Fruchtfolge der Zukunft schon heute am Start

Pflanzenproduktion
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agrarzeitung
Bodennutzung im Lauf der Zeit
Anteile an der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Prozent
2
4
Sonstiges
Sonstiges
28
Grünland
39
Grünland
57
70
Ackerland
Ackerland
1950
2015
Der Anteil der Ackerfläche hat im Vergleich zum Grünland
seit dem Jahr 1950 deutlich zugenommen.
Quelle: BMEL
Weizen verdrängt Roggen
Anteile am Getreideanbau in Prozent
32
23
Weizen
Foto: Landpixel, Archiv
Sonstiges
Weizen, Gerste, Mais, Roggen und Raps werden auch 2050 das Landschaftsbild prägen.
Der Zuchtfortschritt spricht für eine größere Maisfläche. Raps komplettiert das Spektrum.
Brigitte Stein
Ressort Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung
D
em Ackerbau stehen
enorme Veränderungen
bevor. Wichtige Impulse gehen von der technischen
Entwicklung
weitgehend selbsttätiger
Maschinen aus. Zudem erfordert der Klimawandel strategische Anpassungen,
die von der Pflanzenzüchtung begleitet
werden. Die Zulassungssituation von
Pflanzenschutzmitteln bestimmt den
Ertragsfortschritt.
Technische Innovationen werden die
Landwirtschaft in den kommenden Jahren mindestens ebenso stark verändern wie seit Gründung dieser Zeitung
vor 70 Jahren. Die Präzisionslandwirtschaft sowie die zunehmend autonome
Arbeitserledigung dürften die Arbeitsproduktivität im Pflanzenbau bis 2050
enorm steigern. Programmierbare,
selbstfahrende Feldroboter ermöglichen
langfristig eine konsequent mechanische Unkrautbekämpfung und exakte Beobachtung der Bestände. Damit
könnte chemischer Pflanzenschutz nur
noch dann zulässig sein, wenn sonstige
Maßnahmen keine ausreichende Schadensbegrenzung zulassen.
Die Pflanzenzüchtung arbeitet schon
heute an Sorten mit weitreichender
Resistenzausstattung. Diese Züchtungsziele allerdings gehen zunächst zu Lasten des Ertragsfortschritts. Smart Breeding und Hybridsysteme werden zu
festen Bestandteilen des Systems. Wenn
es gelingt, die gesellschaftliche Akzeptanz für neue, preiswerte Züchtungstechniken zu erringen, könnte auch die
Entwicklung von Sorten für Nischenmärkte wieder profitabel werden.
In der Gestaltung der Fruchtfolge in
Deutschland erwarten Pflanzenzüchter
kaum weitere Veränderungen. Der hohe
Anteil von Weizen könnte sogar noch
steigen, sofern Fruchtfolgekrankheiten
beherrschbar werden. Ob sich Hybridweizen wirklich durchsetzt, ist keineswegs sicher. Neben der technischen
Komponente trüben auch höhere Saatgutkosten die Perspektiven. Unter günstigen Bedingungen scheint ein Durchschnittsertrag von 14 Tonnen je Hektar
möglich.
in Getreidefruchtfolgen. Wenn sich der
bisherige Ertragszuwachs fortsetzt, dann
sind im Jahr 2050 Durchschnittserträge
von 16,5 Tonnen Kornertrag je Hektar
denkbar, erwarten Züchter.
Gerste wird nach Einschätzung der
Pflanzenzüchter als bewährte Vorfrucht
von Raps die zweitwichtigste Getreideart
bleiben. Dafür sprechen die ackerbaulichen Vorzüge: Die frühräumende Frucht
schafft Flexibilität in der Bodenbearbeitung und vielfältige Möglichkeiten für
Zwischenfrüchte. Ein breiteres Spektrum an Krankheits- und Insektenresistenzen wird in den Gerstensorten Pflicht.
Roggen wird auch weiterhin auf den
schwächeren Standorten für sichere
Erträge sorgen. Mit neuen Züchtungstechniken könnten Roggensorten auf
bestimmte Verwertungsprofile optimal
zugeschnitten werden. Als preiswerte Futterkomponente und mit einem
Ertragspotenzial bis zu 15 Tonnen je
Hektar könnte Roggen international
sogar Fläche gewinnen.
Dass sich im Gerstenanbau Hybridsorten
etablieren werden, davon ist nicht nur
der derzeitige Anbieter Syngenta überzeugt. Im gut erforschten Gerstengenom
könnte die Selektion mit genetischen
Markern zu Sorten mit einem Ertragspotenzial von 15 Tonnen je Hektar führen.
Raps wird als einzige Blattfrucht in Getreidefruchtfolgen auch langfristig eine feste
Größe bleiben, auch weil sich Rapssaat
immer verkaufen lässt. Raps geht auf
allen Böden, passt in jeden Betrieb und
ist mit vorhandener betrieblicher Infrastruktur zu managen, fasst der RapoolRing die Vorzüge zusammen. Raps wird
verstärkt als Proteinlieferant betrachtet.
Damit sind Proteinqualität und Proteingehalt Zuchtziele in den kommenden
Jahrzehnten. Der Durchschnittsertrag
könnte bis zu 6 Tonnen je Hektar erreichen. Sofern weiterhin eine intensive
Kulturführung möglich ist, sind Spitzenerträge bis 9 Tonnen je Hektar möglich.
Mais wird auch in Zukunft seine Erfolgsgeschichte fortschreiben. In Ackerbauregionen wird Körnermais weiter zulegen,
weil der Züchtungsfortschritt deutlich
höher ist als bei Wintergetreide. Darüber
hinaus entzerrt der Anbau von Körnermais Arbeitsspitzen und hilft als Sommerung beim Resistenzmanagement
Sonstiges
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Gerste
14
Fruchtfolge der Zukunft
schon heute am Start
16
Gerste
31
1950
Roggen
50
Weizen
9
Roggen
2015
Weizen ist der unumstrittene Star unter den Getreidearten,
während die ehemals führende Getreideart Roggen weit
Quelle: BMEL
abgeschlagen ist.
Mais hat auf deutschen Äckern um den Faktor 50
zugelegt von rund 50 000 Hektar auf heute
rund 2,5 Millionen Hektar. Das Segment
Körnermais gewinnt an Bedeutung
von früher 1/8 auf heute
1/5 der Maisfläche.
Eindeutiger Gewinner im deutschen
Ackerbau ist Raps. Auf diese Ölfrucht
entfallen heutzutage mehr als 1,3 Millionen
Hektar. Sie ist treibende Kraft für den
Zuwachs der Ölfrüchte auf deutschen
Äckern, die von 1 Prozent der Ackerfläche
zugelegt haben auf heute 11 Prozent.
Der Anbau von Kartoffeln ist heute
nur noch etwas für Spezialisten.
Wachsende Erträge, veränderte Verzehrgewohnheiten und Veränderungen in der
Tierernährung sind der Grund dafür, dass es heute genügt,
wenn auf 2 Prozent der Ackerfläche Kartoffeln wachsen,
statt auf 14 Prozent wie im Jahr 1950.
Pflanzenproduktion 33
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agrarzeitung
„Der Konzentrationsprozess stößt an Grenzen“
Der Kartoffelhandel ist wichtiger Vermittler zwischen Konzernen des Lebensmitteleinzelhandels und den Erzeugern.
Von den Trends zu Regionalität und veganer Ernährung kann die Speisefrischkartoffel profitieren.
agrarzeitung: Die Kartoffelbranche hat
einen erheblichen Konzentrationsprozess hinter sich. Setzt sich diese Entwicklung fort?
Herkenrath: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Unternehmen
um mehr als die Hälfte verringert. Parallel
dazu hat sich auch der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) erheblich gestrafft. Um
wettbewerbsfähig zu bleiben, waren größere Produktionseinheiten in der Kartoffelbranche notwendig. Vom klassischen
Kartoffelhandel, wie wir ihn als Firma
Jungnickel betreiben, sind nur wenige in
ganz Europa übrig geblieben. Wir kommen langsam an einen Punkt, an dem der
Konzentrationsprozess an Grenzen stößt.
Aufgrund der regionalen Anforderungsprofile und logistischen Beschränkungen
lassen sich kaum noch große Verschmelzungen erwarten. Die derzeit vorhandenen Packkapazitäten in Deutschland
und Europa bilden den Bedarf bei einer
notwendigen kleinen Überkapazität gut
ab. So halten in Deutschland inzwischen
zehn Betriebe mehr als 90 Prozent des
Packvolumens und auch in Frankreich
gibt es große Strukturen. Im südeuropäischen Raum lassen die vielen kleinen
Packbetriebe dagegen noch Anpassungen erwarten.
Sind unsere Strukturen gut genug, um
dem Druck des übermächtigen LEH
standzuhalten?
Herkenrath: Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist nicht unbedenklich. Die wenigen Großen werden immer
größer, wie jüngst Edeka und Kaisers Tengelmann. Heute halten die fünf Großen
des LEH in Deutschland 90 Prozent Marktanteile, kaufen weltweit ein und können
erheblichen Druck auf Produzenten und
Lieferanten ausüben. Die Anforderungen des LEH, und vor allem im Discountbereich, werden immer spezieller, denn
man versucht, sich mit immer höheren
Qualitätsansprüchen zu profilieren. Für
die Produzenten kann dies problematisch
werden, wenn sie sich auf einen Großabnehmer und dessen Qualitätsanforderungen fokussiert haben und den Abnehmer
wechseln wollen. Auf der anderen Seite
bieten feste Programme auch Chancen für
eine längerfristige Absatzsicherung.
Die großen Ketten fordern höchste Qualitäten von den deutschen Landwirten.
Unsere Lebensmittelpreise sind aber
die billigsten in ganz Europa. Das beißt
sich doch, oder?
Herkenrath: Vor zehn bis 15 Jahren haben
die Landwirte ihre Waren produziert
und frei auf dem Markt verkauft. Heute
schreiben die Ketten vor, was und wie
die Nahrungsmittel hergestellt werden
sollen. Der LEH hat klare Lieferantenvereinbarungen und Spezifikationen, die
er den Packbetrieben und dem Handel
vorgibt und die diese an die Landwirte weiterreichen. Kaum nachvollziehen
lässt sich aber, dass der LEH bei uns den
Einsatz bestimmter Produktionsmittel
ablehnt, im Ausland dagegen diverse
Wirkstoffe zulässt und dort auch noch
höhere Preise für die Produkte bezahlt.
Dies muss bei unseren Erzeugern zu großen Verstimmungen führen. Hier sind wir
als Deutscher Kartoffelhandelsverband
gefordert und haben auch schon erfolgreich interveniert.
Als die Aldi-Gruppe Anfang des Jahres den
Einsatz von bienentoxischen Mitteln bei
ihren Produkten völlig verbieten wollte,
sind wir initiativ geworden. Zusammen
mit den Branchenverbänden Unika, DBV,
Bundesverband der Erzeugergemeinschaften Kartoffeln und dem Fachverband Deutsche Speisezwiebeln konnten
wir im Dialog mit der Aldi-Geschäftsleitung und den NGOs eine praktikable
Lösung für den Einsatz von Neonicotinoiden finden. Wir haben das Zerrbild
der Landwirtschaft in Bezug auf Bienenschutz ins rechte Licht gerückt, denn ein
Verzicht auf diese Maßnahmen würde
schließlich bis zu fünf weitere Behandlungen notwendig machen.
Der Kartoffelverbrauch ist seit Jahren
rückläufig, lässt sich das aufhalten?
Herkenrath: Das ist sehr schwierig, doch
ich bin zuversichtlich, dass sich der
Trend zumindest stoppen lässt. Zu diesem Zweck haben wir als DKHV zusammen mit dem Landvolk Niedersachsen
und der Bundesvereinigung Erzeugergemeinschaften Kartoffeln die ‚Kartoffeln Marketing GmbH’ gegründet. In
den vergangenen 15 Jahren ist der Kartoffelkonsum um 12 Kilogramm auf 57
Kilogramm gesunken, der Konsum an
Frischkartoffeln beträgt nur noch etwa
26 Kilogramm pro Kopf. Doch während
früher viel mehr Kartoffeln weggeworfen
wurden, kaufen die Verbraucher heute
fast nur noch bedarfsgerecht in Kleingebinden ein. Das Bewusstsein für frische
und regionale Produkte oder Trends wie
vegane Ernährung könnten der Kartoffel
wieder zugutekommen.
Bleibt der Kartoffelanbau in Deutschland und Europa stabil oder könnte sich
der Anbau verlagern?
Herkenrath: Verschiebungen lassen sich in
erster Linie über klimatische Einflüsse, die
Bodenqualität, Verfügbarkeit von Wasser,
phytosanitäre Bedingungen oder einen
weiter limitierten Einsatz von Wirkstoffen
erwarten. In Deutschland gibt es größere
Flächen, die stark mit Drahtwurm-Befall
belastet sind, und auf denen sich nach
dem Verbot des Wirkstoffs Fipronil der
Kartoffelanbau nicht mehr rechnet. Dies
könnte bei uns eine leichte Anbauverschiebung nach Mittel- und Norddeutschland nach sich ziehen. Große Verschiebungen erwarte ich aber aufgrund der vom
LEH geforderten Regionalität kaum.
Können wir unsere Selbstversorgung
mit Frühkartoffeln ausbauen oder sind
wir auf Importe angewiesen?
Herkenrath: In Deutschland sind in den
vergangenen Jahren erhebliche Lagerkapazitäten entstanden, aus denen sich der
hiesige Markt auf Wunsch des LEH und
der Verbraucher länger mit Inlandsware
versorgen lässt. Dadurch ist der Bedarf
an importierten Frühkartoffeln etwas
gesunken. Im Mai haben wir üblicherweise eine Versorgungslücke und brauchen
die Importe aus Ägypten und Israel. Vor
dem Start unserer Frühkartoffelsaison in
der Pfalz und im Burgdorfer Raum sind
wir für vier bis sechs Wochen auf spanische Herkünfte angewiesen. Der deutsche Frühkartoffelanbau hat zwar eine
Chance, ist aber durch die klimatischen
Bedingungen, Bewässerungsmöglichkeiten und durch Restriktionen beim Pflanzenschutz limitiert.
Könnte der Kartoffelexport künftig
einen größeren Stellenwert bekommen
oder bleibt unser Anbau eine regionale
Veranstaltung?
Marktexperte und engagierter Branchensprecher
Thomas Herkenrath ist seit 1998 Geschäftsführer des Familienunternehmens Fritz Jungnickel GmbH & Co. KG, Neuss. Der Schwerpunkt
der Firma liegt im weltweiten Handel von
Speise-und Pflanzkartoffeln. Pro Jahr werden
etwa 6 000 Tonnen Pflanzkartoffeln und rund
80 000 Tonnen Speisekartoffeln vermarktet.
Hauptkunden sind andere Händler und Packbetriebe. In Spanien betreibt Jungnickel zudem
einen Kartoffelanbau in eigener Regie.
Die Wurzeln der Firma Jungnickel reichen
bis in das Gründungsjahr 1912 in Dresden
zurück. 1953 erfolgte eine Neugründung. Fritz
Jungnickel eröffnete in Neuss einen Pflanzkartoffelhandel und übernahm im westdeutschen Raum die Vertretung für die Sorten der
Kartoffelzucht Böhm. Daraus ging 1978 die
heutige Firma Fritz Jungnickel hervor.
Seit 2015 ist Herkenrath Präsident des Deutschen Kartoffelhandelsverbands e.V. (DKHV).
Der Verband deckt mit Ausnahme des Verarbeitungsbereichs nahezu den gesamten
deutschen Kartoffelhandel ab und ging 2007
aus der Verschmelzung des Zentralverbandes
der Deutschen Kartoffelkaufleute mit den
Verbänden der Kartoffelkaufleute Weser-Ems
und dem Verband der Kartoffelkaufleute e.V.
hervor. Daneben ist Herkenrath Vizepräsident
des europäischen Kartoffelhandelsverbandes
‚Europatat‘. Im Juni dieses Jahres endete Herkenraths Amt in der europäischen Vertretung
St
turnusgemäß.
Herkenrath: Im Gegensatz zu Frankreich
sind wir nicht auf Ausfuhren im großen
Stil angewiesen Die Frischware lässt sich
aus Haltbarkeitsgründen nur begrenzt
transportieren und die Möglichkeiten
bleiben im Wesentlichen auf Süd- oder
Osteuropa begrenzt. Hier gibt es noch
etwas Potenzial für den Handel, auch
für uns als Firma Jungnickel. Für Tiefkühl-Ware, Convenience-Produkte oder
Kartoffelstärke gibt es sicherlich andere Absatzmöglichkeiten, zumal sich
für Europa in den kommenden Jahren
ein zusätzlicher Bedarf von 500 000 bis
700 000 Tonnen abzeichnet. Wir müssen aufpassen, dass die zusätzlichen
Flächen nicht zulasten der Speisekartoffeln gehen, zumal die Produktion
und Vermarktung von Speiseware für
unsere hochtechnisierten Landwirte
ein größeres Risiko als Verarbeitungsware bergen.
Die großen Pflanzenschutzkonzerne
erweitern ihr Portfolio um Saatgut. Interessieren sie sich auch für Kartoffeln?
Herkenrath: In Deutschland haben wir
mit Europlant, Solana und Norika drei
große Züchterhäuser, die hervorragende
Ergebnisse liefern und weltweit einen
sehr guten Ruf genießen. Auch kleinere
Züchter haben bei Spezialsorten und speziellen Segmenten Zukunftsperspektiven.
Die großen Pflanzenschutzkonzerne sind
an gentechnisch veränderten Pflanzen in
Kombination mit eigenen Pflanzenschutzmitteln interessiert. Für gentechnisch
veränderte Sorten fehlt hierzulande die
Akzeptanz. Bei Speisekartoffeln müssen
wir als Unternehmen GMO-Freiheit garantieren. Das könnten wir aber nicht mehr,
wenn irgendwo auf einem Acker genma-
nipulierte Kartoffeln angebaut würden.
Diese Flächen wäre aufgrund von Durchwuchs oder Knollen, die auf dem Feld bleiben, für den Speisekartoffelanbau nicht
mehr tragbar. Der DKHV und der europäische Kartoffelhandelsverband Europatat
sehen momentan keine Notwendigkeit für
genmanipulierte Kartoffeln.
Das Gespräch führte Hermann Steffen
Die Ketten des
Lebensmittel­
einzelhandels
schreiben vor, welche
Nahrungsmittel auf welche
Weise hergestellt werden.“
Foto: St
Der Präsident des Deutschen Kartoffel­
handelsverbands e.V. (DKHV), Thomas
Herkenrath, sieht die Branche für die
Zukunft gut gerüstet. Die vorhandenen
Packkapazitäten in Deutschland und
Europa bilden den Bedarf gut ab. Regi­
onale Anforderungsprofile gewinnen
an Bedeutung. Für Gentechnik ist in der
Kartoffelwirtschaft kein Platz.
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agrarzeitung
Gemeinsame Werte
stehen im Vordergrund
Ausgesprochen vielschichtig ist das Image des Saatgutanbieters KWS: Der Landwirtschaft international als Saatgutmarke bekannt, wird KWS in Publikumsmedien
gern zu den Konzernen gezählt. Dennoch beharrt die Unternehmensführung auf der
Zugehörigkeit zum Mittelstand – aus guten Gründen.
Dieses Datum muss Andreas Büchting
nicht nachschlagen. Der Aufsichtsrats­
vorsitzende kennt es auswendig. Er hat
das Ereignis in seinen Kalender ein­
getragen, auch wenn dieser Tag keine
besondere Rolle spielt. Aber er gehört
zu seiner Familien­ und der Unterneh­
mensgeschichte. Gegründet wurde KWS
bereits 1856 von Büchtings Urururgroß­
vater aus einem landwirtschaftlichen
Impuls heraus.
Wurzeln in der Landwirtschaft
Aus diesen landwirtschaftlichen Wurzeln
entwickelt sich das Unternehmen, das in
6,6 Millionen Aktien gestückelt ist, wei­
ter. Daran lässt Büchting keine Zweifel.
Wie wichtig diese Erdung ist, bestätigt
auch Vorstandssprecher Hagen Duen­
bostel: „Das Unternehmen ist geprägt
von den Werten, die in den Familien der
sechs Generationen gelebt wurden.”
Diese Werte seien auch für den Vorstand
und die Mitarbeiter gültig. Aus dieser
engen Bindung an die Gründerfamilien
heraus begründet Duenbostel auch den
Anspruch, als Mittelständler zu gelten:
„Reale Personen und nicht anonyme
Kapitalgeber bestimmen den Weg des
Unternehmens.” Tatsächlich halten drei
Familien – Büchting, Arend Oetker und
Giesecke – mit 56 Prozent die Mehrheit
der Aktien.
Darum fürchtet Duenbostel auch keine
feindliche Übernahme. Die Familien
haben sich fest verpflichtet, bestätigt
Büchting. Durch eine komplexe Konst­
ruktion gibt es kein Bröckeln der Aktien.
Wie in der Landwirtschaft üblich, soll das
Unternehmen von Generation zu Gene­
ration weitergegeben werden. Direkten
Einfluss aber nehmen die einzelnen
Familienmitglieder nicht. Sie entschei­
den lediglich, wer sie im Aufsichtsrat ver­
tritt. „Der Vorstand hat vollständig freie
Hand, strategische Konzepte zu entwi­
ckeln”, betonen Aufsichtsratsvorsitzen­
der und Vorstandssprecher einhellig. Der
kontinuierliche Gedankenaustausch hat
einen hohen Stellenwert. Bei gemeinsa­
men Reisen zu ausländischen Zuchtsta­
tionen werden informell Konzepte und
strategische Überlegungen diskutiert.
„So stellen wir frühzeitig sicher, dass wir
nicht in fundamentalen Grabendiskussi­
onen enden”, erklärt Büchting.
Trotz der Familienbindung, sehen
Büchting und Duenbostel die Börsen­
notierung als großen Vorteil für das
Unternehmen. „Wir sind zu einer Trans­
parenz gezwungen, die wir für Banken
sowieso haben, wenn wir Finanzierung
in Anspruch nehmen wollen”, erklärt
Duenbostel. Aber weder Kursschwan­
kungen noch das Platzen der speku­
lativen Agrarblase 2008/09 sorgen für
operative Hektik. „Börsenkurs und Divi­
dende sind nicht die Dinge, die Fami­
liengesellschaften elektrisieren”, sagt
Büchting. Dennoch versucht Duenbos­
tel zweistellige Betriebsergebnisrendi­
ten zu wahren und zwischen 6 und 10
Prozent Umsatzwachstum zu erreichen.
Dass die Gesellschafter Rendite erwar­
ten vor allem in Form einer langfristigen
Wertentwicklung, ist für ihn selbstver­
ständlich. Für die langfristige Entwick­
lung werden mehr als 70 Prozent des
Jahresüberschusses investiert, um das
Unternehmen weiter zu stärken.
Vorurteilsfreie Forschung
Rund 15 Prozent des Umsatzes gehen in
die Forschung. Damit ist das Unterneh­
men auch in der Technologie­Entwick­
lung ganz vorne mit dabei. Das galt in den
1980er Jahren in der Biotechnologie und
angewandten Pflanzengenetik. Das gilt
auch heute mit den neuen Züchtungs­
verfahren. Dabei geht es einerseits um
die Zukunft des Unternehmens, das am
internationalen technologischen Fort­
schritt Teil hat. Zudem geht es um die Rol­
le der KWS für die Landwirtschaft: „Wir
bieten Lösungen an, vorurteilsfrei und
methodenneutral.” Das ökonomische
Potenzial kann sich das international
aufgestellte Unternehmen nicht entge­
hen lassen. Aber: „Wenn diese Methoden
in Europa keine Relevanz haben sollen,
sind wir die letzten, die missionieren und
dann gegen die Wand laufen”, erklärt
Duenbostel.
KWS will mit dem Sortenportfolio mög­
lichst jedem Landwirt genau jene Pro­
dukte anbieten, die für seine Zwecke
Foto: KWS
G
eldanleger interessieren sich
zunehmend für Saatgut und
Pflanzenzüchtung, die ihnen
zumeist als Geschäftsfelder
in größeren Zusammenhän­
gen begegnen. In weitem Abstand zum
DAX, im SDAX, rangieren oft schillernde
Unternehmen wie Puma oder Borussia
Dortmund, die für eine andere Perspek­
tive auf große Märkte sorgen. Hier ist mit
der KWS Saat SE auch die Aktie eines
der ältesten börsennotierten Unterneh­
men überhaupt gelistet: Ihr Start war am
29. Mai 1885.
Gespräche verbinden: Vorstandssprecher Hagen Duenbostel (l.) und Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Büchting
die richtigen sind. Duenbostel schließt
die Öko­Landwirtschaft explizit mit ein.
Dass die weite Spanne von Gentechnik
bis Öko­Saatgut eine Herausforderung in
Sachen Glaubwürdigkeit bei ganz über­
zeugten Biolandwirten bedeutet, räumt
er ein. Aber Transparenz ist für ihn der
Schlüsselbegriff.
Begleitend zur Gentechnik­Forschung
hat KWS ein Kuratorium für Pflanzen­
züchtung eingerichtet, mit externen
Experten besetzt und darin ethische
Fragen diskutiert. Vertreter von Verbrau­
cherseite, Technikfolgenabschätzung,
Kirche und Wissenschaft gehörten dazu.
„Wir sind daher nie in die Bredouille
gekommen, dass wir Dinge getan haben,
bei denen wir ein mulmiges Gefühl hat­
ten”, resümiert Büchting. Diesen bislang
auf Deutschland orientierten Kreis für
die Ethik­Debatte will Duenbostel nun
erweitern. Die Erörterungsplattform soll
künftig Themen globaler betrachten,
weil Stoffströme auch globaler fließen.
Die Gremien könnten themenspezifisch
sein oder auch länderspezifisch. Daran
wird noch gefeilt.
Technologie begleitet Diversifikation
Die weitere Diversifikation des Sorten­
portfolios orientiert sich an dem Grund­
gedanken, Kulturarten zu bearbeiten,
die eine Chance auf Hybridisierung
haben, bei denen der Züchtungserfolg
hoch ist und bei denen KWS eine Dif­
ferenzierung aufbauen kann, umreißt
Duenbostel die Entscheidungsmatrix.
Er favorisiert Kulturarten, in denen KWS
vorhandene Technologien nutzen kann,
um den Züchtungserfolg auszubauen.
Soja kommt derzeit ebenso wenig in Fra­
ge wie Zuckerrohr.
Büchting plant gewissenhaft die Zukunft
des Unternehmens. Er trägt dafür Sorge,
dass die Gründerfamilien über Generatio­
nen Kontakt zu Unternehmen und Land­
wirtschaft halten. Einmal im Jahr trifft
sich die Familie für ein Wochenende an
einer Zuchtstation. Zuchtprogramme und
Menschen vor Ort stehen im Mittelpunkt.
„Um nicht nur Aktien zu haben, sondern
auch zu sehen, wie die Dinge funktionie­
ren und einen persönlichen Eindruck
zu bekommen”, erklärt er die Idee. Die
Fortsetzung dessen ist die Hauptver­
sammlung der Aktiengesellschaft. Jedes
Jahr kommen rund 700 Aktionäre zum
Firmensitz in die kleine, südniedersäch­
sische Fachwerkstadt Einbeck. Die Atmo­
sphäre von KWS soll verbinden.
brs
Abkehr vom Weltmarkt nötig
Die Pflanzenzüchtung in Deutschland
hat sich in der Vergangenheit stark
gewandelt. Der Ehrenvorsitzende des
Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter Dr. Kartz von Kameke, zugleich
Gesellschafter der Solana-Gruppe, macht
unter anderem den mangelnden Respekt
vor dem geistigen Eigentum dafür verantwortlich.
Prof. Ulrich Hamm sieht Lösungen in der Öko-Landwirtschaft
agrarzeitung: Was zeichnet aus Ihrer
Sicht den Standort Deutschland aus?
von Kameke: Die Branche der Pflanzen­
züchter ist in Deutschland geprägt durch
die vielen mittelständischen Firmen und
Familienbetriebe. Dadurch gibt es nicht
nur eine Vielzahl von Unternehmen und
einen gesunden Wettbewerb, sondern
auch eine große, bedarfsgerechte Vielfalt
an Kulturarten und Sorten. Diese Struktur
ist weltweit einzigartig.
Leider verschlechtern sich die Rahmen­
bedingungen für die Pflanzenzüchtung
in Deutschland, sodass es nicht auszu­
schließen ist, dass Züchtungsunterneh­
men ihre Aktivitäten in andere Länder
mit besseren Rahmenbedingungen ver­
lagern werden oder ihre Tätigkeit sogar
aufgeben müssen.
Was sehen Sie als die größten Hürden
am hiesigen Standort?
von Kameke: Es fehlt in Teilen immer
noch die Bereitschaft, geistiges Eigentum
anzuerkennen und sich an den Kosten
Zur Person
Dr. Kartz von Kameke ist geschäftsführender Gesellschafter der Solana-Gruppe. Das international tätige Unternehmen geht auf die Kartoffelzüchtung der
Saatzucht von Kameke-Streckenthin
zurück. Das Unternehmen wird künftig
in vierter Generation von der Familie
geführt. Nach starkem ehrenamtlichen
Engagement im Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) ist Dr. Kartz
von Kameke heute Ehrenvorsitzender
brs
des Verbands.
Foto: Solana
„Wir brauchen Unterstützung“
Die Rahmenbedingungen
in Deutschland
verschlechtern sich.“
der erbrachten Innovationsleistung zu
beteiligen. Die Fruchtart Kartoffel ist
davon besonders betroffen. In jeder
zugelassenen Sorte stecken zehn bis
fünfzehn Jahre Arbeit und hohe Inves­
titionen. Die Entwicklung einer neuen
Kartoffelsort kostet im Durchschnitt
etwa 1 bis 2 Millionen Euro. Das können
wir nur leisten, wenn unsere Arbeit und
der Züchtungsfortschritt auch über die
Nachbaugebühr gewürdigt werden. Des­
wegen brauchen wir hier eine bessere
Unterstützung von den Bauernverbän­
den und von der Politik eine Gesetzge­
bung, die uns die erforderliche Rechts­
sicherheit gibt. Fehlt diese, kann es dazu
führen, dass immer mehr Unterneh­
men aufgeben müssen.Sinvoll wäre es,
steuerliche Anreize für Forschung und
Entwicklung zu schaffen, wie es andere
Länder bereits erfolgreich tun.
Was hat die Wiedervereinigung
Deutschlands für Ihr Unternehmen
bedeutet?
von Kameke: Durch die Öffnung der Gren­
ze haben sich für uns Chancen ergeben:
Anfang der 1990er Jahre konnten wir in
Mecklenburg­Vorpommern die Güter in
Gransebieth, Ranzin und Voigtsdorf und
2001 das Gut Stolpe zunächst langfris­
tig pachten – die landwirtschaftlichen
Betriebe waren in der ehemaligen DDR
Erhaltungszüchtungsstationen. Alle Flä­
chen liegen in einer Gesundlage und
ermöglichen uns so, gesundes, hochwer­
tiges Pflanzgut zu produzieren. Auch das
Know­how der Mitarbeiter war natürlich
eine Bereicherung für unser Unterneh­
men. Und schließlich konnten wir viele
Arbeitsplätze erhalten.
Haben Sie eine Vorstellung davon,
welche Rolle die Kartoffel im Jahr 2050
spielen kann?
von Kameke: Kartoffeln werden auch in
Zukunft eine große Rolle spielen. Sie
sind schon heute das viertwichtigste Nah­
rungsmittel weltweit und können einen
großen Beitrag im Kampf gegen den Hun­
ger leisten. Denn sie liefern pro eingesetz­
ter Wassereinheit mehr Kalorien als jede
andere Feldfrucht und sie enthalten wich­
tige Vitamine, Mineralstoffe und Eiweiße.
Die genetische Variation der Kartoffel ist
gewaltig und bei weitem noch nicht aus­
geschöpft. Kartoffeln haben also noch viel
Potenzial, gerade für die Schwellen­ und
Entwicklungsländer. Kartoffeln werden
heute in über 100 Ländern weltweit mit
unterschiedlichen Klima­ und Bodenbe­
dingungen angebaut.
Wird Cisgenetik als Züchtungsmethode
für Kartoffeln bis 2050 beim Verbraucher ankommen?
von Kameke: Es wird viel davon abhän­
gen, wie unsere Gesellschaft gene­
rell mit dem Thema Innovationen
umgehen wird und dass neue Züch­
tungsmethoden rechtssicher ange­
wendet werden können. Eine verläss­
liche Einschätzung zur Einstellung der
Verbraucher in 34 Jahren ist auch
für uns sehr schwer, obwohl Züch­
ter immer in die Zukunft schauen.
Das Gespräch führte Brigitte Stein
V
on anderen Hochtechnolo­
giebranchen kann die deut­
sche Landwirtschaft lernen.
Agrarökonom Prof. Ulrich
Hamm empfiehlt, sich als
Produzenten hochwertiger Lebensmit­
tel zu profilieren.
„Der deutsche Verbraucher ist nicht gei­
zig”, davon ist Ulrich Hamm, Professor
für Agrar­ und Lebensmittelmarketing
an der Universität Kassel in Witzen­
hausen zutiefst überzeugt. Die Liste
der Beispiele, mit denen er seine The­
se untermauert, ist lang: Für Spaghet­
ti, Marmelade und selbst Weizenmehl
oder Zucker ist die Preisspanne zwi­
schen dem billigsten und dem teuersten
Produkt im Laden enorm – den Faktor
sieben oder acht nennt der Marktfor­
scher. Verbraucher seien bereit, für
Lebensmittel hohe Preise zu zahlen,
wenn sie darin einen zusätzlichen Nut­
zen erkennen.
Einfallslose Werbung
Dieses Potenzial nutzen Landwirte zu
wenig. Der Preis ist nach den Erfahrun­
gen des Kasseler Marktforschers ein völ­
lig überschätztes Kriterium. Vor allem
der Einzelhandel erziehe regelrecht zum
Blick auf den Preis. Dass Verbraucher
ausgerechnet bei Lebensmitteln sparen
müssen, lässt Hamm nicht gelten, solan­
ge bei Auto, Smartphone oder Schuhen
andere Kriterien zählen: „Nur 20 Prozent
der deutschen Verbraucher müssen
wirklich jeden Cent umdrehen.” Darüber
hinaus landet ein erheblicher Teil der
billig gekauften Lebensmittel im Müll.
Über den Verbraucher und seine Einstel­
lungen weiß Hamm sehr gut Bescheid.
Seit den 1980er Jahren betreibt er Markt­
forschung. Der Forschungsschwerpunkt
Öko­Lebensmittel hat sich recht früh
herauskristallisiert, als der Ökonom
wissen wollte, warum die Produkte
mit dem Verbandssiegel von Demeter
und Bioland sehr viel teurer angeboten
wurden. Die Marktforschung hat Hamm
im Lauf der Zeit stetig verbessert. Valide
Aussagen und Prognosen sind ihm wich­
tig. Für seine Untersuchungen sucht er
gezielt Einzelhandelsfilialen in Durch­
schnitts­Städten aus. Die Verbraucher
müssen dort mit ihrem Geld bezahlen,
um ihren Aussagen Glaubwürdigkeit zu
verleihen. Spontane Verbraucherbefra­
gungen mit Online­Fragebögen, die in
extrem kurzer Zeit ohne nachzudenken
ausgefüllt werden, kommen für Hamms
Marktforschung nicht infrage.
Mit einer weitblickenden These über
die Konsumgesellschaft lag der Wissen­
schaftler schon früh richtig: Unter den
Verbrauchern findet ein Wertewandel
statt. Schon längst geht es beim Einkau­
fen nicht mehr darum, satt zu werden.
Zusätzliche Eigenschaften der Produkte
geben den Ausschlag. Waren zunächst
die Gesundheit und die Unterstützung
der alternativen Bewegung wichtige
Kaufmotive für Öko­Produkte, so sind
im Laufe der Zeit weitere hinzugekom­
men. Und für alle diese Merkmale sind
die deutschen Verbraucher bereit, tief in
das Portemonnaie zu greifen.
Trotz steigender Preise für Öko­Lebens­
mittel wächst die Nachfrage nach die­
sen ungebremst weiter. Anstatt gegen
„unwissende” oder „fehlgeleitete”
Verbraucher zu polemisieren, sollte
die deutsche Landwirtschaft entspre­
chende Produkte anbieten, fordert der
Ökonom. Am Beispiel des Eiermarktes
könne man schön studieren, wie sich
Verbraucher verhalten, wenn sie ein­
fache Entscheidungshilfen für ihren
Einkauf erhalten: eine leicht nachzu­
vollziehende staatliche Kennzeichnung
der Tierhaltungssysteme hat den Weg zu
deutlich höheren Preisen für Öko­ oder
Freilandhaltung geebnet. Ein ähnliches
Kennzeichnungssystem für Milch und
Fleisch hält Hamm für weit zielführen­
der als die Initiative Tierwohl: „Vom
Verbraucher aus gedacht, muss erkenn­
bar sein, welche Zusatzleistung in dem
Produkt steckt, das im Laden liegt.” Dann
werde der Markt schnell zeigen, wonach
der Verbraucher wirklich verlangt.
Irrweg Massenware
Ganz grundsätzlich zieht der Agraröko­
nom die derzeitige Orientierung der
deutschen Landwirtschaft am Welt­
markt in Zweifel. „Die Erzeugung von
Massenware ist ein Irrweg”, sagt er.
Andere deutsche Wirtschaftszweige set­
zen auf hohe Qualität und die Innova­
tionskraft des Standorts Deutschland.
Dass die Landwirtschaft glaubt, ökono­
mische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft
setzen zu können, erntet sein Kopfschüt­
teln. Bei hohen Boden­ und Lohnkos­
ten, Tierhaltungs­, Umwelt­ und Bau­
auflagen ist die Wettbewerbsfähigkeit
zu Weltmarktpreisen auf Dauer nicht
gegeben. Von Nährstoffüberschüssen
belastetes Grundwasser und hohe Anti­
biotikagaben für intensive Formen der
Tierhaltung stoßen zudem auf Ableh­
nung in weiten Teilen der Gesellschaft.
Hamm weist darauf hin, dass von Jahr
zu Jahr mehr Öko­Lebensmittel, Weide­
und Heumilchprodukte nach Deutsch­
land importiert werden, obwohl Ver­
braucher für Öko­Lebensmittel aus der
Region oder aus Deutschland höhe­
re Preise bezahlen würden. Auch im
Export erwähnt er gute Chancen. Für
Öko­Milchpulver und Babykost „made
in Germany” beispielsweise zahlt eine
reiche Elite in China, die immerhin
mehrere Millionen Menschen umfasst,
sehr hohe Preise. Auch gibt es einen
Markt für deutsche Spezialitäten in
Nordamerika und weiteren Ländern.
Die deutsche Land­ und Ernährungs­
wirtschaft sollte auf solche hochwerti­
gen Märkte setzen.
brs
Düngemittel
35
Foto: SKW
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
High Tech unterm Holzdach: Um die Qualität von Düngemitteln zu erhalten, bedarf es einer optimalen Lagerraumtemperatur und Umwälzanlagen.
Scharfer Wettbewerb in der Düngerwelt – Schwache Konjunktur schmälert Gewinne von Unternehmen
onen für Betriebsmittel, die beispielsweise die indische Regierung für Kleinbauern gewährt. Alle diese vielfältigen
Einflüsse machen den Düngermarkt zu
einem wenig vorhersehbaren, witterungsabhängigen und volatilen Gebilde.
Daphne Huber-Wagner
Ressort Düngemittel
I
m weltweiten Geschäft mit Düngemitteln liegen Risiken und Chancen eng beieinander. Die Nachfrage
nach den wichtigsten Pflanzennährstoffen, Stickstoff, Phosphat und
Kali, wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst. An erster Stellte steht
die wirtschaftliche Konjunktur und
die damit einhergehenden steigenden
Lebensstandards in den Regionen und
Kontinenten. Großen Anteil, ob in einem
Jahr viel oder weniger Dünger verkauft
werden, hat die Preisentwicklung für
Agrarrohstoffe, und immer bedeutender
für den Verbrauch werden politische Entscheidungen wie die Düngeverordnung
in der EU, eine Exportsteuer für Harnstoff
in China oder die Höhe von Subventi-
Kurzfristig sollten sich nach Einschätzung
von Marktteilnehmern die internationalen Notierungen für Getreide und Ölsaaten trotz der Abschwächung seit 2015
weiterhin auf einem Nivau halten, dass
es ein Anreiz für die Farmer in Kanada,
Brasilien, Vietnam oder in Frankreich
ist, den Ertrag je Hektar auch durch einen
optimalen Einsatz von Pflanzennährstoffen zu steigern. Analysten wollen nicht
ausschließen, dass sich mittelfristig das
Wachstum der Schwellenländer weiter
verlangsamt und die Schuldenkrise im
Euroraum auch durch den Brexit von
Großbritannien an Schärfe gewinnt. Niedrige Agrarpreise verunsichern Landwirte
weltweit über ihre Erlössituation, was
deren Nachfrageverhalten nach Pflanzennährstoffen negativ beeinflussen könnte.
