell gilt: Eigentümer der Daten ist der Auftraggeber, also der Landwirt. Kein Amt, kein Händler, kein Industrieunternehmen kann ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Landwirts die Daten einsehen. Die Entscheidung, welchem Anbieter sie ihre Betriebsdaten anvertrauen wollen, müssen Landwirte also sehr sorgfältig treffen. Welche Anforderungen stellt die zunehmende Digitalisierung an die Ausbildung der Landwirte? Leithold: Meiner Meinung nach wird es keine höheren Anforderungen an die Ausbildung der Landwirte geben. Digitalisierung automatisiert ja weitgehend die Prozesse im Betrieb, Inhalte des Pflanzenbaus werden leichter begreifbar und Entscheidungen vorbereitet. Die dahinter liegende Komplexität wird für den Anwender nicht sichtbar. Vergleichen Sie es mit der Bedienung eines Smartphones: Auch da gibt es im Nutzungsverhalten zwischen Realschüler und dem Universitätsstudenten keinen Unterschied. Da die Einführung des digitalen Pflanzenbaus schrittweise geschieht, werden die Auszubildenden und Agrarstudenten damit aufwachsen. Für sie wird digitaler Pflanzenbau in Zukunft ganz normal sein. Die heutigen Betriebsleiter müssen nur offen und neugierig sein. Wenn moderne Technik und Algorithmen bei der Entscheidungsfindung helfen, brauchen wir dann noch Pflanzenbauberater? Leithold: Die Pflanzenbauberater sind einer der größten Profiteure der Digitalisierung des Pflanzenbaus. Jetzt werden sie von Routinearbeit entlastet und können sich auf die besonderen Spezifika ihrer Kunden einstellen. Dazu ein einfaches Beispiel mit der Frage, wie viel Kalk in einem Betrieb ausgebracht werden soll. Der Betrieb hat 120 Schläge, rund 250 Bodenanalysen, drei verschie- Die Entwicklung von Drohnen, Satellitenbildern und Feldrobotern schreitet voran. Was ist davon zu erwarten? Leithold: Alle drei sind zunächst technische Plattformen, die einen Informationsträger transportieren. Das sind meist aktive oder passive Reflexionssensoren, die in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen messen. Entscheidend für die Qualität der erzeugten Information ist immer die Mess-Sensorik, deren Auswahl stets von der konkreten Fragestellung beeinflusst wird. Drohnen, Satellitenbilder und Feldroboter als Beschaffer von Informationen werden sich durchsetzen, wenn sie ihre Arbeit möglichst kostengünstig und leicht handhabbar verrichten. Hier stehen uns noch spannende Zeiten bevor. In welchen klassischen Landtechniksegmenten sehen Sie künftig noch den größten Forschungsbedarf? Leithold: Forschungsbedarf gibt es nahezu in allen Bereichen. Aus Sicht des digitalen Pflanzenbaus wünsche ich mir vor allem zwei Dinge: Erstens, weitere Sensoren, die das Pflanzenwachstum, das System Boden-Pflanze-Wetter in Echtzeit beschreiben und Nährstoffbedarf, Krankheiten und Schädlingsbefall messen. Zweitens, eine eigene IP-Adresse für jede Maschine und jedes Gerät. Sie sind also Teilnehmer eines digitalen Netzwerks des Betriebs und sollten als solche offen mit anderen Teilnehmern kommunizieren können. Wie werden wir in 50 Jahren Landwirtschaft betreiben? Leithold: Viel, viel umweltverträglicher und effizienter als heute. Die Trends zeichnen sich ja heute schon ab: Die Bewirtschaftungseinheiten steigen weiter an, bei weiter sinkendem Personalbesatz. Höhere Erträge werden mit einem deutlich effizienteren Betriebsmitteleinsatz erzeugt. Vergleichen sie einfach den Herstellungsprozess eines Autos in Jahr 1965 mit 2015. Vor 50 Jahren standen noch unzählige Menschen am Band. Heute tut dies nur noch ein Bruchteil, der Rest wird von intelligenten Systemen übernommen. So wird das in der Landwirtschaft auch ablaufen. Die Fragen stellte Olaf Schultz 38 Düngemittel Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Wissenschaft mit Ausdauer 1. 2. 3. 4. 5. 6. Wie lautet die zentrale Fragestellung? Ewiger Roggenanbau in Halle/Saale seit 1878 1. Der „Ewige Roggenbau” wurde von Prof. Julius Kühn als Roggenmonokulturversuch auf dem Versuchsfeld der Universität in Halle angelegt. Er ist der zweitälteste landwirtschaftliche Dauerversuch weltweit nach dem 1843 in Rothamsted nördlich von London (GB) etablierten Versuch. Die originäre Fragestellung sollte einen Meinungsstreit in der Pflanzenernährung klären helfen: Welche Stoffe benötigt die Pflanze zur Ertragsbildung, woher kommen sie und wie wird davon die Bodenfruchtbarkeit beeinflusst? Es gab mehrere widersprüchliche Auffassungen: a) Die Pflanze ernährt sich von Humus b) Die Pflanze ist eine „chemische Fabrik” und nimmt mineralische Nährstoffe aus dem Boden auf c) Die Pflanzen nutzen den Luftstickstoff als N-Quelle d) Die Pflanzen nehmen Stickstoff aus dem Boden oder dem Dünger auf Wie ist der Versuch aufgebaut? Ist der Versuch seit Beginn verändert worden? Welches ist das wichtigste Ergebnis, das Sie bis heute ziehen können? Wie lange soll der Versuch fortgeführt werden und warum? Welche Rolle spielen der Züchtungsfortschritt und die Entwicklung der Landwirtschaft in Ihrem Versuchsaufbau? Die Fragen stellte Brigitte Stein 2. Der Versuch hat eine Gesamtfläche von 6 012 Quadratmetern. Sechs unterschiedliche Düngungsvarianten (Stallmist I, PK, NPK, NPK+Stallmist, U, Stallmist II), sind in jeweils drei Anbausystemen angelegt (Roggenmonokultur, Roggen-Kartoffel-Fruchtwechsel, Mais-Monokultur). 3. Neue Versuchsfragen stellten sich ständig: 1893: Anlage der sechsten Parzelle (Stallmist II) mit einer verringerten Stallmistdüngung von 80 Dezitonnen pro Hektar und Jahr, dem tatsächlichen Stallmistaufkommen der Region Halle in dieser Zeit. 1900: Saatgutwechsel versus Nachbau. 1910: Gleichrangigkeit von organischer und mineralischer Düngung 1920: Erhalt der Bodenfruchtbarkeit 1930: Boden als biologisches System 1953 wurde die Düngung bei Stallmist II eingestellt und die Parzelle wird, vergleichbar zur ungedüngten Variante, ohne jegliche Düngung weitergeführt. Das eröffnet die Möglichkeit, die Nachwirkungen der organischen Düngung nach Menge und Zeitdauer zu quantifizieren. Mehrerträge von 3 bis 5 Dezitonnen pro Hektar Roggen sind auch heute, über 60 Jahre nach der letzten Stallmistgabe, noch nachweisbar. 1960: Langfristige Wirkung von Monokultur und Verunkrautung 1961 erfolgte der tiefgreifendste Eingriff, nämlich die Aufteilung der Roggenmonokultur in drei gleich große Abteilungen: Roggenmonokultur, Roggen-Kartoffel-Fruchtwechsel, Mais-Monokultur. Die Ursache war eine starke Verunkrautung der Fläche mit Ackerschachtelhalm, wodurch die Weiterführung des Versuches infrage gestellt war. Die „Rettung” sollten mit Mais und Kartoffeln zwei Hackfrüchte bringen, die eine intensive mechanische Unkrautbekämpfung ermöglichten. Gegenwärtig sind allerdings Kartoffeln und Mais am stärksten mit Ackerschachtelhalm verunkrautet. Andererseits brachte diese Dreiteilung auch eine Ausweitung der wissenschaftlichen Aussagemöglichkeiten, nämlich die Quantifizierung des Fruchtfolgeeinflusses bei Winterroggen. Zudem verfügen wir über Ergebnisse über 54 Jahre Kartoffelanbau mit 50 Prozent Anteil in der Fruchtfolge sowie über 54 Jahre Mais-Monokultur. 1990 wurde eine methodische Schärfung der Stickstoffdüngung vollzogen, indem die Mineral-N-Gabe auf 60 Kiligramm pro Hektar erhöht und gleichzeitig die Stallmistgabe bei Stallmist II auf 60 Kilogramm N pro Hektar fixiert wurde. Zum anderen gab es eine erneute Annäherung an veränderte praxisübliche Bedingungen: Aus der alten N-Parzelle wurde die Variante „NPK+St”, also eine Kombination von 60 Kilogramm pro Hektar mineralischer und 60 KIlogramm pro Hektar organischer N-Düngung. 4. Der Versuch hat gezeigt, dass alle scheinbar widersprüchlichen Theorien einen großen Beitrag zum Erkenntnisgewinn geleistet haben. Der Versuch hat sich zu einem „Modellorganismus” entwickelt, der es uns immer mehr gestattet, Einblicke in das komplizierte Wirkungsgefüge von Boden – Pflanze – Umwelt zu erhalten. Die im Versuch manifestierte Gleichwertigkeit von mineralischer und organischer Düngung rechtfertigt keine ideologischen Wagenburgen bei der Form der Landbewirtschaftung. Vor allem aber die Tatsache, dass in der seit 138 Jahren ungedüngten Variante mit 16–18 Dezitonnen pro Hektar immer noch Erträge erzielt werden, die um 10 Dezitonnen pro Hektar höher liegen als bei vielen afrikanischen Kleinbauern, sollte uns an unsere globale Verantwortung erinnern. 5. Aus versuchstechnischer Sicht erfüllt der Versuch alle Voraussetzungen, um „ewig” weitergeführt zu werden, da die drei Abteilungen durch 5 Meter breite Brachestreifen weiträumig voneinander getrennt sind und die Einzelparzellen mit 290 Quadratmetern eine Größe aufweisen, mit der gegenseitige Beeinflussungen wirksam auszuschließen sind. Wissenschaftlich hat der „Ewige Roggenbau” in 138- Jahren mehr Fragen und auch andere Fragen beantwortet, als ursprünglich gelöst werden sollten. Dies kann auch für die Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden. Die administrativen und rechtlichen Statischer Nährstoffmangelversuch Thyrow seit 1937 1. Welche Veränderungen zeigen sich an Boden und Pflanzen, wenn einzelne Makronährstoffe auf einem leicht schluffigen Sandboden ins Minimum gelangen und welche Modifikationen ergeben sich bei zusätzlichem Einsatz organischer Dünger in Form von Stallmist? 2. Das Versuchsfeld umfasst 2 304 Quadratmeter und besteht aus 32 Parzellen à 72 Quadratmeter. Die Fruchtfolge lautet Kartoffel – Sommergerste – Silomais – Sommergerste. Es gibt acht Prüfglieder mit vier Wiederholungen: • ungedüngt • Stallmist • Stallmist + NPK + Kalk • NPK + Kalk Kalkmangel • NPK Kaliummangel • NP - + Kalk Phosphormangel • N - K + Kalk Stickstoffmangel • - PK + Kalk 3. 1959 wurde Silomais in die Fruchtfolge eingefügt, da die enge Folge von Kartoffeln – Sommergerste zu einem Anstieg der Nematodenpopulation führte. Die Nematoden hatten die Prüfgliedeffekte überlagert. 4. Folgen des fehlendenden Ausgleichs der Nährstoffentzüge zeigen sich sehr deutlich: Sommergerste „ungedüngt” seit 1960 kein Ertrag mehr, Kartoffeln „ungedüngt” – Minusertrag, das heißt es werden weniger Knollen geerntet, als gepflanzt wurden. Es zeigt sich auch das hohe Nachlieferungsvermögen der Sandböden für P: nach 80 Jahren P-Düngungsverzicht nur 10 Prozent Ertragsabfall. 5. Es ist kein Versuchsende angedacht, da es sich um einen der ältesten Dauerfeldversuche in Deutschland und der Welt handelt. 6. Der Züchtungsfortschritt findet sich in der Ertragsleistung der angebauten Kulturen wieder, ist aber kein Faktor in diesem Dauerversuch. Weiterhin hat die Entwicklung der Pflanzenschutzmittel Auswirkungen auf das Ertragsniveau der angebauten Kulturen. Michael Baumecker, Lehr- und Forschungsstation Thyrow der Humboldt-Universität zu Berlin Foto: MLU Halle In naturwissenschaftlichen Experimenten sind Wiederholungen notwendig, um die Ergebnisse abzusichern. In Dauerfeldversuchen hingegen ist die Wiederholung sogar Programm: Das Wissen erwächst erst im Lauf von mehreren Jahren. Unter Denkmalschutz: Deutschlands ältester Dauerfeldversuch Rahmenbedingungen für die Weiterführung des Dauerversuches sind mit der Aufnahme in die Denkmalliste des Landes Sachsen-Anhalt gesichert. 6. Die Entwicklung der Landwirtschaft in der Region lief als „Hintergrundfilm” ab und veränderte die Bewirtschaftungsmaßnahmen: • Saatgutwechsel seit 1920 • Pferdepflug bis 1968 mit 20 cm Pflugtiefe • Traktoreinsatz (50 PS) von 1969 bis 1996 mit 25 cm Pflugtiefe • Traktoreinsatz (90 PS) ab 1997 mit 30 cm Pflugtiefe • Moderater Pflanzenschutz seit 1962 Der Züchtungsfortschritt wird im Dauerversuch mit abgebildet, soll aber die Düngungswirkung nicht überdecken. Dies bedeutet für die Versuchsdurchführung, dass eine Sorte, solange sie beim Züchter verfügbar und ohne gravierende Resistenzprobleme anzubauen ist, im Versuch bleibt. Beim Roggen ist gegenwärtig die neunte Sorte im Anbau. Dr. Helmut Eißner, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg Versuchsfeld Dahnsdorf zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln seit 1995 1. Eine zentrale Fragestellung ist die Entwicklung von Konzepten des Integrierten Pflanzenschutzes und die Bestimmung des notwendigen Maßes. Darüber hinaus betrachten wir weitere Sachverhalte. Der Ökologische Landbau ist seit der Etablierung des Versuchsfeldes 1995 ein wichtiges Thema. 2. Das Versuchsfeld hat in Gänze 38 ha, es sind dort aktuell vier Dauerfeldversuche etabliert. Insgesamt bestehen die Dauerfeldversuche aus 720 Parzellen, die Parzellengröße variiert von 80 Quadratmetern bis 200 Quadratmetern. 3. Wir passen die Versuchsfragen fallweise an. Die Zunahme der pfluglosen Bodenbearbeitung in Deutschland wurde seit 2007 als Prüffaktor aufgenommen. 4. Ein wichtigstes Ergebnis gibt es nicht. Wir gewinnen für unsere Forschung und unsere Aufgabe – die Bera- tung der Bundesregierung – wertvolle Ergebnisse aus den Dauerfeldversuchen. Besonders der Zeithorizont spielt für uns eine wichtige Rolle, da sich einige Folgen des Pflanzenschutzes erst nach mehreren Jahren einstellen. 5. Die Versuche werden weiter fortgeführt. Durch die Modifizierung der Fragestellungen ergeben sich neue Zeithorizonte. 6. Der Zuchtfortschritt spielt eine große Rolle; besonders die neuen, krankheitsresistenten Sorten, die auch ertraglich attraktiv sind, stellen eine große Chance dar. Bei der Entwicklung der Landwirtschaft haben wir seit dem Jahr 2007 berücksichtigt, dass auf etwa 40 Prozent der Ackerfläche in Deutschland ohne Pflug gewirtschaftet wird. Dr. Jürgen Schwarz, Dr. Bettina Klocke, Dr. Sandra Krengel, Julius-Kühn-Institut (JKI), Bundes-for-schungsinstitut für Kulturpflanzen, Kleinmachnow Jena-Experiment für Biodiversität in Jena seit 2002 1. Das Jena-Experiment hat als Hauptziel, die Bedeutung eines Biodiversitätsverlustes für die Stabilität und das Funktionieren von ökologischen Systemen abschätzen zu können. Die zentrale Fragestellung des Projektes während der ersten Projektphase (2002 bis 2010) widmete sich der Rolle von Biodiversität für Nährstoffkreisläufe und trophische Interaktionen in einem experimentellen Grasland. Ziel der zweiten Projektphase (2010 bis 2016) war es, Mechanismen zu untersuchen, die dem Einfluss von Pflanzendiversität auf Ökosystemprozesse zugrunde liegen. Das Jena-Experiment verfolgt einen holistischen Ansatz, in dem nicht nur die Produzenten, sondern auch, so weit als möglich, taxonomische Gruppen anderer trophischer Ebenen betrachtet werden, sowohl ober- als auch unterirdisch. 2. Auf der Versuchsfläche sind mehrere Experimente angesiedelt: das Hauptexperiment, das Dominanz-Experiment, das Trait-Based-Experiment und Monokulturen. 60 Pflanzenarten mitteleuropäischer Glatthafer-Wiesen wurden ausgesucht, um im Hauptexperiment Artengemeinschaften herzustellen. Sie bestehen aus 1, 2, 4, 8, 16 und 60 Pflanzenarten, die in ihrer Zusammensetzung variieren. Sie enthalten zwischen einer und vier funktionelle Gruppen: Gräser, kleine Kräuter, große Kräuter, Leguminosen. Auch im Dominanz-Experiment wird die Anzahl der Pflanzenarten, die in einer Gemeinschaft wachsen, mani- puliert von einer bis zu neun Pflanzenarten, wobei die neun ausgewählten Pflanzenarten alle dominant sind. Das Trait-Based-Experiment manipuliert auf 138 Flächen die Artenzahl zwischen einer und acht Pflanzenarten und die funktionelle Diversität der Pflanzengemeinschaft. 3. Veränderungen wurden vorgenommen, wenn beispielsweise die wissenschaftlichen Fragen, die dem Versuch zugrunde lagen, beantwortet werden konnten oder der Bewirtschaftungsaufwand nicht mehr zu bewältigen war. 4. Insgesamt sind aus dem Jena-Experiment rund 200 wissenschaftliche Publikationen hervorgegangen. Wir konnten zeigen, dass die Pflanzenartenzahl für die Mehrzahl aller gemessenen Variablen eine bedeutende Rolle spielt. 5. Die aktuelle Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft läuft bis Mai 2018. Die Fortführung darüber hinaus ist angestrebt, aber nicht gesichert. Viele der Fragen, die wir stellen, und Erkenntnisse, die wir schon gewonnen haben, waren erst durch die Dauer des Experimentes möglich. 6. Keinen, da wir einen festen Pool von 60 Arten verwenden, die alle Wildformen sind. Prof. Nico Eisenhauer, Lehrstuhl für experimentelle Interaktionsökologie der Universität Leipzig Zusammengestellt von Brigitte Stein 40 Düngemittel Foto: Domo Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Dünger-Verkaufsleiterin , Domo Caproleuna GmbH Leuna i Kati Jaworsk Foto: Metrac ge Foto: Baro La rhaus Birgit Seidel Ute Löffler Geschäft sführerin , Metrac Handelsge sellschaf t GmbH, Berlin Foto: SKW Cornelia Sc Foto: K+S rin G, Ver triebsleite GmbH & Co. K s u a h er g La Baro A schersleben hrö t er Verkaufsleit erin Deutsc hland K+S Kali Gm bH , Kassel Helga Ohlmann Leiterin Verkauf und Marketing SKWP Stick stoff werke Piesteritz GmbH, Lutherstadt Wittenberg Mit Motivation und Engagement den Sprung ins kalte Wasser gewagt Fünf Frauen aus Ostdeutschland stehen ihren Mann im Düngergeschäft. Sie sind typisch für die vielen Frauen aus Ostdeutschland in der Agrarbranche, deren Berufsstart in die turbulente Wendezeit fiel. Wenn sie sich auf Veranstaltungen zufällig treffen, herrscht unter den Powerfrauen eine große Verbundenheit. Die gleichen Erinnerungen an ihre teilweise harte Schul- und Studienzeit in der damaligen DDR verbinden. In einer von Männern dominierten Agrarbranche vermissen sie die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen, die in der ehemaligen DDR auf der Führungsebene durchaus normal war. Vorausgesetzt, die Leistung und das Wissen stimmen. Kati Jaworski Ute Löffler Mit Leib und Seele Hauptsache Berlin M it ihrer Freude an der Pflanzenernährung und ihrem unglaublichen Wissen über die Geheimnisse der Pflanzenwelt begeistert Kati Jaworski viele Landwirte in Ostdeutschland. Die Düngung ist ihr Spezialgebiet, das die Mitarbeiterin von Baro Lagerhaus in Aschersleben, einem Unternehmen der Agravis-RaiffeisenGruppe, noch viele Jahre ausüben möchte. Das Beratungsgespräch mit den Landwirten findet stets auf Augenhöhe statt. Ihr gegenüber sitzen Profis, die sich täglich mit dem Aufwuchs von Getreide und Raps beschäftigen. Durch ihr Agrochemie-Studium und die frühe Anstellung als Laborleiterin am Institut für Agrar- und Umweltanalytik in Freyburg an der Unstrut hat sie sich einen reichhaltigen Wissensschatz von der Pike auf geschaffen. Ihre Motivation ist die Neugierde, die Dinge nachhaltig zu verstehen und an der Praxis orientiert an Landwirte zu vermitteln. In hartnäckigen Problemfällen schickt sie Proben von Boden, Spritzwasser, Pflanzen oder Wirtschaftsdüngern ins Labor, um der Ursache auf die Spur zu kommen, woran es der Pflanze mangelt. Sie hat stets das ganze Umfeld im Blick. Deshalb hat die quirlige Expertin auch für Biogasanlagenbetreiber einen Rat parat, wenn die Mikroorganismen im Gärtopf nicht mehr das machen, was sie sollen. Jaworski kennt sich im Agrarhandelsgeschäft aus ,was den Vorteil hat, frei in ihrer Entscheidung Düngeempfehlungen zu geben und aus der Vielfalt des Produktangebots das Passende dem Betriebsleiter anzubieten. Ihre Unabhängigkeit und ehrlichen Einschätzungen finden in der Landwirtschaft große Resonanz. Interessante Fachvorträge mit Aha-Erlebnissen von Jaworskis gewinnendem Charme unterstützen Landwirte in ihren Entscheidungen. Regelmäßiges Ausdauertraining braucht die Beraterin, um immer wieder aufs Neue an wechselnden Einsatzorten ihre Leidenschaft für das Düngen authentisch zu vermitteln. N ach dem Abitur zog es Ute Löffler aus ihrer sächsischen Heimat nach Ostberlin. Das Studium der Außenwirtschaft absolvierte Ute Löffler an der Hochschule für Ökonomie in Berlin und beendete es Mitte der 1980er Jahre mit Diplom. Nach einigen Jahren Arbeit mit Studenten als Assistentin sammelte sie Erfahrungen beim Export von Maschinenbauerzeugnissen, unter anderem Tagebauausrüstungen nach Jugoslawien. Es war die Zeit der Bartergeschäfte. Ein Düngemittelproduzent in Tschechien wollte TDS-Waggons kaufen, konnte diese aber nur mit Harnstoff bezahlen. Keine Ahnung, was man mit Harnstoff machen kann, und so kam es 1993 zur ersten Begegnung mit Burkhardt Krauß, der viele Jahre Erfahrung im Düngemittelgeschäft hatte. Aus dieser Zufallsbegegnung entstand 1994 die Idee eine gemeinsame Fima für den Vertrieb von Düngemitteln zu gründen. Seit der Gründung ist Ute Löffler gemeinsam mit Burkhardt Krauß Geschäftsführerin der Metrac. Die Anfangsjahre waren durch vielerlei Schwierigkeiten geprägt. Gut funktionierende Lieferantenbeziehungen brachen weg und neue Bezugsquellen galt es zu finden. Der fehlende finanzielle Hintergrund, aber auch viele andere Themen steuerlicher oder juristischer Art waren Neuland und mussten gelöst werden. Da war es wichtig, in kurzer Zeit ein funktionierendes Netzwerk aufzubauen. Seit 22 Jahren hat ihr Anspruch auf Selbstständigkeit Bestand und das in einer Branche, die dem ständigen Strukturwandel unterliegt. Ihr Motto ist es, von innen heraus zu wachsen. Viel Wert legt sie daher auf die Ausbildung des Nachwuchses in der Firma. Stellvertretend hierfür stehen der ehemalige Auszubildende Stefan Albrecht, der mit ihr gemeinsam seit zwei Jahren die Geschäfte der Metrac führt, und Marco Krauß, der für das zweite Standbein – den Vertrieb von Auftausalz – verantwortlich ist. Berlin hatte sie bewusst ausgesucht und ist bis heute glücklich in der Hauptstadt zu leben. Wenn sie als Studentin „Unter den Linden” spazierte, hörte sie unten die U-Bahn von Ost nach West fahren. Es war undenkbar für die Ostberlinerin, eines Tages durch das Brandenburger Tor zu gehen. Man hatte nie die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern könnte. Kein Wunder, dass Löffler die Maueröffnung als einen historischen Moment in ihrem Leben bezeichnet. Mit viel Zuversicht und Engagement erarbeitete sich das Team um Ute Löffler in den völlig ungewissen Wendejahren einen festen Kundenstamm, der bis heute beständig wächst. Helga Ohlmann Hals über Kopf N ach der Wende war die alte Verkaufsstruktur des VEB Kombinat Agrochemie in Piesteritz schnell nicht mehr existent. Die blutjunge Exportverkäuferin für AHL Helga Ohlmann wagte den Sprung ins kalte Wasser und übernahm für die Stickstoffwerke in dieser Umsturzzeit den Aufbau des neuen Marktauftrittes für Düngemittel in Deutschland. Wenige Jahre zuvor hatte sie einen für die DDR typischen Bildungsweg eingeschlagen und wählte nach ihrer Facharbeiterausbildung mit Abitur das Studium der Betriebswirtschaft und Chemieingenieurswesen an der Hochschule in Merseburg. Von heute auf morgen galten nach der Wende die Gesetze eines freien westlichen Düngemittelmarktes, auf dem sich Ohlmann durchbeißen musste. Bis 1993 waren sie in „treuen Händen”, dann übernahmen zunächst die Trostberger, um den damaligen Wettbewerber im Blick zu behalten. 2002 erfolgte der Verkauf an die tschechische Agrofert. Schon zu dieser Zeit war SKW mit der neuen Produktlinie für Düngemittelspezialitäten auf Kurs. Noch heute nach 35 Dienstjahren trägt die Verkaufsorganisation und das Marketing ihre Handschrift. Dahinter steckt pures Herzblut. Von der Arbeit im Düngergeschäft kann sie nicht lassen, egal wie turbulent es auf den Märkten läuft. Die Prokuristin freut sich jeden Tag auf die Zusammenarbeit mit ihrer kompetenten Verkaufsmannschaft, immer unter dem Motto: Miteinander. Im Düngerteam dominieren die Frauen, mit Antje Bittner ihre rechte Hand für das operative Geschäft und Dr. Carola Schuster als Forschungsleiterin. Für die Zukunft hat die Ostseeliebhaberin eine klare Botschaft: „Ich wünsche mir, dass es der Gesellschaft gelingt, Ökonomie und Ökologie stärker zu verknüpfen.” nahm. Einfach alles stehen und liegen lassen, ist bei diesen Ur-Produktionsfaktoren einfach nicht möglich. Vielmehr steht die Bodenverbundenheit für Beständigkeit und Verlässlichkeit, die die Managerin auszeichnet. Cornelia Schröter Glücksache Freude am Lernen D ie Moskauer Studienjahre möchte Cornelia Schröter nicht missen. Sie waren manchmal hart, aber für das Leben vorbereitend. Dort konnte die interessierte Berlinerin ihr Wunschfach Chemie insbesondere mit der Fachrichtung Industrieabfallverwertung vertiefen. Ihr heutiger zuvorkommender und besonnener Führungsstil geht auch auf die beeindruckende Lebensart und Erfahrung der Menschen in der damaligen Sowjetunion zurück. Sie hatte schon immer klare Vorstellungen darüber, was sie wollte. Schon in der 12. Klasse verpflichtete sich die Studentin zu dem vom Staat geplanten beruflichen Start in der Kaliindustrie. Die Chancengleichheit war für alle Absolventen selbstverständlich, solange die Leistungen gleich gut waren. Neben dem normalen Abitur lernte sie in der Internatsschule in Halle zur Vorbereitung des Studiums in Moskau intensiv Russisch. Nach dem Studium begann das Berufsleben im Forschungsbereich der Kaliindustrie am Standort Sondershausen. Die Wendezeit erlebte Schröter als unglaublich spannend, verbunden mit einer Freizügigkeit, Entscheidungen zu treffen, um das Unternehmen am Laufen zu halten. Eine solche Epoche gab es vorher und nachher nicht mehr. Ihre starke Verbundenheit mit dem Kalibergbau, vergleicht Schröter gerne mit der Scholle in der Landwirtschaft. Der Fusionsvertrag im Mai 1993 zwischen der damaligen K+S GmbH, Mitteldeutsche Kali AG und der Treuhandanstalt gab die neue Ausrichtung vor. Es dauerte nicht lange, bis Schröter in der Kasseler K+S-Zentrale verschiedene Verantwortungen im Düngergeschäft und schließlich die Verkaufsleitung und das Marketing Düngemittel für Deutschland und Benelux bei der K+S Kali GmbH über- Birgit Seidel W ie nahe Ende und Anfang stehen, kennt die begabte Verfahrenstechnikerin Birgit Seidel von der aufregenden Wendezeit. In den 1980er Jahren drückte sie während ihrer Ausbildung als Chemiefacharbeiterin mit Abitur in den Leuna-Werken die Schulbank oder arbeitete im Schichtdienst in der Ammoniumsulfatanlage. Um tiefer in die Materie einzusteigen, wechselte sie an die Hochschule in Merseburg mit dem Ziel, Verfahrenstechnik zu studieren. Mit dem Diplom in der Hand ging es zurück nach Leuna in die Forschungsabteilung für Ammonsulfat (AS). Die Übernahme der Caprolactam-Unternehmen durch das belgische Unternehmen Domo bedeutete im Jahr 1994 zunächst die Kündigung durch den alten Arbeitgeber. Doch nur einen Tag später stellte Domo die Verfahrenstechnikerin wieder ein. Seidel nennt es Glück, denn viele ihrer Kollegen verloren ihren Job. Seit fast 35 Jahren tüftelt sie an einer größeren Streubreite, um das fein kristalline AS aus der Caprolactam-Produktion auszubringen. Bislang sind es stolze 36 Meter, die der Dünger weit gestreut werden kann. Die Forschung rund um die Düngung ist das Steckenpferd von Seidel. Daran änderte sich auch nichts, als sie im Jahr 2008 auf Wunsch der Geschäftsführung von Domo die Verkaufsleitung Düngemittel übertragen bekam. Täglich profitiert sie im Kundengespräch von ihren fundierten Kenntnissen über das Produkt und den praktischen Einsatz in der Landwirtschaft. Dabei verliert die Merseburgerin nie den Kontakt zur Entwicklungsabteilung und Qualitätssicherung. Die Freude am Beruf ist Seidel anzusehen. Darin geht sie auf. Ihr Engagement ist für viele Studierende, die ins Werk zum Praktikum kommen, ein wichtiger Ansporn und Vorbild. Zusammengestellt von Daphne Huber-Wagner Pflanzenschutz 41 Plus 62 Prozent: Anteil am deutschen Gesamtmarkt* 2015 Die Industrie hat 2015 Pflanzenschutzmittel im Wert von 1,6 Mrd. Euro an den deutschen Handel verkauft. Vor 25 Jahren, kurz nach der Wiedervereinigung, waren