1 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Der Taktstock in

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Der Taktstock in Führungsfragen
Spitzenmanager dirigieren ein Sinfonie-Orchester
AutorIn:
Anja Kempe
Redaktion:
Ellinor Krogmann
Regie:
Anja Kempe
Sendung:
Freitag, 29. Juli 2016 um 10.05 Uhr in SWR2
Wiederholung aus 2014
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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MANUSKRIPT
ATMO / ORCHESTER STIMMT INSTRUMENTE
0-TON CHRISTIAN F.:
Ei, ei, ei. Ich glaube, ich werde schon etwas nervös, muss ich sagen.
AUTORIN:
Christian F. ringt sich ein Lächeln ab. Spitzenmanager ist er und verantwortlich für
den österreichischen Standort eines international agierenden amerikanischen
Technologie-Konzerns. Jahrsumsatz 13 Milliarden Dollar.
0-TON CHRISTIAN F.:
Ich dachte, die Halle ist etwas kleiner, und das Orchester ist etwas kleiner,
momentan bin ich tief beeindruckt. Und ziemlich nervös.
AUTORIN:
Mit ihm haben sich weitere zehn Topmanager aus ganz Europa im Konzertsaal des
Kongresszentrums Pforzheim versammelt. In zwei Tagen sollen sie lernen, ein
Sinfonie-Orchester zu dirigieren.
ATMO / 0-TON MANAGER:
We came here to be better leaders.
0-TON MANAGER:
Really hard stuff!
0-TON MANAGERIN:
Ich bin neugierig, auf welche Dinge das Orchester reagiert. Mal ein ganz anderer
Zugang! LACHT
AUTORIN:
Der Höhepunkt für die Teilnehmer ist es, eine Mozart-Sinfonie zum Klingen zu
bringen. Das einmalige Erlebnis mit den Musikern soll die Führungsqualitäten der
Manager verbessern. Das Orchester ist bereit.
ATMO SINFONIE-ORCHESTER SPIELT AN
MUSIK
ATMO SEMINARRAUM / 0-TON SEBASTIAN TEWINKEL
AUTORIN:
Bevor die Spitzenmanager das erste Mal einen Taktstock in die Hand nehmen und
vor die Musiker treten, gibt es im Seminarraum neben dem Konzertsaal einen CrashKurs im Dirigieren. Sebastian Tewinkel, Chefdirigent des Pforzheimer SinfonieOrchesters und Professor für Orchesterleitung an der Musikhochschule Trossingen,
führt die Führungskräfte in die Kunst der Orchesterführung ein. In der Mitte des
Raumes sitzt ein Pianist an einem Elektro-Klavier.
ATMO PIANIST SCHLÄGT „SCHWÄBSCHE EISENBAHN“ AN AUF E-KLAVIER
2
AUTORIN:
Die Aufgabe lautet, eine Tonleiter zu gestalten. Langsam, schnell, laut, leise.
ATMO SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT REDET UND DEMONSTRIET
TONLEITER
AUTORIN:
Mit 2.300 Euro Gebühren pro Person, zählt das Event zu den hochpreisigen
Veranstaltungen, die in der Szene der Manager-Trainings angeboten werden. Doch
einmal im Leben ein Orchester zu dirigieren, ist vielleicht attraktiver, als zwei Tage
lang theoretische Konzepte der Personalführung am Flipchart anzustarren.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Die Zielgruppe sind Führungskräfte auf der obersten Ebene, die sich selber
beobachten möchten, die ein einzigartiges Feedback bekommen wollen. Das sind
nicht Leute, die mal dirigieren wollen.
AUTORIN:
Martin Salzwedel ist Coach für Führungskräfte in Europa, Indien, China und Japan.
Er hat das Seminar ‚Dirigieren für Führungskräfte und Unternehmer’ initiiert.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Sie werden überrascht sein. Weil, man mag es kaum glauben, aber jede einzelne
Person vor dem Orchester produziert einen anderen Klang. Und das findet sowohl im
Orchester, als auch in der Wirtschaft statt. Da gibt es keinen Unterschied.
0-TON CHRIATIAN F.:
I can not read the notes.