Auf eine solche Situation reagieren die
Hersteller wie derzeit mit einer bedarfsgerechten Produktionsdrosselung oder
vorgezogenen Reparaturarbeiten der
Düngerwerke. Andererseits, sollte sich
die Weltwirtschaft besser entwickeln als
erwartet und das Wachstum in den wichtigen Verbrauchsregionen anspringen,
könnten sich die Hersteller freuen und
ihre Produktion ausdehnen.
Anbieter wie die K+S AG, Kassel, geben
sich optimistisch angesichts einer steigenden weltweiten Kalinachfrage. Nach
vielen Jahren nimmt das Unternehmen
in der Region Saskatchewan in Kanada eine Mine auf der grünen Wiese in
Betrieb. Eine Investition auf zwei Kontinenten in die Zukunft: Ab 2060 geht
der Kaliabbau in Deutschland zur Neige.
Die Unberechenbarkeit auf dem globalen Düngermarkt beschleunigt den
Strukturwandel. In immer kürzeren
Abständen berichten die Unternehmen
von Fusionen. Allerdings nicht zu jedem
Preis. So biss sich der größte Kaliproduzent Potash Corp. an der freundlichen Übernahme seines deutschen
Wettbewerbers K+S 2015 die Zähne
aus. Das Angebot wurde als zu niedrig
erfolgreich zurückgewiesen. Mittlerweile dürfte Potash froh sein, dass es angesichts des eigenen Ergebnisrückgangs
vor K+S zurückwich. Doch ungeachtet
dessen wird die Konsolidierung unter
den Anbietern von Düngemitteln weiter voranschreiten. Das derzeitige Über-
leben ist den niedrigen Energiepreisen
geschuldet, hingegen schmälern schwache Düngerpreise die Gewinne. Viele
der angekündigten neuen Harnstofffabriken in Nordafrika sind auf Grund
der politischen Lage längst aufgegeben
oder auf lange Sicht verschoben worden. Neuinvestitionen und Forschung
sind teure Experimente. Die natürlichen Phosphorreserven in Marokko,
der Westsahara, China und den USA sind
endlich und dürften nach Einschätzung
von Schweizer Wissenschaftlern in 50
bis 80 Jahren zu Ende gehen. Viele Pilotanlagen sind bereits in Betrieb, um das
in Klärschlamm enthaltene Phosphor
abzutrennen. In einigen Jahren könnten
rund 80 Prozent des Phosphors erneut in
den Düngekreislauf wandern.
Dieser Wandel von mineralischen zu
organischen Düngern vollzieht sich vor
allem in den westlichen Industrieländern. Weltweit gesehen steigt der Bedarf
weiter an. Der internationale Düngerverband IFA prognostiziert für die kommenden fünf Jahre einen jährlichen Anstieg
von 3 bis 4 Prozent. Die größten Wachstumsmärkte befinden sich in Afrika und
Asien. Die Global Player sind längst auf
diesen Märkten aktiv, wenn auch in kleinem Umfang.
in kg Nährstoff je ha*
160
Kalk
120
Stickstoff
80
40
Kali
Phosphat
0
50/51 55/56 60/61 65/66 70/71 75/76 80/81 85/86 93/94 96/97 01/02 06/07 11/12 14/15
*ab 1991 einschließlich Ostdeutschland
Quelle: Statistisches Bundesamt
Kalkstickstoff
ist Trumpf
Die Werbekampagne für Kalk­
stickstoff aus Trostberg war
schon in der Zeit vor dem Zwei­
ten Weltkrieg sehr einfalls­
reich. Heute düngen Landwirte
wieder verstärkt mit Kalkstick­
stoff, um ihre Kulturen bedarfs­
gerecht zu ernähren und in
engen Fruchtfolgen die Boden­
gesundheit zu verbessern.
Schon immer diente die Kombi­
nation von Stickstoff und Kalk
auch zur Unkrautbekämpfung.
Foto: Alzchem
Verschnaufpause vor der
nächsten Übernahmewelle
Mineraldünger in Deutschland
36 Düngemittel
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Geplante Hoftor-Bilanz bedeutet mehr Bürokratie – Mühlen stellen hohe
Ansprüche an die Qualität
Über die Düngung in Deutschland wird
kontrovers diskutiert. Der Gesetzgeber
muss die Vorgaben aus Brüssel erfüllen, die Landwirte hingegen fühlen sich
gemaßregelt. Drei Experten aus Industrie, Beratung und Verwaltung suchen
nach einem gemeinsamen Weg.
agrarzeitung: Wie hat sich der Nährstoffeinsatz verändert?
Pradt: Vor 70 Jahren gingen Wissenschaft
und Praxis von der Vorstellung aus, der
Boden ist ein Nährstoffspeicher, den ich
immer wieder auffüllen muss, um niemals in eine Mangelsituation zu geraten.
Dann kam um 1980 der Umbruch. Bei
Nitrat hat man festgestellt, dass bei einem
vollen Speicher das System anfängt,
Nährstoffe abzugeben. Damit war die
Grundwasserproblematik erkannt und
es begann ein Umdenken. Die Entzugsdüngung ist heute das Prinzip, nach dem
Dünger angewendet werden.
Hüther: Wir feiern in diesem Jahr 100
Jahre Düngerecht. Eine Art Düngemittelverordnung war damals das erste maßgebliche Instrument. 1996 kam dann die
erste Düngeverordnung dazu, auch um
die EU-Nitratrichtlinie national umzusetzen, primär aber, um die gute fachliche
Praxis beim Düngen zu konkretisieren.
Damit kamen die ersten Sperrfristen.
Wenn man ehrlich sein will, ist aber eine
Sperrfrist der krasse Gegensatz zur guten
fachlichen Praxis. Viele von uns haben
gelernt, wir fahren aus Gründen des
Bodenschutzes bei Frost. Nun haben wir
Stufe 3 der Düngeverordnung.
Cloos: Die Regeln der Düngeverordnung
gehen in Teilen völlig an den praktischen
und wissenschaftlichen Erfahrungen vorbei. Zwar steht da, dass nach Pflanzenbedarf gedüngt werden soll, aber es gelten
starre Sperrzeiten und Obergrenzen. Diese sind nicht in Einklang zu bringen mit
Vegetation und Aufwuchs. Wir hatten in
den drei vergangenen Jahren milde Winter mit einem fast ungebremsten Wachstum in den Beständen zum einen, aber
auch fortwährenden Mineralisationswie auch Verlagerungsprozessen. Das
bereitet Probleme beim Nitrat. Landwirte
richten sich nach der Vegetation und den
Wetterbedingungen. Ein starrer Termin
zur Düngung lässt sich von uns Beratern
nur schwer vermitteln.
Pradt: Ich denke, der Widerstand leitet
sich aus dem Verständnis ab: „Natur lässt
sich schwer regeln.” Durch Justus von Liebig, die technische Umsetzung im Kalibergbau Ende des 19. Jahrhunderts und
1913 das Haber-Bosch-Verfahren wurden
Möglichkeiten geschaffen, mineralische
Nährstoffe den Pflanzen gezielt verfügbar
zu machen. Bis dahin war die Vorratsdüngung üblich, damit die Pflanze sich
bedienen konnte, wann immer sie wollte.
Das war die Philosophie im Pflanzenbau.
Hüther: Im alten Düngemittelgesetz, das
erst 2009 durch das Düngegesetz abgelöst
wurde, fand sich die Vorgabe, Düngemittel so einzusetzen, um die Bevölkerung
mit qualitativ hochwertigen, preiswerten
Lebensmitteln zu versorgen.
Pradt: Dann hat man festgestellt, das
funktioniert nicht für immer und ewig,
wir müssen etwas ändern. Das war der
Umschwung von der Vorratsdüngung hin
zur effizienteren Entzugsdüngung.
Hüther: In den 1980er Jahren waren
die Vorreiter Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit den Gülleverordnungen. Denn schon damals war klar,
dass der Mineraldünger gar nicht das
Problem ist. Die Hauptursache ist der
Wirtschaftsdünger. Er bereitet uns hinsichtlich Nährstoffverfügbarkeit und
-effizienz Probleme. Wir müssen die
Verluste so gering wie möglich halten.
Wir bewegen uns in einem offenen System und nicht in einem Gewächshaus, in
dem man Wasser- und Nährstoffzufuhr
genau steuern kann.
Pradt: Genau dieses Beispiel macht klar,
wo das Problem liegt. Nämlich auf der
einen Seite das offene System in der Landwirtschaft und auf der anderen Seite ein
juristisches Regelwerk, das von Kiel bis
Berchtesgaden einheitlich ist. Das ist ein
Problem. In den viehstarken Regionen
im Nordwesten haben wir einen enormen Phosphatüberschuss aus der Gülle.
Gleichzeitig gibt es Phosphatdefizit. Wie
will man die Differenzen in ein- und demselben Regelwerk vernünftig unter einen
Hut bringen?
Wäre der Gülletourismus die Lösung?
Cloos: Ist es sinnvoll, wenn man über große Strecken organischen Dünger transportiert? Das muss unsere Gesellschaft
beantworten. Mein Aufgabe ist, Landwirte darin zu unterstützen, gezielt und
verlustminimierend zu arbeiten.
Hüther: Gülletourismus ist negativ belegt.
Vielmehr haben wir ein Verteilungsproblem. Warum also nicht den Wirtschaftsdünger aus den viehstarken in die viehschwachen Regionen transportieren,
einige Bundesländer praktizieren dies
ja schon.
Pradt: In den Niederlanden wird mit dem
Problem anders umgegangen. Das hängt
mit der Akzeptanz der Landwirtschaft
als Einkommens- und Erwerbsbereich
zusammen. Dort leistet der Staat – stärker
als bei uns – Unterstützung, damit man
die Gülle in eine Form bringt, die transportiert werden kann. Warum kommt
nach Ostsachsen oder Sachsen-Anhalt,
Hühnertrockenkot aus Holland und nicht
aus Weser-Ems?
Droht mit der Emissions-Richtlinie
neuer Ärger?
Hüther: Ja. Mit den diskutierten Senkungen der Emissionen sehe ich viel größere
Probleme auf uns zukommen, als wir
derzeit mit der Nitrat-Richtlinie haben.
Deutschland hat die Ziele der NEC-Richtlinie nachweislich nicht erreicht, die
Dr. Jörg Hüther
ist Referatsleiter im Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der
Diplom-Agraringenieur versteht es, in
klarer Sprache die Komplexität verwaltungsrechtlicher Zusammenhänge den
Landwirten vor Ort zu erklären. Der
59-Jährige ist seit dem Jahr 1993 für
Düngungsfragen und Umweltangelegenheiten der Pflanzenproduktion im
Landwirtschaftsministerium in Wiesbaden tätig, das heute von der Grünen
Priska Hinz geleitetet wird.
Die Sperrfrist steht im
Gegensatz zur guten
fachlichen Praxis.“
Dr. Jörg Hüther
Hessisches Agrarministerium,
Referatsleiter Landwirtschaft,
Wiesbaden
wir bis zum Jahr 2010 hätten erreichen
müssen. Wir rauschen auf das nächste
Vertragsverletzungsverfahren zu. Wir
müssen adäquate Maßnahme finden, die
das geforderte Einsparpotenzial erfüllen.
Aber der Berufsstand hat schon bei einer
Einarbeitungsfrist von vier Stunden Probleme. Wer weiß, ob die auf Eis gelegte Ein-Stunden-Regelung nicht wieder
kommt?
Pradt: Das ist das Dilemma. Jedes Kilogramm Nährstoff, egal ob es aus dem
Mineraldünger kommt oder aus der Gülle, das nicht im pflanzlichen Ertrag landet, ist ein Verlust und verursacht Kosten.
Die Bestrebungen müssen dahin gehen,
möglichst hohe Effizienz bei der Nährstoffanwendung zu erreichen. Nur, wenn
ich das per Reglementierung durchsetze, stellt sich die Frage, wie ein Betrieb
betroffen ist. Ein 1 000 Hektar-Betrieb im
Osten kann unter Umständen die Gülle
Fotos: Sz
Die Betriebe stoßen
mit den Auflagen an
ihre Grenzen
Expertenrunde: Jörg Hüther, Dietrich Pradt, Rainer Cloos und Daphne Huber-Wagner (v.l.n.r.) diskutieren über die Folgen einer strengeren
Düngegesetzgebung.
den Selbstversorgungsbilanzen ausgehend sind wir in der Situation wie in den
1960er Jahren.
wieder erwirtschaften, indem er angemessene Preise von den Mühlen für sein
Produkt bekommt.
Landwirte und Handel bangen mit
weniger Stickstoff um die Qualität?
Hüther: Das Problem liegt im Abrechnungssystem von Getreide. Der Erfasser
zahlt nach dem Rohproteingehalt. Für
die Backqualität ist aber die Eiweißqualität, die Zusammensetzung des Rohproteins viel wichtiger. Wir kennen das vom
Öko-Landbau. Hier wird auf einem anderen Dünge-Niveau gearbeitet. Um die
erforderliche Backqualität zu erreichen,
kommen andere Sorten zu Anwendung.
Cloos: Ich beschäftige mich seit 20 Jahren intensiv mit dieser Problematik.
Die Mühlen brauchen für ihre Produkte
bestimmte Mindest-Eiweißwerte, um die
an sie gestellten Qualitätsanforderungen
erfüllen zu können. Sie müssen Mehle
Wo liegt das N-Optimum?
Pradt: Es liegt da, wo alle physischen
und ökonomischen Faktoren am besten
zusammenpassen. Der Landwirt könnte
optimal produzieren, wenn ihm jemand
genau sagen könnte, wann etwa welche
Temperaturverhältnisse herrschen und
Regen fällt. Dann könnte er den optimalen Punkt jedes Jahr erreichen, aber so
weit sind wir noch lange nicht.
Cloos: Wir haben in Hessen Dauerversuche
über 30 Jahre mit Stickstoff angelegt und
man kann sehr schön die Verschiebungen
des N-Optimum entsprechend der Änderung der Begleitparameter Erzeugerpreis
sowie Preis für das Kilo Stickstoff aufzeigen. Wir wissen recht genau, auf welchem
Niveau wir uns bewegen müssen, da ist
das einzelne Jahr weniger entscheidend,
als man glaubt. Das Optimum liegt bei
Weizen zwischen 150 und 190 Kilogramm
Stickstoff pro Hektar. Dabei sind Unterschiede bei den Erzeugerpreisen von 10
bis hin zu 20 Euro pro 100 Kilogramm Weizen und von 0,80 Euro bis hin zu 1,10 Euro
pro Kilogramm Stickstoff in der Betrachtung unterstellt gewesen.
Pradt: Völlig richtig. Die Düngemittelpreise werden heute nicht mehr in Europa und schon gar nicht in Deutschland
gemacht, sondern in Brasilien, Indien,
China und Russland. Das führt auch zu
mehr Volatilität. Auf der Produktseite ist
es ähnlich, die Getreidepreise werden
heute nicht mehr von der Mühle in der
Region festgelegt, sondern an den Börsen.
Hüther: Nur, von all diesen Dingen wissen
viele Verbraucher nichts. Sie schrecken
auf, wenn durch Kampagnen verkündet
wird, das Grundwasser ist hoch belastet. Die Stickstoff-Strategie des Bundes
zielt auf die Kommunikation mit der
Öffentlichkeit ab. Aber was will die breite
Gesellschaft wirklich? Billige Nahrungsmittel oder ein Höchstmaß an Umweltschutz? Beides ist kaum in Deckung zu
bringen.
Pradt: Das ist genau der Punkt. Im Speckgürtel Rhein-Main gibt es Proteste in
der Bevölkerung gegen den Bau eines
Schweinestalls mit rund 2 000 Mastplätzen. Dieser darf nicht gebaut werden.
Dann wundern sich die Kunden hinterher, wenn das Fleisch nicht mehr in
Deutschland produziert wird, sondern
sonstwoher kommt.
Was will die
Gesellschaft wirklich?“
Rainer Cloos
Landesbetrieb Landwirtschaft
Hessen, Friedberg
innerhalb einer Stunde einarbeiten. Ein
kleiner Gemischtbetrieb schafft diese
Anforderungen finanziell und von der
Schlagkraft her nicht.
Hüther: Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die viele oftmals nicht einhalten können. Das fördert den Frust und
beschleunigt in der Konsequenz den
Strukturwandel hin zu großen, effizient
arbeitenden, hoch technisierten und
damit schlagkräftigen Betrieben, was von
der Politik gar nicht so gewollt ist.
Cloos: Wir müssen daran arbeiten, die
Regeln als praktische Empfehlungen
dem Landwirt nahezubringen. Ich bin
dafür, verlustfrei zu arbeiten. Aber die
Umsetzung stößt bei den Betrieben an
ihre Grenzen.
Nimmt das die EU-Kommission zur
Kenntnis?
Hüther: Ganz im Gegenteil. Als ich vor
zehn Jahren bei der letzten Runde der
Düngeverordnung an bilateralen Gesprächen in Brüssel teilnahm, sagte der damalige Referatsleiter: „Wir sind nicht hier,
um die Landwirtschaft zu schützen, sondern das Gewässer.” Das hat mich schon
mächtig beeindruckt.
Cloos: Diese Aussage hat große Entrüstung bei den Landwirten ausgelöst. Mit
dieser Äußerung stellt er die Landwirte
pauschal als generell Schuldigen an der
Gewässerverunreinigung an den Pranger, ob gewollt oder ungewollt, und das
ist absolut unkorrekt.
Hüther: Das zeigt, wie problematisch die
Lage und die Verhandlungen sind. Die
Düngeverordnung wird mit der Generaldirektion Umwelt und mögliche Ausnahmeregelungen, die sogenannte Derogation, mit dem Nitratausschuss verhandelt.
Dort finden sich allenfalls vereinzelt
Gesprächspartner, die sich mit den Problemen der praktischen Landwirtschaft
auseinandersetzen wollen. Da geht es
nur um den Gewässerschutz. Im Hinblick auf Realisierbarkeit und Akzeptanz
müssen landwirtschaftliche Aspekte einfließen.
Pradt: Europaweit sind wir in einer defizitären Situation. Überschüsse sind nicht
mehr charakteristisch. Wir sind Nettoimporteure bei landwirtschaftlichen Produkten und kein Exportland mehr. Von
Rainer Cloos
ist ein Allroundtalent. In Gesprächen
und Versammlungen mit Landwirten
lässt der Pflanzenbauberater keine
Frage unbeantwortet. Der Wetterauer
Landwirt Cloos hat 1985 mit der Beratertätigkeit im hessischen Friedberg
angefangen. Der Ackerbau dominiert
vor den Toren der Rhein-Main-Metropole
Frankfurt am Main. Mit seinem unglaublichen Wissensschatz über Düngung,
Kartoffeln und Sortenfragen seit mehr
als 30 Jahren Beratertätigkeit kennt der
Wetterauer alle Tücken.
für Backwaren, die unter industriellen
Bedingungen hergestellt werden, zur
Verfügung stellen. Damit werden an die
Qualität des zu verarbeitenden Weizens
höchste Ansprüche gestellt, so auch an
den Rohproteingehalt. Früher hat der
Müller in Jahren mit Eiweißeinbußen
mit einfachen Handgriffen nachgeholfen.
Heute kommt die über den Züchtungsfortschritt deutlich gesteigerte Ertragsleistung hinzu. Wie bekomme ich heute
Qualitätsweizen mit 110 Dezitonnen je
Hektar im Eiweißgehalt dahin, wo ich ihn
haben möchte? Mit gesetzlichen Vorgaben müssen wir eher zu neuen Werten
in den Qualitätsansprüchen kommen.
Dabei muss hinterfragt werden, ob die
derzeit im Raum stehenden Eiweißgehalte überhaupt unbedingt erforderlich
sind oder andere Qualitätsparameter
genauso schnell und einfach bei der
Annahme erfasst werden können. Dabei
müssen wir genau analysieren, mit welchen Sorten und Düngeintensitäten die
erforderlichen Qualitäten am besten
realisierbar sind. Eventuell müssen wir
uns von vielen Sorten und vom absoluten Hochertragsdenken verabschieden.
Der Sortenfrage wird eine noch größere
Bedeutung zufallen.
Wir brauchen außer Eiweiß andere Faktoren, die aussagekräftiger und sicherer
bezüglich der Qualitätsbestimmung sind.
Dabei muss aber auch die Bereitschaft
von jeder Seite da sein, dies zu akzeptieren und zu honorieren. Der Landwirt
müsste bereit sein, auf die letzte Dezitonne beim Ertrag zu verzichten. Die kann er
Was können Tierhalter tun?
Hüther: In einigen Bundesländern mit
intensiver Veredlungswirtschaft gibt es
bereits Filtererlasse für Tierhaltungsanlagen. Auch die Emissionen bei der
Wirtschaftsdüngerausbringung müssen
wir drastisch zurückfahren. Schließlich
ist jedes verlorene Kilogramm Stickstoff
nicht nur eine Belastung für die Umwelt,
sondern auch eine ungenutzte Nährstoffressource.
oft, die Regeln sind da, sie müssten nur
durchgesetzt werden. Und das geht – leider – nur mit der Androhung von Sanktionen, siehe Cross Compliance. Aber mir
ist Kooperation immer lieber als Konfrontation. Wir müssen Betroffenheit
erzeugen, kooperativ nach realisierbaren Lösungen suchen und die Betriebe
begleiten und unterstützen. Es gibt einige
Bundesländer, die mit ordnungsrechtlichen Vorschriften noch stärker reglementieren wollen. Welche Mehrheit sich am
Ende im Bundesrat zur Düngeverordnung
durchsetzt, das wird spannend. Das Ziel,
dass die Düngeverordnung im Jahr 2017
in Kraft treten soll, nehme ich wie viele
andere zur Kenntnis, ob es aber realisierbar ist, steht auf einem anderen Blatt.
Setzt sich die Hoftor-Bilanz durch?
Cloos: Ich würde es begrüßen, wenn wir
auf die Hoftor-Bilanz verzichten können,
weil sie für die Betriebe sehr aufwendig ist.
Hingegen ist die Feld-Stall-Bilanz, wie sie
momentan praktiziert wird, sehr genau.
Pradt: Eine Hoftor-Bilanz kann die gesamte Nährstoffsituation eines Betriebes
abbilden. Wir sind Befürworter einer Hoftor-Bilanz. Wir sehen natürlich die Probleme. Es ist ein deutlich höherer Aufwand
ist als bisher. Aber das kann von Vorteil
für den Landwirt sein, weil er durch den
besseren Überblick Kosten sparen kann.
Ist Smart Farming die Zukunft?
Cloos: Wir sind ja in kleinen Schritten
bereits auf dem Weg dorthin. Der Landwirt
muss es jedoch umsetzen können und es
muss vom Aufwand und von der finanziellen Seite her stimmen. Wir werden auf
Dauer noch mehr überbetrieblich arbeiten
müssen. Wichtig sind dabei die Ausbildung
der Landwirte und die Schulung zur technischen Anwendung. Ich kann beispielsweise dem Cultan-Verfahren zur Ausbringung
von Stickstoffdüngern viel abgewinnen,
weil wir die Ammonsulfat-Lösung verlustfrei in den Boden einbringen.
Pradt: Auch mit der optischen Sensorik
kann man den Pflanzenbedarf besser in
den Griff bekommen. Alle Maßnahmen
zielen darauf, zum richtigen Zeitpunkt
den Nährstoff in der passenden Menge an
die Pflanze zu bringen. Vor einigen Jahren
gab es den Ansatz, für jeden Einzelbetrieb
spezielle Mehrnährstoffdünger zu produzieren. Das hat sich nicht wirklich durchgesetzt. Mit Sicherheit bekommen wir
Lösungen, möglichst viel der Nährstoffe
in die Pflanzen zu bringen und in Ertrag
umzuwandeln.
Das Gespräch führte Daphne Huber-Wagner
Und was ist mit den Sanktionen?
Hüther: Sanktionen müssen sein, das gilt
in allen Bereichen des Ordnungsrechts.
Was nutzt es, wenn ich qualitative Vorschriften beschließe, die aber nicht konsequent umsetze. Schon jetzt heißt es
Dr. Dietrich Pradt
Die Entzugsdüngung ist
das geltende Prinzip.“
Dr. Dietrich Pradt
Geschäftsführer Industrieverband
Agrar, IVA, Bereich Pflanzenernährung, Frankfurt am Main
Die Wünsche von deutschen und europäischen Düngemittelunternehmen
unter einen Hut zu bringen, ist eine
Herausforderung. Dr. Dietrich Pradt
versteht es seit mehr als 20 Jahren, die
Einzelinteressen in einen gemeinsamen
Konsens zu bündeln und mit einer Stimme als Industrieverband Agrar, IVA, aufzutreten. Als Geschäftsführer Pflanzenernährung ist Pradt ständig zwischen
Frankfurt, Brüssel und Berlin unterwegs,
um sich als Interessenvertreter auf der
politischen Bühne Gehör zu verschaffen.
Düngemittel 37
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
„Die Landwirtschaft
wird in 50 Jahren viel
effizienter sein“
dene Bodengruppen und vielleicht je
Schlag mindestens zwei unterschiedliche
pH-Wert-Gehaltsklassen. Ohne digitale Werkzeuge benötigt ein Berater circa
einen Tag Arbeit. Das kann er jetzt in fünf
Minuten erledigen.
Fakt ist: Sowohl die Qualität und Schnelligkeit einer Beratungsentscheidung als
auch die Zahl der Betriebe, die während
der Saison qualitativ hochwertig beraten
werden können, nimmt mit der Digitalisierung deutlich zu. Berater werden in
Zukunft noch mehr Verantwortung für
ihre Arbeit übernehmen können, weil sie
dafür nun mehr objektive Informationen
zur Verfügung haben. Aus einer Empfehlung, aus einer Beratung wird zunehmend direkt eine (Fast-)Entscheidung.
Das sächsische Unternehmen Agricon
ist einer der führenden Anbieter für
Lösungsansätze im digitalen Pflanzenbau in Mittel- und Osteuropa. Geschäftsführer Peer Leithold erläutert Vorteile
für die Landwirte und skizziert die Zukunftstrends.
Know-how
aus Sachsen
des Lebens voran. Was genau charakterisiert diesen neuen Entwicklungsschritt beim Pflanzenbau?
Leithold: In den Betrieben und Produktionsprozessen entsteht eine komplett
neue Infrastruktur der Informationsverarbeitung. Diese ist gekennzeichnet von
qualitativ neuen Eigenschaften.
Neben den Daten einzelner Maschinen werden nun ganze Arbeits- sowie
Boden-, Pflanzen- und Wachstumsprozesse erfasst, und zwar mit präziser Zeitund Ortsangabe. Diese Daten werden
automatisch von Sensoren oder Datenloggern erzeugt, direkt von der Maschine zum Beispiel ins Büro gesendet oder
stehen aus anderen Informationsquellen
digital zur Verfügung.
Es kommt zu einer Verschmelzung von
betrieblichen Daten, Daten aus dritten Informationsquellen und externem
Know-how. Das führt einerseits zu einer
exponentiellen Zunahme der Datenmengen und Datendichte. Andererseits
wird der Betriebsleiter von der technischen Pflege des Datenmanagementsystems weitgehend entlastet. Dies kann
allerdings nur mit cloud-basierten Wissens- und Datenmanagement-Systemen
gelingen.
Aufgrund der Standardisierung der
Daten lassen sich naturwissenschaftliche Zusammenhänge in automatischen
Auswertungsroutinen und Algorithmen
abbilden, die wiederum bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Dies
geschieht in Echtzeit.
Peer Leithold ist Gründer und
Geschäftsführer der Agricon GmbH
mit Sitz in Ostrau. Der Fokus der mittel­
ständischen Ingenieur­ und Dienstleis­
tungsgesellschaft liegt auf der Entwick­
lung, dem Verkauf und Service sowie
der Beratung zu innovativen Produkten
für die Pflanzenproduktion. Vor der
Gründung von Agricon 1997 war Leit­
hold Gebietsleiter der Agrolab GmbH
sowie Gründer und Geschäftsführer
der Jahnatalgemüse GmbH, einem 150
Hektar großen Landwirtschaftsbetrieb
in Sachsen. Sz
Was bedeutet die zunehmende Digitalisierung für die Landwirte; welche
Chancen, aber auch welche Herausforderungen birgt sie?
Leithold: Die Digitalisierung ist ein Prozess in den Betrieben. Dieser bedarf hin
und wieder bewusster Entscheidungen;
insofern wird es auch hier qualitative
Sprünge geben.
Die Chancen für die Betriebe, die sich mit
der Digitalisierung ergeben, sind enorm.
Die Vielzahl der neuen digitalen Informationen macht den gesamten Produktionsund Pflanzenwachstumsprozess auf den
agrarzeitung: Herr Leithold, Sie sagen,
dass wir in das Zeitalter des digitalen
Pflanzenbaus eintreten. Was macht
dieses Zeitalter aus?
Leithold: Die Digitalisierung befähigt uns,
mehr zu hören, mehr zu sehen und damit
im Pflanzenbau mehr zu erkennen, zu
wissen und zu verstehen. Wir werden
schneller und präziser entscheiden können als bisher in der analogen Welt. Wir
werden größere Einheiten in einer deutlich höheren Qualität managen können
und dabei jeden Quadratmeter im Optimum bewirtschaften können.
Kurz gesagt: Der digitale Pflanzenbau ist
die Fortentwicklung einzelner Smart-Farming-Lösungen hin zu einem pflanzenbaulich ganzheitlichen und vollständig
in den Betrieb integrierten Managementsystem.
Der Prozess der zunehmenden Digitalisierung schreitet in vielen Bereichen
Feldern transparent. Verknüpft mit sinnvollen Auswertungsroutinen und intelligenten Regeln erhält der Betriebsleiter
auf Knopfdruck die objektiv richtigen
Informationen – quasi aus der Vogelperspektive bis in den letzten Winkel seines
Betriebs. Das ist eine ganz neue Welt. Der
Nutzen für den Landwirt: Er kann Maschinen, Arbeitsgeräte und Betriebsmittel
exakter planen und einsetzen. Damit einher gehen Arbeitszeiteinsparungen, die
Senkung des Managementaufwands, ein
effizienterer Maschinen- und Betriebsmitteleinsatz sowie Kostensenkung und
Ertragssteigerung.
Natürlich ist die Digitalisierung auch mit
Herausforderungen für den Betriebsleiter verbunden. Er muss bewusst in diese
Technologie investieren und sie in seinen
Betrieb einführen. Die Digitalisierung
greift in bestehende Arbeits- und Entscheidungsprozesse ein und verändert
diese. Das verlangt vom Betriebsleiter
Offenheit und die Bereitschaft, neue
Wege im Pflanzenbau zu beschreiten.
Wichtig ist außerdem, dass die Mitarbeiter des Betriebs in den Prozess einbezogen werden.
Kritiker mahnen, der Fortschritt finde
ohne die Landwirte statt. Was entgegnen Sie denen?
Leithold: Der Fortschritt findet nur statt,
wenn es die Landwirte wollen. Natürlich werden die Lösungskonzepte für die
Digitalisierung des Pflanzenbaus von spezialisierten Anbietern entwickelt. Aber
ob diese Angebote von der Praxis angenommen werden, entscheidet allein der
Landwirt. Nur wenn die Entwickler die
Bedürfnisse der Anwender kennen, werden sich diese Angebote durchsetzen. Nur
wenn Betriebsleiter mit Begeisterung die
neuen Verfahren einsetzen, werden sich
diese verbreiten.
Sie sagen, digitale Informationen sorgen für mehr Transparenz. Landwirte
fürchten indes, Big Data mache sie in
Zukunft vollends gläsern. Teilen Sie
diese Sorge?
Leithold: Um den Produktionsprozess
Foto: Agricon
In den Betrieben entsteht eine komplett neue Infrastruktur der Informations­
verarbeitung – Entwickler müssen Bedürfnisse der Anwender kennen
Im Zeitalter des digitalen
Pflanzenbaus werden wir jeden
Quadratmeter im Optimum
bewirtschaften können.“
intelligenter zu steuern, ist mehr Transparenz unabdingbar. In dem Sinne ist der
Betrieb gläsern, ja. Die entscheidenden
Fragen sind aber andere: Wem gehören
die Daten? Wer kann sie sehen? Wer hat
Zugriff?
Generell gilt: Eigentümer der Daten ist
der Auftraggeber, also der Landwirt. Kein
Amt, kein Händler, kein Industrieunternehmen kann ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Landwirts die Daten
einsehen. Die Entscheidung, welchem
Anbieter sie ihre Betriebsdaten anvertrauen wollen, müssen Landwirte also
sehr sorgfältig treffen.
Welche Anforderungen stellt die zunehmende Digitalisierung an die Ausbildung der Landwirte?
Leithold: Meiner Meinung nach wird es
keine höheren Anforderungen an die
Ausbildung der Landwirte geben. Digitalisierung automatisiert ja weitgehend die
Prozesse im Betrieb, Inhalte des Pflanzenbaus werden leichter begreifbar und
Entscheidungen vorbereitet. Die dahinter liegende Komplexität wird für den
Anwender nicht sichtbar. Vergleichen Sie
es mit der Bedienung eines Smartphones:
Auch da gibt es im Nutzungsverhalten
zwischen Realschüler und dem Universitätsstudenten keinen Unterschied.
Da die Einführung des digitalen Pflanzenbaus schrittweise geschieht, werden
die Auszubildenden und Agrarstudenten
damit aufwachsen. Für sie wird digitaler
Pflanzenbau in Zukunft ganz normal sein.
Die heutigen Betriebsleiter müssen nur
offen und neugierig sein.
Wenn moderne Technik und Algorithmen bei der Entscheidungsfindung
helfen, brauchen wir dann noch Pflanzenbauberater?
Leithold: Die Pflanzenbauberater sind
einer der größten Profiteure der Digitalisierung des Pflanzenbaus. Jetzt werden sie von Routinearbeit entlastet und
können sich auf die besonderen Spezifika ihrer Kunden einstellen. Dazu ein
einfaches Beispiel mit der Frage, wie viel
Kalk in einem Betrieb ausgebracht werden soll. Der Betrieb hat 120 Schläge,
rund 250 Bodenanalysen, drei verschie-
Die Entwicklung von Drohnen, Satellitenbildern und Feldrobotern schreitet
voran. Was ist davon zu erwarten?
Leithold: Alle drei sind zunächst technische Plattformen, die einen Informationsträger transportieren. Das sind meist aktive oder passive Reflexionssensoren, die
in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen messen. Entscheidend für die Qualität der erzeugten Information ist immer
die Mess-Sensorik, deren Auswahl stets
von der konkreten Fragestellung beeinflusst wird. Drohnen, Satellitenbilder und
Feldroboter als Beschaffer von Informationen werden sich durchsetzen, wenn
sie ihre Arbeit möglichst kostengünstig
und leicht handhabbar verrichten. Hier
stehen uns noch spannende Zeiten bevor.
In welchen klassischen Landtechniksegmenten sehen Sie künftig noch den
größten Forschungsbedarf?
Leithold: Forschungsbedarf gibt es nahezu in allen Bereichen. Aus Sicht des digitalen Pflanzenbaus wünsche ich mir vor
allem zwei Dinge: Erstens, weitere Sensoren, die das Pflanzenwachstum, das
System Boden-Pflanze-Wetter in Echtzeit
beschreiben und Nährstoffbedarf, Krankheiten und Schädlingsbefall messen.
Zweitens, eine eigene IP-Adresse für jede
Maschine und jedes Gerät. Sie sind also
Teilnehmer eines digitalen Netzwerks
des Betriebs und sollten als solche offen
mit anderen Teilnehmern kommunizieren können.
Wie werden wir in 50 Jahren Landwirtschaft betreiben?
Leithold: Viel, viel umweltverträglicher
und effizienter als heute. Die Trends
zeichnen sich ja heute schon ab: Die
Bewirtschaftungseinheiten steigen weiter an, bei weiter sinkendem Personalbesatz. Höhere Erträge werden mit einem
deutlich effizienteren Betriebsmitteleinsatz erzeugt.
Vergleichen sie einfach den Herstellungsprozess eines Autos in Jahr 1965 mit 2015.
Vor 50 Jahren standen noch unzählige
Menschen am Band. Heute tut dies nur
noch ein Bruchteil, der Rest wird von
intelligenten Systemen übernommen.
So wird das in der Landwirtschaft auch
ablaufen.
Die Fragen stellte Olaf Schultz
38 Düngemittel
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Wissenschaft mit Ausdauer
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Wie lautet die zentrale
Fragestellung?
Ewiger Roggenanbau in Halle/Saale seit 1878
1.  Der „Ewige Roggenbau” wurde von
Prof. Julius Kühn als Roggenmonokulturversuch auf dem Versuchsfeld der
Universität in Halle angelegt. Er ist der
zweitälteste landwirtschaftliche Dauerversuch weltweit nach dem 1843 in
Rothamsted nördlich von London (GB)
etablierten Versuch.
Die originäre Fragestellung sollte einen
Meinungsstreit in der Pflanzenernährung
klären helfen: Welche Stoffe benötigt die
Pflanze zur Ertragsbildung, woher kommen sie und wie wird davon die Bodenfruchtbarkeit beeinflusst? Es gab mehrere widersprüchliche Auffassungen:
a) Die Pflanze ernährt sich von Humus
b) Die Pflanze ist eine „chemische Fabrik”
und nimmt mineralische Nährstoffe
aus dem Boden auf
c) Die Pflanzen nutzen den Luftstickstoff
als N-Quelle
d) Die Pflanzen nehmen Stickstoff aus
dem Boden oder dem Dünger auf
Wie ist der Versuch aufgebaut?
Ist der Versuch seit Beginn
verändert worden?
Welches ist das wichtigste
Ergebnis, das Sie bis heute
ziehen können?
Wie lange soll der Versuch
fortgeführt werden und warum?
Welche Rolle spielen der
Züchtungsfortschritt und die
Entwicklung der Landwirtschaft
in Ihrem Versuchsaufbau?
Die Fragen stellte Brigitte Stein
2.  Der Versuch hat eine Gesamtfläche
von 6 012 Quadratmetern. Sechs unterschiedliche Düngungsvarianten (Stallmist I, PK, NPK, NPK+Stallmist, U, Stallmist
II), sind in jeweils drei Anbausystemen angelegt (Roggenmonokultur, Roggen-Kartoffel-Fruchtwechsel, Mais-Monokultur).
3.  Neue Versuchsfragen stellten sich
ständig:
1893: Anlage der sechsten Parzelle (Stallmist II) mit einer verringerten Stallmistdüngung von 80 Dezitonnen pro Hektar
und Jahr, dem tatsächlichen Stallmistaufkommen der Region Halle in dieser Zeit.
1900: Saatgutwechsel versus Nachbau.
1910: Gleichrangigkeit von organischer
und mineralischer Düngung
1920: Erhalt der Bodenfruchtbarkeit
1930: Boden als biologisches System
1953 wurde die Düngung bei Stallmist
II eingestellt und die Parzelle wird, vergleichbar zur ungedüngten Variante,
ohne jegliche Düngung weitergeführt.
Das eröffnet die Möglichkeit, die Nachwirkungen der organischen Düngung nach
Menge und Zeitdauer zu quantifizieren.
Mehrerträge von 3 bis 5 Dezitonnen pro
Hektar Roggen sind auch heute, über
60 Jahre nach der letzten Stallmistgabe,
noch nachweisbar.
1960: Langfristige Wirkung von Monokultur und Verunkrautung
1961 erfolgte der tiefgreifendste Eingriff,
nämlich die Aufteilung der Roggenmonokultur in drei gleich große Abteilungen: Roggenmonokultur, Roggen-Kartoffel-Fruchtwechsel, Mais-Monokultur.
Die Ursache war eine starke Verunkrautung der Fläche mit Ackerschachtelhalm,
wodurch die Weiterführung des Versuches infrage gestellt war. Die „Rettung”
sollten mit Mais und Kartoffeln zwei
Hackfrüchte bringen, die eine intensive mechanische Unkrautbekämpfung
ermöglichten. Gegenwärtig sind allerdings Kartoffeln und Mais am stärksten
mit Ackerschachtelhalm verunkrautet.
Andererseits brachte diese Dreiteilung
auch eine Ausweitung der wissenschaftlichen Aussagemöglichkeiten, nämlich
die Quantifizierung des Fruchtfolgeeinflusses bei Winterroggen. Zudem verfügen wir über Ergebnisse über 54 Jahre
Kartoffelanbau mit 50 Prozent Anteil
in der Fruchtfolge sowie über 54 Jahre
Mais-Monokultur.
