Tobias Neubauer 1373090 Die Harfner-Gesänge von F. Schubert, R. Schumann und H. Wolf Schriftlicher Teil der künstlerischen Masterarbeit in der Studienrichtung Klavier-Vokalbegleitung (V 066 715) Betreuung durch: Univ.Prof. Julius Drake Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Harald Haslmayr Inhalt Vorwort ........................................................................................................................ 3 Zur Entstehung von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ ...................................................... 4 Zu den Texten ............................................................................................................. 5 Die Gedichte................................................................................................................ 5 Schuberts Vertonungen ............................................................................................... 7 Schumanns Vertonungen ............................................................................................ 9 Wolfs Vertonungen .................................................................................................... 11 Vorwort Im Zuge meines Studiums sowie während der Vorbereitung auf Wettbewerbe und Konzerte beschäftigte ich mich immer wieder mit Vertonungen von Texten Johann Wolfgang von Goethes. Dabei stieß ich natürlich auch auf Wilhelm Meister und Franz Schuberts, Robert Schumanns und Hugo Wolfs intensive Auseinandersetzung mit ebendiesem Roman, die durch zahlreiche Lieder für die Nachwelt dokumentiert blieb. Neben diversen anderen Texten vertonten sie alle auch drei Gedichte des Harfners: Wer sich der Einsamkeit ergibt, Wer nie sein Brot mit Tränen aß und An die Türen will ich schleichen. Von allen drei Interpretationen dieser Texte war ich zutiefst beeindruckt und beschloss daher mich ihnen in der vorliegenden Arbeit zu widmen. Nach einem kurzen Überblick zur Entstehungsgeschichte des Wilhelm Meister sowie Informationen zu den drei Texten bildet die musikalische Analyse der Lieder den Hauptteil des schriftlichen Teils meiner künstlerischen Masterarbeit. Sie soll einen Vergleich der musikalischen Annäherung der Komponisten an die Person des Harfners ermöglichen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Liedern erkennbar werden lassen. Zur Entstehung von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ Durch Tagebucheintragungen und Briefe lässt sich belegen, dass Johann Wolfgang von Goethe seine Arbeit an Wilhelm Meister im Jahr 1777 beginnt. So schreibt er beispielsweise im Oktober dieses Jahres an Charlotte von Stein: „Gestern Abend hab‘ ich einen Salto mortale über drei fatale Kapitel meines Romans gemacht, vor denen ich schon so lange scheue; nun da die hinter mir liegen, hoff‘ ich den ersten Teil bald ganz zu produzieren.“ Im Januar des folgenden Jahres stellt Goethe das erste Buch des Theaterromans fertig. Es sollten einige Jahre vergehen, ehe im August beziehungsweise im November 1782 das zweite und dritte Buch zur Vollendung gebracht werden und auch erstmals in einem Brief des Autors der Titel Wilhelm Meisters theatralische Sendung erwähnt wird (Bahr, 2000, S. 252ff). Nachdem er zwischen November 1783 und November 1785 die Bücher vier bis sechs zur Fertigstellung brachte, ließ Goethe seine Arbeit am Wilhelm Meister abermals für einige Jahre ruhen. Nach