AUTORIN:
Der Manager Christian F. kratzt sich am Kopf - ein großgewachsener, stämmiger
Mann Mitte 40. Er ist studierter Maschinenbauingenieur. Aber mehr als mit
Maschinen hat er mit Menschen zu tun, mit einer Hundertschaft, an deren Spitze er
steht.
0-TON CHRISTIAN F.:
Grundsätzlich bin ich ergebnisorientiert. Man hat eine Mannschaft zur Verfügung, mit
dieser Mannschaft muss man eine Aufgabe erfüllen, und ich sehe es für mich als
Vorgesetzter die Herausforderung, aus jedem das Bestmögliche herauszuholen, und
diese Fähigkeiten in eine koordinierte Richtung zu führen. So dass am Ende des
Tages was Gescheites bei rauskommt. Und morgen wird das für mich genauso sein,
dass ich bei jedem Musiker das raus bringe, was ich gern hätte.
AUTORIN:
Christian F. ist optimistisch. Denn dirigieren muss er schließlich jeden Tag.
0-TON CHRISTIAN F.:
Schief gehen kann gar nicht so viel. Für mich wird’s interessant zu sehen, ob ich
diesen Herrschaften das abringen kann, was ich gerne hätte, das wäre meine
persönliche Vorstellung.
3
ATMO / E-KLAVIER / 0-TON SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Very good.
AUTORIN:
Fest auf beiden Beinen stehen, das sei die wichtigste Grundlage für alle Dirigenten
dieser Welt, erklärt Sebastian Tewinkel, der Dirigenten-Trainer.
0-TON SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Man merkt, dass die aus dem oberen Management-Bereich kommen und wissen,
was sie wollen. Und es ist dann interessant, wie im Augenblick des Einsatzes der
eine oder andere ein bißchen zögert in einer Situation, die sie völlig überfordert
eigentlich. Aber das gehört zum Konzept, dass man ins kalte Wasser geworfen wird
und dann das Beste aus der Situation macht.
ATMO E-KLAVIER
AUTORIN:
Sanfte Handbewegungen verdeutlichen leise Töne, und mit etwas zackigeren
Schlägen werden dem Orchester laute Töne entlockt. Zwar gibt es nicht ‚das
korrekte’ Dirigieren, das für alle Dirigenten verbindlich ist, doch ein paar elementare
sogenannte Schlagfiguren sollten beherrscht werden. Den Managern leuchtet das
ein. Ohne Regeln geht es nicht.
0-TON DANIELA B.:
Du musst irgendwo deine Linie haben, und dein Team muss auch wissen, woran sie
sind mit dir. Insofern ist auch das Dirigieren eine klare Ansage, und das ganze
Orchester weiß, ich möchte das genau so und so machen.
AUTORIN:
Daniela B. ist Biotechnologin und Leiterin einer medizintechnischen Abteilung. Um
die 40 ist sie, groß und schlank, perfekt sitzender schwarzer Hosenanzug, lange
schwarze Haare, in Locken gelegt.
ATMO / E-KLAVIER / TONLEITER / SCHRÄG
AUTORIN:
Die Managerin wippt auf den Zehenspitzen.
ATMO
SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
What was your intention?
DANIELA B.:
That is’ the point. I don’t really know.
AUTORIN:
Soll es laut oder leise klingen? Daniela B. zuckt mit den Schultern. Das ist
eine gute Frage.
ATMO E-KLAVIER LAUT UND HEFTIG
4
0-TON
SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
If you want it softer, You can do like a butterfly. Just try to fill it …
DANIELA B.:
… With some idea.
AUTORIN:
Jeder Ton braucht einen Ausdruck. Das ist die Lektion für die Manager. Besonders
musikalisch müssen sie dabei gar nicht sein, meint Martin Salzwedel.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Man muss weder Noten lesen noch ein Instrument spielen können, es geht einfach
nur darum, dass man ausdrücken kann, was innerlich in einem vor sich geht. Und
innerhalb von fünf Sekunden wird das deutlich, ob er das kann oder ob er das nicht
kann. Und der kriegt einfach die Anweisung, zeigen Sie doch ihre Gefühle. Warum
zeigen Sie denn das den Leuten nicht? Wie, das kann ich den Leuten zeigen? Hat
mir nie einer gesagt. Der hat zwanzig Jahre lang schon irgendwelche Coaches
gehabt, die ihm gesagt haben, Mensch, sei doch einfach mal ein bißchen natürlicher,
zeig’ doch mal, wie du wirklich bist, mach’ dein Herz auf, und der arme Kerl wusste
nie, was soll denn das heißen.