es umgerechnet weniger als 1 Mrd. Euro. in Prozent Schrumpfungsprozess: Die Anzahl der forschenden Pflanzenschutzunternehmen hat sich global von 34 im Jahr 1995 auf 17 im Jahr 2012 halbiert. In Europa ist in diesem Zeitraum die Zahl von acht auf drei geschrumpft. Foto: Amazone Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Hochmoderne Feldspritzen sind mittlerweile rund um die Uhr im Einsatz. Die Gesellschaft hätte es aber lieber idyllisch. Zwischen Bürokratie, Cash und Moral 39,9 Fungizide 7,0 Sonstige 8,4 Insektizide 44,7 Herbizide Quelle: IVA, *Gesamtmarkt 1,6 Mrd. Euro Weniger Innovationen: Während sich im Jahr 2000 noch 70 neue Wirkstoffe in der Entwicklungs-Pipeline befunden haben, registriert Phillips McDougall 2012 nur noch 28 potenzielle Innovationen. Globaler Pflanzenschutzmarkt* 2015 nach Regionen, Anteile in Prozent Agrarchemie kämpft um die Legitimation – Anleger verlangen höhere Gewinne 22,7 18,3 Europa Dagmar Behme chen Debatte sprechen Firmenvertreter stattdessen ausgiebig über den Beitrag ihres Unternehmens zur Biodiversität oder Nachhaltigkeit. „Wir müssen uns um die ‚Licence to operate‘ bemühen”, formuliert ein weiterer Pflanzenschutzmanager die Aufgabe. Und er weiß wie seine Kollegen, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist. Rhetorik reicht nicht. Ressort Pflanzenschutz L andwirtschaft ist eine hochmoralische Veranstaltung geworden. Im Ackerbau dient als Sinnbild die Honigbiene, deren Existenz in der gesellschaftlichen Wahrnehmung durch den Pflanzenschutz bedroht ist. Jede Spritzmaßnahme wird äußerst kritisch beäugt, zunehmend auch verteufelt. „Die öffentliche Meinung ist gegen uns”, stellt das Vorstandsmitglied eines führenden Konzerns ernüchtert fest. Alarmiert sind mittlerweile alle Hersteller. Ihre Produkte preisen sie nur noch im engen Kundenkreis. In der öffentli- Die Branche steht unter Rechtfertigungsdruck, und das wird vorerst so bleiben. Die Gesellschaft hat sich in der Ablehnung von Pflanzenschutz bequem eingerichtet. Es mangelt der Bevölkerung ja an nichts, weder an gesunden noch an preiswerten Lebensmitteln. Kaum jemand kommt auf die Idee, dass dies der modernen Landwirtschaft zu verdanken ist. Gesellschaftliches Vorbild sind vielmehr die Ökobetriebe, in denen die Ernte auch ohne Chemie wächst. Nur ein Bruchteil der Pflanzenschutz-Kritiker kauft aber Ökoprodukte. So bleibt der Beweis aus, ob einer chemiefreien Landwirtschaft tatsächlich die Zukunft gehört. Dennoch richtet die Politik ihre Gesetzgebung zunehmend an diesem Leitbild aus. Daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Der wachsende Einfluss der Politik mündet in Bürokratie, die von Greening-Auflagen der EU-Direktzahlungen über zunehmende Anforderungen für die Pflanzenschutzmittelzulassung bis zu Interventionen beim Registrierungsprozess – Stichwort Glyphosat – reicht. Wegen dieser immer strengeren Regulierung werden Innovationen für die Hersteller extrem teuer. Innerhalb von 20 Jahren haben sich die Kosten für die Entwicklung eines Wirkstoffs verdoppelt und betragen jetzt etwa 250 Millionen Euro. Entsprechend seltener kommen Neuheiten, die attraktive Margen bieten, auf den Markt (siehe Grafik rechts). Stattdessen unterscheiden sich die eingeführten Mittel der großen Anbieter wenig voneinander und sind dadurch besonders anfällig für einen ruinösen Preiswettbewerb. Kühlt sich dann die Agrarkonjunktur wie 2015 und 2016 ab, brechen die Gewinne der Pflanzenschutzmittelhersteller ein. Die Aktionäre wollen aber Cash sehen, und die großen Finanzanleger sehen das Heil in einer Konsolidierung der Branche. Sie ist bereits hoch konzen- triert, denn die Zahl der forschenden Unternehmen hat sich seit 1995 halbiert. Angesichts der erreichten Größe der verbliebenen Firmen werden die geplanten Unternehmenshochzeiten extrem teuer. Bayer etwa bietet für Monsanto 62 Milliarden US-Dollar. Selbst wenn die Leverkusener nicht erhöhen müssen, wäre es die teuerste Übernahme eines deutschen Konzerns. Dagegen wirkt der Kaufpreis von 43 Milliarden US-Dollar, den ChemChina für Syngenta anlegt, wie ein Schnäppchen. Langfristig versprechen die Manager Kostensenkungen durch Synergieeffekte. Finanzanleger mögen solche Perspektiven. Dem Bemühen um ein besseres Image nutzen Großübernahmen jedoch nicht. Der Konzentrationsprozess nährt Ängste vor zu großer Machtfülle. Die Gesellschaft wünscht sich ohnehin eine Landwirtschaft mit überschaubaren regionalen Stoffkreisläufen. Konzerne mit ihrer globalen Ausrichtung wirken in diesem idyllischen Bild wie ein Fremdkörper. Pflanzenschutzmittelhersteller müssen sich also weiterhin anstrengen und für ihre Legitimation kämpfen. Erfolgsgarantie gibt es keine. Eine Alternative aber auch nicht. 27,4 27,4 Lateinamerika Übrige Asien, Ozeanien 4,2 4,2 Übrige Quelle: Phillips McDougall, *Gesamtmarkt umgerechnet 46,1 Mrd. Euro Langlebig: Foto: BASF Foto: Rothenberger USA, Kanada, Mexiko Mit U46 gelang der BASF vor 70 Jahren der Durchbruch als Pflanzenschutzmit telanbieter. Einen blumigen Marken namen hatte das Mittel auf Basis des Wuchsstoffes 2,4 D nie: U46 ist die Abkürzung für Unkrautmittel 1946. Es bis heute im Einsatz. 42 Pflanzenschutz Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Fotos: N.U. Agrar „Wir produzieren unser Wissen selbst und geben es weiter.“ Porträt: Dr. Hansgeorg Schönberger Am liebsten hält er Seminare auf dem Acker Als „bunter Hund“ mischt er seit Jahrzehnten die Agrarberatung auf. Dieser Selbsteinschätzung des humorvollen Bayerns schließen sich viele Fachleute an – in der Regel verbunden mit hoher Wertschätzung. A lles hat mit der Distel angefangen. Als Bub, so erinnert sich Hansgeorg Schönberger, packte er zur Ernte auf dem Hof des Onkels in Arnschwang am Rande des Bayerischen Waldes mit an. Nur das „Mandl aufstellen” war dem Buben ein Graus, wenn die Disteln in den Roggengarben in die Hände stachen. Es war die reinste Erlösung, als der Onkel erstmals U 46 gegen die Disteln spritzte. Heute sind Wuchsstoffe alte Kamellen unter den vielen Mitteln gegen Unkräuter. In den 1950er Jahren betraten Bauern damit noch völliges Neuland. Der Onkel, den Schönberger heute eines seiner großen Vorbilder nennt, beeindruckte seinen Neffen auf jeden Fall nachhaltig. Hansgeorg ging nach dem Abitur am Alten Gymnasium in der Nähe von Regensburg in die Lehre und anschließend zum Agrarstudium nach Weihenstephan. Während der Promotionszeit im Institut des renommierten Pflanzenzüchters Gerhard Fischbeck wechselte der Jungforscher im Alter von 25 Jahren nach Kiel. Dort übernahm 1973 Herbert Hanus als frisch berufener Lehrstuhlinhaber den Allgemeinen Pflanzenbau. Hier konnte sich Schönberger große Ziele setzen. Die Holsteiner Ackerbaubetriebe ernteten in den 1970er Jahren auf den Marschböden und in Ostholstein mit 60 Dezitonnen pro Hektar bereits überdurchschnittlich hohe Weizenerträge. „Wissenschaft ist der schnellste Weg, um Landwirtschaft besser zu machen”, sagte sich der junge Wissenschaftler und ging fortan der Fragestellung nach, wie 100 Dezitonnen pro Hektar Weizen und 50 Dezitonnen pro Hektar Raps nicht nur in Parzellen zu schaffen seien. Sein Professor gab ihm den nötigen Freiraum, die Versuche dazu auf dem zur Kieler Universität gehörenden Versuchsgut Hohenschulen zu etablieren. In dieser Umgebung fand sich der Bayer schnell zurecht. „Die haben Platt gesprochen, ich bayerisch, und wir haben uns verstanden”, erinnert sich Schönberger. „Es war nicht einfach, einen Absolventen der LPG-Hochschule Meißen zu überzeugen.“ Er profitierte von seiner humanistischen Bildung. Auf dem bayerischen Lehrplan standen damals nicht nur Griechisch und Latein, sondern auch Dialekte wie das Niederdeutsche. Zum nächsten Sprung setzte Schönberger an, als 1985 in Flensburg die Nordische Universität (N. U.) als private Hochschule gegründet wurde. Das vom Land geförderte Projekt gehörte zur Innovationsoffen- sive des damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU). Der umtriebige Bayer ließ sich von der Idee mitreißen und gründete seinerseits die N.U. Agrar GmbH, die sich dem Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die praktische Landwirtschaft verschrieben hatte. Die Nordische Universität selbst fand ein jähes Ende mit der Barschel-Affäre. Es kam zum Regierungswechsel, und SPD-Mann Björn Engholm stellte 1989 die Förderung ein. ohne weiteres von so einem jungen Außenseiter belehren lassen wollten. „Ich war halt immer ein bunter Hund”, sagt Schönberger mit einem Schmunzeln. Größten Wert legt der Berater jedoch auf den wissenschaftlichen Ansatz als Grundlage für alle Empfehlungen. Seine Überzeugungskraft bezieht er seit Gründung der N.U. Agrar aus einem eigenen, unabhängigen Feldversuchswesen. Heute erstrecken sich die bis zu 10 000 Parzellen pro Jahr von Dänemark haben einen fast schon unverschämt schnellen Weg von der Erkenntnis zur Umsetzung.” Von dem Wissen profitieren rund 1 000 Betriebe, die zum festen Kundenstamm zählen. Hinzu kommen weitere Geschäftskontakte, sodass die N.U. Agrar mit ihren Angeboten mittlerweile 1 800 Agrarunternehmen mit mehr als 1 Million Hektar Fläche erreicht. Mit der Verlagerung der Beratungstätigkeit Richtung Osten folgte 2005 auch der vorerst letzte berufliche „Damals habe ich ein hohes Lehrgeld gezahlt”, blickt der Unternehmer auf die Episode zurück, die seiner GmbH tiefrote Zahlen beschert hatte. Die Schulden waren zwar irgendwann abbezahlt, doch das grundsätzliche Misstrauen in politische Zusagen ist bis heute geblieben. Eine verlässliche Basis bot dagegen der Kundenstamm von 200 Betrieben in Holstein sowie im Rheinland und Westfalen, aber auch in Süddeutschland, die weiterhin die private Beratung der N.U. Agrar in Anspruch nehmen wollten. Dann kam mit dem Ende der DDR die große Chance für Wachstum. „Die nächsten 200 Betriebe konnten wir unmittelbar nach der Wende gewinnen”, erzählt Schönberger von den ersten Wochen nach dem Mauerfall. G erade in der Magdeburger Börde fiel die Beratung der N.U. Agrar auf im Sinne des Wortes fruchtbaren Boden. Innerhalb von wenigen Jahren stiegen die Weizenerträge von knapp 50 auf über 90 Dezitonnen pro Hektar. „Aber es war nicht ganz einfach, als 42-jähriger Bayer einen gestandenen Absolventen der LPG-Hochschule Meißen zu überzeugen”, erinnert sich der Unternehmer an seine Arbeit in der Nachwendezeit. Ähnliche Hürden kannte der unkonventionelle Berater allerdings zur Genüge aus seiner Zeit unter Holsteiner Gutsbesitzern, die sich ebenfalls nicht bis Österreich und von Westeuropa bis in die Ukraine. „Damit decken wir alle typischen Ackerbaustandorte in Mitteleuropa ab”, sagt Schönberger nicht ohne Stolz. Ein Alleinstellungsmerkmal ist seiner Ansicht nach außerdem die Geschwindigkeit, mit der aktuelle Fragen aus der Praxis in Feldversuchen bearbeitet werden und deren Ergebnisse wiederum in die Praxis einfließen. „Wir Umzug. Seither befindet sich der Hauptsitz der N.U. Agrar in der gut 300 Einwohner zählenden Gemeinde Schackenthal mitten in den Feldern von Sachsen-Anhalt. Das ehemalige Verwaltungsgebäude bietet außerdem Raum für die regelmäßigen Schulungen in aktuellen Fragen der Pflanzenproduktion. Schönberger gibt mit großer Begeisterung sein Wissen weiter. Gelegenheit bietet außer den N.U.-Agrar-Angeboten ein Lehrauftrag an der Agrarfakultät in Bernburg. Auch in Göttingen gehört der Berater zu den Referenten im Ackerbaukreis. Darüber hinaus werden er und die Mitarbeiter seines Teams bundesweit über das ganze Jahr hinweg zu Vorträgen und Veranstaltungen mit Feldführungen eingeladen. D as „Seminar auf dem Acker”, die direkte Ansprache auf dem Feld hat jedoch immer Priorität. Das gilt auch für die Ausbildung. Die N.U. Agrar bietet jährlich sechs bis acht Praktikumsplätze, die begehrt sind. Die Fluktuation unter den Mitarbeitern ist gering, freut sich der Geschäftsführer. Wenn Wachstumsschritte geplant sind, können sich Schönberger und seine Mitstreiter den Nachwuchs aussuchen. Für sein Unternehmen waren neue Kollegen immer ein Gewinn. „Wenn ich die Innovationen auf unseren Versuchsfeldern und in unserem Beratungsangebot anschaue, dann stammen die zu wenigstens einem Drittel von unseren jungen Mitarbeitern”, schätzt Schönberger. Das Geschäftsmodell der N.U. Agrar hat sich in all den Jahrzehnten aber nicht verändert: „Wir produzieren unser Wissen selbst, verdichten es und geben es weiter”, beschreibt es der Unternehmer. Wissen allein erklärt für ihn jedoch noch nicht den ganzen Prozess. Er sagt seinen Mitarbeitern auch: „Ihr müsst den Mumm haben, zu eurem Gefühl zu stehen, aber auch Fehler einzugestehen.” Nach wie vor gilt für Schönberger das Erfahrungswissen des Onkels, der dem jungen Hansgeorg am Rande des Bayerischen Waldes buchstäblich das „Begreifen des Bodens” gelehrt hat. Für den Umgang mit Disteln hat eine frühere Mitarbeiterin von Schönberger übrigens eine ganz individuelle Lösung gefunden. Sie zieren das Firmenlogo der N.U. Agrar. db Vorbilder Methode Agrarpolitik Gunstlage Lebensmittelpunkt Gefragt nach seinen Vorbildern, muss Hansgeorg Schönberger nicht lange nachdenken. „Da ist zuerst mein Onkel, der mir die Freude an der Landwirtschaft vermittelt hat. Und dann kam mein Lehrherr, der mir Disziplin beigebracht hat.“ Später ließ sich der Agrarwissenschaftler noch von etwas ganz anderem beeindrucken. „Das war mein Versuchstechniker in Hohenschulen, der zu DDR-Zeiten im Zuchthaus gesessen hatte, und der trotzdem eine ungebrochene Lebensfreude ausstrahlte.“ Für Hansgeorg Schönberger bildet der strukturierte Beratungsprozess die Basis. „Wenn ein Gedankengebäude steht, muss unter gleichen Annahmen das gleiche Ergebnis herauskommen“, nennt er den Anspruch, dem sich alle seine Mitarbeiter stellen müssen. Unabhängig davon legt Schönberger aber größten Wert auf den persönlichen Kontakt in der Beratung. „Du musst den Menschen ins Auge sehen.“ Auf die Politik baut Hansgeorg Schönberger nach seinen früheren Erfahrungen in Schleswig-Holstein grundsätzlich nicht mehr. Der allgemeinen Politiker-Schelte mag er sich aber nicht anschließen. Noch weniger behagt ihm die Erwartungshaltung, dass der Staat alle Probleme lösen soll. „Es wird ständig gefordert“, beobachtet der Unternehmer. „Man kann aber auch mal bitte sagen“, hält er für den besseren Weg. Fünf Jahre in Folge hat Mitteleuropa alle Wetterextreme wie Frost und Hitze oder Nässe und Trockenheit erlebt. Missernten und Hungersnöte blieben jedoch aus. Hansgeorg Schönberger ist es wichtig, immer wieder diese Leistung herauszustellen. „Wenn wir heute Millionen von Flüchtlingen aufnehmen, ohne dass wir uns groß um unser Wohlergehen sorgen müssen, ist das nicht zuletzt unserer florierenden Landwirtschaft zu verdanken.“ Hansgeorg Schönberger fährt jährlich 100 000 Kilometer mit dem Auto, hinzu kommen Bahn- und Flugreisen. Zur Ruhe kommt er in seiner Heimat im bayerischen Bad Kötzting, wo er seit dem Wegzug aus Schleswig-Holstein mit seiner Familie lebt. Die mittlerweile erwachsenen Kinder haben sich alle für Studiengänge und Berufe außerhalb der Landwirtschaft entschieden. Pflanzenschutz 43 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Lobbyarbeit für das drittwichtigste Nutztier Imker Heinrich Kersten rettet Bienen, die BASF will mehr Artenvielfalt. Wo beide zusammenkommen, zeigt ein Ortsbesuch in Niedersachsen. Aber Kersten ist nicht einfach nur Imker. Er ist vielmehr so etwas wie ein Lobbyist der Honigbiene. Allerdings keiner, der dafür bezahlt wird. Kersten tingelt freiwillig und ehrenamtlich von Bauernhof zu Bauernhof in seinem Landkreis Verden in Niedersachsen, um Landwirte davon zu überzeugen, mehr für die Honigbiene zu tun. Blühmischungen als Lockmittel Auch auf der Burg Warberg ist Kersten voll in seinem Element. Bei der Veranstaltung der BASF zum Thema Biodiversität legt er in hohem Tempo Folien auf, als ginge es um Leben und Tod. Für die Biene tut es das vielleicht sogar auch. „Zurzeit gibt es in Deutschland nur noch etwa 700 000 Völker”, erklärt Kersten. 1951 seien es drei Mal so viele gewesen. „Dabei nimmt Netz von Betrieben Die BASF baut seit 2013 in Europa ein Nachhaltigkeitsnetzwerk auf. In Deutschland, Belgien und Österreich sind bereits 16 Betriebe und eine großflächige Region in der Südpfalz integriert. Ziel ist es, einen hohen Flächenanteil mit wirksamen Agrarumweltmaßnahmen zu generieren und gleichzeitig die Produktivität zu erhalten. az die Honigbiene durch ihre Bestäubungsleistung den 3. Platz der wichtigsten Nutztiere hinter Rind und Schwein ein”, erinnert der pensionierte Ingenieur, der aus der Landwirtschaft stammt und sich seit 1984 mit der Imkerei befasst. Dem ungeklärten Bienensterben will der zweifache Familienvater und vierfache Großvater ein Ende machen – und hat dazu mit Kollegen eigens eine Blühmischung kreiert, auf die Bienen im wahrsten Sinne des Wortes fliegen. „Die Mischung hat eine Blühdauer bis September”, erzählt Kersten. Normalerweise sei nach dem Raps im Mai das Trachtangebot in Niedersachsen mit Ausnahme weniger, unsicherer Kulturen arg reduziert oder sogar schon beendet. Das soll mit der Blühmischung, die ständig überprüft und bei Bedarf auch modifiziert wird, anders werden. „Rund 80 Prozent unserer heimischen Nutz- und Wildpflanzen sind auf Bienen als Bestäuber angewiesen”, sagt Kersten. Ein gutes Pollenangebot im Spätsommer innerhalb des Flugradius von circa drei Kilometern sei ein notwendiger Baustein für eine gute Völkerentwicklung im Herbst – sowohl für Honigbienen als auch für Wildbienen und Hummeln. Dann könnten die Völker auch besser durch den Winter kommen. Unterstützt wird das Projekt von der Landwirtschaftskammer und dem Niedersächsischen Landvolk. Biodiversität haben mittlerweile auch große Konzerne wie die BASF auf der Agenda. Denn die biologische Vielfalt nimmt – gerade durch die Intensivierung der Landwirtschaft – in Deutschland ab, sodass inzwischen viele wild lebende Arten und natürliche Ökosysteme in ihrer Fotos: sp W enn es um sein Lieblingsthema geht, ist Heinrich Kersten kaum noch zu bremsen. Dann redet er schnell, sein Puls beschleunigt sich und die Röte schießt ihm in den Kopf. Und dann ist er ganz in seinem Element: Der Imkerei. Landwirte, Händler und Berater nutzen die Gelegenheit zur Besichtigung von Biodiversitätsbetrieben, wie hier auf Burg Warberg. Existenz oder dauerhaften Funktionsfähigkeit akut bedroht sind. Bei der BASF ist das Thema Nachhaltigkeit längst zum eigenen Unternehmensbereich befördert worden. Auf den Nachhaltigkeitsbetrieben erarbeitet das Unternehmen aus Ludwigshafen Maßnahmen, um die Artenvielfalt zu fördern und möglichst viel produktive Fläche zu erhalten. Einer der Betriebe ist der Hof der Bundeslehranstalt Burg Warberg in Niedersachsen. Um die Maßnahmen der BASF direkt auf dem Feld zu begutachten, lädt das Unternehmen regelmäßig zu Besichtigungen. Landwirte und Händler sowie Agrar- und Umweltberater nutzen im Juni die Gelegenheit. Melanie Gabler aus der BASF-Fachberatung Nachhaltigkeit erklärt, welche Mischungen auf den Blühstreifen verwendet wurden und berichtet über erste Erfahrungen im Artenschutz. Klar, die BASF stehe hier noch am Anfang, betont Gabler. Aber auf den Nachhaltigkeitsbetrieben, die über ganz Deutsch- land verstreut sind, will die BASF eben vor allem eines: Wissen zum Thema Biodiversität sammeln. Bonus von 100 Euro pro Hektar Denn spätestens seit der Einführung des Greening ist das Thema auch bei den Landwirten und ihren Zulieferern angekommen. Das Land Niedersachsen, der Heimat von Imker Kersten, legt noch eine Schippe drauf. „Wenn ein Landwirt mit einem Imker vor Ort eine abgestimmte Saatmischung einsät, erhält der Betrieb seit 2015 einen Imkerbonus von 100 Euro pro Hektar zusätzlich von der Landesregierung”, erklärt Kersten. Und was hat er davon? Der Ingenieur im Ruhestand dazu nur: „Ich mach mein Ding, das ist meine Lebensaufgabe – im Einsatz für die Biene.” Vor kurzem erst hat er sogar eine Anfrage zu dem Thema von einer Universität in China bekommen, erzählt er. Und schon ist Kersten wieder ganz in seinem Element. sp Imker Heinrich Kersten will mehr Aufmerksamkeit für die Biene und bietet neben der Saatmischung die dazu passenden Schilder. 44 Pflanzenschutz Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Wir wollen Landwirten den Rücken stärken“ Deutschlandchef von Adama versteht Spezialisierung auf den Pflanzenschutz als besondere Stärke – Ehrliche Kommunikation wird zentrale Aufgabe Welche Bedeutung hat der chinesische Mehrheitsaktionär? Horne: In unserem operativen Geschäft in Deutschland spüren wir keine Auswirkungen. Strategische Bedeutung hat die Zusammenarbeit von Adama und ChemChina aber durchaus. Der chinesische Markt wächst im globalen Maßstab am schnellsten, ist aber höchst fragmentiert. Hier will Adama – zusammen mit ChemChina – eine führende Rolle in der Konsolidierung spielen. Außerdem eröffnet uns ChemChina einen besseren Zugang zu Rohstoffen. Schließlich gibt es in China hervorragende Wissenschaftler. Adama baut zurzeit in China ein Entwicklungszentrum auf, um neue Lösungen, seien es digitale Anwendungen, Roboter oder Drohnen, aber auch Formulierungen – zu erforschen. Als Produktionsstandort hat China aber keinen guten Ruf – Stichworte Chemieunfälle oder Umweltverschmutzung. Horne: Vor 20 Jahren war das sicher eine Katastrophe. Aber das hat sich komplett geändert. Wir bauen neue Produktions- Zur Person Thomas Horne, Jahrgang 1963, hat in Hohenheim Landwirtschaft studiert und war im Bereich Pflanzenschutz in verschiedenen Funktionen in Polen tätig. Dort wechselte er 2011 zur Adama-Gruppe, die damals noch als Feinchemie Schwebda (FCS) firmierte. Seit 2014 ist Horne Geschäftsführer der deutschen Organisation, die hierzulan- de einen Marktanteil von gut 10 Prozent hält. Besonders stark ist die Position bei Herbiziden. Das Unternehmen gehört zum israelischen Konzern Adama Agricultural Solutions Ltd., der 2015 einen Umsatz von knapp 3,1 Mrd. US-$ erzielt hat. Mehrheitsaktionär mit 60 Prozent ist die China National Chemical Corporation (ChemChina). db werke, die zu den modernsten der Welt gehören. Da werden alle Standards eingehalten, was Sicherheit, Arbeitsschutz, Umweltschutz angeht. Das gilt aber nicht nur für Adama. Alle internationalen Hersteller von Pflanzenschutzmitteln lassen in China produzieren, das hat mit billig nichts mehr zu tun. bringt schon viel. Immerhin arbeiten in der gesamten Agrarbranche circa 670 000 Menschen, die für ihre Anliegen einstehen können. Besonders wichtig ist es, den Landwirten, deren soziale Stellung auf den Dörfern zunehmend infrage gestellt wird, den Rücken zu stärken. Auch Veranstaltungen wie die DLG-Feldtage helfen, um zu sehen: Wir sind nicht allein. Wir sind ja doch viele, die in der Landwirtschaft arbeiten, wir können zusammenstehen. Worauf basieren Ihre Innovationen für deutsche Landwirte? Horne: Wir haben Zugang zu etwa 120 Wirkstoffen und verfügen damit über eines der breitesten Portfolios in der Industrie. Daraus entwickeln wir ständig neue Kombinationen mit innovativen Formulierungen, mit denen sich die Einzelaufwandmengen senken lassen. Denn die Wirkstoffe stehen gewaltig unter Druck, wenn sie zur Re-Registrierung anstehen. Foto: Adama agrarzeitung: Adama gehört nicht zu den forschenden Unternehmen, will aber auch kein Generika-Hersteller sein. Was macht Adama anders? Horne: Wir entwickeln und patentieren zwar keine neuen Wirkstoffe, wir bieten aber eigene innovative Lösungen im und um den Pflanzenschutz. Insofern betrachten wir uns durchaus als forschendes Unternehmen und keinesfalls als Anbieter von Generika. Was eigene Wirkstoffe anbetrifft, weiß ich nicht, ob das heutzutage überhaupt noch ein solch entscheidendes Kriterium ist – wenn man sieht, wie selten neue Wirkstoffe auf den Markt kommen. Was uns aber unterscheidet: Anders als die forschenden Hersteller beschäftigen wir uns nicht mit Saatgut und Gentechnik. Wir verstehen uns zu 100 Prozent als der Spezialist für Pflanzenschutz. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal im Markt. Wie kommen Sie mit der schleppenden Zulassung zurecht? Horne: Das bereitet uns natürlich Kopfzerbrechen. Die Situation trifft aber alle Hersteller gleichermaßen. Und wir haben ja glücklicherweise noch etwas zu verkaufen. Was zeichnet Adama in Deutschland aus? Horne: Wir haben ein sehr gutes Portfolio. Wenn der Markt wächst, dann wachsen wir mit. Wenn der Markt nicht wächst oder schrumpft, dann gewinnen wir Marktanteile, weil wir dann mit unserem Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen. Das hat aber nicht allein mit unseren Produkten zu tun. Wir sind einfach nah am Kunden. Bei den DLG-Feldtagen konnten Sie das sehen. Egal, wer in das Zelt hineinging, da wurde jeder einzeln begrüßt, der Vertriebskollege aus der Region setzte sich dazu, egal, ob der Landwirt 50 oder Das Bedürfnis für Gespräche und persönliche Beziehungen wächst.“ 5000 Hektar hat. Andere – meist die größeren – Hersteller sind da oft distanzierter und verlassen sich mehr auf hochmoderne digitale Präsentationen. Ich persönlich bin der festen Überzeugung: So viel wie wir auch über Digitalisierung und neue Kommunikationsmedien reden, das Bedürfnis für Gespräche und persönliche Beziehungen wächst. Welchen Beitrag kann Adama in der gesellschaftlichen Diskussion um die Produktion von Lebensmitteln leisten? Horne: Wir fangen bei unseren Mitarbeitern an. Wir hatten dazu einen speziellen Workshop mit einem Kommunikationsexperten. Wir haben ihn ganz konkret gefragt: Wie kann ich als Adama-Angestellter mit Freunden sprechen, wenn das Thema aufkommt? Und wie lautete die Antwort? Horne: Ehrlich antworten und auch das Positive herausstellen. Ich glaube, das Und was können Sie als Adama beitragen? Horne: Als einzelne Firma können wir nicht viel ausrichten. Wir werden als Pflanzenschutzindustrie ohnehin immer als ‚belastet‘ angesehen. Deswegen ist es gut, wenn es Institutionen wie das Forum Moderne Landwirtschaft gibt. Diese können ganz anders auftreten und zeigen, was die Landwirtschaft wirklich leistet. Wie hochprofessionell und fortschrittlich die deutschen Landwirte arbeiten. Das ist keine bäuerliche Idylle mehr. Dann wird es aber schwer, die hohen Agrarsubventionen zu rechtfertigen. Horne: Da muss ich widersprechen. Wir müssen doch das Wording ändern. Nicht die Landwirtschaft wird subventioniert, sondern der Verbraucher wird subventioniert. Das sehen wir meist gar nicht mehr. Die Landwirtschaft bekommt zwar das Geld, aber im Gegenzug sind die Agrarerzeugnisse viel zu billig. Deswegen können wir uns gerade in Deutschland sehr, sehr günstig ernähren. Diese Mär von der Subventionierung der Landwirtschaft, das ist das Erste, was wir in unserer Kommunikation klarstellen müssen: Subventioniert werden wir als Verbraucher. Das Gespräch führte Dagmar Behme Porträt: Dr. Helmut Schramm Ein Botschafter für die Moderne Gefragter Teilnehmer von Podien und Diskussionsrunden – Auch privat im Einsatz M it Lobpreisungen für die Produkte seines Unternehmens muss sich Helmut Schramm nicht lange aufhalten. Die Pflanzenschutzmittel des deutschen Marktführers kennt jeder Landwirt und Agrarhändler. Die wichtigen Getreidefungizide mit dem Bayer-Kreuz haben etwa 40 Prozent des deutschen Absatzes erobert. Als forschendes Unternehmen arbeitet Bayer Crop Science außerdem beständig an neuen innovativen Wirkstoffen. Doch hier kommt das Problem, dem der Deutschland-Chef der Pflanzenschutzsparte heute einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit widmet. So erfolgreich Schramm mit seinem Team am Markt agiert, so heftig ist der Gegenwind aus der Politik. Potenzielle Innovationen stecken im europäischen und deutschen Zulassungsdickicht fest, wirklich neue Mittel sind zur Rarität geworden. Schramm nimmt die Herausforderung mit sportlichem Ehrgeiz an. Als Jugendlicher träumte der talentierte Stürmer von einer Profi-Laufbahn im Fußball, wurde aber durch eine Knieverletzung ausgebremst. Der gebürtige Unterfranke knüpfte stattdessen an die frühe Begeisterung für das Traktorfahren auf dem Bauernhof der Großeltern an. Nach Agrarstudium in Weihenstephan und Promotion in der Phytopathologie startete er 1988 seine Profikarriere bei Bayer. Mit Anfang 30 übernahm er schnell Verantwortung in verschiedenen Funktionen im In- und Ausland. Seit 2011 steht Schramm an der Spitze der Bayer Crop Science Deutschland GmbH in Monheim. In all diesen Jahren haben sich die Prioritäten in der deutschen Landwirtschaft völlig verschoben. Diskussionen um die Ökologisierung der Landwirtschaft, die zunächst auf grüne Zirkel beschränkt waren, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen – meist allerdings völlig ohne Beteiligung der Landwirte und ihrer Marktpartner. Das zu ändern, betrachtet Schramm als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Dafür macht er sich auch seit 2013 als Präsident des Industrieverbandes Agrar (IVA) und seit Foto: Bayer Crop Science Adama – das Wort bedeutet auf Hebräisch Erde – gewinnt in Deutschland kontinuierlich Marktanteile. Der israelische Mutterkonzern hat ebenfalls Expansionspläne. Im Interview mit der agrarzeitung (az) nennt Thomas Horne, Geschäftsführer der Adama Deutschland GmbH, Erfolgsrezepte und Ideen, um das Image der modernen Landwirtschaft zu verbessern. Überzeugungstäter: Helmut Schramm will mit Innovationen punkten. 