seiner Italienreise und der Arbeit an anderen Werken und seinen naturwissenschaftlichen Untersuchungen finden sich in einem Notizbuch aus dem Jahr 1793 Eintragungen zur Umstrukturierung seines Romans. Im Mai 1794 unterzeichnet Goethe einen Vertrag mit seinem Berliner Verleger und arbeitet daraufhin bis Februar 1795 die sechs Bücher der Theatralischen Sendung zu den ersten vier Büchern der Lehrjahre um. Aus dem bereits vorhandenen Entwurf des siebenten Buches des Ur-Meisters werden die Bücher fünf und sechs, bevor im Januar und Juni 1796 das siebte sowie das achte und letzte Buch vollendet werden (ebenda). Hervorzuheben ist Friedrich Schillers Mitwirkung an der Entstehung des Romans. Mit Ausnahme des ersten schickte Goethe alle Bücher vor dem Abdruck an Schiller. In einem Brief vom 9. 7. 1796 schreibt Goethe an Schiller: „Indem ich Ihnen, auf einem besondern Blatt, die einzelnen Stellen verzeichne, die ich, nach Ihren Bemerkungen, zu ändern und supplieren gedenke, so habe ich Ihnen für Ihren heutigen Brief den höchsten Dank zu sagen, indem Sie mich, durch die in demselben enthaltnen Erinnerungen, nötigen auf die eigentliche Vollendung des Ganzen aufmerksam zu sein.“ (Bahr, 2000, S. 284). Zu den Texten Zwei der drei Gedichte des Harfners erscheinen bereits in Johann Wolfgang von Goethes Urfassung des Wilhelm Meister, der Theatralischen Sendung. Sowohl Wer nie sein Brot mit Tränen aß als auch Wer sich der Einsamkeit ergibt sind im Kapitel 13 des 4. Buch zu finden. Somit lassen sich diese Texte auf die Zeit um den November 1783 datieren. Im 1795/96 erschienen Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre tauchen beide Gedichte dann im 13. Kapitel des zweiten Buchs auf. Im 14. Kapitel des fünften Buchs stößt man dann auch erstmalig auf An die Türen will ich schleichen (Dürr et al., 2013, S. 376ff). Außerdem findet man ab dem Jahr 1815 die Harfner-Gedichte gemeinsam mit Liedern Mignons und dem der Philine in der Gesamtausgabe der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung in dem Abschnitt Aus Wilhelm Meister (ebenda). Die Gedichte Bezüglich der Stellung der Harfner-Gedichte in den Lehrjahren äußert sich Kreutzer wie folgt: „In die Romanhandlung sind die drei Gesänge quasi linear eingestellt und können als verdichtende Heraushebung einzelner Momente angesehen werden, die in erster Linie auf die Geschichte Wilhelms verweisen.“ (Dürr et al., 2013, S. 377) Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß, Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte! Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr lasst den Armen schuldig werden, Dann überlasst ihr ihn der Pein; Denn alle Schuld rächt sich auf Erden. Sowohl die vergleichsweise simple Wortwahl, als auch der schnörkellose Satzund Versbau verdeutlichen in diesem Gedicht meiner Meinung nach die verborgene, tief empfunden Schuld des Harfners und seinen Zorn über die Ungerechtigkeit der „himmlischen Mächte“. Wer sich der Einsamkeit ergibt, Ach! Der ist bald allein, Ein jeder lebt, ein jeder liebt Und lässt ihn seiner Pein. Ja, lasst mich meiner Qual! Und kann ich nur einmal Recht einsam sein, Dann bin ich nicht allein. Es schleicht ein Liebender lauschend sacht, Ob seine Freundin allein? So überschleicht bei Tag und Nacht Mich Einsamen die Pein, Mich Einsamen die Qual. Ach werd' ich erst einmal Einsam im Grabe sein, Da lässt sie mich allein! Das Gefühl der