Ich bin auch total gespannt schon, jetzt, wo ich die Leute kennen gelernt habe, wie
die morgen alle klingen werden.
MUSIK
ATMO KONZERTSAAL / MUSIKER STIMMEN INSTRUMENTE
AUTORIN:
Am Morgen nach dem Frühstück erwartet das Orchester die Leute aus der
Wirtschaft.
In der Ecke, an einer der Türen des Konzertsaals, stehen Christian F. und Daniela B.
.
0-TON DANIELA B.:
Wir werden gleich das erste Mal in unserem Leben ein Orchester dirigieren. LACHT
0-TON CHRISTIAN F.:
Wird interessant. Also bin schon gespannt, wie das jetzt wird.
AUTORIN:
Aufgeregt wirken die beiden Spitzenmanager.
0-TON DANIELA B.:
Nein, wir haben ja nichts, was wir erreichen müssen! Das ist einfach nur der
Erfahrung wegen. Das ist eher neugierig als aufgeregt. LACHT
0-TON CHRISTIAN F.:
Wir werden das schaffen. Bin überzeugt, wir werden es hinkriegen. Hoffentlich.
AUTORIN:
Christian F. wirft einen furchtlosen Blick durch den Konzertsaal. Auch die anderen
Teilnehmer zeigen Haltung.
5
ATMO / REDET MIT TEILNEHMER
AUTORIN:
Der Auftritt macht die Musik, erläutert Martin Salzwedel, der Manager-Coach.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Schon wenn die zum Dirigentenpult gehen, die Art, wie sie dorthin gehen, beeinflusst
schon den Klang des Orchesters. Und das ist bei jeder einzelnen Persönlichkeit
anders.Also wenn einer mit zackigem Schritt anmarschiert kommt, entsprechend
klingt das Orchester.
ATMO / ORCHESTER
AUTORIN:
Der erste Kandidat positioniert sich vor dem Orchester. In würdiger Feierlichkeit
nimmt er den Taktstock vom Pult.
Bevor der Traum, eine Mozart-Sinfonie zu dirigieren, in Erfüllung geht, müssen alle
Seminarteilnehmer sich an dem Volkslied von der ‚Schwäb’schen Eisenbahn’
probieren. Der Kandidat schlägt vorsichtig den Takt an.
ATMO / ORCHESTER SPIELT ‚SCHWÄB’SCHE EISENBAHN’ / SCHLEPPEND
AUTORIN:
Jeder Dirigent hat, genau wie jeder Manager, seinen eigenen Stil, weiß Sebastian
Tewinkel, der Trainer.
0-TON SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Es gibt einen Bummelzug, der ganz langsam fährt, es gibt eine S-Bahn, die an jeder
zweiten Ecke hält, und es gibt einen Güterzug, der rumpelt, es gibt einen ICE, der
dahin saust, die dann durch das Dirigat gezeigt werden.
ATMO / ORCHESTER / 0-TON TRAINER:
Let them play!
CHRISTIAN F.:
Okay.
AUTORIN:
Der Maschinenbauingenieur Christian F. stemmt den Taktstock in die Luft. Auch
Bauch und Hüfte kommen zum Einsatz.
ATMO / ORCHESTER / ‚SCHWÄB’SCHE EISENBAHN’ / SEHR RUMPELIG
0-TON TEWINKEL:
My favorit is the transport-train!
CHRISTIAN F.:
Okay!
TEWINKEL:
You put your energy on the right place and don’t waste it here and here.
CHRISTIAN F.:
Hmm. SCHNAUFT
6
AUTORIN:
Keine Energie unnötig verschwenden, sondern gezielt einsetzen, mahnt Sebastian
Tewinkel. Christian F. nickt. Erschöpft sieht er aus.
