10 Jahre Cooperatives Europe

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10 Jahre
Cooperatives Europe
Immer mehr Politikbereiche werden
heute von den komplexen Entscheidungsverfahren auf europäischer Ebene
geprägt. EU-Richtlinien und -Verordnungen geben bei vielen Themen vor, was
(und ggf. wie) in der nationalen Gesetzgebung geregelt werden soll. Nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl von Akteuren
und Entscheidungsebenen in Brüssel
hat die Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit über die genossenschaftlichen
Interessen eine große Bedeutung. Wie
auf nationaler Ebene muss auch hier
für ein besseres Verständnis des genossenschaftlichen Unternehmens- und
Wirtschaftsmodells aber insbesondere
auch für eine für KMU angemessene
Regulierung geworben werden. Diese gebündelte Interessenvertretung ist
wesentliche Aufgabe von Cooperatives
Europe. Der europäische Genossenschaftsverband feiert in diesem Jahr
sein 10-jähriges Bestehen.
176.000 Genossenschaften,
mehr als 140 Mio. Mitglieder
Cooperatives Europe ist der Dach­
verband von nationalen Genossenschaftsorganisationen und den genossenschaftlichen Sektorenverbänden in
Europa, wie z. B. der Landwirtschaft
(COGECA), dem Bankensektor (EACB)
oder der Wohnungswirtschaft (CECODHAS). Die europäischen Interessenvertretungen für diese Wirtschaftssektoren bestehen schon seit mehreren
Jahrzehnten.
Die gebündelte europäische Vertretung
aller Genossenschaften in Form eines
eigenen Vereins erfolgte hingegen erst
seit 2006 mit der Gründung von Cooperatives Europe (a. s. b. l.: Verein nach
belgischem Recht). Zu den nationalen
Mitgliedern gehören von deutscher Sei-
te der DGRV und der wohnungswirtschaftliche Dachverband GdW; der ZdK
ist assoziiertes Mitglied für die Konsumgenossenschaften. Insgesamt hat Cooperatives Europe 84 Mitglieder aus 34
Staaten. In diesem Jahr trat Israel bei.
Über seine Mitgliedsorganisationen repräsentiert Cooperatives Europe mehr
als 176.000 Genossenschaften mit
mehr als 140 Mio. Mitgliedern und 4,7
Mio. Arbeitsplätzen. Insgesamt setzt die
europäische Genossenschaftsorganisation gut 1.000 Mrd. Euro um. Und
die Zahl der Genossenschaften nimmt
weiter zu. Seit 2009 hat sich die Zahl
der Genossenschaften trotz der Finanzund Wirtschaftskriese um 12 Prozent
erhöht, in der gleichen Zeit stieg die
Anzahl der Mitglieder sogar um 14
Prozent, dies belegt die neueste Studie
„The power of cooperation“ (Download
unter coopseurope.coop). Dennoch ist
diese enorme wirtschaftliche Bedeutung
bei vielen (europäischen) Politikern und
Institutionen sowie in der Öffentlichkeit
wenig, bisweilen gar nicht bekannt.
Sichtbarkeit und
Interessenvertretung
Oberste Aufgabe von Cooperatives Europe ist es, die Sichtbarkeit der Genossenschaften in Europa zu erhöhen und
möglichst mit einer Stimme gegenüber
den EU-Institutionen zu sprechen. Mit
der zunehmenden Bedeutung Europas für die nationale Gesetzgebung
steigt auch die Bedeutung einer gemeinschaftlichen genossenschaftlichen
Interessenvertretung in Brüssel. Bei der
Interessenvertretung werden die branchenübergreifenden Themen bzw. mit
den Sektorenverbänden abgestimmte
Themen fokussiert.
Ein Beispiel hierfür ist die Verordnung
über das Statut der Europäischen Genossenschaft SCE aus dem Jahr 2003,
in deren Folge schließlich in Deutschland das Gesetz zur Einführung der
Europäischen Genossenschaft und zur
Änderung des Genossenschaftsrechts
eingeführt wurde. Hierbei ist es uns
gelungen, eine europäische genossenschaftliche Rechtsform zu schaffen und
zugleich die nationalen Besonderheiten in den Genossenschaftsgesetzen
(sofern vorhanden) zu erhalten. Dies
wurde auch deshalb erreicht, weil die
EU-Staaten mit ihrem europäischen
Dachverband Cooperatives Europe einheitlich gegenüber der EU-Kommission
auftreten konnten.
Die praxisnahe politische Positionierung
bei Cooperatives Europe setzt den fachlichen Austausch zwischen den nationalen Genossenschaftsorganisationen
und den Sektoren voraus. Hierzu gibt
es permanente Arbeitsgruppen, wie beispielsweise zu den Themen Rechnungslegung, Steuern oder Genossenschaftsrecht, die regelmäßig die Interessenvertretung koordinieren. Die Abstimmung
der politischen Positionen gegenüber
den EU-Institutionen erfolgt in einem
eigenen Gremium, dem EU-Coordination-Committee, in dem die wichtigsten
Mitgliedsländer der EU, aber auch die
Sektoren vertreten sind.