1990 wurde eine methodische Schärfung
der Stickstoffdüngung vollzogen, indem
die Mineral-N-Gabe auf 60 Kiligramm
pro Hektar erhöht und gleichzeitig die
Stallmistgabe bei Stallmist II auf 60 Kilogramm N pro Hektar fixiert wurde. Zum
anderen gab es eine erneute Annäherung
an veränderte praxisübliche Bedingungen: Aus der alten N-Parzelle wurde die
Variante „NPK+St”, also eine Kombination von 60 Kilogramm pro Hektar mineralischer und 60 KIlogramm pro Hektar
organischer N-Düngung.
4.  Der Versuch hat gezeigt, dass alle
scheinbar widersprüchlichen Theorien
einen großen Beitrag zum Erkenntnisgewinn geleistet haben. Der Versuch hat
sich zu einem „Modellorganismus” entwickelt, der es uns immer mehr gestattet,
Einblicke in das komplizierte Wirkungsgefüge von Boden – Pflanze – Umwelt zu
erhalten.
Die im Versuch manifestierte Gleichwertigkeit von mineralischer und organischer Düngung rechtfertigt keine ideologischen Wagenburgen bei der Form der
Landbewirtschaftung. Vor allem aber
die Tatsache, dass in der seit 138 Jahren
ungedüngten Variante mit 16–18 Dezitonnen pro Hektar immer noch Erträge
erzielt werden, die um 10 Dezitonnen
pro Hektar höher liegen als bei vielen
afrikanischen Kleinbauern, sollte uns an
unsere globale Verantwortung erinnern.
5.  Aus versuchstechnischer Sicht erfüllt
der Versuch alle Voraussetzungen, um
„ewig” weitergeführt zu werden, da die
drei Abteilungen durch 5 Meter breite
Brachestreifen weiträumig voneinander
getrennt sind und die Einzelparzellen mit
290 Quadratmetern eine Größe aufweisen, mit der gegenseitige Beeinflussungen wirksam auszuschließen sind.
Wissenschaftlich hat der „Ewige Roggenbau” in 138- Jahren mehr Fragen und
auch andere Fragen beantwortet, als
ursprünglich gelöst werden sollten. Dies
kann auch für die Zukunft mit großer
Wahrscheinlichkeit erwartet werden.
Die administrativen und rechtlichen
Statischer Nährstoffmangelversuch Thyrow
seit 1937
1.  Welche Veränderungen zeigen sich
an Boden und Pflanzen, wenn einzelne
Makronährstoffe auf einem leicht schluffigen Sandboden ins Minimum gelangen
und welche Modifikationen ergeben sich
bei zusätzlichem Einsatz organischer
Dünger in Form von Stallmist?
2.  Das
Versuchsfeld
umfasst
2 304 Quadratmeter und besteht
aus 32 Parzellen à 72 Quadratmeter.
Die Fruchtfolge lautet Kartoffel
–
Sommergerste – Silomais – Sommergerste. Es gibt acht Prüfglieder mit vier
Wiederholungen:
• ungedüngt
• Stallmist
• Stallmist + NPK + Kalk
• NPK + Kalk
Kalkmangel
• NPK
Kaliummangel
• NP - + Kalk
Phosphormangel
• N - K + Kalk Stickstoffmangel
• - PK + Kalk
3.  1959 wurde Silomais in die Fruchtfolge eingefügt, da die enge Folge von Kartoffeln – Sommergerste zu einem Anstieg
der Nematodenpopulation führte. Die
Nematoden hatten die Prüfgliedeffekte
überlagert.
4.  Folgen des fehlendenden Ausgleichs
der Nährstoffentzüge zeigen sich sehr
deutlich: Sommergerste „ungedüngt”
seit 1960 kein Ertrag mehr, Kartoffeln
„ungedüngt” – Minusertrag, das heißt
es werden weniger Knollen geerntet, als
gepflanzt wurden.
Es zeigt sich auch das hohe Nachlieferungsvermögen der Sandböden für P:
nach 80 Jahren P-Düngungsverzicht nur
10 Prozent Ertragsabfall.
5.  Es ist kein Versuchsende angedacht,
da es sich um einen der ältesten Dauerfeldversuche in Deutschland und der Welt
handelt.
6.  Der Züchtungsfortschritt findet sich
in der Ertragsleistung der angebauten
Kulturen wieder, ist aber kein Faktor in
diesem Dauerversuch. Weiterhin hat die
Entwicklung der Pflanzenschutzmittel
Auswirkungen auf das Ertragsniveau der
angebauten Kulturen.
Michael Baumecker, Lehr- und Forschungsstation Thyrow der Humboldt-Universität zu Berlin
Foto: MLU Halle
In naturwissenschaftlichen Experimenten sind
Wiederholungen notwendig, um die Ergebnisse
abzusichern. In Dauerfeldversuchen hingegen
ist die Wiederholung
sogar Programm:
Das Wissen erwächst erst
im Lauf von mehreren
Jahren.
Unter Denkmalschutz: Deutschlands ältester Dauerfeldversuch
Rahmenbedingungen für die Weiterführung des Dauerversuches sind mit der
Aufnahme in die Denkmalliste des Landes Sachsen-Anhalt gesichert.
6.  Die Entwicklung der Landwirtschaft
in der Region lief als „Hintergrundfilm”
ab und veränderte die Bewirtschaftungsmaßnahmen:
• Saatgutwechsel seit 1920
• Pferdepflug bis 1968 mit 20 cm Pflugtiefe
• Traktoreinsatz (50 PS) von 1969 bis
1996 mit 25 cm Pflugtiefe
• Traktoreinsatz (90 PS) ab 1997 mit
30 cm Pflugtiefe
• Moderater Pflanzenschutz seit 1962
Der Züchtungsfortschritt wird im Dauerversuch mit abgebildet, soll aber die Düngungswirkung nicht überdecken. Dies
bedeutet für die Versuchsdurchführung,
dass eine Sorte, solange sie beim Züchter
verfügbar und ohne gravierende Resistenzprobleme anzubauen ist, im Versuch
bleibt. Beim Roggen ist gegenwärtig die
neunte Sorte im Anbau.
Dr. Helmut Eißner,
Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Versuchsfeld Dahnsdorf zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln seit 1995
1.  Eine zentrale Fragestellung ist
die Entwicklung von Konzepten des
Integrierten Pflanzenschutzes und die
Bestimmung des notwendigen Maßes.
Darüber hinaus betrachten wir weitere
Sachverhalte. Der Ökologische Landbau
ist seit der Etablierung des Versuchsfeldes 1995 ein wichtiges Thema.
2.  Das Versuchsfeld hat in Gänze
38 ha, es sind dort aktuell vier Dauerfeldversuche etabliert. Insgesamt bestehen die Dauerfeldversuche aus 720
Parzellen, die Parzellengröße variiert
von 80 Quadratmetern bis 200 Quadratmetern.
3.  Wir passen die Versuchsfragen fallweise an. Die Zunahme der pfluglosen
Bodenbearbeitung in Deutschland wurde seit 2007 als Prüffaktor aufgenommen.
4.  Ein wichtigstes Ergebnis gibt es
nicht. Wir gewinnen für unsere Forschung und unsere Aufgabe – die Bera-
tung der Bundesregierung – wertvolle
Ergebnisse aus den Dauerfeldversuchen. Besonders der Zeithorizont spielt
für uns eine wichtige Rolle, da sich einige Folgen des Pflanzenschutzes erst
nach mehreren Jahren einstellen.
5.  Die Versuche werden weiter fortgeführt. Durch die Modifizierung der
Fragestellungen ergeben sich neue Zeithorizonte.
6.  Der Zuchtfortschritt spielt eine
große Rolle; besonders die neuen,
krankheitsresistenten Sorten, die auch
ertraglich attraktiv sind, stellen eine
große Chance dar. Bei der Entwicklung
der Landwirtschaft haben wir seit dem
Jahr 2007 berücksichtigt, dass auf etwa
40 Prozent der Ackerfläche in Deutschland ohne Pflug gewirtschaftet wird.
Dr. Jürgen Schwarz, Dr. Bettina Klocke,
Dr. Sandra Krengel, Julius-Kühn-Institut (JKI),
Bundes-for-schungsinstitut für Kulturpflanzen,
Kleinmachnow
Jena-Experiment für Biodiversität in Jena
seit 2002
1.  Das Jena-Experiment hat als Hauptziel, die Bedeutung eines Biodiversitätsverlustes für die Stabilität und
das Funktionieren von ökologischen
Systemen abschätzen zu können. Die
zentrale Fragestellung des Projektes
während der ersten Projektphase (2002
bis 2010) widmete sich der Rolle von
Biodiversität für Nährstoffkreisläufe
und trophische Interaktionen in einem
experimentellen Grasland.
Ziel der zweiten Projektphase (2010 bis
2016) war es, Mechanismen zu untersuchen, die dem Einfluss von Pflanzendiversität auf Ökosystemprozesse
zugrunde liegen.
Das Jena-Experiment verfolgt einen
holistischen Ansatz, in dem nicht nur
die Produzenten, sondern auch, so weit
als möglich, taxonomische Gruppen
anderer trophischer Ebenen betrachtet
werden, sowohl ober- als auch unterirdisch.
2.  Auf der Versuchsfläche sind mehrere Experimente angesiedelt: das
Hauptexperiment, das Dominanz-Experiment, das Trait-Based-Experiment
und Monokulturen.
60 Pflanzenarten mitteleuropäischer
Glatthafer-Wiesen wurden ausgesucht,
um im Hauptexperiment Artengemeinschaften herzustellen. Sie bestehen aus
1, 2, 4, 8, 16 und 60 Pflanzenarten, die
in ihrer Zusammensetzung variieren.
Sie enthalten zwischen einer und vier
funktionelle Gruppen: Gräser, kleine
Kräuter, große Kräuter, Leguminosen.
Auch im Dominanz-Experiment wird
die Anzahl der Pflanzenarten, die in
einer Gemeinschaft wachsen, mani-
puliert von einer bis zu neun Pflanzenarten, wobei die neun ausgewählten
Pflanzenarten alle dominant sind. Das
Trait-Based-Experiment manipuliert
auf 138 Flächen die Artenzahl zwischen
einer und acht Pflanzenarten und die
funktionelle Diversität der Pflanzengemeinschaft.
3.  Veränderungen wurden vorgenommen, wenn beispielsweise die
wissenschaftlichen Fragen, die dem
Versuch zugrunde lagen, beantwortet
werden konnten oder der Bewirtschaftungsaufwand nicht mehr zu bewältigen war.
4.  Insgesamt sind aus dem Jena-Experiment rund 200 wissenschaftliche
Publikationen hervorgegangen. Wir
konnten zeigen, dass die Pflanzenartenzahl für die Mehrzahl aller gemessenen Variablen eine bedeutende Rolle
spielt.
5.  Die aktuelle Förderung durch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft läuft
bis Mai 2018. Die Fortführung darüber
hinaus ist angestrebt, aber nicht gesichert. Viele der Fragen, die wir stellen, und Erkenntnisse, die wir schon
gewonnen haben, waren erst durch die
Dauer des Experimentes möglich.
6.  Keinen, da wir einen festen Pool
von 60 Arten verwenden, die alle Wildformen sind.
Prof. Nico Eisenhauer,
Lehrstuhl für experimentelle Interaktionsökologie der Universität Leipzig
Zusammengestellt von Brigitte Stein
40 Düngemittel
Foto: Domo
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Dünger-Verkaufsleiterin
,
Domo Caproleuna GmbH
Leuna
i
Kati Jaworsk
Foto: Metrac
ge
Foto: Baro La
rhaus
Birgit Seidel
Ute Löffler
Geschäft sführerin
,
Metrac Handelsge
sellschaf t GmbH,
Berlin
Foto: SKW
Cornelia Sc
Foto: K+S
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GmbH & Co. K
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bH ,
Kassel
Helga Ohlmann
Leiterin Verkauf und Marketing
SKWP Stick stoff werke Piesteritz GmbH,
Lutherstadt Wittenberg
Mit Motivation und Engagement
den Sprung ins kalte Wasser gewagt
Fünf Frauen aus Ostdeutschland stehen ihren
Mann im Düngergeschäft.
Sie sind typisch für die
vielen Frauen aus Ostdeutschland in der Agrarbranche, deren Berufsstart in die turbulente
Wendezeit fiel. Wenn sie
sich auf Veranstaltungen
zufällig treffen, herrscht
unter den Powerfrauen
eine große Verbundenheit. Die gleichen Erinnerungen an ihre teilweise
harte Schul- und Studienzeit in der damaligen
DDR verbinden. In einer
von Männern dominierten
Agrarbranche vermissen
sie die Chancengleichheit zwischen Männern
und Frauen, die in der
ehemaligen DDR auf der
Führungsebene durchaus
normal war. Vorausgesetzt, die Leistung und
das Wissen stimmen.
Kati Jaworski
Ute Löffler
Mit Leib und Seele
Hauptsache Berlin
M
it ihrer Freude an der Pflanzenernährung und ihrem
unglaublichen Wissen über die
Geheimnisse der Pflanzenwelt begeistert Kati Jaworski viele Landwirte in
Ostdeutschland. Die Düngung ist ihr
Spezialgebiet, das die Mitarbeiterin von
Baro Lagerhaus in Aschersleben, einem
Unternehmen der Agravis-RaiffeisenGruppe, noch viele Jahre ausüben
möchte. Das Beratungsgespräch mit
den Landwirten findet stets auf Augenhöhe statt. Ihr gegenüber sitzen Profis,
die sich täglich mit dem Aufwuchs von
Getreide und Raps beschäftigen. Durch
ihr Agrochemie-Studium und die frühe
Anstellung als Laborleiterin am Institut
für Agrar- und Umweltanalytik in Freyburg an der Unstrut hat sie sich einen
reichhaltigen Wissensschatz von der
Pike auf geschaffen. Ihre Motivation ist
die Neugierde, die Dinge nachhaltig zu
verstehen und an der Praxis orientiert
an Landwirte zu vermitteln.
In hartnäckigen Problemfällen schickt
sie Proben von Boden, Spritzwasser,
Pflanzen oder Wirtschaftsdüngern ins
Labor, um der Ursache auf die Spur zu
kommen, woran es der Pflanze mangelt. Sie hat stets das ganze Umfeld im
Blick. Deshalb hat die quirlige Expertin auch für Biogasanlagenbetreiber
einen Rat parat, wenn die Mikroorganismen im Gärtopf nicht mehr das
machen, was sie sollen. Jaworski kennt
sich im Agrarhandelsgeschäft aus ,was
den Vorteil hat, frei in ihrer Entscheidung Düngeempfehlungen zu geben
und aus der Vielfalt des Produktangebots das Passende dem Betriebsleiter
anzubieten.
Ihre Unabhängigkeit und ehrlichen
Einschätzungen finden in der Landwirtschaft große Resonanz. Interessante Fachvorträge mit Aha-Erlebnissen von Jaworskis gewinnendem
Charme unterstützen Landwirte in
ihren Entscheidungen. Regelmäßiges
Ausdauertraining braucht die Beraterin, um immer wieder aufs Neue an
wechselnden Einsatzorten ihre Leidenschaft für das Düngen authentisch
zu vermitteln.
N
ach dem Abitur zog es Ute Löffler
aus ihrer sächsischen Heimat
nach Ostberlin. Das Studium der
Außenwirtschaft absolvierte Ute Löffler an der Hochschule für Ökonomie in
Berlin und beendete es Mitte der 1980er Jahre mit Diplom. Nach einigen Jahren Arbeit mit Studenten als Assistentin
sammelte sie Erfahrungen beim Export
von Maschinenbauerzeugnissen, unter
anderem Tagebauausrüstungen nach
Jugoslawien. Es war die Zeit der Bartergeschäfte. Ein Düngemittelproduzent
in Tschechien wollte TDS-Waggons kaufen, konnte diese aber nur mit Harnstoff
bezahlen. Keine Ahnung, was man mit
Harnstoff machen kann, und so kam es
1993 zur ersten Begegnung mit Burkhardt Krauß, der viele Jahre Erfahrung
im Düngemittelgeschäft hatte.
Aus dieser Zufallsbegegnung entstand
1994 die Idee eine gemeinsame Fima
für den Vertrieb von Düngemitteln
zu gründen. Seit der Gründung ist
Ute Löffler gemeinsam mit Burkhardt
Krauß Geschäftsführerin der Metrac.
Die Anfangsjahre waren durch vielerlei
Schwierigkeiten geprägt. Gut funktionierende Lieferantenbeziehungen brachen weg und neue Bezugsquellen galt
es zu finden. Der fehlende finanzielle
Hintergrund, aber auch viele andere
Themen steuerlicher oder juristischer
Art waren Neuland und mussten gelöst
werden. Da war es wichtig, in kurzer
Zeit ein funktionierendes Netzwerk
aufzubauen.
Seit 22 Jahren hat ihr Anspruch auf
Selbstständigkeit Bestand und das
in einer Branche, die dem ständigen
Strukturwandel unterliegt. Ihr Motto ist es, von innen heraus zu wachsen. Viel Wert legt sie daher auf die
Ausbildung des Nachwuchses in der
Firma. Stellvertretend hierfür stehen
der ehemalige Auszubildende Stefan
Albrecht, der mit ihr gemeinsam seit
zwei Jahren die Geschäfte der Metrac
führt, und Marco Krauß, der für das
zweite Standbein – den Vertrieb von
Auftausalz – verantwortlich ist. Berlin
hatte sie bewusst ausgesucht und ist
bis heute glücklich in der Hauptstadt
zu leben. Wenn sie als Studentin „Unter
den Linden” spazierte, hörte sie unten
die U-Bahn von Ost nach West fahren.
Es war undenkbar für die Ostberlinerin,
eines Tages durch das Brandenburger
Tor zu gehen. Man hatte nie die Hoffnung, dass sich daran etwas ändern
könnte. Kein Wunder, dass Löffler die
Maueröffnung als einen historischen
Moment in ihrem Leben bezeichnet.
Mit viel Zuversicht und Engagement
erarbeitete sich das Team um Ute Löffler in den völlig ungewissen Wendejahren einen festen Kundenstamm, der bis
heute beständig wächst.
Helga Ohlmann
Hals über Kopf
N
ach der Wende war die alte Verkaufsstruktur des VEB Kombinat
Agrochemie in Piesteritz schnell
nicht mehr existent. Die blutjunge
Exportverkäuferin für AHL Helga Ohlmann wagte den Sprung ins kalte
Wasser und übernahm für die Stickstoffwerke in dieser Umsturzzeit den
Aufbau des neuen Marktauftrittes für
Düngemittel in Deutschland. Wenige Jahre zuvor hatte sie einen für
die DDR typischen Bildungsweg eingeschlagen und wählte nach ihrer
Facharbeiterausbildung mit Abitur
das Studium der Betriebswirtschaft
und Chemieingenieurswesen an der
Hochschule in Merseburg. Von heute auf morgen galten nach der Wende die Gesetze eines freien westlichen Düngemittelmarktes, auf dem
sich Ohlmann durchbeißen musste.
Bis 1993 waren sie in „treuen Händen”,
dann übernahmen zunächst die Trostberger, um den damaligen Wettbewerber im Blick zu behalten. 2002 erfolgte
der Verkauf an die tschechische Agrofert. Schon zu dieser Zeit war SKW mit
der neuen Produktlinie für Düngemittelspezialitäten auf Kurs. Noch heute
nach 35 Dienstjahren trägt die Verkaufsorganisation und das Marketing
ihre Handschrift. Dahinter steckt pures
Herzblut. Von der Arbeit im Düngergeschäft kann sie nicht lassen, egal wie
turbulent es auf den Märkten läuft. Die
Prokuristin freut sich jeden Tag auf die
Zusammenarbeit mit ihrer kompetenten Verkaufsmannschaft, immer unter
dem Motto: Miteinander. Im Düngerteam dominieren die Frauen, mit Antje
Bittner ihre rechte Hand für das operative Geschäft und Dr. Carola Schuster
als Forschungsleiterin. Für die Zukunft
hat die Ostseeliebhaberin eine klare
Botschaft: „Ich wünsche mir, dass es
der Gesellschaft gelingt, Ökonomie und
Ökologie stärker zu verknüpfen.”
nahm. Einfach alles stehen und liegen
lassen, ist bei diesen Ur-Produktionsfaktoren einfach nicht möglich. Vielmehr steht die Bodenverbundenheit für
Beständigkeit und Verlässlichkeit, die
die Managerin auszeichnet.
Cornelia Schröter
Glücksache
Freude am Lernen
D
ie Moskauer Studienjahre möchte Cornelia Schröter nicht missen.
Sie waren manchmal hart, aber
für das Leben vorbereitend. Dort konnte
die interessierte Berlinerin ihr Wunschfach Chemie insbesondere mit der Fachrichtung Industrieabfallverwertung vertiefen. Ihr heutiger zuvorkommender
und besonnener Führungsstil geht auch
auf die beeindruckende Lebensart und
Erfahrung der Menschen in der damaligen Sowjetunion zurück. Sie hatte schon
immer klare Vorstellungen darüber, was
sie wollte. Schon in der 12. Klasse verpflichtete sich die Studentin zu dem vom
Staat geplanten beruflichen Start in der
Kaliindustrie. Die Chancengleichheit war
für alle Absolventen selbstverständlich,
solange die Leistungen gleich gut waren.
Neben dem normalen Abitur lernte sie in
der Internatsschule in Halle zur Vorbereitung des Studiums in Moskau intensiv
Russisch. Nach dem Studium begann das
Berufsleben im Forschungsbereich der
Kaliindustrie am Standort Sondershausen. Die Wendezeit erlebte Schröter als
unglaublich spannend, verbunden mit
einer Freizügigkeit, Entscheidungen zu
treffen, um das Unternehmen am Laufen
zu halten. Eine solche Epoche gab es vorher und nachher nicht mehr. Ihre starke
Verbundenheit mit dem Kalibergbau,
vergleicht Schröter gerne mit der Scholle
in der Landwirtschaft.
Der Fusionsvertrag im Mai 1993 zwischen
der damaligen K+S GmbH, Mitteldeutsche Kali AG und der Treuhandanstalt
gab die neue Ausrichtung vor. Es dauerte
nicht lange, bis Schröter in der Kasseler
K+S-Zentrale verschiedene Verantwortungen im Düngergeschäft und schließlich die Verkaufsleitung und das Marketing Düngemittel für Deutschland und
Benelux bei der K+S Kali GmbH über-
Birgit Seidel
W
ie nahe Ende und Anfang stehen, kennt die begabte Verfahrenstechnikerin Birgit Seidel
von der aufregenden Wendezeit. In den
1980er Jahren drückte sie während ihrer
Ausbildung als Chemiefacharbeiterin
mit Abitur in den Leuna-Werken die
Schulbank oder arbeitete im Schichtdienst in der Ammoniumsulfatanlage.
Um tiefer in die Materie einzusteigen,
wechselte sie an die Hochschule in
Merseburg mit dem Ziel, Verfahrenstechnik zu studieren. Mit dem Diplom in der Hand ging es zurück nach
Leuna in die Forschungsabteilung für
Ammonsulfat (AS). Die Übernahme der
Caprolactam-Unternehmen durch das
belgische Unternehmen Domo bedeutete im Jahr 1994 zunächst die Kündigung
durch den alten Arbeitgeber. Doch nur
einen Tag später stellte Domo die Verfahrenstechnikerin wieder ein.
Seidel nennt es Glück, denn viele ihrer
Kollegen verloren ihren Job. Seit fast
35 Jahren tüftelt sie an einer größeren
Streubreite, um das fein kristalline AS
aus der Caprolactam-Produktion auszubringen. Bislang sind es stolze 36 Meter,
die der Dünger weit gestreut werden
kann. Die Forschung rund um die Düngung ist das Steckenpferd von Seidel.
Daran änderte sich auch nichts, als sie
im Jahr 2008 auf Wunsch der Geschäftsführung von Domo die Verkaufsleitung
Düngemittel übertragen bekam. Täglich
profitiert sie im Kundengespräch von
ihren fundierten Kenntnissen über das
Produkt und den praktischen Einsatz
in der Landwirtschaft. Dabei verliert
die Merseburgerin nie den Kontakt zur
Entwicklungsabteilung und Qualitätssicherung. Die Freude am Beruf ist Seidel anzusehen. Darin geht sie auf. Ihr
Engagement ist für viele Studierende,
die ins Werk zum Praktikum kommen,
ein wichtiger Ansporn und Vorbild.
Zusammengestellt von Daphne Huber-Wagner
Pflanzenschutz
41
Plus 62 Prozent:
Anteil am deutschen
Gesamtmarkt* 2015
Die Industrie hat 2015 Pflanzenschutzmittel im Wert von
1,6 Mrd. Euro an den deutschen Handel verkauft. Vor
25 Jahren, kurz nach der Wiedervereinigung, waren es umgerechnet weniger als 1 Mrd. Euro.
in Prozent
Schrumpfungsprozess:
Die Anzahl der forschenden
Pflanzenschutzunternehmen hat sich global
von 34 im Jahr 1995 auf
17 im Jahr 2012 halbiert.
In Europa ist in diesem
Zeitraum die Zahl von acht
auf drei geschrumpft.
Foto: Amazone
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Hochmoderne Feldspritzen sind mittlerweile rund um die Uhr im Einsatz. Die Gesellschaft hätte es aber lieber idyllisch.
Zwischen Bürokratie,
Cash und Moral
39,9
Fungizide
7,0 Sonstige
8,4
Insektizide
44,7
Herbizide
Quelle: IVA, *Gesamtmarkt 1,6 Mrd. Euro
Weniger Innovationen:
Während sich im Jahr 2000
noch 70 neue Wirkstoffe in
der Entwicklungs-Pipeline
befunden haben, registriert
Phillips McDougall 2012
nur noch 28 potenzielle
Innovationen.
Globaler Pflanzenschutzmarkt* 2015
nach Regionen, Anteile in Prozent
Agrarchemie kämpft um die Legitimation – Anleger verlangen höhere Gewinne
22,7
18,3
Europa
Dagmar Behme
chen Debatte sprechen Firmenvertreter
stattdessen ausgiebig über den Beitrag
ihres Unternehmens zur Biodiversität
oder Nachhaltigkeit. „Wir müssen uns
um die ‚Licence to operate‘ bemühen”,
formuliert ein weiterer Pflanzenschutzmanager die Aufgabe. Und er weiß wie
seine Kollegen, dass noch ein weiter Weg
zu gehen ist. Rhetorik reicht nicht.
Ressort Pflanzenschutz
L
andwirtschaft ist eine hochmoralische
Veranstaltung
geworden. Im Ackerbau dient
als Sinnbild die Honigbiene,
deren Existenz in der gesellschaftlichen Wahrnehmung
durch den Pflanzenschutz bedroht ist.
Jede Spritzmaßnahme wird äußerst kritisch beäugt, zunehmend auch verteufelt. „Die öffentliche Meinung ist gegen
uns”, stellt das Vorstandsmitglied eines
führenden Konzerns ernüchtert fest.
Alarmiert sind mittlerweile alle Hersteller. Ihre Produkte preisen sie nur noch
im engen Kundenkreis. In der öffentli-
Die Branche steht unter Rechtfertigungsdruck, und das wird vorerst so bleiben.
Die Gesellschaft hat sich in der Ablehnung
von Pflanzenschutz bequem eingerichtet.
Es mangelt der Bevölkerung ja an nichts,
weder an gesunden noch an preiswerten
Lebensmitteln. Kaum jemand kommt auf
die Idee, dass dies der modernen Landwirtschaft zu verdanken ist. Gesellschaftliches Vorbild sind vielmehr die Ökobetriebe, in denen die Ernte auch ohne Chemie
wächst. Nur ein Bruchteil der Pflanzenschutz-Kritiker kauft aber Ökoprodukte.
So bleibt der Beweis aus, ob einer chemiefreien Landwirtschaft tatsächlich die
Zukunft gehört. Dennoch richtet die Politik ihre Gesetzgebung zunehmend an
diesem Leitbild aus. Daran wird sich in
absehbarer Zeit nichts ändern.
Der wachsende Einfluss der Politik mündet in Bürokratie, die von Greening-Auflagen der EU-Direktzahlungen über
zunehmende Anforderungen für die
Pflanzenschutzmittelzulassung bis zu
Interventionen beim Registrierungsprozess – Stichwort Glyphosat – reicht.
Wegen dieser immer strengeren Regulierung werden Innovationen für die
Hersteller extrem teuer. Innerhalb von
20 Jahren haben sich die Kosten für die
Entwicklung eines Wirkstoffs verdoppelt
und betragen jetzt etwa 250 Millionen
Euro. Entsprechend seltener kommen
Neuheiten, die attraktive Margen bieten, auf den Markt (siehe Grafik rechts).
Stattdessen unterscheiden sich die eingeführten Mittel der großen Anbieter
wenig voneinander und sind dadurch
besonders anfällig für einen ruinösen
Preiswettbewerb. Kühlt sich dann die
Agrarkonjunktur wie 2015 und 2016
ab, brechen die Gewinne der Pflanzenschutzmittelhersteller ein.
Die Aktionäre wollen aber Cash sehen,
und die großen Finanzanleger sehen
das Heil in einer Konsolidierung der
Branche. Sie ist bereits hoch konzen-
triert, denn die Zahl der forschenden
Unternehmen hat sich seit 1995 halbiert.
Angesichts der erreichten Größe der verbliebenen Firmen werden die geplanten
Unternehmenshochzeiten extrem teuer.
Bayer etwa bietet für Monsanto 62 Milliarden US-Dollar. Selbst wenn die Leverkusener nicht erhöhen müssen, wäre
es die teuerste Übernahme eines deutschen Konzerns. Dagegen wirkt der Kaufpreis von 43 Milliarden US-Dollar, den
ChemChina für Syngenta anlegt, wie ein
Schnäppchen. Langfristig versprechen
die Manager Kostensenkungen durch
Synergieeffekte. Finanzanleger mögen
solche Perspektiven. Dem Bemühen um
ein besseres Image nutzen Großübernahmen jedoch nicht. Der Konzentrationsprozess nährt Ängste vor zu großer
Machtfülle. Die Gesellschaft wünscht
sich ohnehin eine Landwirtschaft mit
überschaubaren regionalen Stoffkreisläufen. Konzerne mit ihrer globalen Ausrichtung wirken in diesem idyllischen
Bild wie ein Fremdkörper. Pflanzenschutzmittelhersteller müssen sich also
weiterhin anstrengen und für ihre Legitimation kämpfen. Erfolgsgarantie gibt es
keine. Eine Alternative aber auch nicht.
27,4
27,4
Lateinamerika
Übrige
Asien, Ozeanien
4,2
4,2
Übrige
Quelle: Phillips McDougall, *Gesamtmarkt umgerechnet 46,1 Mrd. Euro
Langlebig:
Foto: BASF
Foto: Rothenberger
USA, Kanada, Mexiko
Mit U46 gelang der BASF vor 70 Jahren
der Durchbruch als Pflanzenschutzmit­
telanbieter. Einen blumigen Marken­
namen hatte das Mittel auf Basis des
Wuchsstoffes 2,4 D nie: U46 ist die
Abkürzung für Unkrautmittel 1946. Es
bis heute im Einsatz.
42 Pflanzenschutz
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Fotos: N.U. Agrar
„Wir produzieren unser Wissen
selbst und geben es weiter.“
Porträt: Dr. Hansgeorg Schönberger
Am liebsten hält er Seminare auf dem Acker
Als „bunter Hund“ mischt er seit Jahrzehnten die
Agrarberatung auf. Dieser Selbsteinschätzung des
humorvollen Bayerns schließen sich viele Fachleute an –
in der Regel verbunden mit hoher Wertschätzung.
A
lles hat mit der Distel angefangen. Als Bub, so erinnert
sich Hansgeorg Schönberger, packte er zur Ernte
auf dem Hof des Onkels in
Arnschwang am Rande des Bayerischen
Waldes mit an. Nur das „Mandl aufstellen” war dem Buben ein Graus, wenn die
Disteln in den Roggengarben in die Hände stachen. Es war die reinste Erlösung,
als der Onkel erstmals U 46 gegen die Disteln spritzte. Heute sind Wuchsstoffe alte
Kamellen unter den vielen Mitteln gegen
Unkräuter. In den 1950er Jahren betraten
Bauern damit noch völliges Neuland.
Der Onkel, den Schönberger heute eines
seiner großen Vorbilder nennt, beeindruckte seinen Neffen auf jeden Fall nachhaltig. Hansgeorg ging nach dem Abitur
am Alten Gymnasium in der Nähe von
Regensburg in die Lehre und anschließend zum Agrarstudium nach Weihenstephan. Während der Promotionszeit im
Institut des renommierten Pflanzenzüchters Gerhard Fischbeck wechselte der
Jungforscher im Alter von 25 Jahren nach
Kiel. Dort übernahm 1973 Herbert Hanus
als frisch berufener Lehrstuhlinhaber den
Allgemeinen Pflanzenbau.
Hier konnte sich Schönberger große Ziele
setzen. Die Holsteiner Ackerbaubetriebe
ernteten in den 1970er Jahren auf den
Marschböden und in Ostholstein mit
60 Dezitonnen pro Hektar bereits überdurchschnittlich hohe Weizenerträge.
„Wissenschaft ist der schnellste Weg,
um Landwirtschaft besser zu machen”,
sagte sich der junge Wissenschaftler
und ging fortan der Fragestellung nach,
wie 100 Dezitonnen pro Hektar Weizen
und 50 Dezitonnen pro Hektar Raps
nicht nur in Parzellen zu schaffen seien. Sein Professor gab ihm den nötigen
Freiraum, die Versuche dazu auf dem
zur Kieler Universität gehörenden Versuchsgut Hohenschulen zu etablieren.
In dieser Umgebung fand sich der Bayer
schnell zurecht. „Die haben Platt gesprochen, ich bayerisch, und wir haben uns
verstanden”, erinnert sich Schönberger.
„Es war nicht einfach,
einen Absolventen
der LPG-Hochschule
Meißen zu
überzeugen.“
Er profitierte von seiner humanistischen
Bildung. Auf dem bayerischen Lehrplan
standen damals nicht nur Griechisch und
Latein, sondern auch Dialekte wie das
Niederdeutsche.
Zum nächsten Sprung setzte Schönberger
an, als 1985 in Flensburg die Nordische
Universität (N. U.) als private Hochschule
gegründet wurde. Das vom Land geförderte Projekt gehörte zur Innovationsoffen-
sive des damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel
(CDU). Der umtriebige Bayer ließ sich von
der Idee mitreißen und gründete seinerseits die N.U. Agrar GmbH, die sich dem
Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die praktische Landwirtschaft verschrieben hatte. Die Nordische Universität selbst fand ein jähes Ende mit der
Barschel-Affäre. Es kam zum Regierungswechsel, und SPD-Mann Björn Engholm
stellte 1989 die Förderung ein.
ohne weiteres von so einem jungen
Außenseiter belehren lassen wollten.
„Ich war halt immer ein bunter Hund”,
sagt Schönberger mit einem Schmunzeln.
Größten Wert legt der Berater jedoch
auf den wissenschaftlichen Ansatz als
Grundlage für alle Empfehlungen. Seine
Überzeugungskraft bezieht er seit Gründung der N.U. Agrar aus einem eigenen,
unabhängigen Feldversuchswesen. Heute erstrecken sich die bis zu 10 000 Parzellen pro Jahr von Dänemark
haben einen fast schon unverschämt
schnellen Weg von der Erkenntnis zur
Umsetzung.” Von dem Wissen profitieren
rund 1 000 Betriebe, die zum festen Kundenstamm zählen. Hinzu kommen weitere Geschäftskontakte, sodass die N.U.
Agrar mit ihren Angeboten mittlerweile
1 800 Agrarunternehmen mit mehr als 1
Million Hektar Fläche erreicht.
Mit der Verlagerung der Beratungstätigkeit Richtung Osten folgte 2005 auch der
vorerst letzte berufliche
„Damals habe ich ein hohes Lehrgeld
gezahlt”, blickt der Unternehmer auf die
Episode zurück, die seiner GmbH tiefrote Zahlen beschert hatte. Die Schulden
waren zwar irgendwann abbezahlt, doch
das grundsätzliche Misstrauen in politische Zusagen ist bis heute geblieben.
Eine verlässliche Basis bot dagegen der
Kundenstamm von 200 Betrieben in
Holstein sowie im Rheinland und
Westfalen, aber auch in Süddeutschland, die weiterhin die private Beratung der N.U. Agrar in Anspruch
nehmen wollten. Dann kam mit
dem Ende der DDR die große Chance für Wachstum. „Die nächsten 200
Betriebe konnten wir unmittelbar
nach der Wende gewinnen”, erzählt
Schönberger von den ersten Wochen
nach dem Mauerfall.
G
erade in der Magdeburger
Börde fiel die Beratung der
N.U. Agrar auf im Sinne des
Wortes fruchtbaren Boden.
Innerhalb von wenigen Jahren stiegen die Weizenerträge von knapp
50 auf über 90 Dezitonnen pro Hektar. „Aber es war nicht ganz einfach, als
42-jähriger Bayer einen gestandenen
Absolventen der LPG-Hochschule Meißen zu überzeugen”, erinnert sich der
Unternehmer an seine Arbeit in der Nachwendezeit. Ähnliche Hürden kannte der
unkonventionelle Berater allerdings zur
Genüge aus seiner Zeit unter Holsteiner
Gutsbesitzern, die sich ebenfalls nicht
bis Österreich und von Westeuropa bis in die Ukraine. „Damit decken
wir alle typischen Ackerbaustandorte
in Mitteleuropa ab”, sagt Schönberger
nicht ohne Stolz. Ein Alleinstellungsmerkmal ist seiner Ansicht nach außerdem
die Geschwindigkeit, mit der aktuelle
Fragen aus der Praxis in Feldversuchen
bearbeitet werden und deren Ergebnisse
wiederum in die Praxis einfließen. „Wir
Umzug. Seither befindet
sich der Hauptsitz der N.U. Agrar in der
gut 300 Einwohner zählenden Gemeinde
Schackenthal mitten in den Feldern von
Sachsen-Anhalt. Das ehemalige Verwaltungsgebäude bietet außerdem Raum
für die regelmäßigen Schulungen in aktuellen Fragen der Pflanzenproduktion.
Schönberger gibt mit großer Begeisterung
sein Wissen weiter. Gelegenheit bietet
außer den N.U.-Agrar-Angeboten ein Lehrauftrag an der Agrarfakultät in Bernburg.
Auch in Göttingen gehört der Berater zu
den Referenten im Ackerbaukreis. Darüber hinaus werden er und die Mitarbeiter
seines Teams bundesweit über das ganze
Jahr hinweg zu Vorträgen und Veranstaltungen mit Feldführungen eingeladen.
D
as „Seminar auf dem Acker”,
die direkte Ansprache auf
dem Feld hat jedoch immer
Priorität. Das gilt auch für die
Ausbildung. Die N.U. Agrar
bietet jährlich sechs bis acht Praktikumsplätze, die begehrt sind. Die Fluktuation
unter den Mitarbeitern ist gering, freut
sich der Geschäftsführer. Wenn Wachstumsschritte geplant sind, können sich
Schönberger und seine Mitstreiter den
Nachwuchs aussuchen. Für sein Unternehmen waren neue Kollegen immer
ein Gewinn. „Wenn ich die Innovationen auf unseren Versuchsfeldern
und in unserem Beratungsangebot
anschaue, dann stammen die zu
wenigstens einem Drittel von unseren jungen Mitarbeitern”, schätzt
Schönberger.
Das Geschäftsmodell der N.U. Agrar
hat sich in all den Jahrzehnten aber
nicht verändert: „Wir produzieren
unser Wissen selbst, verdichten es und
geben es weiter”, beschreibt es der
Unternehmer. Wissen allein erklärt für
ihn jedoch noch nicht den ganzen Prozess. Er sagt seinen Mitarbeitern auch:
„Ihr müsst den Mumm haben, zu eurem
Gefühl zu stehen, aber auch Fehler einzugestehen.” Nach wie vor gilt für Schönberger das Erfahrungswissen des Onkels,
der dem jungen Hansgeorg am Rande
des Bayerischen Waldes buchstäblich
das „Begreifen des Bodens” gelehrt hat.