0-TON CHRISTIAN F.:
Ich bin überrascht, wie anstrengend dirigieren ist. Also das sieht im Fernsehen so
leicht und spielerisch aus und man denkt sich, mein Gott, der Kerl da vorn, was
macht der, das schaut so easy aus, aber das ist wirklich harte Arbeit. Das hat mich
überrascht. Also mehr, glaube ich, geht nicht.
ATMO / ORCHESTER SPIELT ‚SCHWÄB’SCHE EISENBAHN’ / SEHR SCHRÄG
0-TON SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Es gibt welche, die stellen sich hin, stehen auf einem Fuß, neigen den Oberkörper
nach vorne, wenn sie den Einsatz geben, gehen sie in die Knie, werfen den Kopf
nach hinten, zucken mit den Schultern mit und geben dadurch so viel Information,
dass man als Musiker nicht genau weiß, wo soll ich jetzt eigentlich hingucken, auf die
einknickenden Knie, auf die Hüfte, die mit raus schnellt, dass eigentlich das, was
man will, gar nicht richtig raus kommt.
AUTORIN:
Einer der Topmanager stellt sich vor dem Orchester auf und hebt den Zeigefinger.
ATMO / ORCHESTER SPIELT ‚SCHWÄB’SCHE EISENBAHN’ / SEHR MAGER
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Je höher die sind in einem Unternehmen, desto dünner wird die Luft.
AUTORIN:
Spitzenmanager bemerken oft nicht, welche Fehler sie machen, weiß Martin
Salzwedel.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Je weiter oben Sie sind, umso weniger ehrliches Feedback bekommen Sie, man sagt
es vielleicht noch zu dem, der auf gleicher Ebene ist, aber nicht zu dem, der eine
Ebene höher ist. Das sagen ja auch viele. Das ist eine Position, die ist einsam, und
teilweise ist das auch für das Unternehmen gefährlich, wenn da kein ehrliches
Feedback mehr kommt. Man sieht das erst, wenn die wichtigen Mitarbeiter plötzlich
gehen. Das ist dann ein Riesenwarnsignal, wenn wichtige Schlüsselleute, die
wichtiges Know-How haben, die Firma verlassen, und dann ist es in der Regel zu
spät. Das ist dann ein ehrliches Feedback. Und was normalerweise nie gespiegelt
wird, kriegen sie hier sofort gespiegelt. Also man kann direkt sagen, das Feedback
kommt innerhalb von wenigen Sekunden, das ist sehr effizient.
MUSIK
AUTORIN:
Eine halbe Stunde Unterbrechung zum Kraft holen haben die Dirigenten im Training.
Gleich müssen sie fit sein für den Höhepunkt ihrer Dirigentenlaufbahn, die MozartSinfonie.
7
ATMO ATEMÜBUNG
AUTORIN:
Im Foyer des Konzertsaals werden Atemübungen angeboten. Wer möchte, kann
daran teilnehmen. Die Opernsängerin Nina Amon führt das Training durch.
0-TON NINA AMON / OPERNSÄNGERIN:
Es geht darum, die körperlichen Aspekte des Dirigierens, des Stehens vorm
Orchester, das Integrieren von Atem in Geste, separat noch mal zu üben. Das hilft
den Leuten, in ein bestimmtes Standing zu kommen, vorm Orchester eine Ruhe zu
kriegen, und was sie im Kopf haben, was sie umsetzen wollen, klarer zeigen zu
können körperlich. Je bewusster ich mit Gesten und Atem umgehe, desto mehr kann
ich zeigen.
ATMO ATEMÜBUNG
AUTORIN:
Dirigenten, die nicht gut atmen, sind nicht beliebt bei den Musikern, berichtet der
Konzertmeister des Sinfonie-Orchesters Friedemann Breuninger.
0-TON FRIEDEMANN BREUNINGER / KONZERTMEISTER / ERSTE GEIGE:
Vom Handwerklichen würde ich sagen, es gibt Dirigenten, die mit ihren Bewegungen
atmen, wo die Bewegung mit dem Atmen koordiniert ist, und denen zu folgen, ist
sehr viel einfacher als Dirigenten, die alles vom Kopf her machen, und wo die
Bewegungen zwar sehr intelligent gesteuert sind, aber nicht mit dem Atmen
koordiniert sind. Denen ist sehr viel schwerer zu folgen.