2014 als Aufsichtsratsvorsitzender des Forums Moderne Landwirtschaft stark. Schramm hat lange im Ausland gelebt und gearbeitet. Diese Erfahrungen bringt er bei seinen Vorträgen und als Teilnehmer von Podiumsdiskussionen ein. „Es darf nicht sein, dass wir bei uns die Landwirtschaft extensivieren und gleichzeitig mehr Nahrungsmittel aus Schwellen- und Entwicklungsländern importieren”, stellt der Bayer-Manager klar. Denn das sei „Land-Grabbing”, argumentiert der Agrarwissenschaftler gegenüber Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Stattdessen wirbt er für den verantwortungsvollen Einsatz von innovativen Pflanzenschutzmitteln durch gut ausgebildete Landwirte. Davon würde auch die deutsche Gesellschaft profitieren. „Unsere Nahrungsmittel waren nie so sicher wie heute und das bei bezahlbaren Preisen”, wird Schramm nicht müde zu erklären. Sein Auftrag endet nicht mit Dienstschluss. Auch privat nutzt der agile Manager manche Gelegenheit, um Misstrauen gegenüber der modernen Landwirtschaft abzubauen. Die Juristin, die vor einiger Zeit in der Nachbarschaft eingezogen ist, kauft jetzt nicht mehr alles im Ökoladen, sondern greift beru- higt auch zu konventionell erzeugten Lebensmitteln. „Ich habe ihr erzählt, wie lange an den Mitteln geforscht wird, dass sie alle geprüft sind und dass die Landwirte im Pflanzenschutz ausgebildet sind. Und dass Rückstände vor allem deswegen gefunden werden, weil wir eine ganz feine Messmethodik haben”, listet Schramm seine Argumente auf. „Wenn Leute nicht ideologisch ausgerichtet sind, dann kann man sie überzeugen”, berichtet er weiter von seinen Erfahrungen. Anders sei es, wenn jemand von vornherein sage: „Ihr seid ja chemische Industrie und ich bin grundsätzlich gegen Chemie.” S chramm bleibt beständig am Ball. Manchmal trifft er auch Menschen, die spontan bekennen: „Ohne die Medikamente von Bayer würde ich heute gar nicht mehr leben.” Diese Akzeptanz des Fortschritts in der Pharma-Sparte wünscht sich Schramm auch für moderne Pflanzenschutzmittel. „Wieso will man der Landwirtschaft nicht die Nutzung von Innovationen für die Füllung des globalen Warenkorbs zugestehen?” Seine Antwort lautet: „Wir haben sehr gute Argumente. Wir müssen deswegen immer versuchen, sie an den wichtigen Diskussionstischen einzubringen.” db Tierhaltung Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung 45 Fleischverbrauch weltweit bis 2050 ausgewählte Nutztierarten; Angaben in Mio. Tonnen pro Jahr 500 500 Fleisch gesamt* 400 400 Geflügel 300 300 200 200 Schwein 100 Fotos: Henrike Schirmacher / Montage az 100 Die gesellschaftlichen Anforderungen an die Tierhaltung sind hoch. Rind 0 2002 0 2012 2022 2050 *Ohne Schaf- und Ziegenfleisch Quelle:WBA (2015) Schweineproduktion in der EU 2016 Prognose zur Bruttoeigenerzeugung, ausgewählte Länder, Angaben in Millionen Tiere Tierhalter in Deutschland brauchen Mut Überzogene nationale Auflagen beeinträchtigen die Position im Wettbewerb Ebenfalls extrem stark zugelegt hat die Aquakultur. Sie lag Anfang der 1960er Jahre bei etwa 1,5 Millionen Tonnen weltweit, heute beträgt diese Zahl etwa 70 Millionen Tonnen. Dr. Jürgen Struck Korrespondent Berlin D ie Nutztierhaltung weltweit wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sehr stark zunehmen. Bereits heute ist sie global gesehen einer der am schnellsten wachsenden landwirtschaftlichen Sektoren, berichtet die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Allein in den vergangenen 50 Jahren habe sich die Erzeugung von Rindfleisch verdoppelt, jene von Schweinefleisch vervierfacht. Mit einer in diesem Zeitraum verzehnfachten Menge auf aktuell rund 100 Millionen Tonnen liegt Geflügelfleisch eindeutig an der Spitze. Als Hauptgrund für die anhaltende Dynamik wird neben der wachsendenden Weltbevölkerung ein steigendes Einkommen in den Schwellenländern und damit Änderungen im Konsumverhalten genannt. Nahrungsmittel tierischer Herkunft gelten als Wohlstandsindikator. Die höchsten Nachfragezuwächse in den Entwicklungs- und Schwellenländern bis zum Jahr 2022 werden für Milcherzeugnisse mit plus 31 Prozent sowie Geflügelfleisch mit plus 27 Prozent prognostiziert. Stagnation in der EU Nach wie vor zählen die Länder der Europäischen Union (EU) zu den großen Erzeugerregionen für Nahrungsmittel tierischer Herkunft. Etwa 18 bis 20 Prozent der weltweiten Milch- und Schweinefleischerzeugung entfallen auf die EU. Im Zuge der zunehmenden Marktliberalisierung in den vergangenen Jahren sind die produktionstechnisch starken Länder der EU auch verstärkt als Teilnehmer im weltweiten Handel von Agrargütern aufgetreten. Im Zuge dessen wird auch die Entwicklung der Preise für Agrargüter im Inland immer stärker von den Verhältnissen am Weltmarkt bestimmt. So hatte eine erhöhte Nachfrage nach Milchprodukten in der Volksrepublik China noch vor rund zwei Jahren die Erzeugerpreise für Milch in Deutschland auf ein Niveau von mehr als 40 Cent pro Kilogramm Milch getrieben. Eine durch politische Ereignisse wie dem russischen Embargo für Lebensmittelimporte beeinflusste Nachfrageschwäche führte jedoch in der Folgezeit zu einem starken Preisverfall auf derzeit etwa 20 bis 25 Cent pro Kilogramm. Damit ist der gesamte Milchsektor in Deutschland, aber auch anderen europäischen Ländern in eine tiefe Krise geraten. Hoher Anpassungsdruck Auch der Veredelungssektor ist seit gut zwei Jahren mit sehr niedrigen Erzeugererlösen konfrontiert. In Deutschland Prognose 2016* Veränderung gegen Vorjahr 47,2 +3,5 Spanien stehen somit alle Bereiche der Tierhaltung unter einem hohen wirtschaftlichen Druck. Hinzu kommen hierzulande immer weitergehende Forderungen seitens der Politik, zunehmend jedoch auch des Lebensmittelhandels. Tierhaltung und Tierschutz haben sich zum politischen Gegenstand entwickelt. Zunehmend laute Kritik an der Tierhaltung kommt von Umweltverbänden und auch dem Bundesumweltministerium (BMUB). Neue gesetzliche Vorgaben werden ständig diskutiert und führen zu großer Verunsicherung unter den Tierhaltern in Deutschland. In Kreisen der Wissenschaft ist von neuen „Leitbildern” für die Tierhaltung in Deutschland die Rede. Doch bisher haben diese den Status der Idee nicht verlassen. Konkrete Inhalte, welche auch die daraus entstehenden wirtschaftlichen Nachteile für die Erzeuger kompensieren könnten, sind nicht erkennbar. In den kommenden Jahren wird sich somit entscheiden, welchen Weg die Tierhaltung in Deutschland gehen wird. Die Alternativen lauten: Rückbau und Verlagerung oder mit Mut neue Qualitätsoffensiven einzuleiten. *vorläufig 46,8 32,0 -0,9 +1,7 Deutsch- Dänemark land 24,5 +1,5 Niederlande 24,3 -0,5 Frankreich 15,8 0 Polen 11,7 -1,0 Belgien 11,5 +2,4 Italien 10,4 5,3 +2,5 +2,8 GroßRumänien britannien Quelle: DBV Situationsbericht 2016 Mit einem Produktionsvolumen von rund 162 Millionen Tonnen Milch nimmt die EU-28 in der Welt weiterhin die Spitzenstellung ein. Ihr folgt mit 140 Millionen Tonnen das Schwellenland Indien, welches jedoch noch immer nicht die Eigenversorgung der rund 1,3 Milliarden Einwohner gewährleisten kann. Mit einem Produktionsvolumen von mehr als 93 Millionen Tonnen stehen die USA auf Platz 3 der Rangliste der großen Erzeugerregionen. Auf Milchimporte weiterhin angewiesen bleiben Russland mit einem Produktionsvolumen von knapp 30 Millionen Tonnen sowie China mit knapp 43 Millionen Tonnen im Lande erzeugter Milch. 46 Tierhaltung Fotos: has Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Milch von der Stange muss nicht sein. Ein Qualitätsprodukt, das sich speziell zur Sahneherstellung eignet, könnte mithilfe von Genome Editing Wirklichkeit werden. schaftliche Debatten diesen Prozess um mehr Tierwohl beschleunigt haben. Gentechnik im Stall scheitert an der Akzeptanz So sucht man besonders im Bereich Geflügelproduktion nach Alternativen für eine ethisch akzeptable Produktion. Denn noch werden männliche Küken von Legehennen bereits am ersten Lebenstag getötet – sie legen keine Eier und haben zu wenig Fleisch für die Mast. Um dieser oft kritisierten Praxis ein Ende zu bereiten, suchen Forscher und Zuchtunternehmen nach Alternativen. Transgene Hühner und Schweine gibt es bereits im Labor. Oft sind sie resistent gegen Tierseuchen. Für Landwirte stellt sich die Frage, wie sich diese Tiere im Stall beweisen. Außerdem muss es die zukunftsorientierte Züchtung neben Robustheit und Leistung auch mit ethischen Fragestellungen aufnehmen. Die Debatte um das Zweinutzungshuhn liefert das beste Beispiel. M it Ausnahme von Lachs gibt es weltweit bisher keine Lebensmittel oder andere Produkte aus gentechnisch veränderten Nutztieren zu kaufen. Vermutlich wird sich diese Tatsache, trotz neuer Verfahren, mit denen kleine DNA-Bausteine gezielt umgeschrieben werden können, kaum ändern. Denn zumindest für den europäischen Markt geht man davon aus, dass sich die Zucht gentechnisch veränderter Nutztiere nicht etablieren wird. Einen Trumpf haben die neuen Methoden allerdings: Sie hinterlassen nach Einschätzung der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (Efsa) keine Spuren im Produkt. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre eine Kennzeichnung damit nicht notwendig. Ohnehin wäre eine Kontrolle der Kennzeichnung nicht nachvollziehbar. Noch steht eine Entscheidung der Europäischen Kommission für eine Zulassung dieser Verfahren aber aus. Nichtsdestotrotz sind die neuen Verfahren, die sich mit dem Begriff Genome Editing zusammenfassen lassen, weitaus effektiver als die klassische Züchtungsforschung. Sie sind viel genauer und es erfordert weniger Zeit und somit Kosten, um die gewünschte Veränderung auszulösen. Die zurzeit vorliegenden Resultate zeigen, dass die molekularen Scheren für jedes Gen in jedem Organismus erfolgreich eingesetzt werden können. Das Repertoire an Versuchstieren reicht von der Ägyptischen Tigermücke bis hin zum Schwein, das resistent gegen das PRRS-Virus ist. Ein Meilenstein scheint den Forschern, die ihre Studie im Januar in der Zeitschrift Nature Biotechnology veröffentlichten, gelungen zu sein. Sie schafften es, das Schlüsselprotein auszuschalten, über welches das von Schweinehaltern gefürchtete PRRS-Virus in die Zellen eindringt und schwere Erkrankungen hervorruft. „Genome Editing bei Schweinen könnte die durch PRRS-Befall verursachten Kosten deutlich reduzieren”, so die Wissenschaftler. Allerdings ist an eine Kommerzialisierung noch nicht zu denken. Zunächst müssten mehr Tiere und verschiedene Virusvarianten untersucht werden. Um in zukunftsorientierten Zuchtstrategien Tierseuchen den Kampf anzusagen, erscheinen die neuen Verfahren zunächst Gold wert. Aber haben diese Tiere wirklich einen Nutzwert in der Praxis? Theorie versus Praxis Kritiker, die eine Relevanz für die Praxis als gering einschätzen, betonen, dass die Ergebnisse reine Grundlagenforschung sind. Sie zeigten lediglich Mechanismen auf, die theoretisch möglich sind. In der landwirtschaftlichen Praxis sehe es vollkommen anders aus. Im Normalfall sterben innerhalb weniger Tage meist 98 Prozent der Hühner, wenn die Vogelgrippe im Stall ausbricht. Angenommen es ziehen Hühner in den Stall, die gentechnisch so verändert sind, dass sie das Vogelgrippe-Virus nicht weitergeben können, aber trotzdem selbst daran erkranken können. Dann würde womöglich nur noch die Hälfte aller Tiere sterben. Trotzdem müssten nach geltendem Tierseuchenschutzgesetz alle Tiere des Bestands gekeult werden, denn so läuft es bisher in der Praxis, sobald Tiere infiziert sind. Somit müsste der gesetzliche Rahmen zunächst geändert werden. Züchtet man hingegen resistente Hühner, bleibt trotzdem ein hohes Risiko, dass diese gerade gegen das in Umlauf geratene Virus nicht resistent sind. Denn es gibt 18 verschiedene Virustypen der Aviären Influenza. Zwar bestätigen Forscher, dass theoretisch mehrere Resistenzen in das Genom eingebaut werden könnten, allerdings kann ein Virus wiederum mutieren und dann nutzen auch zehn Resistenzen rein gar nichts. Außerdem gibt es bisher keine Forschungsergebnisse zu mehrfach-resistenten Tieren. Ob diese in der Praxis lebensfähig sind, ist also nicht bestätigt. Hinzu kommt, dass der Einsatz von GV-Tieren auch zur Bequemlichkeit erziehen könnte, so die Angst der Kritiker. Das hätte zur Folge, dass Viren leichter in den Stall geschleust werden. Wenn sie dort mutieren, bricht erneut eine Grippewelle aus. Allerdings könnte es mit Genome Editing auch gelingen, bestimmte Allergene aus der Kuhmilch oder aus Hühnereiern zu entfernen. Es wäre immerhin eine Chance, um Produktionsnischen zu schaffen, so sieht es Prof. Heiner Niemann, Forschungbereichsleiter Biotechnologie am Institut für Nutztiergenetik (ING). Milcherzeuger, die sich spezialisieren wollen, könnten auf Tiere setzen, deren Proteinzusammensetzung in der Milch im Gegensatz zur herkömmlichen Kuhmilch verschoben ist. Ein anderes Proteinmuster könnte sich beispielsweise besser für die Sahne- oder Joghurtherstellung eignen. Eine solche Landwirtschaft würde zielgenau für die Nische produzieren. Der einzelne Tierhalter spezialisiert sich und die Milcherzeugung diversifiziert sich. Schweine ließen sich dahingehend modifizieren, dass ihr Fettsäuremuster variiert. So könne der Sättigungsgrad hin zu qualitativ hochwertigeren oder gesünderen Fettsäuren verändert werden. Als Konsequenz der intensiven Züchtung, die hochspezialisierte Tiere hervorgebracht hat, haben sich mittlerweile allerdings auch andere Fragestellungen ergeben. Vor einigen Jahren stand ledig- lich die Leistungssteigerung der Rassen im Mittelpunkt, erklärte kürzlich Joachim Hauck, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg. Mittlerweile liege der Fokus jedoch auf der Prozessqualität, wodurch dem Herstellungsprozess von tierischen Produkten eine herausragende Bedeutung zukomme. Nicht zuletzt weil gesell- Neben der allerdings noch nicht praxisreifen Geschlechtsbestimmung im Ei stellen die Mast von Bruderhähnen und die Zucht von Zweinutzungsrassen bereits Alternativen für eine ethische Geflügelproduktion für Legelinien dar. Alte Rassen kosten mehr Dennoch fallen ökonomische Bewertungen der Aufzucht von Zweinutzungsrassen verglichen mit anderen Genotypen schlecht aus, wie Dr. Klaus Damme, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft Kitzingen, und Prof. Eggert Schmidt, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, vorrechnen. Zwar gibt es alte Rassen mit entsprechendem Potenzial, als Zweinutzungshuhn aufzuwachsen. Für größere Höfe muss hier jedoch noch investiert werden. Die männlichen Tiere sind durchaus mastfähig, sie brauchen aber zwei bis drei Wochen länger bis zur Schlachtreife. Hinzu komme, dass sowohl die männlichen als auch die weiblichen Tiere 20 Prozent mehr Futterenergie pro Kilogramm Körpergewicht beziehungsweise Eimasse verbrauchen. Außerdem fehlen dem Erzeuger am Ende 25 Prozent Eimasse, weil die Eier kleiner sind. Nichtsdestotrotz könnte die Vermarktung entsprechender Aufzucht-Alternativen zumindest Nischen erobern, sind sich Branchenkenner einig. In einzelnen Regionen werden Zweinutzungshühner bereits gehalten. Allerdings macht es nur rund 0,1 Prozent aller in Deutschland gelegten Eier aus. Außerdem gibt es noch offene Fragen, die durch den Wandel in der Gesellschaft in den Fokus geraten. So kommen Umweltaspekte zum Tragen: Zweinutzungshühner wachsen langsamer, brauchen mehr Fläche und mehr Futter. Dadurch verursachen sie mehr Emissionen. Als Reaktion auf einen Klimawandel sollen diese in Deutschland allerdings möglichst reduziert werden. Schließlich stellt sich vor allem für Landwirte die Frage des Absatzes. Dabei zählen, damit die Rechnung aufgeht, nicht nur die Vermarktungsmöglichkeiten für die kleineren Eier der Hennen und brustfleischarme Hähne, sondern auch der Preis für die alten Hennen, deren Legeleistung nachlässt. Suppenhennen seien in Europa allerdings schwierig abzusetzen, heißt es von Seiten der Lohmann Tierzucht GmbH. In der Aufzucht von Bruderhähnen sieht die Lohmann Tierzucht mehr Potenzial. Denn die überwiegende Kostensteigerung entfällt bei Zweinutzungstieren auf die Legehennen mit längerer Haltungsdauer, somit ist ein Genotyp mit hoher Legeleistung billiger. Für diesen Ansatz werden die männlichen Küken von Legehennen nicht getötet, sondern für die Fleischmast verwendet. Dies hat den Vorteil, dass die Hennen handelsübliche Eier legen. Außerdem erhält man ein zusätzliches Produkt und konkurriert nicht mit dem traditionellen Brathähnchen. Für Kunden, die mehr Tierwohl fördern wollen, bietet sich also an, diese Produktionsweise kenntlich zu machen. Dies geschieht bereits in Österreich. Ab Januar 2016 werden in der Bioproduktion keine männlichen Eintagsküken mehr getötet. Das Konzept beruht auf einem geschlossenen System, erklärt Prof. Rudolf Preisinger, Geschäftsführer Lohmann Tierzucht. Jeder Legehennenhalter kauft weibliche Eintagsküken von Bio-Elterntieren für die Eierproduktion. Im Gegenzug verpflichtet sich die Brüterei zur Mast der entsprechenden Brüder bis zum 70. Lebenstag. Jeder Eierproduzent trägt die Kosten für die Mast bereits beim Kauf der weiblichen Tiere. Das kostet den Landwirt um einiges mehr, später wird dies über einen höheren Eierpreis rückvergütet. Die Brüterei organisiert die Schlachtung der Hähne und die Vermarktung des Fleisches zu Lebensmittelzwecken. Das Fleisch der Hähne soll überwiegend zu Geflügelwurst verarbeitet werden. Eierfarbe als Marketinginstrument Dieser Ei-betonte Zweinutzungsansatz, für den sich die Rasse Lohmann Sandy eignet, bietet auch das entscheidende Marketinginstrument. Denn die Henne legt Eier mit einer besonderen Schalenfarbe. Die cremefarbenen Eier dienen als Erkennungsmerkmal für den Konsumenten. Er weiß sofort, wenn ich dieses Ei kaufe, ist dafür kein männli- ches Eintagsküken gestorben. Für dieses geschlossene Produktionssystem muss er dann aber auch tiefer in die Tasche greifen. Alle wesentlichen österreichischen Handelspartner haben bereits eine Vereinbarung mit der Bio-Eiervermarktung unterzeichnet. Ein flächendeckendes Angebot ist sichergestellt. Im Gegensatz zum Einsatz von Gentechnik hätte dies auch potenzial in Deutschland . has Tierhaltung 47 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Veredelungswirtschaft am Scheideweg Konzentrationsprozess weit vorangeschritten – Abrechnungsmodelle auf dem Prüfstand D ie Entwicklung in den vergangenen 70 Jahren für die Erzeugung und Vermarktung von Schweinefleisch in Deutschland mit wenigen Worten zu erzählen, ist eine Herausforderung. Denn wie die Abbildung zeigt, gab es allein in der Landwirtschaft enorme Umwälzungen: 2,4 Millionen Betriebe hielten 1950 in Deutschland circa 11,9 Millionen Schweine, also 5 Tiere je Betrieb. In der Agrarstrukturerhebung 2013 waren es 49 100 Betriebe mit 28,7 Millionen Schweinen und daraus folgend durchschnittlich 600 Schweine je Betrieb. Die Anzahl der Betriebe ist um 98 Prozent zurückgegangen, der Bestand dagegen um das 2,4-fache und der Durchschnittsbestand um mehr als das 120-fache gestiegen. Umfassender Wandel Und diese Entwicklung ist keineswegs beendet: Jährlich sinkt die Zahl der schweinehaltenden Betriebe um 3 bis 5 Prozent. Noch ausgeprägter war die Entwicklung in den Nachbarländern Dänemark und Niederlande: Schon in den 1970er Jahren standen in den dänischen und niederländischen Ställen mit durchschnittlich 80 bis 100 Schweinen viermal so viele Tiere in den Betrieben wie in Deutschland. Im Jahr 2013 waren es in den Niederlanden 2 200 und in Dänemark 3 100 Schweine pro Betrieb; die Entwicklung ist die Gleiche und der Abstand zu Deutschland ist geblieben. Foto: Archiv Die Geschichte der Schweinefleischerzeugung ist auch eine Geschichte des gesellschaftlichen Wandels. Die Arbeitskosten waren ein Treiber der Entwicklung und ein Hinweis auf den allgemeinen wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands Der Exportüberschuss bei Schweinefleisch fordert die Branche heraus. nach dem zweiten Weltkrieg. Der Arbeitskräftebedarf war hoch und die Löhne stiegen. Um ein Familieneinkommen aus der Landwirtschaft zu erzielen, musste expandiert werden. Denn die Schweinepreise entwickelten sich in keiner Weise wie die Löhne: Musste 1950 für 1 Kilogramm Kotelett noch knapp vier Stunden gearbeitet werden, so waren es 2013 nur noch 31 Minuten, entsprechend einem Minus von fast 90 Prozent. Die Verbraucher gaben 1950 noch 44 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus, 1970 waren es 30, heute sind es 14 Prozent. Folglich ist neben dem Kostendruck auch der Preisdruck ein weiterer Treiber, denn Lebensmittel und so auch Schweinefleisch konkurrieren mit anderen Konsumwünschen: Weniger als 10 Prozent der Haushalte besaßen 1950 einen Kühlschrank – nur 20 Jahre später waren es 90 Prozent. Ähnlich verhielt es sich mit Waschmaschinen, Telefonen, Autos und vielem mehr. All diese vielen Millionen Geräte mussten auch bezahlt werden. Dennoch hat die Fleischwirtschaft zumindest mengenmäßig an der Entwicklung teilgenommen. 1950 lag der ProKopf-Verbrauch von Schweinefleisch in Deutschland bei 19 Kilogramm im Jahr, 1970 waren es 41 Kilogramm und 2015 gut 52 Kilogramm. Fleisch wird heute zum überwiegenden Teil in Supermärkten und bei Discountern gekauft. Vor dem Verkauf wurden die Schweine in 130 grö- ßeren Schlachthöfen geschlachtet, wobei die 10 größten Schlachtunternehmen im Jahr 2015 einen Marktanteil von 75 Prozent erreichten. In gut 1200 Schlachtund Fleischverarbeitungsunternehmen wurden 42 Milliarden Euro umgesetzt. Die Fleischindustrie ist der bedeutendste Wirtschaftszweig des verarbeitenden Ernährungsgewerbes. Fleisch- und Wurstwaren aus Deutschland werden weltweit abgesetzt, sodass in diesem Industriezweig ein Exportanteil von knapp 20 Prozent erreicht wurde. Auch das sah vor 70 Jahren noch ganz anders aus: 1950 waren ein Drittel aller 13,7 Millionen Schlachtungen Hausschlachtungen. Das bedeutet, dass 33 Prozent des Schweinefleisches „am Markt vorbei” verarbeitet und konsumiert wurde. Die verbliebenen 66 Prozent wurden in 370 – häufig kommunalen – Schlachthäusern und 44 000 Fleischereien sowie knapp 500 fleischverarbeitenden Unternehmen geschlachtet und verarbeitet. 1950 entfielen von den 20 Milliarden Deutsche Mark Umsatz im fleischverarbeitenden Ernährungsgewerbe 15 Milliarden DM und damit 75 Prozent auf handwerkliche Fleischereien. Im Jahr 2014 lag im Fleischabsatz der Marktanteil der 12 000 Metzgereien bei 17 Prozent und Hausschlachtungen spielen mit 0,2 Prozent überhaupt keine Rolle mehr. Deutschlands neue Rolle Aber auch international hat sich die Stellung Deutschlands gravierend verändert. Traditionell wurde Schweinefleisch importiert. Die Selbstversorgung lag seit 1960 etwa bei 80 bis 90 Prozent. In den 2000er Jahren änderte sich dies markant. Seit 2007 ist Deutschland Nettoexporteur und aktuell liegt der Selbstversorgungsgrad bei 120 Prozent. Anstatt Fleisch werden nun jährlich mehr als 10 Millionen Ferkel vornehmlich aus Dänemark und den Niederlanden importiert und hier gemästet. Der hohe Exportüberschuss bei Schweinefleisch führt zu großen Herausforderungen, da der Weltmarkt ständigen Veränderungen unterworfen ist; deutlichstes Beispiel ist das seit zwei Jahren gültige Importverbot Russlands, aber auch die wachsenden Exportmöglichkeiten Richtung China. Was waren wichtige Themen in all den Jahren? Die Durchsicht landwirtschaftlicher Fachzeitschriften seit den 1950er Jahren fördert manche überraschenden Themen und manche Dauerthemen zutage: Die preisdämpfende Wirkung kurzfristiger Angebotsüberhänge und wie dem zu begegnen wäre, war ein ständiges Thema mit unterschiedlichen „Rezeptvorschlägen”. In den Zeiten der Marktordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) waren Währungsaufwertungen, „grüner Wechselkurs”, Importabschöpfungen et cetera heftig diskutierte Einflussfaktoren, die heute der Vergangenheit angehören. Tierwohl früh diskutiert Überraschend waren Artikel von Anfang der 1970er Jahre, die sich mit alternativer Landwirtschaft und Tierwohl in der Tierhaltung auseinandersetzten. Ebenso wurden schon Modelle vorgestellt, in denen mehrere Mastbetriebe gemeinsam einen Sauenstall mit 800 Sauenplätzen betrieben. Offensichtlich haben Entwicklungen eine erhebliche Vorlaufzeit und sind auch nicht so überraschend, wie sie manchem zu sein scheinen. Durchgängig wurde über die Möglichkeiten der Modernisierung, Expansion, Spezialisierung berichtet und der damit verbundene Strukturwandel sowie Verdrängungswettbewerb auf Erzeugerebene diskutiert. Zumindest ernüchternd ist die Tatsache, dass Diskussionen über die Abrechnungsmodalitäten und das gegenseitige Misstrauen der Marktpartner ebenso ununterbrochen in den Fachblättern zur Sprache kommen. Vor dem Hintergrund eines internationalen Wettbewerbs, der nicht nur über möglichst geringe Produktionskosten auf Erzeugerebene ausgetragen wird, ist ein zunehmender Handlungsbedarf zu erkennen. Kann es Wege geben, die ein weniger konfliktträchtiges und zugleich in der Summe effizienteres Miteinander der Akteure in der Produktionsund Vermarktungskette ermöglichen? Daran zu arbeiten, sollte sich „lohnen”. Dr. Josef Efken, Thünen-Institut, Braunschweig Schweinehaltung in Deutschland Entwicklung der Zahl der Betriebe und Tierbestände Schweinebestand (Millionen Tiere) 30 Betriebe in Tausend 3000 25 2500 20 2000 15 1500 10 1000 5 500 0 1950 0 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Quelle: Thünen-Institut Märkte Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com Die Bären werden zumindest kurzfristig weiter bestimmen, wie sich die Preise für Agrarrohstoffe entwickeln. Anteile am EU-Weichweizenexport 16 Prozent betrug der Anteil Deutschlands an den Weichweizenexporten (inklusive Mehl und Schroten) der EU 2015/16. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr haben EU-Exporteure rund 31 Millionen Tonnen Weichweizen exportiert. in Prozent 11 Sonstige 7 7 Lettland 9 Litauen 12 Stefanie Pionke Ressort Agrarmärkte D urchhalten lautet die Parole der Stunde. Glaubt man Analysten, ist am Milchmarkt langfristig Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Weniger rosig sind die Aussichten für Fleischerzeuger. Auch für Weizen ist die 200-Euro-Marke schwach am Horizont erkennbar. Ist in jüngster Zeit von Agrarpreisen die Rede, fällt häufig auch das Wort „Krise”. Die Milchmarkt-Krise macht auch jenseits der Fachpresse Schlagzeilen. Politiker überschlagen sich mit Lösungsvor- Doch wie geht es weiter? Analysten blicken zumindest für einige landwirtschaftliche Erzeugnisse hoffnungsfroh in die Zukunft. So weist der Chefvolkswirt des US-Agrarministeriums, Robert Johansson, darauf hin, dass Märkte auf lange Phasen ausgeprägter Preisschwäche – oder Preisstärke – früher oder später mit einer Gegenreaktion antworten (siehe Interview auf Seite 50). Am Milchmarkt halten internationale Analysten den Langfristtrend des globalen Nachfragewachstums trotz der momentanen Schwächephase für intakt. Auch die Experten des Thünen-Instituts in Braunschweig rechnen Weniger rosig sind die Aussichten für die Fleischerzeuger, insbesondere die Schweinehalter: Die kritische gesellschaftliche Diskussion um das Für und Wider des Fleischkonsums zeigt Wirkung. Während die Nachfrage nach Geflügelfleisch in den kommenden Jahren weiter wachsen soll, stagniert der Absatz von Rindfleisch, bei Schweinefleisch zeigt sich sogar eine rückläufige Tendenz. Der Erzeugerpreis für Weizen hierzulande soll laut den Erwartungen des Thünen-Instituts bis 2025 gestützt durch die Exportnachfrage bei knapp 210 Euro je Tonne notieren. Weizen gehört den Prognosen zufolge künftig zu den Gewinnern unter den Ackerfrüchten: Während der 16 Rumänien Deutschland Quelle: Eurostat 117% 87% Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Eine Trendwende an den Agrarmärkten liegt noch in weiter Ferne – Impulse liefert das Auslandsgeschäft in ihrer Langfrist-Betrachtung bis 2025, der „Thünen-Baseline 2015-2025”, mit einer Festigung am Milchmarkt. Die deutschen Erzeuger dürfen sich also gegen Ende der Ausblickperiode 2025 auf ein Milchpreisniveau von 38 Euro je 100 Kilogramm Milch freuen – zumindest diejenigen, die die Konsolidierungsphase nach dem Ende der Milchquote überstehen. Frankreich Bei 87 Prozent lag der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch in Deutschland im Milleniumsjahr 2000. Im Jahr 2014 waren es bereits 117 Prozent. Bullen brauchen Geduld schlägen, die je nach Couleur von einer zwangsweisen Milchmengenreduzierung bis hin zu einer stärkeren Exportförderung reichen. Auch die Schweinehalter haben zumindest bis zum späten Frühjahr unter niedrigen Erzeugerpreisen geächzt. Medial unterbelichtet bleibt die Tatsache, dass auch die Getreide- und Ölsaatenpreise Landwirten und Agrarhändlern seit längerer Zeit Verdruss bereiten. Drei dicke Ernten in Folge zeigen Wirkung in Form von vollen Lägern. 38 Polen Weizenanbau bis 2025 um 7 Prozent zulegen soll, verlieren die Gersten- und Rapsflächen im zweistelligen Prozentbereich. Der Anbau von Mais entwickelt sich ebenfalls rückläufig. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Da sich das Wachstum in der tierischen Erzeugung weltweit verlangsamt, verliert auch die Nachfrage nach Futtergetreide und Ölschroten an Dynamik. Beim Ölsaatenanbau, hierzulande speziell bei Raps, kommen Unsicherheiten über die künftige Ausrichtung der Bioenergiepolitik hinzu (siehe Interview Seite 54). Die weitere Entwicklung an den Agrarmärkten hängt insbesondere am Standort Deutschland von der Dynamik im Export ab. Denn Nachfrageimpulse im Inland sind bei einer schrumpfenden, alternden Gesellschaft rar. Die gute Nachricht: Prognosen zufolge wird die EU in den kommenden Jahren ihre Agrarexporte steigern können, nicht zuletzt, da Freihandelsabkommen, zum Beispiel mit Südamerika, in Kraft treten werden. Die schlechte Nachricht: Andere Agrarexporteure können ihre Marktanteile deutlicher ausbauen. Seit 1950 hat sich der Bierkonsum der Deutschen in etwa verdreifacht. Tranken die Deutschen 1950 pro Jahr und Kopf 35,6 Liter Bier, waren es seit 2010 bereits 110 Liter pro Jahr und Kopf. 1950 2010 Quelle: Deutscher Brauerbund Absatz von Biodiesel in Deutschland in Millionen Tonnen Rund 2,2 Millionen Tonnen hat Deutschland im Jahr 2015 abgesetzt, das ist in etwa siebenmal so viel wie im Jahr 2000. 2000 0,34 2003 0,81 Foto: uschi dreiucker / pixelio.de 48 2007 2010 3,32 2,53 2012 2,48 2015 2,15 Quelle: Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie Blick in die Glaskugel und über den Tellerrand Produktionswachstum bei EU-Weizen fließt größtenteils in den Export – Schwellen- und Entwicklungsländer bieten die besten Perspektiven Die Weizenproduktion in der EU-28 ist in den vergangenen 15 Jahren aufgrund von Ertragszuwächsen um rund 25 Prozent oder 31 Millionen Tonnen gestiegen. Neben den beiden großen Produzentenländern Frankreich und Deutschland haben insbesondere die baltischen Staaten Lettland und Litauen sowie die Schwarzmeer-Anrainer Rumänien und Bulgarien ihre Weizenerzeugung deutlich gesteigert. Auch zukünftig sollten diese Länder den Weizenanbau weiter ausbauen, sodass davon auszugehen ist, dass die EU-Weizenproduktion im Durchschnitt der kommenden Jahre leicht unter den historisch verzeichneten rund 1,5 Prozent oder gut 2 Millionen Tonnen jährlich wachsen wird. Erzeugung von Isoglucose steigt Knapp ein Drittel – oder rund 13 Millionen Tonnen – der seit dem Jahr 2000 zusätzlich geernteten EU-Weizenmenge wurde in der EU verbraucht, insbesondere im industriellen Bereich und im Nahrungsmittelsektor. Der große Rest von rund 18 Millionen Tonnen jedoch hat seinen Weg auf den globalen Markt gefunden. Zwar ergeben sich auch am EU-Binnenmarkt Verbrauchszuwächse. So wird das Ende der Zuckermarktordnung in der EU 2017 zu einer höheren Isoglucoseproduktion Export-Destinationen für EU-Weizen Angaben in Prozent 2002: Gesamtexport 11 Millionen Tonnen 31 andere 46 Nordafrika 2 Südostasien 5 Mittlerer Osten 16 Subsahara-Afrika 2015: Gesamtexport 31 Millionen Tonnen 12 andere 9 Südostasien 39 Nordafrika 20 Mittlerer Osten 20 Subsahara-Afrika © agrarzeitung Quelle: Global Trade Atlas GTIS, Rabobank 2016 in der Staatengemeinschaft führen, die von derzeit etwa 0,7 Millionen Tonnen auf voraussichtlich knapp 2 Millionen Tonnen ansteigen wird. Der Getreideverbrauch dieses Sektors würde sich somit auf rund 5 Millionen Tonnen verdreifachen. Jedoch werden neben Weizen auch andere Getreide wie Mais zur Produktion von Isoglucose verwendet, sodass der Zuwachs des Weizenverbrauchs in dieser Verwertungsschiene deutlich niedriger ausfallen wird. Folglich ist auch künftig davon auszugehen, dass der Weizenverbrauch am EU-Binnenmarkt nur unwesentlich wachsen wird. Somit werden Zuwächse in der Weizenproduktion auch in den kommenden Jahren zum Großteil in den Export fließen. Das wirft die Frage auf, welche Absatzmärkte künftig die größte Rolle spielen werden. Ein Blick auf die EU-Ausfuhren der vergangenen Jahre zeigt, dass zwar die größten Exportzuwächse nach Afrika und in den Mittleren Osten verzeichnet wurden, dass aber auch Südostasien ein chancenreicher Markt für EU-Weizen sein kann (siehe Grafik). Rund 57 Prozent aller EU-Weizenexporte finden ihren Weg nach Afrika. Wurden im Jahr 2002 mit rund 5 Millionen Tonnen Weizen knapp die Hälfte aller EU-Exporte nach Nordafrika verschifft, so waren es 2015 mit 11,5 Millionen Tonnen nur noch 37 Prozent. Die Exporte nach Subsahara-Afrika haben sich im gleichen Zeitraum auf 6 Millionen Tonnen verdreifacht und erzielen nun einen Anteil von 20 Prozent an den Gesamtausfuhren. Die Rabobank erwartet, dass – getrieben durch Bevölkerungs- und Einkommenswachstum – die Weizenimporte Subsahara-Afrikas in Zukunft schneller wachsen werden als die Nordafrikas: Innerhalb der kommenden Dekade wird der südliche Teil Afrikas folglich mehr Weizen einführen als der Norden. Dennoch wird Nordaf- rika weiterhin der wichtigste Exportmarkt für EU Weizen – allen voran aus Frankreich – bleiben, allerdings werden die Importwachstumsraten West- und Ostafrikas deutlich höher ausfallen. Die klimatischen Bedingungen in Ostafrika erlauben keinen nennenswerten Weizenanbau und nahezu die gesamte Nachfrage muss durch Importe – vorrangig aus den USA und der EU – gedeckt werden. Im Gegensatz dazu findet in Westafrika zwar Weizenanbau statt. Aber der Verbrauch steigt dort deutlich schneller als die Produktion, sodass auch dort die Importe aus vielen verschiedenen Herkünften – einschließlich der EU, USA, Russland, Australien, Ukraine und Argentinien – steigen werden. EU-Weizen wird zu 20 bis 25 Prozent in den Mittleren Osten gehandelt, wobei Saudi-Arabien und Iran die Hauptdestinationen sind. So verzeichnet Weizen aus der EU (vorranging aus Deutschland, Polen und dem Baltikum) einen Importmarktanteil von zwei Dritteln an Saudi-Arabiens gesamten Weizenimporten in Höhe von 3,5 Millionen Tonnen. Den Importbedarf des Irans decken zu gut der Hälfte die Europäer (Deutschland und Baltikum) und stellen so jährlich zwischen 1 und 1,5 Millionen Tonnen der schwankenden iranischen Einfuhren. Die zukünftige Importnachfrage des Iran hängt stark vom Bevölkerungswachstum und der dortigen Weizenproduktion ab, die mit rund 15 Millionen Tonnen immerhin gut 80 Prozent der heimischen Nachfrage decken kann. Hauptkonkurrenten für den EU-Weizenhandel in der Region werden Russland und Kasachstan bleiben. Mit Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen den Iran erhoffen sich jedoch auch andere Regionen wie die USA, ihre Exportanteile auszuweiten. Ob es aber zu nennenswerten US-Weizenexporten in den Iran kommen wird, bleibt abzuwarten: Zuletzt wurden in den 1970er Jahren nennenswerte US-Mengen dorthin gehandelt. Starker Wettbewerb um Südostasien In Saudi-Arabien dagegen geht die deutliche Einfuhrsteigerung in den vergangenen zehn Jahren einher mit einer drastischen Reduzierung der heimischen Produktion, da die klimatischen Bedingungen dort für den Weizenanbau nicht passend sind und die in der Vergangenheit politisch motivierte Produktion den Wasserhaushalt des Landes zu stark belastete. Da die Produktion nun auf nahezu null zurückgefahren wurde, ist zukünftig mit einer deutlich geringeren Steigerung der Importe zu rechnen. Die EU wird künftig mit Kanada, Australien und anderen Exportnationen um diese Nachfrage konkurrieren.Die Rabobank schätzt das jährliche Wachstum der Weizennachfrage in Südostasien auf knapp 5 Prozent, was die Einfuhren um 5 Millionen Tonnen auf mehr als 25 Millionen Tonnen im Jahr 2020 steigern wird. Allerdings ist dort der Wettbewerb stark, denn Australien, die USA sowie zunehmend die Ukraine werden den Hauptteil dieser Nachfrage decken. Aber auch die EU kann ihre Ausfuhren in die Region ausweiten. Die zukünftige Entwicklung der EU-Weizenproduktion wird also von den Absatzchancen am Weltmarkt, insbesondere in Afrika, dem Mittleren Osten und Südostasien abhängen. Das dort zu erwartende Nachfragewachstum ist gut, allerdings werden auch andere Exportnationen ihren Weizenhandel auf diese Absatzmärkte ausrichten. Stefan Vogel, Rabobank Zur Person Stefan Vogel ist Head of Agri Commodity Markets Research und Global Sector Strategist, Grains & Oilseeds bei der Rabobank in London. Die Rabobank ist ein führender Finanzpartner der Lebensmittel- und Agrarindustrie mit Niederlassungen in 40 Ländern. Vogel ist dort verantwortlich für Marktanalysen und Preisvorhersagen für Agrarprodukte sowie für Industrie- und Sektoranalysen im Bereich Getreide und Ölsaaten. Zuvor hatte der Diplom-Agraringenieur verschiedene Positionen im Bereich Marktanalyseund Strategien bei Toepfer in Hamburg und bei ADM in den USA inne. Foto: Rabobank I m europäischen Weizenmarkt verschieben sich die Kräfteverhältnisse: Baltische Staaten wie Litauen und Lettland steigern ihre Produktion und Exporte, und auch die Schwarzmeer-Anrainer Rumänien und Bulgarien gewinnen weiter an Bedeutung. Interessante Absatzchancen für die zukünftigen zusätzlichen Getreidemengen der EU bieten unter anderem die Staaten Nord- und Südafrikas. Märkte 49 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Engagierter Händler im Osten A lexander Rothe und sein Vater Peter haben die Getreide AG stetig weiterentwickelt. Tief vernetzt ist das Unternehmen in Ostdeutschland. In Zukunft soll ein besonderes Augenmerk den Dienstleistungen gelten. Im Erfassungshandel an den Exportplätzen zählt der Vorstandsvorsitzende der Getreide AG, Alexander Rothe, zu den Großen – und dies gilt nicht nur für seinen Einfluss am Markt. Der 1,97 Meter große Unternehmer ist auch rein optisch nicht zu übersehen. Die Hamburger Getreide AG hat in den vergangenen 34 Jahren ebenfalls ein beachtliches Wachstum realisiert. Gemeinsam mit seinem Vater Peter entwickelte der Hauptanteilseigner des Unternehmens Alexander Rothe das klassische Landhandelsunternehmen nach und nach zu einem international agierenden Spieler am Markt. „Tiefschläge erleben wir täglich bei der Getreide AG”, beschreibt Alexander Rothe den Alltag in seinem Unternehmen, ergänzt aber schmunzelnd: „Glücklicherweise werden wir bisweilen durch große Erfolgserlebnisse entschädigt.” Größte Chancen vor der Haustür Schon früh suchte Alexander Rothe, der seit 1990 Vorstand im väterlichen Unternehmen ist, die berufliche Herausforderung. Kontinuierlich arbeitete er mit seinem Vater Peter sowie den Vorstandsmitgliedern Peter Carsten Ehlers und Thorsten Tiedemann daran, sein Unternehmen im europäischen Wettbewerb optimal aufzustellen und neue Ziele anzustreben. Bei ihren Marktpartnern sind die Rothes bekannt für zügige und klare Entschei- dungen. Dies erwies sich vor allem zu Zeiten der Wiedervereinigung als echter Vorteil. Für die Getreide AG boten sich gerade in dieser Zeit einmalige Gelegenheiten. Das Unternehmen begann unverzüglich damit, neue Märkte in Ostdeutschland zu erschließen. Rothe Junior nahm es seinerzeit sportlich: „Ich suchte die Chancen auf internationalem Terrain, doch plötzlich befanden sich die größten Herausforderungen quasi direkt vor der Haustür.” Bei der Expansion in die neuen Bundesländer erwies sich das unternehmenseigene Flugzeug als klarer Wettbewerbsfaktor. Während sich die meisten Mitbewerber in den ersten Jahren nach der Grenzöffnung meist im Stau über teilweise marode Straßen durch die ehemalige DDR quälten, konnte Rothe als „Fliegender Händler” gleich zwei Termine am Tag abarbeiten und zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen über die Übernahmen der Getreidewirtschaften verhandeln. Die Getreide AG besaß seinerzeit die Getreidewirtschaften in Rostock, Wismar, Wolgast, Stralsund und Schwerin. Diese wurden später zur Agrarhandel Mecklenburg Vorpommern GmbH (AMV). In Brandenburg und Sachsen wurden die Getreidewirtschaften in Gransee, Trebsen, Torgau und Leipzig übernommen. Diese wurden später zum Getreide- und Futtermittelhandel Sachsen. Diese Gesellschaft gehört dem Konzern heute nicht mehr an. Im Konzern der Getreide AG sind aus der damaligen Zeit heute die Aktivitäten am Rostocker Überseehafen und der Standort in Magdeburg verblieben. Die Mühen lohnten sich: Durch den Kauf dieser Getreidewirtschaften der ehemaligen DDR wuchs das Unternehmen schnell zum bedeutendsten privaten Landhandel in Ostdeutschland heran. Das Unternehmen wuchs im Osten stetig weiter. Die Übernahme der Nordkorn AG im mecklenburgischen Schwerin 1996 gilt als bedeutender Expansionsschritt. Einen weiteren Pfahl schlug Rothe in Thüringen ein. Mit den Erfurter Malzwerken ist „die AG” in der Braugerstenregion im Thüringer Becken mit einer Turmmälzerei am Markt vertreten. Im Segment der Saatgutproduktion betreibt die Getreide AG am Standort Güstrow einen der nach eigenen Angaben „größten und modernsten” Saatgutbetriebe Ostdeutschlands. Im Jahr 1993 übernahm die Getreide AG zudem das VEB Nahrungsmittelkombinat „Albert Kuntz”, das seitdem unter dem Namen Wurzener Nahrungsmittel GmbH firmiert. Heute hat das Unternehmen mehr als 100 Mitarbeiter, die viele verschiedene Snackprodukte herstellen. Am Markt für Erdnussflips werden gut 50 Prozent des deutschen Bedarfs in Wurzen produziert. Neuer Malzturm entsteht Auch in der Verarbeitung von Raps ist die Getreide AG aktiv. Die Ölmühle, die unter dem Namen „Power Oil Rostock” betrieben wird, verfügt über eine Verarbeitungskapazität von 1 Million Tonnen Rapssaat. Diese Anlage gehört zu den Aushängeschildern des Unternehmens. Zunächst war die Mühle im Jahr 2006 mit einer Kapazität von 500 000 Tonnen errichtet worden, 2009 entschloss sich Rothe jedoch zu einem Ausbau der Anlage. Ebenfalls im Jahr 2009 und ebenfalls in Rostock, nahm die Raffinat-Anlage zur Herstellung von 200 000 Tonnen Speiseöl ihren Betrieb auf. Damit kann die Getreide AG mit ihrer Anlage fast die gesamte Rapsernte in Mecklenburg-Vorpommern verarbeiten. Doch 2009 investierte die Getreide AG nicht nur in die Verarbeitung von Öl- saaten: Das Unternehmen gab die Errichtung eines neuen Malzturmes bei der Erfurter Malzwerke GmbH in Auftrag. Dort wurde die Braugerstenverarbeitung auf 120 000 Tonnen pro Jahr verdreifacht. „Das größte Braugerstenanbaugebiet Deutschlands im Thüringer Becken mit hervorragenden Braugerstenqualitäten und einer über die Jahre hinweg hohen Produktqualität bei der Erfurter Malzwerke GmbH machten diese Investition möglich”, erinnert sich Rothe. Darüber hinaus produziert die Getreide AG in Hamburg jährlich 75 000 Tonnen Malz. Neben der Belieferung von Kunden in Norddeutschland, wird das Malz vornehmlich per Container von Hamburg aus nach Asien und in alle Welt exportiert. Die günstige Logistik in großer Nähe zu Europas zweitgrößtem Containerhafen macht den Standort Hamburg ideal für den Export. Die verarbeitete Braugerste kommt überwiegend aus Dänemark. Unter anderem der Standort im dänischen Orehoved ist für den Einkauf der Rohware verantwortlich. Doch auch an der Getreide AG gehen Probleme, denen sich Agrarhandel sowie Getreide- und Ölsaatenverarbeiter stellen müssen, nicht vorüber. Eine besondere Herausforderung stellt die Bioenergie dar. Dieser Sektor durchlebt derzeit eine Phase der Schwäche und nimmt nicht mehr so viele agrarische Rohstoffe wie erwartet ab. Folglich steigt der Exportanteil von deutschem Getreide. Die Getreide AG zog aus dieser Entwicklung zwei Konsequenzen: Zum einen entschied sich Rothe für den Erwerb des Getreideterminals (GTH Silo). Mit einer Lagerkapazität von 250 000 Tonnen hat die GTH Umschlaganlage die größte Lagerkapazität für Agrarprodukte Foto: Getreide AG Wende beschert Getreide AG Wachstum – Export als wichtiges Standbein Mit der Getreide AG auf Expansionskurs: Vorstandsvorsitzender Alexander Rothe (l.) und sein Vater Peter Rothe (r.). im Hamburger Hafen. Der Schwerpunkt liegt im Umschlag, in der Lagerung sowie in der Abwicklung von Getreide, Ölsaaten und Rohkaffee. Zum anderen verkaufte die Getreide AG elf Gesellschaften mit 60 Standorten in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen an die Danish Agro und Vestjyllands Andel (ehemals DLA) und die Agravis Raiffeisen AG. Zum 1. Juni 2015 wurde das Agrarhandelsgeschäft dieser Gesellschaften der Getreide AG mit Sitz in Rendsburg an die heutige Ceravis AG abgegeben. Vom Hof zur Reling Künftig wird sich die Getreide AG vor allem auf drei Tätigkeitsbereiche konzentrieren: Neben der Verarbeitung von Agrarrohstoffen und der Produktion von Nahrungsmitteln konzentriert sich das Unternehmen auf die Rohstoffverladung über die Tiefwasserstandorte Hamburg und Rostock. Zudem gilt das Augenmerk der Rohstoffbeschaffung und dem Rohstoffhandel für Produktionsbetriebe und Exportterminals. „Im Jahr 2020 wird es den reinen Landhändler ohne Aktivitäten in der Verarbeitung von Agrarprodukten oder ohne eigene Tiefwasserplätze nicht mehr geben”, erklärt Rothe die Strategie seines Hauses. „Insofern arbeiten wir neben der Präsenz unseres Unternehmens in den Seehäfen auch daran, künftig weitere Funktionen in der Verarbeitung von Agrarrohstoffen anzubieten.” Alexander Rothe ist sich sicher: „Der Markt für Dienstleistungen für die Landwirtschaft wird an Bedeutung gewinnen.” Mit einer weiteren Halle der Getreide AG in Rostock, die im Sommer 2016 in Betrieb genommen wird, steigert das Unternehmen die Lagerkapazität um weitere 50 000 Tonnen. Zusätzlich werden die Annahmekapazitäten der Terminals erhöht und die Verladeleistung in Rostock auf 1 000 Tonnen pro Stunde passend zur Devise „Vom Hof zur Reling” aufgestockt. Ps Getreide AG Gründungsjahr: 1872 als Firma Chr. Sieck Fusion Chr. Sieck und Getreide AG: 1982 Übernahme durch Peter Rothe: 1982 Standorte: 6 Mitarbeiter: 432 Umsatz: 1,137 Mrd. Euro 50 Märkte Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Die Schwarzmeerländer bauen ihren Einfluss im Getreidehandel aus“ Märkte vorerst gut versorgt – Ölpreisschwäche bringt Erzeugern Einbußen – Richtungsweisende Änderungen in China agrarzeitung: Die Agrarpreise bewegen sich seit dem Wirtschaftsjahr 2014/15 auf niedrigem Niveau. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein? Johansson: Wenn Preise deutlicher als üblich steigen oder fallen, setzt schlussendlich eine Gegenbewegung an den Märkten ein. Allerdings kann es mehrere Monate bis Jahre dauern, bis diese Anpassung erfolgt. Im Wirtschaftsjahr 2014/15 waren die Anbaubedingungen für Mais und Sojabohnen in den USA das erste Mal seit vier Jahren vorteilhaft, was zu überdurchschnittlichen Erträgen führte. Darauf folgte 2015/16 eine weitere Saison mit höher als üblichen Erträgen. Gleichzeitig ist der Verbrauch von Mais für die Bioethanolproduktion in den Vereinigten Staaten zurückgegangen, und auch die Sojanachfrage aus China ist weniger stark gewachsen als in den Jahren zuvor. Die hohen Preisanstiege in den vorherigen Wirtschaftsjahren haben in Argentinien und Brasilien zu einer Ausweitung des Mais- und Sojaanbaus geführt. Auch das hat dazu beigetragen, das Preisniveau an den globalen Agrarrohstoffmärkten zu drücken. Wie geht es 2016/17 weiter? Johansson: Wir rechnen mit globalen Getreidevorräten auf dem Vorjahresniveau. Gegenüber dem Jahr 2006/07, als die Bestände im Verhältnis zum Verbrauch sehr knapp waren, ergibt sich ein Anstieg um 50 Prozent. Die Märkte bleiben also nach heutiger Einschätzung gut versorgt. Welche Regionen werden in den kommenden 20 Jahren zu den größten Playern am Weizenmarkt aufsteigen? Johansson: Viele aktuelle Entwicklungen an den Weizenmärkten werden sich voraussichtlich fortschreiben. Die wichtigsten Spieler in diesem Markt werden die EU, die Schwarzmeerregion, Nordamerika, Australien und Argentinien bleiben. Diese Regionen decken aktuell 85 Prozent des weltweiten Weizenhandels ab, und das wird sich auch nicht dramatisch ändern, auch wenn die Marktanteile einzelner Staaten variieren können. Die USA waren traditionell immer der größte Weizenexporteur weltweit, aber haben seit Jahrzehnten Marktanteile verloren. Im Jahr 2014 hat die EU die Vereinigten Staaten vom Thron gestoßen. Wir gehen davon aus, dass die EU die Spitzenposition erst einmal behalten wird. Schwarzmeer-Weizen wird ebenfalls Marktanteile gewinnen. Wie wird sich der Weizenexport aus der Ukraine und Russland genau entwickeln? Welche Regionen verlieren demgegenüber Marktanteile? Johansson: Schwarzmeer-Weizen hat im globalen Weizenhandel hohe Bedeutung, und wir gehen davon aus, dass diese Länder ihren Einfluss verteidigen und ausbauen werden. In erster Linie werden die USA Marktanteile im globalen Weizenhandel verlieren. Im Jahr 2015 haben die Vereinigten Staaten bisherigen Berechnungen zufolge Platz 4 auf der Weltrangliste eingenommen hinter der EU, Russland und Kanada. Aber man muss auch berücksichtigen, dass hohe Weizenvorräte bei den größten Konkurrenten und ein starker US-Dollar US-Weizen weniger wettbewerbsfähig gemacht haben. Das US-Agrarministerium geht in seiner Langzeitprognose bis 2025 davon aus, dass die USA Platz 2 in der Weltrangliste zurückerobern werden. Im letzten Jahr der Ausblicksperiode, also 2025, wird Russland allerdings die USA überholen. Zusammengenommen haben Russland und die Ukraine ohnehin einen höheren Marktanteil als die USA. Was sind für Sie die wichtigsten Nachfragetrends an den globalen Getreidemärkten in den kommenden Jahrzehnten? Johansson: Da die Nachfrage nach Biokraftstoffen aus Getreide voraussichtlich weltweit zurückgehen wird, werden eine steigende Weltbevölkerung und wachsender Wohlstand die wichtigsten Treiber des Nachfragewachstums sein. Auch wenn die kurzfristigen Aussichten auf die wirtschaftliche Entwicklung in Schwellenländern eingetrübt sind, gehen wir davon aus, dass die Einkommen dort langfristig steigen werden, und auch die Bevölkerung dort weiter wachsen wird. Und das wiederum geht mit einer zunehmenden Nachfrage nach Fleisch, Milchprodukten und Fisch einher. Für die Erzeugung dieser Produkte wiederum werden Getreide und Ölschrote als Futtermittel benötigt. Das größte Wachstum erwarten wir in Südost- und Ostasien, Nordafrika, in Teilen des Nahen Ostens und in Lateinamerika. Eine wachsende Weltbevölkerung und steigender Wohlstand sind die größten Nachfragetreiber.