Für den Umgang mit Disteln hat eine
frühere Mitarbeiterin von Schönberger
übrigens eine ganz individuelle Lösung
gefunden. Sie zieren das Firmenlogo der
N.U. Agrar.
db
Vorbilder
Methode
Agrarpolitik
Gunstlage
Lebensmittelpunkt
Gefragt nach seinen Vorbildern, muss Hansgeorg Schönberger
nicht lange nachdenken. „Da ist zuerst mein Onkel, der mir die
Freude an der Landwirtschaft vermittelt hat. Und dann kam
mein Lehrherr, der mir Disziplin beigebracht hat.“ Später ließ
sich der Agrarwissenschaftler noch von etwas ganz anderem
beeindrucken. „Das war mein Versuchstechniker in Hohenschulen, der zu DDR-Zeiten im Zuchthaus gesessen hatte, und
der trotzdem eine ungebrochene Lebensfreude ausstrahlte.“
Für Hansgeorg Schönberger bildet der strukturierte
Beratungsprozess die Basis. „Wenn ein Gedankengebäude steht, muss unter gleichen Annahmen das gleiche
Ergebnis herauskommen“, nennt er den Anspruch, dem
sich alle seine Mitarbeiter stellen müssen. Unabhängig
davon legt Schönberger aber größten Wert auf den persönlichen Kontakt in der Beratung. „Du musst den Menschen ins Auge sehen.“
Auf die Politik baut Hansgeorg Schönberger nach seinen
früheren Erfahrungen in Schleswig-Holstein grundsätzlich nicht mehr. Der allgemeinen Politiker-Schelte mag er
sich aber nicht anschließen. Noch weniger behagt ihm die
Erwartungshaltung, dass der Staat alle Probleme lösen
soll. „Es wird ständig gefordert“, beobachtet der Unternehmer. „Man kann aber auch mal bitte sagen“, hält er
für den besseren Weg.
Fünf Jahre in Folge hat Mitteleuropa alle Wetterextreme
wie Frost und Hitze oder Nässe und Trockenheit erlebt.
Missernten und Hungersnöte blieben jedoch aus. Hansgeorg Schönberger ist es wichtig, immer wieder diese
Leistung herauszustellen. „Wenn wir heute Millionen
von Flüchtlingen aufnehmen, ohne dass wir uns groß um
unser Wohlergehen sorgen müssen, ist das nicht zuletzt
unserer florierenden Landwirtschaft zu verdanken.“
Hansgeorg Schönberger fährt jährlich 100 000
Kilometer mit dem Auto, hinzu kommen Bahn- und
Flugreisen. Zur Ruhe kommt er in seiner Heimat im
bayerischen Bad Kötzting, wo er seit dem Wegzug
aus Schleswig-Holstein mit seiner Familie lebt. Die
mittlerweile erwachsenen Kinder haben sich alle
für Studiengänge und Berufe außerhalb der Landwirtschaft entschieden.
Pflanzenschutz 43
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Lobbyarbeit für das drittwichtigste Nutztier
Imker Heinrich Kersten rettet Bienen, die BASF will mehr Artenvielfalt. Wo beide zusammenkommen, zeigt ein Ortsbesuch in Niedersachsen.
Aber Kersten ist nicht einfach nur Imker.
Er ist vielmehr so etwas wie ein Lobbyist
der Honigbiene. Allerdings keiner, der
dafür bezahlt wird. Kersten tingelt freiwillig und ehrenamtlich von Bauernhof zu
Bauernhof in seinem Landkreis Verden
in Niedersachsen, um Landwirte davon
zu überzeugen, mehr für die Honigbiene zu tun.
Blühmischungen als Lockmittel
Auch auf der Burg Warberg ist Kersten voll
in seinem Element. Bei der Veranstaltung
der BASF zum Thema Biodiversität legt
er in hohem Tempo Folien auf, als ginge
es um Leben und Tod. Für die Biene tut
es das vielleicht sogar auch. „Zurzeit gibt
es in Deutschland nur noch etwa 700 000
Völker”, erklärt Kersten. 1951 seien es
drei Mal so viele gewesen. „Dabei nimmt
Netz von Betrieben
Die BASF baut seit 2013 in Europa
ein Nachhaltigkeitsnetzwerk auf. In
Deutschland, Belgien und Österreich
sind bereits 16 Betriebe und eine
großflächige Region in der Südpfalz
integriert. Ziel ist es, einen hohen Flächenanteil mit wirksamen Agrarumweltmaßnahmen zu generieren und gleichzeitig die Produktivität zu erhalten. az
die Honigbiene durch ihre Bestäubungsleistung den 3. Platz der wichtigsten
Nutztiere hinter Rind und Schwein ein”,
erinnert der pensionierte Ingenieur, der
aus der Landwirtschaft stammt und sich
seit 1984 mit der Imkerei befasst.
Dem ungeklärten Bienensterben will
der zweifache Familienvater und vierfache Großvater ein Ende machen –
und hat dazu mit Kollegen eigens eine
Blühmischung kreiert, auf die Bienen im
wahrsten Sinne des Wortes fliegen. „Die
Mischung hat eine Blühdauer bis September”, erzählt Kersten. Normalerweise sei
nach dem Raps im Mai das Trachtangebot
in Niedersachsen mit Ausnahme weniger,
unsicherer Kulturen arg reduziert oder
sogar schon beendet.
Das soll mit der Blühmischung, die ständig überprüft und bei Bedarf auch modifiziert wird, anders werden. „Rund 80
Prozent unserer heimischen Nutz- und
Wildpflanzen sind auf Bienen als Bestäuber angewiesen”, sagt Kersten. Ein gutes
Pollenangebot im Spätsommer innerhalb des Flugradius von circa drei Kilometern sei ein notwendiger Baustein für
eine gute Völkerentwicklung im Herbst
– sowohl für Honigbienen als auch für
Wildbienen und Hummeln. Dann könnten die Völker auch besser durch den
Winter kommen. Unterstützt wird das
Projekt von der Landwirtschaftskammer
und dem Niedersächsischen Landvolk.
Biodiversität haben mittlerweile auch
große Konzerne wie die BASF auf der
Agenda. Denn die biologische Vielfalt
nimmt – gerade durch die Intensivierung
der Landwirtschaft – in Deutschland ab,
sodass inzwischen viele wild lebende
Arten und natürliche Ökosysteme in ihrer
Fotos: sp
W
enn es um sein Lieblingsthema geht, ist Heinrich
Kersten kaum noch zu
bremsen. Dann redet
er schnell, sein Puls
beschleunigt sich und die Röte schießt
ihm in den Kopf. Und dann ist er ganz in
seinem Element: Der Imkerei.
Landwirte, Händler und Berater nutzen die Gelegenheit zur Besichtigung von Biodiversitätsbetrieben, wie hier auf Burg Warberg.
Existenz oder dauerhaften Funktionsfähigkeit akut bedroht sind. Bei der BASF
ist das Thema Nachhaltigkeit längst zum
eigenen Unternehmensbereich befördert worden. Auf den Nachhaltigkeitsbetrieben erarbeitet das Unternehmen
aus Ludwigshafen Maßnahmen, um die
Artenvielfalt zu fördern und möglichst
viel produktive Fläche zu erhalten. Einer
der Betriebe ist der Hof der Bundeslehranstalt Burg Warberg in Niedersachsen.
Um die Maßnahmen der BASF direkt
auf dem Feld zu begutachten, lädt das
Unternehmen regelmäßig zu Besichtigungen. Landwirte und Händler sowie
Agrar- und Umweltberater nutzen im
Juni die Gelegenheit. Melanie Gabler aus
der BASF-Fachberatung Nachhaltigkeit
erklärt, welche Mischungen auf den Blühstreifen verwendet wurden und berichtet
über erste Erfahrungen im Artenschutz.
Klar, die BASF stehe hier noch am Anfang,
betont Gabler. Aber auf den Nachhaltigkeitsbetrieben, die über ganz Deutsch-
land verstreut sind, will die BASF eben
vor allem eines: Wissen zum Thema Biodiversität sammeln.
Bonus von 100 Euro pro Hektar
Denn spätestens seit der Einführung des
Greening ist das Thema auch bei den
Landwirten und ihren Zulieferern angekommen. Das Land Niedersachsen, der
Heimat von Imker Kersten, legt noch eine
Schippe drauf. „Wenn ein Landwirt mit
einem Imker vor Ort eine abgestimmte
Saatmischung einsät, erhält der Betrieb
seit 2015 einen Imkerbonus von 100 Euro
pro Hektar zusätzlich von der Landesregierung”, erklärt Kersten. Und was hat
er davon? Der Ingenieur im Ruhestand
dazu nur: „Ich mach mein Ding, das ist
meine Lebensaufgabe – im Einsatz für die
Biene.” Vor kurzem erst hat er sogar eine
Anfrage zu dem Thema von einer Universität in China bekommen, erzählt er. Und
schon ist Kersten wieder ganz in seinem
Element.
sp
Imker Heinrich Kersten will mehr Aufmerksamkeit für die Biene und bietet neben der
Saatmischung die dazu passenden Schilder.
44 Pflanzenschutz
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
„Wir wollen Landwirten den Rücken stärken“
Deutschlandchef von Adama versteht Spezialisierung auf den Pflanzenschutz als besondere Stärke – Ehrliche Kommunikation wird zentrale Aufgabe
Welche Bedeutung hat der chinesische
Mehrheitsaktionär?
Horne: In unserem operativen Geschäft
in Deutschland spüren wir keine Auswirkungen. Strategische Bedeutung hat die
Zusammenarbeit von Adama und ChemChina aber durchaus. Der chinesische
Markt wächst im globalen Maßstab am
schnellsten, ist aber höchst fragmentiert.
Hier will Adama – zusammen mit ChemChina – eine führende Rolle in der Konsolidierung spielen. Außerdem eröffnet uns
ChemChina einen besseren Zugang zu
Rohstoffen. Schließlich gibt es in China hervorragende Wissenschaftler. Adama baut
zurzeit in China ein Entwicklungszentrum
auf, um neue Lösungen, seien es digitale
Anwendungen, Roboter oder Drohnen,
aber auch Formulierungen – zu erforschen.
Als Produktionsstandort hat China aber
keinen guten Ruf – Stichworte Chemieunfälle oder Umweltverschmutzung.
Horne: Vor 20 Jahren war das sicher eine
Katastrophe. Aber das hat sich komplett
geändert. Wir bauen neue Produktions-
Zur Person
Thomas Horne, Jahrgang 1963, hat
in Hohenheim Landwirtschaft studiert
und war im Bereich Pflanzenschutz in
verschiedenen Funktionen in Polen
tätig. Dort wechselte er 2011 zur Adama-Gruppe, die damals noch als Feinchemie Schwebda (FCS) firmierte. Seit
2014 ist Horne Geschäftsführer der
deutschen Organisation, die hierzulan-
de einen Marktanteil von gut 10 Prozent
hält. Besonders stark ist die Position bei
Herbiziden. Das Unternehmen gehört
zum israelischen Konzern Adama Agricultural Solutions Ltd., der 2015 einen
Umsatz von knapp 3,1 Mrd. US-$ erzielt
hat. Mehrheitsaktionär mit 60 Prozent ist
die China National Chemical Corporation
(ChemChina). db
werke, die zu den modernsten der Welt
gehören. Da werden alle Standards eingehalten, was Sicherheit, Arbeitsschutz,
Umweltschutz angeht. Das gilt aber nicht
nur für Adama. Alle internationalen Hersteller von Pflanzenschutzmitteln lassen
in China produzieren, das hat mit billig
nichts mehr zu tun.
bringt schon viel. Immerhin arbeiten in
der gesamten Agrarbranche circa 670 000
Menschen, die für ihre Anliegen einstehen können. Besonders wichtig ist es, den
Landwirten, deren soziale Stellung auf
den Dörfern zunehmend infrage gestellt
wird, den Rücken zu stärken. Auch Veranstaltungen wie die DLG-Feldtage helfen, um zu sehen: Wir sind nicht allein.
Wir sind ja doch viele, die in der Landwirtschaft arbeiten, wir können zusammenstehen.
Worauf basieren Ihre Innovationen für
deutsche Landwirte?
Horne: Wir haben Zugang zu etwa 120
Wirkstoffen und verfügen damit über
eines der breitesten Portfolios in der
Industrie. Daraus entwickeln wir ständig neue Kombinationen mit innovativen Formulierungen, mit denen sich die
Einzelaufwandmengen senken lassen.
Denn die Wirkstoffe stehen gewaltig
unter Druck, wenn sie zur Re-Registrierung anstehen.
Foto: Adama
agrarzeitung: Adama gehört nicht zu
den forschenden Unternehmen, will
aber auch kein Generika-Hersteller
sein. Was macht Adama anders?
Horne: Wir entwickeln und patentieren
zwar keine neuen Wirkstoffe, wir bieten
aber eigene innovative Lösungen im und
um den Pflanzenschutz. Insofern betrachten wir uns durchaus als forschendes
Unternehmen und keinesfalls als Anbieter von Generika. Was eigene Wirkstoffe
anbetrifft, weiß ich nicht, ob das heutzutage überhaupt noch ein solch entscheidendes Kriterium ist – wenn man sieht,
wie selten neue Wirkstoffe auf den Markt
kommen. Was uns aber unterscheidet:
Anders als die forschenden Hersteller
beschäftigen wir uns nicht mit Saatgut
und Gentechnik. Wir verstehen uns zu
100 Prozent als der Spezialist für Pflanzenschutz. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal im Markt.
Wie kommen Sie mit der schleppenden
Zulassung zurecht?
Horne: Das bereitet uns natürlich Kopfzerbrechen. Die Situation trifft aber alle
Hersteller gleichermaßen. Und wir haben
ja glücklicherweise noch etwas zu verkaufen.
Was zeichnet Adama in Deutschland aus?
Horne: Wir haben ein sehr gutes Portfolio.
Wenn der Markt wächst, dann wachsen
wir mit. Wenn der Markt nicht wächst
oder schrumpft, dann gewinnen wir
Marktanteile, weil wir dann mit unserem
Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen.
Das hat aber nicht allein mit unseren Produkten zu tun. Wir sind einfach nah am
Kunden. Bei den DLG-Feldtagen konnten
Sie das sehen. Egal, wer in das Zelt hineinging, da wurde jeder einzeln begrüßt,
der Vertriebskollege aus der Region setzte
sich dazu, egal, ob der Landwirt 50 oder
Das Bedürfnis für Gespräche und
persönliche Beziehungen wächst.“
5000 Hektar hat. Andere – meist die größeren – Hersteller sind da oft distanzierter
und verlassen sich mehr auf hochmoderne digitale Präsentationen. Ich persönlich bin der festen Überzeugung: So viel
wie wir auch über Digitalisierung und
neue Kommunikationsmedien reden,
das Bedürfnis für Gespräche und persönliche Beziehungen wächst.
Welchen Beitrag kann Adama in der
gesellschaftlichen Diskussion um die
Produktion von Lebensmitteln leisten?
Horne: Wir fangen bei unseren Mitarbeitern an. Wir hatten dazu einen speziellen
Workshop mit einem Kommunikationsexperten. Wir haben ihn ganz konkret
gefragt: Wie kann ich als Adama-Angestellter mit Freunden sprechen, wenn das
Thema aufkommt?
Und wie lautete die Antwort?
Horne: Ehrlich antworten und auch das
Positive herausstellen. Ich glaube, das
Und was können Sie als Adama beitragen?
Horne: Als einzelne Firma können wir
nicht viel ausrichten. Wir werden als
Pflanzenschutzindustrie ohnehin immer
als ‚belastet‘ angesehen. Deswegen ist es
gut, wenn es Institutionen wie das Forum
Moderne Landwirtschaft gibt. Diese können ganz anders auftreten und zeigen,
was die Landwirtschaft wirklich leistet.
Wie hochprofessionell und fortschrittlich
die deutschen Landwirte arbeiten. Das ist
keine bäuerliche Idylle mehr.
Dann wird es aber schwer, die hohen
Agrarsubventionen zu rechtfertigen.
Horne: Da muss ich widersprechen. Wir
müssen doch das Wording ändern. Nicht
die Landwirtschaft wird subventioniert,
sondern der Verbraucher wird subventioniert. Das sehen wir meist gar nicht mehr.
Die Landwirtschaft bekommt zwar das
Geld, aber im Gegenzug sind die Agrarerzeugnisse viel zu billig. Deswegen können
wir uns gerade in Deutschland sehr, sehr
günstig ernähren. Diese Mär von der Subventionierung der Landwirtschaft, das ist
das Erste, was wir in unserer Kommunikation klarstellen müssen: Subventioniert werden wir als Verbraucher.
Das Gespräch führte Dagmar Behme
Porträt: Dr. Helmut Schramm
Ein Botschafter für die Moderne
Gefragter Teilnehmer von Podien und Diskussionsrunden – Auch privat im Einsatz
M
it Lobpreisungen für die
Produkte seines Unternehmens muss sich
Helmut Schramm nicht
lange aufhalten. Die
Pflanzenschutzmittel des deutschen
Marktführers kennt jeder Landwirt und
Agrarhändler. Die wichtigen Getreidefungizide mit dem Bayer-Kreuz haben
etwa 40 Prozent des deutschen Absatzes
erobert. Als forschendes Unternehmen
arbeitet Bayer Crop Science außerdem
beständig an neuen innovativen Wirkstoffen. Doch hier kommt das Problem,
dem der Deutschland-Chef der Pflanzenschutzsparte heute einen erheblichen
Teil seiner Arbeitszeit widmet. So erfolgreich Schramm mit seinem Team am
Markt agiert, so heftig ist der Gegenwind
aus der Politik. Potenzielle Innovationen
stecken im europäischen und deutschen
Zulassungsdickicht fest, wirklich neue
Mittel sind zur Rarität geworden.
Schramm nimmt die Herausforderung
mit sportlichem Ehrgeiz an. Als Jugendlicher träumte der talentierte Stürmer
von einer Profi-Laufbahn im Fußball,
wurde aber durch eine Knieverletzung
ausgebremst. Der gebürtige Unterfranke knüpfte stattdessen an die frühe
Begeisterung für das Traktorfahren auf
dem Bauernhof der Großeltern an. Nach
Agrarstudium in Weihenstephan und
Promotion in der Phytopathologie startete er 1988 seine Profikarriere bei Bayer. Mit Anfang 30 übernahm er schnell
Verantwortung in verschiedenen Funktionen im In- und Ausland. Seit 2011
steht Schramm an der Spitze der Bayer Crop Science Deutschland GmbH in
Monheim.
In all diesen Jahren haben sich die Prioritäten in der deutschen Landwirtschaft
völlig verschoben. Diskussionen um die
Ökologisierung der Landwirtschaft, die
zunächst auf grüne Zirkel beschränkt
waren, sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen – meist allerdings
völlig ohne Beteiligung der Landwirte
und ihrer Marktpartner. Das zu ändern,
betrachtet Schramm als eine seiner
wichtigsten Aufgaben. Dafür macht er
sich auch seit 2013 als Präsident des
Industrieverbandes Agrar (IVA) und seit
Foto: Bayer Crop Science
Adama – das Wort bedeutet auf Hebräisch Erde – gewinnt in Deutschland
kontinuierlich Marktanteile. Der israelische Mutterkonzern hat ebenfalls
Expansionspläne. Im Interview mit der
agrarzeitung (az) nennt Thomas Horne,
Geschäftsführer der Adama Deutschland
GmbH, Erfolgsrezepte und Ideen, um das
Image der modernen Landwirtschaft zu
verbessern.
Überzeugungstäter: Helmut Schramm will mit Innovationen punkten.
2014 als Aufsichtsratsvorsitzender des
Forums Moderne Landwirtschaft stark.
Schramm hat lange im Ausland gelebt
und gearbeitet. Diese Erfahrungen
bringt er bei seinen Vorträgen und als
Teilnehmer von Podiumsdiskussionen
ein. „Es darf nicht sein, dass wir bei uns
die Landwirtschaft extensivieren und
gleichzeitig mehr Nahrungsmittel aus
Schwellen- und Entwicklungsländern
importieren”, stellt der Bayer-Manager
klar. Denn das sei „Land-Grabbing”,
argumentiert der Agrarwissenschaftler
gegenüber Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Stattdessen
wirbt er für den verantwortungsvollen Einsatz von innovativen Pflanzenschutzmitteln durch gut ausgebildete
Landwirte. Davon würde auch die deutsche Gesellschaft profitieren. „Unsere
Nahrungsmittel waren nie so sicher wie
heute und das bei bezahlbaren Preisen”,
wird Schramm nicht müde zu erklären.
Sein Auftrag endet nicht mit Dienstschluss. Auch privat nutzt der agile
Manager manche Gelegenheit, um Misstrauen gegenüber der modernen Landwirtschaft abzubauen. Die Juristin, die
vor einiger Zeit in der Nachbarschaft
eingezogen ist, kauft jetzt nicht mehr
alles im Ökoladen, sondern greift beru-
higt auch zu konventionell erzeugten
Lebensmitteln. „Ich habe ihr erzählt,
wie lange an den Mitteln geforscht wird,
dass sie alle geprüft sind und dass die
Landwirte im Pflanzenschutz ausgebildet sind. Und dass Rückstände vor allem
deswegen gefunden werden, weil wir
eine ganz feine Messmethodik haben”,
listet Schramm seine Argumente auf.
„Wenn Leute nicht ideologisch ausgerichtet sind, dann kann man sie überzeugen”, berichtet er weiter von seinen Erfahrungen. Anders sei es, wenn
jemand von vornherein sage: „Ihr seid
ja chemische Industrie und ich bin
grundsätzlich gegen Chemie.”
S
chramm bleibt beständig am
Ball. Manchmal trifft er auch
Menschen, die spontan bekennen: „Ohne die Medikamente
von Bayer würde ich heute gar
nicht mehr leben.” Diese Akzeptanz
des Fortschritts in der Pharma-Sparte
wünscht sich Schramm auch für moderne Pflanzenschutzmittel. „Wieso will
man der Landwirtschaft nicht die Nutzung von Innovationen für die Füllung
des globalen Warenkorbs zugestehen?”
Seine Antwort lautet: „Wir haben sehr
gute Argumente. Wir müssen deswegen
immer versuchen, sie an den wichtigen
Diskussionstischen einzubringen.” db
Tierhaltung
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
45
Fleischverbrauch weltweit bis 2050
ausgewählte Nutztierarten; Angaben in Mio. Tonnen pro Jahr
500
500
Fleisch gesamt*
400
400
Geflügel
300
300
200
200
Schwein
100
Fotos: Henrike Schirmacher / Montage az
100
Die gesellschaftlichen Anforderungen an die Tierhaltung sind hoch.
Rind
0
2002
0
2012
2022
2050
*Ohne Schaf- und Ziegenfleisch
Quelle:WBA (2015)
Schweineproduktion in der EU 2016
Prognose zur Bruttoeigenerzeugung, ausgewählte Länder, Angaben in Millionen Tiere
Tierhalter in Deutschland
brauchen Mut
Überzogene nationale Auflagen beeinträchtigen die Position im Wettbewerb
Ebenfalls extrem stark zugelegt hat die
Aquakultur. Sie lag Anfang der 1960er
Jahre bei etwa 1,5 Millionen Tonnen
weltweit, heute beträgt diese Zahl etwa
70 Millionen Tonnen.
Dr. Jürgen Struck
Korrespondent Berlin
D
ie Nutztierhaltung weltweit wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sehr stark zunehmen.
Bereits heute ist sie global gesehen einer der am
schnellsten wachsenden landwirtschaftlichen Sektoren, berichtet die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Allein in den vergangenen
50 Jahren habe sich die Erzeugung von
Rindfleisch verdoppelt, jene von Schweinefleisch vervierfacht. Mit einer in diesem Zeitraum verzehnfachten Menge auf
aktuell rund 100 Millionen Tonnen liegt
Geflügelfleisch eindeutig an der Spitze.
Als Hauptgrund für die anhaltende
Dynamik wird neben der wachsendenden Weltbevölkerung ein steigendes
Einkommen in den Schwellenländern
und damit Änderungen im Konsumverhalten genannt. Nahrungsmittel
tierischer Herkunft gelten als Wohlstandsindikator. Die höchsten Nachfragezuwächse in den Entwicklungs- und
Schwellenländern bis zum Jahr 2022
werden für Milcherzeugnisse mit plus 31
Prozent sowie Geflügelfleisch mit plus
27 Prozent prognostiziert.
Stagnation in der EU
Nach wie vor zählen die Länder der
Europäischen Union (EU) zu den großen
Erzeugerregionen für Nahrungsmittel
tierischer Herkunft. Etwa 18 bis 20 Prozent der weltweiten Milch- und Schweinefleischerzeugung entfallen auf die EU.
Im Zuge der zunehmenden Marktliberalisierung in den vergangenen Jahren
sind die produktionstechnisch starken
Länder der EU auch verstärkt als Teilnehmer im weltweiten Handel von
Agrargütern aufgetreten.
Im Zuge dessen wird auch die Entwicklung der Preise für Agrargüter im Inland
immer stärker von den Verhältnissen
am Weltmarkt bestimmt. So hatte eine
erhöhte Nachfrage nach Milchprodukten in der Volksrepublik China noch vor
rund zwei Jahren die Erzeugerpreise
für Milch in Deutschland auf ein Niveau
von mehr als 40 Cent pro Kilogramm
Milch getrieben. Eine durch politische
Ereignisse wie dem russischen Embargo für Lebensmittelimporte beeinflusste Nachfrageschwäche führte jedoch in
der Folgezeit zu einem starken Preisverfall auf derzeit etwa 20 bis 25 Cent
pro Kilogramm. Damit ist der gesamte
Milchsektor in Deutschland, aber auch
anderen europäischen Ländern in eine
tiefe Krise geraten.
Hoher Anpassungsdruck
Auch der Veredelungssektor ist seit gut
zwei Jahren mit sehr niedrigen Erzeugererlösen konfrontiert. In Deutschland
Prognose 2016*
Veränderung gegen Vorjahr
47,2
+3,5
Spanien
stehen somit alle Bereiche der Tierhaltung unter einem hohen wirtschaftlichen Druck. Hinzu kommen hierzulande immer weitergehende Forderungen
seitens der Politik, zunehmend jedoch
auch des Lebensmittelhandels. Tierhaltung und Tierschutz haben sich
zum politischen Gegenstand entwickelt.
Zunehmend laute Kritik an der Tierhaltung kommt von Umweltverbänden und
auch dem Bundesumweltministerium
(BMUB). Neue gesetzliche Vorgaben
werden ständig diskutiert und führen
zu großer Verunsicherung unter den
Tierhaltern in Deutschland.
In Kreisen der Wissenschaft ist von
neuen „Leitbildern” für die Tierhaltung
in Deutschland die Rede. Doch bisher
haben diese den Status der Idee nicht
verlassen. Konkrete Inhalte, welche
auch die daraus entstehenden wirtschaftlichen Nachteile für die Erzeuger kompensieren könnten, sind nicht
erkennbar. In den kommenden Jahren
wird sich somit entscheiden, welchen
Weg die Tierhaltung in Deutschland
gehen wird. Die Alternativen lauten:
Rückbau und Verlagerung oder mit Mut
neue Qualitätsoffensiven einzuleiten.
*vorläufig
46,8
32,0
-0,9
+1,7
Deutsch- Dänemark
land
24,5
+1,5
Niederlande
24,3
-0,5
Frankreich
15,8
0
Polen
11,7
-1,0
Belgien
11,5
+2,4
Italien
10,4
5,3
+2,5
+2,8
GroßRumänien
britannien
Quelle: DBV Situationsbericht 2016
Mit einem Produktionsvolumen von rund 162 Millionen
Tonnen Milch nimmt die EU-28 in der Welt weiterhin die
Spitzenstellung ein. Ihr folgt mit 140 Millionen Tonnen das
Schwellenland Indien, welches jedoch noch immer nicht die Eigenversorgung der rund 1,3 Milliarden Einwohner gewährleisten kann.
Mit einem Produktionsvolumen von mehr als 93 Millionen Tonnen stehen die USA auf
Platz 3 der Rangliste der großen
Erzeugerregionen. Auf Milchimporte weiterhin angewiesen
bleiben Russland mit einem
Produktionsvolumen von
knapp 30 Millionen Tonnen sowie
China mit knapp 43 Millionen
Tonnen im Lande erzeugter Milch.
46 Tierhaltung
Fotos: has
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Milch von der Stange muss nicht sein. Ein Qualitätsprodukt, das sich speziell zur Sahneherstellung eignet, könnte mithilfe von Genome Editing Wirklichkeit werden.
schaftliche Debatten diesen Prozess um
mehr Tierwohl beschleunigt haben.
Gentechnik im Stall
scheitert an
der Akzeptanz
So sucht man besonders im Bereich
Geflügelproduktion nach Alternativen
für eine ethisch akzeptable Produktion.
Denn noch werden männliche Küken von
Legehennen bereits am ersten Lebenstag
getötet – sie legen keine Eier und haben
zu wenig Fleisch für die Mast. Um dieser
oft kritisierten Praxis ein Ende zu bereiten, suchen Forscher und Zuchtunternehmen nach Alternativen.
Transgene Hühner und Schweine gibt es bereits im Labor. Oft sind sie resistent gegen Tierseuchen.
Für Landwirte stellt sich die Frage, wie sich diese Tiere im Stall beweisen. Außerdem muss es die
zukunftsorientierte Züchtung neben Robustheit und Leistung auch mit ethischen Fragestellungen
aufnehmen. Die Debatte um das Zweinutzungshuhn liefert das beste Beispiel.
M
it Ausnahme von Lachs gibt
es weltweit bisher keine
Lebensmittel oder andere Produkte aus gentechnisch veränderten Nutztieren zu kaufen. Vermutlich wird sich
diese Tatsache, trotz neuer Verfahren,
mit denen kleine DNA-Bausteine gezielt
umgeschrieben werden können, kaum
ändern. Denn zumindest für den europäischen Markt geht man davon aus, dass
sich die Zucht gentechnisch veränderter
Nutztiere nicht etablieren wird. Einen
Trumpf haben die neuen Methoden allerdings: Sie hinterlassen nach Einschätzung der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (Efsa) keine Spuren
im Produkt. Aus wissenschaftlicher Sicht
wäre eine Kennzeichnung damit nicht
notwendig. Ohnehin wäre eine Kontrolle
der Kennzeichnung nicht nachvollziehbar. Noch steht eine Entscheidung der
Europäischen Kommission für eine Zulassung dieser Verfahren aber aus.
Nichtsdestotrotz sind die neuen Verfahren, die sich mit dem Begriff Genome
Editing zusammenfassen lassen, weitaus
effektiver als die klassische Züchtungsforschung. Sie sind viel genauer und es
erfordert weniger Zeit und somit Kosten,
um die gewünschte Veränderung auszulösen. Die zurzeit vorliegenden Resultate zeigen, dass die molekularen Scheren für jedes Gen in jedem Organismus
erfolgreich eingesetzt werden können.
Das Repertoire an Versuchstieren reicht
von der Ägyptischen Tigermücke bis hin
zum Schwein, das resistent gegen das
PRRS-Virus ist. Ein Meilenstein scheint
den Forschern, die ihre Studie im Januar
in der Zeitschrift Nature Biotechnology
veröffentlichten, gelungen zu sein. Sie
schafften es, das Schlüsselprotein auszuschalten, über welches das von Schweinehaltern gefürchtete PRRS-Virus in die
Zellen eindringt und schwere Erkrankungen hervorruft.
„Genome Editing bei Schweinen könnte die durch PRRS-Befall verursachten
Kosten deutlich reduzieren”, so die Wissenschaftler. Allerdings ist an eine Kommerzialisierung noch nicht zu denken.
Zunächst müssten mehr Tiere und verschiedene Virusvarianten untersucht
werden.
Um in zukunftsorientierten Zuchtstrategien Tierseuchen den Kampf anzusagen,
erscheinen die neuen Verfahren zunächst
Gold wert. Aber haben diese Tiere wirklich einen Nutzwert in der Praxis?
Theorie versus Praxis
Kritiker, die eine Relevanz für die Praxis
als gering einschätzen, betonen, dass die
Ergebnisse reine Grundlagenforschung
sind. Sie zeigten lediglich Mechanismen
auf, die theoretisch möglich sind. In der
landwirtschaftlichen Praxis sehe es vollkommen anders aus. Im Normalfall sterben innerhalb weniger Tage meist 98 Prozent der Hühner, wenn die Vogelgrippe
im Stall ausbricht. Angenommen es ziehen Hühner in den Stall, die gentechnisch
so verändert sind, dass sie das Vogelgrippe-Virus nicht weitergeben können, aber
trotzdem selbst daran erkranken können. Dann würde womöglich nur noch
die Hälfte aller Tiere sterben. Trotzdem
müssten nach geltendem Tierseuchenschutzgesetz alle Tiere des Bestands
gekeult werden, denn so läuft es bisher
in der Praxis, sobald Tiere infiziert sind.
Somit müsste der gesetzliche Rahmen
zunächst geändert werden. Züchtet man
hingegen resistente Hühner, bleibt trotzdem ein hohes Risiko, dass diese gerade
gegen das in Umlauf geratene Virus nicht
resistent sind. Denn es gibt 18 verschiedene Virustypen der Aviären Influenza.
Zwar bestätigen Forscher, dass theoretisch mehrere Resistenzen in das Genom
eingebaut werden könnten, allerdings
kann ein Virus wiederum mutieren und
dann nutzen auch zehn Resistenzen rein
gar nichts. Außerdem gibt es bisher keine
Forschungsergebnisse zu mehrfach-resistenten Tieren. Ob diese in der Praxis
lebensfähig sind, ist also nicht bestätigt.
Hinzu kommt, dass der Einsatz von
GV-Tieren auch zur Bequemlichkeit
erziehen könnte, so die Angst der Kritiker. Das hätte zur Folge, dass Viren leichter in den Stall geschleust werden. Wenn
sie dort mutieren, bricht erneut eine
Grippewelle aus.
Allerdings könnte es mit Genome Editing auch gelingen,
bestimmte Allergene aus
der Kuhmilch oder aus Hühnereiern zu entfernen. Es
wäre immerhin eine Chance, um Produktionsnischen zu
schaffen, so sieht es Prof. Heiner Niemann, Forschungbereichsleiter Biotechnologie am Institut für Nutztiergenetik
(ING). Milcherzeuger, die sich spezialisieren wollen, könnten auf Tiere setzen,
deren Proteinzusammensetzung in der
Milch im Gegensatz zur herkömmlichen
Kuhmilch verschoben ist. Ein anderes
Proteinmuster könnte sich beispielsweise besser für die Sahne- oder Joghurtherstellung eignen. Eine solche Landwirtschaft würde zielgenau für die Nische
produzieren. Der einzelne Tierhalter
spezialisiert sich und die Milcherzeugung diversifiziert sich. Schweine ließen
sich dahingehend modifizieren, dass ihr
Fettsäuremuster variiert. So könne der
Sättigungsgrad hin zu qualitativ hochwertigeren oder gesünderen Fettsäuren
verändert werden.
Als Konsequenz der intensiven Züchtung, die hochspezialisierte Tiere hervorgebracht hat, haben sich mittlerweile
allerdings auch andere Fragestellungen
ergeben. Vor einigen Jahren stand ledig-
lich die Leistungssteigerung der Rassen
im Mittelpunkt, erklärte kürzlich Joachim
Hauck, Ministerium für Ländlichen Raum
und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg. Mittlerweile liege der Fokus
jedoch auf der Prozessqualität, wodurch
dem Herstellungsprozess von tierischen
Produkten eine herausragende Bedeutung zukomme. Nicht zuletzt weil gesell-
Neben der allerdings noch nicht praxisreifen Geschlechtsbestimmung im Ei stellen die Mast von Bruderhähnen und die
Zucht von Zweinutzungsrassen bereits
Alternativen für eine ethische Geflügelproduktion für Legelinien dar.
Alte Rassen kosten mehr
Dennoch fallen ökonomische Bewertungen der Aufzucht von Zweinutzungsrassen verglichen mit anderen Genotypen
schlecht aus, wie Dr. Klaus Damme, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft
Kitzingen, und Prof. Eggert Schmidt,
Hochschule Weihenstephan-Triesdorf,
vorrechnen. Zwar gibt es alte Rassen mit
entsprechendem Potenzial, als Zweinutzungshuhn aufzuwachsen. Für größere Höfe muss hier jedoch noch investiert werden. Die männlichen Tiere sind
durchaus mastfähig, sie brauchen aber
zwei bis drei Wochen länger bis zur
Schlachtreife. Hinzu komme, dass sowohl
die männlichen als auch die weiblichen
Tiere 20 Prozent mehr Futterenergie pro
Kilogramm Körpergewicht beziehungsweise Eimasse verbrauchen. Außerdem
fehlen dem Erzeuger am Ende 25 Prozent
Eimasse, weil die Eier kleiner sind.
Nichtsdestotrotz könnte die Vermarktung entsprechender Aufzucht-Alternativen zumindest
Nischen erobern, sind sich
Branchenkenner einig. In
einzelnen Regionen werden Zweinutzungshühner
bereits gehalten. Allerdings
macht es nur rund 0,1 Prozent aller in Deutschland
gelegten Eier aus. Außerdem gibt es noch offene
Fragen, die durch den
Wandel in der Gesellschaft in den Fokus
geraten. So kommen
Umweltaspekte zum
Tragen:
Zweinutzungshühner wachsen langsamer, brauchen mehr Fläche
und mehr Futter.
Dadurch verursachen
sie mehr
Emissionen. Als Reaktion auf einen Klimawandel sollen diese in Deutschland
allerdings möglichst reduziert werden.
Schließlich stellt sich vor allem für Landwirte die Frage des Absatzes. Dabei zählen, damit die Rechnung aufgeht, nicht
nur die Vermarktungsmöglichkeiten für
die kleineren Eier der Hennen und brustfleischarme Hähne, sondern auch der
Preis für die alten Hennen, deren Legeleistung nachlässt. Suppenhennen seien
in Europa allerdings schwierig abzusetzen, heißt es von Seiten der Lohmann
Tierzucht GmbH.
In der Aufzucht von Bruderhähnen sieht
die Lohmann Tierzucht mehr Potenzial.
Denn die überwiegende Kostensteigerung entfällt bei Zweinutzungstieren
auf die Legehennen mit längerer Haltungsdauer, somit ist ein Genotyp mit
hoher Legeleistung billiger. Für diesen
Ansatz werden die männlichen Küken
von Legehennen nicht getötet, sondern
für die Fleischmast verwendet. Dies hat
den Vorteil, dass die Hennen handelsübliche Eier legen. Außerdem erhält man
ein zusätzliches Produkt und konkurriert
nicht mit dem traditionellen Brathähnchen. Für Kunden, die mehr Tierwohl
fördern wollen, bietet sich also an, diese
Produktionsweise kenntlich zu machen.
Dies geschieht bereits in Österreich. Ab
Januar 2016 werden in der Bioproduktion keine männlichen Eintagsküken
mehr getötet. Das Konzept beruht auf
einem geschlossenen System, erklärt
Prof. Rudolf Preisinger, Geschäftsführer
Lohmann Tierzucht. Jeder Legehennenhalter kauft weibliche Eintagsküken
von Bio-Elterntieren für die Eierproduktion. Im Gegenzug verpflichtet sich die
Brüterei zur Mast der entsprechenden
Brüder bis zum 70. Lebenstag. Jeder Eierproduzent trägt die Kosten für die Mast
bereits beim Kauf der weiblichen Tiere. Das kostet den Landwirt um einiges
mehr, später wird dies über einen höheren Eierpreis rückvergütet. Die Brüterei
organisiert die Schlachtung der Hähne
und die Vermarktung des Fleisches zu
Lebensmittelzwecken. Das Fleisch der
Hähne soll überwiegend zu Geflügelwurst verarbeitet werden.
Eierfarbe als Marketinginstrument
Dieser Ei-betonte Zweinutzungsansatz,
für den sich die Rasse Lohmann Sandy eignet, bietet auch das entscheidende Marketinginstrument. Denn die Henne legt
Eier mit einer besonderen Schalenfarbe.
Die cremefarbenen Eier dienen als Erkennungsmerkmal für den Konsumenten. Er
weiß sofort, wenn ich dieses Ei kaufe, ist
dafür kein männli- ches Eintagsküken
gestorben. Für dieses geschlossene Produktionssystem muss er dann aber auch
tiefer in die Tasche greifen. Alle wesentlichen österreichischen Handelspartner
haben bereits eine Vereinbarung mit
der Bio-Eiervermarktung unterzeichnet. Ein flächendeckendes Angebot
ist sichergestellt. Im Gegensatz
zum Einsatz von Gentechnik
hätte dies auch potenzial in
Deutschland .
has
Tierhaltung 47
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Veredelungswirtschaft
am Scheideweg
Konzentrationsprozess weit vorangeschritten – Abrechnungsmodelle auf dem Prüfstand
D
ie Entwicklung in den vergangenen 70 Jahren für die
Erzeugung und Vermarktung von Schweinefleisch in
Deutschland mit wenigen
Worten zu erzählen, ist eine Herausforderung. Denn wie die Abbildung zeigt,
gab es allein in der Landwirtschaft enorme Umwälzungen: 2,4 Millionen Betriebe hielten 1950 in Deutschland circa
11,9 Millionen Schweine, also 5 Tiere je
Betrieb. In der Agrarstrukturerhebung
2013 waren es 49 100 Betriebe mit 28,7
Millionen Schweinen und daraus folgend
durchschnittlich 600 Schweine je Betrieb.