Einsamkeit ist Thema dieses Gedichts und wird soweit gesteigert bis am Ende einzig der Tod Erlösung bringen kann. Erst im Grab kann endlich die Ruhe von der Pein und Qual gefunden werden (ebenda). Eine Verdeutlichung der Unausweichlichkeit erreicht Goethe durch die oftmalige Wiederholung der Reimwörter, durch die ein enger Zusammenhang der drei Strophen erzeugt wird (ebenda). Wilhelm, hört eines nachts in einer Gartenlaube den Harfner, der kurz zuvor einen Brand gelegt hatte und den Schauspielern somit ihren Fundus und ihre Unterkunft zerstört hatte (Dürr et al., S. 378): An die Türen will ich schleichen, Fromm und sittsam will ich stehen, Fromme Hand wird Nahrung reichen, Und ich werde weiter gehn. Jeder wird sich glücklich scheinen, Wenn mein Bild vor ihm erscheint, Eine Träne wird er weinen, Und ich weiß nicht, was er weint. Den Charakter und die Stimmung dieses Liedes beschreibt Kreutzer folgendermaßen: „Auch wenn man einem Lied Selbstständigkeit und Unverbundenheit der Verse zugesteht, ist diese doch mit lediglich zwei Klängen im Reim, von denen einer sechsmal wiederkehrt, besonders sinnarm und lässt die Verwirrtheit des Sängers deutlich werden.“ (ebenda) Schuberts Vertonungen In Schuberts Liedschaffen nehmen die Vertonungen von Texten aus Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre einen besonderen Platz ein. Zwischen den Jahren 1815 und 1826 komponiert Schubert 26 Lieder auf Texte der Mignon und des Harfners. „Dies ist nicht nur der umfangreichste, sondern der von Schubert am intensivsten durchdachte Komplex in seinem Liedschaffen, vergleichbar nur den beiden größten seiner Zyklen, Winterreise und Die schöne Müllerin (D 911, 795).“, meint hierzu auch Kreutzer (Dürr et al., S. 93). Bei meinen Betrachtungen möchte ich mich auf die 1822 als op. 12 veröffentlichte 2. Fassung der Harfner-Gesänge konzentrieren, die sich zur ersten Fassung vom September 1816 durch das komplett neu komponierte Wer nie sein Brot mit Tränen aß und durch die geänderte Abfolge unterscheidet. Schubert stellt nun An die Türen will ich schleichen nicht mehr an die zweite, sondern an die dritte Stelle der Gruppe (ebenda, S. 379). Das sich über alle drei Lieder erstreckende Thema der Einsamkeit als Ausdruck des Götterzornes vertont Schubert in a-Moll (ebenda). Nach sechs arpeggierten Akkorden des Klaviers im Pianissimo, beginnt Wer sich der Einsamkeit ergibt mit einem rezitativischen Teil. Schubert setzt Fermaten auf „allein“, „lebt“, „liebt“ und „Pein“ bevor der arioso-Teil der zweiten und dritten Strophe beginnt, indem sich die Gesangslinie über durchgehende Achteltriolen des Klavierparts legt. Auffallend sind die starken dynamischen Kontraste, mit denen Schubert arbeitet. So bricht er beispielsweise nach dem noch im Piano Pianissimo stehenden „Ach, werd‘ ich erst einmal einsam im Grabe sein“ bei „da läßt sie mich allein“ unvermittelt ins Fortissimo aus, nur um bereits zwei Takte später wieder ins Piano beziehungsweise ins Pianissimo zurück zu kehren. Diese Kontraste verstärkt Schubert, indem er für die Fassung von 1822 Vortragsbezeichnungen wie crescendi und decrescendi oder den Angaben zum Gebrauch der Verschiebung ergänzt. Die Spannungen lösen sich erst im nahezu ins Nichts diminuierenden Klaviernachspiel (ebenda, S 378ff). Wie bereits erwähnt komponierte Schubert Wer nie sein Brot mit Tränen aß für die Druckfassung von 1822 neu und