Atmung entsteht natürlich, wenn sie bewusst eingesetzt wird, ist sie schon wieder
nicht natürlich, sondern Atmung ist im Grunde ein ganz natürlicher Ausdruck, wir alle
müssen atmen, und jedes Stück braucht eine andere Atmung. Es gibt sehr ruhige
Stücke, die eine Art meditative Atmung brauchen, und dann gibt’s Stücke, wo man
grad noch so hinterher kommt mit dem Atmen, und die ihren Geist dadurch erst
bekommen, indem dieses Atmen so an der Grenze ist, dass man grad noch Luft
bekommt, aber atmen muss irgendwie mit der Musik verbunden sein.
Und Dirigenten, die gut sehr rüber kommen oder beim Orchester gut ankommen,
haben immer eine sehr gute Atmung.
ATMO KLINGEL / KONZERTSAAL
AUTORIN:
Ende der Atempause. Christian F. macht eine ernste Miene. Auf den Pulten der
Musiker liegen die Noten. Mozart-Sinfonie Nr. 29, A-Dur, erster Satz.
0-TON CHRISTIAN F.:
Jetzt geht’s wirklich ans Eingemachte. Aber wir werden es schaffen, ich bin
überzeugt.
AUTORIN:
Viele hier im Ensemble üben nicht zum ersten Mal mit Leuten aus der Wirtschaft das
Dirigieren, berichtet die Violinistin Ariane Volm.
8
0-TON GEIGERIN 1:
Was mich besonders fasziniert, ist, die unterschiedlichen Stärken der einzelnen
Leute zu sehen, da ist jetzt gerade eine Unsicherheit, und dann ist er plötzlich wieder
da und nimmt es wieder in die Hand. Es gibt die Leader-Typen, die an den richtigen
Stellen lernen.
ATMO
AUTORIN:
Einer der Kandidaten stellt sich auf.
ATMO / KLATSCHEN / ORCHESTER SPIELT MOZART / SEHR SCHRÄG
0-TON SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Der Punkt ist, haben sie eine klare Vorstellung und spüren sie das innere Bedürfnis,
diese klare Vorstellung auf das Ensemble zu übertragen. Das ist der Wille, das ist
das wichtigste, die Fähigkeit, eine Entscheidung zu treffen.
AUTORIN:
Sebastian Tewinkel beobachtet genau. Was macht der Dirigent da, und wie
reagieren die Musiker.
0-TON SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Es gibt Leute, die Haudrauf-Typen sind und die sich vor das Orchester stellen und
sofort sagen, zack, so geht’s, die überhaupt keine Hemmungen haben. Und das sind
schon Leute, die wissen, was sie wollen und die viel erreichen können. Da kann man
natürlich an der Art und Weise, wie sie das erreichen noch ein bisschen rumfeilen,
aber schon so Machertypen, die gibt es. Und das ist genauso im Managerleben, weiß
ich genau, was ich will, in welche Richtung ich mit dem Unternehmen gehen möchte,
und wo muss ich genau eingreifen, um diesen Weg so zu beschreiten.
ATMO ORCHESTER
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Sie müssen mit den Mitgliedern des Orchesters eine Beziehung aufnehmen, das
rettet einen immer.
AUTORIN:
Überall gehe es um Beziehungen, in der Musik und auch in der Wirtschaft, erklärt der
Manager-Coach Martin Salzwedel.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Die Qualität des Weges zu einem Ziel bestimmt sehr stark, wie man das Ziel erlebt.
Ist die Arbeit gut? Es gibt ja immer eine klare Strategie, was das Unternehmen will,
und das wird an den Zahlen abgelesen. Das heißt aber nicht, dass das auf
anständige Weise zustande gekommen ist. Wenn mit viel Druck Ziele durchgedrückt
werden, dann ist zwar hinterher das Ergebnis erreicht, aber es sind auch viele
Menschen, da bleibt sicherlich sehr viel auf der Strecke.