“ Wer profitiert am meisten von diesen Nachfragetrends? Johansson: Profitieren werden die Länder mit hohen Exportüberschüssen und einer gut funktionierenden Logistik. Dazu zählen neben den USA die EU, südamerikanische Staaten wie Argentinien und Brasilien sowie die früheren Sowjetstaaten und Russland. Aus heutiger Sicht erscheinen diese Trends sehr verlässlich, aber man muss auch immer im Blick behalten, dass sich die Dinge ändern können. Was sind für Sie wegweisende Entwicklungen auf der Angebotsseite an den globalen Getreidemärkten? Johansson: Das hohe Preisniveau in den Wirtschaftsjahren 2010/11 bis 2013/14 hat dazu geführt, dass Länder wie Brasilien und die Ukraine, aber auch kleinere Anbieter ihren Soja- und/oder Maisanbau massiv ausgedehnt haben. Jetzt, da das Preisniveau weltweit niedriger ist, ist zu erwarten, dass Landwirte in einigen dieser Länder den Anbau wieder einschränken werden. Argentinien hat auch die Getreide- und Ölsaatenproduktion ausgedehnt … Johansson: Dort sieht die Lage aber anders aus: Die neue argentinische Regierung hat Handelsbarrieren gesenkt und eine Neuorientierung der Märkte eingeläutet mit wachstumsfreundlichen, politischen Weichenstellungen wie Steuersenkungen und dem Abbau von Exportbeschränkungen. Zudem ist der Peso abgewertet. Das wird dazu führen, dass Argentinien voraussichtlich mehr Agrarrohstoffe ausführen wird. Landwirte dort dürften den Getreide- und Ölsaatenanbau also ausdehnen, um von diesen Entwicklungen zu profitieren. Wie schätzen Sie die Entwicklung auf dem chinesischen Getreidemarkt ein? Johansson: In China haben sich in jüngster Zeit einige richtungsweisende Änderungen auf der Angebotsseite am Getreidemarkt vollzogen, insbesondere bei Mais. Zuvor hatte eine jahrelange, politische Preisstützung strategisch wichtiger Rohstoffe wie Mais zu einer überproportionalen Ausweitung des Anbaus geführt. Jedoch hatten die ständig steigenden Maispreise am Binnenmarkt zur Konsequenz, dass der chinesische Maismarkt sich komplett vom Weltmarkt entkoppelt hat und die Regierungsvorräte stark gewachsen sind. Aktuell lagert in etwa die Hälfte der globalen Maisvorräte in China. Jedoch wird die jüngst angekündigte Reform der Maismarktregulierung dazu führen, dass der Maisanbau im Land zurückgeht und auch die Bestände langsam schrumpfen. Dadurch dürften sich die Preise in China dem Weltmarktniveau annähern. Bei Reis und Weizen erhält die chinesische Regierung allerdings ihre Subventionen aufrecht, sodass die Vorräte dieser Rohstoffe weiter wachsen sollten. Was bestimmt für Sie auf lange Sicht die Nachfrage an den globalen Ölsaatenmärkten? Johansson: Die Wachstumstreiber sind letztlich dieselben wie an den Getreidemärkten: Das weltweite Bevölkerungswachstum und steigende Einkommen in Schwellenländern kurbeln die Nachfrage nach Pflanzenölen an, und – über den steigenden Konsum tierischer Nahrungsmittel – den Bedarf an Ölschroten. In den vergangenen Jahren hat China mit seiner Nachfrage nach Sojabohnen und Ölschroten den globalen Ölsaatenmarkt dominiert. Im kommenden Jahrzehnt wird das nach unserer Einschätzung so bleiben. Andere Regionen, in denen die Nachfrage nach Ölsaaten und deren Produkten zulegen wird, sind unter anderem Südostasien, Nordafrika und Teile des Nahen Ostens sowie Lateinamerika. Wer zählt hier zu den größten Profiteuren? Johansson: Die Länder, die am meisten profitieren werden, sind – wie im Getreidebereich auch – diejenigen mit den größten Exportüberschüssen und einer starken Logistik. Im Wesentlichen wird es sich um die USA, Brasilien und Argentinien handeln. Wobei Brasilien zwar in den letzten Jahren an seinen Exportkapazitäten gearbeitet hat, aber dabei immer noch hinter Argentinien und den USA hinterherhinkt. Die wichtigsten Sojaanbaugebiete Brasiliens sind weit von den Hafenplätzen entfernt. Daher muss ein Großteil der Ware weite Strecken via Lkw über schlechte Straßen zurücklegen. Welche Trends sehen Sie auf der Angebotsseite an den globalen Ölsaatenmärkten? Johansson: Die USA, Brasilien und Argentinien werden weiterhin wichtige Erzeuger und Exporteure von Ölsaaten und Ölsaatenprodukten bleiben. Langfristig betrachtet hat Brasilien die besten Voraussetzungen, seine Marktanteile auszubauen, da das Land die größten Flächen zur Verfügung hat, um den Anbau auszuweiten. Jedoch stehen die hohen Transportkosten zu den Hafenplätzen dem im Wege, sodass jedweder Ausbau der Erzeugung immer stark von der Preislage abhängig ist. In Argentinien hat die neue Regierung die Ausfuhrsteuern auf Ölsaaten und Ölsaatenerzeugnisse gesenkt, was die Wettbewerbsfähigkeit des Landes erhöht. Da in Argentinien die Kapazitäten für den Crush von Sojabohnen deutlich den heimischen Bedarf übersteigen, dürfte das Land auf dem globalen Markt für Sojabohnen und -schrot weiterhin zu den wichtigsten Spielern zählen. Welche Entwicklung wird der globale Biokraftstoffsektor langfristig durchmachen und wie wird sich dies auf die Pflanzenöl- und Getreidemärkte auswirken? Foto: USDA Früher oder später reagieren Märkte auf Phasen niedriger Preise mit einer Gegenbewegung. Doch das kann dauern, sagt Robert Johansson, Chefvolkswirt des US-Agrarministeriums USDA, im Interview mit der agrarzeitung (az). Der Ökonom geht fest davon aus, dass die EU ihre Spitzenposition im globalen Weizenhandel halten wird. Die Märkte weltweit im Blick: Als Chefvolkswirt des USDA ist Robert Johansson für den viel beachteten Marktbericht „Wasde“ verantwortlich. Johansson: In den Vereinigten Staaten hat sich das Wachstum bei der Maisverwendung im Bioethanolsektor verlangsamt, da die Beimischung den Deckel von 15 Milliarden Gallonen für konventionelle Biokraftstoffe erreicht hat. Hinzu kommt, dass Kraftstoffe mit höherer Ethanolbeimischung wie E10 in den USA zuletzt weniger stark gefragt waren, da die Rohölpreise aktuell so niedrig sind. Jedoch tragen niedrigere Kraftstoffpreise und ein stabiles Wirtschaftswachstum dazu bei, dass US-Amerikaner mehr Auto fahren. Das dürfte einem moderaten Wachstum in der Ethanolerzeugung Vorschub leisten. Sie sprechen für die USA: Wie wird sich der Biokraftstoffmarkt weltweit entwickeln? Johansson: Welche Entwicklung die Produktion von Biokraftstoffen global nehmen wird, ist mit mehr Unsicherheit behaftet. Sie wird sowohl von den Energiepreisen als auch von den politischen Rahmenbedingungen bestimmt. Bei den aktuell niedrigen Rohölpreisen mag das Wachstum an Schwung verlieren. Insgesamt betrachtet, wird die weltweite Nachfrage nach Biodiesel aufgrund des steigenden Kraftstoffverbrauchs zulegen, aber auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in den vorangegangenen Jahren. Dahinter stecken neben niedrigeren Rohölpreisen technische Hürden und ein Rückgang der politischen Unterstützung für Biokraftstoffe in einigen Ländern. Die aktuell sehr niedrigen Rohölpreise setzen den Biokraftstoffsektor bereits unter Druck. Auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft in den Erdöl produzierenden Ländern sind enorm. Wie wird sich die Ölpreisschwäche weiter auf die Agrarrohstoffmärkte auswirken? Johansson: Niedrige Rohölpreise nutzen Erzeugern auf der einen Seite, da die Produktionskosten sinken, etwa bei Düngemitteln und für den Transport von Getreide. Auf der anderen Seite gehen geringere Produktionskosten in der Regel mit niedrigeren Agrarrohstoffpreisen einher. Das ist besonders bei solchen Rohstoffen der Fall, die im Biokraftstoffsektor Verwendung finden, also vor allem Mais und Ölsaaten. Für Erzeuger von Primärrohstoffen bedeuten niedrige Rohölpreise ganz klar Einbußen. Für Landwirte stellt sich hier allerdings die Frage, inwieweit die Ölpreisschwäche für einen Nachfrageanstieg bei Agrarrohstoffen sorgt, der niedrige Preise kompensiert. Denn Länder, die Nettoimporteure von Erdölerzeugnissen sind, profitieren von niedrigeren Rohölpreisen, da die Realeinkommen steigen. Das treibt die Nachfrage nach Agrarrohstoffen hoch. Gilt das auch für wohlhabende Staaten beziehungsweise Staatengemeinschaften wie die USA, EU und Japan? Johansson: Nein, in diesen wohlhabenden Regionen setzen Verbraucher steigende Einkommen nicht in einen erhöhten Nahrungsmittelverbrauch um, was potenzielle Nachfrageanstiege begrenzt. Nettoölimporteure unter den Schwellenländern, deren Wirtschaft nicht von Rohstoffexporten abhängt, zum Beispiel China, Südkorea und Singapur, dürften ihre Agrarrohstoffimporte hingegen hochfahren. Doch empirische Daten sprechen dafür, dass dies langfristig betrachtet nur einen geringen Effekt auf den Agrarrohstoffmarkt hat. Rohstoffexporteure unter den Schwellenländern wie Brasilien, Mexiko oder Russland dagegen schrauben ihre Agrarrohstoffimporte deutlich zurück. Zusammenfassend kann man sagen, dass niedrige Rohstoffpreise für die Landwirtschaft ein zweischneidiges Schwert sind. Die Weltbevölkerung wächst und mit ihr der Wohlstand in den Schwellenländern, in denen die Nachfrage nach Fleisch steigt: Wer wird diese Nachfrage auf den verschiedenen Fleischmärkten bedienen? Johansson: In erster Linie werden Exporteure profitieren, die relativ niedrigpreisiges Fleisch erzeugen. Dazu zählen Indien für Büffelfleisch, Brasilien für Geflügel- und Rindfleisch und die USA für Hähnchenschenkel. Die Steigerung der Einkommen einer weltweit wachsenden Mittelschicht hat auch eine kulturelle Dimension. In Asien beispielsweise wird voraussichtlich die Nachfrage nach Schweinefleisch steigen, da es dort das bevorzugte Fleisch ist. Davon werden voraussichtlich Brasilien und die USA langfristig am meisten profitieren, wobei in Europa gerade im vergangenen Jahr Steigerungen im Schweinefleischexport zu verzeichnen sind. Das USDA geht davon aus, dass die US-Schweinefleischexporte 2017 rund 2,4 Millionen Tonnen in Schlachtkörperäquivalent erreichen – das ist ein Wachstum um 2 Prozent gegenüber 2016. Die Ausfuhren von Hähnchenfleisch werden 2017 gut 3,1 Millionen Tonnen erreichen, das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 3 Prozent und entspricht in etwa 16 Prozent der US-Produktion. Die globalen Milchmärkte waren zuletzt von Überschüssen und schwachen Preisen gekennzeichnet: Auf welche Weise wird der Milchmarkt zum Gleichgewicht zurückfinden? Wo werden größere Anpassungsprozesse stattfinden? Johansson: Die weltweiten Milchpreise werden durch eine Kombination aus hoher Produktion und relativ schwacher Nachfrage gedrückt. Die Nachfrageschwäche ist auf geringeres Wirtschaftswachstum in einigen wichtigen Importnationen sowie auf das Importembargo Russlands für bedeutende Milchexporteure zurückzuführen. Da die EU derzeit die Einlagerung von Milcherzeugnissen politisch stützt, um den Angebotsdruck abzufedern, wird wohl ein Teil der Anpassung am globalen Milchmarkt dort stattfinden. In den USA wiederum wird die Milchproduktion 2017 nur leicht ausgedehnt werden, und zwar um weniger als 2 Prozent gegenüber Vorjahr, da Erzeuger auf die schwachen Preise 2016 reagieren. Dabei wird das Wirtschaftswachstum 2016 global betrachtet hoch ausfallen, was vorteilhaft für die weitere Entwicklung der Nachfrage ist. Die USA werden im Jahresverlauf die Exporte einiger Milcherzeugnisse steigern können, während die Importe zurückgehen. Denn eine stärkere Nachfrage in anderen Teilen der Welt wird die Kluft zwischen den Milchpreisen in den USA und den Weltmarktpreisen verringern. Die Fragen stellte Stefanie Pionke Zur Person Robert Johansson, Jahrgang 1967, ist seit dem Jahr 2015 Chefvolkswirt des US-Agrarministeriums. Zu seinen Verantwortungsbereichen zählt der monatliche Marktbericht „Wasde“. Außerdem beraten er und seine Mitarbeiter das US-Landwirtschaftsministerium hinsichtlich wirtschaftlicher Folgen von politischen Programmen und Vorgaben. Der promovierte Agrarökonom ist seit 2001 als Volkswirt im USDA tätig. Von 2012 bis einschließlich 2014 war er Stellvertreter seines Vorgängers Joseph Glauber. pio 52 Märkte Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Es begann mit 100 Zentnern Stroh Die Alfred C. Toepfer International GmbH Die Alfred C. Toepfer International GmbH (ACTI) war ein deutsches Unternehmen im Bereich des Agribusiness sowie der Logistik. Das Unternehmen wurde 1919 gegründet, der Firmensitz befand sich von Beginn an in Hamburg. 95 Jahre später, im Jahr 2014, wurde ACTI schließlich vom US-amerikanischen Agrarkonzern ADM (Archer Daniels Midland) übernommen. Seit der Übernahme firmiert die ACTI innerhalb der Unternehmensgruppe unter dem Namen ADM Germany GmbH. ACTI gehörte zu den führenden international tätigen Getreide- und Futtermittelhandelsfirmen. Gemeinsam mit ihren Beteiligungen in den Bereichen Landhandel, Mischfutterindustrie und Schifffahrt erreichte das Unternehmen bereits Mitte der 1970er Jahre einen Umsatz von mehr als 5 Milliarden Euro. Weltweit unterhielt die Toepfer AG 42 Niederlassungen. Mehr als 2 000 Mitarbeiter waren dort zuletzt beschäftigt. Im Geschäftsjahr 2012/13 setzte das Hamburger TraditionsunterPs nehmen circa 9,9 Milliarden Euro um. Alfred C. Toepfer gründete seine Firma, nachdem er in Hamburg im wahrsten Sinne des Wortes mit Stroh gehandelt hatte. Am 10. November 1919, so steht es in der Historie des Unternehmens, verkaufte Alfred Carl Toepfer 100 Zentner Stroh an einen Kunden und Freund namens Karl-Hinrich Schinckel. Wie sich die Geschäfte dieses Kunden fortan entwickelten, ist nicht bekannt. Verbrieft ist aber, dass die Alfred C. Toepfer Company am 20. Januar 1920 in das Hamburger Handelsregister eingetragen wurde. Toepfer, geboren am 13. Juli 1894 in Altona bei Hamburg und gestorben am 8. Oktober 1993 in Hamburg, war Inhaber des Unternehmens Toepfer International und der Stifter der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. Das Geschäft mit Stroh gab die Richtung vor, in die sich das Unternehmen entwickelte: Toepfer handelte landwirtschaftliche Produkte und war schnell auch auf dem internationalen Parkett aktiv. Dabei konzentrierte sich das Unternehmen vor allem auf die Bereiche Getreide, Futtermittel, pflanzliche Öle sowie Ölsaaten und Düngemittel. Schritt über den „Großen Teich“ Traditionsreich: Die Zentrale des Handelshauses Toepfer, heute ADM Germany, in Hamburg Im Jahr 1929 folgte der Schritt über den „Großen Teich”: In New York wurde eine Niederlassung gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete Toepfer, um das Inlandsgeschäft im zerstörten Deutschland kurz nach dem Krieg sowohl mit Ölmühlen als auch mit dem Handel besser bearbeiten zu können, Filialen in Bremen, Düsseldorf, Hannover und München. Nachdem Bonn Hauptstadt der Bundesrepublik geworden war, richtete Toepfer dort eine eigene Verbindungsstelle ein. Mit dem schon in den 1920er Jahren tätigen Mischfutterhersteller A.O. Petersen Hamburg, der 1972 unter „Club Kraftfutterwerke” firmierte, war das Unternehmen auch in der Mischfutterproduktion geschäftlich aktiv. Auf internationalem Terrain baute der Hamburger Kaufmann sein Unternehmen zu einem weit verzweigten Imperium mit Stützpunkten in Amerika und Asien aus. Einen Meilenstein markierte die Gründung der bedeutenden Filiale in Paris, der Compagnie Européenne de Céréales (CEC), die neben Toepfer der Familie Rothschild gehörte. Die CEC Paris beteiligte sich an verschiedenen Getreidesilos. Neben der Getreideabteilung in Paris hat sich in der französischen Haupt- stadt auch ein erfolgreiches Futtermittelgeschäft entwickelt. Mit der politischen Entwicklung hin zu einem gemeinsamen Europa entstand der Gedanke, auch in anderen Ländern Stützpunkte zu errichten. So wurden in eigenen Häusern in Rotterdam, Antwerpen, London, Kopenhagen und Mailand Büros von Toepfer International eröffnet. Doch Toepfer strebte bei seiner Expansion über die Grenzen Europas hinaus: Die Filiale im brasilianischen São Paulo wurde 1972 gegründet, die Asienzentrale befand sich in Singapur. In den 1950er Jahren gründete das Handelshaus zudem eine eigene Schifffahrtsgesellschaft. Die Reederei umfasste zehn Schiffe mit einer Ladekapazität von gut 300 000 Tonnen Gütern. Es gab viele weitere Beteiligungen des Unternehmens. So baute Toepfer im Elsass einen Silo an der Mosel mit einer Kapazität von 24 000 Tonnen. Von dort aus wurden große Mengen an Mais für die europäische Futtermittelindustrie verladen. Wegen der in den 1960er und 1970er Jahren in Frankreich stark stei- genden Getreideerzeugung wuchs das Interesse von Toepfer an Exportsilos an der Atlantikküste Frankreichs. Doch auch außerhalb des Kerngeschäftes tätigte Toepfer Investitionen: Im Jahre 1963 übernahm das Unternehmen das private Bankhaus Hesse & Newman in Hamburg. Diese Privatbank entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren zu einem bedeutenden Geldinstitut für den internationalen Warenverkehr. Investoren steigen ein Entscheidend für die weitere Entwicklung des Unternehmens waren die 1970er und 1980er Jahre. In der Zeit entwickelte sich Toepfer an den nationalen und internationalen Märkten fort und erweiterte das Netz an eigenen Niederlassungen in Asien und Südamerika. In Indonesien investierte das Unternehmen mit einem chinesischen Partner in eine Pelletieranlage für Maniok, Kokos- und Palmprodukte. Speziell für die Beförderung dieser Produkte wurde die Tochtergesellschaft Intermare in den 1970er Jahren gegründet. Die Intermare, die Tochtergesellschaften in Singapur und Bangok hat, wurde in die Hamburger Zentrale integriert und arbeitete eng mit den Befrachtungsabteilungen des Getreidebereichs zusammen. Doch auch die interne Struktur und die Eigentumsverhältnisse änderten sich. Im Jahr 1979 wurde die Umwandlung des Unternehmens in die neue Firma Alfred C. Toepfer International abgeschlossen. InTrade, eine Gruppe internationaler Genossenschaftsmitglieder, wurde zu diesem Zeitpunkt Aktionär. Als weiterer Partner stieß 1983 Archer Daniels Midland (ADM) hinzu, der Toepfer im Jahr 2014 als ADM Germany GmbH übernahm. In der Mitte der 1980er Jahre begann die Firma Toepfer damit, die verarbeitende Industrie innerhalb der EU direkt mit den importierten Agrarrohstoffen zu beliefern. Im Vereinigten Königreich und in Irland waren im Bereich Mischfutterindustrie mit der Arkady Feed-UK und der Arkady Dublin zwei Tochterunternehmen von Toepfer International aktiv. In Spanien bearbeitete die Toepfer-International-Tochter Ceralto ab 1986 den Markt. Frühzeitig erkannte die Toepfer-International die Entwicklung auf den argentinischen Märkten für Agrarrohstoffe. In Buenos Aires wurde Anfang der 1990er Jahre ein Zentralbüro zur Koordinierung der Aktivitäten im Mercosur-Raum gegründet. Schwerpunkt Ukraine Schnell präsent war das Unternehmen auch, als im Osten der „Eiserne Vorhang” fiel: In Mittel- und Osteuropa entstanden daraufhin zügig verschiedene Niederlassungen, unter anderem auch in Moskau. Vor allem in der Ukraine setzte das Handelshaus Schwerpunkte. Dort baute das Unternehmen seine Erfassungskapazitäten deutlich aus, kaufte sechs Inlandssilos und tätigte weitere Investitionen in die Logistik. Beim Getreide- und Ölsaatenexport wurde in den 1990er Jahren ein Marktanteil von 15 Prozent erreicht. Toepfer war das erste internationale Handelshaus, das sich unter der damaligen Leitung von Björn Stendel mit der In– landserfassung in der Ukraine beschäftigte. Auch in Rumänien wurde eine ähnliche Organisationsstruktur von den Hamburgern aufgebaut. Ps Breit vernetzt auf allen Wegen Futtermittelproduzent und Logistikdienstleister Habema setzt auf gute Verbindungen D und Ölsaaten sowie die Versorgung mit Sojaschrot in der Region. Vor allem mit der Hauptgenossenschaft (HaGe) AG in Kiel, die neben dem niederländischen Futtermittelunternehmen For Farmers Gesellschafter der Habema ist, arbeitet die Firma eng zusammen. as Hamburger Unternehmen mischt nicht nur Futtermittel, sondern hat in seiner gut 20-jährigen Firmengeschichte eine beachtliche Schlagkraft im Im- und Export von Getreide aufgebaut. Dabei ist Habema gut vernetzt auf der Schiene, dem Wasser und der Straße unterwegs. Die jährlichen Umschlagsleistungen von Habema sind laut Geschäftsführer Manfred Thering ein Spiegelbild der Weltagrarmärkte. Bei niedrigen Getreideernten hierzulande und geringeren Exporten von deutschem Getreide etwa legt das Unternehmen seinen Schwerpunkt nicht auf die Ausfuhr, sondern auf andere Aktivitäten, zum Beispiel auf den Import von Mais. Flexibilität ist also entscheidend. Die zeigte Habema auch im Wirtschaftsjahr 2014/15: Damals wurde so viel Getreide über die Anlagen des Unternehmens exportiert, dass die Schiffe über Monate hinweg sieben Tage in der Woche rund um die Uhr beladen wurden. Habema in Hamburg hat sich in ihrer 22-jährigen Firmengeschichte zu einem bedeutenden, überregional tätigen Logistikdienstleister für die Getreideund Futtermittelwirtschaft entwickelt. Mit seinem Standort im Hamburger Kennzahlen Habema Gründungsjahr: 1994 mit Übernahme des HaGe-Kiel-Kraftfutterwerkes im Hamburger Hafen Gesellschafter: 50 Prozent HaGe Nord AG, Kiel, 50 Prozent ForFarmers BV, Lochem, Niederlande Umsatz: 175 Millionen Euro Mischfutterproduktion: Futter für alle landwirtschaftlichen Nutztierarten, 3 Mischlinien, 450 000 Tonnen Mischfutterproduktion insgesamt pro Jahr Lagerkapazität: Hamburg: 260 000 Tonnen; Heidenau 80 000 Tonnen Umschlagsvolumen: Hamburg 3,6 Millionen Tonnen/Jahr; Heidenau 950 000 Tonnen/Jahr Foto: Peters W as mit einem Strohhandel begann, wurde bald zu einer imponierenden Größe im deutschen und internationalen Agrarrohstoffgeschäft: Das Handelshaus Alfred C. Toepfer wuchs in den 95 Jahren seiner Firmengeschichte weit über die Hamburger Zentrale hinaus mit einem international verzweigten Netz von Getreidesilos, Exportelevatoren und Geschäftszentralen. Foto: ADM Wie der Hamburger Kaufmann Alfred C. Toepfer ein weltweites Imperium schuf Schwört auf schlagkräftige Logistik: Geschäftsführer Manfred Thering. Seehafen hat das Unternehmen Kontakt zur hiesigen Agrarwirtschaft und den direkten Zugang zu den Weltmärkten. Dabei transportiert Habema Ware auf allen Wegen: über das Wasser, über Schienen und per Lkw über die Straße. Um das Import- und Exportvolumen für Getreide und Futtermittel stetig steigern zu können, ist eine leistungsfähige Logistik notwendig. Ein bedeutender Schritt war in dem Zusammenhang die Errichtung der Umschlagsanlage im sächsischen Heidenau an der deutsch-tschechischen Grenze, die im Oktober 2012 in Betrieb genommen wurde. Dort investierte HaBeMa insgesamt 21 Millionen Euro in den Neubau der Umschlagsanlage „Agro-Terminal Heidenau”. Die Anlage hat eine Lagerkapazität von gut 90 000 Tonnen Getreide. In Heidenau beschäftigt Habema 15 Mitarbeiter. Der Standort Heidenau ist günstig gewählt: Er verfügt über eine direkte Anbindung an die Autobahn A 17, die Dresden und Prag miteinander verbindet. In unmittelbarer Nähe ist außerdem eine elektrifizierte Fernbahntrasse zwischen Prag, Dresden und Hamburg. Das Agro-Terminal Heidenau fungiert als Logistikdienstleister und Partner für den Erfassungshandel und übernimmt die Vermarktung von Getreide Das Agro-Terminal hat im wahrsten Sinne des Wortes beste Verbindungen nach Hamburg. Jährlich werden über die Logistikdrehscheibe im Osten fast 1 Million Tonnen Güter auf der Schiene aus Heidenau in den Hamburger Hafen und von dort zurück nach Heidenau transportiert. Um in Hamburg diese Mengen bewältigen zu können, hat Habema dort eine Bahnannahme und eine Bahnverladung mit einer Annahmeleistung von 400 Tonnen je Stunde und Verladeleistung von 300 Tonnen je Stunde gebaut. Für die logistische Anbindung des Standorts Heidenau spielt die Bahn die entscheidende Rolle. Mit eigenbewirtschafteten Zügen schwerster Last– einheiten (2 100 Tonnen Nutzlast) werden die Güter zwischen Hamburg und Heidenau hin und her gefahren. Dabei profitiert das Agro-Terminal in Heidenau auch von der Schlagkraft des Habema-Standorts im Hamburger Hafen, der sich über die vergangenen Jahre zu einer logistischen Drehscheibe für Agrarprodukte mit Schiffsanbindung, Bahnanbindung und Anschluss an mehrere Autobahnen entwickelt hat. Die Umschlagsmengen hat das Unternehmen von 800 000 Tonnen 1995 auf heute fast 3,6 Millionen Tonnen mehr als vervierfacht. Auch im Geschäftsbereich Mischfutterproduktion hat die Habema in den vergangenen Jahren erheblich investiert. Neben einem Ausbau der Kapazität wurden Mittel in Produktionstechnik und -steuerung zur Verbesserung der Qualität, der Sicherheit und der Rückverfolgbarkeit gesteckt. Insgesamt beschäftigt Habema in der Mischfutterproduktion 67 Mitarbeiter plus 40 Mitarbeiter im Bereich Fuhrpark für 20 Silo-Lkws, die im „Rund um die Uhr Betrieb” für das Unternehmen fahren. Habema produziert in Hamburg mehr als 400 000 Tonnen Mischfutter im Jahr. Ps Märkte 53 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Auf der Suche nach globalem Gleichgewicht Überangebot und Tiefpreise prägen nach dem Quotenende den Milchmarkt – Drosselung der Menge derzeit kaum erkennbar Milcherzeuger in der EU haben im Jahr 2016 erneut mehr Milch an die Verarbeiter geliefert, nachdem sie bereits in den letzten Monaten des Vorjahres die Mengen kontinuierlich hochgeschraubt hatten. Nach vorläufigen Zahlen beläuft sich das Plus aller EU-Länder seit Jahresbeginn auf knapp 5 Prozent. Seit Ende der Milchquotenregelung im April 2015 haben die niederländischen Erzeuger sogar 11,4 Prozent mehr Milch angeliefert. Zu kräftigen Produktionsausweitun- gen kam es unter anderem auch in Dänemark, Irland und Polen. Moderate Steigerung in Deutschland In Deutschland ist die Steigerung 2016 im Vergleich zur Vorjahreslinie indes moderater ausgeprägt. In Frankreich und Großbritannien wurde das Vorjahresniveau zeitweise sogar unterschritten. Auch vergangenes Jahr waren es also nicht unbedingt die deutschen Milcherzeuger, die mit ihren Produktionsmengen den Markt unter Druck setzten. Im Vergleich zu 2014 ergab sich eine Steigerung der Milchanlieferung an die deutschen Molkereien um lediglich 0,3 Prozent. Diese auf den ersten Blick verhaltene Entwicklung der Milchproduktion ist jedoch insbesondere darauf zurückzuführen, dass noch in den ersten Monaten des Jahres 2015 die Milchquotenregelung gegriffen hatte und daher die Landwirte ihre Produktion drosseln mussten, um nicht Gefahr zu laufen, Strafabgaben bei Überlieferung der Quote zahlen zu müssen. Diese Zurückhaltung fiel dann zur Jahreswende weg. Die Milchanlieferung hat in Deutschland – bezogen auf die Monate Januar bis März von 2015 auf 2016 – nach Schätzungen der Zentralen Michmarkt Berichterstattung GmbH in Berlin (ZMB) um 3,8 Prozent zugenommen. Mehr als ein Jahr nach Quotenende ist der Milchmarkt noch immer auf der Suche nach einem globalen Gleichgewicht Die internationale Marktschwäche ist dabei jedoch nicht allein auf das Auslaufen der europäischen Milchquote zurückzuführen. Vielmehr verdichten sich verschiedene Entwicklungen auf der Angebots- wie auch auf der Nachfrageseite zu einem globalen Marktungleichgewicht zulasten der Milcherzeuger. Aktuell ist in Europa zu viel Milch auf dem Markt. Das wurde primär durch Einbrüche auf der Absatzseite ausgelöst. Eine Geschichte der Marktsteuerung in der EU Es begann mit einem Verhandlungsmarathon, der für agrarpolitische Entscheidungen in Brüssel legendär werden sollte. Nach tagelangem Ringen verabschiedeten die EU-Agrarminister in den frühen Morgenstunden des 14. Januar 1962 erste Marktordnungen für wichtige Erzeugnisse wie Getreide, Zucker, Milch, Rinder, Schweine und Geflügel. Ziel war eine Angleichung der Preise und ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt. Erzeugung für die Intervention Mit ganz unterschiedlichen Verhältnissen auf den nationalen Märkten und der geringen Bereitschaft der Mitgliedstaaten, sich nationale Kompetenzen nehmen zu lassen, standen die Minister vor einer großen Herausforderung. Der wirkliche Durchbruch für Europa gelang erst 1964, als die Mitglieder der Wirtschaftsgemeinsaft ein einheitliches Preisniveau für Weizen, Gerste und Roggen vereinbarten, nachdem der französische Präsident Charles de Gaulle mit einem Austritt aus der Wirtschaftgemeinschaft gedroht hatte. Umgesetzt wurden einheitliche Interventions- und Zielpreise ab dem Getreidewirtschaftsjahr 1967/68. Die abgesicherten Preise entfalteten bald ihre Wirkung. Vor allem in Deutschland produzierten Landwirte für die Intervention. Investitionen in neue Lagerstätten versprachen sichere Renditen dank der EU-Getreidemarktordnung. Die von Brüssel garantierte Subventionsschwemme für die Branche hielt rund 20 Jahre. In den 1980er Jahren machten Milchseen und Getreideberge negative Schlagzeilen und brachten die Agrarpolitik in Misskredit. Die immer noch von Versorgungsengpässen geprägte Steuerung der Märkte schien überholt. Hinzu kamen unkalkulierbare Risiken für den EU-Haushalt, je mehr Überschüsse mit Hilfe von Export– erstattungen auf dem Weltmarkt untergebracht werden mussten. MacSharry stellt Weichen Die Abkehr von der Preisstützung wurde 1992 eingeleitet. In der nach EU-Agrarkommissar Ray MacSharry benannten Reform wurden 15 Prozent der Ackerfläche stillgelegt und die Interventionspreise für Getreide um ein Drittel gesenkt. Die Erzeuger bekamen dafür Ausgleichzahlungen, die sich nach der Ertragsfähigkeit der Böden in den Regionen richteten. Die nächste größere Reform der Agrarpolitik folgte unter deutscher EU-Rats– präsidentschaft im Jahr 1999. Der Interventionspreis für Weizen wurde in der „Agenda 2000” um weitere 15 Prozent gesenkt und erreichte das heute noch gültige Niveau von 101,31 €/t. Die Erzeuger erhielten erneut einen ertragsabhängigen Ausgleich, wenn auch nicht mehr in voller Höhe. Die Flächenstilllegung wurde in Höhe von 10 Prozent beibehalten, mit der Möglichkeit der Senkung bei geringeren Überschüssen. Foto: Landpixel S Legendär: Milchseen und Butterberge als vermeintliche Folgen der Markt regulierung Einen weiteren grundlegenden Wechsel leitete EU-Agrarkommissar Franz Fischler 2003 in die Wege. Der Österreicher koppelte die Zahlungen von der Produktion ab, um die Agrarmärkte endgültig von der staatlichen Mengensteuerung zu befreien. Feste Direktzahlungen machten die Ausgaben aus dem EU-Agrarhaushalt berechenbar, für den inzwischen Obergrenzen eingezogen worden waren. Sicherheitsnetz unangetastet EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel rundete den Marktkurs ihrer Vorgänger ab und brachte vor allem den Ausstieg aus der Michquote auf den Weg. In der Reform 2013 unter dem rumänischen EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos wurde ein Ende der Zuckerquoten im Jahr 2017 beschlossen. Das Sicherheitsnetz in Form von Interventionspreisen für Weizen und Magermilchpulver blieb dagegen unangetastet. Die Marktordnungen für die verschiedenen Erzeugnisse wurden in der Reform von 2013 zu einer einzigen Marktordnung zusammengefasst. Seit 2014 gilt die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, in der über 232 Artikel hinweg und einem langen Anhang alles geregelt ist. Mö Marktordnungen im Überblick Getreide Mit der Verordnung 19/1962 sollten die Getrei depreise in den sechs Gründungsländern der EU angenähert werden. Mindestpreise wurden über die Intervention abgesichert, wobei sich der Interventionspreis von Monat zu Monat erhöh te, um die Lagerkosten auszugleichen. Auf die CifPreise in den wichtigen Getreideeinfuhrhäfen wurde ein wechselnder Aufschlag erhoben. Aus fuhren waren nur noch mit Exportlizenzen und Erstattungen möglich. Die Produktionsanreize führten in den 1980er Jahren zu Angebotsüber schüssen. 