Die Anzahl der Betriebe ist um 98 Prozent
zurückgegangen, der Bestand dagegen
um das 2,4-fache und der Durchschnittsbestand um mehr als das 120-fache
gestiegen.
Umfassender Wandel
Und diese Entwicklung ist keineswegs
beendet: Jährlich sinkt die Zahl der
schweinehaltenden Betriebe um 3 bis
5 Prozent. Noch ausgeprägter war die
Entwicklung in den Nachbarländern
Dänemark und Niederlande: Schon in
den 1970er Jahren standen in den dänischen und niederländischen Ställen mit
durchschnittlich 80 bis 100 Schweinen
viermal so viele Tiere in den Betrieben
wie in Deutschland. Im Jahr 2013 waren
es in den Niederlanden 2 200 und in Dänemark 3 100 Schweine pro Betrieb; die Entwicklung ist die Gleiche und der Abstand
zu Deutschland ist geblieben.
Foto: Archiv
Die Geschichte der Schweinefleischerzeugung ist auch eine Geschichte des
gesellschaftlichen Wandels. Die Arbeitskosten waren ein Treiber der Entwicklung
und ein Hinweis auf den allgemeinen
wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands
Der Exportüberschuss bei Schweinefleisch fordert die Branche heraus.
nach dem zweiten Weltkrieg. Der Arbeitskräftebedarf war hoch und die Löhne
stiegen. Um ein Familieneinkommen aus
der Landwirtschaft zu erzielen, musste
expandiert werden. Denn die Schweinepreise entwickelten sich in keiner Weise
wie die Löhne: Musste 1950 für 1 Kilogramm Kotelett noch knapp vier Stunden
gearbeitet werden, so waren es 2013 nur
noch 31 Minuten, entsprechend einem
Minus von fast 90 Prozent. Die Verbraucher gaben 1950 noch 44 Prozent des
Einkommens für Lebensmittel aus, 1970
waren es 30, heute sind es 14 Prozent.
Folglich ist neben dem Kostendruck auch
der Preisdruck ein weiterer Treiber, denn
Lebensmittel und so auch Schweinefleisch konkurrieren mit anderen Konsumwünschen: Weniger als 10 Prozent
der Haushalte besaßen 1950 einen Kühlschrank – nur 20 Jahre später waren es
90 Prozent. Ähnlich verhielt es sich mit
Waschmaschinen, Telefonen, Autos und
vielem mehr. All diese vielen Millionen
Geräte mussten auch bezahlt werden.
Dennoch hat die Fleischwirtschaft zumindest mengenmäßig an der Entwicklung teilgenommen. 1950 lag der ProKopf-Verbrauch von Schweinefleisch in
Deutschland bei 19 Kilogramm im Jahr,
1970 waren es 41 Kilogramm und 2015
gut 52 Kilogramm. Fleisch wird heute
zum überwiegenden Teil in Supermärkten und bei Discountern gekauft. Vor dem
Verkauf wurden die Schweine in 130 grö-
ßeren Schlachthöfen geschlachtet, wobei
die 10 größten Schlachtunternehmen
im Jahr 2015 einen Marktanteil von 75
Prozent erreichten. In gut 1200 Schlachtund Fleischverarbeitungsunternehmen
wurden 42 Milliarden Euro umgesetzt.
Die Fleischindustrie ist der bedeutendste Wirtschaftszweig des verarbeitenden Ernährungsgewerbes. Fleisch- und
Wurstwaren aus Deutschland werden
weltweit abgesetzt, sodass in diesem
Industriezweig ein Exportanteil von
knapp 20 Prozent erreicht wurde. Auch
das sah vor 70 Jahren noch ganz anders
aus: 1950 waren ein Drittel aller 13,7
Millionen Schlachtungen Hausschlachtungen. Das bedeutet, dass 33 Prozent
des Schweinefleisches „am Markt vorbei”
verarbeitet und konsumiert wurde. Die
verbliebenen 66 Prozent wurden in 370
– häufig kommunalen – Schlachthäusern
und 44 000 Fleischereien sowie knapp
500 fleischverarbeitenden Unternehmen
geschlachtet und verarbeitet. 1950 entfielen von den 20 Milliarden Deutsche
Mark Umsatz im fleischverarbeitenden
Ernährungsgewerbe 15 Milliarden DM
und damit 75 Prozent auf handwerkliche Fleischereien. Im Jahr 2014 lag im
Fleischabsatz der Marktanteil der 12 000
Metzgereien bei 17 Prozent und Hausschlachtungen spielen mit 0,2 Prozent
überhaupt keine Rolle mehr.
Deutschlands neue Rolle
Aber auch international hat sich die Stellung Deutschlands gravierend verändert. Traditionell wurde Schweinefleisch
importiert. Die Selbstversorgung lag seit
1960 etwa bei 80 bis 90 Prozent. In den
2000er Jahren änderte sich dies markant.
Seit 2007 ist Deutschland Nettoexporteur
und aktuell liegt der Selbstversorgungsgrad bei 120 Prozent. Anstatt Fleisch werden nun jährlich mehr als 10 Millionen
Ferkel vornehmlich aus Dänemark und
den Niederlanden importiert und hier
gemästet. Der hohe Exportüberschuss
bei Schweinefleisch führt zu großen
Herausforderungen, da der Weltmarkt
ständigen Veränderungen unterworfen
ist; deutlichstes Beispiel ist das seit zwei
Jahren gültige Importverbot Russlands,
aber auch die wachsenden Exportmöglichkeiten Richtung China.
Was waren wichtige Themen in all den
Jahren? Die Durchsicht landwirtschaftlicher Fachzeitschriften seit den 1950er
Jahren fördert manche überraschenden Themen und manche Dauerthemen
zutage: Die preisdämpfende Wirkung
kurzfristiger Angebotsüberhänge und
wie dem zu begegnen wäre, war ein
ständiges Thema mit unterschiedlichen
„Rezeptvorschlägen”. In den Zeiten der
Marktordnungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) waren Währungsaufwertungen, „grüner Wechselkurs”, Importabschöpfungen et cetera
heftig diskutierte Einflussfaktoren, die
heute der Vergangenheit angehören.
Tierwohl früh diskutiert
Überraschend waren Artikel von Anfang
der 1970er Jahre, die sich mit alternativer Landwirtschaft und Tierwohl in der
Tierhaltung auseinandersetzten. Ebenso wurden schon Modelle vorgestellt, in
denen mehrere Mastbetriebe gemeinsam einen Sauenstall mit 800 Sauenplätzen betrieben. Offensichtlich haben Entwicklungen eine erhebliche Vorlaufzeit
und sind auch nicht so überraschend,
wie sie manchem zu sein scheinen.
Durchgängig wurde über die Möglichkeiten der Modernisierung, Expansion,
Spezialisierung berichtet und der damit
verbundene Strukturwandel sowie Verdrängungswettbewerb auf Erzeugerebene diskutiert.
Zumindest ernüchternd ist die Tatsache,
dass Diskussionen über die Abrechnungsmodalitäten und das gegenseitige Misstrauen der Marktpartner ebenso ununterbrochen in den Fachblättern zur Sprache
kommen. Vor dem Hintergrund eines
internationalen Wettbewerbs, der nicht
nur über möglichst geringe Produktionskosten auf Erzeugerebene ausgetragen
wird, ist ein zunehmender Handlungsbedarf zu erkennen. Kann es Wege geben,
die ein weniger konfliktträchtiges und
zugleich in der Summe effizienteres Miteinander der Akteure in der Produktionsund Vermarktungskette ermöglichen?
Daran zu arbeiten, sollte sich „lohnen”.
Dr. Josef Efken, Thünen-Institut, Braunschweig
Schweinehaltung in Deutschland
Entwicklung der Zahl der Betriebe und Tierbestände
Schweinebestand (Millionen Tiere)
30
Betriebe in Tausend
3000
25
2500
20
2000
15
1500
10
1000
5
500
0
1950
0
1955
1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
Quelle: Thünen-Institut
Märkte
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com
Die Bären werden zumindest kurzfristig weiter bestimmen, wie sich die Preise für Agrarrohstoffe entwickeln.
Anteile am EU-Weichweizenexport
16 Prozent betrug
der Anteil Deutschlands an den Weichweizenexporten
(inklusive Mehl und
Schroten) der EU
2015/16. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr
haben EU-Exporteure
rund 31 Millionen
Tonnen Weichweizen
exportiert.
in Prozent
11
Sonstige
7
7
Lettland
9
Litauen
12
Stefanie Pionke
Ressort Agrarmärkte
D
urchhalten lautet die
Parole der Stunde. Glaubt
man Analysten, ist am
Milchmarkt langfristig
Licht am Ende des Tunnels
zu sehen. Weniger rosig
sind die Aussichten für Fleischerzeuger.
Auch für Weizen ist die 200-Euro-Marke
schwach am Horizont erkennbar.
Ist in jüngster Zeit von Agrarpreisen die
Rede, fällt häufig auch das Wort „Krise”.
Die Milchmarkt-Krise macht auch jenseits der Fachpresse Schlagzeilen. Politiker überschlagen sich mit Lösungsvor-
Doch wie geht es weiter? Analysten
blicken zumindest für einige landwirtschaftliche Erzeugnisse hoffnungsfroh
in die Zukunft. So weist der Chefvolkswirt des US-Agrarministeriums, Robert
Johansson, darauf hin, dass Märkte
auf lange Phasen ausgeprägter Preisschwäche – oder Preisstärke – früher
oder später mit einer Gegenreaktion
antworten (siehe Interview auf Seite
50). Am Milchmarkt halten internationale Analysten den Langfristtrend
des globalen Nachfragewachstums trotz
der momentanen Schwächephase für
intakt. Auch die Experten des Thünen-Instituts in Braunschweig rechnen
Weniger rosig sind die Aussichten für
die Fleischerzeuger, insbesondere die
Schweinehalter: Die kritische gesellschaftliche Diskussion um das Für und
Wider des Fleischkonsums zeigt Wirkung. Während die Nachfrage nach Geflügelfleisch in den kommenden Jahren
weiter wachsen soll, stagniert der Absatz
von Rindfleisch, bei Schweinefleisch
zeigt sich sogar eine rückläufige Tendenz.
Der Erzeugerpreis für Weizen hierzulande soll laut den Erwartungen des Thünen-Instituts bis 2025 gestützt durch die
Exportnachfrage bei knapp 210 Euro je
Tonne notieren. Weizen gehört den Prognosen zufolge künftig zu den Gewinnern
unter den Ackerfrüchten: Während der
16
Rumänien
Deutschland
Quelle: Eurostat
117%
87%
Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
Eine Trendwende an den Agrarmärkten liegt noch in weiter Ferne – Impulse liefert das Auslandsgeschäft
in ihrer Langfrist-Betrachtung bis 2025,
der „Thünen-Baseline 2015-2025”, mit
einer Festigung am Milchmarkt. Die deutschen Erzeuger dürfen sich also gegen
Ende der Ausblickperiode 2025 auf ein
Milchpreisniveau von 38 Euro je 100
Kilogramm Milch freuen – zumindest
diejenigen, die die Konsolidierungsphase nach dem Ende der Milchquote
überstehen.
Frankreich
Bei 87 Prozent lag der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch in Deutschland
im Milleniumsjahr 2000. Im Jahr 2014 waren es bereits 117 Prozent.
Bullen brauchen Geduld
schlägen, die je nach Couleur von einer
zwangsweisen Milchmengenreduzierung bis hin zu einer stärkeren Exportförderung reichen. Auch die Schweinehalter haben zumindest bis zum späten
Frühjahr unter niedrigen Erzeugerpreisen geächzt. Medial unterbelichtet bleibt
die Tatsache, dass auch die Getreide- und
Ölsaatenpreise Landwirten und Agrarhändlern seit längerer Zeit Verdruss
bereiten. Drei dicke Ernten in Folge zeigen Wirkung in Form von vollen Lägern.
38
Polen
Weizenanbau bis 2025 um 7 Prozent
zulegen soll, verlieren die Gersten- und
Rapsflächen im zweistelligen Prozentbereich. Der Anbau von Mais entwickelt
sich ebenfalls rückläufig. Hierfür gibt es
mehrere Gründe: Da sich das Wachstum
in der tierischen Erzeugung weltweit
verlangsamt, verliert auch die Nachfrage
nach Futtergetreide und Ölschroten an
Dynamik. Beim Ölsaatenanbau, hierzulande speziell bei Raps, kommen Unsicherheiten über die künftige Ausrichtung der Bioenergiepolitik hinzu (siehe
Interview Seite 54).
Die weitere Entwicklung an den Agrarmärkten hängt insbesondere am Standort Deutschland von der Dynamik im
Export ab. Denn Nachfrageimpulse im
Inland sind bei einer schrumpfenden,
alternden Gesellschaft rar. Die gute
Nachricht: Prognosen zufolge wird die
EU in den kommenden Jahren ihre
Agrarexporte steigern können, nicht
zuletzt, da Freihandelsabkommen, zum
Beispiel mit Südamerika, in Kraft treten
werden. Die schlechte Nachricht: Andere
Agrarexporteure können ihre Marktanteile deutlicher ausbauen.
Seit 1950 hat sich der Bierkonsum der Deutschen in etwa verdreifacht.
Tranken die Deutschen 1950 pro Jahr und Kopf 35,6 Liter Bier,
waren es seit 2010 bereits 110 Liter pro Jahr und Kopf.
1950
2010
Quelle: Deutscher Brauerbund
Absatz von Biodiesel in Deutschland
in Millionen Tonnen
Rund 2,2 Millionen Tonnen
hat Deutschland im Jahr 2015
abgesetzt, das ist in etwa siebenmal so viel wie im Jahr 2000.
2000
0,34
2003
0,81
Foto: uschi dreiucker / pixelio.de
48
2007
2010
3,32
2,53
2012
2,48
2015
2,15
Quelle: Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie
Blick in die Glaskugel und über den Tellerrand
Produktionswachstum bei EU-Weizen fließt größtenteils in den Export – Schwellen- und Entwicklungsländer bieten die besten Perspektiven
Die Weizenproduktion in der EU-28 ist
in den vergangenen 15 Jahren aufgrund
von Ertragszuwächsen um rund 25 Prozent oder 31 Millionen Tonnen gestiegen.
Neben den beiden großen Produzentenländern Frankreich und Deutschland haben insbesondere die baltischen
Staaten Lettland und Litauen sowie die
Schwarzmeer-Anrainer Rumänien und
Bulgarien ihre Weizenerzeugung deutlich
gesteigert. Auch zukünftig sollten diese
Länder den Weizenanbau weiter ausbauen, sodass davon auszugehen ist, dass die
EU-Weizenproduktion im Durchschnitt
der kommenden Jahre leicht unter den
historisch verzeichneten rund 1,5 Prozent oder gut 2 Millionen Tonnen jährlich
wachsen wird.
Erzeugung von Isoglucose steigt
Knapp ein Drittel – oder rund 13 Millionen
Tonnen – der seit dem Jahr 2000 zusätzlich geernteten EU-Weizenmenge wurde
in der EU verbraucht, insbesondere im
industriellen Bereich und im Nahrungsmittelsektor. Der große Rest von rund 18
Millionen Tonnen jedoch hat seinen Weg
auf den globalen Markt gefunden. Zwar
ergeben sich auch am EU-Binnenmarkt
Verbrauchszuwächse. So wird das Ende
der Zuckermarktordnung in der EU 2017
zu einer höheren Isoglucoseproduktion
Export-Destinationen für EU-Weizen
Angaben in Prozent
2002: Gesamtexport 11 Millionen Tonnen
31 andere
46 Nordafrika
2 Südostasien
5 Mittlerer Osten
16 Subsahara-Afrika
2015: Gesamtexport 31 Millionen Tonnen
12 andere
9 Südostasien
39 Nordafrika
20 Mittlerer Osten
20 Subsahara-Afrika
© agrarzeitung
Quelle: Global Trade Atlas GTIS, Rabobank 2016
in der Staatengemeinschaft führen, die
von derzeit etwa 0,7 Millionen Tonnen
auf voraussichtlich knapp 2 Millionen
Tonnen ansteigen wird. Der Getreideverbrauch dieses Sektors würde sich somit
auf rund 5 Millionen Tonnen verdreifachen. Jedoch werden neben Weizen auch
andere Getreide wie Mais zur Produktion
von Isoglucose verwendet, sodass der
Zuwachs des Weizenverbrauchs in dieser
Verwertungsschiene deutlich niedriger
ausfallen wird. Folglich ist auch künftig
davon auszugehen, dass der Weizenverbrauch am EU-Binnenmarkt nur unwesentlich wachsen wird. Somit werden
Zuwächse in der Weizenproduktion auch
in den kommenden Jahren zum Großteil
in den Export fließen. Das wirft die Frage auf, welche Absatzmärkte künftig die
größte Rolle spielen werden.
Ein Blick auf die EU-Ausfuhren der vergangenen Jahre zeigt, dass zwar die
größten Exportzuwächse nach Afrika
und in den Mittleren Osten verzeichnet
wurden, dass aber auch Südostasien ein
chancenreicher Markt für EU-Weizen
sein kann (siehe Grafik). Rund 57 Prozent
aller EU-Weizenexporte finden ihren
Weg nach Afrika. Wurden im Jahr 2002
mit rund 5 Millionen Tonnen Weizen
knapp die Hälfte aller EU-Exporte nach
Nordafrika verschifft, so waren es 2015
mit 11,5 Millionen Tonnen nur noch 37
Prozent. Die Exporte nach Subsahara-Afrika haben sich im gleichen Zeitraum
auf 6 Millionen Tonnen verdreifacht und
erzielen nun einen Anteil von 20 Prozent
an den Gesamtausfuhren.
Die Rabobank erwartet, dass – getrieben
durch Bevölkerungs- und Einkommenswachstum – die Weizenimporte Subsahara-Afrikas in Zukunft schneller wachsen
werden als die Nordafrikas: Innerhalb der
kommenden Dekade wird der südliche
Teil Afrikas folglich mehr Weizen einführen als der Norden. Dennoch wird Nordaf-
rika weiterhin der wichtigste Exportmarkt für EU Weizen – allen voran aus
Frankreich – bleiben, allerdings werden
die Importwachstumsraten West- und
Ostafrikas deutlich höher ausfallen. Die
klimatischen Bedingungen in Ostafrika
erlauben keinen nennenswerten Weizenanbau und nahezu die gesamte Nachfrage muss durch Importe – vorrangig aus
den USA und der EU – gedeckt werden. Im
Gegensatz dazu findet in Westafrika zwar
Weizenanbau statt. Aber der Verbrauch
steigt dort deutlich schneller als die Produktion, sodass auch dort die Importe
aus vielen verschiedenen Herkünften
– einschließlich der EU, USA, Russland,
Australien, Ukraine und Argentinien –
steigen werden.
EU-Weizen wird zu 20 bis 25 Prozent in
den Mittleren Osten gehandelt, wobei
Saudi-Arabien und Iran die Hauptdestinationen sind. So verzeichnet Weizen
aus der EU (vorranging aus Deutschland,
Polen und dem Baltikum) einen Importmarktanteil von zwei Dritteln an Saudi-Arabiens gesamten Weizenimporten
in Höhe von 3,5 Millionen Tonnen. Den
Importbedarf des Irans decken zu gut
der Hälfte die Europäer (Deutschland
und Baltikum) und stellen so jährlich
zwischen 1 und 1,5 Millionen Tonnen der
schwankenden iranischen Einfuhren.
Die zukünftige Importnachfrage des Iran
hängt stark vom Bevölkerungswachstum und der dortigen Weizenproduktion ab, die mit rund 15 Millionen Tonnen
immerhin gut 80 Prozent der heimischen
Nachfrage decken kann. Hauptkonkurrenten für den EU-Weizenhandel in der
Region werden Russland und Kasachstan
bleiben. Mit Aufhebung der westlichen
Sanktionen gegen den Iran erhoffen sich
jedoch auch andere Regionen wie die
USA, ihre Exportanteile auszuweiten.
Ob es aber zu nennenswerten US-Weizenexporten in den Iran kommen wird,
bleibt abzuwarten: Zuletzt wurden in den
1970er Jahren nennenswerte US-Mengen
dorthin gehandelt.
Starker Wettbewerb um Südostasien
In Saudi-Arabien dagegen geht die deutliche Einfuhrsteigerung in den vergangenen zehn Jahren einher mit einer drastischen Reduzierung der heimischen
Produktion, da die klimatischen Bedingungen dort für den Weizenanbau nicht
passend sind und die in der Vergangenheit politisch motivierte Produktion den
Wasserhaushalt des Landes zu stark
belastete. Da die Produktion nun auf
nahezu null zurückgefahren wurde, ist
zukünftig mit einer deutlich geringeren
Steigerung der Importe zu rechnen. Die
EU wird künftig mit Kanada, Australien
und anderen Exportnationen um diese
Nachfrage konkurrieren.Die Rabobank
schätzt das jährliche Wachstum der Weizennachfrage in Südostasien auf knapp
5 Prozent, was die Einfuhren um 5 Millionen Tonnen auf mehr als 25 Millionen
Tonnen im Jahr 2020 steigern wird. Allerdings ist dort der Wettbewerb stark, denn
Australien, die USA sowie zunehmend
die Ukraine werden den Hauptteil dieser
Nachfrage decken. Aber auch die EU kann
ihre Ausfuhren in die Region ausweiten.
Die zukünftige Entwicklung der EU-Weizenproduktion wird also von den Absatzchancen am Weltmarkt, insbesondere in
Afrika, dem Mittleren Osten und Südostasien abhängen. Das dort zu erwartende
Nachfragewachstum ist gut, allerdings
werden auch andere Exportnationen
ihren Weizenhandel auf diese Absatzmärkte ausrichten.
Stefan Vogel, Rabobank
Zur Person
Stefan Vogel ist
Head of Agri Commodity Markets Research und Global Sector Strategist, Grains
& Oilseeds bei der
Rabobank in London.
Die Rabobank ist ein führender Finanzpartner der Lebensmittel- und Agrarindustrie mit Niederlassungen in 40
Ländern. Vogel ist dort verantwortlich
für Marktanalysen und Preisvorhersagen für Agrarprodukte sowie für Industrie- und Sektoranalysen im Bereich
Getreide und Ölsaaten. Zuvor hatte der
Diplom-Agraringenieur verschiedene
Positionen im Bereich Marktanalyseund Strategien bei Toepfer in Hamburg
und bei ADM in den USA inne.
Foto: Rabobank
I
m europäischen Weizenmarkt verschieben sich die Kräfteverhältnisse:
Baltische Staaten wie Litauen und
Lettland steigern ihre Produktion
und Exporte, und auch die Schwarzmeer-Anrainer Rumänien und Bulgarien
gewinnen weiter an Bedeutung. Interessante Absatzchancen für die zukünftigen
zusätzlichen Getreidemengen der EU bieten unter anderem die Staaten Nord- und
Südafrikas.
Märkte 49
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Engagierter Händler im Osten
A
lexander Rothe und sein
Vater Peter haben die Getreide AG stetig weiterentwickelt. Tief vernetzt ist das
Unternehmen in Ostdeutschland. In Zukunft soll ein besonderes
Augenmerk den Dienstleistungen gelten.
Im Erfassungshandel an den Exportplätzen zählt der Vorstandsvorsitzende der
Getreide AG, Alexander Rothe, zu den
Großen – und dies gilt nicht nur für seinen
Einfluss am Markt. Der 1,97 Meter große
Unternehmer ist auch rein optisch nicht
zu übersehen. Die Hamburger Getreide
AG hat in den vergangenen 34 Jahren
ebenfalls ein beachtliches Wachstum
realisiert. Gemeinsam mit seinem Vater
Peter entwickelte der Hauptanteilseigner
des Unternehmens Alexander Rothe das
klassische Landhandelsunternehmen
nach und nach zu einem international
agierenden Spieler am Markt. „Tiefschläge erleben wir täglich bei der Getreide
AG”, beschreibt Alexander Rothe den Alltag in seinem Unternehmen, ergänzt aber
schmunzelnd: „Glücklicherweise werden
wir bisweilen durch große Erfolgserlebnisse entschädigt.”
Größte Chancen vor der Haustür
Schon früh suchte Alexander Rothe,
der seit 1990 Vorstand im väterlichen
Unternehmen ist, die berufliche Herausforderung. Kontinuierlich arbeitete er
mit seinem Vater Peter sowie den Vorstandsmitgliedern Peter Carsten Ehlers
und Thorsten Tiedemann daran, sein
Unternehmen im europäischen Wettbewerb optimal aufzustellen und neue Ziele
anzustreben.
Bei ihren Marktpartnern sind die Rothes
bekannt für zügige und klare Entschei-
dungen. Dies erwies sich vor allem zu Zeiten der Wiedervereinigung als echter Vorteil. Für die Getreide AG boten sich gerade
in dieser Zeit einmalige Gelegenheiten.
Das Unternehmen begann unverzüglich
damit, neue Märkte in Ostdeutschland zu
erschließen. Rothe Junior nahm es seinerzeit sportlich: „Ich suchte die Chancen auf
internationalem Terrain, doch plötzlich
befanden sich die größten Herausforderungen quasi direkt vor der Haustür.”
Bei der Expansion in die neuen Bundesländer erwies sich das unternehmenseigene Flugzeug als klarer Wettbewerbsfaktor.
Während sich die meisten Mitbewerber in
den ersten Jahren nach der Grenzöffnung
meist im Stau über teilweise marode Straßen durch die ehemalige DDR quälten,
konnte Rothe als „Fliegender Händler”
gleich zwei Termine am Tag abarbeiten und zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen über die Übernahmen
der Getreidewirtschaften verhandeln. Die
Getreide AG besaß seinerzeit die Getreidewirtschaften in Rostock, Wismar, Wolgast,
Stralsund und Schwerin. Diese wurden
später zur Agrarhandel Mecklenburg Vorpommern GmbH (AMV). In Brandenburg
und Sachsen wurden die Getreidewirtschaften in Gransee, Trebsen, Torgau und
Leipzig übernommen. Diese wurden später zum Getreide- und Futtermittelhandel
Sachsen. Diese Gesellschaft gehört dem
Konzern heute nicht mehr an. Im Konzern
der Getreide AG sind aus der damaligen
Zeit heute die Aktivitäten am Rostocker
Überseehafen und der Standort in Magdeburg verblieben.
Die Mühen lohnten sich: Durch den Kauf
dieser Getreidewirtschaften der ehemaligen DDR wuchs das Unternehmen schnell
zum bedeutendsten privaten Landhandel in Ostdeutschland heran.
Das Unternehmen wuchs im Osten stetig
weiter. Die Übernahme der Nordkorn AG
im mecklenburgischen Schwerin 1996 gilt
als bedeutender Expansionsschritt. Einen
weiteren Pfahl schlug Rothe in Thüringen
ein. Mit den Erfurter Malzwerken ist „die
AG” in der Braugerstenregion im Thüringer Becken mit einer Turmmälzerei am
Markt vertreten. Im Segment der Saatgutproduktion betreibt die Getreide AG am
Standort Güstrow einen der nach eigenen Angaben „größten und modernsten”
Saatgutbetriebe Ostdeutschlands. Im Jahr
1993 übernahm die Getreide AG zudem
das VEB Nahrungsmittelkombinat „Albert
Kuntz”, das seitdem unter dem Namen
Wurzener Nahrungsmittel GmbH firmiert.
Heute hat das Unternehmen mehr als
100 Mitarbeiter, die viele verschiedene
Snackprodukte herstellen. Am Markt für
Erdnussflips werden gut 50 Prozent des
deutschen Bedarfs in Wurzen produziert.
Neuer Malzturm entsteht
Auch in der Verarbeitung von Raps ist die
Getreide AG aktiv. Die Ölmühle, die unter
dem Namen „Power Oil Rostock” betrieben wird, verfügt über eine Verarbeitungskapazität von 1 Million Tonnen Rapssaat.
Diese Anlage gehört zu den Aushängeschildern des Unternehmens. Zunächst war
die Mühle im Jahr 2006 mit einer Kapazität von 500 000 Tonnen errichtet worden,
2009 entschloss sich Rothe jedoch zu
einem Ausbau der Anlage. Ebenfalls im
Jahr 2009 und ebenfalls in Rostock, nahm
die Raffinat-Anlage zur Herstellung von
200 000 Tonnen Speiseöl ihren Betrieb auf.
Damit kann die Getreide AG mit ihrer Anlage fast die gesamte Rapsernte in Mecklenburg-Vorpommern verarbeiten.
Doch 2009 investierte die Getreide AG
nicht nur in die Verarbeitung von Öl-
saaten: Das Unternehmen gab die Errichtung eines neuen Malzturmes bei der Erfurter Malzwerke GmbH in Auftrag. Dort
wurde die Braugerstenverarbeitung auf
120 000 Tonnen pro Jahr verdreifacht.
„Das größte Braugerstenanbaugebiet
Deutschlands im Thüringer Becken mit
hervorragenden Braugerstenqualitäten
und einer über die Jahre hinweg hohen
Produktqualität bei der Erfurter Malzwerke GmbH machten diese Investition möglich”, erinnert sich Rothe.
Darüber hinaus produziert die Getreide AG
in Hamburg jährlich 75 000 Tonnen Malz.
Neben der Belieferung von Kunden in
Norddeutschland, wird das Malz vornehmlich per Container von Hamburg aus nach
Asien und in alle Welt exportiert. Die günstige Logistik in großer Nähe zu Europas
zweitgrößtem Containerhafen macht den
Standort Hamburg ideal für den Export. Die
verarbeitete Braugerste kommt überwiegend aus Dänemark. Unter anderem der
Standort im dänischen Orehoved ist für
den Einkauf der Rohware verantwortlich.
Doch auch an der Getreide AG gehen Probleme, denen sich Agrarhandel sowie
Getreide- und Ölsaatenverarbeiter stellen
müssen, nicht vorüber. Eine besondere
Herausforderung stellt die Bioenergie
dar. Dieser Sektor durchlebt derzeit eine
Phase der Schwäche und nimmt nicht
mehr so viele agrarische Rohstoffe wie
erwartet ab. Folglich steigt der Exportanteil von deutschem Getreide.
Die Getreide AG zog aus dieser Entwicklung zwei Konsequenzen: Zum einen
entschied sich Rothe für den Erwerb
des Getreideterminals (GTH Silo). Mit
einer Lagerkapazität von 250 000 Tonnen hat die GTH Umschlaganlage die
größte Lagerkapazität für Agrarprodukte
Foto: Getreide AG
Wende beschert Getreide AG Wachstum – Export als wichtiges Standbein
Mit der Getreide AG auf Expansionskurs: Vorstandsvorsitzender Alexander Rothe (l.) und sein
Vater Peter Rothe (r.).
im Hamburger Hafen. Der Schwerpunkt
liegt im Umschlag, in der Lagerung sowie
in der Abwicklung von Getreide, Ölsaaten
und Rohkaffee. Zum anderen verkaufte
die Getreide AG elf Gesellschaften mit 60
Standorten in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg,
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen an die Danish Agro und Vestjyllands Andel (ehemals DLA) und die Agravis
Raiffeisen AG. Zum 1. Juni 2015 wurde das
Agrarhandelsgeschäft dieser Gesellschaften der Getreide AG mit Sitz in Rendsburg
an die heutige Ceravis AG abgegeben.
Vom Hof zur Reling
Künftig wird sich die Getreide AG vor
allem auf drei Tätigkeitsbereiche konzentrieren: Neben der Verarbeitung von
Agrarrohstoffen und der Produktion von
Nahrungsmitteln konzentriert sich das
Unternehmen auf die Rohstoffverladung
über die Tiefwasserstandorte Hamburg
und Rostock. Zudem gilt das Augenmerk
der Rohstoffbeschaffung und dem Rohstoffhandel für Produktionsbetriebe und
Exportterminals.
„Im Jahr 2020 wird es den reinen Landhändler ohne Aktivitäten in der Verarbeitung von Agrarprodukten oder ohne eigene Tiefwasserplätze nicht mehr geben”,
erklärt Rothe die Strategie seines Hauses.
„Insofern arbeiten wir neben der Präsenz
unseres Unternehmens in den Seehäfen
auch daran, künftig weitere Funktionen
in der Verarbeitung von Agrarrohstoffen
anzubieten.” Alexander Rothe ist sich
sicher: „Der Markt für Dienstleistungen
für die Landwirtschaft wird an Bedeutung
gewinnen.”
Mit einer weiteren Halle der Getreide
AG in Rostock, die im Sommer 2016 in
Betrieb genommen wird, steigert das
Unternehmen die Lagerkapazität um
weitere 50 000 Tonnen. Zusätzlich werden die Annahmekapazitäten der Terminals erhöht und die Verladeleistung
in Rostock auf 1 000 Tonnen pro Stunde
passend zur Devise „Vom Hof zur Reling”
aufgestockt.
Ps
Getreide AG
Gründungsjahr:
1872 als Firma Chr. Sieck
Fusion Chr. Sieck und Getreide AG:
1982
Übernahme durch Peter Rothe: 1982
Standorte: 6
Mitarbeiter: 432
Umsatz: 1,137 Mrd. Euro
50 Märkte
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
„Die Schwarzmeerländer
bauen ihren Einfluss im
Getreidehandel aus“
Märkte vorerst gut versorgt – Ölpreisschwäche bringt Erzeugern Einbußen –
Richtungsweisende Änderungen in China
agrarzeitung: Die Agrarpreise bewegen
sich seit dem Wirtschaftsjahr 2014/15
auf niedrigem Niveau. Wie schätzen Sie
die weitere Entwicklung ein?
Johansson: Wenn Preise deutlicher als
üblich steigen oder fallen, setzt schlussendlich eine Gegenbewegung an den
Märkten ein. Allerdings kann es mehrere
Monate bis Jahre dauern, bis diese Anpassung erfolgt. Im Wirtschaftsjahr 2014/15
waren die Anbaubedingungen für Mais
und Sojabohnen in den USA das erste
Mal seit vier Jahren vorteilhaft, was zu
überdurchschnittlichen Erträgen führte.
Darauf folgte 2015/16 eine weitere Saison
mit höher als üblichen Erträgen. Gleichzeitig ist der Verbrauch von Mais für die
Bioethanolproduktion in den Vereinigten
Staaten zurückgegangen, und auch die
Sojanachfrage aus China ist weniger stark
gewachsen als in den Jahren zuvor. Die
hohen Preisanstiege in den vorherigen
Wirtschaftsjahren haben in Argentinien
und Brasilien zu einer Ausweitung des
Mais- und Sojaanbaus geführt. Auch das
hat dazu beigetragen, das Preisniveau
an den globalen Agrarrohstoffmärkten
zu drücken.
Wie geht es 2016/17 weiter?
Johansson: Wir rechnen mit globalen
Getreidevorräten auf dem Vorjahresniveau. Gegenüber dem Jahr 2006/07,
als die Bestände im Verhältnis zum Verbrauch sehr knapp waren, ergibt sich
ein Anstieg um 50 Prozent. Die Märkte
bleiben also nach heutiger Einschätzung
gut versorgt.
Welche Regionen werden in den kommenden 20 Jahren zu den größten Playern am Weizenmarkt aufsteigen?
Johansson: Viele aktuelle Entwicklungen
an den Weizenmärkten werden sich voraussichtlich fortschreiben. Die wichtigsten Spieler in diesem Markt werden die
EU, die Schwarzmeerregion, Nordamerika, Australien und Argentinien bleiben.
Diese Regionen decken aktuell 85 Prozent des weltweiten Weizenhandels ab,
und das wird sich auch nicht dramatisch
ändern, auch wenn die Marktanteile
einzelner Staaten variieren können. Die
USA waren traditionell immer der größte
Weizenexporteur weltweit, aber haben
seit Jahrzehnten Marktanteile verloren.
Im Jahr 2014 hat die EU die Vereinigten
Staaten vom Thron gestoßen. Wir gehen
davon aus, dass die EU die Spitzenposition erst einmal behalten wird. Schwarzmeer-Weizen wird ebenfalls Marktanteile gewinnen.
Wie wird sich der Weizenexport aus
der Ukraine und Russland genau entwickeln? Welche Regionen verlieren
demgegenüber Marktanteile?
Johansson: Schwarzmeer-Weizen hat im
globalen Weizenhandel hohe Bedeutung,
und wir gehen davon aus, dass diese Länder ihren Einfluss verteidigen und ausbauen werden. In erster Linie werden die
USA Marktanteile im globalen Weizenhandel verlieren. Im Jahr 2015 haben die
Vereinigten Staaten bisherigen Berechnungen zufolge Platz 4 auf der Weltrangliste eingenommen hinter der EU, Russland und Kanada. Aber man muss auch
berücksichtigen, dass hohe Weizenvorräte bei den größten Konkurrenten und
ein starker US-Dollar US-Weizen weniger wettbewerbsfähig gemacht haben.
Das US-Agrarministerium geht in seiner
Langzeitprognose bis 2025 davon aus,
dass die USA Platz 2 in der Weltrangliste
zurückerobern werden. Im letzten Jahr
der Ausblicksperiode, also 2025, wird
Russland allerdings die USA überholen.
Zusammengenommen haben Russland
und die Ukraine ohnehin einen höheren
Marktanteil als die USA.
Was sind für Sie die wichtigsten Nachfragetrends an den globalen Getreidemärkten in den kommenden Jahrzehnten?
Johansson: Da die Nachfrage nach Biokraftstoffen aus Getreide voraussichtlich
weltweit zurückgehen wird, werden
eine steigende Weltbevölkerung und
wachsender Wohlstand die wichtigsten
Treiber des Nachfragewachstums sein.
Auch wenn die kurzfristigen Aussichten
auf die wirtschaftliche Entwicklung in
Schwellenländern eingetrübt sind, gehen
wir davon aus, dass die Einkommen dort
langfristig steigen werden, und auch
die Bevölkerung dort weiter wachsen
wird. Und das wiederum geht mit einer
zunehmenden Nachfrage nach Fleisch,
Milchprodukten und Fisch einher. Für
die Erzeugung dieser Produkte wiederum
werden Getreide und Ölschrote als Futtermittel benötigt. Das größte Wachstum
erwarten wir in Südost- und Ostasien,
Nordafrika, in Teilen des Nahen Ostens
und in Lateinamerika.
Eine wachsende
Weltbevölkerung
und steigender
Wohlstand sind
die größten
Nachfragetreiber.“
Wer profitiert am meisten von diesen
Nachfragetrends?
Johansson: Profitieren werden die Länder
mit hohen Exportüberschüssen und einer
gut funktionierenden Logistik. Dazu zählen neben den USA die EU, südamerikanische Staaten wie Argentinien und Brasilien sowie die früheren Sowjetstaaten und
Russland. Aus heutiger Sicht erscheinen
diese Trends sehr verlässlich, aber man
muss auch immer im Blick behalten, dass
sich die Dinge ändern können.
Was sind für Sie wegweisende Entwicklungen auf der Angebotsseite an den
globalen Getreidemärkten?
Johansson: Das hohe Preisniveau in den
Wirtschaftsjahren 2010/11 bis 2013/14
hat dazu geführt, dass Länder wie Brasilien und die Ukraine, aber auch kleinere
Anbieter ihren Soja- und/oder Maisanbau
massiv ausgedehnt haben. Jetzt, da das
Preisniveau weltweit niedriger ist, ist zu
erwarten, dass Landwirte in einigen dieser Länder den Anbau wieder einschränken werden.
Argentinien hat auch die Getreide- und
Ölsaatenproduktion ausgedehnt …
Johansson: Dort sieht die Lage aber anders
aus: Die neue argentinische Regierung
hat Handelsbarrieren gesenkt und eine
Neuorientierung der Märkte eingeläutet
mit wachstumsfreundlichen, politischen
Weichenstellungen wie Steuersenkungen und dem Abbau von Exportbeschränkungen. Zudem ist der Peso abgewertet.
Das wird dazu führen, dass Argentinien
voraussichtlich mehr Agrarrohstoffe ausführen wird. Landwirte dort dürften den
Getreide- und Ölsaatenanbau also ausdehnen, um von diesen Entwicklungen
zu profitieren.
Wie schätzen Sie die Entwicklung auf
dem chinesischen Getreidemarkt ein?
Johansson: In China haben sich in jüngster
Zeit einige richtungsweisende Änderungen auf der Angebotsseite am Getreidemarkt vollzogen, insbesondere bei Mais.
Zuvor hatte eine jahrelange, politische
Preisstützung strategisch wichtiger Rohstoffe wie Mais zu einer überproportionalen Ausweitung des Anbaus geführt.