MUSIK
9
ATMO SEBASTIAN TEWINKEL / DANIELA B.
AUTORIN:
Daniela Buchmayr hebt den Taktstock. Wie ein Säbel rasselt er durch die Luft.
Kraftvoll soll es klingen. Und laut.
ATMO / ORCHESTER SPIELT MOZART / SEHR DURCHEINANDER
0-TON
TEWINKEL:
Power. Give it to me.
DANIELA B.:
Yes.
TEWINKEL:
Lets play faster, it don’t working.
DANIELA B.:
Okay.
AUTORIN:
Mit allen Mitteln um Lautstärke zu betteln, funktioniert nicht, weiß der DirigentenTrainer. Eine kleine Geste genügt. Beispielsweise das Hochziehen der Augenbrauen.
0-TON TEWINKEL:
Ask your body-language. Look a little bit angry.
AUTORIN:
Daniela B. rauft sich die Haare.
0-TON DANIELA B.:
Am Anfang hab’ ich noch das Gefühl gehabt, ich kann das steuern, dem Orchester
klar zu machen, was ich möchte.
AUTORIN:
Das Gefühl kommt ihr bekannt vor, meint sie.
0-TON DANIELA B.:
Das ist eigentlich genau dasselbe beim Berufsleben wie beim Dirigieren. Okay,
warum hat das Orchester so reagiert? Was war nicht klar? Diese ganzen
Kleinigkeiten, manche Menschen, die allein mit der Mimik das Orchester steuern.
Wenn man mit jemandem spricht, bemerkt man ja gar nicht all diese Bewegungen.
Und wir haben sozusagen unseren Translater dazwischen. Im Berufsleben haben wir
den nicht dazwischen. LACHT
ATMO ORCHESTER
0-TON CHRISTIAN F.:
Diese Erkenntnis, was passiert bei meinem Gegenüber, wenn ich eine
Handbewegung mache, wenn ich ein Wort sage, das ist für mich ganz wichtig.
10
AUTORIN:
Christian F. trinkt einen Schluck Wasser. Er hat sich neben die erste Geige
gestellt und wartet, bis er an der Reihe ist. Gleich wird er Mozart zum Klingen bringen
– und an die gelernten Lektionen denken.
0-TON CHRISTIAN F.:
Ich bin grundsätzlich ein sehr emotionaler Mensch, neige oft dazu, in Worten und
Taten ein wenig über die Stränge zu hauen, und in der Sekunde, wo ich etwas sage,
denke ich mir, ei ei, das wäre jetzt vielleicht besser gewesen, hätte man es ein
bißchen anders formuliert.
ATMO ORCHESTER
0-TON GEIGERIN 1:
Ich denke, es ist tatsächlich die Führungsart, die man an den Tag legt. Wenn ein
Zeichen nicht deutlich war, dann spielen die zweiten Geigen ein bisschen früher als
die ersten. Dann geht’s auseinander.
AUTORIN:
Manchmal spüren die Musiker bloß, was der Manager am Dirigentenpult wohl
meinen könnte, erläutert die Violinistin Ariane Volm.
0-TON GEIGERIN 1:
Aber es ist manchmal für ein Orchester wichtiger, da steht einer, der nicht
hundertprozentig den Takt schlägt, sondern wenn der Dirigent die Begeisterung
rüber bringt, ist ein Orchester tausendmal dankbarer, es ist für uns viel schöner, wir
sehen in ein Gesicht, das begeistert ist von dem, was hier grad passiert, dann sind
wir es auch. Das ist für uns ’ne Freude, so zu musizieren.
ATMO
AUTORIN:
Der Manager Christian F. konzentriert sich. Er schaut die erste Geige an und
peitscht den Taktstock durch die Luft.
ATMO / ORCHESTER SPIELT MOZART KURZ / BRICHT AB
0-TON
CHRISTIAN F.:
It’s so hard.
TEWINKEL:
I Know. At once.
AUTORIN:
Noch einmal das Ganze.
ATMO / ORCHESTER SPIELT MOZART
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
Jeder zählt. Auch der am letzten Pult. Der Dirigent muss wirklich jeden mitnehmen.