Besonders wichtig für eine effektive
Interessenvertretung ist die permanente
Vernetzung mit den politischen Institutionen in Brüssel. Hierzu wurde beispielsweise eine permanente Arbeitsgruppe mit der EU-Kommission und ein
Netzwerk von „genossenschaftsfreundlichen“ Mitgliedern des Europäischen
Parlaments eingerichtet, die regelmäßig
über Neuigkeiten aus den Genossen-
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schaften informiert werden. Dieser kontinuierliche Austausch ist wichtig, um
einen kurzen Draht zu den gesetzgebenden Institutionen in Brüssel zu haben,
wertvolle Kontakte zu knüpfen und die
Sichtbarkeit und Bedeutung der europäischen Genossenschaftsorganisation
zu erhöhen.
Schwerpunkte dieser Vernetzungs- und
Aufklärungsarbeit sind vielfältige Themen zur Mittelstandspolitik, aber auch
Fragen der Finanzierung oder der Bildung. Gerade in Südeuropa ist die
Finanzierung von Genossenschaften
ein großes Problem, deshalb werden
Alternativen zu (nicht zugänglichen)
Fremdkapital- und Kapitalmarktfinanzierungen entwickelt. Im Bildungsbereich
arbeitet eine Arbeitsgruppe an einem
Konzept, wie Genossenschaften besser im Bildungssystem berücksichtigt
werden können. Diesbezüglich hat die
EU-Kommission gerade ein Projekt zum
Thema „Genossenschaftliche Bildung
in Schulen und Universitäten und die
Gründung von Genossenschaften“ ausgeschrieben.
Austausch zwischen den
Ländern und Sektoren
Schließlich ist es Aufgabe von Cooperatives Europe, den Austausch zwischen
den Genossenschaftsorganisationen in
Europa zu fördern. Oftmals bestehen
in den einzelnen Mitgliedsstaaten die
gleichen Herausforderungen. Ziel ist es,
voneinander zu lernen und mehrfache
Entwicklungen zu vermeiden. Zuletzt
wurden Arbeitsgruppen zu den Schwerpunktthemen Energiewende, demographischer Wandel, Entwicklungszusammenarbeit oder auch unternehmerischer
Nachwuchs in der genossenschaftlichen Gruppe eingerichtet:
Europäischer Energiesektor
Wie in Deutschland wurden auch in
etlichen anderen EU-Ländern Energiegenossenschaften gegründet. Aber
auch für die etablierten genossenschaftlichen Branchen stellen sich viele Fragen zur Energiewende. Deshalb wurde
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vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe
für Energie und Umwelt ins Leben gerufen. Diese Arbeitsgruppe hat maßgeblich auch den neuen europäischen
Sektorenverband für Energiegenossenschaften REScoop bei der Gründung
unterstützt, der seither auch Mitglied
von Cooperatives Europe ist und auch
vom DGRV unterstützt wird.
Development Platform
Im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit wurde ebenfalls
eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung
des DGRV eingerichtet, die „Cooperatives Europe Development Platform“.
Die internationalen Aktivitäten der europäischen Genossenschaftsorganisationen wurden zusammengetragen und auf
einer gemeinsamen Internetseite veröffentlicht (ca. 250 Projekte auf https://
coopseurope.coop/development/).
EU-Projekt
Zur Förderung des weltweiten Genossenschaftswesens hat die EU-Kommission mit Cooperatives Europe und dem
Internationalen Genossenschaftsbund
ICA ein EU-finanziertes Projekt aufgelegt. Die Akquise dieses Projektes
geht auf vorhergehende erfolgreiche
Aktivitäten von Cooperatives Europe
zurück. Zum ersten Mal erkennt damit
die Kommission die weltweite Bedeutung nachhaltigen Wirtschaftens durch
Genossenschaften an. Das Projekt dient
der Schaffung neuer Genossenschaften
aber auch als Modell der Zukunftsabsicherung für KMU ohne Nachfolger.
Der sichere und angemessene Rechtsrahmen für Genossenschaften als Erfolgsfaktor ist z. B. ein Teilaspekt. In
den nächsten 5 Jahren steht hierfür ein
Budget von mehr als 10 Mio. Euro für
die internationale Projektarbeit bereit.
Young Cooperators Network
Zum Thema Nachwuchs bei Genossenschaften wurde ein europäisches Netzwerk von jungen Genossenschaftsmitarbeitern gegründet, das Young Cooperators Network. Ein wesentliches Anliegen
dieser internationalen Austauschplattform ist es, Impulse von jüngeren Ge-
nerationen für die eigenen etablierten
Organisationen zu erhalten, im Übrigen
auch für Cooperatives Europes selbst.
Europa braucht einen starken genossenschaftlich und unternehmerisch ausgerichteten Mittelstand. Dieser garantiert sichere Arbeitsplätze und schafft
Wohlstand durch einen soliden Beitrag
zum nationalen Steueraufkommen und
sorgt damit auch indirekt für das Gemeinwohl. Genossenschaftliche Unternehmen, wie Genossenschaftsbanken,
Agrargenossenschaften, gewerbliche
Genossenschaften, Konsum- oder
Arbeitergenossenschaften sind das
Rückgrat der mittelständischen Wirtschaft in allen Regionen Europas. Damit
ihre Stimme auch in den kommenden
Jahren Gehör bei den europäischen
Institutionen finden wird, werden wir
die gemeinsame Interessenvertretung
über Cooperatives Europe auch in der
Zukunft weiter stärken.
Ein Beitrag von
Dirk J. Lehnhoff,
Vorstand beim DGRV und
Präsident Cooperatives Europe
Cooperatives Europe
Cooperative House Europe
avenue Milcamps 105
B-1030 Brüssel
Geschäftsführung:
Agnès Mathis
coopseurope.coop