begnügte sich nicht, wie bei den beiden anderen Liedern, mit Überarbeitungen. Dies war bereits seine dritte Vertonung dieses Textes. In dieser letzten Version sind einige Gemeinsamkeiten zu Wer sich der Einsamkeit ergibt erkennbar. So verwendet Schubert beispielsweise nach einer improvisatorisch anmutenden Klaviereinleitung ab der dritten Verszeile „Auf seinem Bette weinend saß“ wieder eine triolische Achtelbewegung als Begleitung im Klavier. Auch die große dynamische Bandbreite zwischen Piano Pianissimo und Fortissimo ähnelt jener des ersten Liedes. Laut Kreutzer stehen diese Ausbrüche in Schuberts Vertonung jedoch im Gegensatz zur Romanvorlage: „Der Angabe im Roman, „klangen die Saiten allein, bis sich wieder die Stimme leise in gebrochenen Lauten darein mischte“ (z. B. T. 17-20 und 30-34), entspricht die immer wieder frei rezitierende Komposition in gewisser Weise, nicht hingegen ihre Götterklage, die dreimal fast vollständig vorgetragen wird, mit unregelmäßigen Schwankungen zwischen äußerstem Pianissimo und förmlichem Aufschrei im Fortissimo.“ Die „Götterklage“ der zweiten Strophe nimmt Schubert musikalisch bereits in Takt 19 in Form eines akzentuierten Fortissimo-Akkords vorweg. Schubert wiederholt dieses Motiv am Ende des Liedes als Klaviernachspiel (ebenda). Abgesehen davon, dass An die Türen will ich schleichen nun den Abschluss der Harfner-Gesänge Schuberts bildet, ist der einzige Unterschied zwischen den beiden Fassungen das in der späteren Version erweiterte Nachspiel des Klavieres. Schubert verwendet in diesem Lied fast ausschließlich Halbe und Vierteln, es entsteht so eine ruhig schreitende, jedoch stetig suchende Stimmung. Die Gesangsstimme wird fast pausenlos eine Oktave tiefer im dreibis vierstimmigen, wie ein Choral anmutenden Klavierpart verdoppelt. Die verzweifelten Klagen des Harfners kann man in den absteigenden Tritonusschritten der Melodie erkennen, diese erscheinen bereits im 8-taktigen Klaviervorspiel dreimal. Dynamisch gestaltet sich dieses Abschlusslied viel gleichmäßiger als die beiden vorangegangenen. Nur einige wenige FortepianoAkzente brechen die Pianissimo- beziehungsweise Piano-Grunddynamik auf, die die ziellose Wanderschaft des Harfners untermalt (ebenda). Schumanns Vertonungen Schumann setzte sich bereits einige Zeit, bevor er sich zwischen Mitte Mai und Anfang Juli des Jahres 1849 der Komposition von Liedern Mignons, des Harfners und Philine (1851 als op. 98a veröffentlicht) sowie dem Requiem für Mignon (op. 98b) widmet, mit Goethes Wilhelm Meister auseinander (Spies, 1997, S. 176f). Dies stellt auch Fischer-Dieskau (1985) fest: „Wieder in Dresden, stürzte sich Schumann nach dem dritten Lesen des „Wilhelm Meister“ in die Vertonung von Goethes lyrischen Einsprengseln, der Gesänge Mignons und des Harfners. Für Clara war es eine neue Welt, für Schumann eine längst bekannte, die er wiedereroberte.“ (S. 252) Schumann vertont in seinem op. 98a insgesamt neun Lieder, beginnend mit Mignons Kennst du das Land und der Ballade des Harfners Was hör‘ ich draußen vor dem Tor. Vor Philines Singet nicht in Trauertönen, dem siebten Lied der Gruppe, wechseln sich Mignon und der Harfner mit Nur wer die Sehnsucht kennt, Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Heiß‘ mich nicht reden und Wer sich der Einsamkeit ergibt ab. Den Abschluss der Lieder und Gesänge aus Goethes Wilhelm Meister bilden des Harfners An