11
AUTORIN:
Der Dirigent muss das ganze Orchester ansprechen, nicht nur die erste Geige,
erklärt Martin Salzwedel, der Manager-Coach. Aber nicht bloß um Anweisungen mit
dem Taktstock geht es. Der Dirigent muss auch delegieren können.
0-TON MARTIN SALZWEDEL / SEMINARLEITER:
In der klassischen Musik ist es ja so, dass das Tempo durchläuft, das läuft ja weiter.
Das Orchester könnte jetzt auch alleine spielen. Dann sagen wir den Leuten, ziehen
Sie sich bitte zurück. Das ist also analog dazu im Unternehmen, Sie delegieren eine
Aufgabe. Und Sie können sofort sehen, ob jemand Schwierigkeiten hat beim
Delegieren oder nicht. Manch einer kann einfach nicht loslassen. Man merkt an der
angespannten Körperhaltung, an dem wippenden Kopf, an den hochgezogenen
Schultern, er hat nicht losgelassen. Er hält immer noch fest und möchte am liebsten
noch eingreifen. Genauso umgekehrt. Wenn wir dann die Aufgabe geben, so, jetzt
bitte wieder eingreifen und das Tempo anziehen, dann haben die wahnsinnige
Schwierigkeiten, wieder einzugreifen. Sie kommen nicht rein.
ATMO ORCHESTER
MUSIK
AUTORIN:
Der Dirigenten-Trainer schaut Christian F. an.
0-TON
SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Okay, Sie haben abgewunken, so nennt man das, wenn man den Ton beendet, und
es war nicht klar, soll der Ton beendet werden.
CHRISTIAN F.:
Hmm.
SEBASTIAN TEWINKEL / DIRIGENT:
Ganz einfacher Trick, nicht annähernd nach unten schlagen, sondern nur nach
außen. Abschlagen. Das ist alles. Sonst ist es super. Sie sind völlig bodenständig
und hauen das runter. Sie haben wirklich überhaupt keine Angst.
CHRISTIAN F.:
Vielen Dank.
AUTORIN:
Der Manager wischt sich den Schweiß von der Stirn.
0-TON CHRISTIAN F.:
Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich hab’ diesmal wirklich Angst gehabt
vorher. Habe ich gedacht, ojeh, das wird bitter enden, muss ich ganz ehrlich sagen.
AUTORIN:
Ein ganzes Orchester zu führen, ist eine harte Nummer, weiß der Spitzenmanager.
0-TON CHRISTIAN F.:
Alle, die mich kennen, kennen mich eher als resoluten dominanten Menschen, der
sich grundsätzlich vor nix fürchtet und den nix so schnell aus der Bahn werfen kann,
und ich hatte wirklich feuchte Hände und zittrige Knie, wie ich das erste Mal da vor
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das Orchester gegangen bin. Und wenn man bewusst in die Augen der Musiker
geblickt hat, die haben alle gewartet, was macht er jetzt? Was kommt? Das war so,
komm, zeig’s uns! Und da hab’ ich mir gedacht, puh, das wird ein Desaster.
AUTORIN:
Christian F. hat einiges gelernt, meint er.
0-TON CHRISTIAN F.:
Zu sehen, dass oft eine Kleinigkeit irrsinnig viel bewegen kann, und selbst in einem
Moment der größten Unsicherheit bewusst auf die Gestik zu achten, das ist für mich
der wichtigste Output, zu sehen, wie die Leute drauf reagieren.
AUTORIN:
Er möchte seine neuen Erfahrungen mitnehmen in seinen Manager-Alltag. Dirigieren
mit Entscheidungskraft, Verantwortung und Sinn für das Ganze und das
Zusammenspiel. Das Resümee der Veranstaltung ‚Dirigieren für Führungskräfte’
zieht eine Geigerin.
0-TON GEIGERIN 2:
Also ich habe gesehen, es gibt führende Seite, und es gibt Seite, die mitmacht. Und
das heißt für uns, für das Orchester, wenn die Dirigenten uns spielen lassen, dann
entsteht auch was Neues, und dann kann man viel erreichen.
ATMO ORCHESTER
13