1992 türmten sich in der Intervention 32 Millionen Tonnen Getreide auf einem Rekord niveau. Die Getreidemarktordnung wird darauf hin gründlich umgearbeitet. Landwirte müssen zunächst 15 Prozent, dann 10 Prozent ihrer Flä che stilllegen. Die Verordnung 1766/92 senkt den Interventionspreis in drei jährlichen Schritten um insgesamt 35 Prozent. In der Agenda 2000 wird er nochmals um 15 Prozent vermindert. Zucker Auch Zucker wurde seit 1968 einem strengen Reglement unterworfen, allerdings mit zwei Besonderheiten: Die garantierten Zucker preise waren immer mit einer Mengenbe schränkung durch die Quote verbunden. Das verhinderte Zuckerberge. Außerdem war die Zuckermarktordnung trotz der Stützpreise haushaltsneutral. Die Erzeuger haben sie mit ihrer Produktionsabgabe selbst finan ziert. Dennoch kam auch der Zucker nicht an gründlichen Reformen vorbei. Das GattAb kommen beschränkte die Ausfuhr des sub ventionierten Zuckers aus der EU. Verträge mit den AKPLändern und der freie Marktzu gang für die ärmsten Länder der Welt öffne ten die Außengrenzen der EU. Die Marktord nung wurde erstmals für das Wirtschaftsjahr 2006/7 gründlich umgebaut. Unter anderem wurde der Mindestpreis für Zucker um rund 40 Prozent gesenkt. Angaben in Millionen Tonnen 147,9 150 134,2 137,3 140,3 140,6 151,6 153,8 155,1 150 141,6 125 125 Mehr Marktanteile trotz Krise Volle Butterläger und hohe Getreideberge chon in der Gründungsphase sind Europa und seine gemeinsame Agrarpolitik (GAP) eine feste Bindung eingegangen. In den Römischen Verträgen wurde 1957 eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln als Ziel der Gemeinschaft festgelegt. Im Januar 1962 verabschiedeten die sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dann erste Agrarmarkt– ordnungen. Doch im Laufe der Jahre wurden viele Steuerungsmechanismen zurückgefahren. Milchanlieferung in der EU-28 Milch Im Jahr 1984 wurde die Milchquote eingeführt, um Überschüsse am Markt langfristig in den Griff zu bekommen. Milchseen, die es in Wirklichkeit nie gab, sind heute noch legendär. Tatsa che sind dagegen hohe Interventions bestände an Butter und Magermilch pulver zu Beginn der 1980er Jahre, welche die EUKommission zum Han deln zwangen. Doch die beschlossene Mengenbeschränkung funktionierte mehr schlecht als recht. Eine Strafab gabe wurde erst fällig, wenn nach der Saldierung aller Milcherzeuger die nationale Quote überschritten wurde. Wer zu viel produzierte, konnte immer noch auf eine nachlassende Erzeugung der anderen setzen. Die Quote wurde in der Reform von 2003 auf das Jahr Mö 2015 befristet. 100 100 Foto: Struck W eniger Staat – mehr Markt. Auf diese Formel lässt sich der Rückzug der Politik aus der Milchmengensteuerung nach Auslaufen der europäischen Quotenregelung reduzieren. Damit wurde den Landwirten ein Stück unternehmerische Freiheit zurückgegeben. Es zeigt sich allerdings, dass die europäischen Bauern mit der unternehmerischen Freiheit unterschiedlich umgehen. 0 2009 2010 2011 2012 2013 Quelle: EUKommission; * Schätzung, **Prognose 2014 0 2015* 2016** 2017** © agrarzeitung Dennoch, und das wird häufig übersehen, konnte gerade im vergangenen Jahr die deutsche Milchwirtschaft erhebliche Anstiege beim Export von Butter und Milchpulver verzeichnen. Mit anderen Worten: die deutsche Molkereiwirtschaft hat selbst in Krisenzeiten Marktanteile gewonnen. Andererseits sind aber auch durch politische Entscheidungen, wirtschaftliche Entwicklungen und nicht zuletzt auch durch den gesunkenen Ölpreis wichtige Kunden wie Russland, China und Nordafrika ganz oder teilweise weggebrochen. Immerhin war China einer der bestbezahlenden Abnehmer für Milchpulver. neue Absatzmöglichkeiten für Käse zu finden, was allerdings stets mit mehr oder weniger deutlichen Preiseinbußen verbunden war. Darüber hinaus leiden wichtige Importländer für Milchprodukte wie Mexiko und Nigeria unter dem massiven Preisverfall für Rohöl, oder sind, wie die Staaten Nordafrikas, durch instabile innere Verhältnisse geprägt. Von einer eventuell steigenden Nachfrage Chinas nach Molkenpulver und Laktose – insbesondere zur Produktion von Babynahrung – und der Marktöffnung Irans sind unterdessen keine entscheidenden Impulse für eine nachhaltige Marktbelebung zu erwarten. Gravierend sind die Handelsrestriktionen zwischen der EU und Russland. Davon ganz besonders betroffen ist vor allem das Geschäft mit Käse, einer tragenden Säule der deutschen Molkereiwirtschaft. Zwar ist es durchaus gelungen, in Drittländern Dennoch sollte die deutsche Milchwirtschaft an der Exportstrategie festhalten, da sie trotz aller aktuellen Schwierigkeiten eine erhebliche Wertschöpfung bringt. Eine Abkehr vom internationalen Milchmarkt ist dabei sicherlich kei- ne vernünftige Lösung. Nationale Regulierungsgedanken stehen nach Ansicht von Robert Hofmeister, dem Präsidenten des Verbandes der bayerischen privaten Milchwirtschaft (VBPM), im Gegensatz zu der von der Politik gewollten Liberalisierung der Märkte – ganz abgesehen davon, dass diese Maßnahmen in globalisierten Märkten auch nicht greifen würden. Andererseits: Eine wirklich positive Trendwende hin zu einer Belebung der Nachfrage ist derzeit – auch international – kaum auszumachen. Der heimische Markt werde ins Gleichgewicht kommen, wenn entweder die Nachfrage am internationalen Markt wieder stärker steigt, oder die Produktion – auch in der EU – zeitweilig zurückgeht. Zu dieser Erkenntnis kommt jedenfalls Monika Wohlfahrth, Geschäftsführerin der ZMB. Für die Marktbeobachterin ist freilich ein schnelles Anziehen der Nachfrage am Weltmarkt angesichts der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit nachlassendem Wachstum in China, schwachen Rohstoffpreisen, Währungsturbulenzen und verschiedenen geopolitischen Konflikten unwahrscheinlich. Kurzfristige Impulse müssten daher eher von sinkender Milchproduktion ausgehen. Exportstrategie ohne Alternative Bislang ist jedoch eine Reaktion der Erzeuger auf die gesunkenen Markterlöse noch nicht erkennbar. Im Gegenteil führt die prekäre Marktlage in den Betrieben sogar zu einer inversen Angebotsreaktion einzelner Milchbauern: Um die rückläufigen Erlöse auszugleichen, steigern Landwirte bis zu einer gewissen Preisschwelle oftmals zusätzlich die Produktion. HH 54 Märkte Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Man kann sich nicht auf den Worst Case vorbereiten“ Damoklesschwert iluc-Faktoren schwebt über Rapsmarkt – Überkapazitäten in Ölmühlenbranche – Palmöl-Angebot wird deutlich wachsen Die Ölmühlenwirtschaft hat gleich mit mehreren Herausforderungen zu kämpfen: Schwache Margen und Überkapazitäten setzen die Unternehmen unter Druck. In wenigen Jahren wird EU-weit die verbindliche Anrechnung von Faktoren indirekter Landnutzungsänderung, kurz iluc-Faktoren, wieder diskutiert werden. Wilhelm F. Thywissen, Generalbevollmächtigter der Ölmühle Thywissen in Neuss und Präsident von Ovid, dem Verband der Ölsaaten verarbeitenden Industrie in Deutschland, warnt dennoch davor, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Die Klimaziele von Paris können den Biokraftstoffen und somit dem Ölsaatensektor Auftrieb verleihen, erläutert Thywissen im Interview mit der agrarzeitung. agrarzeitung: Im Jahr 2020 kommt die Frage, ob EU-weit eine verbindliche Anrechnung von iluc-Faktoren auf die Klimabilanz von Biokraftstoffen erfolgen soll, wieder auf den Tisch. Wie würde sich die Einführung von iluc-Faktoren auf die Produktion von Biodiesel aus Raps auswirken? Thywissen: Der iluc-Faktor wäre unter den Anforderungen der Treibhausgasvermeidung zu hoch, das würde das Aus für Biodiesel aus Raps bedeuten. Und was bedeutet das konkret für die gesamte Wertschöpfungskette Raps in der EU und somit auch in Deutschland? Thywissen: Vor Beginn der massiven Förderung von Biokraftstoffen Anfang der 2000er Jahre haben wir in der EU 12 Millionen Tonnen Raps erzeugt, danach etwa 24 Millionen Tonnen. Die 12 Millionen Tonnen Raps beziehungsweise das daraus hergestellte Öl sind in die Lebensmittelschiene geflossen, der Zuwachs auf 24 Millionen Tonnen ergibt sich aus dem Bedarf für Biokraftstoffe. Wenn die Biokraftstoffverwertung wegfällt, dann fällt auch die Rapsproduktion wieder zurück auf die Größenordnung von 12 Millionen Tonnen. Für die anderen 12 Millionen Tonnen gibt es keinen alternativen Absatz. Was hätte das für eine Konsequenz für die ölsaatenverarbeitende Industrie in Deutschland? Thywissen: Dann wären die Kapazitäten natürlich viel zu hoch – sie sind ja gewachsen durch die Biokraftstoffproduktion. Wir hätten Riesenprobleme. Es würde weiter Biokraftstoffe geben, aber hier dürften vor allem Altspeisefette und Palmöl zum Einsatz kommen. Also wäre Palmöl ironischerweise der Gewinner der iluc-Diskussion? Hinter der Einführung von iluc-Faktoren steckt ja nicht zuletzt die Absicht, das Roden von Regenwäldern zugunsten der Biokraftstofferzeugung zu stoppen … Thywissen: Ölpalmen sind sehr effizient. Palmöl braucht nur 6 Prozent der Agrarfläche für die Deckung von 38 Prozent des globalen Bedarfs an Pflanzenölen. Allerdings wächst die Ölpalme nur in sehr heißen Regionen, wo auch die Urwälder wachsen. Trotzdem werden wir in den kommenden 25 Jahren eine Verdopplung des Angebots an Palmöl sehen. Es wird eine zusätzliche Nachfrage dafür geben, aber auch insgesamt ein Überangebot an Ölen entstehen. Aber zurück zu den Konsequenzen für die ölsaatenverarbeitende Industrie hierzulande … Thywissen: Die Konsequenzen wären bis in die Landwirtschaft hinein zu spüren. Landwirte brauchen in der Fruchtfolge eine Hackfrucht. Eine andere Hackfrucht außer Raps wäre die Rübe, und wir wissen ja, dass der Zuckermarkt sich mit dem Wegfall der Zuckerquote 2017 auch neu finden muss. Wobei der Rapsanbau nur durch die politische Förderung der Biokraftstoffe enorme Zuwächse erhalten hat und auf dem heutigen Niveau angelangt ist … Thywissen: Ja, sicher. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass 60 Prozent dessen, was wir vom Rapsfeld holen, im Futtertrog landet. Das haben wir doch hervorragend untergebracht. Das hat doch der Markt gebraucht, und braucht es auch heute noch. Zusätzlich entsteht bei der Produktion von Biodiesel Glycerin. Das ist ein wertvoller Teil des Öls und nützlich für viele Anwendungen. Zwei Drittel der Biomasse von Raps wird außerhalb des energetischen Sektors genutzt. Das wird nicht sachgerecht gewürdigt bei der Erstellung der iluc-Modelle. Nichtsdestotrotz haben wir auch heute die Situation, dass EU-weit deutlich mehr Soja- als Rapsschrot ins Mischfutter fließt … Thywissen: Im Jahr 2015 haben die deutschen Landwirte erstmals mehr Rapsals Sojaschrot verfüttert. Wir haben in Deutschland ein großes Einsatzfeld für Rapsschrot. Früher war es nur die Wiederkäuerfütterung, heute ist es im Schweinebereich genauso interessant, teilweise auch der Geflügelsektor, sodass wir doch immer wieder neue Bereiche erobern konnten. Wie würden Sie das Wachstumspotenzial beziffern, wenn man die Diskussion um iluc-Faktoren einmal außen vor lässt? Thywissen: Wenn die Ernten jährlich um 1,5 bis 2,5 Prozent wachsen, werden sich auch Verarbeitung und Absatz in der Richtung weiterentwickeln. Wir haben nur momentan das Ungleichgewicht, dass wir mehr Protein brauchen als Öl. Woran liegt das? Thywissen: Das hat mehrere Gründe. Altspeisefette werden mit einer Treibhausgasminderungs-Quote von 90 Prozent angerechnet. Biodiesel auf Raps kommt auf 60 bis 65 Prozent. Hinzu kommt, dass Rohöl gerade extrem billig ist und dadurch auch der Preisabstand zwischen Mineral- und Pflanzenölen sehr hoch ist. Die Mineralölindustrie versucht in dieser Situation natürlich, die aktuelle Treibhausgas-Quote von 3,5 Prozent zu erfüllen, indem sie möglichst wenig Biokraftstoff beimischt. Im Übrigen ist diese Quote viel zu niedrig, denn wir hatten schon 2014 etwa 4 Prozent erreicht. Wie wird sich das in diesem Jahr auf die Beimischung von Biodiesel aus Raps auswirken? Thywissen: Die Beimischung wird sich im Vergleich zum Vorjahr um mindestens 40 Prozent reduzieren, denke ich. Denn die Beimischungs-Quote kann ja auch mit gebrauchten Altfetten erfüllt werden, die aus der ganzen Welt zur Verfügung stehen. Die Doppelanrechnung in den übrigen EU-Staaten und die Treibhausgasminderungs-Quote in Deutschland für diese Altfette sind ja geradezu ein Anreiz, Abfälle zu produzieren. Wir haben in Deutschland ein großes Einsatzfeld für Rapsschrot.“ Da es im Biokraftstoffbereich gerade nicht so rosig aussieht: Weckt denn der Lebensmittelbereich noch Wachstumsfantasien für den Rapsmarkt und die Verarbeiter? Thywissen: Sicherlich gibt es da Wachstumsmöglichkeiten, aber auf niedrigem Niveau. Es gibt ja heute zum Beispiel auch streichfähige Butter, der man Rapsöl beimischt. Das sind kleine Neuerungen, die immer mal wieder auftreten und die Nachfrage erhöhen. Aber sind das Innovationen, die mit einem großen Mengenabsatz einhergehen? Thywissen: Nein, das könnte einen wegfallenden Absatz von Biodiesel nicht auffangen. Eindeutig nein. Inwieweit ist das vielfach diskutierte Thema Bioökonomie für Ihre Branche ein Hoffnungsträger? Thywissen: Das ist nichts, was wir morgen in Mengen umsetzen können. Die Industrie, die Politik – alle Beteiligten fangen ja jetzt gerade erst an, sich verstärkt mit dem Thema Bioökonomie auseinander- Auf einem benachbarten Firmengrundstück stellt ein großer Lebensmittelkonzern Mayonnaisen und Salatsaucen her – ein Abnehmer in Sichtweite zum Stammsitz. Beständig donnern schwere Lkw die Straße im Industriegebiet am Neusser Hafen entlang. Doch viel wichtiger als der Transport via Laster ist für die Ölmühle C. Thywissen GmbH mit ihren rund 110 Mitarbeitern der Wasserweg: Strategisch günstig direkt am Rhein gelegen, schlägt das Unternehmen, das im Jahr 1839 gegründet wurde und seit sechs Generationen familiengeführt ist, rund 80 Prozent der Ware über Schiffe um. Etwa 18 Prozent entfallen auf Lkw und nur 2 Prozent auf die Schiene. Mindestens zwei Schiffe am Tag liefern der Ölmühle am Hafen in Neuss Rohware wie Raps-, Sonnenblumen- oder Leinsaat aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt an, die anschließend gereinigt, getrocknet, gepresst und zu Pflanzenölen Fotos: Pionke Strategisch günstig gelegen Anlegeplatz am Rhein: Gut 80 Prozent der Ware schlägt die Firma Thywissen über den Wasserweg um. unterschiedlicher Qualitäten veredelt werden. Rund 13 000 t Saat können an dem Neusser Standort gelagert werden; Edelstahltanks ermöglichen die Aufbewahrung von 38 000 t Öl. Die Kapazitäten geben einen Crush von bis zu 2 300 t Saat täglich her. Insgesamt verarbeitet die Firma Thywissen in Neuss rund 700 000 t Saat jährlich zu Öl, aber auch zu Schrot, das als eiweißhaltiges Futtermittel in der Nutztierhaltung begehrt ist. Auf diese Weise entstehen 280 000 t Öl und 420 000 t Schrot. Am Hauptstandort Neuss stellt die Firma Thywissen Pflanzenöle, Lecithine und Ölschrote her und handelt mit diesen Produkten. Als zweites, kleineres Standbein produziert die Thywissen GmbH Biodiesel im westfälischen Marl mit Agravis, Bunge und Diester Biodiesel im Gemeinschaftsunternehmen Natural Energie West. Ferner gehört eine Malzmühle in Hürth zum pio Unternehmen. Vor der Ahnengalerie: Wilhelm F. Thywissen ist Generalbevollmächtigter der Ölmühle Thywissen GmbH, die seit mittlerweile sechs Generationen familiengeführt ist. zusetzen und sich darauf zu verständigen, was man darunter versteht. Das Thema Bioökonomie wird uns in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen und steckt jetzt erst im Diskussionsstadium. Das kann ich nicht in die Budgetplanung für die nächsten fünf Jahre einbeziehen. auf Biokraftstoffe ausgerichtet, sondern größtenteils auf den Lebensmittelbereich. Wir werden das in irgendeiner Art und Weise schaffen. Um noch einmal auf das Thema iluc-Faktoren zurückzukommen: Wie planen denn die Ölmühlenbetreiber damit? Man muss ja auch ins Kalkül ziehen, dass der Worst Case, die Anrechnung der iluc-Faktoren, kommt … Thywissen: Man sollte nicht hoffnungslos in die Zukunft schauen. Wir haben doch gerade in Paris auf der Klimakonferenz mit großem Jubel Beschlüsse zur CO2-Einsparung gefasst. Diese Beschlüsse sind unglaublich ambitioniert. Im Moment diskutiert man politisch nicht über deren Umsetzung. Wir können die Vorgaben nicht allein durch Windkraft, Biogas und Solarenergie erfüllen. Wir haben gerade einmal 1 Prozent Erdgas durch Biogas ersetzt – ich empfinde das nicht als viel. Das wird die Energiewende nicht zum Erfolg bringen. Wir dürfen auf nichts verzichten, was uns auf dem Weg weiterbringt. Und wie ist es um die Ölmühlen bestellt, die sich rein auf die Biokraftstoffschiene positionieren? Thywissen: Ich denke, dass die größere Probleme haben werden. Diese Unternehmen müssen häufig noch Abschreibungen leisten und müssten auch erst einmal als Lieferant für den Lebensmittelsektor Fuß fassen. Es ist ja nicht so, dass man sagt ‚Ich habe etwas Fettiges im Angebot‘ und dann morgen liefern kann. Man muss ein passendes Qualitätsmanagement haben, man muss auditiert sein, man muss eine Menge von Voraussetzungen erfüllen, um die Differenz zwischen Biodieselrohstoff und Lebensmittelrohstoff zu überbrücken. Sie wollen also die Biokraftstoffe über die Schiene Klimaabkommen retten? Thywissen: Biokraftstoffe sind ja unter anderem aus dem Klimaschutzgedanken heraus so stark gefördert worden. Und auch mit dem Gedanken, sich aus der absoluten Abhängigkeit von Mineralöl zu befreien. Die Biokraftstoffe zählen zu den wenigen leistungsfähigen Beiträgen auf dem Weg zum Klimaschutz und zur Unabhängigkeit von Erdöl. Die Effizienz muss man in anderen Bereichen erst suchen – das ist vielleicht noch die Windkraft, aber da hört es auch schon allmählich auf. Und was ist mit Biokraftstoffen der sogenannten zweiten Generation, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen? Thywissen: Die sollen das Allheilmittel sein, aber aus der Richtung sehe ich bisher keinen praxisfähigen Beitrag. Um die Ziele zur Klimagaseinsparung zu erreichen, muss man mit allem weiterarbeiten, was sich bisher als effizient erwiesen hat , und bei Biodiesel aus Raps haben wir deutliche Fortschritte erzielt. Zu Beginn haben wir mit 38 Prozent Treibhausgas– einsparung kalkuliert, heute sind wir nachweisbar bei 60 bis 65 Prozent. Das sind die Fakten. Aber wenn der politische Wille fehlt, können die Beschlüsse dennoch anders ausfallen. Deshalb noch einmal: Wie bereitet sich die Ölmühlenwirtschaft auf den Worst Case verbindliche iluc-Faktoren vor? Thywissen: Sie können sich nicht auf den Worst Case vorbereiten. Dann würden also Mühlen dichtmachen? Thywissen: Ja, dann würde es zu einem Verdrängungswettbewerb kommen. Sie sind nicht nur Ovid-Präsident, sondern auch Gesellschafter einer Ölmühle: Wie sehen Sie sich da als Unternehmer positioniert? Thywissen: Die Ölmühle Thywissen verfügt über einen Standort, der mehr als 175 Jahre überlebt hat in den verschiedenen Wirren dieser Zeit, seien es Kriege oder technische Neuerungen. Ich glaube, dass unsere Firma eine gute Ausgangssituation hat, sich trotz iluc-Faktoren weiterzuentwickeln. Wir sind ja nicht allein Wie viele Ölmühlen sind denn im Zuge des Biokraftstoffbooms neu gebaut worden? Thywissen: Sicher sind fünf oder sechs Standorte zusätzlich gebaut worden. Natürlich haben die Betreiber dieser Anlagen auch ein Interesse daran, dass die Politik einen Wirtschaftszweig, in den sie sie hineingetrieben hat, jetzt nicht in Beliebigkeit aufgibt. Daraus leiten sie eine gewisse Verantwortung der Politik dem Sektor gegenüber ab. Mit dem Argument Überkapazitäten und niedrige Margen hat Cargill Anfang 2016 angekündigt, den Standort Mainz zu schließen. Das sind Probleme, mit denen Cargill nicht alleine dasteht. Denken Sie, dass noch mehrere Mühlenstandorte diesem Beispiel folgen werden? Thywissen: Es kann sein, dass auch noch andere Unternehmen sich dazu entschließen müssen, die rein auf Biokraftstoffe ausgerichtet sind, die noch Abschreibungen auf ihre Anlagen leisten müssen und daher eine schwierige Kostensituation haben. Aber ich kann ihnen nichts dazu sagen, wie die Überlegungen in den einzelnen Häusern sind, das wird die Zeit zeigen. Wenn die Marktsituation so bleibt, wie sie heute ist, werden zwangsläufig noch Marktkapazitäten geschlossen werden müssen. Sie rechnen also mit einem Strukturwandel? Thywissen: Ist das Zurückfahren von Kapazitäten schon ein Strukturwandel? Ich würde es erst einmal eine Korrektur nennen. Wir haben in den letzten Jahren neue Ölmühlen gesehen und alte Ölmühlen haben investiert, dadurch ist zusätzliche Kapazität entstanden. Die Auslastung ist heute bestimmt nicht bei 90 Prozent. Dass das für den einen oder anderen Standort bitterer ist als für andere Unternehmen, das kann man nicht ausschließen. Kann man was anderes tun gegen das Überkapazitätsproblem als unter Kapazität zu arbeiten? Thywissen: Es gibt auf der ganzen Welt Ölmühlenkapazitäten. In Brasilien gibt es Anlagen, die in einer Woche die gleiche Menge an Öl produzieren wie manche deutsche Anlage in einem Jahr. Es ist also nicht so, dass wir sagen können, das Zeug, das wir hier nicht loswerden, fließt in den Export. Wir werden uns vor Ort behaupten müssen. Wie kann dies gelingen? Thywissen: Die Qualitätsanforderungen für den Lebensmittelbereich werden in Europa immer strenger. Wenn in der EU auf einmal ein Pflanzenschutzmittel verboten wird, kann man nicht einfach auf andere Saat aus einer anderen Region ausweichen, in der das fragliche Mittel noch zugelassen ist. Die Qualitätsanforderungen für den Lebensmittelbereich kann ich am besten erfüllen, wenn ich die gesamte Wertschöpfungskette von Landwirtschaft über Lagerung bis hin zum Handel überblicken kann. Insofern haben wir mit den Saaten, die regional zur Verfügung stehen, die besten Möglichkeiten, uns am Markt zu behaupten – zumindest im Lebensmittelbereich. Bei Biokraftstoffen ist das anders, da sind die Qualitätsvorgaben eher technischer Art und nicht ganz so schwierig zu erfüllen. Welche Perspektive hat denn der Export von Pflanzenölen und Ölschroten aus Deutschland? Thywissen: Bei Raps- und Sonnenblumenschroten haben wir schon heute Exportquoten von 34 beziehungsweise 65 Prozent, aber die Ware fließt natürlich ganz wesentlich in den EU-Binnenmarkt. Export in Drittstaaten von Rapsöl oder Leinöl gibt es auch, aber nicht in der Größenordnung, dass man dadurch die Mengen ersetzen könnten, die Biokraftstoffe heute für sich reklamieren. Ich wüsste auch nicht, wo Märkte liegen, die eine solche Aufnahmekapazität haben. In Schwellenländern, besonders in Asien, wird ein deutliches Nachfragewachstum nach Nahrungsmittelrohstoffen prognostiziert … Thywissen: Aber in Asien ist Palmöl das etablierte Öl. Es ist ja nicht nur billig, sondern auch in der dort heimischen Küche bekannt. In Asien ist Raps ein Exot. Wenn man irgendwo am Weltmarkt 500 000 Tonnen Rapsschrot oder -öl zusätzlich unterbringen will, muss man schon viel dafür tun … Das Gespräch führte Stefanie Pionke Zur Person Wilhelm F. Thywissen, Jahrgang 1953, ist Generalbevollmächtigter der Ölmühle Thywissen GmbH. Seit den 1980er Jahren ist der Diplom-Kaufmann in der Ölmühlenbranche tätig. Thywissen engagiert sich zudem in Wirtschaftsverbänden: Seit 1998 ist er Präsident von Ovid – Verband der Ölsaaten verarbeitenden Industrie in Deutschland. Ein Jahr später, 1999, stieg der Rheinländer in den Vorstand der Union zur Förderung von Oel- und pio Proteinpflanzen (Ufop) ein. Karriere 55 Foto: Landpixel Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Studiert wird fleißig. Doch vielen Absolventen mangelt es an anwendbarem Wissen. Die Agrarwirtschaft bessert bei Bedarf betriebsintern nach. Jobs besetzen mit Anspruch Praktische Berufsausbildung in der Landwirtschaft Zahl der Lehrlinge 1948/49 in Westdeutschland Zwischen demografischem Wandel und fehlender Praxisreife: Das Duale Studium schafft dabei Abhilfe. Auch Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, um Mitarbeiter zu gewinnen. Katja Bongardt Ressort Hochschule & Karriere S tudieren wird immer beliebter. Die Zahl der Erstsemester ist mittlerweile mit der Zahl der Lehrlinge gleichauf. In beiden Bildungsbereichen gibt es in Deutschland insgesamt jährlich rund 500 000 Anfänger. Das hat zwei Ursachen. Zum einen schrumpft die Menge der Schulabgänger, zum anderen wollen von den Abiturienten immer mehr studieren. Durch diese Verschiebung in Richtung Hochschule raten Experten dringend zu neuen Bildungskonzepten. Sonst bestehe die Gefahr, Die grünen Berufe können dem Abwärtstrend noch trotzen. Ungeachtet des Preisverfalls und mancher kritischen Verbrauchermeinung steigt der Beruf Bauer sogar in der Gunst der Schulabgänger. Bundesweit wurden 2015 in der Landwirtschaft rund 13 500 neue Ausbildungsverträge geschlossen. Das ist ein Plus von über 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. So erfährt die Berufsausbildung zum Landwirt in Rheinland-Pfalz mit einem Zuwachs von mehr als 30 Prozent einen äußerst kräftigen Anstieg. Ein Kammermitarbeiter erklärt den Anstieg als das Ergebnis einer intensivierten Öffentlichkeitsarbeit. Ungeachtet der anhaltenden Nachfrage nach einer Ausbildung zum Landwirt deckt die Zahl der Schüler den Bedarf aber nicht. Insbesondere in den ostdeutschen Betrieben macht sich das bereits deutlich bemerkbar. Und auch die Schulen selber sind betroffen. „Wir haben einen demografischen Wandel. Die Babyboomer werden in den kommenden 10 Jahren in Rente gehen“, sagt der Bildungsexperte des Deutschen Bauernverbandes, Martin Lambers. Ab 2020 werde es eine massive Ruhestandswelle geben. Deshalb werde ein Großteil der grünen Berufsschul- und Fachschullehrer, die jetzt noch arbeiteten, nicht mehr in den Schulen zu finden sein. „Und es dauert sieben bis acht Jahre, bis man einen Lehrer gut qualifiziert ausgebildet hat. Eigentlich hätte man schon längst angefangen haben müssen“, kritisiert Lambers. Ebenso ist an den Hochschulen in puncto Bildung nicht alles im Lot. Denn wer heute die Hochschule verlässt, sieht sich einer widersprüchlichen Situation gegenüber. Einerseits gibt es einen Fachkräftemangel. Andererseits nehmen die Unternehmen deswegen noch lange nicht jeden Bewerber. Berufsanfänger bräuchten heute einfach sehr lange, um praxisrelevante Themen zu verstehen, heißt es diplomatisch aus einem Pflan- zenschutzkonzern. Das liege daran, dass die Inhalte nicht mehr so tiefgreifend vermittelt würden. Ebenso wird die mehrheitliche Abschaffung des Pflichtpraktikums von vielen Seiten kritisiert. Unternehmen, die es sich leisten können, haben darauf bereits reagiert. Sie bieten Anschlussqualifizierungen, zum Beispiel über ein Traineeprogramm, oder Weiterbildungsmaßnahmen für Hochschulabsolventen. Seit wenigen Jahren kristallisiert sich eine weitere Lösung für den Arbeitsmarkt heraus, die es schaffen kann, Theorie und Praxis geschickt miteinander in Einklang zu bringen. Das Duale Studium erlebt in Deutschland eine Blütezeit. Wurde es vor drei Jahren noch von 50 Prozent aller deutschen Betriebe angeboten, so sind es in diesem Jahr bereits 62 Prozent. Aber gerade für das Duale Studium gilt: Das Unternehmen muss sich diese Qualifizierungs- und Rekrutierungsmaßnahme auch leisten können. Schließlich gilt es, Lehre und Studium des begehrten Nachwuchses zu finanzieren. Das ist gerade für kleinere Betriebe nicht immer machbar. 