Jedoch hatten die ständig steigenden
Maispreise am Binnenmarkt zur Konsequenz, dass der chinesische Maismarkt
sich komplett vom Weltmarkt entkoppelt hat und die Regierungsvorräte stark
gewachsen sind. Aktuell lagert in etwa
die Hälfte der globalen Maisvorräte in
China. Jedoch wird die jüngst angekündigte Reform der Maismarktregulierung
dazu führen, dass der Maisanbau im Land
zurückgeht und auch die Bestände langsam schrumpfen. Dadurch dürften sich
die Preise in China dem Weltmarktniveau
annähern. Bei Reis und Weizen erhält die
chinesische Regierung allerdings ihre
Subventionen aufrecht, sodass die Vorräte
dieser Rohstoffe weiter wachsen sollten.
Was bestimmt für Sie auf lange Sicht
die Nachfrage an den globalen Ölsaatenmärkten?
Johansson: Die Wachstumstreiber sind
letztlich dieselben wie an den Getreidemärkten: Das weltweite Bevölkerungswachstum und steigende Einkommen
in Schwellenländern kurbeln die Nachfrage nach Pflanzenölen an, und – über
den steigenden Konsum tierischer Nahrungsmittel – den Bedarf an Ölschroten.
In den vergangenen Jahren hat China mit
seiner Nachfrage nach Sojabohnen und
Ölschroten den globalen Ölsaatenmarkt
dominiert. Im kommenden Jahrzehnt
wird das nach unserer Einschätzung so
bleiben. Andere Regionen, in denen die
Nachfrage nach Ölsaaten und deren Produkten zulegen wird, sind unter anderem Südostasien, Nordafrika und Teile
des Nahen Ostens sowie Lateinamerika.
Wer zählt hier zu den größten Profiteuren?
Johansson: Die Länder, die am meisten
profitieren werden, sind – wie im Getreidebereich auch – diejenigen mit den
größten Exportüberschüssen und einer
starken Logistik. Im Wesentlichen wird
es sich um die USA, Brasilien und Argentinien handeln. Wobei Brasilien zwar in
den letzten Jahren an seinen Exportkapazitäten gearbeitet hat, aber dabei immer
noch hinter Argentinien und den USA
hinterherhinkt. Die wichtigsten Sojaanbaugebiete Brasiliens sind weit von den
Hafenplätzen entfernt. Daher muss ein
Großteil der Ware weite Strecken via Lkw
über schlechte Straßen zurücklegen.
Welche Trends sehen Sie auf der Angebotsseite an den globalen Ölsaatenmärkten?
Johansson: Die USA, Brasilien und Argentinien werden weiterhin wichtige Erzeuger und Exporteure von Ölsaaten und
Ölsaatenprodukten bleiben. Langfristig
betrachtet hat Brasilien die besten Voraussetzungen, seine Marktanteile auszubauen, da das Land die größten Flächen
zur Verfügung hat, um den Anbau auszuweiten. Jedoch stehen die hohen Transportkosten zu den Hafenplätzen dem
im Wege, sodass jedweder Ausbau der
Erzeugung immer stark von der Preislage
abhängig ist. In Argentinien hat die neue
Regierung die Ausfuhrsteuern auf Ölsaaten und Ölsaatenerzeugnisse gesenkt,
was die Wettbewerbsfähigkeit des Landes erhöht. Da in Argentinien die Kapazitäten für den Crush von Sojabohnen deutlich den heimischen Bedarf übersteigen,
dürfte das Land auf dem globalen Markt
für Sojabohnen und -schrot weiterhin zu
den wichtigsten Spielern zählen.
Welche Entwicklung wird der globale
Biokraftstoffsektor langfristig durchmachen und wie wird sich dies auf die Pflanzenöl- und Getreidemärkte auswirken?
Foto: USDA
Früher oder später reagieren Märkte
auf Phasen niedriger Preise mit einer
Gegenbewegung. Doch das kann dauern, sagt Robert Johansson, Chefvolkswirt des US-Agrarministeriums USDA,
im Interview mit der agrarzeitung (az).
Der Ökonom geht fest davon aus, dass
die EU ihre Spitzenposition im globalen
Weizenhandel halten wird.
Die Märkte weltweit im Blick: Als Chefvolkswirt des USDA ist Robert Johansson für den viel beachteten Marktbericht „Wasde“ verantwortlich.
Johansson: In den Vereinigten Staaten
hat sich das Wachstum bei der Maisverwendung im Bioethanolsektor verlangsamt, da die Beimischung den Deckel
von 15 Milliarden Gallonen für konventionelle Biokraftstoffe erreicht hat. Hinzu kommt, dass Kraftstoffe mit höherer
Ethanolbeimischung wie E10 in den USA
zuletzt weniger stark gefragt waren, da
die Rohölpreise aktuell so niedrig sind.
Jedoch tragen niedrigere Kraftstoffpreise und ein stabiles Wirtschaftswachstum dazu bei, dass US-Amerikaner mehr
Auto fahren. Das dürfte einem moderaten
Wachstum in der Ethanolerzeugung Vorschub leisten.
Sie sprechen für die USA: Wie wird sich
der Biokraftstoffmarkt weltweit entwickeln?
Johansson: Welche Entwicklung die Produktion von Biokraftstoffen global nehmen wird, ist mit mehr Unsicherheit
behaftet. Sie wird sowohl von den Energiepreisen als auch von den politischen
Rahmenbedingungen bestimmt. Bei den
aktuell niedrigen Rohölpreisen mag das
Wachstum an Schwung verlieren. Insgesamt betrachtet, wird die weltweite
Nachfrage nach Biodiesel aufgrund des
steigenden Kraftstoffverbrauchs zulegen, aber auf einem deutlich niedrigeren
Niveau als in den vorangegangenen Jahren. Dahinter stecken neben niedrigeren
Rohölpreisen technische Hürden und ein
Rückgang der politischen Unterstützung
für Biokraftstoffe in einigen Ländern.
Die aktuell sehr niedrigen Rohölpreise
setzen den Biokraftstoffsektor bereits
unter Druck. Auch die Auswirkungen
auf die Wirtschaft in den Erdöl produzierenden Ländern sind enorm. Wie
wird sich die Ölpreisschwäche weiter
auf die Agrarrohstoffmärkte auswirken?
Johansson: Niedrige Rohölpreise nutzen Erzeugern auf der einen Seite, da
die Produktionskosten sinken, etwa bei
Düngemitteln und für den Transport von
Getreide. Auf der anderen Seite gehen
geringere Produktionskosten in der Regel
mit niedrigeren Agrarrohstoffpreisen einher. Das ist besonders bei solchen Rohstoffen der Fall, die im Biokraftstoffsektor
Verwendung finden, also vor allem Mais
und Ölsaaten. Für Erzeuger von Primärrohstoffen bedeuten niedrige Rohölpreise ganz klar Einbußen. Für Landwirte stellt sich hier allerdings die Frage,
inwieweit die Ölpreisschwäche für einen
Nachfrageanstieg bei Agrarrohstoffen
sorgt, der niedrige Preise kompensiert.
Denn Länder, die Nettoimporteure von
Erdölerzeugnissen sind, profitieren von
niedrigeren Rohölpreisen, da die Realeinkommen steigen. Das treibt die Nachfrage nach Agrarrohstoffen hoch.
Gilt das auch für wohlhabende Staaten
beziehungsweise Staatengemeinschaften wie die USA, EU und Japan?
Johansson: Nein, in diesen wohlhabenden Regionen setzen Verbraucher steigende Einkommen nicht in einen erhöhten Nahrungsmittelverbrauch um, was
potenzielle Nachfrageanstiege begrenzt.
Nettoölimporteure unter den Schwellenländern, deren Wirtschaft nicht von Rohstoffexporten abhängt, zum Beispiel China, Südkorea und Singapur, dürften ihre
Agrarrohstoffimporte hingegen hochfahren. Doch empirische Daten sprechen
dafür, dass dies langfristig betrachtet nur
einen geringen Effekt auf den Agrarrohstoffmarkt hat. Rohstoffexporteure unter
den Schwellenländern wie Brasilien,
Mexiko oder Russland dagegen schrauben ihre Agrarrohstoffimporte deutlich
zurück. Zusammenfassend kann man
sagen, dass niedrige Rohstoffpreise für
die Landwirtschaft ein zweischneidiges
Schwert sind.
Die Weltbevölkerung wächst und mit
ihr der Wohlstand in den Schwellenländern, in denen die Nachfrage nach
Fleisch steigt: Wer wird diese Nachfrage
auf den verschiedenen Fleischmärkten
bedienen?
Johansson: In erster Linie werden Exporteure profitieren, die relativ niedrigpreisiges Fleisch erzeugen. Dazu zählen
Indien für Büffelfleisch, Brasilien für
Geflügel- und Rindfleisch und die USA
für Hähnchenschenkel. Die Steigerung
der Einkommen einer weltweit wachsenden Mittelschicht hat auch eine kulturelle Dimension. In Asien beispielsweise wird voraussichtlich die Nachfrage
nach Schweinefleisch steigen, da es dort
das bevorzugte Fleisch ist. Davon werden voraussichtlich Brasilien und die
USA langfristig am meisten profitieren,
wobei in Europa gerade im vergangenen
Jahr Steigerungen im Schweinefleischexport zu verzeichnen sind. Das USDA geht
davon aus, dass die US-Schweinefleischexporte 2017 rund 2,4 Millionen Tonnen
in Schlachtkörperäquivalent erreichen
– das ist ein Wachstum um 2 Prozent
gegenüber 2016. Die Ausfuhren von
Hähnchenfleisch werden 2017 gut 3,1
Millionen Tonnen erreichen, das ist eine
Steigerung gegenüber dem Vorjahr von
3 Prozent und entspricht in etwa 16 Prozent der US-Produktion.
Die globalen Milchmärkte waren zuletzt
von Überschüssen und schwachen Preisen gekennzeichnet: Auf welche Weise
wird der Milchmarkt zum Gleichgewicht zurückfinden? Wo werden größere Anpassungsprozesse stattfinden?
Johansson: Die weltweiten Milchpreise
werden durch eine Kombination aus
hoher Produktion und relativ schwacher
Nachfrage gedrückt. Die Nachfrageschwäche ist auf geringeres Wirtschaftswachstum in einigen wichtigen Importnationen
sowie auf das Importembargo Russlands
für bedeutende Milchexporteure zurückzuführen. Da die EU derzeit die Einlagerung von Milcherzeugnissen politisch
stützt, um den Angebotsdruck abzufedern, wird wohl ein Teil der Anpassung
am globalen Milchmarkt dort stattfinden.
In den USA wiederum wird die Milchproduktion 2017 nur leicht ausgedehnt
werden, und zwar um weniger als 2 Prozent gegenüber Vorjahr, da Erzeuger auf
die schwachen Preise 2016 reagieren.
Dabei wird das Wirtschaftswachstum
2016 global betrachtet hoch ausfallen,
was vorteilhaft für die weitere Entwicklung der Nachfrage ist. Die USA werden
im Jahresverlauf die Exporte einiger
Milcherzeugnisse steigern können, während die Importe zurückgehen. Denn eine
stärkere Nachfrage in anderen Teilen der
Welt wird die Kluft zwischen den Milchpreisen in den USA und den Weltmarktpreisen verringern.
Die Fragen stellte Stefanie Pionke
Zur Person
Robert Johansson, Jahrgang 1967, ist
seit dem Jahr 2015 Chefvolkswirt des
US-Agrarministeriums. Zu seinen Verantwortungsbereichen zählt der monatliche Marktbericht „Wasde“. Außerdem
beraten er und seine Mitarbeiter das
US-Landwirtschaftsministerium hinsichtlich wirtschaftlicher Folgen von
politischen Programmen und Vorgaben. Der promovierte Agrarökonom ist
seit 2001 als Volkswirt im USDA tätig.
Von 2012 bis einschließlich 2014 war er
Stellvertreter seines Vorgängers Joseph
Glauber.
pio
52 Märkte
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Es begann mit 100
Zentnern Stroh
Die Alfred C. Toepfer International GmbH
Die Alfred C. Toepfer International GmbH (ACTI) war ein deutsches Unternehmen im Bereich des Agribusiness sowie der Logistik. Das Unternehmen wurde 1919 gegründet, der Firmensitz befand sich von
Beginn an in Hamburg. 95 Jahre später, im Jahr 2014, wurde
ACTI schließlich vom US-amerikanischen Agrarkonzern ADM
(Archer Daniels Midland) übernommen. Seit der Übernahme firmiert die ACTI innerhalb der Unternehmensgruppe unter dem Namen ADM Germany GmbH.
ACTI gehörte zu den führenden international
tätigen Getreide- und Futtermittelhandelsfirmen.
Gemeinsam mit ihren Beteiligungen in den Bereichen Landhandel, Mischfutterindustrie und Schifffahrt erreichte das Unternehmen bereits Mitte der
1970er Jahre einen Umsatz von mehr als 5 Milliarden Euro. Weltweit unterhielt die Toepfer AG
42 Niederlassungen. Mehr als 2 000 Mitarbeiter
waren dort zuletzt beschäftigt. Im Geschäftsjahr
2012/13 setzte das Hamburger TraditionsunterPs
nehmen circa 9,9 Milliarden Euro um.
Alfred C. Toepfer gründete seine Firma,
nachdem er in Hamburg im wahrsten
Sinne des Wortes mit Stroh gehandelt
hatte. Am 10. November 1919, so steht
es in der Historie des Unternehmens,
verkaufte Alfred Carl Toepfer 100 Zentner Stroh an einen Kunden und Freund
namens Karl-Hinrich Schinckel. Wie sich
die Geschäfte dieses Kunden fortan entwickelten, ist nicht bekannt. Verbrieft ist
aber, dass die Alfred C. Toepfer Company am 20. Januar 1920 in das Hamburger
Handelsregister eingetragen wurde. Toepfer, geboren am 13. Juli 1894 in Altona bei
Hamburg und gestorben am 8. Oktober
1993 in Hamburg, war Inhaber des Unternehmens Toepfer International und der
Stifter der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.
Das Geschäft mit Stroh gab die Richtung
vor, in die sich das Unternehmen entwickelte: Toepfer handelte landwirtschaftliche Produkte und war schnell auch auf
dem internationalen Parkett aktiv. Dabei
konzentrierte sich das Unternehmen vor
allem auf die Bereiche Getreide, Futtermittel, pflanzliche Öle sowie Ölsaaten
und Düngemittel.
Schritt über den „Großen Teich“
Traditionsreich: Die Zentrale des Handelshauses Toepfer, heute ADM Germany, in Hamburg
Im Jahr 1929 folgte der Schritt über den
„Großen Teich”: In New York wurde
eine Niederlassung gegründet. Nach dem
Zweiten Weltkrieg errichtete Toepfer,
um das Inlandsgeschäft im zerstörten
Deutschland kurz nach dem Krieg sowohl
mit Ölmühlen als auch mit dem Handel
besser bearbeiten zu können, Filialen
in Bremen, Düsseldorf, Hannover und
München. Nachdem Bonn Hauptstadt der
Bundesrepublik geworden war, richtete
Toepfer dort eine eigene Verbindungsstelle ein. Mit dem schon in den 1920er
Jahren tätigen Mischfutterhersteller A.O.
Petersen Hamburg, der 1972 unter „Club
Kraftfutterwerke” firmierte, war das
Unternehmen auch in der Mischfutterproduktion geschäftlich aktiv.
Auf internationalem Terrain baute der
Hamburger Kaufmann sein Unternehmen zu einem weit verzweigten Imperium mit Stützpunkten in Amerika und
Asien aus. Einen Meilenstein markierte
die Gründung der bedeutenden Filiale
in Paris, der Compagnie Européenne de
Céréales (CEC), die neben Toepfer der
Familie Rothschild gehörte. Die CEC Paris
beteiligte sich an verschiedenen Getreidesilos. Neben der Getreideabteilung in
Paris hat sich in der französischen Haupt-
stadt auch ein erfolgreiches Futtermittelgeschäft entwickelt.
Mit der politischen Entwicklung hin zu
einem gemeinsamen Europa entstand
der Gedanke, auch in anderen Ländern
Stützpunkte zu errichten. So wurden in
eigenen Häusern in Rotterdam, Antwerpen, London, Kopenhagen und Mailand
Büros von Toepfer International eröffnet.
Doch Toepfer strebte bei seiner Expansion über die Grenzen Europas hinaus:
Die Filiale im brasilianischen São Paulo
wurde 1972 gegründet, die Asienzentrale befand sich in Singapur. In den 1950er
Jahren gründete das Handelshaus zudem
eine eigene Schifffahrtsgesellschaft. Die
Reederei umfasste zehn Schiffe mit einer
Ladekapazität von gut 300 000 Tonnen
Gütern.
Es gab viele weitere Beteiligungen des
Unternehmens. So baute Toepfer im
Elsass einen Silo an der Mosel mit einer
Kapazität von 24 000 Tonnen. Von dort
aus wurden große Mengen an Mais für
die europäische Futtermittelindustrie
verladen. Wegen der in den 1960er und
1970er Jahren in Frankreich stark stei-
genden Getreideerzeugung wuchs das
Interesse von Toepfer an Exportsilos an
der Atlantikküste Frankreichs.
Doch auch außerhalb des Kerngeschäftes
tätigte Toepfer Investitionen: Im Jahre
1963 übernahm das Unternehmen das
private Bankhaus Hesse & Newman in
Hamburg. Diese Privatbank entwickelte
sich in den 1970er und 1980er Jahren zu
einem bedeutenden Geldinstitut für den
internationalen Warenverkehr.
Investoren steigen ein
Entscheidend für die weitere Entwicklung des Unternehmens waren die
1970er und 1980er Jahre. In der Zeit entwickelte sich Toepfer an den nationalen
und internationalen Märkten fort und
erweiterte das Netz an eigenen Niederlassungen in Asien und Südamerika. In
Indonesien investierte das Unternehmen
mit einem chinesischen Partner in eine
Pelletieranlage für Maniok, Kokos- und
Palmprodukte. Speziell für die Beförderung dieser Produkte wurde die Tochtergesellschaft Intermare in den 1970er
Jahren gegründet. Die Intermare, die
Tochtergesellschaften in Singapur und
Bangok hat, wurde in die Hamburger
Zentrale integriert und arbeitete eng mit
den Befrachtungsabteilungen des Getreidebereichs zusammen.
Doch auch die interne Struktur und die
Eigentumsverhältnisse änderten sich.
Im Jahr 1979 wurde die Umwandlung des
Unternehmens in die neue Firma Alfred
C. Toepfer International abgeschlossen.
InTrade, eine Gruppe internationaler
Genossenschaftsmitglieder, wurde zu
diesem Zeitpunkt Aktionär. Als weiterer
Partner stieß 1983 Archer Daniels Midland (ADM) hinzu, der Toepfer im Jahr
2014 als ADM Germany GmbH übernahm.
In der Mitte der 1980er Jahre begann die
Firma Toepfer damit, die verarbeitende
Industrie innerhalb der EU direkt mit den
importierten Agrarrohstoffen zu beliefern. Im Vereinigten Königreich und in
Irland waren im Bereich Mischfutterindustrie mit der Arkady Feed-UK und der
Arkady Dublin zwei Tochterunternehmen von Toepfer International aktiv. In
Spanien bearbeitete die Toepfer-International-Tochter Ceralto ab 1986 den Markt.
Frühzeitig erkannte die Toepfer-International die Entwicklung auf den argentinischen Märkten für Agrarrohstoffe. In Buenos Aires wurde Anfang der 1990er Jahre
ein Zentralbüro zur Koordinierung der
Aktivitäten im Mercosur-Raum gegründet.
Schwerpunkt Ukraine
Schnell präsent war das Unternehmen
auch, als im Osten der „Eiserne Vorhang”
fiel: In Mittel- und Osteuropa entstanden
daraufhin zügig verschiedene Niederlassungen, unter anderem auch in Moskau.
Vor allem in der Ukraine setzte das Handelshaus Schwerpunkte. Dort baute das
Unternehmen seine Erfassungskapazitäten deutlich aus, kaufte sechs Inlandssilos und tätigte weitere Investitionen in
die Logistik. Beim Getreide- und Ölsaatenexport wurde in den 1990er Jahren
ein Marktanteil von 15 Prozent erreicht.
Toepfer war das erste internationale Handelshaus, das sich unter der damaligen
Leitung von Björn Stendel mit der In–
landserfassung in der Ukraine beschäftigte. Auch in Rumänien wurde eine
ähnliche Organisationsstruktur von den
Hamburgern aufgebaut.
Ps
Breit vernetzt auf allen Wegen
Futtermittelproduzent und Logistikdienstleister Habema setzt auf gute Verbindungen
D
und Ölsaaten sowie die Versorgung mit
Sojaschrot in der Region. Vor allem mit
der Hauptgenossenschaft (HaGe) AG in
Kiel, die neben dem niederländischen
Futtermittelunternehmen For Farmers
Gesellschafter der Habema ist, arbeitet
die Firma eng zusammen.
as Hamburger Unternehmen
mischt nicht nur Futtermittel, sondern hat in seiner gut
20-jährigen Firmengeschichte eine beachtliche Schlagkraft im Im- und Export von Getreide
aufgebaut. Dabei ist Habema gut vernetzt auf der Schiene, dem Wasser und
der Straße unterwegs.
Die jährlichen Umschlagsleistungen
von Habema sind laut Geschäftsführer Manfred Thering ein Spiegelbild
der Weltagrarmärkte. Bei niedrigen
Getreideernten hierzulande und geringeren Exporten von deutschem Getreide etwa legt das Unternehmen seinen
Schwerpunkt nicht auf die Ausfuhr,
sondern auf andere Aktivitäten, zum
Beispiel auf den Import von Mais. Flexibilität ist also entscheidend. Die zeigte Habema auch im Wirtschaftsjahr
2014/15: Damals wurde so viel Getreide
über die Anlagen des Unternehmens
exportiert, dass die Schiffe über Monate
hinweg sieben Tage in der Woche rund
um die Uhr beladen wurden.
Habema in Hamburg hat sich in ihrer
22-jährigen Firmengeschichte zu einem
bedeutenden, überregional tätigen
Logistikdienstleister für die Getreideund Futtermittelwirtschaft entwickelt.
Mit seinem Standort im Hamburger
Kennzahlen Habema
Gründungsjahr: 1994 mit Übernahme des HaGe-Kiel-Kraftfutterwerkes
im Hamburger Hafen
Gesellschafter:
50 Prozent HaGe Nord AG, Kiel,
50 Prozent ForFarmers BV, Lochem,
Niederlande
Umsatz: 175 Millionen Euro
Mischfutterproduktion: Futter für
alle landwirtschaftlichen Nutztierarten, 3 Mischlinien, 450 000 Tonnen
Mischfutterproduktion insgesamt
pro Jahr
Lagerkapazität:
Hamburg: 260 000 Tonnen;
Heidenau 80 000 Tonnen
Umschlagsvolumen:
Hamburg 3,6 Millionen Tonnen/Jahr;
Heidenau 950 000 Tonnen/Jahr
Foto: Peters
W
as mit einem Strohhandel begann, wurde bald
zu einer imponierenden
Größe im deutschen und
internationalen Agrarrohstoffgeschäft: Das Handelshaus Alfred C.
Toepfer wuchs in den 95 Jahren seiner
Firmengeschichte weit über die Hamburger Zentrale hinaus mit einem international verzweigten Netz von Getreidesilos,
Exportelevatoren und Geschäftszentralen.
Foto: ADM
Wie der Hamburger Kaufmann Alfred C. Toepfer
ein weltweites Imperium schuf
Schwört auf schlagkräftige Logistik:
Geschäftsführer Manfred Thering.
Seehafen hat das Unternehmen Kontakt zur hiesigen Agrarwirtschaft und
den direkten Zugang zu den Weltmärkten. Dabei transportiert Habema Ware
auf allen Wegen: über das Wasser, über
Schienen und per Lkw über die Straße.
Um das Import- und Exportvolumen für
Getreide und Futtermittel stetig steigern
zu können, ist eine leistungsfähige Logistik notwendig. Ein bedeutender Schritt
war in dem Zusammenhang die Errichtung der Umschlagsanlage im sächsischen Heidenau an der deutsch-tschechischen Grenze, die im Oktober 2012
in Betrieb genommen wurde. Dort investierte HaBeMa insgesamt 21 Millionen
Euro in den Neubau der Umschlagsanlage „Agro-Terminal Heidenau”. Die Anlage hat eine Lagerkapazität von gut 90 000
Tonnen Getreide. In Heidenau beschäftigt Habema 15 Mitarbeiter.
Der Standort Heidenau ist günstig
gewählt: Er verfügt über eine direkte
Anbindung an die Autobahn A 17, die
Dresden und Prag miteinander verbindet. In unmittelbarer Nähe ist außerdem eine elektrifizierte Fernbahntrasse
zwischen Prag, Dresden und Hamburg.
Das Agro-Terminal Heidenau fungiert
als Logistikdienstleister und Partner
für den Erfassungshandel und übernimmt die Vermarktung von Getreide
Das Agro-Terminal hat im wahrsten Sinne des Wortes beste Verbindungen nach
Hamburg. Jährlich werden über die
Logistikdrehscheibe im Osten fast 1 Million Tonnen Güter auf der Schiene aus
Heidenau in den Hamburger Hafen und
von dort zurück nach Heidenau transportiert. Um in Hamburg diese Mengen
bewältigen zu können, hat Habema
dort eine Bahnannahme und eine Bahnverladung mit einer Annahmeleistung
von 400 Tonnen je Stunde und Verladeleistung von 300 Tonnen je Stunde
gebaut. Für die logistische Anbindung
des Standorts Heidenau spielt die Bahn
die entscheidende Rolle. Mit eigenbewirtschafteten Zügen schwerster Last–
einheiten (2 100 Tonnen Nutzlast) werden die Güter zwischen Hamburg und
Heidenau hin und her gefahren.
Dabei profitiert das Agro-Terminal in
Heidenau auch von der Schlagkraft
des Habema-Standorts im Hamburger
Hafen, der sich über die vergangenen
Jahre zu einer logistischen Drehscheibe für Agrarprodukte mit Schiffsanbindung, Bahnanbindung und Anschluss
an mehrere Autobahnen entwickelt hat.
Die Umschlagsmengen hat das Unternehmen von 800 000 Tonnen 1995 auf
heute fast 3,6 Millionen Tonnen mehr
als vervierfacht.
Auch im Geschäftsbereich Mischfutterproduktion hat die Habema in den
vergangenen Jahren erheblich investiert. Neben einem Ausbau der Kapazität wurden Mittel in Produktionstechnik und -steuerung zur Verbesserung
der Qualität, der Sicherheit und der
Rückverfolgbarkeit gesteckt. Insgesamt
beschäftigt Habema in der Mischfutterproduktion 67 Mitarbeiter plus 40
Mitarbeiter im Bereich Fuhrpark für
20 Silo-Lkws, die im „Rund um die Uhr
Betrieb” für das Unternehmen fahren.
Habema produziert in Hamburg mehr
als 400 000 Tonnen Mischfutter im
Jahr.
Ps
Märkte 53
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Auf der Suche nach globalem Gleichgewicht
Überangebot und Tiefpreise prägen nach dem Quotenende den Milchmarkt – Drosselung der Menge derzeit kaum erkennbar
Milcherzeuger in der EU haben im Jahr
2016 erneut mehr Milch an die Verarbeiter geliefert, nachdem sie bereits in
den letzten Monaten des Vorjahres die
Mengen kontinuierlich hochgeschraubt
hatten. Nach vorläufigen Zahlen beläuft
sich das Plus aller EU-Länder seit Jahresbeginn auf knapp 5 Prozent. Seit Ende
der Milchquotenregelung im April 2015
haben die niederländischen Erzeuger
sogar 11,4 Prozent mehr Milch angeliefert. Zu kräftigen Produktionsausweitun-
gen kam es unter anderem auch in Dänemark, Irland und Polen.
Moderate Steigerung in Deutschland
In Deutschland ist die Steigerung 2016 im
Vergleich zur Vorjahreslinie indes moderater ausgeprägt. In Frankreich und Großbritannien wurde das Vorjahresniveau
zeitweise sogar unterschritten. Auch vergangenes Jahr waren es also nicht unbedingt die deutschen Milcherzeuger, die
mit ihren Produktionsmengen den Markt
unter Druck setzten. Im Vergleich zu 2014
ergab sich eine Steigerung der Milchanlieferung an die deutschen Molkereien
um lediglich 0,3 Prozent.
Diese auf den ersten Blick verhaltene Entwicklung der Milchproduktion ist jedoch
insbesondere darauf zurückzuführen,
dass noch in den ersten Monaten des Jahres 2015 die Milchquotenregelung gegriffen hatte und daher die Landwirte ihre
Produktion drosseln mussten, um nicht
Gefahr zu laufen, Strafabgaben bei Überlieferung der Quote zahlen zu müssen.
Diese Zurückhaltung fiel dann zur Jahreswende weg. Die Milchanlieferung hat
in Deutschland – bezogen auf die Monate
Januar bis März von 2015 auf 2016 – nach
Schätzungen der Zentralen Michmarkt
Berichterstattung GmbH in Berlin (ZMB)
um 3,8 Prozent zugenommen.
Mehr als ein Jahr nach Quotenende ist der
Milchmarkt noch immer auf der Suche nach
einem globalen Gleichgewicht Die internationale Marktschwäche ist dabei jedoch nicht
allein auf das Auslaufen der europäischen
Milchquote zurückzuführen. Vielmehr verdichten sich verschiedene Entwicklungen auf der Angebots- wie auch auf der
Nachfrageseite zu einem globalen Marktungleichgewicht zulasten der Milcherzeuger. Aktuell ist in Europa zu viel Milch auf
dem Markt. Das wurde primär durch Einbrüche auf der Absatzseite ausgelöst.
Eine Geschichte der Marktsteuerung in der EU
Es begann mit einem Verhandlungsmarathon, der für agrarpolitische Entscheidungen in Brüssel legendär werden
sollte. Nach tagelangem Ringen verabschiedeten die EU-Agrarminister in den
frühen Morgenstunden des 14. Januar
1962 erste Marktordnungen für wichtige Erzeugnisse wie Getreide, Zucker,
Milch, Rinder, Schweine und Geflügel.
Ziel war eine Angleichung der Preise
und ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt.
Erzeugung für die Intervention
Mit ganz unterschiedlichen Verhältnissen auf den nationalen Märkten und
der geringen Bereitschaft der Mitgliedstaaten, sich nationale Kompetenzen
nehmen zu lassen, standen die Minister vor einer großen Herausforderung.
Der wirkliche Durchbruch für Europa
gelang erst 1964, als die Mitglieder der
Wirtschaftsgemeinsaft ein einheitliches
Preisniveau für Weizen, Gerste und Roggen vereinbarten, nachdem der französische Präsident Charles de Gaulle mit
einem Austritt aus der Wirtschaftgemeinschaft gedroht hatte. Umgesetzt
wurden einheitliche Interventions- und
Zielpreise ab dem Getreidewirtschaftsjahr 1967/68.
Die abgesicherten Preise entfalteten
bald ihre Wirkung. Vor allem in Deutschland produzierten Landwirte für die
Intervention. Investitionen in neue
Lagerstätten versprachen sichere Renditen dank der EU-Getreidemarktordnung. Die von Brüssel garantierte Subventionsschwemme für die Branche
hielt rund 20 Jahre.
In den 1980er Jahren machten Milchseen
und Getreideberge negative Schlagzeilen
und brachten die Agrarpolitik in Misskredit. Die immer noch von Versorgungsengpässen geprägte Steuerung der Märkte
schien überholt. Hinzu kamen unkalkulierbare Risiken für den EU-Haushalt, je
mehr Überschüsse mit Hilfe von Export–
erstattungen auf dem Weltmarkt untergebracht werden mussten.
MacSharry stellt Weichen
Die Abkehr von der Preisstützung wurde
1992 eingeleitet. In der nach EU-Agrarkommissar Ray MacSharry benannten
Reform wurden 15 Prozent der Ackerfläche stillgelegt und die Interventionspreise für Getreide um ein Drittel
gesenkt. Die Erzeuger bekamen dafür
Ausgleichzahlungen, die sich nach der
Ertragsfähigkeit der Böden in den Regionen richteten.
Die nächste größere Reform der Agrarpolitik folgte unter deutscher EU-Rats–
präsidentschaft im Jahr 1999. Der Interventionspreis für Weizen wurde in der
„Agenda 2000” um weitere 15 Prozent
gesenkt und erreichte das heute noch
gültige Niveau von 101,31 €/t. Die Erzeuger erhielten erneut einen ertragsabhängigen Ausgleich, wenn auch nicht
mehr in voller Höhe. Die Flächenstilllegung wurde in Höhe von 10 Prozent
beibehalten, mit der Möglichkeit der
Senkung bei geringeren Überschüssen.
Foto: Landpixel
S
Legendär: Milchseen und Butterberge
als vermeintliche Folgen der Markt­
regulierung
Einen weiteren grundlegenden Wechsel leitete EU-Agrarkommissar Franz
Fischler 2003 in die Wege. Der Österreicher koppelte die Zahlungen von der
Produktion ab, um die Agrarmärkte
endgültig von der staatlichen Mengensteuerung zu befreien. Feste Direktzahlungen machten die Ausgaben aus dem
EU-Agrarhaushalt berechenbar, für den
inzwischen Obergrenzen eingezogen
worden waren.
Sicherheitsnetz unangetastet
EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer
Boel rundete den Marktkurs ihrer Vorgänger ab und brachte vor allem den
Ausstieg aus der Michquote auf den Weg.
In der Reform 2013 unter dem rumänischen EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos wurde ein Ende der Zuckerquoten
im Jahr 2017 beschlossen. Das Sicherheitsnetz in Form von Interventionspreisen für Weizen und Magermilchpulver blieb dagegen unangetastet. Die
Marktordnungen für die verschiedenen
Erzeugnisse wurden in der Reform von
2013 zu einer einzigen Marktordnung
zusammengefasst. Seit 2014 gilt die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, in der über
232 Artikel hinweg und einem langen
Anhang alles geregelt ist.
Mö
Marktordnungen im Überblick
Getreide
Mit der Verordnung 19/1962 sollten die Getrei­
depreise in den sechs Gründungsländern der
EU angenähert werden. Mindestpreise wurden
über die Intervention abgesichert, wobei sich der
Interventionspreis von Monat zu Monat erhöh­
te, um die Lagerkosten auszugleichen. Auf die
Cif­Preise in den wichtigen Getreideeinfuhrhäfen
wurde ein wechselnder Aufschlag erhoben. Aus­
fuhren waren nur noch mit Exportlizenzen und
Erstattungen möglich. Die Produktionsanreize
führten in den 1980er Jahren zu Angebotsüber­
schüssen. 1992 türmten sich in der Intervention
32 Millionen Tonnen Getreide auf einem Rekord­
niveau. Die Getreidemarktordnung wird darauf­
hin gründlich umgearbeitet. Landwirte müssen
zunächst 15 Prozent, dann 10 Prozent ihrer Flä­
che stilllegen. Die Verordnung 1766/92 senkt
den Interventionspreis in drei jährlichen Schritten
um insgesamt 35 Prozent. In der Agenda 2000
wird er nochmals um 15 Prozent vermindert.
Zucker
Auch Zucker wurde seit 1968 einem strengen
Reglement unterworfen, allerdings mit zwei
Besonderheiten: Die garantierten Zucker­
preise waren immer mit einer Mengenbe­
schränkung durch die Quote verbunden. Das
verhinderte Zuckerberge. Außerdem war die
Zuckermarktordnung trotz der Stützpreise
haushaltsneutral. Die Erzeuger haben sie
mit ihrer Produktionsabgabe selbst finan­
ziert. Dennoch kam auch der Zucker nicht an
gründlichen Reformen vorbei. Das Gatt­Ab­
kommen beschränkte die Ausfuhr des sub­
ventionierten Zuckers aus der EU. Verträge
mit den AKP­Ländern und der freie Marktzu­
gang für die ärmsten Länder der Welt öffne­
ten die Außengrenzen der EU. Die Marktord­
nung wurde erstmals für das Wirtschaftsjahr
2006/7 gründlich umgebaut. Unter anderem
wurde der Mindestpreis für Zucker um rund
40 Prozent gesenkt.
Angaben in Millionen Tonnen
147,9
150
134,2
137,3
140,3
140,6
151,6
153,8
155,1
150
141,6
125
125
Mehr Marktanteile trotz Krise
Volle Butterläger und
hohe Getreideberge
chon in der Gründungsphase
sind Europa und seine gemeinsame Agrarpolitik (GAP) eine
feste Bindung eingegangen.
In den Römischen Verträgen
wurde 1957 eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln als Ziel der
Gemeinschaft festgelegt. Im Januar 1962
verabschiedeten die sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dann erste Agrarmarkt–
ordnungen. Doch im Laufe der Jahre
wurden viele Steuerungsmechanismen
zurückgefahren.
Milchanlieferung in der EU-28
Milch
Im Jahr 1984 wurde die Milchquote
eingeführt, um Überschüsse am Markt
langfristig in den Griff zu bekommen.
Milchseen, die es in Wirklichkeit nie
gab, sind heute noch legendär. Tatsa­
che sind dagegen hohe Interventions­
bestände an Butter und Magermilch­
pulver zu Beginn der 1980er Jahre,
welche die EU­Kommission zum Han­
deln zwangen. Doch die beschlossene
Mengenbeschränkung funktionierte
mehr schlecht als recht. Eine Strafab­
gabe wurde erst fällig, wenn nach der
Saldierung aller Milcherzeuger die
nationale Quote überschritten wurde.
Wer zu viel produzierte, konnte immer
noch auf eine nachlassende Erzeugung
der anderen setzen. Die Quote wurde
in der Reform von 2003 auf das Jahr
Mö
2015 befristet.
100
100
Foto: Struck
W
eniger Staat – mehr
Markt. Auf diese Formel lässt sich der Rückzug der Politik aus der
Milchmengensteuerung
nach Auslaufen der europäischen Quotenregelung reduzieren. Damit wurde
den Landwirten ein Stück unternehmerische Freiheit zurückgegeben. Es zeigt
sich allerdings, dass die europäischen
Bauern mit der unternehmerischen Freiheit unterschiedlich umgehen.
0
2009
2010
2011
2012
2013
Quelle: EU­Kommission; * Schätzung, **Prognose
2014
0
2015* 2016** 2017**
© agrarzeitung
Dennoch, und das wird häufig übersehen, konnte gerade im vergangenen Jahr
die deutsche Milchwirtschaft erhebliche
Anstiege beim Export von Butter und Milchpulver verzeichnen. Mit anderen Worten:
die deutsche Molkereiwirtschaft hat selbst
in Krisenzeiten Marktanteile gewonnen.
Andererseits sind aber auch durch politische Entscheidungen, wirtschaftliche Entwicklungen und nicht zuletzt auch durch
den gesunkenen Ölpreis wichtige Kunden
wie Russland, China und Nordafrika ganz
oder teilweise weggebrochen. Immerhin
war China einer der bestbezahlenden
Abnehmer für Milchpulver.
neue Absatzmöglichkeiten für Käse zu finden, was allerdings stets mit mehr oder
weniger deutlichen Preiseinbußen verbunden war. Darüber hinaus leiden wichtige Importländer für Milchprodukte wie
Mexiko und Nigeria unter dem massiven
Preisverfall für Rohöl, oder sind, wie die
Staaten Nordafrikas, durch instabile innere Verhältnisse geprägt. Von einer eventuell steigenden Nachfrage Chinas nach
Molkenpulver und Laktose – insbesondere zur Produktion von Babynahrung – und
der Marktöffnung Irans sind unterdessen
keine entscheidenden Impulse für eine
nachhaltige Marktbelebung zu erwarten.
Gravierend sind die Handelsrestriktionen
zwischen der EU und Russland. Davon
ganz besonders betroffen ist vor allem das
Geschäft mit Käse, einer tragenden Säule
der deutschen Molkereiwirtschaft. Zwar
ist es durchaus gelungen, in Drittländern
Dennoch sollte die deutsche Milchwirtschaft an der Exportstrategie festhalten,
da sie trotz aller aktuellen Schwierigkeiten eine erhebliche Wertschöpfung
bringt. Eine Abkehr vom internationalen Milchmarkt ist dabei sicherlich kei-
ne vernünftige Lösung. Nationale Regulierungsgedanken stehen nach Ansicht
von Robert Hofmeister, dem Präsidenten
des Verbandes der bayerischen privaten
Milchwirtschaft (VBPM), im Gegensatz zu
der von der Politik gewollten Liberalisierung der Märkte – ganz abgesehen davon,
dass diese Maßnahmen in globalisierten
Märkten auch nicht greifen würden.
Andererseits: Eine wirklich positive
Trendwende hin zu einer Belebung der
Nachfrage ist derzeit – auch international – kaum auszumachen. Der heimische
Markt werde ins Gleichgewicht kommen,
wenn entweder die Nachfrage am internationalen Markt wieder stärker steigt, oder
die Produktion – auch in der EU – zeitweilig zurückgeht.