die Türen will ich schleichen und Mignons So laßt mich scheinen. Vermutlich um die Liedgruppe etwas abwechslungsreicher zu gestalten, übernimmt Schumann nicht die Reihenfolge der Lieder aus der Romanvorlage (Spies, 1997, S 177ff). In Wer nie sein Brot mit Tränen aß stellt Schumann durch Parallelführungen eine enge Verbindung zwischen der Singstimme und der Basslinie des Klavierparts her. Innerhalb dieses strengen Rahmens erzeugen die Achtelfiguren durch die ausgesparten Hauptzählzeiten einen unruhigen, getriebenen Charakter. Den dramatischen Ausbruch der zweiten Strophe kündigt Schumann bereits in der Vortragsbezeichnung „Erst langsam, dann heftiger“ an. Der Komponist akzentuiert in diesem Teil die Wörter „Leben“ und „Armen“ durch Septimensprünge in der Melodieführung sowie durch die Arpeggien im Klavierpart. Bereits im Fortissimo stehend werden diese durch zusätzliche Sforzatis abermals verschärft. Einzig bei „denn alle Schuld rächt sich auf Erden“ setzt Schumann die Begleitmotive aus, er unterlegt den Text hier nur mit ganztaktig erklingenden Akkorden. Anschließend setzen wieder die 32tel-Arpeggien im Klavier ein. Diesmal allerdings im Piano, wodurch ihnen Schumann einen „magischen, fast impressionistischen Charakter“ (FischerDieskau, 1985 S. 255) verleiht (Spies, 1997, S. 178). Besonders eindrucksvoll am nächsten der Harfner-Lieder Schumanns, Wer sich der Einsamkeit ergibt, ist der abwechslungsreiche und sehr stimmungsvolle Klaviersatz zu dem die Singstimme im Vergleich eher karg wirkt. Zu Beginn des Liedes prägen die zumeist aufsteigenden, harmonisch wechselnden Akkordbrechungen das Klangbild, ehe Schumann ab „Es schleicht ein Liebender“ zu einer repetitiven Achtelbegleitung wechselt, über der er ein positiv anmutendes, fast freudiges Motiv erklingen lässt. Spies (1997) meint zu dieser Stelle: „Vieles bleibt dabei semantisch offen, doch gibt es auch konkretere Beziehungen zum Text. Am deutlichsten zu Beginn der 3. Str., in dessen zartem, harmonisch aufgehelltem Satzgeflecht sich die Vorstellung einer unbelasteten Liebesbeziehung niederschlägt.“ (S. 178). Zwei Textstellen des Liedes untermalt Schumann mit arpeggierten, harfenähnlichen Akkorden. Wirken diese bei „ach! der ist bald allein“ noch streng ermahnend, so erklingen sie bei „ach! werd‘ ich erst einmal einsam im Grabe sein“ in einem tröstenden Tonfall und münden schließlich auch in das zauberhafte As-Dur Nachspiel (ebenda). Die Schlichtheit und geringe Anzahl an motivischen Elementen von An die Türen will ich schleichen steht in starkem Kontrast zu den vorangegangenen Harfner-Gesängen. Zur sehr einfach gehaltenen Gesangsstimme gesellt sich ein um den Ton g kreisender, ruhig schreitender Klavierpart, der durch Synkopierungen und klagende 16tel-Motive eine schmerzhafte und suchende Note erhält. Lediglich „eine Träne“ wird durch die beim zweiten Erklingen geänderte Betonung musikalisch unterstrichen. Nach einer ruhigen Akkordfolge bei „Jeder wird sich glücklich scheinen“ kehrt Schumann wieder zum Duktus des Beginns zurück, ehe er in einen erlösenden C-Dur-Akkord mündet (Spies, 1997, S. 180). Fischer-Dieskau (1985) beschreibt dieses Lied folgendermaßen: „Was bei seinen anderen Goethe-Gesängen vermißt werden mag, ist hier erreicht: Geschlossenheit und Überzeugungskraft. Das Stockende im Schritt der Synkopen, die flehende Sechzehntelfigur, die abgerissenen Harfenakkorde, Kraft der Melodiefindung und Mühelosigkeit der Modulation, alles ist zu ergreifendem Ausdruck gebunden.