11 408 7 436 Landwirt Landfrau und Bäuerin 17 500 Pelztierzüchter 191 Geflügelzüchter 1 Schweinewärter Melker 230 Schäfer Foto: Bundesarchiv dass es zu einer „dysfunktionalen Konkurrenz“ um zurückgehende Schulabsolventen komme. Die Konkurrenz gibt es bereits. Quelle: Statistisches Bundesamt 56 Karriere Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Deutschland ist in der Gentechnik abgekoppelt“ Das Interesse an landwirtschaftlichen Themen steigt. Doch nicht alle Forschungsgebiete sind hierzulande erwünscht. Etwas mehr Konzentration würde der Agrarforschung in Deutschland ganz guttun, meint der Agrarökonom und Politikberater Prof. Matin Qaim. Und wie es um die Grüne Gentechnik hierzulande bestellt ist, erläutert er ebenfalls im az-Interview. agrarzeitung: Spielen die Agrarwissenschaften in Deutschland noch in der ersten Liga? Qaim: Die deutsche Agrarforschung ist nach wie vor sehr gut. Ich würde sie durchaus unter den ersten drei oder vier führenden Nationen weltweit sehen. Wer ist für Sie heute der bedeutendste deutsche Agrarforscher? Qaim: Einzelne Personen sind nicht mehr so schillernd, wie das vielleicht in der Vergangenheit war. Ich würde ungern aktuelle Namen im gleichen Atemzug mit historischen deutschen Agrarforschern wie Justus von Liebig oder Albrecht Thaer nennen. Sondern? Qaim: Einzelne Wissenschaftler mit vergleichbar bahnbrechenden Entdeckungen finden Sie auch in anderen Nationen nicht mehr. Denn vieles ist bereits bekannt. Man arbeitet heute an kleineren Stellschrauben und meist in größeren Teams. Es gibt aber trotzdem immer wieder auch sehr interessante neue Erkenntnisse. Besonders dynamisch ist der Bereich der modernen Biotechnologie, inklusive der Gentechnik und des Genome Editing. Wie steht es um die Hochschulstruktur in Deutschland. Wäre die Konzentration auf einen Standort wie in den Niederlanden sinnvoll? Qaim: Das Modell Wageningen wäre für Die Studentenzahlen in den Agrarwissenschaften steigen. Das mit der Begeisterung scheint ja noch zu funktionieren. Qaim: Ja, das funktioniert ganz gut. Dabei hatte man noch in den 1990er Jahren vermutet, dass die Agrarforschung ein aussterbender Ast ist. Aber die Bedeutung hat eher zugenommen. Ernährungssicherung, nachwachsende Rohstoffe, ländliche Armut, Schutz natürlicher Ressourcen und Klimawandel sind einige der großen Themen, die Agrarwissenschaftler typischerweise bearbeiten. Hinzu kamen die turbulenten Preisentwicklungen auf den Agrarmärkten in den letzten 10 Jahren. Deutschland als ein wesentlich größeres Land nicht die ideale Strategie. Denkbar wäre eine Konzentration auf drei oder vier Standorte, an denen man das Komplettangebot an agrarwissenschaftlicher Expertise in ausreichender Größe hätte. Davon könnte eine große Strahlkraft ausgehen. Das würde die besten Studierenden und Doktoranden anlocken. Über eine solche Bündelung wäre man auch eher in der Lage, große Konsortien im internationalen Kontext auf die Beine zu stellen und zu leiten. Nur noch drei Standorte in Deutschland? Qaim: Das heißt nicht, dass es nicht einige zusätzliche Standorte geben könnte, die sich weniger auf exzellente Forschung und mehr auf unmittelbare Anwendungsorientierung und grundständige Lehre konzentrieren würden. Wo sollte die Exzellenz stattfinden? Qaim: Am ehesten würde ich an Hohenheim und Göttingen denken, die momentan in der deutschen Agrarforschung führend sind und damit gute Voraussetzungen bieten. Haben Sie ein Vorbild? Qaim: Meine Vorbilder sind Wissenschaftler, die den Blick für das große Ganze haben. Meiner Meinung nach hat sich das oberste Ziel der agrarwissenschaftlichen Forschung im Zeitlauf der Jahrhunderte nicht geändert. Es lautet immer noch: Zu einer nachhaltigen Ernährungssicherung beitragen. Darüber hinaus zählen Menschen, die andere Leute für ihre Themen und ihre Arbeit begeistern können, zu meinen persönlichen Vorbildern. Hohe Erträge werden von der Gesellschaft nicht mehr per se als etwas Gutes betrachtet.“ Was hat das mit mehr Erstsemestern zu tun? Qaim: Durch die Preisspitzen 2007/08 erkannte man, dass es zukünftig ernste Knappheiten bei der Nahrungsmittelversorgung geben kann, das hat einen neuen Schub im Sektor ausgelöst. Leute mit einer entsprechend guten Ausbildung waren auf einmal auf dem Arbeitsmarkt wieder sehr gefragt, sowohl national als auch international. Die gesellschaftliche Diskussion führt aber auch dazu, dass bestimmte Forschungsthemen in Deutschland nicht mehr möglich sind. Qaim: Ja. Die Gefahr sehe ich schon. Deutschland ist beispielsweise beim Thema Gentechnik in der Tat fast schon abgekoppelt. Es gibt zwar vereinzelt noch sehr gute Wissenschaftler auf diesem Gebiet, die aber sehr grundlagenorientiert arbeiten. Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen sind in Deutschland so gut wie unmöglich geworden. Das negative gesellschaftliche Klima schreckt auch den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich Pflanzenbiotechnologie komplett ab. zen, an die der Sektor sich anpassen muss. Beim Thema Gentechnik ist das anders, hier ist die gesellschaftliche Ablehnung von einem kompletten Missverständnis geprägt, das korrigiert werden muss: Gentechnik ist nicht gefährlicher als konventionelle Züchtung, und sie kann entscheidend zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Es wäre vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen töricht, diese Potenziale nicht zu nutzen. Auch Unternehmen haben die Biotechnologie-Forschung in Deutschland eingestellt und in andere Länder wie die USA verlagert. Qaim: Es ist sehr bedauerlich, wenn diese Sparten abwandern. Allerdings gehören viele Unternehmen zu den Gobal Playern. Die machen ihre Forschung dann eben an einem anderen Standort. Der deutsche öffentliche Sektor ist viel stärker negativ betroffen. Er kann sich eben nicht einfach woanders niederlassen. Das ist umso trauriger, weil ja viele der grundlegenden Arbeiten zur Grünen Gentechnik in Deutschland und Europa entstanden sind. Dann ist das alles nur ein Kommunikationsproblem? Qaim: Ja, beim Thema Gentechnik mache ich vor allem Greenpeace und dem BUND einen großen Vorwurf. Sie schüren bewusst Ängste auf Basis wissenschaftlich vielfach widerlegter Aussagen. Sie haben ein großes Interesse daran, die Sorgen der Bevölkerung zu befeuern, denn so generieren sie ihre Einnahmen. Gleichzeitig treffen sie auf ein großes Gehör in den Medien und der Politik. Die Fragen stellte Katja Bongardt Sehen Sie die Möglichkeit einer Umkehr? Qaim: Moderne Landwirtschaft wird in Deutschland zunehmend kritisch betrachtet. Ich glaube nicht, dass wir zu den Zeiten zurückkehren, in denen hohe Erträge von der Gesellschaft per se als etwa Gutes betrachtet wurden. Ich bin aber trotzdem optimistisch, dass wir durch verbesserte Kommunikation und Bildung wieder eine größere Offenheit gegenüber Technologien erreichen werden, die nachhaltige Entwicklung fördern können. Forschung & Politik Matin Qaim ist 46 Jahre alt und verfügt über eine hervorragende wissenschaftliche Reputation. Seit 2007 ist er Professor für Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung an der Georg-August-Universität Göttingen. Er beschäftigt sich mit Fragen der Hungerbekämpfung, Entwicklungsstrategien für den ländlichen Raum und der Rolle von neuen Technologien zur Armutsbekämpfung. Seit 2009 gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium an. kbo Wie soll das gehen? Qaim: Wir müssen differenzieren. Themen wie Tierwohl, Überdüngung, Pflanzenschutzrückstände und andere Umweltprobleme werden ihre Brisanz behalten. Wenn eine Gesellschaft reicher wird, beschäftigt sie sich stärker mit Fragen von Umweltschutz und Ethik. Hier geht es also um sich wandelnde Präferen- Rendsburg Kiel Rostock Neubrandenburg Eberswalde Berlin Osnabrück Kleve Bernburg Göttingen Soest Kassel Halle Dresden Köln Bonn Gießen University of Applied Sciences (Fachhochschule) Bingen Universität Mosbach Triesdorf Hohenheim Nürtingen Freising München Bildung Beruf Zahl der Universitäten und Fachhochschulen, an denen Agrarwissenschaften und Fachverwandtes studiert werden kann: 10.000 Agrarforscher 285.000 landwirtschaftliche Betriebe Verhältnis Forschung/Praxis 24 Zahl der Berufsschulen: 363 Zahl der Studenten: 24 000 ca. 1:30 Einstiegsgehalt Hochschulabsolvent: Zahl der Auszubildenden: 34 000 unter 40 000 € Gewinn der Haupterwerbsbetriebe: 63 000 € Quellen: Destatis, BMEL, VDL, eigene Schätzung Die Zukunft 57 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Der Blick nach vorn B ei einem runden Jubiläum ist der Blick zurück ein fester Bestandteil der Festschriften. Vor allem diejenigen, die einiges davon am eigenen Leibe erfahren haben, nutzen Rückblicke gern zur Erinnerung. Bei Schülern und Studenten ist der zurückgelegte Weg noch nicht so lang. Umso geeigneter erschienen sie der Redaktion der agrarzeitung für das Vorhaben, den Spieß einmal umzudrehen. Nicht 70 Jahre zurück, sondern 70 Jahre nach vorn sollten die Projektteilnehmer schauen. Die Ausgangslage lautet: Wir befinden uns im Jahr 2086. Auch in 70 Jahren besteht ein Bedürfnis nach Fachinformationen aus der Agrarwirtschaft. Wie aber könnte die agrarzeitung in 70 Jahren aussehen? Folgenden Herausforderungen mussten sich die 29 Projektteilneh- A Fa nz ch eig sc e hü n g le es r N ta ils ltu W ng öl : er Das Kreativ-Team der Hochschule Osnabrück setzt sich zusammen aus dem ersten Jahrgang des neu angebotenen Schwerpunktes Medien- und CSR-Kommunikation. Er wird von der Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur angeboten (v.l.n.r.): Maire Beuth, Johanna Haase, Christina Lenfers, Regina Hemme, Ines Ruschmeyer. Herausgekommen sind Artikel und Kleinanzeigen. mer stellen: 1. Gestaltung einer Werbeanzeige zum Thema Düngemittel, Spritzmittel oder Tierernährung oder zu einem in der Landwirtschaft benötigten Produkt, das es heute noch nicht gibt. 2. Gestaltung einer Stellenanzeige für eine Position in der Agrarwirtschaft. 3. Verfassen eines Artikels über Agrarpolitik, Markt und Preise, die Landtechnik oder zu einem Thema, von dem wir jetzt noch nichts wissen, das aber in 70 Jahren eine wichtige Bedeutung hat. Foto: knipseline/pixelio.de Wir befinden uns im Jahr 2086. Der Landwirtschaftsminister heißt mit Vornamen Kevin, die Tierwohlfrage ist gelöst und Insekten als Nahrungsgrundlage sind gesellschaftsfähig geworden: 29 Landwirtschaftsschüler und Studenten haben die agrarzeitung der Zukunft gestaltet. Die Studenten und Fachschüler haben höchst kreativ und nicht selten humorvoll das aktuelle Geschehen in der Landwirtschaft kommentiert und weitergedreht. Zum Beispiel so: Die Versorgung mit tierischem Protein erfolgt zunehmend über Insekten, neue Arbeitskräfte wie der Skyscraperfarmer oder Work-Life-Balance-Instructor werden gesucht und eine neue Datenbrille misst Halmdicke und Stickstoffgehalt im Getreide. Ein weiterer technischer Durchbruch im Jahr 2086 stellt die Lösung der Tierwohlfrage dar. Winzige Sensoren, die ins Nutztier implantiert werden, machen deren Gedanken nachvollziehbar. In der Folge lassen sich für Rind, Schwein, Geflügel und weitere Nutztiere optimale Haltungsbedingungen herstellen. Die weiteren Zukunftsvorstellungen der Fachschüler der Berufsbildenden Schulen in Celle und Hannover sowie der Studenten der Hochschule Osnabrück sind hier unten sowie auf den kommenden drei Seiten zu lesen. Viel Vergnügen! kbo Die Arbeitsgruppe der Justus-von-Liebig Schule in Hannover: Jannes Buhr, Lukas Siekmann, Frederic Meyer, Arne Hundertmark, Torben Stöver, Adrian Meier, Philipp Rügge, Stefan Rust, Ylsabe-Friederike Rawe, Frank Meier, Dennis Rösener, Sascha Blzek, Fabian Wallbaum, Jens Müller, Carsten Bröskamp, Moritz Kinast (v.l.n.r.). Der gesamte Jahrgang der zweijährigen Fachschule hat gemeinsam Kleinanzeigen für das Jahr 2086 gestaltet. Insekten hoch im Kurs! Insekten an Stelle von Import- Soja endlich realisierbar! Nach ausgiebiger Forschung ist es möglich, in der Tierernährung Soja als Eiweißfuttermittel vollständig zu substituieren Die immens hohen Futtermittelpreise und die ständig gewachsene Weltbevölkerung verlangten nach einem Ausweg Insekten können diese Probleme zugleich lösen: • In der menschlichen Ernährung bieten Insekten hochwertiges Eiweiß und enthalten wichtige Omega-3-Fettsäuren • Insekten erfreuen sich gegenwärtig steigender Beliebtheit auf dem Essensteller • Im Tierfutter für Hühner und Schweine hat sich Insektenmehl hervorragend ausgezeichnet Die Vorteile bestechen auf den ersten Blick: • Der Eiweißgehalt von Insekten ist vergleichbar mit Soja und liegt zwischen 30% und 70% • Effiziente Massenproduktion ist durch eine hohe Futterverwertung möglich • Insekten verursachen wenig Treibhauseffekte und verbrauchen wenig Land und Wasser Besonders einträglich ist der nützliche Nebeneffekt der schwarzen Soldatenfliege: Bei der Aufzucht vertilgen die Larven organische Abfälle und reduzieren das Volumen um 60% • Es wird 1A Protein erzeugt und gleichzeitig Abfallstoffe dem Produktionszyklus zurückgeführt Insekten haben sich auf diese Weise als wirtschaftliche und umweltverträgliche Alternative herauskristallisiert! Das Projektteam der Albrecht-Thaer-Schule in Celle setzt sich aus zwei Klassen zusammen. Die Fachschüler im zweiten Schuljahr mit der Fachrichtung Rind oder Schwein haben sowohl Kleinanzeigen als auch Artikel verfasst, (v.l.n.r.): Inke Lehnert, Martin Hagemann, Thälke Marie Lüer, Mareike Meier, Marco Brockmann, Theresa Heß, Kristin Meyer, Frauke Molthan 58 Die Zukunft Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung „Das Vertrauen innerhalb Europas ist geschwächt“ Mehr Russland – weniger Amerika: Bundeslandwirtschaftsminister Kevin Müller erklärt seine Handelsstrategie. Das erste Mal seit dem Auseinanderbre chen der Europäischen Union durch die Uneinigkeit in der Flüchtlingskrise und die immer angespanntere finanzielle Lage einiger europäischer Staaten spricht der deutsche Landwirtschaftsminister über die aktuelle Situation des Agrarsektors. Foto: Bernd Kasper / pixelio.de Dank Drohne fällt der Einsatz von Pflanzen schutzmitteln komplett weg.“ Foto: Mareike Meier agrarzeitung: Herr Müller, wie schätzen Sie die derzeitige landwirtschaftliche Lage ein? Kevin Müller: Die Lage ist immer noch sehr angespannt, aber die noch bestehenden Betriebe erholen sich langsam. In den letzten 20 Jahren mussten 100 000 landwirtschaftliche Betriebe ihre Existenz aufgeben. Die großen Agrarindustriebetriebe konnten ihre Leistung nicht mehr halten, da nicht genügend Soja, Luzerne und Saatgut im eigenen Land angebaut werden konnten. Dadurch mussten die großen Betriebe aufgeben und die bäuerlichen Familienbetriebe, die wir schon von vor 100 Jahren kennen, haben sich wieder etabliert. Müller: Es ist unseren Forschern gelungen, Der deutsche Agrarminister Kevin Müller hält am Versiegelungsverbot fest: „Ernährung hat Priorität.“ In ganz Deutschland wurde die Versiegelung von Oberflächen in Form von Straßen, Häusern und Industrie verboten. Was denken Sie, wie lange dieses Verbot aufrechterhalten wird? Müller: Da alle bis jetzt nicht versiegelten Flächen landwirtschaftlich genutzt werden müssen, um die Ernährung sicherzustellen, kann ich Ihnen leider nicht sagen, wie lange dieses Verbot aufrechterhalten werden kann. An oberster Stelle steht nunmal die Ernährung der gesamten deutschen Bevölkerung. Nahrungssicherung Die Lage in Deutschland ist nach den Worten von Herrn Müller immer noch angespannt. Oberste Priorität besitzt nach wie vor die Herstellung von Lebensmitteln. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob sich die alten europäischen Staaten wieder vertrauen und ein Handel zwischen diesen Ländern wieder möglich sein wird. Deutschland hat vor einigen Tagen ein Handelsabkommen mit Russland abgeschlossen. Wir bekommen die Möglichkeit, Getreide und Gas zu importieren, als Exportmöglichkeit bieten sich das deutsche Solarauto und die Akkutechnik. Durch dieses Handelsabkommen ist das Verhältnis der USA zu Deutschland allerdings stark geschwächt. In den amerikanischen Medien wird bereits darüber berichtet, dass man militärische Schritte gegen diesen Verrat Deutschlands einleiten sollte. Die deutsche Regierung setzt alles daran, den USA begreiflich zu machen, dass wir uns nicht mit Russland verbündet haben, sondern dass es sich lediglich um ein Handelsabkommen handelt. Über die weitere Entwicklung der Agrarbranche kann man derzeit nur spekulieren. In den vergangenen Jahren haben sich viele Verbraucher über die steigenden Preise der Lebensmittel und über das Deutschland exportiert seit neuestem Solarautos in Richtung Russland. Im Gegenzug wird dringend benötigtes Getreide und Gas geliefert. geringe Angebot von Lebensmitteln beschwert. Immer wieder zu hören ist auch, dass es ungerecht ist, wenn die Landwirte zusätzlich die hohen Agrarsubventionen erhalten. Wie können Sie diese Ausgaben rechtfertigen, wenn man immer wieder hört, dass Deutschland zu wenig Geld hat? Müller: Die Preise für die Lebensmittel sind so stark angestiegen, da wir nicht genügend Lebensmittel im Land produzieren können. Ich befinde mich derzeit in Verhandlungen mit Frankreich und Spanien, um Lebensmittel zu importieren. Allerdings ist das Vertrauen innerhalb Europas so stark geschwächt, dass sich dies als sehr schwierig erweist. Die Agrarsubventionen wurden schon vor 20 Jahren eingestellt. Die Landwirte müssen nun, wie alle anderen Industriebetriebe auch, ihren Betrieb so führen, dass sie ohne die Subventionen auskommen. Leider haben nur zwei Drittel der 2013 bestehenden Betriebe diese Umstellung geschafft. Die Bürger werden angehalten, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Solarautos fortzubewegen. Trotzdem laufen noch einige der landwirtschaftlichen Maschinen mit Diesel. Allen ist bekannt, dass dadurch nicht genügend Diesel für unsere Maschinen der Bundeswehr zur Verfügung steht. An welchen Lösungen arbeiten Sie im Moment? unsere leistungsstarken Akkus, wie jeder sie in der Größe eines Hauses aus seinem Ort kennt, auf die Größe eines herkömmlichen Schleppertanks zu bringen. Diese Batterie ermöglicht den Landwirten gleiche Leistungen wie der Dieselschlepper. Es gibt mittlerweile auch Landwirte, die Drohnen einsetzen. Die Landwirte können ihren Drohnen Aufträge für anstehende Arbeiten geben, und diese erledigen die Aufgaben selbstständig. Zudem ist unsere Drohnentechnik so weit fortgeschritten, dass die Drohnen zwischen Nutzpflanzen und Unkräutern/Ungräsern unterscheiden können. Somit fällt der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln komplett weg. Zudem kann auf den Höfen viel Geld für Arbeitskräfte eingespart werden. Vor dem Zusammenbruch der EU sank der Milchpreis schon beachtlich unter 20 Cent für den Liter. Umgerechnet in Deutsche Mark, welche unsere jetzige Währung ist, sind dies nur 10 Pfennig. Wie haben die Landwirte es geschafft, sich aus dieser Tiefphase zu erholen? Müller: Wegen des Strukturwandels hin zu immer kleineren Betrieben haben die Großmolkereien nicht mehr genügend Milch geliefert bekommen. Durch den Mangel an ihrem Produktionsmittel mussten viele von ihnen Insolvenz anmelden. Viele der landwirtschaftlichen Betriebe haben sich infolgedessen zusammengeschlossen und sogenannte Hofmolkereien gegründet. Die Landwirte vermarkten ihre Milchprodukte nun regional und können somit ihre Preise für die Produkte selbst bestimmen. Allein durch diese Maßnahme konnte sich der Milchpreis auf 25 Pfennig einpendeln. Die Fragen stellten Mareike Meier, Marco Brockmann, Inke Lehnert Sprechende Kühe Modernste Datentechnik macht das Befinden von Tieren transparent. Die Marktlage zu damaligen Zeiten war häufig schwierig für die Landwirte. Die Preise schwankten und waren stark unter Druck, die Akzeptanz der Verbraucher für die Landwirtschaft ging zurück und auch das Ansehen der Landwirte in der Bevölkerung nahm zunehmend ab. Massentierhaltung, Antibiotikaresistenzen, Umweltverschmutzung, Tierquälerei – diese Begriffe bestimmten die Medien und damit auch das Image vor allem der tierhaltenden Landwirte. In den folgenden Jahren wurden die Sensorkapseln stetig weiterentwickelt und für andere Tierarten angepasst. Mittlerweile erfassen diese kleinen Wunderwerke nicht nur Temperatur, Herzfrequenz und Futteraufnahme, sondern auch noch Blutwerte, wie Entzündungsparameter, Nährstoffversorgung und Hormone, wie den Cortisolspiegel, der zeigt, ob ein Tier Stress hat. Die Werte werden in kleineren Beständen einzeln ausgegeben, in großen Beständen gebündelt mit Mittelwerten sowie Minimum und Maximum. Auch erfassen die Kapseln über GPS die Position des Tieres und wie viel es sich am Tag bewegt hat. So kann ein krankes oder verletztes Tier nicht nur schnell erkannt, sondern auch gefunden werden, was vor allem in den großen Geflügelställen ein Vorteil ist. „Zwar sind die Geflügelherden lange nicht mehr so groß wie früher, als Fleisch noch fast ein Wegwerfprodukt war, aber auch bei 15 000 bis 20 000 Küken im Stall ist es schwer, das eine bestimmte zu finden. Da sind die Daten der Sensorkapseln schon sehr hilfreich”, sagt Knaak. Tierarzt kommt selten Doch was bringen diese gesammelten Daten? Braucht niemand mehr Tierärzte? „Doch. Nur deutlich weniger Medikamente”, heißt es von Seiten der Veterinärbehörde. Durch die Einzeltierbeobachtung, die die Sensorkapseln ermöglichen, können die kranken Tiere entdeckt werden, bevor es überhaupt zu äußerlich „Die Fliegen gehen mir echt sichtbaren Symptomen kommt. Das macht die auf die Nerven.“ Behandlung effektiver Dank der Sensortechnik der Firma und effizienter, da man die Erkrankung bereits SmartCaps lassen sich die Gedanken der im Keim ersticken kann. Nutztiere auslesen. Foto: Joerg Trampert/pixelio.de Doch der Wandel kam. Und mit ihm eine kleine Kapsel. 