Zu dieser Erkenntnis kommt jedenfalls
Monika Wohlfahrth, Geschäftsführerin
der ZMB. Für die Marktbeobachterin ist
freilich ein schnelles Anziehen der Nachfrage am Weltmarkt angesichts der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
mit nachlassendem Wachstum in China,
schwachen Rohstoffpreisen, Währungsturbulenzen und verschiedenen geopolitischen Konflikten unwahrscheinlich.
Kurzfristige Impulse müssten daher eher
von sinkender Milchproduktion ausgehen.
Exportstrategie ohne Alternative
Bislang ist jedoch eine Reaktion der
Erzeuger auf die gesunkenen Markterlöse noch nicht erkennbar. Im Gegenteil führt die prekäre Marktlage in den
Betrieben sogar zu einer inversen Angebotsreaktion einzelner Milchbauern: Um
die rückläufigen Erlöse auszugleichen,
steigern Landwirte bis zu einer gewissen Preisschwelle oftmals zusätzlich die
Produktion.
HH
54 Märkte
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
„Man kann sich nicht
auf den Worst Case
vorbereiten“
Damoklesschwert iluc-Faktoren schwebt über Rapsmarkt – Überkapazitäten
in Ölmühlenbranche – Palmöl-Angebot wird deutlich wachsen
Die Ölmühlenwirtschaft hat gleich mit
mehreren Herausforderungen zu kämpfen: Schwache Margen und Überkapazitäten setzen die Unternehmen unter
Druck. In wenigen Jahren wird EU-weit
die verbindliche Anrechnung von Faktoren indirekter Landnutzungsänderung,
kurz iluc-Faktoren, wieder diskutiert
werden. Wilhelm F. Thywissen, Generalbevollmächtigter der Ölmühle Thywissen
in Neuss und Präsident von Ovid, dem
Verband der Ölsaaten verarbeitenden
Industrie in Deutschland, warnt dennoch davor, pessimistisch in die Zukunft
zu blicken. Die Klimaziele von Paris
können den Biokraftstoffen und somit
dem Ölsaatensektor Auftrieb verleihen,
erläutert Thywissen im Interview mit der
agrarzeitung.
agrarzeitung: Im Jahr 2020 kommt die
Frage, ob EU-weit eine verbindliche
Anrechnung von iluc-Faktoren auf die
Klimabilanz von Biokraftstoffen erfolgen soll, wieder auf den Tisch. Wie würde sich die Einführung von iluc-Faktoren auf die Produktion von Biodiesel
aus Raps auswirken?
Thywissen: Der iluc-Faktor wäre unter den
Anforderungen der Treibhausgasvermeidung zu hoch, das würde das Aus für Biodiesel aus Raps bedeuten.
Und was bedeutet das konkret für die
gesamte Wertschöpfungskette Raps in
der EU und somit auch in Deutschland?
Thywissen: Vor Beginn der massiven Förderung von Biokraftstoffen Anfang der
2000er Jahre haben wir in der EU 12
Millionen Tonnen Raps erzeugt, danach
etwa 24 Millionen Tonnen. Die 12 Millionen Tonnen Raps beziehungsweise das
daraus hergestellte Öl sind in die Lebensmittelschiene geflossen, der Zuwachs
auf 24 Millionen Tonnen ergibt sich aus
dem Bedarf für Biokraftstoffe. Wenn die
Biokraftstoffverwertung wegfällt, dann
fällt auch die Rapsproduktion wieder
zurück auf die Größenordnung von 12
Millionen Tonnen. Für die anderen 12
Millionen Tonnen gibt es keinen alternativen Absatz.
Was hätte das für eine Konsequenz für
die ölsaatenverarbeitende Industrie in
Deutschland?
Thywissen: Dann wären die Kapazitäten natürlich viel zu hoch – sie sind ja
gewachsen durch die Biokraftstoffproduktion. Wir hätten Riesenprobleme. Es
würde weiter Biokraftstoffe geben, aber
hier dürften vor allem Altspeisefette und
Palmöl zum Einsatz kommen.
Also wäre Palmöl ironischerweise der
Gewinner der iluc-Diskussion? Hinter
der Einführung von iluc-Faktoren steckt
ja nicht zuletzt die Absicht, das Roden
von Regenwäldern zugunsten der Biokraftstofferzeugung zu stoppen …
Thywissen: Ölpalmen sind sehr effizient.
Palmöl braucht nur 6 Prozent der Agrarfläche für die Deckung von 38 Prozent
des globalen Bedarfs an Pflanzenölen.
Allerdings wächst die Ölpalme nur in sehr
heißen Regionen, wo auch die Urwälder
wachsen. Trotzdem werden wir in den
kommenden 25 Jahren eine Verdopplung
des Angebots an Palmöl sehen. Es wird
eine zusätzliche Nachfrage dafür geben,
aber auch insgesamt ein Überangebot an
Ölen entstehen.
Aber zurück zu den Konsequenzen für
die ölsaatenverarbeitende Industrie
hierzulande …
Thywissen: Die Konsequenzen wären bis
in die Landwirtschaft hinein zu spüren.
Landwirte brauchen in der Fruchtfolge
eine Hackfrucht. Eine andere Hackfrucht
außer Raps wäre die Rübe, und wir wissen ja, dass der Zuckermarkt sich mit dem
Wegfall der Zuckerquote 2017 auch neu
finden muss.
Wobei der Rapsanbau nur durch die
politische Förderung der Biokraftstoffe
enorme Zuwächse erhalten hat und auf
dem heutigen Niveau angelangt ist …
Thywissen: Ja, sicher. Aber wir dürfen auch
nicht vergessen, dass 60 Prozent dessen,
was wir vom Rapsfeld holen, im Futtertrog landet. Das haben wir doch hervorragend untergebracht. Das hat doch der
Markt gebraucht, und braucht es auch
heute noch. Zusätzlich entsteht bei der
Produktion von Biodiesel Glycerin. Das
ist ein wertvoller Teil des Öls und nützlich für viele Anwendungen. Zwei Drittel
der Biomasse von Raps wird außerhalb
des energetischen Sektors genutzt. Das
wird nicht sachgerecht gewürdigt bei der
Erstellung der iluc-Modelle.
Nichtsdestotrotz haben wir auch heute die Situation, dass EU-weit deutlich
mehr Soja- als Rapsschrot ins Mischfutter fließt …
Thywissen: Im Jahr 2015 haben die deutschen Landwirte erstmals mehr Rapsals Sojaschrot verfüttert. Wir haben in
Deutschland ein großes Einsatzfeld für
Rapsschrot. Früher war es nur die Wiederkäuerfütterung, heute ist es im Schweinebereich genauso interessant, teilweise
auch der Geflügelsektor, sodass wir doch
immer wieder neue Bereiche erobern
konnten.
Wie würden Sie das Wachstumspotenzial beziffern, wenn man die Diskussion um iluc-Faktoren einmal außen
vor lässt?
Thywissen: Wenn die Ernten jährlich um
1,5 bis 2,5 Prozent wachsen, werden
sich auch Verarbeitung und Absatz in der
Richtung weiterentwickeln. Wir haben
nur momentan das Ungleichgewicht,
dass wir mehr Protein brauchen als Öl.
Woran liegt das?
Thywissen: Das hat mehrere Gründe. Altspeisefette werden mit einer Treibhausgasminderungs-Quote von 90 Prozent
angerechnet. Biodiesel auf Raps kommt
auf 60 bis 65 Prozent. Hinzu kommt,
dass Rohöl gerade extrem billig ist und
dadurch auch der Preisabstand zwischen
Mineral- und Pflanzenölen sehr hoch
ist. Die Mineralölindustrie versucht in
dieser Situation natürlich, die aktuelle
Treibhausgas-Quote von 3,5 Prozent zu
erfüllen, indem sie möglichst wenig Biokraftstoff beimischt. Im Übrigen ist diese
Quote viel zu niedrig, denn wir hatten
schon 2014 etwa 4 Prozent erreicht.
Wie wird sich das in diesem Jahr auf die
Beimischung von Biodiesel aus Raps
auswirken?
Thywissen: Die Beimischung wird sich im
Vergleich zum Vorjahr um mindestens
40 Prozent reduzieren, denke ich. Denn
die Beimischungs-Quote kann ja auch
mit gebrauchten Altfetten erfüllt werden,
die aus der ganzen Welt zur Verfügung
stehen. Die Doppelanrechnung in den
übrigen EU-Staaten und die Treibhausgasminderungs-Quote in Deutschland für
diese Altfette sind ja geradezu ein Anreiz,
Abfälle zu produzieren.
Wir haben in
Deutschland ein
großes Einsatzfeld
für Rapsschrot.“
Da es im Biokraftstoffbereich gerade
nicht so rosig aussieht: Weckt denn der
Lebensmittelbereich noch Wachstumsfantasien für den Rapsmarkt und die
Verarbeiter?
Thywissen: Sicherlich gibt es da Wachstumsmöglichkeiten, aber auf niedrigem
Niveau. Es gibt ja heute zum Beispiel
auch streichfähige Butter, der man Rapsöl
beimischt. Das sind kleine Neuerungen,
die immer mal wieder auftreten und die
Nachfrage erhöhen.
Aber sind das Innovationen, die mit
einem großen Mengenabsatz einhergehen?
Thywissen: Nein, das könnte einen wegfallenden Absatz von Biodiesel nicht auffangen. Eindeutig nein.
Inwieweit ist das vielfach diskutierte
Thema Bioökonomie für Ihre Branche
ein Hoffnungsträger?
Thywissen: Das ist nichts, was wir morgen
in Mengen umsetzen können. Die Industrie, die Politik – alle Beteiligten fangen
ja jetzt gerade erst an, sich verstärkt mit
dem Thema Bioökonomie auseinander-
Auf einem benachbarten Firmengrundstück
stellt ein großer Lebensmittelkonzern Mayonnaisen und Salatsaucen her – ein Abnehmer in Sichtweite zum Stammsitz. Beständig
donnern schwere Lkw die Straße im Industriegebiet am Neusser Hafen entlang. Doch
viel wichtiger als der Transport via Laster
ist für die Ölmühle C. Thywissen GmbH mit
ihren rund 110 Mitarbeitern der Wasserweg: Strategisch günstig direkt am Rhein
gelegen, schlägt das Unternehmen, das im
Jahr 1839 gegründet wurde und seit sechs
Generationen familiengeführt ist, rund 80
Prozent der Ware über Schiffe um. Etwa 18
Prozent entfallen auf Lkw und nur 2 Prozent
auf die Schiene. Mindestens zwei Schiffe am
Tag liefern der Ölmühle am Hafen in Neuss
Rohware wie Raps-, Sonnenblumen- oder
Leinsaat aus Deutschland, Europa und der
ganzen Welt an, die anschließend gereinigt,
getrocknet, gepresst und zu Pflanzenölen
Fotos: Pionke
Strategisch günstig gelegen
Anlegeplatz am Rhein: Gut 80 Prozent
der Ware schlägt die Firma Thywissen
über den Wasserweg um.
unterschiedlicher Qualitäten veredelt werden. Rund 13 000 t Saat können an dem
Neusser Standort gelagert werden; Edelstahltanks ermöglichen die Aufbewahrung von
38 000 t Öl. Die Kapazitäten geben einen
Crush von bis zu 2 300 t Saat täglich her.
Insgesamt verarbeitet die Firma Thywissen
in Neuss rund 700 000 t Saat jährlich zu Öl,
aber auch zu Schrot, das als eiweißhaltiges
Futtermittel in der Nutztierhaltung begehrt
ist. Auf diese Weise entstehen 280 000 t Öl
und 420 000 t Schrot. Am Hauptstandort
Neuss stellt die Firma Thywissen Pflanzenöle, Lecithine und Ölschrote her und handelt
mit diesen Produkten. Als zweites, kleineres
Standbein produziert die Thywissen GmbH
Biodiesel im westfälischen Marl mit Agravis,
Bunge und Diester Biodiesel im Gemeinschaftsunternehmen Natural Energie West.
Ferner gehört eine Malzmühle in Hürth zum
pio
Unternehmen.
Vor der Ahnengalerie: Wilhelm F. Thywissen ist Generalbevollmächtigter der Ölmühle Thywissen GmbH, die seit
mittlerweile sechs Generationen familiengeführt ist.
zusetzen und sich darauf zu verständigen,
was man darunter versteht. Das Thema
Bioökonomie wird uns in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen und steckt
jetzt erst im Diskussionsstadium. Das
kann ich nicht in die Budgetplanung für
die nächsten fünf Jahre einbeziehen.
auf Biokraftstoffe ausgerichtet, sondern
größtenteils auf den
Lebensmittelbereich.
Wir werden das in
irgendeiner Art und
Weise schaffen.
Um noch einmal auf das Thema
iluc-Faktoren zurückzukommen: Wie
planen denn die Ölmühlenbetreiber
damit? Man muss ja auch ins Kalkül ziehen, dass der Worst Case, die Anrechnung der iluc-Faktoren, kommt …
Thywissen: Man sollte nicht hoffnungslos in
die Zukunft schauen. Wir haben doch gerade in Paris auf der Klimakonferenz mit großem Jubel Beschlüsse zur CO2-Einsparung
gefasst. Diese Beschlüsse sind unglaublich
ambitioniert. Im Moment diskutiert man
politisch nicht über deren Umsetzung.
Wir können die Vorgaben nicht allein
durch Windkraft, Biogas und Solarenergie erfüllen. Wir haben gerade einmal
1 Prozent Erdgas durch Biogas ersetzt – ich
empfinde das nicht als viel. Das wird die
Energiewende nicht zum Erfolg bringen.
Wir dürfen auf nichts verzichten, was uns
auf dem Weg weiterbringt.
Und wie ist es um die
Ölmühlen bestellt, die
sich rein auf die Biokraftstoffschiene positionieren?
Thywissen: Ich denke, dass die
größere Probleme haben werden. Diese Unternehmen müssen häufig noch
Abschreibungen leisten und müssten
auch erst einmal als Lieferant für den
Lebensmittelsektor Fuß fassen. Es ist ja
nicht so, dass man sagt ‚Ich habe etwas
Fettiges im Angebot‘ und dann morgen
liefern kann. Man muss ein passendes
Qualitätsmanagement haben, man muss
auditiert sein, man muss eine Menge von
Voraussetzungen erfüllen, um die Differenz zwischen Biodieselrohstoff und
Lebensmittelrohstoff zu überbrücken.
Sie wollen also die Biokraftstoffe über
die Schiene Klimaabkommen retten?
Thywissen: Biokraftstoffe sind ja unter
anderem aus dem Klimaschutzgedanken
heraus so stark gefördert worden. Und
auch mit dem Gedanken, sich aus der
absoluten Abhängigkeit von Mineralöl zu
befreien. Die Biokraftstoffe zählen zu den
wenigen leistungsfähigen Beiträgen auf
dem Weg zum Klimaschutz und zur Unabhängigkeit von Erdöl. Die Effizienz muss
man in anderen Bereichen erst suchen –
das ist vielleicht noch die Windkraft, aber
da hört es auch schon allmählich auf.
Und was ist mit Biokraftstoffen der
sogenannten zweiten Generation, die
nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen?
Thywissen: Die sollen das Allheilmittel
sein, aber aus der Richtung sehe ich bisher keinen praxisfähigen Beitrag. Um die
Ziele zur Klimagaseinsparung zu erreichen, muss man mit allem weiterarbeiten, was sich bisher als effizient erwiesen
hat , und bei Biodiesel aus Raps haben wir
deutliche Fortschritte erzielt. Zu Beginn
haben wir mit 38 Prozent Treibhausgas–
einsparung kalkuliert, heute sind wir
nachweisbar bei 60 bis 65 Prozent.
Das sind die Fakten. Aber wenn der politische Wille fehlt, können die Beschlüsse dennoch anders ausfallen. Deshalb
noch einmal: Wie bereitet sich die
Ölmühlenwirtschaft auf den Worst Case
verbindliche iluc-Faktoren vor?
Thywissen: Sie können sich nicht auf den
Worst Case vorbereiten.
Dann würden also Mühlen dichtmachen?
Thywissen: Ja, dann würde es zu einem
Verdrängungswettbewerb kommen.
Sie sind nicht nur Ovid-Präsident, sondern auch Gesellschafter einer Ölmühle: Wie sehen Sie sich da als Unternehmer positioniert?
Thywissen: Die Ölmühle Thywissen verfügt über einen Standort, der mehr als
175 Jahre überlebt hat in den verschiedenen Wirren dieser Zeit, seien es Kriege
oder technische Neuerungen. Ich glaube,
dass unsere Firma eine gute Ausgangssituation hat, sich trotz iluc-Faktoren weiterzuentwickeln. Wir sind ja nicht allein
Wie viele Ölmühlen sind denn im Zuge
des Biokraftstoffbooms neu gebaut
worden?
Thywissen: Sicher sind fünf oder sechs
Standorte zusätzlich gebaut worden.
Natürlich haben die Betreiber dieser
Anlagen auch ein Interesse daran, dass
die Politik einen Wirtschaftszweig, in den
sie sie hineingetrieben hat, jetzt nicht in
Beliebigkeit aufgibt. Daraus leiten sie eine
gewisse Verantwortung der Politik dem
Sektor gegenüber ab.
Mit dem Argument Überkapazitäten
und niedrige Margen hat Cargill Anfang
2016 angekündigt, den Standort Mainz
zu schließen. Das sind Probleme, mit
denen Cargill nicht alleine dasteht.
Denken Sie, dass noch mehrere Mühlenstandorte diesem Beispiel folgen
werden?
Thywissen: Es kann sein, dass auch noch
andere Unternehmen sich dazu entschließen müssen, die rein auf Biokraftstoffe ausgerichtet sind, die noch
Abschreibungen auf ihre Anlagen leisten
müssen und daher eine schwierige Kostensituation haben. Aber ich kann ihnen
nichts dazu sagen, wie die Überlegungen
in den einzelnen Häusern sind, das wird
die Zeit zeigen. Wenn die Marktsituation so bleibt, wie sie heute ist, werden
zwangsläufig noch Marktkapazitäten
geschlossen werden müssen.
Sie rechnen also mit einem Strukturwandel?
Thywissen: Ist das Zurückfahren von
Kapazitäten schon ein Strukturwandel?
Ich würde es erst einmal eine Korrektur
nennen. Wir haben in den letzten Jahren neue Ölmühlen gesehen und alte
Ölmühlen haben investiert, dadurch ist
zusätzliche Kapazität entstanden. Die
Auslastung ist heute bestimmt nicht bei
90 Prozent. Dass das für den einen oder
anderen Standort bitterer ist als für andere Unternehmen, das kann man nicht
ausschließen.
Kann man was anderes tun gegen das
Überkapazitätsproblem als unter Kapazität zu arbeiten?
Thywissen: Es gibt auf der ganzen Welt
Ölmühlenkapazitäten. In Brasilien gibt
es Anlagen, die in einer Woche die gleiche Menge an Öl produzieren wie manche deutsche Anlage in einem Jahr. Es ist
also nicht so, dass wir sagen können, das
Zeug, das wir hier nicht loswerden, fließt
in den Export. Wir werden uns vor Ort
behaupten müssen.
Wie kann dies gelingen?
Thywissen: Die Qualitätsanforderungen
für den Lebensmittelbereich werden in
Europa immer strenger. Wenn in der EU
auf einmal ein Pflanzenschutzmittel verboten wird, kann man nicht einfach auf
andere Saat aus einer anderen Region
ausweichen, in der das fragliche Mittel
noch zugelassen ist. Die Qualitätsanforderungen für den Lebensmittelbereich
kann ich am besten erfüllen, wenn ich
die gesamte Wertschöpfungskette von
Landwirtschaft über Lagerung bis hin
zum Handel überblicken kann. Insofern
haben wir mit den Saaten, die regional
zur Verfügung stehen, die besten Möglichkeiten, uns am Markt zu behaupten
– zumindest im Lebensmittelbereich. Bei
Biokraftstoffen ist das anders, da sind die
Qualitätsvorgaben eher technischer Art
und nicht ganz so schwierig zu erfüllen.
Welche Perspektive hat denn der Export
von Pflanzenölen und Ölschroten aus
Deutschland?
Thywissen: Bei Raps- und Sonnenblumenschroten haben wir schon heute
Exportquoten von 34 beziehungsweise
65 Prozent, aber die Ware fließt natürlich
ganz wesentlich in den EU-Binnenmarkt.
Export in Drittstaaten von Rapsöl oder
Leinöl gibt es auch, aber nicht in der Größenordnung, dass man dadurch die Mengen ersetzen könnten, die Biokraftstoffe
heute für sich reklamieren. Ich wüsste
auch nicht, wo Märkte liegen, die eine
solche Aufnahmekapazität haben.
In Schwellenländern, besonders in
Asien, wird ein deutliches Nachfragewachstum nach Nahrungsmittelrohstoffen prognostiziert …
Thywissen: Aber in Asien ist Palmöl das
etablierte Öl. Es ist ja nicht nur billig, sondern auch in der dort heimischen Küche
bekannt. In Asien ist Raps ein Exot. Wenn
man irgendwo am Weltmarkt 500 000
Tonnen Rapsschrot oder -öl zusätzlich
unterbringen will, muss man schon viel
dafür tun …
Das Gespräch führte Stefanie Pionke
Zur Person
Wilhelm F. Thywissen, Jahrgang 1953,
ist Generalbevollmächtigter der Ölmühle Thywissen GmbH. Seit den
1980er Jahren ist der Diplom-Kaufmann in der Ölmühlenbranche tätig.
Thywissen engagiert sich zudem in
Wirtschaftsverbänden: Seit 1998 ist
er Präsident von Ovid – Verband der
Ölsaaten verarbeitenden Industrie in
Deutschland. Ein Jahr später, 1999,
stieg der Rheinländer in den Vorstand
der Union zur Förderung von Oel- und
pio
Proteinpflanzen (Ufop) ein.
Karriere
55
Foto: Landpixel
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Studiert wird fleißig. Doch vielen Absolventen mangelt es an anwendbarem Wissen. Die Agrarwirtschaft bessert bei Bedarf betriebsintern nach.
Jobs besetzen mit Anspruch
Praktische Berufsausbildung in der Landwirtschaft
Zahl der Lehrlinge 1948/49 in Westdeutschland
Zwischen demografischem Wandel und fehlender Praxisreife: Das Duale Studium schafft dabei Abhilfe. Auch
Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, um Mitarbeiter zu gewinnen.
Katja Bongardt
Ressort Hochschule & Karriere
S
tudieren wird immer beliebter. Die Zahl der Erstsemester
ist mittlerweile mit der Zahl
der Lehrlinge gleichauf. In
beiden Bildungsbereichen
gibt es in Deutschland insgesamt jährlich rund 500 000 Anfänger. Das
hat zwei Ursachen. Zum einen schrumpft
die Menge der Schulabgänger, zum
anderen wollen von den Abiturienten
immer mehr studieren. Durch diese Verschiebung in Richtung Hochschule raten
Experten dringend zu neuen Bildungskonzepten. Sonst bestehe die Gefahr,
Die grünen Berufe können dem Abwärtstrend noch trotzen. Ungeachtet des
Preisverfalls und mancher kritischen
Verbrauchermeinung steigt der Beruf
Bauer sogar in der Gunst der Schulabgänger. Bundesweit wurden 2015 in der
Landwirtschaft rund 13 500 neue Ausbildungsverträge geschlossen. Das ist ein
Plus von über 3 Prozent gegenüber dem
Vorjahr. So erfährt die Berufsausbildung
zum Landwirt in Rheinland-Pfalz mit
einem Zuwachs von mehr als 30 Prozent einen äußerst kräftigen Anstieg. Ein
Kammermitarbeiter erklärt den Anstieg
als das Ergebnis einer intensivierten
Öffentlichkeitsarbeit.
Ungeachtet der anhaltenden Nachfrage
nach einer Ausbildung zum Landwirt
deckt die Zahl der Schüler den Bedarf
aber nicht. Insbesondere in den ostdeutschen Betrieben macht sich das bereits
deutlich bemerkbar.
Und auch die Schulen selber sind betroffen. „Wir haben einen demografischen
Wandel. Die Babyboomer werden in den
kommenden 10 Jahren in Rente gehen“,
sagt der Bildungsexperte des Deutschen
Bauernverbandes, Martin Lambers. Ab
2020 werde es eine massive Ruhestandswelle geben. Deshalb werde ein Großteil
der grünen Berufsschul- und Fachschullehrer, die jetzt noch arbeiteten, nicht
mehr in den Schulen zu finden sein.
„Und es dauert sieben bis acht Jahre, bis
man einen Lehrer gut qualifiziert ausgebildet hat. Eigentlich hätte man schon
längst angefangen haben müssen“, kritisiert Lambers.
Ebenso ist an den Hochschulen in puncto Bildung nicht alles im Lot. Denn wer
heute die Hochschule verlässt, sieht
sich einer widersprüchlichen Situation
gegenüber. Einerseits gibt es einen Fachkräftemangel. Andererseits nehmen die
Unternehmen deswegen noch lange
nicht jeden Bewerber. Berufsanfänger
bräuchten heute einfach sehr lange, um
praxisrelevante Themen zu verstehen,
heißt es diplomatisch aus einem Pflan-
zenschutzkonzern. Das liege daran, dass
die Inhalte nicht mehr so tiefgreifend
vermittelt würden. Ebenso wird die
mehrheitliche Abschaffung des Pflichtpraktikums von vielen Seiten kritisiert.
Unternehmen, die es sich leisten können, haben darauf bereits reagiert. Sie
bieten Anschlussqualifizierungen, zum
Beispiel über ein Traineeprogramm,
oder Weiterbildungsmaßnahmen für
Hochschulabsolventen. Seit wenigen
Jahren kristallisiert sich eine weitere
Lösung für den Arbeitsmarkt heraus,
die es schaffen kann, Theorie und Praxis geschickt miteinander in Einklang
zu bringen. Das Duale Studium erlebt
in Deutschland eine Blütezeit. Wurde es
vor drei Jahren noch von 50 Prozent aller
deutschen Betriebe angeboten, so sind es
in diesem Jahr bereits 62 Prozent. Aber
gerade für das Duale Studium gilt: Das
Unternehmen muss sich diese Qualifizierungs- und Rekrutierungsmaßnahme
auch leisten können. Schließlich gilt es,
Lehre und Studium des begehrten Nachwuchses zu finanzieren. Das ist gerade für
kleinere Betriebe nicht immer machbar.
11 408
7 436
Landwirt
Landfrau und Bäuerin
17
500
Pelztierzüchter
191
Geflügelzüchter
1
Schweinewärter
Melker
230
Schäfer
Foto: Bundesarchiv
dass es zu einer „dysfunktionalen Konkurrenz“ um zurückgehende Schulabsolventen komme. Die Konkurrenz gibt
es bereits.
Quelle: Statistisches Bundesamt
56 Karriere
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
„Deutschland ist in der Gentechnik abgekoppelt“
Das Interesse an landwirtschaftlichen Themen steigt. Doch nicht alle Forschungsgebiete sind hierzulande erwünscht.
Etwas mehr Konzentration würde der
Agrarforschung in Deutschland ganz
guttun, meint der Agrarökonom und
Politikberater Prof. Matin Qaim. Und
wie es um die Grüne Gentechnik hierzulande bestellt ist, erläutert er ebenfalls
im az-Interview.
agrarzeitung: Spielen die Agrarwissenschaften in Deutschland noch in der
ersten Liga?
Qaim: Die deutsche Agrarforschung ist
nach wie vor sehr gut. Ich würde sie
durchaus unter den ersten drei oder vier
führenden Nationen weltweit sehen.
Wer ist für Sie heute der bedeutendste
deutsche Agrarforscher?
Qaim: Einzelne Personen sind nicht mehr
so schillernd, wie das vielleicht in der
Vergangenheit war. Ich würde ungern
aktuelle Namen im gleichen Atemzug mit
historischen deutschen Agrarforschern
wie Justus von Liebig oder Albrecht
Thaer nennen.
Sondern?
Qaim: Einzelne Wissenschaftler mit vergleichbar bahnbrechenden Entdeckungen finden Sie auch in anderen Nationen nicht mehr. Denn vieles ist bereits
bekannt. Man arbeitet heute an kleineren Stellschrauben und meist in größeren Teams. Es gibt aber trotzdem immer
wieder auch sehr interessante neue
Erkenntnisse. Besonders dynamisch ist
der Bereich der modernen Biotechnologie, inklusive der Gentechnik und des
Genome Editing.
Wie steht es um die Hochschulstruktur
in Deutschland. Wäre die Konzentration auf einen Standort wie in den Niederlanden sinnvoll?
Qaim: Das Modell Wageningen wäre für
Die Studentenzahlen in den Agrarwissenschaften steigen. Das mit der
Begeisterung scheint ja noch zu funktionieren.
Qaim: Ja, das funktioniert ganz gut. Dabei
hatte man noch in den 1990er Jahren
vermutet, dass die Agrarforschung ein
aussterbender Ast ist. Aber die Bedeutung
hat eher zugenommen. Ernährungssicherung, nachwachsende Rohstoffe, ländliche Armut, Schutz natürlicher Ressourcen
und Klimawandel sind einige der großen
Themen, die Agrarwissenschaftler typischerweise bearbeiten. Hinzu kamen die
turbulenten Preisentwicklungen auf den
Agrarmärkten in den letzten 10 Jahren.
Deutschland als ein wesentlich größeres
Land nicht die ideale Strategie. Denkbar
wäre eine Konzentration auf drei oder
vier Standorte, an denen man das Komplettangebot an agrarwissenschaftlicher
Expertise in ausreichender Größe hätte.
Davon könnte eine große Strahlkraft ausgehen. Das würde die besten Studierenden und Doktoranden anlocken. Über
eine solche Bündelung wäre man auch
eher in der Lage, große Konsortien im
internationalen Kontext auf die Beine zu
stellen und zu leiten.
Nur noch drei Standorte in Deutschland?
Qaim: Das heißt nicht, dass es nicht einige
zusätzliche Standorte geben könnte, die
sich weniger auf exzellente Forschung
und mehr auf unmittelbare Anwendungsorientierung und grundständige Lehre
konzentrieren würden.
Wo sollte die Exzellenz stattfinden?
Qaim: Am ehesten würde ich an Hohenheim und Göttingen denken, die momentan in der deutschen Agrarforschung
führend sind und damit gute Voraussetzungen bieten.
Haben Sie ein Vorbild?
Qaim: Meine Vorbilder sind Wissenschaftler, die den Blick für das große
Ganze haben. Meiner Meinung nach
hat sich das oberste Ziel der agrarwissenschaftlichen Forschung im Zeitlauf
der Jahrhunderte nicht geändert. Es lautet immer noch: Zu einer nachhaltigen
Ernährungssicherung beitragen. Darüber hinaus zählen Menschen, die andere Leute für ihre Themen und ihre Arbeit
begeistern können, zu meinen persönlichen Vorbildern.
Hohe Erträge
werden von der
Gesellschaft nicht mehr
per se als etwas Gutes
betrachtet.“
Was hat das mit mehr Erstsemestern
zu tun?
Qaim: Durch die Preisspitzen 2007/08
erkannte man, dass es zukünftig ernste
Knappheiten bei der Nahrungsmittelversorgung geben kann, das hat einen
neuen Schub im Sektor ausgelöst. Leute
mit einer entsprechend guten Ausbildung
waren auf einmal auf dem Arbeitsmarkt
wieder sehr gefragt, sowohl national als
auch international.
Die gesellschaftliche Diskussion führt
aber auch dazu, dass bestimmte Forschungsthemen in Deutschland nicht
mehr möglich sind.
Qaim: Ja. Die Gefahr sehe ich schon.
Deutschland ist beispielsweise beim Thema Gentechnik in der Tat fast schon abgekoppelt. Es gibt zwar vereinzelt noch sehr
gute Wissenschaftler auf diesem Gebiet,
die aber sehr grundlagenorientiert arbeiten. Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen sind in Deutschland
so gut wie unmöglich geworden. Das
negative gesellschaftliche Klima schreckt
auch den wissenschaftlichen Nachwuchs
im Bereich Pflanzenbiotechnologie komplett ab.
zen, an die der Sektor sich anpassen muss.
Beim Thema Gentechnik ist das anders,
hier ist die gesellschaftliche Ablehnung
von einem kompletten Missverständnis
geprägt, das korrigiert werden muss:
Gentechnik ist nicht gefährlicher als konventionelle Züchtung, und sie kann entscheidend zur nachhaltigen Entwicklung
beitragen. Es wäre vor dem Hintergrund
der globalen Herausforderungen töricht,
diese Potenziale nicht zu nutzen.
Auch Unternehmen haben die Biotechnologie-Forschung in Deutschland eingestellt und in andere Länder wie die
USA verlagert.
Qaim: Es ist sehr bedauerlich, wenn diese
Sparten abwandern. Allerdings gehören
viele Unternehmen zu den Gobal Playern. Die machen ihre Forschung dann
eben an einem anderen Standort. Der
deutsche öffentliche Sektor ist viel stärker negativ betroffen. Er kann sich eben
nicht einfach woanders niederlassen.
Das ist umso trauriger, weil ja viele der
grundlegenden Arbeiten zur Grünen
Gentechnik in Deutschland und Europa
entstanden sind.
Dann ist das alles nur ein Kommunikationsproblem?
Qaim: Ja, beim Thema Gentechnik mache
ich vor allem Greenpeace und dem
BUND einen großen Vorwurf. Sie schüren
bewusst Ängste auf Basis wissenschaftlich vielfach widerlegter Aussagen. Sie
haben ein großes Interesse daran, die Sorgen der Bevölkerung zu befeuern, denn
so generieren sie ihre Einnahmen. Gleichzeitig treffen sie auf ein großes Gehör in
den Medien und der Politik.
Die Fragen stellte Katja Bongardt
Sehen Sie die Möglichkeit einer
Umkehr?
Qaim: Moderne Landwirtschaft wird
in Deutschland zunehmend kritisch
betrachtet. Ich glaube nicht, dass wir
zu den Zeiten zurückkehren, in denen
hohe Erträge von der Gesellschaft per se
als etwa Gutes betrachtet wurden. Ich
bin aber trotzdem optimistisch, dass wir
durch verbesserte Kommunikation und
Bildung wieder eine größere Offenheit
gegenüber Technologien erreichen werden, die nachhaltige Entwicklung fördern
können.
Forschung & Politik
Matin Qaim ist 46 Jahre alt und verfügt über eine hervorragende wissenschaftliche Reputation. Seit 2007 ist
er Professor für Welternährungswirtschaft und Rurale Entwicklung an der
Georg-August-Universität Göttingen.
Er beschäftigt sich mit Fragen der
Hungerbekämpfung, Entwicklungsstrategien für den ländlichen Raum und
der Rolle von neuen Technologien zur
Armutsbekämpfung. Seit 2009 gehört
er dem Wissenschaftlichen Beirat für
Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium an.
kbo
Wie soll das gehen?
Qaim: Wir müssen differenzieren. Themen wie Tierwohl, Überdüngung,
Pflanzenschutzrückstände und andere
Umweltprobleme werden ihre Brisanz
behalten. Wenn eine Gesellschaft reicher
wird, beschäftigt sie sich stärker mit Fragen von Umweltschutz und Ethik. Hier
geht es also um sich wandelnde Präferen-
Rendsburg
Kiel
Rostock
Neubrandenburg
Eberswalde
Berlin
Osnabrück
Kleve
Bernburg
Göttingen
Soest
Kassel
Halle
Dresden
Köln
Bonn
Gießen
University of Applied Sciences
(Fachhochschule)
Bingen
Universität
Mosbach
Triesdorf
Hohenheim
Nürtingen
Freising
München
Bildung
Beruf
Zahl der Universitäten und
Fachhochschulen, an denen
Agrarwissenschaften und Fachverwandtes studiert werden kann:
10.000 Agrarforscher
285.000 landwirtschaftliche Betriebe
Verhältnis Forschung/Praxis
24
Zahl der Berufsschulen:
363
Zahl der Studenten:
24 000
ca.
1:30
Einstiegsgehalt Hochschulabsolvent:
Zahl der Auszubildenden:
34 000
unter
40 000 € Gewinn der Haupterwerbsbetriebe:
63 000 €
Quellen: Destatis, BMEL, VDL, eigene Schätzung
Die Zukunft 57
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Der Blick nach vorn
B
ei einem runden Jubiläum ist der Blick zurück
ein fester Bestandteil der
Festschriften. Vor allem
diejenigen, die einiges
davon am eigenen Leibe erfahren
haben, nutzen Rückblicke gern zur
Erinnerung.
Bei Schülern und Studenten ist der
zurückgelegte Weg noch nicht so
lang. Umso geeigneter erschienen
sie der Redaktion der agrarzeitung
für das Vorhaben, den Spieß einmal
umzudrehen. Nicht 70 Jahre zurück,
sondern 70 Jahre nach vorn sollten
die Projektteilnehmer schauen.
Die Ausgangslage lautet: Wir befinden uns im Jahr 2086. Auch in
70 Jahren besteht ein Bedürfnis
nach Fachinformationen aus der
Agrarwirtschaft. Wie aber könnte
die agrarzeitung in 70 Jahren aussehen?
Folgenden
Herausforderungen
mussten sich die 29 Projektteilneh-
A
Fa nz
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öl :
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Das Kreativ-Team der Hochschule Osnabrück setzt sich zusammen aus dem
ersten Jahrgang des neu angebotenen Schwerpunktes Medien- und CSR-Kommunikation.
Er wird von der Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur angeboten
(v.l.n.r.): Maire Beuth, Johanna Haase, Christina Lenfers, Regina Hemme, Ines Ruschmeyer.
Herausgekommen sind Artikel und Kleinanzeigen.
mer stellen: 1. Gestaltung einer Werbeanzeige zum Thema Düngemittel, Spritzmittel oder Tierernährung
oder zu einem in der Landwirtschaft
benötigten Produkt, das es heute
noch nicht gibt. 2. Gestaltung einer
Stellenanzeige für eine Position in
der Agrarwirtschaft. 3. Verfassen
eines Artikels über Agrarpolitik,
Markt und Preise, die Landtechnik
oder zu einem Thema, von dem wir
jetzt noch nichts wissen, das aber
in 70 Jahren eine wichtige Bedeutung hat.
Foto: knipseline/pixelio.de
Wir befinden uns im Jahr 2086. Der Landwirtschaftsminister heißt mit Vornamen
Kevin, die Tierwohlfrage ist gelöst und Insekten als Nahrungsgrundlage sind
gesellschaftsfähig geworden: 29 Landwirtschaftsschüler und Studenten haben die
agrarzeitung der Zukunft gestaltet.
Die Studenten und Fachschüler
haben höchst kreativ und nicht selten humorvoll das aktuelle Geschehen in der Landwirtschaft kommentiert und weitergedreht. Zum Beispiel
so: Die Versorgung mit tierischem
Protein erfolgt zunehmend über
Insekten, neue Arbeitskräfte wie der
Skyscraperfarmer oder Work-Life-Balance-Instructor werden gesucht und
eine neue Datenbrille misst Halmdicke und Stickstoffgehalt im Getreide. Ein weiterer technischer Durchbruch im Jahr 2086 stellt die Lösung
der Tierwohlfrage dar. Winzige Sensoren, die ins Nutztier implantiert
werden, machen deren Gedanken
nachvollziehbar. In der Folge lassen sich für Rind, Schwein, Geflügel
und weitere Nutztiere optimale Haltungsbedingungen herstellen. Die
weiteren Zukunftsvorstellungen der
Fachschüler der Berufsbildenden
Schulen in Celle und Hannover sowie
der Studenten der Hochschule Osnabrück sind hier unten sowie auf den
kommenden drei Seiten zu lesen.
Viel Vergnügen!
kbo
Die Arbeitsgruppe der Justus-von-Liebig Schule in Hannover: Jannes Buhr, Lukas
Siekmann, Frederic Meyer, Arne Hundertmark, Torben Stöver, Adrian Meier, Philipp Rügge,
Stefan Rust, Ylsabe-Friederike Rawe, Frank Meier, Dennis Rösener, Sascha Blzek, Fabian
Wallbaum, Jens Müller, Carsten Bröskamp, Moritz Kinast (v.l.n.r.). Der gesamte Jahrgang der
zweijährigen Fachschule hat gemeinsam Kleinanzeigen für das Jahr 2086 gestaltet.
Insekten hoch im Kurs!
Insekten an Stelle von Import- Soja endlich realisierbar!
