Kurzgeschichte – Exit

Exit
Lucian Amthor
Die Ausstattung des Raumes ist erwähnenswert, fast schon stilvoll.
Das helle Grün der Wände, welches den Wiesen meiner Heimat gleicht, mischt sich mit
dem dunklen Blau des Teppichs und bildet ein harmonisches „Etwas“, ein „Etwas“,
welches mich, warum auch immer, an meine Kindheit erinnert.
Diese war unspektakulär, aber schön, geprägt von der uns umgebenden Natur, welche als
Spielfeld für alle nur erdenklichen Unternehmungen diente. Besonders gerne kletterte ich
auf Bäume, oft bis ganz nach oben, und versuchte die Wolken zu greifen – etwas vom
Himmel zu klauen. Dieses Unterfangen wollte jedoch nicht gelingen und so waren der
„Versuch“ und der „Misserfolg“ treue Begleiter meiner kleinen Diebestouren.
Ich reiße mich zusammen.
Die Bücher und Magazine sind ordentlich gestapelt, „der Spiegel“ ganz oben, etwas weiter
unten ein Frauenmagazin und direkt daneben ein bemitleidenswert ramponiertes
Kinderbuch, zerfleddert, aber noch lesbar. Der ganze Raum wirkt wie von pedantischen
Händen geformt - die Ordnung erzwungen, gegen den Willen der Natur – wie mein
Entschluss!
Ich empfinde mich als Fremdkörper in dieser Ordnung, als Eindringling. Eingedrungen in
diese mir fremde Welt um Schutz zu suchen vor meinem altbekannten Besucher. Wie
jeder ehrbare Gast kündigt er sich immer an.
Erst der Anruf. Pfeifen im Ohr, hartnäckig, geduldig und unnachgiebig.
Danach das Klopfen an meiner Tür. Die Herzfrequenz steigt, das Blut pocht in den Ohren.
„Tock,tock“, „tock,tock“.
Dann das Wiedersehen. Die Umarmung. Eingehüllt in Schmerzen stehe ich da und lasse
die Begrüßung zu. Kann mich nicht wehren. Diese fällt nicht kurz aus, dafür kennen wir
uns zu lange. Nein, sie scheint mir wie eine Ewigkeit - gefangen in der Spirale der Qual,
der Unerträglichkeit des Augenblickes.
„Frau Krüger, Sie dürfen eintreten“.
Ich war immer ganz klein, er ganz groß. Ich ein Niemand, er alles – seit meiner Kindheit,
seit meinen Versuchen die Wolken zu fangen.
„Bleiben Sie bei Ihrer Entscheidung, Frau Krüger? “
Das ständige Gefühl vernichtet zu werden, nun schon 30 Jahre lang, immer und immer
wieder. Mein Gast, der Vernichtungsschmerz, ein Wort, welches so schrecklich klingt, aber
gar nichts beschreibt.
Mein Spiegelbild im Wasserglas. Auch wenn blass, wirke ich doch entschlossen, bestimmt,
- ich habe die Entscheidung getroffen, meine Entscheidung.
Ich verabschiede mich. Ein letztes Mal.
Ich unterschreibe.
Ich trinke.
Nichts
Bern, 23.04.2003