“ (S. 256) Wolfs Vertonungen Hugo Wolf beginnt am 27. Oktober 1888 die Arbeit an seinen Goethe-Liedern. Bereits am 30. Oktober vollendet er die Vertonung der drei Harfner-Gesänge, die, gefolgt von sieben anderen Liedern aus Wilhelm Meister, zu Beginn der Ausgabe der Gedichte von Goethe für eine Singstimme und Klavier von Hugo Wolf stehen. Die Spröde, die 51. und letzte der Goethe-Vertonungen, stellt er am 21. Oktober 1889 in Perchtoldsdorf fertig (Werba, 1971, S. 146). Eine Besonderheit bei Wolfs Herangehensweise an die Goethe-Texte betont Decsey (1927): „Beachtenswert ist dabei, daß er Goethe nach Stimmungskreisen vertonte: so werden die Schenkenbuchgesänge des westöstlichen Diwan zusammen geschrieben, ebenso das Buch Suleika und die Wilhelm-MeisterLieder.“ (S. 58). Zu seinen Wilhelm-Meister-Liedern, vor allem jenen des Harfners und Mignon, meint Wolf, dass in ihnen die Charaktere der betreffenden Personen erkennbar sein sollten (Werba, 1971 S. 157). Eine Tatsache, die auch Decsey (1927) beschreibt: „Das Wolfsche Auge dringt auch in den Orts- und Zeithintergrund der Gedichte: es führt das Gesetz der Wahrheit aus. Wolf sieht in Goethes Harfner nicht bloß einen erbarmenswerten, weißhaarigen Alten, sondern die schuldgebeugte Figur des Romans. Die Musik weiß von der unglückseligen Liebe des Mannes zu seiner Schwester Sperata, der das Kind Mignon entspringt. Daher läßt sie reuig nagende Vorhalte in den Gesängen ertönen, die Wilhelm an der Kammertür des elenden Wirtshauses erlauscht.“ (S. 142). Im Gegensatz zu Goethe, der Wer sich der Einsamkeit ergibt in zwei Strophen zu jeweils vier und einer zu acht Versen gliedert, trennt Wolf die letzten drei Verse der dritten Strophe in seinem Harfenspieler I vom Vorangegangenen ab. Die arpeggierten Akkorde und die absteigende Chromatik des Klaviervorspiels prägen die gesamten ersten 17 Takte des Liedes. Erst bei „und lässt ihn seiner Pein“ bricht Wolf erstmals aus der Piano beziehungsweise Pianissimo Dynamik, er überschreibt den Einsatz des Gesanges zusätzlich mit „leise“, ins Forte aus, kehrt aber sofort wieder ins Piano zurück. In den folgenden Takten diminuiert er noch weiter und leitet in den bei „Es schleicht ein Liebender lauschend sacht“ beginnenden Mittelteil über. Wolf moduliert von g-Moll nach D-Dur, überschreibt die Gesangsstimme nun sogar mit „sehr leise“ und rückt den Klavierpart ins Piano Pianissimo. Die überbundenen Achteln der Triolenbegleitung verschleiern die im Vergleich zum Beginn rhythmisch eher einfach gehaltene Melodie. Auch in diesem Teil kommt es bei „Nacht“ nach einem dreitaktigen Crescendo zu einem dynamischen Ausbruch. Allerdings bleibt Wolf nun für vier Takte im Forte, ehe die Triolen des Klaviers langsamer und leiser werden und in den bei „Ach, werd‘ ich erst einmal“ beginnenden Schlussteil münden. Hier greift Wolf wieder die Motive des Beginns auf, die beiden ersten Takte des Nachspiels sind sogar exakt dem Vorspiel entnommen. Diesen Bezug zum Anfang interpretiert Andresen (2012) folgendermaßen: „Wie in einem endlosen Kreislauf befindet sich der Harfner wieder am scheinbaren Anfang und ist gefangen in Leid und Ausweglosigkeit.