Nach ausgiebiger Forschung ist es möglich, in der Tierernährung Soja als Eiweißfuttermittel
vollständig zu substituieren
Die immens hohen Futtermittelpreise und die ständig gewachsene Weltbevölkerung
verlangten nach einem Ausweg
Insekten können diese Probleme zugleich lösen:
• In der menschlichen Ernährung bieten Insekten hochwertiges Eiweiß und enthalten
wichtige Omega-3-Fettsäuren
• Insekten erfreuen sich gegenwärtig steigender Beliebtheit auf dem Essensteller
• Im Tierfutter für Hühner und Schweine hat sich Insektenmehl hervorragend
ausgezeichnet
Die Vorteile bestechen auf den ersten Blick:
• Der Eiweißgehalt von Insekten ist vergleichbar mit Soja und liegt zwischen 30% und 70%
• Effiziente Massenproduktion ist durch eine hohe Futterverwertung möglich
• Insekten verursachen wenig Treibhauseffekte und verbrauchen wenig Land und Wasser
Besonders einträglich ist der nützliche Nebeneffekt der schwarzen Soldatenfliege:
Bei der Aufzucht vertilgen die Larven organische Abfälle und reduzieren das Volumen um
60%
• Es wird 1A Protein erzeugt und gleichzeitig Abfallstoffe dem Produktionszyklus
zurückgeführt
Insekten haben sich auf diese Weise als wirtschaftliche und
umweltverträgliche Alternative herauskristallisiert!
Das Projektteam der Albrecht-Thaer-Schule in Celle setzt sich aus zwei
Klassen zusammen. Die Fachschüler im zweiten Schuljahr mit der Fachrichtung
Rind oder Schwein haben sowohl Kleinanzeigen als auch Artikel verfasst, (v.l.n.r.):
Inke Lehnert, Martin Hagemann, Thälke Marie Lüer, Mareike Meier, Marco
Brockmann, Theresa Heß, Kristin Meyer, Frauke Molthan
58 Die Zukunft
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
„Das Vertrauen innerhalb Europas ist geschwächt“
Mehr Russland – weniger Amerika: Bundeslandwirtschaftsminister Kevin Müller erklärt seine Handelsstrategie.
Das erste Mal seit dem Auseinanderbre­
chen der Europäischen Union durch die
Uneinigkeit in der Flüchtlingskrise und
die immer angespanntere finanzielle Lage
einiger europäischer Staaten spricht der
deutsche Landwirtschaftsminister über
die aktuelle Situation des Agrarsektors.
Foto: Bernd Kasper / pixelio.de
Dank Drohne
fällt der Einsatz
von Pflanzen­
schutzmitteln
komplett weg.“
Foto: Mareike Meier
agrarzeitung: Herr Müller, wie schätzen
Sie die derzeitige landwirtschaftliche
Lage ein?
Kevin Müller: Die Lage ist immer noch sehr
angespannt, aber die noch bestehenden
Betriebe erholen sich langsam. In den
letzten 20 Jahren mussten 100 000 landwirtschaftliche Betriebe ihre Existenz
aufgeben. Die großen Agrarindustriebetriebe konnten ihre Leistung nicht mehr
halten, da nicht genügend Soja, Luzerne
und Saatgut im eigenen Land angebaut
werden konnten. Dadurch mussten die
großen Betriebe aufgeben und die bäuerlichen Familienbetriebe, die wir schon
von vor 100 Jahren kennen, haben sich
wieder etabliert.
Müller: Es ist unseren Forschern gelungen,
Der deutsche Agrarminister Kevin Müller hält am
Versiegelungsverbot fest: „Ernährung hat Priorität.“
In ganz Deutschland wurde die Versiegelung von Oberflächen in Form von
Straßen, Häusern und Industrie verboten. Was denken Sie, wie lange dieses
Verbot aufrechterhalten wird?
Müller: Da alle bis jetzt nicht versiegelten
Flächen landwirtschaftlich genutzt werden müssen, um die Ernährung sicherzustellen, kann ich Ihnen leider nicht
sagen, wie lange dieses Verbot aufrechterhalten werden kann. An oberster Stelle
steht nunmal die Ernährung der gesamten deutschen Bevölkerung.
Nahrungssicherung
Die Lage in Deutschland ist nach den Worten von Herrn Müller immer noch
angespannt. Oberste Priorität besitzt nach wie vor die Herstellung von Lebensmitteln.
In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob sich die alten europäischen Staaten
wieder vertrauen und ein Handel zwischen diesen Ländern wieder möglich sein
wird. Deutschland hat vor einigen Tagen ein Handelsabkommen mit Russland
abgeschlossen. Wir bekommen die Möglichkeit, Getreide und Gas zu importieren, als
Exportmöglichkeit bieten sich das deutsche Solarauto und die Akkutechnik. Durch
dieses Handelsabkommen ist das Verhältnis der USA zu Deutschland allerdings stark
geschwächt. In den amerikanischen Medien wird bereits darüber berichtet, dass man
militärische Schritte gegen diesen Verrat Deutschlands einleiten sollte. Die deutsche
Regierung setzt alles daran, den USA begreiflich zu machen, dass wir uns nicht mit
Russland verbündet haben, sondern dass es sich lediglich um ein Handelsabkommen
handelt. Über die weitere Entwicklung der Agrarbranche kann man derzeit nur
spekulieren.
In den vergangenen Jahren haben sich
viele Verbraucher über die steigenden
Preise der Lebensmittel und über das
Deutschland exportiert seit neuestem Solarautos in Richtung Russland.
Im Gegenzug wird dringend benötigtes Getreide und Gas geliefert.
geringe Angebot von Lebensmitteln
beschwert. Immer wieder zu hören ist
auch, dass es ungerecht ist, wenn die
Landwirte zusätzlich die hohen Agrarsubventionen erhalten. Wie können
Sie diese Ausgaben rechtfertigen, wenn
man immer wieder hört, dass Deutschland zu wenig Geld hat?
Müller: Die Preise für die Lebensmittel sind
so stark angestiegen, da wir nicht genügend Lebensmittel im Land produzieren
können. Ich befinde mich derzeit in Verhandlungen mit Frankreich und Spanien,
um Lebensmittel zu importieren. Allerdings ist das Vertrauen innerhalb Europas
so stark geschwächt, dass sich dies als sehr
schwierig erweist. Die Agrarsubventionen
wurden schon vor 20 Jahren eingestellt.
Die Landwirte müssen nun, wie alle anderen Industriebetriebe auch, ihren Betrieb
so führen, dass sie ohne die Subventionen
auskommen. Leider haben nur zwei Drittel der 2013 bestehenden Betriebe diese
Umstellung geschafft.
Die Bürger werden angehalten, sich mit
öffentlichen Verkehrsmitteln oder Solarautos fortzubewegen. Trotzdem laufen noch einige der landwirtschaftlichen
Maschinen mit Diesel. Allen ist bekannt,
dass dadurch nicht genügend Diesel für
unsere Maschinen der Bundeswehr zur
Verfügung steht. An welchen Lösungen
arbeiten Sie im Moment?
unsere leistungsstarken Akkus, wie jeder
sie in der Größe eines Hauses aus seinem
Ort kennt, auf die Größe eines herkömmlichen Schleppertanks zu bringen. Diese
Batterie ermöglicht den Landwirten gleiche Leistungen wie der Dieselschlepper.
Es gibt mittlerweile auch Landwirte, die
Drohnen einsetzen. Die Landwirte können
ihren Drohnen Aufträge für anstehende
Arbeiten geben, und diese erledigen die
Aufgaben selbstständig. Zudem ist unsere
Drohnentechnik so weit fortgeschritten,
dass die Drohnen zwischen Nutzpflanzen und Unkräutern/Ungräsern unterscheiden können. Somit fällt der Einsatz
von Pflanzenschutzmitteln komplett weg.
Zudem kann auf den Höfen viel Geld für
Arbeitskräfte eingespart werden.
Vor dem Zusammenbruch der EU sank
der Milchpreis schon beachtlich unter
20 Cent für den Liter. Umgerechnet in
Deutsche Mark, welche unsere jetzige
Währung ist, sind dies nur 10 Pfennig.
Wie haben die Landwirte es geschafft,
sich aus dieser Tiefphase zu erholen?
Müller: Wegen des Strukturwandels hin
zu immer kleineren Betrieben haben
die Großmolkereien nicht mehr genügend Milch geliefert bekommen. Durch
den Mangel an ihrem Produktionsmittel mussten viele von ihnen Insolvenz
anmelden. Viele der landwirtschaftlichen Betriebe haben sich infolgedessen
zusammengeschlossen und sogenannte
Hofmolkereien gegründet. Die Landwirte
vermarkten ihre Milchprodukte nun regional und können somit ihre Preise für die
Produkte selbst bestimmen. Allein durch
diese Maßnahme konnte sich der Milchpreis auf 25 Pfennig einpendeln.
Die Fragen stellten Mareike Meier,
Marco Brockmann, Inke Lehnert
Sprechende Kühe
Modernste Datentechnik macht das Befinden von Tieren transparent.
Die Marktlage zu damaligen Zeiten war
häufig schwierig für die Landwirte. Die
Preise schwankten und waren stark unter
Druck, die Akzeptanz der Verbraucher
für die Landwirtschaft ging zurück und
auch das Ansehen der Landwirte in der
Bevölkerung nahm zunehmend ab. Massentierhaltung, Antibiotikaresistenzen,
Umweltverschmutzung, Tierquälerei –
diese Begriffe bestimmten die Medien
und damit auch das Image vor allem
der tierhaltenden Landwirte.
In den folgenden Jahren wurden die Sensorkapseln stetig weiterentwickelt und für
andere Tierarten angepasst. Mittlerweile
erfassen diese kleinen Wunderwerke nicht
nur Temperatur, Herzfrequenz und Futteraufnahme, sondern auch noch Blutwerte,
wie Entzündungsparameter, Nährstoffversorgung und Hormone, wie den Cortisolspiegel, der zeigt, ob ein Tier Stress hat.
Die Werte werden in kleineren Beständen
einzeln ausgegeben, in großen Beständen
gebündelt mit Mittelwerten sowie Minimum und Maximum. Auch erfassen die
Kapseln über GPS die Position des Tieres
und wie viel es sich am Tag bewegt hat. So
kann ein krankes oder verletztes Tier nicht
nur schnell erkannt, sondern auch gefunden werden, was vor allem in den großen
Geflügelställen ein Vorteil ist.
„Zwar sind die Geflügelherden lange
nicht mehr so groß wie früher, als Fleisch
noch fast ein Wegwerfprodukt war, aber
auch bei 15 000 bis 20 000 Küken im Stall
ist es schwer, das eine bestimmte zu finden. Da sind die Daten der Sensorkapseln
schon sehr hilfreich”, sagt Knaak.
Tierarzt kommt selten
Doch was bringen diese gesammelten
Daten? Braucht niemand mehr Tierärzte?
„Doch. Nur deutlich weniger Medikamente”, heißt es von Seiten der Veterinärbehörde. Durch die Einzeltierbeobachtung,
die die Sensorkapseln ermöglichen, können die kranken Tiere entdeckt werden, bevor
es überhaupt zu äußerlich
„Die Fliegen gehen mir echt
sichtbaren Symptomen
kommt. Das macht die
auf die Nerven.“
Behandlung effektiver
Dank der Sensortechnik der Firma
und effizienter, da man
die Erkrankung bereits
SmartCaps lassen sich die Gedanken der
im Keim ersticken kann.
Nutztiere auslesen.
Foto: Joerg Trampert/pixelio.de
Doch der Wandel kam. Und
mit ihm eine kleine Kapsel. 2027 wurde erstmals eine sogenannte Sensorkapsel in
der Schweinemast
eingesetzt. Diese
Kapsel wurde den
Ferkeln zu Beginn
der Mast injiziert und sammelte fortan
Daten wie Futteraufnahme, Bewegungsmuster, Körpertemperatur und Herzfrequenz. Das Besondere: Es konnte das
einzelne Tier betrachtet werden, ohne
großen Aufwand. Ein Durchbruch!
Bei der Geflügelhaltung
ist der Effekt der Kapseln
besonders groß – während hier
früher stets die ganze Herde im
Krankheitsfall behandelt wurde,
also auch die gesunden Tiere, kann
nun eine Einzeltierbehandlung erfolgen.
Das ist zwar mit mehr Arbeit verbunden,
doch reduziert das natürlich auch die
auftretenden Resistenzen und den Verbrauch an Medikamenten erheblich.
Nur noch ein Zwölftel dessen, was vor der
Einführung der Sensorkapseln normal
war, wird heute noch an Medikamenten
eingesetzt.
„Für die kranken Tiere haben wir im
Stall einen Bereich abgetrennt, den
wir nach Bedarf vergrößern können”,
erklärt Martin Knaak, während er eine
Foto: knipseline/pixelio.de
M
anche von uns erinnern
sich vielleicht noch an eine
Zeit, in der Klimacomputer
und automatisierte Fütterungen zur High-Tech-Ausrüstung in deutschen Ställen gehörten.
Heutzutage kann man darüber nur noch
müde lächeln. Martin Knaak, Landwirt in
der fünften Generation, erklärt uns, was
sich alles verändert hat und mit welchem
kleinen, aber genialen Hilfsmittel dies
überhaupt erst möglich wurde.
Klein, günstig, wiederverwertbar:
So halten die Sensorkapseln sogar
Einzug in die Geflügelhaltung.
Animation des größten der hofeigenen
Hähnchenställe hervorholt. Zu sehen ist
ein typischer rechteckiger Stall mit der
bewährten automatisierten Fütterung,
Tränkelinien und großen Lüftern. „Im
Grunde ist das noch der gleiche Stall wie
vor 70 Jahren. Nur Licht und Luft haben
sich verändert.” Tatsächlich ähnelt der
Stall, wenn man einmal nach oben
schaut, eher einem Gewächshaus: Das
Dach ist verglast und an mehreren Stellen automatisch zu öffnen. „Wenn es im
Sommer sehr heiß ist, laufen alle Lüfter
auf Hochtouren, das Dach ist offen und
wir können ein Sonnensegel über den
gesamten Stall spannen. Meistens haben
wir einen Teil des Daches sowieso mit
dem Sonnensegel verdeckt. Dann können die Tiere sich aussuchen, wo sie sich
aufhalten wollen.”
Diese offenen Dächer bieten nicht nur
den Tieren ein natürlicheres Umfeld als
früher unter künstlichem Licht – sie bieten auch den Verbrauchern im wahrsten Sinne des Wortes Transparenz. Mit
der hauseigenen Drohne kann jeder
zusehen, wo und wie seine Eier, sein
Schnitzel, die Milch für seine Frühstücksflocken oder seine Chicken Wings eigentlich herkommen. „Am Anfang war der
Schreck noch groß”, erinnert sich Martin
Knaak lachend, „aber das hat geholfen,
wieder ein besseres Verständnis für die
Landwirtschaft zu entwickeln. Und ein
Bewusstsein dafür, dass Fleisch nicht
auf der Ladentheke wächst, sondern mal
ein Lebewesen war.” Dieses Bewusstsein
war wohl auch entscheidend dafür, dass
die Preisbereitschaft für Fleischprodukte
endlich wieder stieg. Und das wiederum
war unerlässlich für die Veränderungen
in der Erzeugung. „Den Aufwand, den wir
heute für halb so viele Tiere wie früher
betreiben, muss uns ja der Konsument
bezahlen. Und andersrum, wenn der
Konsument uns gut bezahlt, können wir
auch für wenige Tiere großen Aufwand
betreiben und machen das auch gerne.
Das bedingt sich gegenseitig.”
Durchbruch durch Recycling
Mit Aufwand meint Martin nicht nur die
Umrüstung der alten Ställe, die Reduzierung der Zahl der gehaltenen Tiere oder
deren intensive Betreuung zum Beispiel
bei der Krankenbehandlung. Nein, natürlich haben auch die Sensorkapseln mit all
ihren Funktionen ihren Preis. Um ihren
Einsatz dennoch bezahlbar zu machen,
hat ihr Erfinder, die Firma SmartCaps,
wiederverwendbare Modelle entwickelt.
Diese werden nach der Schlachtung mithilfe eines Magneten entfernt, gereinigt
und bei Bedarf wieder aufgeladen, bevor
sie erneut injiziert werden. „Wenn der
Hähnchenmäster für jedes seiner 20 000
Küken einen neuen Sensor kaufen müsste und das jeden Durchgang wieder, dann
würden wir wahrscheinlich gar keine
Sensoren verkaufen”, so ein Konzernsprecher. „Zudem wäre das nicht sonderlich nachhaltig.”
Chemie des Gehirns entschlüsselt
Doch die Sensortechnik ist damit noch
lange nicht ausgeschöpft. Die Verantwortlichen von SmartCaps berichten von
einem ganz neuen und faszinierenden
Projekt: sprechende Tiere. „Gedanken
sind letztlich nichts anderes als chemische Prozesse und Reaktionen in unserem Gehirn – auch bei Tieren”, erklärt
der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von SmartCaps, Florian
Faust. „Wenn wir diese ‚Chemie‘ mit den
Sensorkapseln erfassen, können wir daraus Abbilder dessen formulieren, was in
dem Tier gerade vorgeht.” Erste Versuche
werden derzeit mit Kühen gemacht und
lassen schon fast eine Sensation erwarten. „Es ist ein bisschen wie mit kleinen
Kindern. Wir haben die Kapseln bei Kälbern eingesetzt und beobachtet, dass sie,
wie Menschenkinder, sprechen – oder
besser klare Gedanken fassen – erst noch
lernen müssen. Aber sie können es lernen
und dann Gedanken äußern wie ‚Ich bin
müde‘, ‚Ich habe Hunger‘ oder ‚Das macht
mir Angst/ Spaß‘. Ob sich die Ergebnisse
der Studie ohne weiteres auf die anderen Nutztiere übertragen lassen, lässt
Faust vorerst offen. Bei Mastgeflügel sei
es zwar fraglich, ob sie in der Kürze der
Zeit dazu in der Lage sein werden zu
„sprechen”, es sei aber trotzdem nicht
auszuschließen. Bei Legehennen und
Schweinen stehen die Chancen gut, so
Faust. Bei den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, auch ganz abseits der landwirtschaftlichen Tierhaltung, kann einem
schwindelig werden. Die Daten und
Gedankenabbilder werden über Bluetooth übertragen – in Echtzeit. Das bedeutet, ein Hundebesitzer könnte zukünftig
genau wissen, warum sein Hund bellt
oder winselt. Ein Reiter könnte sofort
verstehen, warum sein Pferd scheut oder
eine Lektion nicht ausführt. Eine elementare Veränderung im Umgang mit den
Haustieren und Sportpartnern. „Und ich
könnte wissen, wann meinen Schweinen
langweilig ist und sie beschäftigen, bevor
sie anfangen, den Ringelschwanz ihrer
Kameraden anzuknabbern”, freut sich
Martin Knaak. „Großartig!”
Bei aller Euphorie über sprechende Tiere
und die neuen Erkenntnisse, die wir über
sie gewinnen könnten – da es noch keinen Sensor gibt, der ihnen sagt, was wir
denken und von ihnen wollen, bleiben
wir Menschen für die Tiere nach wie vor
ein Mysterium.
Maire Carolin Beuth, Hochschule Osnabrück
Die Zukunft 59
Bodychip – Freund oder Feind?
Foto: Ingrid Nickel/pixelio.de
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Das Tablet schlägt
schon wieder ein
Linsengericht vor.
Anscheinend ist der
Eisenspeicher leer.
M
ein Bodychip blinkt. Der
Essensplan für heute ist fertig. Was wird mir diesmal
vorgeschlagen? Anscheinend muss ich meinen
Eisenspeicher auffüllen, auf meinem
Tablet werden mir nur Gerichte mit
Hülsenfrüchten vorgeschlagen. Fleisch
kommt bei mir nicht mehr auf den Tisch.
Seit einigen Jahren ernähre ich mich komplett vegetarisch, teilweise sogar vegan.
Ich kann es mir einfach nicht leisten.
überzeugt: Ich fühle mich fitter und kann
endlich genau ausrechnen lassen, wie
viel und vor allem was ich essen muss. So
spare ich nicht nur Lebensmittel, sondern
auch Geld. Und das hat Vorteile für den
ganzen Planeten: Ressourcen werden
effektiver eingesetzt und kaum jemand
wirft noch Lebensmittel weg. Denn durch
die Erfassung der Daten wird genau ermittelt, wie viele Lebensmittel produziert
werden müssen. Eine ziemlich effiziente
Angelegenheit.
Fleisch wird zum Luxusgut
Und so funktioniert es: Mit den iPhones
und Wearables fing damals alles an.
2070 entwickelte Apple hoch intelligente Bodychips, um Volkskrankheiten wie
Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen vorzubeugen. Und das kostenlos – für alle! Die Chips sind angepasst
an die individuellen Bedürfnisse: Größe,
Gewicht, Fitnesszustand und Ernährungsstatus werden gespeichert. So können
Vorschläge für eine optimale Ernährung
gemacht werden. Die Kalorienzufuhr
sowie die Nährstoffversorgung werden
dokumentiert und persönliche Bewegungsprofile mittels Schrittzähler angelegt. Das Sportmuffel-Dasein war gestern.
Wer sein Bewegungspensum im Monat
nicht erfüllt, muss am Ende des Jahres
höhere Krankenkassenbeiträge zahlen.
Klingt gemein, ist aber sehr effektiv.
Vor 30 Jahren wurde die Fleischproduktion komplett umgestellt, um Platz für zehn
Milliarden Menschen zu schaffen. Jetzt
liegt der Preis für ein Rinder-Hüftsteak
bei 170 Euro pro Kilogramm. Denn kaum
ein Landwirt betreibt noch intensive
Nutztierhaltung. Sie haben sich auf die
Insektenaufzucht spezialisiert. Heuschrecken, Würmer und Raupen krabbeln jetzt
durch die großen Hallen. Ob Burger-Bulette, vegetarisches Schnitzel oder vegane
Leberwurst – kaum ein Fleischersatzprodukt kommt ohne Insekten aus.
Die verbliebenen Bauern haben zu anderen Konzepten gewechselt. Solidarische
Landwirtschaft ist die Alternative, leider
kann sich das nicht jeder Verbraucher
leisten. Das Konzept sieht vor, dass die
Mitglieder die Kosten des landwirtschaftlichen Betriebes tragen und im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Jedoch
haben die hohen Qualitätsstandards
sowie ausschließlich ökologische Erzeugung die Mitgliedsbeiträge ins Unermessliche getrieben. Unter 300 Euro im
Monat geht da meistens gar nichts mehr.
Ich kann mich zumindest nicht mehr
daran erinnern, wann ich das letzte Mal
Fleisch gegessen habe. Meinen Eisenbedarf decke ich schon lange über pflanzliche Lebensmittel.
Perfekte Kontrolle
Einige Skeptiker warnen vor dem Missbrauch der Daten und der vollkommenen Überwachung. Denn egal wo man
sich befindet, der Chip sendet ständig
Daten und macht so die Kontrolle perfekt.
Andere haben Angst vor einer Manipulation des Chips. Gerüchten zufolge gab es
schon einige Hackerangriffe auf Tablets
von Promis. Nachdem Model-Mama Lena
Gercke anfing, nur noch Schokolade zu
Foto: Rosensteiner
Foto: Hasan Anac/pixelio.de
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Seit vier Jahren trage ich nun das winzige Metallteil und bin ziemlich zufrieden.
Über 84 Prozent der gesamten Weltbevölkerung geht es ähnlich. Der Bodychip hat
Sogar der Schlaf-Wach-Rhythmus kann
programmiert werden und so für genügend Erholung sorgen. Dass die Dinger
unter die Haut gesetzt werden, finden
aber nicht alle so lustig.
Weltneuheit:
Der Klauenpflegeroboter
FOOT-MASTHAER 8000
Am 27.04.2086 wurde in Celle der erste vollautomatische Klauenpflegestand,
der ohne menschliche Unterstützung funktioniert, vorgestellt.
Über hundert Besucher staunten über diese einzigartige Erfindung.
Zuerst waren die Kühe genauso skeptisch wie die Zuschauer, als das große
Gerät im Stall aufgestellt wurde. Doch nach und nach probierten die
neugierigen Milchkühe den Foot-Masthaer 8000 aus, der durch sein
elegantes Design besticht. Während der Klauenpflege werden die Kühe mit
Kraftfutter und einer automatischen Massage verwöhnt.
Sobald sich die Kuh im Stand befindet, werden die Bauchgurte
automatisch angelegt und die Füße nacheinander durch eine variable
Vorrichtung angehoben. Mit einer vollautomatischen Wascheinrichtung
werden die Klauen mit Wasser und Bürsten gereinigt. Danach beginnt die
Schneidevorrichtung, die von einem Sensor gesteuert wird.
Nach jahrelanger Testphase, wurden die Sensoren so eingestellt, dass die
Klauen auf die gewünschte Länge von 7,5 cm kommen und nicht zu viel von
der Klauensohle entfernt wird. Anschließend werden die Klauen mit
Pflegemitteln lackiert. Das hilft gegen Mortellaro und andere
Infektionskrankheiten. Klauenprobleme werden von einem Sensor erkannt
und können mit dem neuen patentierten Sublikon-Schuh behandelt werden.
Die Kühe genießen die Pediküre und nehmen das Klauenpflege-Programm
gerne an. Sie haben die Möglichkeit, ganz selbstständig den
Klauenpflegeroboter zu besuchen. Damit werden schon kleine
Empfindlichkeiten an der Klaue ohne menschlichen Arbeitseinsatz direkt
behandelt, denn Arbeitskräfte sind knapp und teuer.
Diesen Klauenpflegestand gibt es auch in der mobilen Variante
mit Solarplatte und Wasserstoffzelle.
Der Klauenpflegeroboter ist schon in der Basisversion ab 150 000 € zu kaufen.
essen, wurde sie stutzig. Jemand hatte
versucht, ihr Ernährungsprofil zu manipulieren. Nach einem Programm-Update
ist laut Hersteller die Sicherheitslücke
behoben. Bislang sei niemand weiter zu
Schaden gekommen.
Vorteile überwiegen
Studien der WHO haben sogar ergeben,
dass Menschen durch den Bodychip im
Schnitt wesentlich länger leben. Jeder
wird mindestens um die 105 Jahre alt.
Ein echter Quantensprung, wenn man
bedenkt, dass das vor 50 Jahren noch
undenkbar war. Auch fühlen sich die
Menschen fitter und jünger, weil sie sich
optimal, auf ihren Bedarf zugeschnitten
ernähren. So konnte die Rate an übergewichtigen Menschen weltweit auf 10
Prozent sinken, ebenfalls sind nur noch 5
Prozent der Weltbevölkerung unter- oder
mangelernährt. Und das alles nur dank
des kostenlosen Chips. Wenn das nicht
überzeugt, weiß ich auch nicht.
Regina Hemme, Hochschule Osnabrück
Foto: JörgBrinckheger/pixelio.de
Sensoren leisten Totalüberwachung. Die Menschheit wird 105 Jahre alt. Skeptiker warnen vor Missbrauch.
Nachdem bei einem Model
Heißhunger auf Schokolade
ausgebrochen war, mussten
Sicherheitslücken im Programm
geschlossen werden.
60 Siebzig Jahre später
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
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Landeier?
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Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Eine Woche bei den Kaufleuten
Vieles ist Routine, doch keine Woche und kein Tag gleicht dem anderen. Eine typisch untypische Arbeitswoche in Marketing-, Vertrieb- und Anzeigenbteilung:
Donnerstag
e
Heute geht es in der Redaktion rund,
denn die wöchentliche Zeitung geht
in den Druck. Die Kaufleute kümmern
sich da schon intensiv um die nächste
Ausgabe. Wie viele Seiten werden
gedruckt? Stimmt das mit
der Produktionsplanung
überein? Auf welchen
Seiten können die
Inserate platziert
werden?
Auch
Karsten
Neumeister, der
Werbemittel-Koordinator für die
Website agrarzeitung.de, ist intensiv mit den WerbeFo
partnern im Austausch.
Denn spätestens am Freitag
müssen alle Banner für die neue
Woche in das Ad-Management-System
gestellt sein. Noch fehlen einige …
Den ganzen Tag herrscht ein sehr geschäftiges Treiben auf dem Flur. Und dann ist
es auf einmal ganz ruhig. 17:05 Uhr. Die
Seiten sind bei der Druckerei. Zwei Kolleginnen arbeiten jedoch weiter unter
Hochdruck. Unsere Redaktionsassistentin Natalie Hoffmann und die Grafikerin
Anja Schönauer. Sie bauen die Zeitungsdaten so um, dass daraus die iPad-Ausgabe der ‘agrarzeitung‘ entsteht, welche
spätestens um 19 Uhr online ist und unseren Abonnenten kostenlos zum Download bereitsteht.
pixelio.d
Jour Fixe: In der Wochenmitte treffen
sich alle unsere kaufmännischen Mitarbeiter zum Austausch. Thomas Wulff,
Verlagsleiter Agrar- und Fleisch-Medien,
informiert über Neuigkeiten aus
der gesamten dfv Mediengruppe und alle weiteren
Kollegen erzählen von
ihren jeweiligen Projekten. Heike Deneberger beispielsweise berichtet
über den Bewerbungsstand beim
„Förderpreis der
Agrarwirtschaft”.
Weitere Themen
heute: Wie ist der
Buchungsstand für den
nächsten az-Report? Welche Termine stehen an? Wann
wird das neue CRM-System eingeführt?
Und natürlich gibt es die aktuellen Zahlen
aus dem Controlling. Wir sind schließlich
ein Wirtschaftsunternehmen.
Monika Schlicht entgeht dieser Termin
heute, weil ein az-Karrieretag ansteht.
Sie hat ihn mit unserer Redakteurin Katja
Bongardt wochenlang vorbereitet. Wann
kommt welcher Vortrag, und selbst wo
die nächste erreichbare Steckdose ist,
weiß sie auswendig und betreut die Aussteller vor Ort. Natürlich ist auch Carina
Daugill dabei . Sie stellt unsere speziellen
Leseangebote für Studierende und Young
Professionals vor.
lick/
Mittwoch
S ch
Der Tag ohne Deadlines. Da bleibt vor
allem Zeit, um neue Abo-Angebote für
unsere Leser und Marketingaktionen
zu planen oder auch die Vermarktungsunterlagen für eine neue crossdigitale
Werbeform für den Onlineauftritt der
‘agrarzeitung‘ zu besprechen. Christoph
Nitsche, Objektleiter Agrar-Medien, nutzt
diesen Tag gerne, um Werbekunden und
Kooperationspartner persönlich zu besuchen und stellt bei dieser Gelegenheit
neue Kommunikationsbausteine vor.
Helga Knauf, Assistentin der Verlagsleitung, dagegen nutzt den Tag, um alles
für die nächste Messe vorzubereiten. Sie
kümmert sich um die fristgemäße Anmeldung unseres Standes. Senior Marketing
Managerin Katja Rühl kümmert sich
darum, dass unser Logo möglichst schon
vom Halleneingang zu sehen ist und eine
Eigenanzeige in der ‘agrarzeitung‘ über
die Highlights am Stand informiert. Undine Greb bereitet derweil das passende
Mailing mit den Schwerpunktthemen
der Redaktion für die Sonderausgabe
zur Messe vor und sorgt für den termingerechten Empfang aufseiten unserer
Anzeigenkunden.
Einen fixen Termin haben wir dann doch
noch: Die Beilagen für die Freitagsausgabe müssen spätestens heute in der
Druckerei angeliefert werden. Egal ob es
nur ein kleiner Stapel für einen Postleitzahlenbereich ist oder Paletten für die
gesamte Auflage. Gerhard Urmann hat
hier die Fäden in der Hand.
we
Dienstag
:U
Heute ist Anzeigenschluss für den Stellenmarkt und die Kleinanzeigen. Gerhard
Urmann, unser Anzeigen-Koordinator,
baut bis 12 Uhr mit dem Grafiker Mario
Rickert die sogenannten „Umbrüche”
und überträgt diese in das Produktionssystem. Heutzutage nicht mehr mit Stift
und Schere, sondern am Computer, aber
das Prozedere bleibt gleich. Ein Puzzlespiel mit Zeitdruck. Erst danach weiß die
Redaktion, wie viel Platz tatsächlich noch
in der kommenden Ausgabe für redaktionelle Inhalte bleibt.
Bei Nicole Seitz und Petra Petrasch vom
Leserservice klingelt das Telefon, da
durch einen Zustellerwechsel bei der
Post die ‘agrarzeitung‘ einen Leser nicht
erreicht hat. Die erfahrenen Kolleginnen
setzen alles daran, dass die Nachlieferung schnellstmöglich erfolgt und ändern
auch gleich den Vornamen des Lesers, da
der Junior nun den Hof übernommen hat.
Karsten Neumeister, unser Werbemitteldisponent, kontrolliert morgens noch
einmal auf der Website, im Newsletter
und in der Smartphone-App, ob wirklich
alle Online-Werbeflächen korrekt angezeigt werden.
Kurz vor Feierabend flattert bei Kristin
Kaupert noch die Information rein, dass
ein az-Korrespondent am Freitag einen
Vortrag vor Agrarhändlern und Lohnunternehmern hält. Jetzt gilt es, noch ein
paar Exemplare der ‘agrarzeitung‘ zu finden und rechtzeitig zum Veranstaltungsort zu schicken.
to
Montag
Freitag
Großkampftag für unsere Vertriebsprofis
Kristin Kaupert und Carina Daugill. Heute
muss die Auflagenhöhe für die nächste
Ausgabe an den Kollegen Martin Meyer
in der Logistikabteilung geschickt werden. Haben wir eine Sonderausgabe, die
an einen größeren Verteiler versendet
wird? Ist in der nächsten Woche eine Messe oder Veranstaltung, die wir beliefern?
Jetzt darf kein Fehler unterlaufen.
Mit diesen Angaben bereitet sich die Druckerei auf die nächste Woche vor. Bestellt
notfalls noch mal Papier nach und organisiert die Zeitungsherstellung entsprechend. Denn egal ob Standardauflage
oder Messeausgabe, alles muss immer
rechtzeitig gedruckt sein, damit die in
Päckchen oder auf Paletten gepackten
Zeitungen pünktlich auf den Lkw landen
und Sie idealerweise freitagmorgens Ihre
‘agrarzeitung‘ in den Händen halten.
Heute nehmen es auch die beiden Mediaberaterinnen Undine Greb und Monika Schlicht ganz genau. Es ist Anzeigenschluss für die kommende Ausgabe und
es sind noch nicht alle Druckunterlagen
angekommen. Also wird nachtelefoniert.
Ist die Agentur im Finish? Gibt es einen
besonderen Platzierungswunsch oder
möchte der Kunde begleitend zur Anzeige
auch auf der Website werben?
Während viele Kolleginnen und Kollegen
schon im Wochenende sind, arbeitet Katja Rühl noch mit der Kommunikationsagentur an den neuen Mediadaten. Der
Drucktermin naht …
Samstag/Sonntag
Da haben wir meistens frei und verbringen das Wochenende am liebsten mit den
Familien und Freunden in der Natur. Zwischen Wandern und Pilzsuche lässt sich
genau wie beim Sport wieder Kraft und
Energie für die neue Woche sammeln.
Zudem lässt sich auch noch mal ein prüfender Blick auf die Vegetation der Wetterau und des Frankfurter Rieds werfen.
Ja, wir arbeiten alle gerne für und mit der
Landwirtschaft.
Es sei denn, es ist mal wieder eine Messe
oder Veranstaltung. Aber das wäre schon
wieder eine neue Geschichte …
Das Team
Das kaufmännische Team (v.l.n.r.):
Gerhard Urmann,
Christoph Nitsche,
Undine Greb,
Monika Schlicht,
Thomas Wulff,
Helga Knauf,
Kristin Kaupert,
Martin Meyer,
Katja Rühl,
Carina Daugill,
Karsten Neumeister,
Heike Deneberger.
Es fehlen auf dem Foto:
Nicole Seitz,
Petra Petrasch,
Mario Rickert.
62 az-intern
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Dr. Angela Werner
Chefredakteurin
Kürzel: AW
Die Vielfalt lebensnaher Themen,
die Offenheit der Menschen und
die Möglichkeit, darüber unabhängig zu
informieren, fasziniert mich nach wie vor.“
In der Stammredaktion in der Verlagszentrale in Frankfurt am Main laufen viele Fäden zusammen und trotzdem sind immer wieder Redaktionsmitglieder zu Recherchen, Presseterminen oder Interviews unterwegs.
Stefanie Pionke
Leitende Redakteurin
Kürzel: pio
Vielfalt prägt die Redaktion
Bis Sie die gedruckte Zeitung in Händen halten oder im Internet einen Beitrag anklicken, ist eine Vielfalt an Wissen und
Können zusammengeflossen: Von der umfangreichen Recherche auf der Basis von fundiertem Fachwissen, das alle Artikel der
agrarzeitung kennzeichnet, dem Verfassen von Beiträgen oder der Erstellung von Grafiken bis zur der Bildersuche. Ein großer Teil
der Arbeit läuft im Hintergrund ab. Viele Kollegen haben daran mitgewirkt. Daher sollen alle Beteiligten aus der Zentrale und
dem Korrespondentenkreis auf diesen beiden Seiten auch einmal zu Wort kommen.
Steffen Bach
freier Redakteur
Kürzel: SB
Es ist immer schön, den
Lesern zeigen zu können,
welche Innovationskraft in der
Landwirtschaft steckt.“
Dagmar Behme
Redakteurin
Kürzel: db
Zu den Höhepunkten meiner
Arbeit gehört das Porträtieren
von Menschen, die engagiert
in der Branche arbeiten.“
Horst Hermannsen
Korrespondent
Kürzel: HH
Mein Lieblingsthema: Der
Jahrmarkt der Eitelkeiten von
Verbandsfunktionären als Folge oftmals
erstaunlicher Karrieren.“
Mich haben die international
verzweigten Agrarmärkte
schnell begeistert und das tun sie
auch heute noch.“
Peter Baumeister
Grafiker
Die niedrigtechnologischen
Lösungen für Entwicklungsländer faszinieren mich am meisten. “
Katja Bongardt
Redakteurin
Kürzel: kbo
Mich fasziniert Smart Farming:
höhere Effizienz und Wertschöpfung sowie Umweltschutz dank
moderner Technik.“
Natalie Hoffmann
Redaktionsassistentin
Kürzel: NH
Aufgrund meiner Arbeit bei der
agrarzeitung achte ich mehr
darauf, wo Lebensmittel herkommen
und was sie enthalten.“
az-intern 63
Freitag, 29. Juli 2016
agrarzeitung
Dagmar Hofnagel
Korrespondentin
Kürzel: dg
Ich finde es bedenklich, dass
sich die Landwirte für ihre Arbeit
bei der übrigen Bevölkerung immer
wieder rechtfertigen müssen.“
Mareike Scheffer
freie Redakteurin
Kürzel: mrs
Meine Eltern bewirtschaften
einen Hof in fünfter Generation.
Innovatives und nachhaltiges Handeln
ist schwer, aber wichtig.“
Sarah Speicher-Utsch
Redakteurin
Kürzel: sp
Ich kaufe seit meiner Arbeit bei
der agrarzeitung weniger BioLebensmittel.“
Hermann Steffen
Korrespondent
Kürzel: St
Raps war schon 1985 das Thema
für meine Bewerbung als
Volontär und Raps ist eines meiner
Lieblingsthemen geblieben.“
Dr. Jürgen Struck
Korrespondent
Kürzel: jst
Überzogenes und moralisierendes
Gerede darf die grundsätzlich
richtige Richtung der Landwirtschaft
nicht blockieren.“
Daphne Huber-Wagner
Redakteurin
Kürzel: da
Gute fachliche Praxis steht für das
Selbstverständnis der Landwirte in
Ost- und Westdeutschland.“
Henrike Schirmacher
Redakteurin
Kürzel: has
Die Diskussionen um die
richtige Tierhaltung und daraus
resultierende Veränderungen verfolge
ich mit großem Interesse.“
Bernd Springer
FeedMagazine
Kürzel: BS
Mein Lieblingsthema ist die
Tierernährung – vor allem
unter dem Aspekt der Gesunderhaltung
der Tiere.“
Brigitte Stein
Redakteurin
Kürzel: brs
Im komplexen System
Landwirtschaft führen
eindimensionale Erklärungen
zwangsläufig in die Irre.“
Bernd Weidmann
Lektor
Ich partizipiere gleichsam aus
zweiter Hand an dem
Erfahrungsfundus meiner Kolleginnen
und Kollegen bei der agrarzeitung.“
Axel Mönch
Korrespondent
Kürzel: Mö
Die widersprüchlichen
Erwartungen der Öffentlichkeit
stellen die Landwirtschaft vor einen
nur schwer lösbaren Zielkonflikt.“
Anja Schönauer
Grafikerin
Mich faszinieren Gentechnik
und die Robotisierung.
Allerdings ist beides faszinierend und
furchteinflößend zugleich.“
Jan Peters
Korrespondent
Kürzel: Ps
In den vergangenen Jahren
hat die satellitengesteuerte
Unterstützung des Ackerbaus
enorme Fortschritte gemacht.“
Olaf Schultz
Redakteur
Kürzel: Sz
Auf den Feldern sind heute
Hightech-Maschinen
unterwegs, die an die Bediener
höchste Anforderungen stellen.“