2027 wurde erstmals eine sogenannte Sensorkapsel in der Schweinemast eingesetzt. Diese Kapsel wurde den Ferkeln zu Beginn der Mast injiziert und sammelte fortan Daten wie Futteraufnahme, Bewegungsmuster, Körpertemperatur und Herzfrequenz. Das Besondere: Es konnte das einzelne Tier betrachtet werden, ohne großen Aufwand. Ein Durchbruch! Bei der Geflügelhaltung ist der Effekt der Kapseln besonders groß – während hier früher stets die ganze Herde im Krankheitsfall behandelt wurde, also auch die gesunden Tiere, kann nun eine Einzeltierbehandlung erfolgen. Das ist zwar mit mehr Arbeit verbunden, doch reduziert das natürlich auch die auftretenden Resistenzen und den Verbrauch an Medikamenten erheblich. Nur noch ein Zwölftel dessen, was vor der Einführung der Sensorkapseln normal war, wird heute noch an Medikamenten eingesetzt. „Für die kranken Tiere haben wir im Stall einen Bereich abgetrennt, den wir nach Bedarf vergrößern können”, erklärt Martin Knaak, während er eine Foto: knipseline/pixelio.de M anche von uns erinnern sich vielleicht noch an eine Zeit, in der Klimacomputer und automatisierte Fütterungen zur High-Tech-Ausrüstung in deutschen Ställen gehörten. Heutzutage kann man darüber nur noch müde lächeln. Martin Knaak, Landwirt in der fünften Generation, erklärt uns, was sich alles verändert hat und mit welchem kleinen, aber genialen Hilfsmittel dies überhaupt erst möglich wurde. Klein, günstig, wiederverwertbar: So halten die Sensorkapseln sogar Einzug in die Geflügelhaltung. Animation des größten der hofeigenen Hähnchenställe hervorholt. Zu sehen ist ein typischer rechteckiger Stall mit der bewährten automatisierten Fütterung, Tränkelinien und großen Lüftern. „Im Grunde ist das noch der gleiche Stall wie vor 70 Jahren. Nur Licht und Luft haben sich verändert.” Tatsächlich ähnelt der Stall, wenn man einmal nach oben schaut, eher einem Gewächshaus: Das Dach ist verglast und an mehreren Stellen automatisch zu öffnen. „Wenn es im Sommer sehr heiß ist, laufen alle Lüfter auf Hochtouren, das Dach ist offen und wir können ein Sonnensegel über den gesamten Stall spannen. Meistens haben wir einen Teil des Daches sowieso mit dem Sonnensegel verdeckt. Dann können die Tiere sich aussuchen, wo sie sich aufhalten wollen.” Diese offenen Dächer bieten nicht nur den Tieren ein natürlicheres Umfeld als früher unter künstlichem Licht – sie bieten auch den Verbrauchern im wahrsten Sinne des Wortes Transparenz. Mit der hauseigenen Drohne kann jeder zusehen, wo und wie seine Eier, sein Schnitzel, die Milch für seine Frühstücksflocken oder seine Chicken Wings eigentlich herkommen. „Am Anfang war der Schreck noch groß”, erinnert sich Martin Knaak lachend, „aber das hat geholfen, wieder ein besseres Verständnis für die Landwirtschaft zu entwickeln. Und ein Bewusstsein dafür, dass Fleisch nicht auf der Ladentheke wächst, sondern mal ein Lebewesen war.” Dieses Bewusstsein war wohl auch entscheidend dafür, dass die Preisbereitschaft für Fleischprodukte endlich wieder stieg. Und das wiederum war unerlässlich für die Veränderungen in der Erzeugung. „Den Aufwand, den wir heute für halb so viele Tiere wie früher betreiben, muss uns ja der Konsument bezahlen. Und andersrum, wenn der Konsument uns gut bezahlt, können wir auch für wenige Tiere großen Aufwand betreiben und machen das auch gerne. Das bedingt sich gegenseitig.” Durchbruch durch Recycling Mit Aufwand meint Martin nicht nur die Umrüstung der alten Ställe, die Reduzierung der Zahl der gehaltenen Tiere oder deren intensive Betreuung zum Beispiel bei der Krankenbehandlung. Nein, natürlich haben auch die Sensorkapseln mit all ihren Funktionen ihren Preis. Um ihren Einsatz dennoch bezahlbar zu machen, hat ihr Erfinder, die Firma SmartCaps, wiederverwendbare Modelle entwickelt. Diese werden nach der Schlachtung mithilfe eines Magneten entfernt, gereinigt und bei Bedarf wieder aufgeladen, bevor sie erneut injiziert werden. „Wenn der Hähnchenmäster für jedes seiner 20 000 Küken einen neuen Sensor kaufen müsste und das jeden Durchgang wieder, dann würden wir wahrscheinlich gar keine Sensoren verkaufen”, so ein Konzernsprecher. „Zudem wäre das nicht sonderlich nachhaltig.” Chemie des Gehirns entschlüsselt Doch die Sensortechnik ist damit noch lange nicht ausgeschöpft. Die Verantwortlichen von SmartCaps berichten von einem ganz neuen und faszinierenden Projekt: sprechende Tiere. „Gedanken sind letztlich nichts anderes als chemische Prozesse und Reaktionen in unserem Gehirn – auch bei Tieren”, erklärt der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von SmartCaps, Florian Faust. „Wenn wir diese ‚Chemie‘ mit den Sensorkapseln erfassen, können wir daraus Abbilder dessen formulieren, was in dem Tier gerade vorgeht.” Erste Versuche werden derzeit mit Kühen gemacht und lassen schon fast eine Sensation erwarten. „Es ist ein bisschen wie mit kleinen Kindern. Wir haben die Kapseln bei Kälbern eingesetzt und beobachtet, dass sie, wie Menschenkinder, sprechen – oder besser klare Gedanken fassen – erst noch lernen müssen. Aber sie können es lernen und dann Gedanken äußern wie ‚Ich bin müde‘, ‚Ich habe Hunger‘ oder ‚Das macht mir Angst/ Spaß‘. Ob sich die Ergebnisse der Studie ohne weiteres auf die anderen Nutztiere übertragen lassen, lässt Faust vorerst offen. Bei Mastgeflügel sei es zwar fraglich, ob sie in der Kürze der Zeit dazu in der Lage sein werden zu „sprechen”, es sei aber trotzdem nicht auszuschließen. Bei Legehennen und Schweinen stehen die Chancen gut, so Faust. Bei den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, auch ganz abseits der landwirtschaftlichen Tierhaltung, kann einem schwindelig werden. Die Daten und Gedankenabbilder werden über Bluetooth übertragen – in Echtzeit. Das bedeutet, ein Hundebesitzer könnte zukünftig genau wissen, warum sein Hund bellt oder winselt. Ein Reiter könnte sofort verstehen, warum sein Pferd scheut oder eine Lektion nicht ausführt. Eine elementare Veränderung im Umgang mit den Haustieren und Sportpartnern. „Und ich könnte wissen, wann meinen Schweinen langweilig ist und sie beschäftigen, bevor sie anfangen, den Ringelschwanz ihrer Kameraden anzuknabbern”, freut sich Martin Knaak. „Großartig!” Bei aller Euphorie über sprechende Tiere und die neuen Erkenntnisse, die wir über sie gewinnen könnten – da es noch keinen Sensor gibt, der ihnen sagt, was wir denken und von ihnen wollen, bleiben wir Menschen für die Tiere nach wie vor ein Mysterium. Maire Carolin Beuth, Hochschule Osnabrück Die Zukunft 59 Bodychip – Freund oder Feind? Foto: Ingrid Nickel/pixelio.de Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Das Tablet schlägt schon wieder ein Linsengericht vor. Anscheinend ist der Eisenspeicher leer. M ein Bodychip blinkt. Der Essensplan für heute ist fertig. Was wird mir diesmal vorgeschlagen? Anscheinend muss ich meinen Eisenspeicher auffüllen, auf meinem Tablet werden mir nur Gerichte mit Hülsenfrüchten vorgeschlagen. Fleisch kommt bei mir nicht mehr auf den Tisch. Seit einigen Jahren ernähre ich mich komplett vegetarisch, teilweise sogar vegan. Ich kann es mir einfach nicht leisten. überzeugt: Ich fühle mich fitter und kann endlich genau ausrechnen lassen, wie viel und vor allem was ich essen muss. So spare ich nicht nur Lebensmittel, sondern auch Geld. Und das hat Vorteile für den ganzen Planeten: Ressourcen werden effektiver eingesetzt und kaum jemand wirft noch Lebensmittel weg. Denn durch die Erfassung der Daten wird genau ermittelt, wie viele Lebensmittel produziert werden müssen. Eine ziemlich effiziente Angelegenheit. Fleisch wird zum Luxusgut Und so funktioniert es: Mit den iPhones und Wearables fing damals alles an. 2070 entwickelte Apple hoch intelligente Bodychips, um Volkskrankheiten wie Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen vorzubeugen. Und das kostenlos – für alle! Die Chips sind angepasst an die individuellen Bedürfnisse: Größe, Gewicht, Fitnesszustand und Ernährungsstatus werden gespeichert. So können Vorschläge für eine optimale Ernährung gemacht werden. Die Kalorienzufuhr sowie die Nährstoffversorgung werden dokumentiert und persönliche Bewegungsprofile mittels Schrittzähler angelegt. Das Sportmuffel-Dasein war gestern. Wer sein Bewegungspensum im Monat nicht erfüllt, muss am Ende des Jahres höhere Krankenkassenbeiträge zahlen. Klingt gemein, ist aber sehr effektiv. Vor 30 Jahren wurde die Fleischproduktion komplett umgestellt, um Platz für zehn Milliarden Menschen zu schaffen. Jetzt liegt der Preis für ein Rinder-Hüftsteak bei 170 Euro pro Kilogramm. Denn kaum ein Landwirt betreibt noch intensive Nutztierhaltung. Sie haben sich auf die Insektenaufzucht spezialisiert. Heuschrecken, Würmer und Raupen krabbeln jetzt durch die großen Hallen. Ob Burger-Bulette, vegetarisches Schnitzel oder vegane Leberwurst – kaum ein Fleischersatzprodukt kommt ohne Insekten aus. Die verbliebenen Bauern haben zu anderen Konzepten gewechselt. Solidarische Landwirtschaft ist die Alternative, leider kann sich das nicht jeder Verbraucher leisten. Das Konzept sieht vor, dass die Mitglieder die Kosten des landwirtschaftlichen Betriebes tragen und im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Jedoch haben die hohen Qualitätsstandards sowie ausschließlich ökologische Erzeugung die Mitgliedsbeiträge ins Unermessliche getrieben. Unter 300 Euro im Monat geht da meistens gar nichts mehr. Ich kann mich zumindest nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal Fleisch gegessen habe. Meinen Eisenbedarf decke ich schon lange über pflanzliche Lebensmittel. Perfekte Kontrolle Einige Skeptiker warnen vor dem Missbrauch der Daten und der vollkommenen Überwachung. Denn egal wo man sich befindet, der Chip sendet ständig Daten und macht so die Kontrolle perfekt. Andere haben Angst vor einer Manipulation des Chips. Gerüchten zufolge gab es schon einige Hackerangriffe auf Tablets von Promis. Nachdem Model-Mama Lena Gercke anfing, nur noch Schokolade zu Foto: Rosensteiner Foto: Hasan Anac/pixelio.de Fa A ch n sc ze hü ig le en r M ge ar sta tin lt Ha un ge g: m an n Seit vier Jahren trage ich nun das winzige Metallteil und bin ziemlich zufrieden. Über 84 Prozent der gesamten Weltbevölkerung geht es ähnlich. Der Bodychip hat Sogar der Schlaf-Wach-Rhythmus kann programmiert werden und so für genügend Erholung sorgen. Dass die Dinger unter die Haut gesetzt werden, finden aber nicht alle so lustig. Weltneuheit: Der Klauenpflegeroboter FOOT-MASTHAER 8000 Am 27.04.2086 wurde in Celle der erste vollautomatische Klauenpflegestand, der ohne menschliche Unterstützung funktioniert, vorgestellt. Über hundert Besucher staunten über diese einzigartige Erfindung. Zuerst waren die Kühe genauso skeptisch wie die Zuschauer, als das große Gerät im Stall aufgestellt wurde. Doch nach und nach probierten die neugierigen Milchkühe den Foot-Masthaer 8000 aus, der durch sein elegantes Design besticht. Während der Klauenpflege werden die Kühe mit Kraftfutter und einer automatischen Massage verwöhnt. Sobald sich die Kuh im Stand befindet, werden die Bauchgurte automatisch angelegt und die Füße nacheinander durch eine variable Vorrichtung angehoben. Mit einer vollautomatischen Wascheinrichtung werden die Klauen mit Wasser und Bürsten gereinigt. Danach beginnt die Schneidevorrichtung, die von einem Sensor gesteuert wird. Nach jahrelanger Testphase, wurden die Sensoren so eingestellt, dass die Klauen auf die gewünschte Länge von 7,5 cm kommen und nicht zu viel von der Klauensohle entfernt wird. Anschließend werden die Klauen mit Pflegemitteln lackiert. Das hilft gegen Mortellaro und andere Infektionskrankheiten. Klauenprobleme werden von einem Sensor erkannt und können mit dem neuen patentierten Sublikon-Schuh behandelt werden. Die Kühe genießen die Pediküre und nehmen das Klauenpflege-Programm gerne an. Sie haben die Möglichkeit, ganz selbstständig den Klauenpflegeroboter zu besuchen. Damit werden schon kleine Empfindlichkeiten an der Klaue ohne menschlichen Arbeitseinsatz direkt behandelt, denn Arbeitskräfte sind knapp und teuer. Diesen Klauenpflegestand gibt es auch in der mobilen Variante mit Solarplatte und Wasserstoffzelle. Der Klauenpflegeroboter ist schon in der Basisversion ab 150 000 € zu kaufen. essen, wurde sie stutzig. Jemand hatte versucht, ihr Ernährungsprofil zu manipulieren. Nach einem Programm-Update ist laut Hersteller die Sicherheitslücke behoben. Bislang sei niemand weiter zu Schaden gekommen. Vorteile überwiegen Studien der WHO haben sogar ergeben, dass Menschen durch den Bodychip im Schnitt wesentlich länger leben. Jeder wird mindestens um die 105 Jahre alt. Ein echter Quantensprung, wenn man bedenkt, dass das vor 50 Jahren noch undenkbar war. Auch fühlen sich die Menschen fitter und jünger, weil sie sich optimal, auf ihren Bedarf zugeschnitten ernähren. So konnte die Rate an übergewichtigen Menschen weltweit auf 10 Prozent sinken, ebenfalls sind nur noch 5 Prozent der Weltbevölkerung unter- oder mangelernährt. Und das alles nur dank des kostenlosen Chips. Wenn das nicht überzeugt, weiß ich auch nicht. Regina Hemme, Hochschule Osnabrück Foto: JörgBrinckheger/pixelio.de Sensoren leisten Totalüberwachung. Die Menschheit wird 105 Jahre alt. Skeptiker warnen vor Missbrauch. Nachdem bei einem Model Heißhunger auf Schokolade ausgebrochen war, mussten Sicherheitslücken im Programm geschlossen werden. 60 Siebzig Jahre später Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung 1 2 Pflanzenbau ist nur etwas für Landeier? Das Drohnensystem Autonomous 2100 läutet ein neues Zeitalter des Ackerbaus ein. Unbemannte Drohnen erfassen den Zustand unserer Kulturpflanzen und versorgen diese mit Pflanzennährstoffen und Pflanzenschutzmitteln effizient und vollautomatisch. Fortschrittlichste GPS-Techniken und Multispektralkameras ermitteln ein genaues Bild des Pflanzenzustandes. Aus gesammelten Daten und Parametern ermittelt das Kontrollzentrum AutonomousPLUS optimale Aufwandmengen von Pflanzenschutz- und Düngermitteln, welche von der Felddrohne AutonomousPROTECT millimetergenau appliziert werden. So könnte es auf Ihrem Dach aussehen! Sie haben eine ungenutzte Dachfläche? Warum dort nicht die eigenen Lebensmittel erzeugen?! Wir als kompetenter Partner im städtischen Pflanzenbau bieten Ihnen individuelle Lösungen, wenn es darum geht, Ihre Dachfläche sinnvoll zu nutzen. Durch ein eingespieltes Team aus Architekten und Pflanzenbauern sorgen wir für eine abwechslungsreiche Nutzung Ihres Daches. Egal ob Obst, Gemüse oder Getreide: wir übernehmen die Pflanzung, die Pflege und die Ernte, sodass Ihnen Produkte in einwandfreier Qualität zur Verfügung stehen – ohne den Gang zum Supermarkt. Dachgrün Informieren Sie sich bei unseren Partnern in Ihrer Stadt und profitieren Sie von der überwältigenden Qualität Ihrer Lebensmittel. Der Begriff Regionalität wird hierbei komplett neu definiert! Wir lassen es wachsen! www.wir-lassen-es-wachsen.de 12 Autonomous 2100 – der unbemannte Pflanzenversorger Ò Ressourcenschonung durch GPS gesteuerte Applikation Ò Geringster Arbeitskräfteeinsatz durch unbemannte Technik Ò Vollautomatische Speicherung von Daten Ò Kostengünstiges Verfahren durch effizienten Ressourceneinsatz 3 Unternehmen: Das international agierende Unternehmen „International Skyscraperfarming“ mit dem Sitz in London betreibt auf der ganzen Welt über fünfhundert Skyscraperfarmen. In großen Städten und Ballungsgebieten werden mehrstöckige Gebäude bis zu einer Höhe von 800 Metern erbaut, in denen ganzjährig auf mehreren Stockwerken Gemüse, Früchte und Algen erzeugt werden. Zudem werden in den Wolkenkratzern Insekten gezüchtet, um die Eiweißquelle für die Menschheit zu sichern. Aufgabe: Für die neu errichtete Farm in Berlin Mitte suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Skyscraperfarming-Manager. Im Fokus der Aufgabe stehen die Optimierung und das Controlling des neuen Standortes. Sie stehen im ständigen Austausch mit den anderen weltweiten Standortmanagern. Ihr Profil: Tiefgehendes Knowhow im Segment Agribusiness, eine hohe Affinität zum Thema Hydrokulturen und genetisch modifizierten Organismen in Verbindung mit dem Willen und der Fähigkeit, ein hochmodernes Unternehmen zu leiten. • eine von Selbstständigkeit und starkem Eigenantrieb geprägte Arbeitsweise • erste Erfahrungen in der Führung und Weiterentwicklung von Unternehmen • eine der Aufgabe entsprechende Reisebereitschaft sowie sehr gute EnglischKenntnisse Haben Sie Interesse an dieser gestalterischen Aufgabe in einem dynamischen Umfeld eines international führenden Unternehmens? Dann senden Sie uns Ihre Bewerbung. www.International.Skycraperfarming@GmbH 4 www.plant-protect.de/autonomous2100 Durch Doppelnutzung doppelten Erfolg! 13 Skyscraperfarming-Manager Bauernhofidylle statt sterile Wohnblockatmosphäre für Ihren verdienten Lebensabend Genießen Sie das traditionelle Landleben, entspannen Sie sich im großen Garten und genießen Sie die Natur. Mit uns sparen Sie nicht nur wertvolle Fläche – sondern schützen auch Ihre Kulturpflanzen Photovoltaikpark und landwirtschaftlich genutzte Flächen in einem Wir bieten Ihnen: Mitarbeit bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten & Mithilfe bei der Gartenarbeit – hier können Sie wieder Erde fühlen Ê Die einstellbare Lichtdurchlässigkeit der Module passt sich sensorgesteuert den Zubereitung der Speisen: – aus selbst geernteten Gemüsen und Früchten, anstatt umfangreicher Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel aus dem 3D-Drucker Sonnenbedürfnissen Ihrer Kulturpflanzen optimal an Ê Schutz Ihrer Kulturen vor Wetterextremen durch Waagerechtstellung der Platten Ê Anfallendes Regenwasser wird gespeichert, auf optimale Pflanzenverträglichkeit Besondere Angebote: – Spielenachmittage, Fitnessangebote, Schulungen in den neusten Medien erwärmt und bei Bedarf abgegeben Bei uns werden Sie noch von hoch qualifiziertem Personal persönlich betreut und nicht von elektronischen Butlern. Rund um die Uhr stehen Ihnen Fachärzte im Live-Chat zur Verfügung. Benötigte Medikamente können stündlich von den Apothekendrohnen geliefert werden. Bei Betreten des Grundstückes werden alle elektronischen Geräte automatisch geladen. Eine Besonderheit sind unsere Therapiestunden mit echten Tieren. Ê Ungehindertes Bewirtschaften durch schnelles und einfaches Zusammenklappen der Module Ê 24h-Einspeisung durch zusätzliche Aufnahme von Mondlicht Ê Reinigungs- und wartungsfreie Anlage Ê Module können in jeder beliebigen Form und Größe produziert werden, wodurch auch kleine Flächen und Keile problemlos genutzt werden können Ihre Lebensqualität ist unser Anliegen - wir freuen uns auf Sie! Ihr Bauernhof Team Meyer - Kontakt über Memory-Flop Wir informieren Sie gerne auch noch persönlich –Melden Sie sich bei uns! 5 Bei uns... 10 11 Die Macher Studenten und Landwirtschafts schüler und haben Stellen und Werbeanzeigen der Zukunft gestaltet. So stellen sie sich den Produkt und Arbeitsmarkt in 70 Jahren vor. 1: Lukas Siekmann 2: Johanna Haase o h n e Maschineneinsatz! Ganz einfach und schnell die Reitbahn auflockern und einebnen mit der Rüttelanlage der Firma Rüttler. Wir bauen kostengünstig eine Rüttelplatte unter ihren Reitsand! 6 3: Christina Lenfers 4: Kristin Meyer 5: Arne Hundertmark 6: Jannes Buhr 7: Frederic Meyer 8: Ines Ruschmeyer 9: Ylsabe Rawe 10+11: Frauke Molthan, Teresa Heß und Thälke Marie Lüer 12: Kristin Meyer 13: Moritz Kinast 9 8 7 Work-Life-Balance-Instructor/Manager So könnte dein zukünftiger Arbeitsweg aussehen Gemeinsam in eine gute Zukunft. Sei dabei. Wohlfühlen. Das geht nicht nur Zuhause Gemeinsam sind wir ein starkes Team und du kannst dabei sein. Firma Rüttler Reitplatzeinebner Reitbahnrüttler Herr Baumaxx Lokalstraße 3 31765 Musterhausen Tel.: 01295/741852 az-intern 61 Foto: Thomnas Fedra Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Eine Woche bei den Kaufleuten Vieles ist Routine, doch keine Woche und kein Tag gleicht dem anderen. Eine typisch untypische Arbeitswoche in Marketing-, Vertrieb- und Anzeigenbteilung: Donnerstag e Heute geht es in der Redaktion rund, denn die wöchentliche Zeitung geht in den Druck. Die Kaufleute kümmern sich da schon intensiv um die nächste Ausgabe. Wie viele Seiten werden gedruckt? Stimmt das mit der Produktionsplanung überein? Auf welchen Seiten können die Inserate platziert werden? Auch Karsten Neumeister, der Werbemittel-Koordinator für die Website agrarzeitung.de, ist intensiv mit den WerbeFo partnern im Austausch. Denn spätestens am Freitag müssen alle Banner für die neue Woche in das Ad-Management-System gestellt sein. Noch fehlen einige … Den ganzen Tag herrscht ein sehr geschäftiges Treiben auf dem Flur. Und dann ist es auf einmal ganz ruhig. 17:05 Uhr. Die Seiten sind bei der Druckerei. Zwei Kolleginnen arbeiten jedoch weiter unter Hochdruck. Unsere Redaktionsassistentin Natalie Hoffmann und die Grafikerin Anja Schönauer. Sie bauen die Zeitungsdaten so um, dass daraus die iPad-Ausgabe der ‘agrarzeitung‘ entsteht, welche spätestens um 19 Uhr online ist und unseren Abonnenten kostenlos zum Download bereitsteht. pixelio.d Jour Fixe: In der Wochenmitte treffen sich alle unsere kaufmännischen Mitarbeiter zum Austausch. Thomas Wulff, Verlagsleiter Agrar- und Fleisch-Medien, informiert über Neuigkeiten aus der gesamten dfv Mediengruppe und alle weiteren Kollegen erzählen von ihren jeweiligen Projekten. Heike Deneberger beispielsweise berichtet über den Bewerbungsstand beim „Förderpreis der Agrarwirtschaft”. Weitere Themen heute: Wie ist der Buchungsstand für den nächsten az-Report? Welche Termine stehen an? Wann wird das neue CRM-System eingeführt? Und natürlich gibt es die aktuellen Zahlen aus dem Controlling. Wir sind schließlich ein Wirtschaftsunternehmen. Monika Schlicht entgeht dieser Termin heute, weil ein az-Karrieretag ansteht. Sie hat ihn mit unserer Redakteurin Katja Bongardt wochenlang vorbereitet. Wann kommt welcher Vortrag, und selbst wo die nächste erreichbare Steckdose ist, weiß sie auswendig und betreut die Aussteller vor Ort. Natürlich ist auch Carina Daugill dabei . Sie stellt unsere speziellen Leseangebote für Studierende und Young Professionals vor. lick/ Mittwoch S ch Der Tag ohne Deadlines. Da bleibt vor allem Zeit, um neue Abo-Angebote für unsere Leser und Marketingaktionen zu planen oder auch die Vermarktungsunterlagen für eine neue crossdigitale Werbeform für den Onlineauftritt der ‘agrarzeitung‘ zu besprechen. Christoph Nitsche, Objektleiter Agrar-Medien, nutzt diesen Tag gerne, um Werbekunden und Kooperationspartner persönlich zu besuchen und stellt bei dieser Gelegenheit neue Kommunikationsbausteine vor. Helga Knauf, Assistentin der Verlagsleitung, dagegen nutzt den Tag, um alles für die nächste Messe vorzubereiten. Sie kümmert sich um die fristgemäße Anmeldung unseres Standes. Senior Marketing Managerin Katja Rühl kümmert sich darum, dass unser Logo möglichst schon vom Halleneingang zu sehen ist und eine Eigenanzeige in der ‘agrarzeitung‘ über die Highlights am Stand informiert. Undine Greb bereitet derweil das passende Mailing mit den Schwerpunktthemen der Redaktion für die Sonderausgabe zur Messe vor und sorgt für den termingerechten Empfang aufseiten unserer Anzeigenkunden. Einen fixen Termin haben wir dann doch noch: Die Beilagen für die Freitagsausgabe müssen spätestens heute in der Druckerei angeliefert werden. Egal ob es nur ein kleiner Stapel für einen Postleitzahlenbereich ist oder Paletten für die gesamte Auflage. Gerhard Urmann hat hier die Fäden in der Hand. we Dienstag :U Heute ist Anzeigenschluss für den Stellenmarkt und die Kleinanzeigen. Gerhard Urmann, unser Anzeigen-Koordinator, baut bis 12 Uhr mit dem Grafiker Mario Rickert die sogenannten „Umbrüche” und überträgt diese in das Produktionssystem. Heutzutage nicht mehr mit Stift und Schere, sondern am Computer, aber das Prozedere bleibt gleich. Ein Puzzlespiel mit Zeitdruck. Erst danach weiß die Redaktion, wie viel Platz tatsächlich noch in der kommenden Ausgabe für redaktionelle Inhalte bleibt. Bei Nicole Seitz und Petra Petrasch vom Leserservice klingelt das Telefon, da durch einen Zustellerwechsel bei der Post die ‘agrarzeitung‘ einen Leser nicht erreicht hat. Die erfahrenen Kolleginnen setzen alles daran, dass die Nachlieferung schnellstmöglich erfolgt und ändern auch gleich den Vornamen des Lesers, da der Junior nun den Hof übernommen hat. Karsten Neumeister, unser Werbemitteldisponent, kontrolliert morgens noch einmal auf der Website, im Newsletter und in der Smartphone-App, ob wirklich alle Online-Werbeflächen korrekt angezeigt werden. Kurz vor Feierabend flattert bei Kristin Kaupert noch die Information rein, dass ein az-Korrespondent am Freitag einen Vortrag vor Agrarhändlern und Lohnunternehmern hält. Jetzt gilt es, noch ein paar Exemplare der ‘agrarzeitung‘ zu finden und rechtzeitig zum Veranstaltungsort zu schicken. to Montag Freitag Großkampftag für unsere Vertriebsprofis Kristin Kaupert und Carina Daugill. Heute muss die Auflagenhöhe für die nächste Ausgabe an den Kollegen Martin Meyer in der Logistikabteilung geschickt werden. Haben wir eine Sonderausgabe, die an einen größeren Verteiler versendet wird? Ist in der nächsten Woche eine Messe oder Veranstaltung, die wir beliefern? Jetzt darf kein Fehler unterlaufen. Mit diesen Angaben bereitet sich die Druckerei auf die nächste Woche vor. Bestellt notfalls noch mal Papier nach und organisiert die Zeitungsherstellung entsprechend. Denn egal ob Standardauflage oder Messeausgabe, alles muss immer rechtzeitig gedruckt sein, damit die in Päckchen oder auf Paletten gepackten Zeitungen pünktlich auf den Lkw landen und Sie idealerweise freitagmorgens Ihre ‘agrarzeitung‘ in den Händen halten. Heute nehmen es auch die beiden Mediaberaterinnen Undine Greb und Monika Schlicht ganz genau. Es ist Anzeigenschluss für die kommende Ausgabe und es sind noch nicht alle Druckunterlagen angekommen. Also wird nachtelefoniert. Ist die Agentur im Finish? Gibt es einen besonderen Platzierungswunsch oder möchte der Kunde begleitend zur Anzeige auch auf der Website werben? Während viele Kolleginnen und Kollegen schon im Wochenende sind, arbeitet Katja Rühl noch mit der Kommunikationsagentur an den neuen Mediadaten. Der Drucktermin naht … Samstag/Sonntag Da haben wir meistens frei und verbringen das Wochenende am liebsten mit den Familien und Freunden in der Natur. Zwischen Wandern und Pilzsuche lässt sich genau wie beim Sport wieder Kraft und Energie für die neue Woche sammeln. Zudem lässt sich auch noch mal ein prüfender Blick auf die Vegetation der Wetterau und des Frankfurter Rieds werfen. Ja, wir arbeiten alle gerne für und mit der Landwirtschaft. Es sei denn, es ist mal wieder eine Messe oder Veranstaltung. Aber das wäre schon wieder eine neue Geschichte … Das Team Das kaufmännische Team (v.l.n.r.): Gerhard Urmann, Christoph Nitsche, Undine Greb, Monika Schlicht, Thomas Wulff, Helga Knauf, Kristin Kaupert, Martin Meyer, Katja Rühl, Carina Daugill, Karsten Neumeister, Heike Deneberger. Es fehlen auf dem Foto: Nicole Seitz, Petra Petrasch, Mario Rickert. 62 az-intern Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Dr. Angela Werner Chefredakteurin Kürzel: AW Die Vielfalt lebensnaher Themen, die Offenheit der Menschen und die Möglichkeit, darüber unabhängig zu informieren, fasziniert mich nach wie vor.“ In der Stammredaktion in der Verlagszentrale in Frankfurt am Main laufen viele Fäden zusammen und trotzdem sind immer wieder Redaktionsmitglieder zu Recherchen, Presseterminen oder Interviews unterwegs. Stefanie Pionke Leitende Redakteurin Kürzel: pio Vielfalt prägt die Redaktion Bis Sie die gedruckte Zeitung in Händen halten oder im Internet einen Beitrag anklicken, ist eine Vielfalt an Wissen und Können zusammengeflossen: Von der umfangreichen Recherche auf der Basis von fundiertem Fachwissen, das alle Artikel der agrarzeitung kennzeichnet, dem Verfassen von Beiträgen oder der Erstellung von Grafiken bis zur der Bildersuche. Ein großer Teil der Arbeit läuft im Hintergrund ab. Viele Kollegen haben daran mitgewirkt. Daher sollen alle Beteiligten aus der Zentrale und dem Korrespondentenkreis auf diesen beiden Seiten auch einmal zu Wort kommen. Steffen Bach freier Redakteur Kürzel: SB Es ist immer schön, den Lesern zeigen zu können, welche Innovationskraft in der Landwirtschaft steckt.“ Dagmar Behme Redakteurin Kürzel: db Zu den Höhepunkten meiner Arbeit gehört das Porträtieren von Menschen, die engagiert in der Branche arbeiten.“ Horst Hermannsen Korrespondent Kürzel: HH Mein Lieblingsthema: Der Jahrmarkt der Eitelkeiten von Verbandsfunktionären als Folge oftmals erstaunlicher Karrieren.“ Mich haben die international verzweigten Agrarmärkte schnell begeistert und das tun sie auch heute noch.“ Peter Baumeister Grafiker Die niedrigtechnologischen Lösungen für Entwicklungsländer faszinieren mich am meisten. “ Katja Bongardt Redakteurin Kürzel: kbo Mich fasziniert Smart Farming: höhere Effizienz und Wertschöpfung sowie Umweltschutz dank moderner Technik.“ Natalie Hoffmann Redaktionsassistentin Kürzel: NH Aufgrund meiner Arbeit bei der agrarzeitung achte ich mehr darauf, wo Lebensmittel herkommen und was sie enthalten.“ az-intern 63 Freitag, 29. Juli 2016 agrarzeitung Dagmar Hofnagel Korrespondentin Kürzel: dg Ich finde es bedenklich, dass sich die Landwirte für ihre Arbeit bei der übrigen Bevölkerung immer wieder rechtfertigen müssen.“ Mareike Scheffer freie Redakteurin Kürzel: mrs Meine Eltern bewirtschaften einen Hof in fünfter Generation. Innovatives und nachhaltiges Handeln ist schwer, aber wichtig.“ Sarah Speicher-Utsch Redakteurin Kürzel: sp Ich kaufe seit meiner Arbeit bei der agrarzeitung weniger BioLebensmittel.“ Hermann Steffen Korrespondent Kürzel: St Raps war schon 1985 das Thema für meine Bewerbung als Volontär und Raps ist eines meiner Lieblingsthemen geblieben.“ Dr. Jürgen Struck Korrespondent Kürzel: jst Überzogenes und moralisierendes Gerede darf die grundsätzlich richtige Richtung der Landwirtschaft nicht blockieren.“ Daphne Huber-Wagner Redakteurin Kürzel: da Gute fachliche Praxis steht für das Selbstverständnis der Landwirte in Ost- und Westdeutschland.“ Henrike Schirmacher Redakteurin Kürzel: has Die Diskussionen um die richtige Tierhaltung und daraus resultierende Veränderungen verfolge ich mit großem Interesse.“ Bernd Springer FeedMagazine Kürzel: BS Mein Lieblingsthema ist die Tierernährung – vor allem unter dem Aspekt der Gesunderhaltung der Tiere.“ Brigitte Stein Redakteurin Kürzel: brs Im komplexen System Landwirtschaft führen eindimensionale Erklärungen zwangsläufig in die Irre.“ Bernd Weidmann Lektor Ich partizipiere gleichsam aus zweiter Hand an dem Erfahrungsfundus meiner Kolleginnen und Kollegen bei der agrarzeitung.“ Axel Mönch Korrespondent Kürzel: Mö Die widersprüchlichen Erwartungen der Öffentlichkeit stellen die Landwirtschaft vor einen nur schwer lösbaren Zielkonflikt.“ Anja Schönauer Grafikerin Mich faszinieren Gentechnik und die Robotisierung. Allerdings ist beides faszinierend und furchteinflößend zugleich.“ Jan Peters Korrespondent Kürzel: Ps In den vergangenen Jahren hat die satellitengesteuerte Unterstützung des Ackerbaus enorme Fortschritte gemacht.“ Olaf Schultz Redakteur Kürzel: Sz Auf den Feldern sind heute Hightech-Maschinen unterwegs, die an die Bediener höchste Anforderungen stellen.“
© Copyright 2024 ExpyDoc