“ (S. 179). Wolf lässt das Lied in D-Dur enden (ebenda, S. 175ff). Auch im Harfenspieler II, An die Türen will ich schleichen, bedient sich Wolf oft absteigender chromatischer Linien, wie zum Beispiel im Seufzermotiv der rechten Hand und den Terzen der linken Hand im Klaviervorspiel. Dies resultiert in einer schmerzlich gequälten Stimmung, passend zu Wolfs Anweisung „dolente“ zu Beginn des Liedes. Ab dem Einsatz der Singstimme verschiebt sich der Klavierpart rhythmisch und „schleicht“ synkopisch neben dem Gesang her. Auch im Klavierzwischenspiel, das tonal dem Vorspiel gleicht, begleiten die absteigenden kleinen Terzen die Seufzer nun synkopierend. Erst bei „Jeder wird sich glücklich scheinen“, dem zweiten Teil des Liedes, stabilisiert Wolf das Klangbild durch eine halbtaktig voranschreitende Basslinie. Jetzt kommt es auch zur größten dynamischen Steigerung des Liedes. Das zu Beginn durchgehend vorherrschende Piano beziehungsweise Pianissimo steigert Wolf durch ein zweitaktiges Crescendo bei „eine Träne“ ins Forte, lässt die Gesangsstimme anschließend aber wieder im Piano enden. Als Abschluss erklingt abermals das Vorspiel, allerdings mit einem etwas überraschendem CDur-Schlussakkord (ebenda, S. 180ff). Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wolfs Harfenspieler III, ist wohl der am klarsten gegliederte der drei Harfner-Gesänge. Wolf übernimmt Goethes Zweiteilung des Gedichts und fasst, kleine Abweichungen ausgenommen, immer zwei Verszeilen zu einer viertaktigen Phrase zusammen. Im Klaviervorspiel sind Anlehnungen an die beiden vorangegangenen Lieder erkennbar, so etwa die seufzende Chromatik der rechten Hand oder die absteigende Terzbewegung in der linken. Die arpeggierten Harfenakkorde des ersten Liedes tauchen hier ebenfalls erneut auf. Sowohl bei „kummervollen Nächte“, als auch „himmlischen Mächte“ kommt es zu einer dynamischen Steigerung ins Forte. Nach dem viertaktigen Zwischenspiel, das, wiederum eine Parallele zu den ersten beiden Harfner-Liedern, dem Vorspiel gleicht, beginnt bei „Ihr führt ins Leben uns hinein“ der dramatische zweite Teil der Vertonung. Wolf vollzieht eine extreme Steigerung, die in einem mächtigen Forte Fortissimo bei „denn alle Schuld“ gipfelt. Die vier vollgriffigen Akkorde des Klaviers betonen die Zählzeiten und stehen somit in Kontrast zu den Synkopen der vorherigen Takte. Nach diesem, mit Sicherheit dramatischsten Ausbruch der drei Harfenspieler erstirbt eine leicht variierte Form des Vorspiels in einem abschließenden f-Moll-Akkord (ebenda, S. 183ff). Quellenverzeichnis Andresen, M. (2012). Die Charaktere aus Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre bei Anton Rubinstein und Hugo Wolf: Mit einer Analyse der Rezeptionsgeschichte der Lyrischen Einlagen des Romans. Frankfurt: Lang Bahr, E. (2000). Erläuterungen und Dokumente. Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre (Durchgesehene, in Kapitel IV,2 ergänzte und bibliographisch aktualisierte Ausgabe 2000). Stuttgart: Reclam Decsey, E. (1927). Hugo Wolf: Das Leben und das Lied (Nachdruck der Originalausgabe). Hamburg: Severus Dürr, W.; Kube, M.; Schweikert, U.; Steiner, S. (Hrsg.) (2013). Schubert Liedlexikon (2. Auflage). Kassel: Bärenreiter Fischer-Dieskau, D. (1985). Robert Schumann: Das Vokalwerk. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Kassel: Bärenreiter Spies, G. (1997). Robert Schumann: Musikführer. Mainz: Schott Werba, E. (1971). Hugo Wolf oder Der zornige Romantiker (1. Auflage). WienMünchen-Zürich: Molden
© Copyright 2024 ExpyDoc